Der Pädosexuelle und die Strafverfolgung - SCIP - Universität Bern
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<strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong><br />
Stimmen der Beteiligten am <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
Diplomarbeit im Rahmen des Nachdiplomstudiums „Kriminologie Weiterbildung“<br />
Eingereicht an der: Rechtswissenschaftlichen Fakultät<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Bern</strong><br />
Betreuung durch: Prof. Dr. K.-L. Kunz<br />
Eingereicht von: lic. phil. I Chantal Billaud<br />
Benteliweg 1<br />
3018 <strong>Bern</strong><br />
<strong>Bern</strong>, den 6. Oktober 2004
Inhaltsverzeichnis<br />
2<br />
1. Einleitung.......................................................................................................... 5<br />
2. Das Phänomen der Kinderpornografie ........................................................................ 8<br />
2.1. Inhalt der kinderpornografischen Darstellungen ....................................................... 8<br />
2.2. Herstellung, Tausch, Verbreitung .......................................................................11<br />
2.2.1. Gruppierungen auf dem Internet...................................................................11<br />
2.2.2. Weitere Austauschmöglichkeiten ..................................................................12<br />
2.2.3. Ausmass ................................................................................................12<br />
3. Das Phänomen der Pädosexualität ...........................................................................14<br />
3.1. Begrifflichkeit <strong>und</strong> Ausprägungsformen ................................................................14<br />
Exkurs I: „Das Motto ist immer Macht, nicht Erotik“ ......................................................17<br />
3.2. Verbreitung .................................................................................................19<br />
4. Pädosexualität <strong>und</strong> Kinderpornografie ......................................................................22<br />
5. Methodische Überlegungen ....................................................................................26<br />
6. Stimmen der Beteiligten nach Funktion im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess ...................................28<br />
6.1. Unterschiedliche Begegnungen mit unterschiedlichen <strong>Pädosexuelle</strong>n ............................28<br />
6.2. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der Gesetzgebung.................................................................41<br />
6.3. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der polizeilichen Ermittlung ....................................................45<br />
6.4. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der Rechtssprechung .............................................................50<br />
6.5. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der forensischen Begutachtung.................................................54<br />
6.6. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der therapeutischen Behandlung ...............................................57<br />
Exkurs II: <strong>Der</strong> Suchtaspekt...................................................................................62<br />
6.7. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in seiner Selbstdarstellung .........................................................66<br />
6.7.1. Von Pädophilen <strong>und</strong> Pädokriminellen..............................................................66<br />
6.7.2. Pädophile zu ausgewählten Themen des <strong>Strafverfolgung</strong>sprozesses .........................68<br />
7. Erkenntnisse .....................................................................................................75<br />
7.1. Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen zu Kindern (sexuell) hingezogen fühlen ..........75<br />
7.2. Die polizeiliche Ermittlung steckt noch in den Kinderschuhen .....................................75<br />
7.3. Besser auf <strong>die</strong> Begutachtung achten!...................................................................76<br />
7.4. Spricht <strong>die</strong> Rechtssprechung Recht? ....................................................................76<br />
7.5. Und dennoch ein Plädoyer für <strong>die</strong> Therapie ...........................................................77<br />
8. Empfehlungen ...................................................................................................79<br />
8.1. Offen reden <strong>und</strong> frei forschen ...........................................................................79<br />
8.2. Bestehendes Know-how in der Ermittlungsarbeit teilen.............................................79<br />
8.3. EntscheidungsträgerInnen sensibilisieren ..............................................................80<br />
8.4. Begutachtung <strong>und</strong> Therapie stärken <strong>und</strong> spezialisieren .............................................80<br />
8.5. Seriöse Therapieangebote für (potentielle) Täter....................................................81
3<br />
8.6. Akteure an einen Tisch bringen..........................................................................81<br />
8.7. Übersicht erlangen <strong>und</strong> Kräfte konzentrieren.........................................................82<br />
Literatur ..........................................................................................................83<br />
Anhang I; „Leitfaden“ <strong>und</strong> ExpertInneninterviews .........................................................85<br />
1. Interview mit Dr. med. Thomas Knecht................................................................86<br />
2. Interview mit Dr. rer. nat., Dipl.- Psych. Dietrich Pülschen........................................92<br />
3. Interview mit Dr. Phil., Psychologe FSP Hans-Werner Reinfried ...................................99<br />
4. Interview mit der Gruppe Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich................................. 112<br />
5. Interview mit Repräsentantinnen der Kantonspolizei <strong>Bern</strong> ....................................... 119<br />
6. Interview mit lic. jur. Philipp Kronig, Leiter KOBIK................................................ 123<br />
Anhang II; Textbeispiele aus offenen Newsgroups ....................................................... 125<br />
Anhang III; Beispiel einer geschlossenen Gruppierung................................................... 128
Danksagung<br />
4<br />
Ohne <strong>die</strong> Unterstützung <strong>und</strong> Zustimmung meines Arbeitsgebers, dem B<strong>und</strong>esamt für Polizei,<br />
hätte ich mein Nachdiplomstudium <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Arbeit gar nicht in Angriff nehmen können.<br />
Ich bin sicher, dass Erfahrungen <strong>und</strong> Einsichten aus <strong>die</strong>ser Arbeit in meine alltägliche Arbeit<br />
einfliessen werden. In <strong>die</strong>sem Sinne können hoffentlich beide von <strong>die</strong>ser Investition profitieren.<br />
Ein ganz spezielles Dankeschön an meinen direkten Vorgesetzten, Erich Leimlehner, der<br />
mir stets mit Rat <strong>und</strong> Tat zur Seite stand.<br />
Meine Interviewpartner <strong>und</strong> -partnerinnen lieferten mindestens <strong>die</strong> Hälfte aller Inhalte. Sie<br />
haben sich kostbare Zeit genommen <strong>und</strong> mir einen Teil ihres Fachwissens vermittelt. Ich hoffe<br />
sehr, dass sie sich in der Arbeit wieder finden. Für alle Interpretationen <strong>und</strong> Einbettungen<br />
übernehme ich selbstverständlich <strong>die</strong> Verantwortung.<br />
Alle beschäftigen sich in ihrer alltäglichen Arbeit mit Problemen, <strong>die</strong> nicht einfach zu ertragen<br />
sind. Sie widmen sich direkt oder indirekt mit viel Engagement dem Schutz der Schwächeren<br />
in unserer Gesellschaft. Sie haben sich ihre Herzlichkeit bewahrt <strong>und</strong> den differenzierten<br />
Blick nicht verloren. Deshalb einen ganz herzlichen Dank an Thomas Knecht, Dietrich Pülschen,<br />
Hans-Werner Reinfried, Rolf Nägeli <strong>und</strong> seine MitarbeiterInnen, Irène Pellet, Ursula<br />
Hirschi <strong>und</strong> Philipp Kronig. Hoffentlich kreuzen sich unsere Wege in Zukunft noch<br />
häufig!<br />
Eva Bollmann vom B<strong>und</strong>esamt für Polizei war <strong>und</strong> ist mir eine wertvolle Arbeitskollegin, <strong>die</strong><br />
mit ihrem Fachwissen im Bereich der Internetkriminalität wertvolle Inputs geliefert hat <strong>und</strong><br />
stets für Fragen Zeit fand. Ich hoffe, ich kann mich bald revanchieren.<br />
Prof. Karl-Ludwig Kunz hat mir als Betreuer <strong>die</strong>ser Arbeit viel Freiraum gelassen <strong>und</strong> hat<br />
sehr flexibel auf einige Änderungsvorschläge meinerseits reagiert. Ich hoffe, er bereut es<br />
nicht.<br />
Meine Familie freut sich sehr, wenn Mama abends nicht mehr für <strong>die</strong> Schule lernen muss.<br />
Ihnen ein riesengrosses Dankeschön für ihre Geduld <strong>und</strong> ihre alltägliche Unterstützung!
1. Einleitung<br />
5<br />
Das Thema der Pädosexualität ist ein Modethema. Zwar sind <strong>die</strong> öffentliche Berichterstattung<br />
<strong>und</strong> der Alltagsdialog stärker ausgeprägt als <strong>die</strong> f<strong>und</strong>ierte, wissenschaftliche Auseinandersetzung,<br />
dennoch ist bereits Wissen vorhanden. Welchen Beitrag kann <strong>die</strong>se Arbeit zur<br />
Thematik leisten?<br />
Zum einen will <strong>die</strong>se Arbeit inhaltlich einen Fokus auf Kinderpornografie legen, den <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
in seinem voyeuristischen Tun thematisieren. Zum anderen sollen in den folgenden<br />
Ausführungen Repräsentanten verschiedener Funktionen in der <strong>Strafverfolgung</strong> r<strong>und</strong> um das<br />
Thema Pädosexualität <strong>und</strong> Kinderpornografie zu Wort kommen.<br />
Ein <strong>Pädosexuelle</strong>r kann ein straffreies Leben führen, sei <strong>die</strong>s, weil seine strafrechtlich relevanten<br />
Tätigkeiten nicht entdeckt werden, sei <strong>die</strong>s, weil er gar nicht kriminell auffällig wird,<br />
seine Orientierung oder seine Phantasien gar nicht auslebt oder <strong>die</strong> Handlungen mit Kindern<br />
nicht in den strafrechtlich relevanten Bereich fallen.<br />
Gewisse <strong>Pädosexuelle</strong> werden jedoch von der <strong>Strafverfolgung</strong> erfasst, gerade auch über ihre<br />
voyeuristischen Aktivitäten, wenn sie sich Kinderpornografie beschaffen, <strong>die</strong>se herstellen,<br />
verbreiten oder einfach besitzen <strong>und</strong> sammeln.<br />
Verschiedene Akteure sind am Prozess der <strong>Strafverfolgung</strong> 1 beteiligt. Chronologisch steht an<br />
erster Stelle der Gesetzgeber, der versucht, mit entsprechenden Gesetzen dem <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
gesetzliche Schranken zu weisen. Implizit oder explizit sind Vorstellungen zu Motiven,<br />
Vorgehensweisen <strong>und</strong> Reaktionen auf <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> vorhanden. Man stellt gewisse Tätigkeiten<br />
unter Strafe, andere nicht, definiert einen Strafrahmen, macht Überlegungen zur<br />
möglichen <strong>Strafverfolgung</strong> <strong>und</strong> zum Nutzen eines Strafgesetzartikels.<br />
Die Ermittlungsbehörden, in <strong>die</strong>sem Deliktsbereich <strong>die</strong> Kantons- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>espolizeien, sind<br />
verantwortlich für <strong>die</strong> Ermittlung gegen Gesetzesbrecher. Dazu müssen sie eine Vorstellung<br />
davon haben, wie <strong>Pädosexuelle</strong> vorgehen, wie sie „geschnappt“ werden können, welche Motive<br />
sie treiben <strong>und</strong> wo sie unvorsichtig werden. Auch müssen sie in der <strong>Strafverfolgung</strong> Prioritäten<br />
setzen, sie müssen <strong>die</strong> Gefährlicheren von den Ungefährlicheren unterscheiden können.<br />
Wird ein <strong>Pädosexuelle</strong>r gefasst, weil er Kinderpornografie besitzt, verbreitet oder herstellt,<br />
oder weil er sich des Kindsmissbrauchs schuldig macht, kommt es zu einem Gerichtsverfahren.<br />
<strong>Der</strong> Richter oder <strong>die</strong> Richterin spricht ein Urteil. Die Urteile sind je nach Schwere des<br />
Deliktes, je nach Kanton, je nach Vorgeschichte der Täter anders. Was wird dabei berücksichtigt?<br />
Einige der verurteilten <strong>Pädosexuelle</strong>n werden forensisch begutachtet. Was wird berücksichtigt<br />
bei der Begutachtung? Welche Behandlungen werden empfohlen, aufgr<strong>und</strong> welcher<br />
Überlegungen wird das Rückfallrisiko eingeschätzt?<br />
<strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> wird je nach gutachterlichem respektive richterlichem Entscheid behandelt.<br />
Nach psychiatrischen oder psychologischen Gr<strong>und</strong>sätzen sind Vorstellungen davon<br />
vorhanden, welche Behandlungsmethoden möglich <strong>und</strong> wirksam sind, was das Ziel der Behandlung<br />
sein soll <strong>und</strong> welche Chancen der Behandlung eingeräumt werden sollen oder<br />
können.<br />
<strong>Pädosexuelle</strong> oder, wie sie sich teilweise selbst lieber nennen, Pädophile haben schlussendlich<br />
auch eigene Vorstellungen von ihrer Orientierung, von ihrem Verhältnis zu Pornografie,<br />
von der <strong>Strafverfolgung</strong>, <strong>die</strong> ihnen das Leben schwer macht <strong>und</strong> von ihren Vorlieben <strong>und</strong> ihren<br />
Wünschen nach Lebensgestaltung mit Kindern.<br />
1 <strong>Der</strong> Begriff der <strong>Strafverfolgung</strong> wird hier, wohl juristisch nicht korrekt oder zumindest unüblich, sehr breit verstanden.<br />
Wir verstehen darunter <strong>die</strong> Prozesse <strong>und</strong> Mechanismen, <strong>die</strong> dazu <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong> „Strafe zu verfolgen“. Das<br />
heisst in <strong>die</strong>sem breit gefassten Verständnis <strong>die</strong> Gesetze zu definieren, den Bruch der Gesetze zu ermitteln, das<br />
Brechen der Gesetze zu verurteilen, <strong>die</strong> Verurteilten gemäss ihrer Schuld zu begutachten <strong>und</strong> therapeutisch im<br />
Hinblick darauf zu behandeln, dass sie <strong>die</strong> Gesetze im bestmöglichen Fall nicht wieder brechen.
6<br />
Zu (fast) jedem <strong>die</strong>ser Momente im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess habe ich eine Stimme gesucht,<br />
<strong>die</strong> punktuell <strong>und</strong> individuell Auskunft gibt zu den einzelnen Funktionen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Träger innehaben,<br />
zu den Schwierigkeiten, <strong>die</strong> sie antreffen <strong>und</strong> zu den Glaubens- <strong>und</strong> Wissenssystemen,<br />
<strong>die</strong> sie mit sich tragen <strong>und</strong> <strong>die</strong> in <strong>die</strong> Entscheidungsprozesse einfliessen. Die gesammelten<br />
Aussagen, <strong>die</strong> aus offenen Interviews, aus der Literatur oder aus dem Internet zusammengetragen<br />
wurden, haben keinerlei Anspruch auf Repräsentativität. Andere VertreterInnen<br />
in den entsprechenden Funktionen hätten wahrscheinlich andere Akzente gesetzt,<br />
andere Meinungen geäussert oder andere Schlussfolgerungen gezogen. Weder <strong>die</strong> Jurisprudenz,<br />
noch <strong>die</strong> Medizin oder <strong>die</strong> Psychologie sind exakte Wissenschaften.<br />
Zudem sind <strong>Pädosexuelle</strong> keine homogene Bevölkerungsgruppe. Gemeinsam ist ihnen einzig<br />
der rechtlich <strong>und</strong> gesellschaftlich geächtete Umgang mit Kindern. Die befragten FunktionsträgerInnen<br />
im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht –<br />
über <strong>die</strong> individuelle Begegnung <strong>und</strong> über ihre beruflich definierte Art des Umgangs - mit<br />
einzelnen <strong>Pädosexuelle</strong>n. Daraus <strong>und</strong> aus ihrer Fachliteratur beziehen sie ihre Vorstellungen,<br />
welcher Art von Umgang der angemessenste ist. Die Erfahrungen können ganz unterschiedlich<br />
sein.<br />
Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es sich lohnt, einen Überblick <strong>und</strong> einen mehr oder<br />
weniger willkürlichen Einblick zu erstellen. Die einzelnen Beteiligten im Umgang mit <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
haben konkret kaum miteinander zu tun <strong>und</strong> haben dennoch gemeinsam einen Einfluss<br />
auf den umfassenden Umgang mit dem <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> gesellschaftlichen<br />
Vorstellungen von ihnen als Tätergruppierung.<br />
Im besten Fall entsteht bei der Leserin / beim Leser <strong>die</strong> Vorstellung, dass ein Zusammenrücken<br />
der verschiedenen Funktionen im Umgang mit <strong>die</strong>ser Delinquentengruppe sinnvoll<br />
wäre um <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> zu verbessern, Rückfälle weniger wahrscheinlich zu machen<br />
<strong>und</strong> somit <strong>die</strong> Kinder vor Übergriffen zu schützen. Im erwarteten Fall entsteht ein kaleidoskopartiges<br />
Bild der Komplexität der Täterschaft, der Delikte <strong>und</strong> des möglichen Umgangs<br />
damit in der <strong>Strafverfolgung</strong>.<br />
<strong>Der</strong> aufmerksamen Leserin / dem aufmerksamen Leser ist nicht entgangen, dass ein wichtiges<br />
Element in <strong>die</strong>ser Arbeit nicht angesprochen wird: <strong>die</strong> Opferseite. Verschiedene Gründe<br />
haben mich bewogen, <strong>die</strong> Opfer auszublenden. Einerseits, weil <strong>die</strong> Darstellung der Opferseite<br />
eine Arbeit für sich darstellen würde <strong>und</strong> deren Bearbeitung nur rudimentär angegangen<br />
werden könnte, was zynisch wäre angesichts der Schwere der Bürde, <strong>die</strong> sie tragen müssen.<br />
Andererseits ist <strong>die</strong> Thematik vor allem von Opferschutzorganisationen breit behandelt worden.<br />
Auch wenn in der öffentlichen Meinung, gerade in der aktuellen politischen Landschaft,<br />
Stimmen laut wurden, dass <strong>die</strong> Opferseite im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess zu wenig zur Kenntnis<br />
genommen werde, sieht es beim Wissensstand zu Täter- <strong>und</strong> Opferseite anders aus. Es<br />
herrscht in den Fachgebieten <strong>und</strong> über <strong>die</strong> politischen Einheiten hinaus mehr oder weniger<br />
Konsens darüber, dass sexuelle Übergriffe an Kindern meist mehr oder weniger gravierende<br />
Schäden beim Opfer hervorrufen, <strong>die</strong> detailliert beschrieben sind. <strong>Der</strong> Umgang mit Opfern in<br />
der <strong>Strafverfolgung</strong> wurde in den letzten Jahren reflektiert <strong>und</strong> Verbesserungen sind offensichtlich.<br />
Die Täterseite hingegen ist schwach durchleuchtet. Pauschale Annahmen, gerade auch was<br />
Kinderpornografen betrifft, kursieren. Eine differenzierte Auseinandersetzung ist eher <strong>die</strong><br />
Ausnahme als <strong>die</strong> Regel. Eine professionelle Prävention <strong>und</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> kommt aber<br />
nicht darum herum, Überlegungen anzustellen <strong>und</strong> sich Wissen darüber anzueignen, was<br />
<strong>die</strong>se Menschen dazu bringt, das zu tun, was sie tun, wie sie es tun <strong>und</strong> wie sie davon abgehalten<br />
werden können, es zu tun. Vielleicht kann <strong>die</strong>se Arbeit einen kleinen Beitrag dazu<br />
leisten.<br />
Formal sind <strong>die</strong> folgenden Ausführungen so aufgebaut, dass je nach Stelle im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
Zitate ausgewählter Interviewpartner zusammengetragen werden, <strong>die</strong> spezifische<br />
Aufgaben, Vorstellungen <strong>und</strong> Schwierigkeiten exemplarisch beleuchten, aber auch an-
7<br />
dere Akteure zu den entsprechenden Aufgaben zu Wort kommen. So entsteht eine Art Matrixaufbau,<br />
der sich folgendermassen darstellen lässt 2 :<br />
Aufgabe<br />
Funktion<br />
Jurist<br />
Polizistin / Polizist<br />
Richterin / Richter<br />
Forensische Begutachtung <br />
Forensischtherapeutische<br />
Psychiatrie /<br />
Psychologie<br />
„<strong>Pädosexuelle</strong>r“<br />
Gesetzgebung<br />
<strong>Strafverfolgung</strong> <br />
Rechtssprechung<br />
Begutacht-ung<br />
Therapeutische<br />
Behandlung<br />
„<strong>Pädosexuelle</strong>s<br />
Delikt“<br />
Bevor wir aber auf <strong>die</strong> einzelnen Aufgaben <strong>und</strong> Funktionen in Bezug auf Pädosexualität in<br />
der <strong>Strafverfolgung</strong> eingehen, vorausgehend einige Ausführungen vor allem aus der Literatur<br />
zum Phänomen der Kinderpornografie <strong>und</strong> der Pädosexualität. Ziel dabei ist, das vorhanden<br />
Wissen dazu in einem repräsentativen Sinn quasi als Interpretationsgr<strong>und</strong>lage für <strong>die</strong> nachfolgenden,<br />
individuellen Aussagen bereit zu stellen.<br />
2<br />
Zu den grau markierten Feldern sind Aussagen gemacht worden. Leider konnten mit den gemachten Gesprächen<br />
nicht alle Felder gefüllt werden.
2. Das Phänomen der Kinderpornografie<br />
8<br />
Kinderpornografie ist heutzutage ein oft benutzter Begriff in den Me<strong>die</strong>n. Mehr Polizeiaktionen<br />
<strong>und</strong> ein verstärktes Bewusstsein zur Thematik des Kinderschutzes haben zu einer vermehrten<br />
Berichterstattung zum Thema Kinderpornografie <strong>und</strong> Pädosexualität geführt. Wie<br />
immer bei Themen, <strong>die</strong> Verbrechen <strong>und</strong> Sexualität zum Inhalt haben <strong>und</strong> gar noch Kinder<br />
miteinbeziehen, ist <strong>die</strong> Aufmerksamkeit garantiert. So ist es schwierig, sauber zu entschlüsseln,<br />
inwiefern das Phänomen zum einen neu (<strong>und</strong> nicht einfach alter Wein im neuen Internetschlauch)<br />
<strong>und</strong> zum anderen so verbreitet ist, wie es gemäss den Pressemeldungen auf<br />
den ersten Blick scheint.<br />
Zudem ist für <strong>die</strong> meisten Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger der Begriff Kinderpornografie abstrakt.<br />
Natürlich ist allen bewusst, dass dabei Kinder in pornografische Aktivitäten miteinbezogen<br />
werden <strong>und</strong> intuitiv wird fast Jede <strong>und</strong> Jeder den unmittelbaren Eindruck nicht los, dass Pornografie<br />
in Zusammenhang mit Kindern unnatürlich, verwerflich, abstossend <strong>und</strong> grausam<br />
sei. Warum haben wir <strong>die</strong>sen ersten Eindruck? Hat es mit unseren Vorstellungen von kindlicher<br />
Sexualität zu tun, mit dem Begriff der Pornografie, ausschliesslich mit der Kombination?<br />
So abwegig <strong>die</strong> Frage auf den ersten Blick anmutet, so wichtig ist sie dennoch, wenn wir das<br />
Phänomen verstehen <strong>und</strong> es in allgemein-gesellschaftliche Prozesse einordnen wollen.<br />
Im Folgenden soll beschrieben werden, worum es sich bei Kinderpornografie im Konkreten<br />
handelt, mit welchem Ausmass wir es zu tun haben <strong>und</strong> inwiefern der alte Wein in den neuen<br />
Schläuchen auch zu einem neuen Wein geworden ist.<br />
Wir haben polizeiliche Informationen 3 <strong>und</strong> Wissen aus der Fachliteratur zur Verfügung, um<br />
uns ein klareres Bild zu den aktuell gehandelten Materialien auf dem Kinderpornografie-<br />
Markt zu machen.<br />
Ein kurzer Blick in <strong>die</strong> Vergangenheit macht klar, dass <strong>die</strong> Darstellung von sexuellen Aktivitäten<br />
zwischen Erwachsenen <strong>und</strong> Kindern keine Seltenheit war; <strong>die</strong> allseits bekannte griechische<br />
Knabenliebe 4 wird auch oft <strong>und</strong> gerne von Pädophilenvereinigungen (siehe Kap. 6.7.)<br />
herangezogen, um <strong>die</strong> kulturelle Verankerung der Pädophilie respektiv Päderastie zu untermauern.<br />
Hier ist nicht der Ort, einen historischen Abriss zur Pädophilie zu versuchen. Es ist<br />
durchaus möglich, dass einige Formen der Darstellung von Sex mit Kindern an Traditionen<br />
anknüpfen. In der Regel wird das aktuell gehandelte Material aber wenig bis nichts mit gesellschaftlich<br />
verankerten Formen der Pädophilie zu tun haben, wie folgende Ausführungen<br />
verdeutlichen sollen.<br />
2.1. Inhalt der kinderpornografischen Darstellungen<br />
Das Material wird in Form von Filmen, Bildern in Magazinen <strong>und</strong> Seiten im Internet, Videos,<br />
Texten <strong>und</strong> auch Comics angeboten. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Serien von Bildern<br />
hergestellt <strong>und</strong> gesammelt werden. Die Serien können thematisch oder über <strong>die</strong> Kinder<br />
selbst definiert werden. Eine grosse Polizeiaktion in Schweden im Jahr 2003 hat <strong>die</strong> HerstellerInnen<br />
5 einer ganz speziellen Serie verhaften können, <strong>die</strong> den Missbrauch ihrer eigenen<br />
Tochter <strong>und</strong> einiger ihrer Schulkameradinnen über Jahre gefilmt <strong>und</strong> fotografiert hatten. Diese<br />
Serie war in Pädophilenkreisen äusserst beliebt <strong>und</strong> eine möglichst komplette Sammlung<br />
der Mädchenbilder stellte eine Herausforderung dar 6 .<br />
Systematische Analysen kinderpornografischer Materialien sind kaum vorhanden. Niederländische<br />
ForscherInnen des Institutes for Psychological Therapies (IPT) 7 untersuchten bereits<br />
im Jahr 1992 kinderpornografisches Material. Vorausgeschickt werden muss, dass sich<br />
3<br />
Mit „wir“ ist hier meine Person in der Funktion als Analytikerin beim B<strong>und</strong>esamt für Polizei gemeint.<br />
4<br />
Wenn auch klar der Oberschicht vorenthalten, klaren Regeln unterworfen <strong>und</strong> in der Regel mit Knaben in oder<br />
kurz vor oder nach der Pubertät.<br />
5<br />
Es handelte sich um ein Ehepaar. Ansonsten wird im Folgenden <strong>die</strong> pädosexuelle Person in der männlichen<br />
Form beschrieben, weil <strong>die</strong> Frauen <strong>die</strong>ses Personentypus deutlich untervertreten sind.<br />
6<br />
Das haben polizeiliche Analysen von Aussagen <strong>Pädosexuelle</strong>r in Chatrooms belegen können.<br />
7 http://www.ipt-forensics.com/
9<br />
<strong>die</strong> Analyse auf Darstellungen in Magazinen beschränkte, welche vor über 10 Jahren noch<br />
<strong>die</strong> übliche Form der Verbreitung darstellten.<br />
Die Resultate der Stu<strong>die</strong> lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Von den etwa<br />
10.000 Darstellungen beinhalteten 0,9 Prozent bizarre Darstellungen, 10,7 Prozent Darstellungen<br />
von Geschlechtsverkehr, 6,8 Prozent Darstellungen mit Oralverkehr sowie 20,5 Darstellungen<br />
mit Körperkontakt. <strong>Der</strong> überwiegende Teil der Darstellungen bildete bekleidete,<br />
nackte <strong>und</strong> posierende Kinder ab. Eine Auswertung des Gesichtsausdrucks der beteiligten<br />
Kinder ergab, dass etwa ein Prozent eine negative Reaktion auf <strong>die</strong> Aufnahmen zeigten,<br />
während bei 18 Prozent unzweideutig Lachen <strong>und</strong> Freude festgestellt wurde. Auf den restlichen<br />
Darstellungen konnte der Gesichtsausdruck nicht mit Sicherheit interpretiert werden 8 .<br />
Vielversprechender sind <strong>die</strong> Ansätze von COPINE 9 (Combating Paedophile Information Networks<br />
in Europe). Das COPINE-Projekt existiert seit 1997 am Department of Applied Psychology,<br />
University College Cork in Irland. Die sehr engagierten Psychologen <strong>und</strong> Psychologinnen<br />
haben unter anderem auch kinderpornografisches Material ausgewertet, das sie aus<br />
Polizeikreisen zwecks Analyse erhalten oder selbst aus dem Internet heruntergeladen haben.<br />
Nach Tylor (2002) können vier grobe Kategorien unterschieden werden:<br />
- Erotika: darunter fallen Darstellungen von Kindern, <strong>die</strong> weder nackt, noch bei sexuellen<br />
Handlungen abgebildet werden. Oft sind <strong>die</strong> Kinder beim Baden oder bei sonstigen Freizeitaktivitäten<br />
zu sehen. Kinder-Erotika finden sich auch auf Pädophilen-Homepages. Diese<br />
Darstellungen sind nicht strafbar, deuten aber auf pädophile Tendenzen hin, wenn sie in<br />
nicht nachvollziehbarer Art gesammelt werden (unbekannte Kinder, kein Kontext o.ä.).<br />
- Nacktaufnahmen von Kindern: Darstellungen von Kindern an FKK-Orten (teilweise ungefragt<br />
abgelichtet <strong>und</strong> von schlechter Qualität) werden gesammelt <strong>und</strong> angeboten. Diese Aufnahmen<br />
sind in der Regel nach den Gesetzgebungen in Europa legal. Die Sammlung solcher<br />
Darstellungen ohne Kontext weist wiederum auf pädophile Interessen hin. Es gibt Internet-Seiten,<br />
<strong>die</strong> vorwiegend solches Material anbieten.<br />
- Posierende, nackte Kinder: Diese Darstellungen werden mit legalen Softporno-<br />
Darstellungen verglichen. Es handelt sich um nackte Kinder, vor allem Mädchen, <strong>die</strong> in eindeutig<br />
sexualisierten Haltungen posieren. Die sexuelle Handlung ist aber eher implizit angedeutet.<br />
Die Bilder sind meist professionell gemacht <strong>und</strong> in künstlichen Kontexten aufgenommen.<br />
Die Kinder sind herausgeputzt <strong>und</strong> hübsch. Nicht alle Gesetzgebungen verbieten <strong>die</strong>se<br />
Art von Posing-Bildern, auch wenn sie ausschliesslich <strong>und</strong> klar in sexuellen Kontexten angeboten<br />
werden, oft auch in Kombination mit eindeutig pornografischen Darstellungen. Wiederum<br />
ist Japan ein führendes Land in der Produktion <strong>und</strong> beim Anbieten solcher Bilder. Sammler<br />
<strong>die</strong>ser Darstellungen sind eindeutig sexuell an Kindern interessiert. Es wird angenommen,<br />
dass <strong>die</strong>se Bilder in Zusammenhang mit so genannten „Grooming“-Prozessen gesehen werden<br />
können. Das heisst, dass Pädophile in ihrer Annäherung an Kinder solche Bilder einsetzen,<br />
sei <strong>die</strong>s, um sie für Modellaufnahmen zu ködern oder um ihnen zu zeigen, wie harmlos<br />
<strong>die</strong>se Darstellungen sind, da andere ja auch solche Aufnahmen von sich machen lassen 10 .<br />
- Pornografie mit Kinder: Bei pornografischen Darstellungen sind <strong>die</strong> sexuellen Handlungen<br />
explizit. Die sexuellen Varianten sind so zahlreich wie bei der Erwachsenenpornogra-<br />
8 Die Resultate der Stu<strong>die</strong> in Bezug auf den Gesichtsausdruck wird von Autoren auf Websites von Pädophilenvereinigungen<br />
auch aufgegriffen <strong>und</strong> als Beweis dafür aufgeführt, dass <strong>die</strong> Kinder auf den kinderpornografischen<br />
Darstellungen Freude an den sexuellen Aktivitäten hätten. Fahrlässig wird von den Autoren der Stu<strong>die</strong> <strong>und</strong> von<br />
den Personen, <strong>die</strong> darauf verweisen, ausgeblendet, dass ein freudiger Gesichtsausdruck der Kinder nicht mit ihren<br />
inneren Gefühlslagen gleichgesetzt werden kann. Es ist aus Polizeikreisen bekannt, dass Kinder nach Phasen<br />
des Ekels <strong>und</strong> der Resignation in <strong>die</strong> Rolle kleiner „Pornostars“ hineinwachsen können. Zudem werden nicht selten<br />
Drogen eingesetzt. Nicht zuletzt müsste angegeben werden, bei welcher Art der Darstellungen <strong>die</strong> „freudigen“<br />
Gesichter vorhanden sind.<br />
9 http://www.copine.ie/publications.php<br />
10 Gerade ältere Mädchen sprechen immer noch auf <strong>die</strong> Fangmethode des angeblichen Modell-Fotografen an.
10<br />
fie 11 . Auch brutale <strong>und</strong> sadistische Formen der Pornografie <strong>und</strong> sexuelle Handlungen mit<br />
Kleinkindern <strong>und</strong> Säuglingen werden angeboten. Tonaufnahmen dazu werden häufiger, da<br />
auch <strong>die</strong> technischen Mittel leichter <strong>und</strong> billiger erhältlich sind. Die Tonaufnahmen machen<br />
meist <strong>die</strong> Qual <strong>und</strong> das Leiden der Kinder deutlich, sie werden demzufolge von sadistisch<br />
veranlagten <strong>Pädosexuelle</strong>n gesucht (vgl. Kapitel 3.1.) Nicht nur Handlungen zwischen Erwachsenen<br />
<strong>und</strong> Kindern, sondern auch zwischen Kindern unter sich (spontane, aber meist<br />
erzwungene) werden gefilmt <strong>und</strong> fotografiert. Von der Qualität her finden sich professionelle<br />
Darstellungen, aber auch oft Filme <strong>und</strong> Bilder in „Home-Video“-Art. In der europäischen<br />
Rechtsprechung ist solches Material eindeutig illegal.<br />
Von allen <strong>die</strong>sen Kategorien existieren auch technisch verfremdete oder rein fiktive Aufnahmen,<br />
sei <strong>die</strong>s in Form von Comics oder eher realistischen Darstellungen nachempf<strong>und</strong>ener<br />
Szenen. Je nach nationaler Gesetzgebung 12 sind auch <strong>die</strong> fiktiven Darstellungen verboten.<br />
Auch Textprodukte, meist in Form von erotischen oder pornografischen Kurzgeschichten,<br />
kursieren im Internet, in harmloseren Formen auch auf den Pädophilen-Internetseiten (vgl.<br />
Kap. 6.7.).<br />
Nach Auskunft des B<strong>und</strong>eskriminalamtes in Wiesbaden, das als eines der wenigen Länder in<br />
Europa über eine Opfer-Bilddatenbank verfügt, werden sadistische Bilder mit immer jüngeren<br />
Opfern beobachtet.<br />
Generell gilt, dass weder Mädchen noch Buben überrepräsentiert sind, beide Geschlechter<br />
haben ihre K<strong>und</strong>schaft, wobei man den homosexuellen Pädophilen (so genannte Boylovers)<br />
nachsagt, dass sie ältere Kinder (zwischen 10 <strong>und</strong> 15 Jahren), <strong>und</strong> den Mädchenliebhaber,<br />
wie sie sich nennen, dass sie jüngere Mädchen bevorzugen.<br />
Auch zur Nationalität der Opfer gibt es keine systematischen Untersuchungen. Aus den Ländern,<br />
<strong>die</strong> führend sind in der Produktion von Kinderpornografie (v.a. Ostländer, asiatische<br />
Ländern) finden sich viele Opfer. Dies hat mit der wirtschaftlichen Armut, den damit einhergehenden,<br />
leicht verfügbaren Strassenkindern <strong>die</strong>ser Länder zu tun <strong>und</strong> mit der mangelhaften<br />
oder mangelnden Rechtslage im Bereich der Kinderpornografie <strong>und</strong> im Kinderschutz allgemein.<br />
Gewisse Gruppierungen vor allem aus Ostländern haben zudem einen professionellen<br />
Markt vor allem im Bereich der (auch im Westen nicht strafrechtlich relevanten) Kindererotika<br />
geschaffen. Aber auch über <strong>die</strong> USA werden zahlreiche Kinderpornografie-Sites angeboten,<br />
was aber eher mit dem Server-Angebot in den USA zu tun hat. Die Produktion, also<br />
das Filmen von Missbrauchssituationen, wird kaum in den USA stattfinden, zumindest nicht<br />
im Bereich der professionellen Anbieter von Kinderpornografie.<br />
Die Kinder auf den professionellen Websites zu Kinderpornografie machen aber nur einen<br />
Teil der Opfer aus. Wie wir im folgenden Kapitel darstellen, stammt eine beträchtliche Menge<br />
an kinderpornografischem Material aus privater Produktion. Die Opfer <strong>die</strong>ser Darstellungen<br />
stammen meist aus dem sozialen Nahbereich der Täter. Die Täter stammen aus allen Ländern<br />
der ersten Welt, inklusive der Schweiz.<br />
Gerade weil <strong>die</strong> Beschreibung der Darstellungen sehr nüchtern ausfällt <strong>und</strong> in <strong>die</strong>sem Kontext<br />
keine Missbrauchsdarstellungen gezeigt werden dürfen <strong>und</strong> sollen, muss ich anfügen,<br />
dass das Beschreiben von Kinderpornografie nicht annährend vermitteln kann, was wirklich<br />
dargestellt wird. Ohne pathetisch wirken zu wollen, muss (auch im Gedanken an <strong>die</strong> Opfer)<br />
angefügt werden, dass das Elend <strong>und</strong> <strong>die</strong> Perversität von Kinderpornografie bei mir <strong>und</strong><br />
(meines Wissens) bei praktisch allen Personen, <strong>die</strong> in ihrer Arbeit mit solchen Darstellungen<br />
zu tun haben, einen bleibenden <strong>und</strong> schrecklichen Eindruck hinterlässt.<br />
11 Nach Aussagen aus Polizeikreisen macht der kinderpornografische Markt mit neuen „Moden oder Exklusivitäten“<br />
<strong>die</strong>selbe Entwicklung mit, wie im Bereich der Erwachsenenpornografie.<br />
12 Wie zum Beispiel in der Schweiz <strong>und</strong> in den meisten benachbarten Ländern.
11<br />
2.2. Herstellung, Tausch, Verbreitung<br />
Das Internet ist aktuell <strong>die</strong> grösste Plattform für kinderpornografisches Material 13 . Das hat<br />
zum einen technische Gründe (schnelle, billige Verbreitung), zum anderen suggeriert das Internet<br />
aber auch Anonymität 14 . Die früheren Postzustellungen oder der Kauf unter der Theke<br />
von Pornoshops waren <strong>und</strong> sind für <strong>Pädosexuelle</strong> mit mehr Risiko behaftet. Zudem ist der Internetzugang<br />
privat <strong>und</strong> jederzeit möglich <strong>und</strong> es besteht <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>die</strong> eigene Identität<br />
im indirekten Austausch zu verschleiern oder zu verändern.<br />
Das Anbieten von Kinderpornografie auf eigens dafür kreierten Websites (wie im Fall Genesis<br />
resp. Landslide) ist aber nur eine Möglichkeit, <strong>die</strong> zudem anzahlmässig abnimmt. Professionelle<br />
Hersteller beschränken sich zunehmend auf das Angebot von strafrechtlich nicht relevanter<br />
Kinder-Erotika, da <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden im Finden <strong>und</strong> Verfolgen solcher<br />
offener Angebote immer effizienter werden. Das Internet bietet den an Kinderpornografie Interessierten<br />
aber auch andere, sicherere Möglichkeiten, Material auszutauschen. Diese<br />
Formen sind dementsprechende häufiger anzutreffen.<br />
In Chatrooms oder Newsgroups treffen sich Menschen mit ähnlichen Interessen, in <strong>die</strong>sem<br />
Fall das (sexuelle) Interesse am Kind. Die Internet-Gemeinschaften spielen bei illegalen oder<br />
tabuisierten Interessen eine grosse Rolle. Die sonstige Ausgegrenztheit oder das Risiko,<br />
strafbar zu werden, kann umgangen werden. Zugleich ermöglichen es <strong>die</strong>se Gemeinschaften,<br />
Hemmungen abzubauen, Komplizenschaft herzustellen, sich unter Gleichgesinnten zu<br />
rechtfertigen, sich gegenseitig zu unterstützen, Tipps auszutauschen <strong>und</strong> – natürlich fast<br />
immer mit dabei – Bildmaterial auszutauschen. Zudem suchen <strong>Pädosexuelle</strong> teilweise über<br />
das Internet Kontakte zu Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen (siehe auch Kapitel 2.2.2.) Ein Einblick in<br />
Internet-Austausch-Gespräche machen alle <strong>die</strong>se Aspekte deutlich.<br />
2.2.1. Gruppierungen auf dem Internet<br />
Es existieren offene <strong>und</strong> geschlossene Gruppierungen auf dem Internet. Bei den offenen<br />
Gruppen (Newsgroups im engeren Sinne) werden kaum Bilder ausgetauscht, sondern es<br />
wird über das gemeinsame Thema diskutiert 15 . Ein kurzer Einblick in zum Beispiel google-<br />
Newsgroups (z.B. alt.sex.children-, alt.pädo- <strong>und</strong> ähnliche Gruppenbezeichnungen) machen<br />
erschreckend deutlich, wie offen Teilnehmende auf dem Internet über Sex mit Kindern kommunizieren.<br />
Sie fühlen sich dabei anscheinend auch sicher (Vergleiche Ausschnitte aus<br />
Newsgroups in Anhang II).<br />
Informationen zu geschlossenen Gruppierungen erhalten wir von Polizeikreisen aus erfolgreichen<br />
Polizeiaktionen. Es ist, wie auch Einblicke in offene Newsgroups belegen (Vgl. Beispiel<br />
6 in Anhang II), gut möglich, dass <strong>die</strong> offenen Gruppen dazu <strong>die</strong>nen, Interessenten für<br />
geschlossene Gruppen zu finden. Wie das Beispiel des Wonderland-Clubs 16 (vgl. Anhang III)<br />
deutlich macht, sind geschlossene Gruppen für Tauschzwecke konzipiert. Eintritt haben nur<br />
<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> neue Bilder oder Filme anbieten, sich somit bereits zu Beginn zu Komplizen<br />
im illegalen Geschäft machen <strong>und</strong> so eine gewisse Garantie für <strong>die</strong> anderen anbieten, sie<br />
nicht zu verraten. Mitgehangen, mitgefangen. Newsgroups haben meist eine Art Chef, der<br />
über Eingangskontrollen verfügen <strong>und</strong> den Austausch steuern kann. Wie im Beispiel des<br />
Wonderland-Clubs, sind <strong>die</strong> Chefs <strong>die</strong>ser Gruppen auch <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> im Ausleben ihrer<br />
Phantasien am weitesten gehen. Wie bei anderen kriminellen Organisationen findet sich also<br />
auch bei <strong>die</strong>sen Gruppen <strong>die</strong> Idee, dass <strong>die</strong> Härtesten, Skrupellosesten <strong>und</strong> Verwegensten<br />
Chefpositionen einnehmen. Sie stellen <strong>die</strong> „echten“ Bilder her, sorgen nicht selten für<br />
„Frischfleisch“ <strong>und</strong> lassen sich selber beim Missbrauch der Kinder filmen <strong>und</strong> fotografieren.<br />
13 Fachleute sprechen von 90 Prozent aller Materialen, <strong>die</strong> bereits über das Internet verbreitet werden.<br />
14 Die Anonymität ist zwar auf dem Internet auch nicht zu h<strong>und</strong>ert Prozent garantiert, aber geeignetes Know How<br />
<strong>und</strong> dementsprechende Technik macht es für <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden sehr schwierig, <strong>die</strong> Identitäten herauszufinden.<br />
15 So genannte Postings werden abgelegt.<br />
16 <strong>Der</strong> Name ist ein direkter Verweis auf Alice im W<strong>und</strong>erland, deren Autor, unter dem Pseudonym Lewis Caroll,<br />
über eine enorme Nacktbilder-Sammlung von Kindern verfügte <strong>und</strong> in Pädophilenkreisen als einer ihrer Vorzeige-<br />
Pädophilen des Öfteren Erwähnung findet.
12<br />
Groebel (2001) erwähnt in seinem Aufsatz eine Stu<strong>die</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Sozialstruktur von Pädophilen-Gruppierungen<br />
17 auf dem Internet untersucht hat. Die Stu<strong>die</strong> kam zum Schluss, dass den<br />
Infrastruktur-Koordinatoren wichtige Funktionen zukommen. Sie agieren als Schutzschilder<br />
gegen unliebsame Besucher <strong>und</strong> sichern den reibungslosen Ablauf des Austausches, indem<br />
Sie FAQ (Frequently Asked Questions) zur Verfügung stellen, technische Hilfeleistungen anbieten<br />
<strong>und</strong> Tipps zur Einhaltung der Anonymität bereitstellen. Zudem sind sie für <strong>die</strong> neuen<br />
Besucher verantwortlich <strong>und</strong> sind im Besitz der privaten Email-Adressen, <strong>die</strong> Zweier-Tauschgeschäfte<br />
möglich machen. Mit allen <strong>die</strong>sen Funktionen <strong>und</strong> dem Wissen der Identitäten der<br />
Teilnehmer besitzen sie viel Macht über <strong>die</strong> Gruppe. Bei polizeilichen Ermittlungen sollte es<br />
immer auch Ziel sein, an <strong>die</strong>se Schlüsselfiguren heran zu kommen.<br />
Die Darstellungen, <strong>die</strong> bei Hausdurchsuchungen von Tauschpartnern gef<strong>und</strong>en wurden, zeigen<br />
oft keine professionellen Aufnahmen. Die Echtheit <strong>und</strong> <strong>die</strong> Authentizität der Darstellungen<br />
der Verbrechen finden gar grösseren Absatz als professionell hergestellte Pornos mit<br />
Kindern. Aufnahmen von Missbrauchssituationen in Kinderzimmern, elterlichen Schlafzimmern,<br />
generell in Privaträumen, laienhaft aufgenommen <strong>und</strong> nicht weiter verarbeitet, sind <strong>die</strong><br />
Regel.<br />
Wie Gallwitz (1998) dazu ausführt: „Auf <strong>die</strong>sem Feld ist nur der kleinere Teil aus offensichtlich<br />
professioneller Hand <strong>und</strong> aus gut eingerichteten Studios. Hier lässt sich auch laienhaft<br />
aufgenommenes Material in schlechter Qualität sehr gut an den K<strong>und</strong>en bringen. Ja, es<br />
befriedigt geradezu den Wunsch nach dem „Kind von nebenan“, dem Nichtprofi, der ersten<br />
heimlichen Kinderschändung an <strong>die</strong>sem Opfer. Die erste Aufnahme, <strong>die</strong> Unbeholfenheit, das<br />
Unvorbereitetsein des Kindes auf <strong>die</strong> Art der Übergriffe, können den Preis in der Szene steigern.“<br />
(S. 32)<br />
2.2.2. Weitere Austauschmöglichkeiten<br />
Auch in Chatrooms finden <strong>die</strong> KOBIK-Monitoring 18 -Angestellten <strong>und</strong> PolizistInnen regelmässig<br />
Personen, <strong>die</strong> mehr oder weniger offen nach Kinderpornografie, nach Kindern für Pornodarstellungen<br />
oder nach Kindern für sexuelle Aktivitäten suchen. Es ist wahrscheinlich, dass<br />
sich über Chatrooms auch Gleichgesinnte finden, <strong>die</strong> Tipps <strong>und</strong> Tricks austauschen <strong>und</strong> einander<br />
auf verdecktere Angebote aufmerksam machen.<br />
Spezielle File-Sharing-Programs (so genannte Peer-to-Peer-Netzwerke) stellen <strong>die</strong> Strafverfolger<br />
vor neue Herausforderungen. Über <strong>die</strong>se Software ist es Privaten möglich, ihre auf<br />
dem eigenen PC heruntergeladenen Dateien anderen zugänglich zu machen <strong>und</strong> so direkt<br />
zu tauschen. <strong>Pädosexuelle</strong> haben <strong>die</strong>se Software schon seit Längerem zum Austausch von<br />
illegalen Materialien entdeckt. Eine Analyse des United States General Accounting Office<br />
(2003) fand bei einer Stichprobe von über 1200 Files über 40 Prozent Kinderpornografie, <strong>die</strong><br />
über <strong>die</strong>se Software bei Privaten heruntergeladen wurde.<br />
Dass <strong>Pädosexuelle</strong> <strong>die</strong>se verdeckteren Austauschmöglichkeiten nutzen, ohne dass finanzielle<br />
Interessen vorliegen, ist möglich. Es gibt aber Hinweise darauf, dass auch bei <strong>die</strong>sen Austauschformen<br />
Kinderpornografie verkauft wird. Dazu werden auch Zahlungsinstitute, wie <strong>die</strong><br />
Western Union, als Zahlungsmöglichkeit genutzt, denn sie sind sicherer als <strong>die</strong> Kreditkartenfirmen,<br />
<strong>die</strong> üblicherweise von den professionellen Anbietern als Zahlungsmöglichkeit für ihre<br />
K<strong>und</strong>en genutzt werden.<br />
2.2.3. Ausmass<br />
Gesicherte Angaben zum Ausmass <strong>und</strong> zur Verbreitung von Kinderpornografie existieren<br />
nicht. Dass <strong>die</strong> Produktion <strong>und</strong> der Vertrieb von Kinderpornografie ein lukratives Geschäft ist,<br />
17 Von 40'000 Newsgroups waren 0.07% kinderpornografischen Inhalts.<br />
18 Die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) betreibt anlassunabhängige Recherchen<br />
im Internet zum Erkennen strafbarer Handlungen auf dem Internet (mit aktuellem Schwerpunkt Kinderpornografie)<br />
<strong>und</strong> bearbeitet Verdachtsmeldungen (selbst recherchierte oder Meldungen aus der Bevölkerung), um sie<br />
an <strong>die</strong> Kantone weiterzuleiten, <strong>die</strong> in der Regel <strong>die</strong> entsprechenden Verfahren eröffnet. Siehe auch www.kobik.ch.
13<br />
ist hingegen unbestritten. UNICEF-Schätzungen 19 gehen davon aus, dass jährlich weltweit<br />
zirka 20 Milliarden Dollar für Kinderpornografie <strong>und</strong> Kinderprostitution umgesetzt werden.<br />
Das B<strong>und</strong>eskriminalamt in Deutschland schätzt den jährlichen Umsatz für Kinderpornografie<br />
auf zirka 5 Milliarden Euro 20 . Die Basis solcher Schätzungen ist meist nicht genau nachvollziehbar.<br />
Im besten Fall gehen sie von Einzelfällen aus 21 <strong>und</strong> rechnen in Bezug auf <strong>die</strong> geschätzte<br />
Anzahl kinderpornografischer Websites hoch. Gemäss solcher Hochrechnungen ist<br />
es wahrscheinlich, dass sich der Umsatz in Milliardenhöhe bewegt. Welche Schätzungen<br />
aber auch immer beigezogen werden, <strong>die</strong> meisten europäischen Länder gehen davon aus,<br />
dass sich der Gewinn aus der Kinderpornografie mit anderen grossen illegalen Geschäften,<br />
wie Drogen- oder Menschenhandel vergleichen lässt 22 .<br />
Nun stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob es sich denn wirklich vorwiegend um <strong>Pädosexuelle</strong> handelt, <strong>die</strong><br />
sich Kinderpornografie anschauen. Auch angesichts tiefer Schätzungen zur Verbreitung von<br />
Kinderpornografie ist es doch befremdlich anzunehmen, dass pädosexuelle Interessen derart<br />
verbreitet sind. Es gibt theoretisch viele Gründe, aus denen eine Person nach Kinderpornografie<br />
auf dem Internet Ausschau hält; Neugier, <strong>die</strong> Suche nach Verbotenem, allgemein perverse<br />
Neigungen, unter denen Kinderpornografie nur eine Möglichkeit darstellt, sexuelles Interesse<br />
an Kindern, sadistische Orientierungen, u.s.w. Die Meinungen darüber, ob <strong>die</strong> Mehrheit<br />
der Konsumenten am Kind als Sexualpartner interessiert ist, sind geteilt 23 . Es sind meines<br />
Wissens noch keine systematischen Untersuchungen zu <strong>die</strong>ser Thematik gemacht worden.<br />
Widmen wir uns erst den Untersuchungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verbreitung von pädosexuellen Phantasien<br />
unter der Bevölkerung zum Gegenstand haben. Neben dem direkten Zugang über <strong>die</strong><br />
Täterseite, kann <strong>die</strong> Verbreitung von <strong>Pädosexuelle</strong>n auch über <strong>die</strong> Opferseite angegangen<br />
werden.<br />
19 Siehe unter www.unicef-suisse.ch.<br />
20 Vgl. www.bka.de<br />
21 <strong>Der</strong> US-Anbieter Landslide (Aktion Genesis) alleine hat monatlich bis zu 1,4 Millionen Dollar umgesetzt <strong>und</strong><br />
über einen K<strong>und</strong>enkreis von 250'000 Personen verfügt.<br />
22 Siehe z.B: http://www.ncis.co.uk/ukta/2003/threat09.asp<br />
23 Beim B<strong>und</strong>esamt für Polizei <strong>und</strong> in verschiedenen Kantonen, darunter auch in Basel unter der Leitung von Prof.<br />
V. Dittmann, versucht man anhand der Daten der Aktion Genesis herauszufinden, aus welchen Motiven Männer<br />
Kinderpornografie konsumieren. Die Resultate <strong>die</strong>ser Untersuchungen liegen noch nicht vor.
14<br />
3. Das Phänomen der Pädosexualität<br />
Bevor wir uns der Frage nach der Anzahl von <strong>Pädosexuelle</strong>n in der Bevölkerung widmen,<br />
müssen wir erst Klarheit darüber schaffen, was mit Pädosexualität eigentlich gemeint ist. Ist<br />
es so klar, wie man auf den ersten Blick meint? Ist Pädophilie einfach eine sexuelle Orientierung,<br />
wie beispielsweise Homosexualität? Werden <strong>die</strong> meisten oder alle sexuellen Übergriffe<br />
an Kindern von <strong>die</strong>sen Pädophilen ausgeführt? Gibt es auch im sexuellen Interesse an Kindern<br />
Varianten?<br />
Dem Kind werden im Allgemeinen vielerlei Eigenschaften zugeschrieben. Das Kind gilt als<br />
unschuldig, aber auch als frech <strong>und</strong> direkt. Das Kind ist leicht dominierbar, schwach <strong>und</strong><br />
wehrlos. Die Persönlichkeit des Kindes ist noch im Auf- <strong>und</strong> Ausbau. Das Kind verfügt über<br />
Sinnlichkeit, ihm wird aber eine Sexualität im Erwachsenen-Sinn abgesprochen. Das Kind ist<br />
naiv <strong>und</strong> gutgläubig, neugierig <strong>und</strong> auch fordernd. Das Kind ist käuflich, aber auch ehrlich.<br />
Das Kind ist verletzbar. Das Kind phantasiert, kann noch nicht zwischen Realität <strong>und</strong> Phantasie<br />
unterscheiden. Das Kind ist nicht bedrohlich <strong>und</strong> kumpelhaft.<br />
Alle <strong>die</strong>se dem Kind zugeschriebenen Eigenschaften (<strong>und</strong> noch viele mehr) spielen eine Rolle<br />
beim sexuellen Missbrauch an Kindern. Alle <strong>die</strong>se Facetten des Kindes werden auch von<br />
Menschen wahrgenommen, deren Interesse am Kind weitergeht, als es von der Gesellschaft<br />
toleriert wird. Um zu verstehen, warum einige Menschen am Kind auch sexuell oder erotisch<br />
interessiert sind, darf man den Facettenreichtum an Beziehungsmöglichkeiten nicht ausser<br />
Acht lassen.<br />
Schon in den üblichen Begriffen zur Bezeichnung von Menschen, <strong>die</strong> sich Kindern sexuell<br />
nähern, wird deutlich, dass es sich nicht um einen monolithischen Menschenschlag handeln<br />
kann; Pädophilie, <strong>Pädosexuelle</strong>, Pädokriminelle, Kinderschänder, Kindsmissbraucher, etc.<br />
3.1. Begrifflichkeit <strong>und</strong> Ausprägungsformen<br />
<strong>Der</strong> üblichste Begriff ist immer noch „der Pädophile“, auch wenn er seit Längerem kritisch<br />
hinterfragt wird, vor allem von Kinderschutzorganisationen 24 .<br />
<strong>Der</strong> Begriff der Pädophilie geht auf Krafft-Ebing zurück, der 1886 in seinem Werk Psychopathia<br />
sexualis (Krafft-Ebing, 1997) verschiedene Typen von Menschen beschreibt, <strong>die</strong> Kinder<br />
sexuell missbrauchen. Neben Personen, <strong>die</strong> sich durch moralische Schwäche (Wüstlinge),<br />
durch Hirnerkrankungen oder episodische Verwirrungen an Kindern vergehen, beschreibt<br />
er eine kleine Gruppe, deren sexuelles Interesse an Kindern in einer „krankhaften<br />
Disposition“, einer „psycho-sexualen Perversion“ begründet ist. Kriterien <strong>die</strong>ser sexuellen<br />
Abweichung, der „Pädophilia erotica“ umfassen:<br />
- <strong>die</strong> primäre Neigung zu unreifen Personen;<br />
- <strong>die</strong> Potenz der Betroffenen (Abgrenzung zu „Pseudo-Pädophilie“ bei Impotenz);<br />
- <strong>die</strong> Unerregbarkeit durch sexuelle Reize Erwachsener <strong>und</strong><br />
- <strong>die</strong> vorwiegende Beschränkung auf Betasten der Kinder <strong>und</strong> Onanieren mit den Kinder ohne<br />
dass es zum Geschlechtsakt kommt (S. 417 u.f).<br />
Krafft-Ebing (ebenda) beschrieb bereits <strong>die</strong> unterschiedlichen Alterspräferenzen von homosexuellen<br />
(konträrsexuellen Päderasten) <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> den eigentlichen Pädophilen,<br />
<strong>die</strong> auf viel jüngere Kinder des anderen Geschlechts (es werden auch Frauen beschrieben)<br />
ansprechen. Er beschreibt auch den „Wüstling“, der sich aus Gründen einer willkommenen<br />
Abwechslung <strong>und</strong>/oder aufgr<strong>und</strong> der einfachen Verfügbarkeit an Kindern vergreift, nicht aber<br />
primär an Kindern interessiert ist.<br />
24 Man stört sich am ursprünglichen Sinne des Begriffs, der im Griechischen <strong>die</strong> Liebe zum Kind meint. <strong>Der</strong> Begriff<br />
der Pädophilie wurde aber im psychiatrisch-medizinischen Kontext der Paraphilien geprägt. Bei Nekrophilie oder<br />
Zoophilie kommt seltsamerweise niemand auf <strong>die</strong> Idee zu meinen, dass <strong>die</strong>se pervertierten Formen der Sexualität<br />
etwas mit dem positiven Begriff der Liebe zu tun hätte.
15<br />
Nach der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD) der WHO (World Health Organization)<br />
meint Pädophilie (F65.4 Pädophilie) eine Störung der Sexualpräferenz resp. wird<br />
als Paraphilie beschrieben:<br />
„Die sexuelle Präferenz für Kinder, Jungen oder Mädchen oder Kinder beiderlei Geschlechts,<br />
<strong>die</strong> sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der Pubertät befinden.“<br />
Im diagnostischen <strong>und</strong> statistischen Manual DSM IV werden drei diagnostische Kriterien für<br />
Pädophilie differenzierter ausformuliert:<br />
- Über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten wiederkehrende, intensive sexuell<br />
erregende Phantasien (…), <strong>die</strong> sexuelle Handlungen mit einem präpubertären<br />
Kind (…) beinhalten;<br />
- Die Phantasien (…) verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung<br />
in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen;<br />
- Die Person ist mindestens 16 Jahre alt <strong>und</strong> mindestens fünf Jahre älter als das Kind.<br />
Zudem muss abgeklärt werden, auf welches Geschlecht <strong>die</strong> Person orientiert ist, ob <strong>die</strong><br />
Phantasien <strong>und</strong> Handlungen auf Inzest beschränkt sind <strong>und</strong> ob es sich um einen ausschliesslichen<br />
(fixierten) Typus handelt oder um einen nicht-ausschliesslichen (nach Knecht,<br />
2001a, zusammengefasst wieder gegeben). Diese Ausdifferenzierungen verdeutlichen, dass<br />
Untergruppierungen vorzunehmen sind.<br />
Andere, vor allem psychologische Ansätze, sehen <strong>die</strong> sexuelle Neigung von Erwachsenen<br />
zu Kindern als Kompensation einer Störung in der Entwicklung zum Erwachsenen oder als<br />
ein Versuch, eigene Missbrauchserfahrungen zu bewältigen (siehe dazu Knecht, T., 2001<br />
oder B<strong>und</strong>schuh, C., 2001).<br />
Phänomenologische Beschreibungen von Tätertypen gehen mit den geläufigen Definitionen<br />
einher. So ist es üblich (siehe z.B. Gallwitz, 1998, Lautmann, 1994), Menschen mit pädosexuellen<br />
Präferenzen in Gruppen aufzuteilen (siehe unten). Auch hier soll kurz eine solche<br />
Typologie vorgestellt werden, aber mit dem Hinweis von Schorsch (1986) versehen: „ Wenn<br />
„Typen“ von Pädophilen hergestellt werden, dann ist selbstverständlich zu berücksichtigen,<br />
dass solche Typen immer eine Schematisierung darstellen. Solche Vereinfachungen dürfen<br />
nicht den Blick für <strong>die</strong> Besonderheit eines jeden Einzelschicksals trüben. Ferner ist gerade<br />
bei pädophilen Handlungen in Betracht zu ziehen, dass sich viele nicht in Typen zwängen<br />
lassen. Wegen des didaktischen Wertes als Orientierungsrahmen sind Typologien jedoch<br />
hilfreich.“ (S. 341)<br />
- <strong>Der</strong> "echte" Pädophile oder Kernpädophile der sich für Kinder als ganzheitlichen, auch<br />
sexuellen Partner interessiert. Es wird angenommen, dass es sich dabei um eine sexuelle<br />
Orientierung handelt. Kernpädophile sind teilweise in Vereinen organisiert (vgl. auch Kapitel<br />
6.7.) <strong>und</strong> behaupten von sich, dass sie Kinder als adäquate Partner betrachten, Kinder lieben,<br />
nie Gewalt anwenden würden <strong>und</strong> dass gewisse sexuelle Handlungen mit Kindern (vor<br />
allem gegenseitiges Onanieren oder Streicheln) für beide Seiten natürlich <strong>und</strong> wünschenswert<br />
seien. Sie sehen sich als Opfer der (aktuellen) gesellschaftlichen Tabuisierung der kindlichen<br />
Sexualität <strong>und</strong> nicht als abnorm oder krank. Lautmann (1994) hat mittels Inseraten in<br />
der öffentlichen Presse Pädophile gesucht <strong>und</strong> <strong>die</strong>se im Hinblick auf ihre Interessen an Kindern<br />
interviewt 25 . Dem Buch kommt insofern eine grosse Bedeutung zu, als <strong>die</strong> sonstigen<br />
25 Zitat aus einem Interview mit einem Kernpädophilen von Lautmann (1994), dass <strong>die</strong> gewünschte Beziehung<br />
zwischen dem Erwachsenen <strong>und</strong> dem Kind exemplarisch veranschaulichen soll: "Mich reizt nicht nur <strong>die</strong> Sexualität,<br />
mich reizt das ganze Kerlchen. Von den Zehenspitzen bis zu den Haaren, eigentlich alles. Du kannst ihm viel<br />
erklären, du kannst mit ihm allen möglichen Blödsinn machen. Er kam zum Beispiel eines Abends an <strong>und</strong> sagte,<br />
dass sie in der Schule Bergwerk durchgenommen haben. Ich: „Bergwerk ist was Schönes, da kannst du was erleben,<br />
das Einfahren, das ist schon was." „Haben wir nicht gemacht." Ich: „Also, wir fahren jetzt nach Bochum, wo<br />
das nächste Bergwerksmuseum ist." - Wir haben dann später dort alles angeguckt. Manche Leute haben bestimmt<br />
gedacht, dass wir beknackt sind. In <strong>die</strong> engsten Flöze sind wir reingekrochen, wir sahen aus wie <strong>die</strong><br />
Schweine. Dann bei den Sprenglöchern haben wir mit Stöcken nachgeprüft, ob <strong>die</strong> auch richtig tief sind. Da lagen<br />
Bohrköpfe, Diamantbohrer, r<strong>und</strong>e <strong>und</strong> viereckige Köpfe. Er hat den Bohrer in <strong>die</strong> Hand genommen <strong>und</strong> einmal<br />
gedreht. Wir haben also Bergwerk richtig erlebt, <strong>und</strong> mitzuerleben, wie er sich darüber freut, das war toll."
16<br />
Ausführungen zu <strong>Pädosexuelle</strong>n meist aus dem klinischen Kontext oder aus der Gefängnispopulation<br />
stammen <strong>und</strong> <strong>die</strong>se dementsprechend eine Selektion darstellen.<br />
Für Schorsch (1986) ist <strong>die</strong>ser Typus <strong>die</strong> einzige Form von Pädophilie, <strong>die</strong> als sexuelle Deviation<br />
bezeichnet werden kann. Das heisst, wenn eine vorwiegende <strong>und</strong> ausschliessliche Fixierung<br />
auf Kinder vorliegt <strong>und</strong> meist auch nur, wenn der inten<strong>die</strong>rte Partner ein vorpubertierendes<br />
Kind ist. Nach Schorsch wird „nur“ etwa <strong>die</strong> Hälfte der sexuellen Handlungen mit kleinen<br />
Kindern von Männern mit einer solchen Deviation ausgeführt 26 . Er bestätigt zudem aus<br />
seiner psychiatrischen Tätigkeit, dass man kaum im engeren Sinne aggressive Handlungen<br />
unter <strong>die</strong>sen Pädophilen finde. Die Erotik <strong>die</strong>ser Pädophilen sei gekoppelt an <strong>die</strong> Situation<br />
<strong>und</strong> sie entfalte sich nicht ohne ein „Hineinillusionieren“ in <strong>die</strong> Kindheit.<br />
Wichtig sind abschliessend zwei Feststellungen (v.a. im Zusammenhang mit Kernpädophilen)<br />
von Schorsch (ebenda), <strong>die</strong> sich auch in der Beschäftigung mit dem Phänomen<br />
der Kinderpornografie wieder finden (siehe Kapitel 4) . Dass sich zum einen „bei der Fixierung<br />
auf kleine Kinder nicht selten eine Tendenz zur Vergegenständlichung <strong>und</strong> Partialisierung<br />
des kindlichen Körpers mit fetischistischen Zügen“ (S. 339) finde, <strong>und</strong> dass es „ (…)<br />
psychologisch <strong>und</strong> sexualwissenschaftlich einen erheblichen Unterschied macht, ob der Adressat<br />
einer sexuellen Handlung ein pubertierendes oder ein kleines, vorpubertierendes Kind<br />
ist. (…) Je jünger das Kind, desto „pathologischer“ ist <strong>die</strong> Beziehung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Persönlichkeit<br />
des Erwachsenen“. (S. 339)<br />
- <strong>Der</strong> Ersatz-Objekt-Täter, der sich aus Mangel an erwachsenen SexualpartnerInnen an<br />
Kindern vergreift. Die pädokriminellen Aktivitäten beschränken sich meist auf den familiären<br />
Kontext <strong>und</strong> treten oft im Zusammenhang mit beruflichen, familiären <strong>und</strong> sozialen Schwierigkeiten,<br />
Drogenproblemen <strong>und</strong> psychischer Labilität auf. Deegener (1995) <strong>und</strong> seine MitarbeiterInnen<br />
interviewten sexuelle Missbraucher im Gefängnis. Aus den Interviewtexten wird<br />
deutlich, dass <strong>die</strong> Opfer, meist Töchter oder Stieftöchter, kurz vor oder in der pubertären<br />
Phase waren, dass <strong>die</strong> familiäre Situation desolat erschien (meist war Arbeitslosigkeit <strong>und</strong><br />
Alkohol im Spiel) <strong>und</strong> dass alle von sich behaupteten, nicht an Kindern als Sexualpartnern interessiert<br />
zu sein, sondern aus der Situation heraus Fehltritte begangen zu haben. Natürlich<br />
ist es schwierig zu entscheiden, inwieweit es sich dabei um Schutzbehauptungen handelt,<br />
wenn man bedenkt, dass <strong>die</strong> Interviewpartner im Gefängnis sassen.<br />
Schorsch (1986) behandelt <strong>die</strong> Ersatz-Objekt-Täter vorwiegend im Rahmen von Inzest-<br />
Fällen 27 : „Anders als bei den (….) dargestellten sexuellen Handlungen mit Kindern sind Inzest<br />
<strong>und</strong> familiäre Sexualdelinquenz von vornherein eingebettet in ein strukturelles Gewalt<strong>und</strong><br />
Abhängigkeitsverhältnis, dem sich das Kind bzw. Opfer in der Regel in keiner Weise<br />
entziehen kann.“ (S. 345) Diese Tatsache ist für <strong>die</strong> Opfer besonders traumatisierend. Eine<br />
Behandlung der Täterschaft bei familiärer Sexualdelinquenz bedinge auf jeden Fall <strong>die</strong> gesamte<br />
Familie als Interaktionsgeflecht.<br />
Wiederum nach Schorsch (ebenda) finden sich unter der Ersatz-Objekt-Täterschaft aber<br />
nicht nur (vor allem) männliche Familienangehörige, sondern auch kontaktarme, retar<strong>die</strong>rte<br />
Jugendliche <strong>und</strong> sozial randständige Jugendliche. Diese Tätergruppierung zeichnet sich<br />
durch spezifische psychologische Auffälligkeiten aus (z.B. sexuell unerfahren, sozial bei den<br />
Gleichaltrigen ausgegrenzt, minder intelligent, u.a.), <strong>die</strong> dazu führen, dass Kinder als Ersatzpartner<br />
für erste sexuelle Erfahrungen benutzt werden. Dies, weil sie keinen Anschluss an<br />
adäquate weibliche oder männliche Partner finden, Kinder für sie leichter verfügbar sind <strong>und</strong><br />
sie bei Kindern einfacher Anschluss <strong>und</strong> Bestätigung finden. Vor allem bei den kontaktarmen,<br />
retar<strong>die</strong>rten Jugendlichen sei <strong>die</strong> Prognose gut, wenn <strong>die</strong> momentane Lebenskrise<br />
überw<strong>und</strong>en werden könne. Bei beiden Typen fehlt das charakteristische pädophile Erleben,<br />
das sich bei den Kernpädophilen findet.<br />
- <strong>Der</strong> aggressiv-sadistische Täter missbraucht Kinder infolge pathologischer Persönlichkeitsstörungen.<br />
Kinder sind dabei nur eine Möglichkeit der Opferkategorie, meist sind<br />
26 Nach Lautmann (1994) gar nur zirka fünf Prozent.<br />
27 Inzest hier nicht im juristischen Sinne gemeint. Inzest bezeichnet hier <strong>die</strong> sexuellen Aktivitäten zwischen Erwachsenen<br />
<strong>und</strong> Kindern innerhalb des Familienkontextes.
17<br />
<strong>die</strong>se Täter nicht auf Kinder fixiert. Paraphilien treten aber häufig in Kombination auf. In <strong>die</strong>sem<br />
Sinne ist es nicht ausgeschlossen, dass sadistisch veranlagte Täter gleichzeitig eine<br />
pädosexuelle Orientierung aufweisen 28 .<br />
- <strong>Der</strong> pervers Neugierige (im Sinne von Krafft-Ebing der „Wüstling“), der gerade im Kontext<br />
von Kinderpornografie <strong>und</strong> Kinder-Sextourismus neuerdings zur Sprache kommt. Beck<br />
(1997) spricht von „Menschen, <strong>die</strong> aus Übersättigung nach immer neuen Reizen suchen“<br />
(…) „als einer „Gruppe von Erwachsenen, <strong>die</strong> Kinder sexuell ausbeuten, ohne auf sie sexuell<br />
fixiert zu sein, ohne eine Beziehung zu ihnen zu wollen <strong>und</strong> [von denen] <strong>die</strong> meisten auch so<br />
genannte normale Sexualität haben.“ (S. 6.u.f). Auch Prof. Volker Dittmann macht in einem<br />
Zeitungsinterview 29 <strong>die</strong> Aussage, dass Kinderpornografie-Konsumenten nicht mit Pädophilen<br />
gleichzusetzen sind, der Gr<strong>und</strong> zum Konsum sei vor allem Neugier 30 .<br />
- <strong>Der</strong> Alterspädophile, der sich besonders häufig in psychiatrischer oder psychologischer<br />
Begutachtung wieder findet, da angenommen wird, dass sich <strong>die</strong> pädosexuellen Übergriffe<br />
von älteren Männern mit hirnorganischen Abbauprozessen erklären lassen (siehe auch Kapitel<br />
6.5.). Interessanterweise hält Schorsch (1986) aber fest, dass der relative Anteil pädophiler<br />
Delikte, <strong>die</strong> von älteren oder alten Männern ausgeführt werden, stetig zurückgeht. Er erklärt<br />
<strong>die</strong>s mit der inzwischen grösseren Akzeptanz praktizierter Sexualität im Alter. Dies deutet<br />
darauf hin, dass sich auch bei der Alterspädophilie <strong>die</strong> Ersatz-Objekt-These wieder findet<br />
<strong>und</strong> sich <strong>die</strong> Übergriffe nicht alleine durch hirnorganische Abbauprozesse erklären lassen.<br />
Zusammenfassend <strong>und</strong> <strong>die</strong> Typologie abschliessend sei nochmals Schorsch (1986) das<br />
Wort gegeben, der ausführt, dass „ (….) sich im Sammelbegriff Pädophilie ausserordentlich<br />
heterogene Phänomene verbergen. Die Möglichkeit, wie sexuelle Beziehungen zwischen<br />
Erwachsenen <strong>und</strong> Kindern im gesetzlichen Schutzalter zustande kommen können, sind vielfältig:<br />
gegenseitige Liebesbeziehungen, erotisierte pädagogische Beziehungen, gewaltlose<br />
Verführung von Kindern durch Erwachsene, gewaltsame vergewaltigungsähnliche Attacken,<br />
Gelegenheitshandlungen von sozial unintegrierten Aussenseitern, aber auch andere sexuelle<br />
Abweichungen, <strong>die</strong> mehr oder weniger zufällig an Kindern realisiert werden.“ (S.339)<br />
Im strafrechtlichen Kontext ist <strong>die</strong> Frage nach dem genauen Umstand der sexuellen Handlung<br />
in mehrerer Hinsicht von grosser Wichtigkeit. Vor allem <strong>die</strong> Frage nach dem potentiellen<br />
Rückfall ist abhängig vom psychiatrischen, psychologischen, biografischen <strong>und</strong> situationsbedingten<br />
Kontext der sexuellen Handlung. Auch <strong>die</strong> Art <strong>und</strong> der Umfang der allfälligen Behandlung<br />
von Tätern können <strong>und</strong> müssen je nach Umstand anders ausfallen. Um <strong>die</strong>se Fragen<br />
zu beantworten, bedarf es aber einer gründlichen, professionellen Abklärung <strong>und</strong> <strong>die</strong>se<br />
ist mit einer solchen einfachen Typologisierung bei weitem nicht geleistet. Für unseren<br />
Zweck soll sie aber genügen, da sie zeigt, dass pädosexuelle Übergriffe auf Gr<strong>und</strong> verschiedener<br />
Motive <strong>und</strong> aus verschiedenen Lebenslagen heraus geschehen können <strong>und</strong> dass - wie<br />
gesagt- <strong>die</strong> Population der <strong>Pädosexuelle</strong>n keine homogene Gruppe darstellt.<br />
Bis anhin <strong>und</strong> im Folgenden wird der Oberbegriff des <strong>Pädosexuelle</strong>n gebraucht, der nur im<br />
konkreten Fall, wenn es einer Einschränkung <strong>und</strong> Präzisierung bedarf, durch einen anderen,<br />
oben aufgelisteten Begriff ersetzt werden wird.<br />
Exkurs I: „Das Motto ist immer Macht, nicht Erotik“<br />
Dieser Titel stand kürzlich über einem Artikel zum sexuellen Missbrauch im Sport. 31 Die<br />
schon relativ alte, von feministischer Seite propagierte These, dass es sich beim sexuellen<br />
Missbrauch von Kindern, aber auch von Frauen allgemein, um Machtausübung handle, hat<br />
28 Knecht (2001a) führt aus, dass bei der Diagnose von Pädophilie abgeklärt werden muss, ob kombinierte, sexuelle<br />
Normabweichungen vorliegen <strong>und</strong> dass dafür eine Reihe von Begriffen zur Verfügung stehen, wie Pädosadismus,<br />
Pädonekrophilie oder Pädofetischismus.<br />
29 Basler Zeitung vom 22.01.04<br />
30 Er bezieht <strong>die</strong>se Erkenntnis aus der Analyse der Verdächtigten innerhalb der Aktion Genesis. Aus verschiedenen<br />
Gründen stellen <strong>die</strong>se Verdächtigten mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Sondergruppe dar (siehe auch Kapitel<br />
6.1.)<br />
31 „Das Motto ist immer Macht, nicht Erotik. Sexuelle Ausbeutung. Das B<strong>und</strong>esamt für Sport beleuchtet ein gesellschaftliches<br />
Tabu-Thema“. In: Solothurner Zeitung vom 3. März 2004.
18<br />
seinerzeit sicher einen richtigen, neuen Fokus gesetzt; der besagt, dass sexuelle Übergriffe<br />
nichts mit der - inzwischen veralteten - Ansicht zu tun haben, dass sich Männer vor allem sexuelle<br />
Lust durch Gewalt verschaffen. Diese Theorie wurde meist noch in Kombination mit<br />
der Trieb- oder Dampfkesseltheorie diskutiert.<br />
Dass aber nun alles nur noch Machtausübung sei, ist eine zu wenig differenzierte Ansicht.<br />
Auf Kinder <strong>und</strong> natürlich auch auf Erwachsene kann auf unterschiedlichste Art Macht ausgeübt<br />
werden. Sie können geschlagen, eingesperrt, weggesperrt, bedroht, verhöhnt, vernachlässigt,<br />
etc. werden. Auch wenn der sexuelle Missbrauch unter dem Machtaspekt betrachtet<br />
wird, stellt sich <strong>die</strong> Frage, warum gerade über den sexuellen Übergriff <strong>und</strong> nicht in anderer<br />
Art <strong>und</strong> Weise Macht ausgeübt wird.<br />
Schorsch (1986) stellt hilfreiche Konzepte zur Sexualität <strong>und</strong> zur Bedeutung sexueller Devianz<br />
auf, <strong>die</strong> ich an <strong>die</strong>ser Stelle kurz einführen möchte, um <strong>die</strong> Komplexität <strong>und</strong> Besonderheit<br />
sexueller Handlungen zu verdeutlichen. Schorsch vertritt einen psychodynamischen,<br />
verstehenden Ansatz, der im Bereich der <strong>Strafverfolgung</strong> dahingehend relevant ist, dass das<br />
Verständnis der Tatmotivation im Vordergr<strong>und</strong> steht <strong>und</strong> <strong>die</strong>s forensisch im Kontext der Gerichtsverhandlung,<br />
der Begutachtung <strong>und</strong> natürlich auch in der forensischen Therapie zur<br />
Sprache kommt.<br />
Wie bereits erwähnt, ist in der modernen Sexualwissenschaft das Dampfkessel-Modell überholt.<br />
Vergewaltiger <strong>und</strong> Kindsmissbraucher leiden nicht unter einem zu starken Sexualtrieb,<br />
den sie notfalls mit gewalttätigen Übergriffen ausleben müssen. Schorsch meint, dass der<br />
Begriff des Triebes <strong>und</strong> der Triebstärke das Verständnis der Funktion der Sexualität verhindere.<br />
Aus der psychodynamischen Perspektive werden in der sexuellen Erregung <strong>und</strong> der<br />
Lust „essentielle Ereignisse der eigenen frühen Geschichte momentan in der Regression des<br />
Orgasmus wieder lebendig – dazu gehören <strong>die</strong> W<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> Traumata, <strong>die</strong> Ängste ebenso<br />
wie Zustände von Glück <strong>und</strong> Erfüllung (….) Zugleich ist Sexualität der Bereich, in dem der<br />
Mensch am intensivsten mit anderen Menschen in Beziehung tritt bzw. treten kann. In der<br />
Sexualität kommen folglich <strong>die</strong> Eigenarten <strong>und</strong> Besonderheiten, aber auch <strong>die</strong> Schwierigkeiten,<br />
Ängste <strong>und</strong> Störungen des Menschen am deutlichsten zum Ausdruck.“ (S. 325)<br />
Im Bereich der sexuellen Deviation wird deutlich, dass <strong>die</strong> Sexualität (auch) Funktionen der<br />
Angstabwehr, Konfliktbewältigung <strong>und</strong> Wunscherfüllung innehat <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Funktionen in<br />
teils bizarren Formen Stabilität herzustellen versuchen. Nach Schorsch (1986) gilt <strong>die</strong> Faustregel:<br />
„ Je mehr <strong>die</strong> Sexualität der Angstabwehr <strong>und</strong> Konfliktbewältigung <strong>die</strong>nt, desto geringer<br />
wird <strong>die</strong> partnerschaftliche Beziehungsfähigkeit, desto stärker treten im allgemeinen aggressive<br />
Anteile <strong>und</strong> Feindseligkeiten in den Vordergr<strong>und</strong>.“ (S. 326)<br />
Die perverse Phantasie oder der perverse Akt haben insofern stabilisierende Funktion <strong>und</strong><br />
Abwehrcharakter, als frühere W<strong>und</strong>en, Traumata <strong>und</strong> Ängste rekonstruiert werden können<br />
indem sie momentan verleugnet, <strong>und</strong> zusammen mit der sexuellen Erregung punktuell überw<strong>und</strong>en<br />
werden können. Auch wenn hier nicht der Ort ist, psychodynamische Theorien der<br />
Sexualität in all ihren Breiten <strong>und</strong> Tiefen auszuleuchten, hilft nur schon <strong>die</strong>se kurze Konzeptdarstellung,<br />
um auch pädosexuelle Beziehungen theoretisch besser zu verstehen.<br />
„In der pädophilen Beziehung ist nachweisbar, dass sich der erwachsene Mann in dem Kind<br />
wieder erkennt; es sind zumindest stark identifikatorische Beziehungen. (…) Es sind in der<br />
Regel Männer, denen <strong>die</strong> innere Lösung von der Mutter nur unzureichend gelungen ist, <strong>die</strong><br />
bis ins Erwachsenenalter hinein eine starke Sehnsucht haben, in <strong>die</strong> frühe, kleinkindhafte<br />
Beziehung zur Mutter zurückzukehren, <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses infantile Beziehungsmuster in all ihre Beziehungsversuche<br />
hineintragen. (…) das perverse Ritual hat auch hier wieder <strong>die</strong> Funktion<br />
einer Umdeutung – etwa in der Art: Die Ängste, klein, abhängig, kindlich, schwach, unmännlich<br />
zu sein, wenn ich den Wünschen nachgebe, <strong>die</strong> alte Mutter-Kind-Beziehung wieder herzustellen,<br />
sind unbegründet; denn in der Beziehung zum Kind erleb ich mich im Gegenteil<br />
stark, mächtig, potent, unabhängig <strong>und</strong> überlegen. Diese Uminterpretation ist verb<strong>und</strong>en mit<br />
einem Hochgefühl von Befriedigung.“ (Schorsch, 1986, S. 329)<br />
Dieses Konzept ist meines Erachtens auf <strong>die</strong> verschiedenen Typen (siehe oben) von <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
anwendbar. Unabhängig davon, ob eine dauerhafte, ungebrochene Fixierung auf
19<br />
das Kind vorliegt, oder ob der Übergriff stärker durch Lebenskrisen oder situativen Momente<br />
bedingt ist, sind Deutungsformen der Angstabwehr <strong>und</strong> der Krisenbewältigung anwendbar.<br />
Nach Schorsch (ebenda) sind auch unterschiedliche Grade an Determiniertheit durch eine<br />
Deviation zu beobachten. <strong>Der</strong> fixierte Typus des <strong>Pädosexuelle</strong>n kann seine Sexualität gar<br />
nicht anders als in Verbindung zur Deviation leben. Sehr viel häufiger treten aber Deviationen<br />
(in allen Formen) in Verbindung mit Lebenskrisen, sei <strong>die</strong>s in der Pubertät oder im Alter,<br />
oder aber in Verbindung mit situativen, biografisch geb<strong>und</strong>enen Lebenskrisen wie Suchtabhängigkeit,<br />
Eheproblemen oder Arbeitslosigkeit, auf.<br />
3.2. Verbreitung<br />
Um Angaben zur Verbreitung von <strong>Pädosexuelle</strong>n weltweit oder national machen zu können,<br />
stehen verschiedene Daten zur Verfügung. Die Anzeige- <strong>und</strong> Urteilsstatistiken, Dunkelfeldforschungen<br />
zur Verbreitung von <strong>Pädosexuelle</strong>n oder zur Anzahl missbrauchter Kinder, oder<br />
Schätzungen aufgr<strong>und</strong> von Polizeiaktionen. Zu jeder <strong>die</strong>ser Datengr<strong>und</strong>lagen wird im Folgenden<br />
ein Beispiel gegeben um eine Idee davon zu erhalten, wie <strong>und</strong> wodurch sich <strong>die</strong> Angaben<br />
unterscheiden <strong>und</strong> um eine Vorstellung zur Verbreitung zu gewinnen respektive um<br />
zu zeigen, dass <strong>die</strong>s nicht so einfach möglich ist.<br />
Statistische Angaben in der Schweiz:<br />
In der gesamtschweizerischen Anzeigestatistik 32 werden pädosexuelle Delikte (insbesondere<br />
Art 187 StGB <strong>und</strong> Art 197 StGB) nicht gesondert ausgewiesen. Aufgr<strong>und</strong> der Kriminalstatistik<br />
des Kantons Zürich (KRISTA) kann davon ausgegangen werden, dass pro Jahr im Kanton<br />
Zürich zirka 300 bis 400 Fälle von sexuellen Handlungen mit Kindern zur Anzeige kommen.<br />
Bezüglich Art. 197 (Pornografie) kann der Anteil an Kinderpornografie nicht herausgelesen<br />
werden 33 , insgesamt bewegen sich <strong>die</strong> Anzeigen in <strong>die</strong>sem Bereich bei 100 bis 200<br />
Anzeigen pro Jahr. Geht man davon aus, dass im Schnitt zirka ein Sechstel (Anteil an der<br />
gesamtschweizerischen Wohnbevölkerung] aller Straftaten im Kanton Zürich begangen werden,<br />
kann man <strong>die</strong>se Zahlenangaben auf ein gesamtschweizerisches Niveau hochrechnen 34 .<br />
Das ergäbe dann ungefähr 1800 bis 2400 Anzeigen infolge sexuellen Missbrauchs von Kindern<br />
in der Schweiz. Vergleicht man <strong>die</strong>se Zahlen aber mit der Gesamtzahl der Anzeigen infolge<br />
strafbarer Handlungen gegen <strong>die</strong> sexuelle Integrität – <strong>die</strong> Anzahl Anzeigen bewegt sich<br />
über <strong>die</strong> letzten Jahren immer um <strong>die</strong> 3000 Fälle -, ist das Resultat der Hochrechnung zu<br />
hoch 35 .<br />
Nach derselben Art von Hochrechnung beliefen sich <strong>die</strong> Anzeigen gemäss Art. 197 StGB<br />
(Pornografie) in der gesamten Schweiz auf 600 bis 1200 Fälle. Eine Aktion in der Grössenordung<br />
der Operation Genesis, innerhalb derer nur schon im Kanton Zürich über 300 Personen<br />
zur Anzeige gebracht wurden, zeigt, wie unsicher solche Zahlenwerte sind.<br />
Im Bereich der gesamtschweizerischen Urteilsstatistik 36 sind <strong>die</strong> Angaben präziser. In den<br />
letzten Jahren wurden pro Jahr zwischen 200 <strong>und</strong> 300 Personen wegen sexuellen Handlungen<br />
mit Kindern verurteilt.<br />
In Bezug auf Art. 197 StGB schwankt <strong>die</strong> Anzahl Verurteilungen jährlich stark. In den letzten<br />
Jahren wurden jährlich zwischen 200 <strong>und</strong> 800 Urteile gesprochen. Da auch bei den Urteilen<br />
nicht nach Kinderpornografie innerhalb des Artikels 197 StGB unterschieden werden kann<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Verurteilungen wiederum stark abhängig sind von einzelnen Polizeiaktionen, sind <strong>die</strong><br />
Angaben nicht sehr aussagekräftig.<br />
32<br />
einsehbar unter: http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber19/PKS/dtfr19_crim.htm<br />
33<br />
Illegale Pornografie umfasst in der Schweiz sexuelle Handlungen mit Kindern, mit Tieren, mit extremer Gewaltausübung<br />
<strong>und</strong> mit menschlichen Ausscheidungen.<br />
34<br />
Da davon ausgegangen wird, dass der sexuelle Missbrauch in allen Gesellschaftsschichten <strong>und</strong> über alle Altersstrukturen<br />
verteilt vorkommt, ist eine solche Hochrechnung auch von urban geprägten Gebieten legitim.<br />
35<br />
Auch wenn gemäss Angaben des B<strong>und</strong>esamtes für Statistik <strong>die</strong> Anzahl Verurteilungen wegen sexuellem Missbrauch<br />
an Kindern unter allen Delikte gegen <strong>die</strong> sexuelle Integrität am höchsten ist.<br />
36<br />
Einsehbar unter: http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber19/dtfr19.htm
20<br />
Dennoch geben <strong>die</strong> Angaben eine Vorstellung davon, in welcher ungefähren Grössenordnung<br />
sich <strong>die</strong> Anzeigen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Verurteilungen bewegen.<br />
Gerade im Bereich der sexuellen Handlungen mit Kindern, <strong>die</strong> erwiesenermassen zu 70 bis<br />
90 Prozent (bspw. Warzecha, 1999) im familiären Kontext geschehen, ist <strong>die</strong> Dunkelziffer<br />
sehr hoch.<br />
Dunkelfeldforschungen in <strong>die</strong>sem Bereich sprechen demzufolge eine andere Sprache.<br />
In der Schweiz wurde eine gross angelegte Befragung zum Dunkelfeld des sexuellen Missbrauchs<br />
durchgeführt (vgl. Halpérin, D. et al. (1997). Mittels anonymer Befragungen von<br />
knapp 1200 Genfer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler konnten folgende Aussagen gemacht werden:<br />
Knaben<br />
N = 548<br />
Absolute Zahlen<br />
Mädchen<br />
N = 568<br />
Prozent Absolute Zahlen<br />
Alle Formen von Missbrauch 60 10,9 192 33,8<br />
Missbrauch ohne Körperkontakt* (Pornografie,<br />
Zuschauen bei Masturbation, Anschauen Geschlechtsteile)<br />
Missbrauch mit Körperkontakt ohne Penetration*<br />
Prozent<br />
42 7,7 76 13,4<br />
12 2,2 84 14,8<br />
Missbrauch mit Penetration* 6 1,1 32 5,6<br />
* Die Kategorien schliessen sich gegenseitig aus. Kinder mit berichteten Missbrauchserfahrungen mit <strong>und</strong> ohne Körperkontakt<br />
wurden nur unter der Kategorie „mit Körperkontakt“ aufgelistet.<br />
Aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser repräsentativen Dunkelfeldforschung geht man davon aus, dass über<br />
10 Prozent der Knaben <strong>und</strong> knapp 34 Prozent der Mädchen Missbrauchserfahrungen gemacht<br />
haben. Schwerere Formen des Missbrauchs betreffen immerhin noch über ein Prozent<br />
der Knaben <strong>und</strong> über fünf Prozent der Mädchen.<br />
Was das Alter der Opfer betrifft, waren <strong>die</strong> Knaben bei der ersten Missbrauchserfahrung zu<br />
50 Prozent, bei den Mädchen zu über 60 Prozent über 12 Jahre alt.<br />
Die meisten Opfer berichteten von „nur“ einer Missbrauchserfahrung.<br />
Eine zweite Dunkelfeldstu<strong>die</strong>, <strong>die</strong> Aussagen zu sexuellem Missbrauch zulässt, ist <strong>die</strong> Rekrutenbefragung<br />
von Frau Prof. Haas (2001). Eine anonyme Befragung von über 20'000 Rekruten<br />
im Jahr 1997 ergab zum Thema „eigene Missbrauchserfahrungen“, dass über 11 Prozent<br />
(2356) der Rekruten von Missbrauch in der Kindheit berichteten. Die Art des Missbrauchs<br />
wurde in sechs Kategorien unterteilt (Abstufungen von ohne Körperkontakt über mit Körperkontakt<br />
bis Penetration). Missbrauchserfahrungen mit Körperkontakt machen zirka 4 Prozent<br />
aus. Bei der Frage nach Missbrauchssituationen im Jugendalter gaben über 12 Prozent der<br />
Rekruten einschlägige Erfahrungen an, davon über 5 Prozent mit Körperkontakt.<br />
Dank den Aussagen aus den zwei Dunkelfeldstu<strong>die</strong>n können guten Gewissens 37 zwei Aussagen<br />
gemacht werden:<br />
- das Hellfeld des sexuellen Missbrauchs bildet nur einen Bruchteil des tatsächlichen<br />
Geschehens ab <strong>und</strong><br />
- der Missbrauch von Knaben wird in der Diskussion zu Kindsmissbrauch tendenziell<br />
unterschätzt. 38<br />
37<br />
Dunkelfeldforschung begegnet immer einer Reihe von Kritiken, auf <strong>die</strong> an <strong>die</strong>ser Stelle nicht eingegangen werden<br />
soll. Die zwei ausgewählten Stu<strong>die</strong>n zeichnen sich aber im Kontext der Dunkelfeldforschungen durch grosse<br />
Sorgfalt in der Durchführung <strong>und</strong> Auswertung aus.<br />
38<br />
Auch wenn in den letzten Jahren das Augenmerk der Forschung im Einzelfall auch auf <strong>die</strong>sen Bereich gerichtet<br />
worden ist (siehe auch Kloiber, 2002)
21<br />
Eine weitere interessante Dunkelfeldstu<strong>die</strong> erforscht <strong>die</strong> Verbreitung von pädosexuellen<br />
Phantasien bei Erwachsenen. Briere (1998) untersuchte <strong>die</strong> Verbreitung pädophilier Phantasien<br />
in der Gesamtbevölkerung mittels einer Fragebogenstu<strong>die</strong> bei Studenten (N = 193). Die<br />
Ergebnisse der Stu<strong>die</strong> ergaben, dass<br />
- sich 21 Prozent der Studenten von kleineren Kinder sexuell angezogen fühlen;<br />
- neun Prozent der Studenten in ihren sexuellen Phantasien Kinder miteinbeziehen;<br />
- fünf Prozent zu <strong>die</strong>sen Phantasien onanieren <strong>und</strong> dass<br />
- sieben Prozent Sex mit Kindern hätten, wenn sie keine <strong>Strafverfolgung</strong> befürchten<br />
müssten.<br />
Die sexuellen Interessen an Kindern korrelieren mit frühen, negativen sexuellen Erlebnissen,<br />
mit der Gewohnheit, zu Pornografie zu onanieren, mit der Phantasie, Frauen zu vergewaltigen,<br />
mit häufig wechselnden SexualpartnerInnen, erlebten sexuellen Konflikten <strong>und</strong> dominanten<br />
Einstellungen gegenüber Frauen.<br />
Diese Stu<strong>die</strong> unterstützt mit der Aussage, dass pädosexuelle Phantasien weit verbreitet sind,<br />
<strong>die</strong> hohe Anzahl missbrauchter Kinder aus der Dunkelfeldforschung. Leider scheint es keine<br />
weiteren Untersuchungen zu geben, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se doch erstaunlichen Resultate stützen oder widerlegen<br />
könnten.<br />
Analysiert man <strong>die</strong> Ergebnisse von erfolgreichen Polizeiaktionen im Bereich Kinderpornografie<br />
nach Anzahl der Involvierten, drängt sich der Eindruck auf, dass zumindest das<br />
Interesse für kinderpornografische Darstellungen in der Bevölkerung weit verbreitet ist.<br />
So wurden im benachbarten Deutschland in den letzten zwei Jahren einige grosse Polizeiaktionen<br />
durchgeführt, bei denen regelmässig Tausende bis Zehntausende E-Mail-Adressen<br />
bei Einzelnen gef<strong>und</strong>en wurden 39 . In der Schweiz konnten alleine bei der Operation Genesis<br />
im Jahr 2002 über tausend Konsumenten identifiziert werden. Operationen in <strong>die</strong>ser Grössenordnung<br />
sind kein Einzelfall, auch in der Schweiz nicht.<br />
Aufgr<strong>und</strong> solcher Operationen geht das B<strong>und</strong>eskriminalamt (BKA) in Wiesbaden von 50’000<br />
bis 200’000 pädosexuellen Menschen in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland aus. In England<br />
sind 18'000 Menschen, vorwiegend Männer, als sexuelle Missbraucher registriert. In der<br />
Schweiz existieren bis anhin keine solchen Schätzungen. Es gibt aber keine vernünftigen<br />
Gründe anzunehmen, dass sich <strong>die</strong> Schweizer Bevölkerung hinsichtlich der Anzahl an pädosexuell<br />
Orientierten, beispielsweise von Deutschland, unterscheidet. Die Internetdichte eines<br />
Landes hat in <strong>die</strong>sem Deliktbereich wahrscheinlich einen grösseren Einfluss, wobei sich <strong>die</strong><br />
europäischen Länder dahingehend in den letzten Jahren stark angeglichen haben.<br />
Wir wissen bis anhin immer noch nichts Genaueres über den Zusammenhang zwischen pädosexueller<br />
Neigung <strong>und</strong> Konsum von Kinderpornografie. Die Untersuchung von Briere<br />
(1998) erlaubt uns zumindest schon <strong>die</strong> Aussage, dass Pornografiekonsum (nicht spezifisch<br />
Kinderpornografie) <strong>und</strong> sexuelle Phantasien mit Kindern statistisch korrelieren. Gibt es noch<br />
weitere Stu<strong>die</strong>n zu <strong>die</strong>sen Zusammenhängen, <strong>die</strong> uns bei der Frage weiterhelfen, ob Kinderpornografie-Konsumenten<br />
auch pädosexuelle Orientierungen aufweisen?<br />
39 Email-Adressen, <strong>die</strong> im Kontext von einschlägigen Gruppierungen auf dem Internet oder für den direkten<br />
Tausch von kinderpornografischen Darstellungen genutzt werden.
22<br />
4. Pädosexualität <strong>und</strong> Kinderpornografie<br />
Die Hauptfragen, <strong>die</strong> sich in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Pädosexualität <strong>und</strong><br />
Kinderpornografie-Konsum stellen, sind:<br />
a) Sind Konsumenten von Kinderpornografie gr<strong>und</strong>sätzlich pädosexuell?<br />
b) Erhöht der Konsum von Kinderpornografie <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit, dass der <strong>Pädosexuelle</strong><br />
ein Kind missbraucht oder eben gerade nicht? Hat der Konsum von Kinderpornografie<br />
Ventilfunktion oder senkt er <strong>die</strong> Hemmschwelle?<br />
Zur Frage a) wurde bis anhin schon einiges geschrieben. Zum einen wurde festgehalten,<br />
dass es auch andere Motive gibt, sich Kinderpornografie anzuschauen, als das primäre Interesse<br />
am Kind als potentiellen Sexualpartner. Ist Neugier das Hauptmotiv, wird sich aber der<br />
Konsum auf wenige Betrachtungen beschränken 40 . Die Neugier sollte damit gestillt sein.<br />
Dass bei vielen Konsumenten auch anderen Formen von illegaler Pornografie gef<strong>und</strong>en<br />
werden, ist an sich kein Hinweis darauf, dass das Kind nicht als sexueller Schlüsselreiz funktioniert.<br />
Wir haben gesehen, dass es auch nicht-ausschliessliche Typen von Pädosexualität<br />
gibt <strong>und</strong> dass Paraphilien oft in Kombination auftreten.<br />
Zum anderen wurde <strong>die</strong> Frage im Kontext der Verbreitung gestellt. Die Behauptung, dass<br />
nicht alle Konsumenten von Kinderpornografie sich für Kinder als Sexualpartner interessieren<br />
- also pädosexuell veranlagt sind – wird damit begründet, dass es zu viele Kinderpornografiekonsumenten<br />
gäbe <strong>und</strong> Pädosexualität in der Bevölkerung nicht so verbreitet sein könne.<br />
Wie wir aber im vorhergehenden Kapitel festgestellt haben, gibt es doch einige Hinweise<br />
darauf, dass pädosexuelle Phantasien in der Bevölkerung verbreiteter sind, als gemeinhin<br />
angenommen. Zudem stellt sich bei den Resultaten zu den Opfererfahrungen im Bereich des<br />
Missbrauchs <strong>die</strong> Frage nach dem Ausmass der Täterschaft. Nach polizeilichen Erkenntnissen<br />
hat ein entdeckter Pädokrimineller zwar in der Regel schon mehrere Opfer auf dem Gewissen,<br />
dennoch muss das Ausmass an Opfern in einer gewissen Relation zum Ausmass<br />
der Täterschaft stehen.<br />
Die Frage, wie viele <strong>Pädosexuelle</strong> sich unter den Kinderpornografie-Konsumenten befinden,<br />
kann (noch) nicht abschliessend beantwortet werden. Bei zukünftigen Untersuchungen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong>se Fragen beantworten wollen, müssen folgende Punkte berücksichtigt werden:<br />
- welche Person besitzt welche Arten von illegaler Pornografie in welchem Umfang?<br />
- Sammelt <strong>die</strong>se Person auch Darstellungen von Kindern, <strong>die</strong> nicht strafrechtlich relevant<br />
sind (FKK-Bilder, Katalogbilder, etc.), <strong>die</strong> darauf schliessen lassen, dass das<br />
Kind als solches einen Schlüsselreiz darstellt?<br />
- Wie ist <strong>die</strong> Ablage der Dateien bei der betreffenden Person organisiert? Deutet <strong>die</strong><br />
Dateiablage auf eine starke Beschäftigung mit dem Material hin?<br />
- Ist <strong>die</strong> betroffene Person in einschlägigen Internet-Gruppierungen engagiert?<br />
- Ist <strong>die</strong> betreffende Person in einschlägigen Deliktsbereichen polizeilich bekannt?<br />
- Ist <strong>die</strong> betreffende Person technisch so versiert, dass spezielle Austausch- <strong>und</strong> Verschlüsselungssoftware<br />
im Umgang mit kinderpornografischem Material vorhanden<br />
ist? 41<br />
Kann man <strong>die</strong>se Fragen beantworten, ist es möglich, eine Einschätzung zum Anteil der pädosexuelle<br />
Orientierten unter den Konsumenten zu machen. Dies hätte den Vorteil, dass<br />
man sich bei künftigen Polizeiaktionen stärker auf <strong>die</strong>jenigen Konsumenten konzentrieren<br />
40 Es ist aber in der Tat so, dass bei Aussagen zur Anzahl von Kinderpornografie-Konsumenten bei Polizeiaktionen<br />
nicht unterschieden wird, ob <strong>die</strong> Verdächtigten einmal oder mehrere Male auf Kinderpornoseiten zugegriffen<br />
haben. Untersuchungen zur Aktion Genesis beinhalten zwar <strong>die</strong>se Frage, <strong>die</strong> Resultate dazu stehen aber noch<br />
aus.<br />
41 Was auf eine intensivere Beschäftigung mit dem verbotenen Material hindeuten kann.
23<br />
könnte, <strong>die</strong> sich eindeutiger für Kinder als potentielle Sexualpartner interessieren. Die Gefahr<br />
eines Kindsmissbrauchs ist bei eindeutiger pädosexuell Interessierten grösser.<br />
Diese Überlegung führt uns direkt zur Frage b). Unabhängig vom Anteil <strong>Pädosexuelle</strong>r unter<br />
den Kinderpornografen, ist es wichtig zu wissen, ob der Konsum von Kinderpornografie das<br />
Risiko erhöht, dass ein <strong>Pädosexuelle</strong>r zur Tat schreitet.<br />
„Wenn schliesslich Kinderpornografie sehr vielen pädophil empfindenden Menschen hilft, ihre<br />
Neigung unter Kontrolle zu halten <strong>und</strong> kein Kind zu belästigen, ist sie vielleicht per se<br />
nicht schon gut, aber sicher das kleinere Übel. 42 “<br />
Dieses Zitat geht von der Annahme aus, dass der Konsum von Kinderpornografie helfe, <strong>die</strong><br />
Kinder vor „Belästigungen“ zu schützen. Pädophilenvereinigungen stützen <strong>die</strong>se These natürlich.<br />
Sie führen Forschungsresultate an, <strong>die</strong> belegen sollen, dass sexuelle Gewalt (an Kindern)<br />
in einer Nation zurückgeht, wenn sie über eine liberale Pornografie-Gesetzgebung verfügt.<br />
Die bekannteste Stu<strong>die</strong> dazu soll hier kurz Erwähnung finden.<br />
Berl Kutchinsky (1991) konnte mittels einer von der Regierung in Auftrag gegebenen Längsschnittstu<strong>die</strong><br />
zeigen, dass <strong>die</strong> nichtsexuellen Gewaltverbrechen in Dänemark, Schweden <strong>und</strong><br />
West-Deutschland zwischen 1964 <strong>und</strong> 1984 um 300 Prozent gestiegen sind, <strong>die</strong> Vergewaltigungsrate<br />
aller drei Länder aber während <strong>die</strong>ses Zeitraumes entweder zurückging oder konstant<br />
blieb, obwohl <strong>die</strong>se Länder gleichzeitig ihre Verbote sexueller Materialien erheblich lockerten.<br />
Speziell <strong>die</strong> Sexualverbrechen gegen Mädchen (unter 15 Jahren) sanken von 1965<br />
bis 1982 in Dänemark von 30 pro 100’000 auf 5 pro 100'000 EinwohnerInnen. In <strong>die</strong>sem<br />
Zeitraum herrschte, besonders in Dänemark, eine sehr liberale Haltung gegenüber der Kinderpornografie.<br />
Herstellung, Vertrieb <strong>und</strong> Erwerb waren möglich <strong>und</strong> ein freier Zugang zu<br />
sexuellen Darstellungen von Kindern gegeben. Geringere Anzeigebereitschaft wurde dabei<br />
als Gr<strong>und</strong> für den Rückgang ausgeschlossen.<br />
Solche Resultate müssen ernst genommen werden, auch wenn viele Kinderschutz- <strong>und</strong> feministische<br />
Bewegungen dagegen anrennen. Aber widerlegt ein solches Forschungsresultat<br />
<strong>die</strong> Annahme, dass Kinderpornografie auch den gegenteiligen Effekt haben kann? Kutchinsky<br />
(1991) gibt Auskunft über den Einfluss von liberalen oder repressiven Gesetzgebungen<br />
auf eine gesamte Bevölkerungsgruppe. Wie würde der Fall aussehen, wenn wir im Speziellen<br />
gefährdete Bevölkerungsgruppen anschauen würden?<br />
Gallwitz & Paulus (1998) führen in ihrem Buchkapitel „Ist jeder Konsument von Kinderpornos<br />
ein Pädophiler?“ aus, dass „es wohl Hinweise <strong>und</strong> Umfragen gibt, nach denen sich Pädophile<br />
mehr mit Magazinen wie „Sonnenfreuden“ oder anderen FKK-Postillen (…) beschäftigen.<br />
Doch alle Pädophilen <strong>und</strong> <strong>Pädosexuelle</strong>n, <strong>die</strong> wir kennen gelernt haben 43 <strong>und</strong> <strong>die</strong> sich zu ihrer<br />
Neigung bekannten, waren im Besitz von Kinderpornos.“ (S. 29)<br />
Beide Autoren befassen sich auch mit der Frage, ob “es sich bei Kinderpornografie um <strong>die</strong><br />
Vorstufe des sexuellen Missbrauchs handeln kann.“ (S.28) Sie vertreten dabei <strong>die</strong> Meinung,<br />
dass: „Pornografie nicht nur ein vorübergehend genutztes Ventil ist, ein Ersatz, eine Hilfe für<br />
<strong>die</strong> Selbstbefriedigung. Sie beeinflusst auch <strong>die</strong> Hemmung, <strong>die</strong> bisher von Straftaten abhielt,<br />
im Sinne einer Herabsetzung. Pornografie beeinflusst vor allem auch <strong>die</strong> sexuellen Phantasien<br />
<strong>und</strong> damit <strong>die</strong> sexuellen Bedürfnisse <strong>und</strong> <strong>die</strong> sexuellen Experimentierfreudigkeit. Und<br />
der gesellschaftliche Umgang mit Pornografie beeinflusst <strong>die</strong> gesellschaftliche Legitimation.“<br />
(S. 28).<br />
In Polizeikreisen seien zudem einige Sexualstraftäter bekannt, <strong>die</strong> exzessiv pornographisches<br />
Material konsumierten. Nun ist es wie bei anderen Themen auch in <strong>die</strong>sem Be-<br />
42 Anonymer Autor auf http://www.itp-arcados.net/<br />
43 Adolf Gallwitz ist Professor an der Hochschule für Polizei, Psychotherapeut <strong>und</strong> Polizeipsychologe <strong>und</strong> Leiter<br />
der Forschungsgruppe „Sexuelle Gewalt“. Manfred Paulus ist Kriminalhauptkommissar <strong>und</strong> Leiter des Deliktsbereichs<br />
Sexualstraftaten bei der Kriminalpolizei Ulm. In <strong>die</strong>sen Funktionen haben beide häufigen Kontakt mit <strong>Pädosexuelle</strong>n,<br />
aber in der Regel mit solchen, <strong>die</strong> strafrechtlich aufgefallen sind, was einer negativen Selektion entspricht.
24<br />
reich so, dass Umkehrschlüsse nicht immer so einfach anwendbar sind 44 . Wenn sich viele<br />
Sexualstraftäter oder Pädokriminelle mit Pornografie beschäftigen, heisst das umgekehrt<br />
nicht, dass der Konsum von Pornografie generell zu Straftaten animieren muss. Das heisst<br />
aber auch, dass man bei gewissen Risikogruppen differenziert schauen muss, was der Pornografiekonsum<br />
auslöst <strong>und</strong> welche Einflüsse eine Tat wahrscheinlicher machen.<br />
Ein wesentlicher Punkt, der von der psychologisch-psychiatrischen Fachliteratur betont wird<br />
(siehe dazu Exkurs II) ist der Suchtaspekt. Folgendes, ausführliches Zitat eines anonymen<br />
Pädophilen soll veranschaulichen, wie der Suchtaspekt im Bereich (Kinder-) Pornografie<br />
phänomenologisch in der Selbstwahrnehmung beschrieben wird:<br />
„Das bewegungslose Bild ermöglicht mir - mehr noch als der Film -, meinen eigenen "Porno"<br />
zu inszenieren. Unabhängig davon, ob mein Sexbegehren auf kleine oder große Menschen<br />
ausgerichtet ist, werde ich einen Rahmen schaffen, in welchem ich meinen Sex<br />
lustvoll erleben kann. Diesen Rahmen gestalte ich mir sowohl real als auch in der Phantasie.<br />
(…) <strong>Der</strong> Junge auf dem Bild sieht mich - nicht. Ich sehe ihn mit "seinem" (?) erwartungsvollen<br />
Blick - auf mich? Ich nehme ihn auf in meinen Rahmenbau für mein Phantasieszenario.<br />
Ich gestalte, ich konkretisiere so meine Beziehungsbedürftigkeiten auf ihn hin.<br />
Mit ihm? Ein Teil meiner Phantasie spielt ihn so, wie ich ihn begehre. (…) Ich halte das<br />
Benutzen von Pornomaterial für kontraproduktiv. Es suggeriert mir Nähe zu nur Gesehenem,<br />
Gedachtem <strong>und</strong> vergrößert so meinen Abstand zu real begehrten kleinen Menschen.<br />
Sie werden - sind - wie <strong>die</strong> Bilder. Ich sage dann: "Ich habe einen tollen Jungen gesehen",<br />
halte das für berichtenswert <strong>und</strong> erlebe mich mit ihm ... in nur meinen Rahmungen. Ich<br />
kenne das so, dass Menschen, <strong>die</strong> ständig ohne reale Sexbeziehungen leben, ihr Fehlen<br />
ständig mit ihrem Kopf/Körper an jede gesehene Realität herantragen. Die Welt wird Porno,<br />
<strong>die</strong> Welt wird irreal schön, löst überall neuerliches Begehren aus, <strong>und</strong> gleichzeitig finde<br />
ich keinen wirklichen Kontakt, keinen Einstieg in eine wirkliche Begegnung.(…) Meine Erfahrungen<br />
mit pornotauglichem Material sind identisch mit dem, was auch homosexuelle<br />
oder heterosexuelle Männer berichten. Nach einiger Zeit sind <strong>die</strong> Bilder, Hefte, Filme untauglich.<br />
Sie sind sozusagen verbraucht. Ihre anregende Potenz verliert sich. Was aber<br />
bedeutet das genau? Auf jeden Fall brauche ich neue Bilder, andere Posen. Ein Teil meiner<br />
Zeit verbringe ich nun mit der Beschaffung: der Reiz der Suche <strong>und</strong> das Erschließen<br />
neuer Quellen ist aufregend - fast schon Vorspiel. Es ist fast so, als lernte ich neue Jungen<br />
kennen. (…) Die Abnutzung trat schneller ein. Onaniegenuss wurde zunehmend flacher,<br />
unbefriedigender. <strong>Der</strong> Beginn mit neuerlichem Material war manchmal exzesshaft, unersättlich<br />
- bis zur rein körperlichen Erschöpfung <strong>und</strong> dann: Leere. (…) Neues Material ...<br />
oder ganz altes ... Unruhe <strong>und</strong> tiefe Einsamkeitsgefühle. <strong>Der</strong> Fluch der eigenen Gier? (….)<br />
Es wurde wie ein Sog. Die schnelle Verfügbarkeit der Bilder, das widerpartlose Integrieren<br />
der Jungen in meine Bedürfnisphantasien machte mich unsensibel in jeder Realität. Ich<br />
verhielt mich nicht mehr, ich glotzte nur noch: sehnsüchtig <strong>und</strong> schmachtend. (…..) Für einige<br />
Männer scheint es lange eine Frage der verschiedenen Umgangstechniken zu sein.<br />
Sie verändern von Zeit zu Zeit ihr Konsumverhalten bei Pornos. Analog den Alkoholikern:<br />
Verknappungsstrategien: nur wenige ... nur ein Bild ... erst heute Abend ... nur 50 DM im<br />
Monat dafür ... mal einen Tag aussetzen usw. 45<br />
Dieses ausführliche Zitat eines „pädophil empfindenden Menschen“ zu seinen Erfahrungen<br />
mit Pornografie verdeutlicht, wie sich durch das Betrachten der Bilder eine Eigendynamik<br />
entwickelt, <strong>die</strong> (fast) nicht mehr kontrolliert werden kann <strong>und</strong> wie sich durch einen exzessiven<br />
Konsum von pornografischen Darstellungen der Blick im Alltag verändert. <strong>Der</strong> Eindruck, dass<br />
über den Konsum der Schritt zum Missbrauch eher erleichtert oder forciert denn abgeschwächt<br />
wird, drängt sich auf.<br />
Die Frage, ob Pornografiekonsum <strong>die</strong> Sexualstraftat wahrscheinlicher macht, kann nicht<br />
pauschal beantwortet werden. Die Frage muss lauten, unter welchen Bedingungen der Konsum<br />
zur Tat antreibt. Dazu lesen wir bei Gallwitz <strong>und</strong> Paulus (1998): „<strong>Der</strong> Handlungsdruck,<br />
das Bestreben Phantasien umzusetzen, hängen neben der Steuerungsfähigkeit der Person<br />
von der Motivlage <strong>und</strong> Hemmschwelle <strong>und</strong> nicht von der Veranlagung, heterosexuell, homosexuell,<br />
bisexuell, pädosexuell oder promiskuitiv, ab. Erst bei Menschen, <strong>die</strong> ihr eigenes se-<br />
44 Diese Diskussion ist auch in den Bereichen Gewaltvideos <strong>und</strong> kriminelle Jugendliche, Waffen <strong>und</strong> psychisch labile<br />
Persönlichkeit oder Drogen <strong>und</strong> Psychosen u.a. schon an vielen Stellen geführt worden.<br />
45 Nachzulesen unter: http://www.itp-arcados.net/sonder/badporno/porno2000ke.html
25<br />
xuelles Verhalten nicht mehr unter Kontrolle haben, werden <strong>die</strong> sexuellen Phantasien zum<br />
Abnormen.“ (S. 30)<br />
Im aktuellen gesellschaftlichen Kontext kann ein Mensch, der sich sexuell nur von Kindern<br />
angezogen fühlt, seine Sexualität nicht legal ausleben. Kernpädophile müssen, setzen sie<br />
sich nicht über das Recht hinweg, ihre Sexualität ständig unter Kontrolle haben. Die völlige<br />
Kontrolle bedeutet keine partnerschaftliche Sexualität zu leben. Wir werden im empirischen<br />
Teil mehr über <strong>die</strong> Möglichkeiten <strong>und</strong> Unmöglichkeiten <strong>die</strong>ser Tatsache zu hören bekommen.<br />
Durch <strong>die</strong> theoretischen Ausführungen wurden - so hoffe ich - etwas Klarheit geschaffen. So<br />
sollte klar geworden sein, dass im Bereich der Pädosexualität <strong>und</strong> der Kinderpornografie <strong>und</strong><br />
deren Verbindungen noch Vieles unklar ist…<br />
Bevor wir uns den Aussagen der Interview-PartnerInnen widmen, noch einige Worte zu den<br />
Datenquellen <strong>und</strong> zum Umgang mit <strong>die</strong>sen.
5. Methodische Überlegungen<br />
26<br />
Wie bereits erwähnt, hat der empirische Teil <strong>die</strong>ser Arbeit keine repräsentative, sondern illustrative<br />
Funktion. Das soll aber nicht heissen, dass keine methodischen Überlegungen angestellt<br />
wurden, wenn auch in der Tat nicht sehr weitgehende. Am nächsten steht <strong>die</strong> Methodik<br />
den Gr<strong>und</strong>sätzen der Gro<strong>und</strong>ed Theory von Glaser <strong>und</strong> Strauss. 46<br />
„Es handelt sich dabei um eine Methodik der Theorie-Entwicklung auf der Basis einer detaillierten<br />
quasi mikroskopischen Untersuchung <strong>und</strong> Interpretation sozialer Phänomene. Hauptsächlich<br />
auf induktivem Entdeckungs-, Kontrastierungs- <strong>und</strong> Schlussfolgerungsweg werden<br />
<strong>die</strong> herausanalysierten Strukturen empirischer Einzelphänomene zu Theorie-Entwürfen verallgemeinert<br />
<strong>und</strong> im fortwährenden rekursiven Kontakt mit dem Untersuchungsfeld elaboriert.“<br />
(Breuer, 1996, S. 16).<br />
Die Nähe kann ich nicht durch systematisches, professionelles <strong>und</strong> sorgfältiges empirisches<br />
Arbeiten begründen, ein solches Vorgehen hätte den Rahmen <strong>die</strong>ser Arbeit gesprengt. Hingegen<br />
wurden gewisse Gr<strong>und</strong>sätze der qualitativen Sozialforschung im Allgemeinen <strong>und</strong> der<br />
Gro<strong>und</strong>ed Theory im Speziellen befolgt. Das heisst:<br />
- Die „Forscherin“, in <strong>die</strong>sem Kontext <strong>die</strong> Interviewerin, ist sich bewusst, dass sie Teil des<br />
Geschehens ist <strong>und</strong> thematisiert <strong>die</strong>s, wenn nötig, auch deutlich. Objektive Berichterstattung<br />
oder Darstellung ist weder Ziel noch Bedingung der Empirie.<br />
- Die Forscherin begibt sich ins Feld, zum Phänomen hin, das heisst in <strong>die</strong>sem Fall, dass<br />
ExpertInnenwissen direkt bei den Personen gesucht wird, <strong>die</strong> im Alltag auch mit dem interessierenden<br />
Phänomen arbeiten. Die Minimalversion des einmaligen Gesprächs mit Experten<br />
wurde zumindest eingehalten. Und<br />
- Daten zur Datenerhebung sind relevant <strong>und</strong> sollen transparent dargestellt werden.<br />
Bei der Gro<strong>und</strong>ed Theory geht das Bestreben dahin „ für Inhaltsbereiche, <strong>die</strong> wir als interessant<br />
<strong>und</strong> ungenügend konzeptuell aufgeklärt ansehen, differenzierte Theorie-Entwürfe zu<br />
entwickeln“ (Beuer, S. 21). Dies Bestreben gilt auch hier. In <strong>die</strong>sem Sinn sollten auch Maximen<br />
<strong>die</strong>ses Modell zumindest annähernd angewendet werden. Zum Beispiel wird <strong>die</strong> Kontrastbildung<br />
ernst genommen. Konkret bedeutet das, zur Thematik „der <strong>Pädosexuelle</strong> im<br />
<strong>Strafverfolgung</strong>sprozess“ nicht nur exemplarische Stimmen von FunktionsträgerInnen zu<br />
Wort kommen zu lassen, sondern auch kontrastierenden Stimmen aus demselben Funktionsbereich<br />
Raum zu geben. Wir haben Aussagen zu denselben Problempunkten <strong>und</strong> Themengebieten<br />
einander gegenüber gestellt. Aussagen anderer Personen mit denselben Funktionen<br />
im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess hätten das Bild ganz anders geprägt.<br />
<strong>Der</strong> Kontrastierung wurde aber zumindest dadurch Genüge getan, dass der Deliktstypus des<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>n von verschiedenen Seiten besprochen wurde <strong>und</strong> daraus deutlich werden<br />
sollte, wie facettenreich der Umgang mit einem Delinquententypus <strong>und</strong> einem Deliktsfeld<br />
sein kann, wenn verschiedene Akteure in einem <strong>die</strong>sen Typus behandelnden Prozess einander<br />
gegenüber gestellt werden.<br />
Von Theoriebildung zu sprechen wäre in <strong>die</strong>sem Kontext verwegen. Eine gewisse konzeptuelle<br />
Arbeit soll aber dennoch geleistet werden, indem von einer aussenstehenden Warte <strong>die</strong><br />
Zusammenfassungen <strong>und</strong> Bündelungen kommentiert werden. Dies zum einen aus dem theoretischen<br />
Hintergr<strong>und</strong>wissen heraus, zum anderen aus der übergeordneten Perspektive der<br />
Interviewerin.<br />
Beim konkreten Arbeiten wurde auf folgende Punkte geachtet:<br />
• Die Datenquellen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufarbeitung sollen so transparent <strong>und</strong> nachvollziehbar wie<br />
möglich gehalten werden;<br />
• Bei den Gesprächspartnern <strong>und</strong> –partnerinnen handelt es sich um ausgewiesene<br />
Kenner <strong>und</strong> Expertinnen. Zudem spielten gewisse Überlegungen eine Rolle, <strong>die</strong> über<br />
46 Glaser, Barney G & Strauss, Anselm L. (1967)
27<br />
das Expertentum hinausgingen. Zum Beispiel war wichtig, dass Repräsentanten <strong>und</strong><br />
Repräsentantinnen der Polizeiorgane je aus einem städtischen <strong>und</strong> einem eher ländlichen<br />
Gebiet befragt werden konnten;<br />
• Die Gespräche wurden in ihrer Gesamtheit auf Tonband aufgenommen <strong>und</strong> nahe am<br />
Wort transkribiert. Die Transkripte der Gespräche finden sich alle im Anhang, damit<br />
auch der Kontext der Äusserungen nachvollzogen werden kann;<br />
• Die transkribierten Texte wurden in der Rohform den Gesprächspartnerinnen noch<br />
einmal vorgelegt um besser gewährleisten zu können, dass <strong>die</strong> Inhalte richtig erfasst<br />
wurden;<br />
• Alle Textausschnitte der verschiedenen Beteiligten zu mehr oder weniger derselben<br />
Thematik wurden zusammengestellt, um <strong>die</strong> verschiedenen Sichtweisen besser erkennen,<br />
<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Hauptthemen herausfiltern zu können. Und schlussendlich wird<br />
versucht, Hypothesen für eine eventuelle, verbesserte Zusammenarbeit im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
zu formulieren.<br />
Die Methodik ist zugegebenermassen wenig ausgereift <strong>und</strong> entspricht kaum wissenschaftlichen<br />
Standards. Als Entschuldigung oder Trost soll gelten, dass sich aus der eher deskriptiven<br />
Haltung heraus interessante, weiterführende Fragen ergeben könnten, <strong>die</strong> es erlauben,<br />
in Folgearbeiten nach sauberen wissenschaftlichen Kriterien bearbeitet zu werden.
6. Stimmen der Beteiligten nach Funktion im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
28<br />
Im Folgenden werden <strong>die</strong> verschiedenen Aufgaben im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess in einzelnen<br />
Kapiteln aufgeführt, mit Zitaten der verschiedenen Beteiligten illustriert <strong>und</strong> im Anschluss<br />
kommentiert.<br />
Die Reihenfolge der Kapitel folgt dem chronologischen Ablauf des Prozesses. Das heisst,<br />
dass erst <strong>die</strong> Gesetzgebung (behandelt werden sollte), danach <strong>die</strong> Ermittlungsarbeit der Polizeien,<br />
<strong>die</strong> Rechtssprechung, <strong>die</strong> Begutachtung <strong>und</strong> schlussendlich <strong>die</strong> (forensische) Therapiearbeit<br />
behandelt wird. Als Zusatz sollen Pädophile selbst noch durch ihre Statements auf<br />
der Homepage der schweizerischen Pädophilenvereinigung zu Wort kommen <strong>und</strong> ihre<br />
Sichtweise darstellen können.<br />
Als Einstieg <strong>und</strong> als Übersicht handelt das erste, vom eigentlichen <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
unabhängige Kapitel von den Phänomenen, mit denen es <strong>die</strong> verschiedenen Beteiligten aus<br />
ihren Aufgaben heraus zu tun haben. Jede Aufgabe birgt auch eine gewisse Selektion des<br />
Zusammentreffens mit <strong>Pädosexuelle</strong>n in sich. So haben (<strong>die</strong> „Gesetzgeber“), <strong>die</strong> Ermittlungsbehörden,<br />
<strong>die</strong> Rechtssprecher, <strong>die</strong> Gutachter <strong>und</strong> <strong>die</strong> Therapeuten je ein anderes<br />
„Klientel“ vor sich. Es soll zum vornherein klar werden, mit welchen Personen <strong>die</strong> Beteiligten<br />
in ihrem konkreten Alltag arbeiten. Diesen Personen ist als einziges gemein, dass sie sich<br />
Kindern in einer Art nähern, <strong>die</strong> von geschriebenen <strong>und</strong> ungeschriebenen Gesetzen in unserer<br />
Gesellschaft nicht akzeptiert wird.<br />
Die Auswahl der Beteiligten am <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess ist leider nicht vollständig. Zum einen,<br />
weil einige Akteure im Planungsprozess nicht erkannt worden sind, wie zum Beispiel<br />
Vertreter der Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörden oder von Opferschutzorganisationen. Zum anderen<br />
war es schwierig <strong>und</strong> aus zeitlichen Gründen nicht mehr machbar, VertreterInnen des Gerichtes<br />
für ein Gespräch zu gewinnen. Diese Mängel können teilweise indirekt behoben werden,<br />
in dem <strong>die</strong> Interviewten von ihren Erfahrungen mit <strong>die</strong>sen Behörden berichten, oder direkter,<br />
indem schriftliche Erzeugnisse der fehlenden Stellen zugezogen werden.<br />
Leser <strong>und</strong> Leserinnen, <strong>die</strong> keine Erfahrung mit wortnah transkribierten Aussagen haben,<br />
werden erstaunt sein ob der Holprigkeit <strong>und</strong> „grammatikalisch unkorrekten“ Sprache. Auch<br />
Personen, <strong>die</strong> im direkten Dialog „reden wie gedruckt“, sind befremdet, wenn sie ihre gesprochene<br />
Sprache in schriftlicher Form lesen. Ich hoffe, <strong>die</strong> GesprächspartnerInnen verzeihen<br />
mir, dass ich ihre Aussagen nicht in eine Schriftform gebracht habe. Um möglichst nahe<br />
an den Aussagen bleiben, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Lebendigkeit der Aussagen erhalten zu können, habe ich<br />
<strong>die</strong> transkribierte, gesprochene Sprache belassen.<br />
6.1. Unterschiedliche Begegnungen mit unterschiedlichen <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
Wie bereits erwähnt, wird im Anschluss – wiederum chronologisch dem Prozess folgend –<br />
mittels Zitaten aus den Interviews <strong>die</strong> konkrete Klientel dem Leser <strong>und</strong> der Leserin näher gebracht.<br />
Da es für <strong>die</strong> Gesetzgebung 47 nicht in dem Sinne RepräsentantInnen gibt wie für <strong>die</strong><br />
47 Als Übersicht zur Gesetzgebung, <strong>die</strong> pädosexuelle Delikte betreffen, <strong>die</strong> Kurzzusammenfassung vom B<strong>und</strong>esamt<br />
für Statistik (http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber19/dthe19.htm):<br />
Seit 1. Oktober 1992 ist das revi<strong>die</strong>rte Sexualstrafrecht (Artikel 187-200 Strafgesetzbuch (StGB) über «strafbare<br />
Handlungen gegen <strong>die</strong> sexuelle Integrität», im folgenden auch als Sexualdelikte bezeichnet) in Kraft. Folgende Artikel<br />
betreffen dabei speziell <strong>die</strong> sexuelle Integrität von Minderjährigen:<br />
- Nach Artikel 187 werden sexuelle Handlungen mit Kindern unter 16 Jahren mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder<br />
Gefängnis bestraft. Sie bleiben straffrei, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei<br />
Jahre beträgt. Die Verjährung tritt nach 10 Jahren ein. Seit dem 1. Oktober 2002 dauert <strong>die</strong> Verfolgungsverjährung<br />
mindestens bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Opfers (Art. 70 Ziff.2 StGB).<br />
- Handelt es sich bei den sexuellen Handlungen mit Kindern indessen um eine sexuelle Nötigung, eine Vergewaltigung<br />
oder eine Schändung, so sind in erster Linie <strong>die</strong> Artikel 189, 190 oder 191 StGB anwendbar, <strong>die</strong> eine<br />
Höchststrafe von 10 Jahren Zuchthaus vorsehen. Da <strong>die</strong>se Bestimmungen zusammen mit Artikel 187 StGB zur<br />
Anwendung kommen, kann <strong>die</strong> Höchststrafe in solchen Fällen aufgr<strong>und</strong> von Artikel 68 StGB 15 Jahre Zuchthaus<br />
betragen.
29<br />
anderen Aufgaben, hätten an <strong>die</strong>ser Stelle Kommentare von StrafrechtsexpertInnen oder relevante<br />
B<strong>und</strong>esgerichtsentscheide beigezogen werden können. Da <strong>die</strong> Schreibende selbst<br />
keine juristische Fachausbildung genossen hat <strong>und</strong> <strong>die</strong> Suche nach dem „Menschenbild hinter<br />
der Gesetzeslage“ <strong>die</strong>s erfordern <strong>und</strong> zudem eine Arbeit für sich darstellen würde, wird<br />
hier auf <strong>die</strong>se Aufgabe verzichtet.<br />
Ein ausführlicher Teil schildert nun <strong>die</strong> Sicht der Polizei. Die Ausführlichkeit rührt daher,<br />
dass in den Gesprächen mit VertreterInnen der Polizeiorgane ein Hauptgewicht auf <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Typen von Delinquenten bei der Ermittlungsarbeit gelegt wurde.<br />
Lassen wir zuerst <strong>die</strong> Stadtzürcher zu Wort kommen. Die Zürcher Stadtpolizei ermittelt gegen<br />
Konsumenten von Kinderpornografie (Besitz etc.) oft infolge von Anzeigen wegen<br />
Kindsmissbrauch. Die Anzeigen kommen in der Regel von Spitälern, Schulen, anderen Behörden<br />
oder von Familien respektive den Opfern selbst. Ausschliesslich zu Kinderpornografie<br />
eröffnen sie Verfahren aus Meldungen von KOBIK 48 . Besitzende von Kinderpornografie<br />
scheinen, nach Erfahrungen der Polizei in Zürich, technisch nicht sonderlich versiert zu sein:<br />
Die, <strong>die</strong> wir bis jetzt rein genommen hatten, waren entweder so gut auf dem PC, dass wir<br />
nichts gemerkt haben oder es waren wirklich Banausen. Solche, <strong>die</strong> ihre Daten wirklich mit<br />
eindeutigen Namen kennzeichnen, wie Lolitas oder so, offensichtlich für alle sichtbar. Wir<br />
hatten bis jetzt noch keinen, der seine Sachen wirklich gut versteckt hat. Wir hatten einen,<br />
der seine Bilddateien oder Filme präparierte, dass man meinen konnte, es wären Word-<br />
Dokumente. Er hat einfach das .avi durch ein .doc ersetzt, aber von der Grösse her hat<br />
man das sofort gemerkt. Aber das war nur einmal der Fall. Einen Fall hatten wir mit einem<br />
speziellen Programm, aber er wusste selbst nicht, es zu gebrauchen. Wir hatten schon<br />
Personen, <strong>die</strong> nach dem 1.4.02, nachdem der Besitz von Kinderpornografie strafbar wurde,<br />
einfach alles auf ihren Temp-Files lassen <strong>und</strong> irgendwie aufbewahren können.<br />
Bei Hausdurchsuchungen fällt den StadtzürcherInnen aber auch auf, dass viele strafrechtlich<br />
nicht relevantes Material besitzen, mit dem sie ihre (sexuellen) Fantasien befriedigen:<br />
Und bei vielen Fällen finden wir auch Kinderpornografie, aber viel auch im Grenzbereich,<br />
so Hamilton-Zeugs <strong>und</strong> Sachen, <strong>die</strong> nicht eindeutig strafrechtlich relevant sind.<br />
Was uns zum Beispiel auffällt ist, dass bei jedem rechten <strong>Pädosexuelle</strong>n, der h<strong>und</strong>erte von<br />
Videos zu Hause hat, h<strong>und</strong>ertprozentig mindestens eine Kassette zur Miniplayback-Show<br />
vorhanden ist. Generell haben sie Kindersendungen zu Hause. Auch Kassetten von beispielsweise<br />
Michel aus Löhneberg, es muss nicht mal was Sexuelles oder so sein. Die<br />
stehen auf Kindersendungen. Auch fast alle haben FKK-Heftchen, sie machen da Ausdrucke.<br />
Zudem haben viele auch Jelmolikataloge oder ähnlich, in denen sie dann einfach <strong>die</strong><br />
Kindermodels anschauen. Sie schneiden dann Kinder aus <strong>und</strong> sammeln <strong>die</strong>, stapelweise.<br />
Und Bücher über Kindsmissbrauch, das haben auch fast alle. Da markieren sie dann <strong>und</strong><br />
lesen das intensiv. Sie post-iten dann <strong>die</strong> Seiten, bei denen es ums Ermitteln, ums Überführen<br />
<strong>und</strong> so geht. Sie sammeln Infos, damit sie sich selber schützen können, wenn sie<br />
dann mal verhaftet werden würden.<br />
Mit dem Delinquenten, der sich Kindern sexuell nähert, haben <strong>die</strong> ErmittlerInnen folgende Erfahrungen<br />
gemacht:<br />
Wir hatten gerade in letzter Zeit den Fall des Coiffeurs 49 . Er ist nicht der Intelligenteste, der<br />
in der Badi unter Wasser kleine Jungs oral befriedigte <strong>und</strong> behauptete, <strong>die</strong> Kleinen hätten<br />
das von ihm verlangt <strong>und</strong> er hätte ihnen nur einen Gefallen getan. <strong>Der</strong> ist völlig uneinsich-<br />
- Wer mit einer unmündigen Person von mehr als 16 Jahren, <strong>die</strong> von ihm durch ein Erziehungs-, Betreuungs- oder<br />
Arbeitsverhältnis abhängig ist, sexuelle Handlungen vornimmt, wird nach Artikel 188 mit Gefängnis bestraft.<br />
- Wer eine unmündige Person der Prostitution zuführt, wird nach Artikel 195 mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren oder<br />
Gefängnis bestraft.<br />
- Das Anbieten von pornographischen Schrift- oder Bilddokumenten an Personen unter 16 Jahren gemäss Artikel<br />
197, Ziffer 1, sowie das Herstellen oder Anbieten von Aufnahmen, <strong>die</strong> gemäss Artikel 197, Ziffer 3 sexuelle Handlungen<br />
mit Kindern oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft.<br />
Wir konzentrieren uns vorwiegend auf <strong>die</strong> Artikel 187 <strong>und</strong> 197 StGB.<br />
48 Das Verfahren zur Operation Genesis wurde im Kanton Zürich ausschliesslich von der Kantonspolizei geführt.<br />
49 Über <strong>die</strong>sen Fall wurde in den Me<strong>die</strong>n berichtet.
30<br />
tig. <strong>Der</strong> Bademeister hat ihn da an den Ohren aus dem Wasser gezogen. Diesen Typ sehen<br />
wir ab <strong>und</strong> zu, <strong>die</strong> sind recht dumm uneinsichtig.<br />
Bei anderen, konkreten Beispielen bekommt man den Eindruck, dass es sich eher um sozial<br />
wenig integrierte Personen handelt:<br />
Es gibt <strong>die</strong> Ungepflegten, „Verdruckten“, meist auch sehr abstossend, vernachlässigt <strong>und</strong><br />
ungepflegt. Einer, der schon vor 10 Jahren wegen sexuellen Handlungen mit Kindern verurteilt<br />
wurde, hat über Migros <strong>und</strong> Coop Inserate aufgehängt, dass er Jungs für Kopierarbeiten<br />
suchen würde. Die Jungs fanden aber fast alle - wir hatten einige von denen hierder<br />
sei gar nicht so schlimm. Auch <strong>die</strong> Eltern fanden den meist nett. Das sei ein Lässiger,<br />
ein Netter, aber als wir den sahen, das war wirklich widerlich. Er hat auch noch Nachhilfe<br />
gegeben, gratis, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wohnung sah wirklich aus wie er. Wir konnten nicht verstehen,<br />
dass <strong>die</strong> Eltern <strong>die</strong>ser Person ihre Kinder in <strong>die</strong>se Wohnung anvertrauten. Nur eine Mutter<br />
hat <strong>die</strong> Wohnung gesehen <strong>und</strong> hat ihr Kind grad wieder mitgenommen. Man muss dazu<br />
schon noch sagen, dass bis auf eines alle Kinder Ausländerkinder waren. Er hat dann mit<br />
den Kindern ein „Königsspiel“, ein Kartenspiel gemacht, das ging so: wenn der Junge gewonnen<br />
hat, hat das Kind 5 Franken bekommen <strong>und</strong> wenn er gewonnen hat, durfte er sich<br />
was wünschen, so ausziehen <strong>und</strong> anfassen. Die Übergriffe gingen recht weit, <strong>die</strong> sind<br />
dann auch im Bett gelandet <strong>und</strong> haben einander betatscht. Zudem hatte er eine Holzkiste<br />
in Kindergrösse gebastelt mit Ösen zum Fesseln daran <strong>und</strong> er hatte auch Peitschen <strong>und</strong><br />
so weiter. Für uns ist das ein ganz Gefährlicher <strong>und</strong> den hat man über Jahre therapiert.<br />
(…) Aber bei den <strong>Pädosexuelle</strong>n finden wir schon typische Sachen, wie gesagt. Es sind<br />
übrigens oft „Messies“, <strong>die</strong> extrem sammeln <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wohnung mit irgendwelchen Sachen<br />
voll gestopft haben. Häufig finden wir auch Sammler von Modellen wie Flugzeuge, Autos,<br />
Eisenbahnen, alles so auf Rädern, was Buben eben auch mögen. Viele sind wie gesagt<br />
sehr ungepflegt. Das hören wir auch von Opfern, dass sie sagen, dass der Täter stinke.<br />
Das sind schon Hinweise, dass sie sozial verwahrlost sind. Solche, <strong>die</strong> nie Gutes erfahren<br />
haben <strong>und</strong> Kinder sind <strong>die</strong> einzigen Ansprechpartner für sie, <strong>die</strong> komman<strong>die</strong>ren <strong>die</strong> nicht<br />
rum, da schaut jemand zu ihnen auf, manchmal suchen <strong>die</strong> gar nicht Kinder als Sexualpartner<br />
weil sie das so wollen, sondern weil sie bei den Erwachsenen draussen sind<br />
Solche <strong>Pädosexuelle</strong> kann man am ehesten als sozial Ausgegrenzte, auf Kinder fixierte Personen<br />
bezeichnen, <strong>die</strong> ihre Aktivität darauf ausrichten, Kinder zu treffen <strong>und</strong> sich ihnen in<br />
sexueller Absicht zu nähern. Die Ermittelnden sagen von sich aus, dass es sich wohl um eine<br />
Art Negativselektion handelt. Diese Männer fallen auf, weil sie sich auffällig in Badeanstalten<br />
oder auf Spielplätzen bewegen, weil sie zum Teil sozial verwahrlost sind <strong>und</strong> auch<br />
weil sie unvorsichtig werden in ihrem Tun. Zudem handelt es sich bei den beschriebenen<br />
Fällen um ausserfamiliäre Täter, <strong>die</strong>, wie man weiss, eher angezeigt werden, auch wenn sie<br />
prozentual in der Minderheit sind.<br />
Bei der sozialen Ausgrenzung, ob in Folge oder als Ursache oder unabhängig von der sexuellen<br />
Orientierung auf Kinder, können der Computer <strong>und</strong> das Internet eine spezielle Rolle<br />
spielen:<br />
Wir haben schon auch sozial Ausgegrenzte, <strong>die</strong> sich am Computer dann ausleben. Einer<br />
zum Beispiel, der wurde am Chat süchtig <strong>und</strong> suchte nach Mädchen, <strong>die</strong> Sex mit ihm wollen.<br />
Er behauptete dann schon, dass er nur schauen wolle, ob es das gäbe, aber das sagen<br />
alle. Er meinte aber, das sei nur der Reiz des Verbotenen <strong>und</strong> er suche eigentlich<br />
nicht Kinder oder Jugendliche als Sexualpartner. Wir denken schon, dass <strong>die</strong>, <strong>die</strong> den<br />
Schritt am Chat machen <strong>und</strong> dann zu einem Treffen übergehen wollen, dass <strong>die</strong> schon<br />
sehr gefährdet sind, weiter zu gehen, wenn sich <strong>die</strong> Gelegenheit ergibt.<br />
Auf <strong>die</strong> Rolle des Internets kommen wir im Anschluss noch einmal zu sprechen, wenn es um<br />
ein Verfahren der Stadtzürcher Polizei geht.<br />
Auf meine Frage, ob es in Zürich auch eine Art „Oberschichtspädophilie“ oder „Pädophilenringe“<br />
gäbe, meinten <strong>die</strong> Polizisten <strong>und</strong> Polizistinnen:<br />
Ja sicher, aber <strong>die</strong> sind raffinierter, an <strong>die</strong> kommen wir schlecht. Es wäre unser Ziel, dass<br />
wir mal an einen Pädoring rankommen. Aber das ist sehr schwierig, das wäre eher ein Zufallstreffer.<br />
Wir glauben auch, dass das nicht unbedingt richtige Pädos sind, sondern solche,<br />
<strong>die</strong> das Kickmässige, Dekadente suchen <strong>die</strong> sich mal was „Besonderes“ leisten.
31<br />
Wir sind sicher, dass es das gibt, in Zürich <strong>und</strong> in der Schweiz sonstwo. Aber eben, wie<br />
kommen wir an <strong>die</strong> Ringe ran? Einzelfälle hatten wir durchaus, Ärzte, Pfarrer, Lehrer, aber<br />
der Ring ist in einer anderen Sphäre. Wenn wir nicht verdeckt arbeiten können, wenn wir<br />
das Equipment nicht haben, dann ist das aussichtslos.<br />
Die angesprochene Negativselektion kommt auch hier zum Tragen. Gehen Täter raffinierter<br />
vor, sind vorsichtiger <strong>und</strong> eventuell auch intelligenter, fehlen der Polizei <strong>die</strong> Mittel <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
Zeit, um an sie heranzukommen.<br />
Ein weiterer Deliktstypus ist typisch städtisch. Interessant bei folgenden Ausführungen ist <strong>die</strong><br />
Rolle der Opfer:<br />
Die andere Kategorie sind <strong>die</strong> neugierigen Kinder oder Jugendlichen. Das haben wir schon<br />
einige Male gesehen. Die gehen dann ins Internet, auf eine Gayseite <strong>und</strong> posten was aufs<br />
Anschlagbrett mit der Mitteilung, dass sie interessiert sind an Boysex <strong>und</strong> wer sie da einführen<br />
könne. Dann kommt es zu einem Treffen. (…)<br />
Ja, <strong>die</strong> sind so 14 oder 15. Die Täter sind dann nicht unbedingt <strong>Pädosexuelle</strong>. Das sind oft<br />
Homosexuelle <strong>und</strong> <strong>die</strong> suchen junge Männer, es ist ihnen aber egal, wie jung <strong>die</strong> sind. Die<br />
würden dann auch ältere Männer nehmen. Bei unserem Gaynet-Verfahren, das ist quasi<br />
ein Tummelplatz für Homosexuelle, <strong>die</strong> sich treffen wollen, es geht nur ums Sexuelle. Einige<br />
sagen klar, dass sie keine Männer unter 16 suchen <strong>und</strong> wenn das so ist, ist das auch<br />
kein Problem. Es hat da auch keine, <strong>die</strong> nur auf Kinder stehen.<br />
Beim angesprochenen Gaynet-Verfahren haben Ermittler der Stadtpolizei eine minderjährige<br />
Legende kreiert <strong>und</strong> sind selbst aktiv auf dem Gay-Chat präsent gewesen. Ohne dass sie<br />
selbst Angebote gemacht hatten, wurden sie mit eindeutigen Vorschlägen zu Treffen überhäuft.<br />
Es kam zu einigen Verhaftungen von erwachsenen Männern, <strong>die</strong> sich mit minderjährigen<br />
Knaben explizit für sexuelle Aktivitäten treffen wollten. Wie im Zitat erwähnt, handelt es<br />
sich bei den betroffenen Tätern nicht unbedingt um pädosexuell Veranlagte, sondern um<br />
Männer, denen das sexuelle Abenteuer wichtig ist, <strong>die</strong> sich aber auch nicht um strafrechtliche<br />
oder ethische Barrieren kümmern.<br />
Dass es sich bei <strong>die</strong>ser Kategorie nicht ausschliesslich um Homosexuelle handelt, zeigt folgendes<br />
Zitat, das ein anderes, aber dennoch ähnliches Phänomen anspricht:<br />
Da haben wir halt auch junge Mädchen, <strong>die</strong> sich für Geld prostituieren, nicht immer <strong>und</strong><br />
nicht extrem, aber <strong>die</strong> haben ihre Männer, <strong>die</strong> sie kennen <strong>und</strong> für ein T-Shirt rufen <strong>die</strong> einen<br />
an <strong>und</strong> erlauben ihm, sie ein wenig anzufassen.<br />
Diese „halb-professionelle“ Prostitution junger Mädchen <strong>und</strong> auch Jungen aus städtischem<br />
Milieu <strong>und</strong> oft aus unterprivilegierten Kreisen ausländischer Herkunft, beschäftigt <strong>die</strong> Stadtpolizei<br />
sehr:<br />
In Zürich sind schon <strong>die</strong> Albaner-Kinder auffällig häufig in Verfahren involviert, <strong>die</strong> entweder<br />
miteinander umherziehen oder bereits in den Asylantenheimen angegangen werden.<br />
Die machen viel für Geld. Es sind schon viele Ausländerkinder, <strong>die</strong> nicht betreut sind, <strong>die</strong><br />
alleine auf sich gestellt sind <strong>und</strong> mit den Kollegen umherziehen. Die haben Sex als Geldquelle<br />
entdeckt. Wenn wir sie aufgreifen ist das schlimm für sie, weil wir das auch den Eltern<br />
sagen müssen.<br />
Die Kinderschutz-Gruppe der Stadtpolizei hat es in <strong>die</strong>sen Fällen nicht unbedingt mit <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
zu tun <strong>und</strong> weiss auch, dass <strong>die</strong> Opfer hier eine sehr aktive Rolle spielen. Nichtsdestotrotz<br />
handelt es sich bei <strong>die</strong>sen Fällen <strong>und</strong> eine Verletzung des Strafgesetztes <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
Polizei muss eingreifen. Die Täter, ob es sich um <strong>Pädosexuelle</strong> oder eher um Ephebophile 50<br />
handelt oder um solche, denen das Alter der SexualpartnerInnen egal ist, müssen auch bei<br />
Konstellationen, bei denen <strong>die</strong> Jugendlichen sehr viel Initiative zeigen, mehr Verantwortung<br />
tragen können. Wichtig bei <strong>die</strong>sem Phänomen ist <strong>die</strong> <strong>die</strong> Konzentration auf <strong>die</strong> Stadt, auf<br />
spezielle, unterprivilegierte, jugendliche Opfer. Zudem zeigt <strong>die</strong>ses Phänomen auch <strong>die</strong> Rolle<br />
des Internets, das solche Treffen begünstigen <strong>und</strong> beschleunigen kann.<br />
50<br />
Als Ephebophilie oder als Hebephilie bezeichnet man <strong>die</strong> sexuell-erotische Neigung zu geschlechtsreifen Jugendlichen.
Zusammenfassend ist aus der Stadtzürcher Optik festzuhalten,<br />
32<br />
• dass sie es in ihrer Arbeit mit verschiedenen Deliktstypen zu tun haben, dass ihnen<br />
aber auch Gemeinsamkeiten auffallen;<br />
• dass es vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung, vom Milieu, von der urbanen Umgebung<br />
<strong>und</strong> von den polizeilichen Mitteln, <strong>die</strong> ihnen zur Verfügung stehen, abhängt, mit<br />
welcher Art Täterschaft sie in Kontakt kommen;<br />
• dass <strong>die</strong> Selektion sowohl auf Täter- als auch auf Opferseite eher unterprivilegierte<br />
Schichten betrifft <strong>und</strong><br />
• dass das Internet das Phänomen der Pädosexualität verändert hat.<br />
<strong>Der</strong> typisch städtischen Sicht soll des Weiteren <strong>die</strong> Polizeisicht aus eher ländlichen Regionen<br />
gegenüber gestellt werden.<br />
Die Vertreterinnen der Kantonspolizei <strong>Bern</strong> beginnen ihre Ausführungen mit theoretischem<br />
Wissen über verschiedene Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n, <strong>die</strong> sie aber auch in der Praxis antreffen:<br />
Ich habe ein Buch gef<strong>und</strong>en, dass differenziert Typen beschreibt <strong>und</strong> wir finden das in unserer<br />
Arbeit auch in der Art. Er (Jungjohann) unterscheidet Kernpädophilie, infantile Pädophilie,<br />
senile Pädophilie <strong>und</strong> Pädophilie im Beruf, also der Pädagoge, der das auch teilweise<br />
sublimieren kann, aber manchmal halt auch nicht. Und ich sehe das auch so, in <strong>die</strong>sem<br />
Bereich gibt es relativ Viele.<br />
<strong>Der</strong> Kernpädophile ist einfach der, der nur mit Kindern als Geschlechtspartner etwas anfangen<br />
kann. Und <strong>die</strong> kennen wir auch, <strong>die</strong> gibt es. Wir erkennen <strong>die</strong>, weil sich jemand<br />
meldet, seien <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Betroffenen selber oder es kommt z.B. von KOBIK eine Meldung.<br />
Meldungen können durchaus auch aus dem sozialen Nahraum kommen, <strong>die</strong> suchen sich<br />
nicht nur fremde Kinder, er kann sich durchaus auch Kinder aus seinem Umfeld suchen.<br />
Sie suchen ja oft erst das Vertrauen der Mutter oder der Eltern.<br />
Er kann auch als Kinderpornografie-Konsument in Erscheinung treten, das muss aber<br />
nicht sein Wir haben auch schon festgestellt, dass <strong>die</strong> gar nichts Belastendes auf ihrem<br />
Computer haben. Wir denken, das ist auch eine Vorsichtsmassnahme, weil <strong>die</strong> denken,<br />
dass evt. der Vater des Kindes schauen kommen will, was <strong>die</strong> da zusammen am Computer<br />
spielen.<br />
Im Gegensatz zu den Stadtzürchern werden <strong>die</strong> Erfahrungen mit typischen F<strong>und</strong>en bei<br />
Hausdurchsuchungen nicht geteilt. In Bezug auf <strong>die</strong> intellektuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> auch Berufsfelder<br />
sehen aber auch <strong>die</strong> <strong>Bern</strong>erinnen Unterschiede:<br />
Uns fällt auf, dass <strong>die</strong> ein irrsinniges Gespür für Kinder haben, <strong>die</strong> wissen wirklich, was<br />
Kinder wollen <strong>und</strong> können sich da richtig einfühlen. Die sind aber nicht unbedingt in <strong>die</strong>sen<br />
pädagogischen Berufen, dass ist dann eher der andere Typus, der Pädagoge. Die in den<br />
typischen Berufen scheinen uns eher <strong>die</strong> Intellektuelleren zu sein. <strong>Der</strong> Kernpädophile ist<br />
nicht unbedingt sehr intelligent. Aber auch nicht der infantile Typus, wie er im Buch unterschieden<br />
wird, sondern einfach ein Handwerker, oder einer mit einem normalen, durchschnittlichen<br />
Beruf. Es gibt schon auch so ganz Einfache, <strong>die</strong> wie Kinder wirken. Ich denke<br />
da an einen, der fuhr immer mit einem Töffli rum mit Anhänger <strong>und</strong> hat immer Kinder rumgefahren.<br />
<strong>Der</strong> war sehr typisch, der konnte mit einer Frau gar nicht kommunizieren, der<br />
hatte da gar keinen Bezug. Wir wissen aber nicht, ob es so ist, weil er nicht an Frauen herankommt<br />
oder weil <strong>die</strong> Anziehung für Kinder stärker ist.<br />
Bei Kernpädophilen kippt es dann relativ schnell zum infantilen Typus, der dann wirklich<br />
zurückgeblieben ist. Das würde nie gehen mit einer erwachsenen Frau. Die können mit<br />
Erwachsenen keine Beziehung eingehen. Aber dennoch haben sie halt Körper von Erwachsenen.<br />
Das theoretische Wissen spiegelt sich insofern in den Gesprächsausschnitten, als in <strong>die</strong><br />
Schilderung der Begegnungen mit Delinquenten bereits Überlegungen zu Motiven <strong>und</strong> Ursachen<br />
einfliessen. Auch mit Extremfällen hat <strong>die</strong> Regionalfahndung <strong>Bern</strong> bereits Erfahrungen<br />
sammeln müssen. Auf <strong>die</strong> Frage, ob Gewaltanwendungen bei den sexuellen Übergriffen<br />
häufig seien:
33<br />
Es gibt es schon auch, aber <strong>die</strong> Fälle, in denen keine physische Gewalt angewendet wurde,<br />
überwiegen. Es gibt schon auch <strong>die</strong> sadistischen Typen, aber bei denen geht es eigentlich<br />
nicht um das Kind, sondern um das kindliche Verhalten. Weil es keine Macht hat,<br />
weil es sich nicht wehren kann. Da kann der sadistische Typ einfacher Macht ausüben. Die<br />
haben Angst vor Frauen <strong>und</strong> vor Männern sowieso. Da geht es um <strong>die</strong> Lust am quälen <strong>und</strong><br />
am erniedrigen, um Macht ausüben. Wir hatten einen Fall, der zwei Mädchen vergewaltigt<br />
hat <strong>und</strong> man ist dem erst drei Jahre später auf <strong>die</strong> Spur gekommen, weil eine Mutter das<br />
Tagebuch ihrer Tochter gef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> da stand drin, dass <strong>die</strong>ser Mann, der ein Bekannter<br />
der Familie war, das Kind sexuell missbraucht hat. Man hat dann im Anschluss<br />
noch weitere missbrauchte Kinder gef<strong>und</strong>en.<br />
Auch <strong>die</strong> Alterspädophilen werden im Gespräch erwähnt:<br />
Und eben, wir haben auch den senilen Typus, bei dem aber Hirnabbauprozesse <strong>und</strong> ein<br />
verändertes Lebensumfeld eine Rolle spielen. Meist war das Leben <strong>die</strong>ser Täter im Vorfeld<br />
normal.<br />
Im Gegensatz zu den Zürchern haben <strong>die</strong> Gesprächspartnerinnen keine Probleme mit Jugendlichen,<br />
<strong>die</strong> sich für Geld mit erwachsenen Männern einlassen. Sie verweisen für <strong>die</strong>se<br />
Frage an <strong>die</strong> Stadtpolizei <strong>Bern</strong>. Mit pädophilen Ringen, in denen Männer aus eher besseren<br />
Kreisen verkehren, hatte aber auch <strong>die</strong> Kantonspolizei <strong>Bern</strong> zu tun <strong>und</strong> auch hier werden <strong>die</strong><br />
mangelnden Ressourcen <strong>und</strong> Mittel zu deren Bekämpfung beklagt:<br />
Wir haben auch schon in Pädophilenkreisen ermittelt. Bei Pädophilen, <strong>die</strong> auch dazu gestanden<br />
sind. Das war so vor sechs Jahren, der Fall R. <strong>und</strong> Konsorte, <strong>die</strong> hatten Kontakte<br />
untereinander, da gingen Briefe hin <strong>und</strong> her, aber das war alles altes Material. Da konnte<br />
man nichts mehr machen.<br />
Aber eben, es ist generell auch eine Frage der Ressourcen, wir können mit Müh <strong>und</strong> Not<br />
<strong>die</strong> Fälle bearbeiten, <strong>die</strong> bei uns angezeigt werden. Da mal in einen Fall richtig reingehen,<br />
mit Telefonkontrollen <strong>und</strong> so, da haben wir einfach keine Zeit. (…)<br />
Es gibt gr<strong>und</strong>sätzlich keine Schichtzuteilung bei den Pädophilen, das kommt in allen<br />
Schichten vor, aber von Ringen aus der Oberschicht? Im Fall R., ja, <strong>die</strong> haben schon eher<br />
in der Oberschicht verkehrt. Aber wir wissen halt auch nicht mehr.<br />
Die ausgewählten Zitate aus Polizeikreisen ergeben zwar keinen repräsentativen, aber dennoch<br />
einen eindrücklichen Überblick über <strong>die</strong> Kontakte, <strong>die</strong> zwei unterschiedliche Polizeikorps<br />
mit <strong>Pädosexuelle</strong>n in ihrer täglichen Arbeit haben. Wie auch <strong>die</strong> Zürcher, haben <strong>die</strong><br />
<strong>Bern</strong>er Erfahrungen mit unterschiedlichen Delinquenten, dennoch sind Unterschiede auszumachen:<br />
• Die Schichtzugehörigkeit ist bei der Polizeiarbeit in einer eher ländlichen Region weniger<br />
auffällig, was eventuell mit der grösseren Durchmischung der Bevölkerung auf<br />
dem Lande zu tun hat;<br />
• Das Internet scheint bei der Regionalfahndung eine weniger grosse Rolle zu spielen<br />
51 ;<br />
• Die Problematik der sozial ausgegrenzten oder verwahrlosten <strong>Pädosexuelle</strong>n wurde<br />
von den <strong>Bern</strong>erinnen nicht erwähnt. Vielleicht weil <strong>die</strong> soziale Ausgrenzung oder<br />
auch der Wunsch nach Isolation oder Anonymität Leute eher in <strong>die</strong> städtische Umgebung<br />
treibt.<br />
Beiden Korps ist gemeinsam, dass ihre Fahndungen vom Anzeigeverhalten abhängig sind,<br />
was eine Selektion bei der Täterschaft nach sich zieht. So werden Missbräuche durch Vertreter<br />
der Oberschicht oder solche, <strong>die</strong> innerhalb der Familie passieren, generell weniger<br />
häufig angezeigt. Zudem schränken <strong>die</strong> polizeilichen Mittel <strong>und</strong> Ressourcen (siehe auch Kapitel<br />
6.3.) <strong>die</strong> Fahndungserfolge auf gewisse Modi Operandi der Täterschaft ein.<br />
51 Obwohl <strong>die</strong>s auch mit der Organisation der Polizei in Verbindung gebracht werden kann. Die <strong>Bern</strong>er Kantonspolizei<br />
verfügt nicht über eine eigene Kinderschutz-Gruppe, aber um eine IT-Ermittler-Gruppe, <strong>die</strong> sich mit den<br />
Fällen von Kinderpornografie auf dem Internet beschäftigen.
34<br />
Die von der Polizei ermittelten Täter werden, sofern das Verfahren nicht eingestellt wird, dem<br />
Richter, beziehungsweise der Richterin zugeführt. Da wir keine Stimme aus Richterkreisen<br />
zur Verfügung haben <strong>und</strong> somit nicht aus erster Hand wissen, was Richterinnen <strong>und</strong> Richter<br />
von ihrer Klientel zu berichten haben, im Folgenden ein kurzer Exkurs zur Rechtssprechung<br />
in Zusammenhang mit der Aktion Genesis aus dem Jahr 2002 52 . Da wir uns im<br />
Kapitel zu den konkreten Begegnungen befinden, wird hier nur auf <strong>die</strong> Typen der Verdächtigten,<br />
<strong>und</strong> nicht auf <strong>die</strong> Rechtssprechung (siehe dazu Kapitel 6.3.) eingegangen.<br />
Knapp <strong>die</strong> Hälfte der Verfahren der über 1000 Verdächtigten der Aktion Genesis wurden bis<br />
anhin (Stand September 2004) eingestellt. Dies aber vor allem, weil strafrechtlich relevantes<br />
Material „nur“ konsumiert worden ist. Zur Übersicht über <strong>die</strong> Population der Konsumenten<br />
können deshalb praktisch alle für eine Grobanalyse beigezogen werden. An <strong>die</strong>ser Stelle<br />
sind folgende Merkmale der Population interessant 53 :<br />
• Die wenigsten der Kinderpornografie-Konsumenten waren vorbestraft;<br />
• Die Mehrheit der Konsumenten übt einen technischen Beruf aus. Die Berufe beschränken<br />
sich aber nicht nur auf IT-Berufe, sondern umfassen alle Arten von mechanischen,<br />
elektrischen oder sonst handwerklich-technisch ausgerichteten Berufen;<br />
• Viele konsumierten oder besassen neben kinderpornografischem Material auch andere<br />
Formen von illegaler Pornografie (mit Tieren, menschlichen Ausscheidungen<br />
oder Gewalt);<br />
• Eine Minderheit der Verdächtigten zeichnete sich durch eine enorme Sammeltätigkeit<br />
aus <strong>und</strong><br />
• es zeichnete sich keine Überrepräsentation eines Zivilstandes ab.<br />
Alles in allem entsteht der Eindruck, dass es sich um gut integrierte, vor allem aus dem Mittelstand<br />
stammende, technisch versierte Normalbürger handelt. Die Rechtsprechung der bis<br />
anhin grössten Kinderpornografie-Aktion in der Schweiz ist vielleicht dementsprechend in der<br />
Regel sehr milde ausgefallen. Die Mehrheit der Urteile betraf Geldbussen von einigen tausend<br />
Franken, schwerere Fälle (bei besonders viel <strong>und</strong>/oder besonders grausamen Darstellungen<br />
oder bei einschlägigen Vorstrafen) wurden mit bedingten Freiheitsstrafen von maximal<br />
drei Monaten bestraft. Ergänzend muss aber angeführt werden, dass es sich bei <strong>die</strong>ser<br />
Aktion aus verschiedenen Gründen um einen Spezialfall handelt. <strong>Der</strong> Anbieter (Landslide)<br />
bot auch viele Seiten mit legaler Pornografie an, das heisst, dass sich möglicherweise viele<br />
Konsumenten aus Neugier in den illegalen Bereich wagten. Zu dem Zeitpunkt, als <strong>die</strong> meisten<br />
auf den amerikanischen Anbieter stiessen (1999), war <strong>die</strong> Internetdichte noch nicht so<br />
gross wie heute <strong>und</strong> der schnelle Zugang für viele noch keine Realität. Die Erfahrungen,<br />
welche <strong>die</strong> Kantone <strong>und</strong> der B<strong>und</strong> inzwischen mit Kinderpornografie-Konsumenten sammeln<br />
konnten (vor allem auch über P2P-Netzwerke oder über Gruppierungen auf dem Internet,<br />
siehe oben), zeigen ein anderes Bild, auch wenn bis anhin noch keine systematischen Untersuchungen<br />
gemacht werden konnten. Zum einen finden sich unter der Population, <strong>die</strong><br />
über das Internet Kinderpornografie tauscht, viele Wiederholungstäter <strong>und</strong> Sammler. Und<br />
zum anderen scheint der Anteil aktiver Missbraucher unter den Sammlern höher zu sein, als<br />
bis anhin angenommen. Deutschland, Kanada <strong>und</strong> <strong>die</strong> USA spricht man von bis zu<br />
30 Prozent an Missbrauchern unter den Konsumenten.<br />
Mit welchem Typus von Personen <strong>die</strong> RichterInnen in der Regel bei Verfahren gegen Kinderpornografie<br />
zu tun haben, kann noch nicht gesagt werden. Mit Verdächtigten bezüglich<br />
pädosexuellen Übergriffen haben <strong>die</strong> RichterInnen aber natürlich langjährige Erfahrung <strong>und</strong><br />
eine einzelne Stimme dazu wäre an <strong>die</strong>ser Stelle wünschenswert.<br />
52 Im Rahmen einer Arbeitsgruppe zur Evaluation der Aktion Genesis aus B<strong>und</strong>esebene, bei der <strong>die</strong> Verfasserin<br />
teilnahm, kann an <strong>die</strong>ser Stelle kurz berichtet werden. Es handelt sich aber einschränkend bei <strong>die</strong>ser Täterschaft<br />
praktisch ausschliesslich um Konsumenten (Besitzende) von Kinderpornografie <strong>und</strong> nicht um aktive Missbraucher.<br />
53 Für eine Detailanalyse muss <strong>die</strong> wissenschaftliche Arbeit in Zusammenarbeit mit der <strong>Universität</strong> Lausanne abgewartet<br />
werden. Diese Arbeit erscheint voraussichtlich ende Jahr 2004.
35<br />
Eng mit der Rechtssprechung verknüpft ist <strong>die</strong> forensische Begutachtung. Die folgenden<br />
Gesprächsausschnitte ergeben einen Eindruck davon, mit welchen Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
<strong>die</strong> Begutachtung zu tun haben kann. Einschränkend sei zu Beginn angeführt, dass der<br />
forensische Begutachter von Typen selbst nicht sprechen wollte:<br />
Ein Typus ist immer statisch. Das ist aber eine ideologische Diskussion. Typologien sind<br />
wie Glossare oder Diagnosen verschiedenster Provenienz, es sind Dinge, <strong>die</strong> einem erlauben,<br />
dass man sich unterhalten kann. Eine Form von Esperanto. Mehr nicht.<br />
Dennoch kann er in seiner täglichen Arbeit unterscheiden:<br />
Ich kann unterscheiden zwischen Gewohnheitspädophilen <strong>und</strong> Alterspädophilen. Die ersteren<br />
sind primärpersönlich pädophil <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen sind <strong>die</strong>, <strong>die</strong> aus organischen Verfallserscheinungen<br />
im Alter pädophile Handlungen begehen. Die Situationsvarianz wird bei<br />
den Alterspädophilen grösser sein, sie planen, strukturieren weniger. Gewohnheitspädophile<br />
wenden eine grössere psychische Energie, Vorbereitungshandlungen <strong>und</strong> Planungen<br />
auf. In der Forensik in Bezug auf <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit ist nur <strong>die</strong> Unterscheidung<br />
zwischen <strong>die</strong>sen zwei Erscheinungsformen sinnvoll, das heisst, ob <strong>die</strong> Frage nach Art.<br />
10/11 StGB relevant ist oder nicht. Das ist so ähnlich wie bei der Fragestellung zu anderen<br />
Delikten.<br />
Bei der Neuropsychologie zum Beispiel kann man ewiglange Untersuchungen machen zu<br />
Stellen im Hirn, <strong>die</strong> relevant sind, aber für den Forensiker ist nur relevant, ob sich das im<br />
Verhalten niederschlägt in der Einsichts- <strong>und</strong> Steuerungsfähigkeit. Dasselbe gilt für das<br />
Funktionsprinzip der Pädophilie.<br />
Gleich zu Beginn des Gesprächs wird also klar, dass bei der forensischen Begutachtung <strong>die</strong><br />
Aufgabe selbst <strong>die</strong> Beurteilung eines Phänomens stark bedingt <strong>und</strong> auch einschränkt.<br />
Die zwei Formen von Pädosexualität werden im Folgenden ausgeführt. Zu den Alterspädophilen:<br />
Die können schon eine Einsicht haben, sie können zum Teil einen übergeordneten Standpunkt<br />
einnehmen. Hier stellt sich <strong>die</strong> Frage nach der Steuerungsfähigkeit. Es kann aber<br />
beide Fähigkeiten tangieren, da muss man halt schauen. Das ist ein graduelles Phänomen.<br />
Wenn der Abbau soweit fortgeschritten ist, dass <strong>die</strong> Einsicht nicht mehr gegeben ist,<br />
dann wissen <strong>die</strong> nicht mehr, was sie tun. Das ist keine Seltenheit. Das ist ein häufiges<br />
Phänomen. (…) Von der Theorie her ist da <strong>die</strong> Primärpersönlichkeit ausschlaggebend.<br />
Wenn man davon ausgeht, müsste man annehmen, dass <strong>die</strong> pädosexuelle Orientierung<br />
schon da war. Auf der anderen Seite ist da eine ausgeprägte Situationsvarianz <strong>und</strong> Kinder<br />
sind halt eine einfache Möglichkeit.<br />
Zudem wird der Selektionsprozess, der vom richterlichen (Alltags-)Verständnis abhängt, bei<br />
der Auswahl der zu Begutachtenden betont. Diese Verteilung muss nicht <strong>und</strong> wird auch<br />
kaum den realen Verhältnissen entsprechen.<br />
Wir hier in <strong>Bern</strong> haben so geschätzt doppelt so viele Alterspädophile wie Gewohnheitspädophile.<br />
Das ist natürlich aber auch eine Selektion, weil nur <strong>die</strong> von den Gerichten geschickten<br />
Personen zu uns kommen. Bei den Alterspädophilen hat man halt auch eher den<br />
Eindruck, dass da was nicht stimmen könnte. Die Gewohnheitspädophilen, <strong>die</strong> kommen<br />
am ehesten noch für Prognosen. Wenn <strong>die</strong> so für fünf Jahre in den Knast kommen <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
benehmen sich da auch sehr gut - <strong>die</strong> sind ja im Knast meist sehr gut angepasst, auch von<br />
der Knasthierarchie her - da haben <strong>die</strong> Leute halt dann Bedenken, ob man <strong>die</strong> wieder raus<br />
lassen kann.<br />
In Bezug auf <strong>die</strong> so genannten Gewohnheitspädophilen folgen wichtige Präzisierungen zur<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen Aufgabe der Begutachtung:<br />
Bei den Gewohnheitspädophilen ist wichtig, dass man weiss, dass es eine Einstellung ist.<br />
Nach Art. 10/11 StGB, wenn man also <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit im Fokus hat, stellt sich<br />
<strong>die</strong> Frage; kann er oder will er. Nehmen wir das klassische Beispiel, wenn sich der Stiefvater<br />
an der Stieftochter vergeht oder an Nachbarskindern, dann muss man sich fragen, ob<br />
er anders hätte handeln können. Dem Alterspädophilen spricht man ja da <strong>die</strong> Wahl ab. Bei<br />
dem Gewohnheitspädophilen wird das aber sehr schwierig, weil das ja einstellungsgetragen<br />
ist.
36<br />
Einstellung meine ich ganz im psychologischen Sinn. Also zu mir hat mal ein Pädophiler<br />
gesagt, warum er denn mit seiner 14-jährigen Tochter kein sexuelles Verhältnis haben soll.<br />
Sie wolle es ja auch. Das ist ja dann auch meist <strong>die</strong> Begründung, wenn man sie danach<br />
fragt.<br />
Zur Diskussion bezüglich einer Einstellungsmodifikation hören wir mehr in Kapitel 6.6.<br />
Ist <strong>die</strong> Polizei in ihrer Wahrnehmung geprägt durch ihre Möglichkeiten <strong>und</strong> durch das Anzeigeverhalten<br />
in der Bevölkerung, ist <strong>die</strong> Auswahl bei der gutachterlichen Tätigkeit zum einen<br />
durch <strong>die</strong> richterliche Selektion bestimmt <strong>und</strong> andererseits durch <strong>die</strong> eng begrenzte Aufgabe.<br />
Auch wenn sich der forensische Gutachter noch so stark für Motive, Ursachen, Entstehungsbedingungen<br />
etc. einer Klientel respektive eines Delikts interessiert, hat er schlussendlich<br />
„nur“ zu beurteilen, ob <strong>die</strong> Person anders hätte handeln können <strong>und</strong> eventuell, ob sie es<br />
wahrscheinlich wieder tut. Auf <strong>die</strong> Frage nach den Ursachen von Pädosexualität, kommt das<br />
im Gespräch deutlich zum Ausdruck:<br />
Ich bin ja Psychologe. Selbst wenn wir so Faktoren (<strong>die</strong> Ursachen erklären würden) finden,<br />
müsste man wissen, was ist Ursache <strong>und</strong> was ist Wirkung. Die Leute kommen mit so ganz<br />
tollen Bildern aus den neurologischen Verfahren, es mag ja sein, dass sich da Unterschiede<br />
zeigen bei bestimmten Personen, aber man weiss ja nicht, was ist <strong>die</strong> Ursache <strong>und</strong> was<br />
ist <strong>die</strong> Wirkung. Die Biografie hat auch einen Einfluss auf <strong>die</strong> Hirnstruktur. Zudem ist hier<br />
wieder <strong>die</strong> Frage, was sich da niederschlägt <strong>und</strong> wie was kompensiert werden kann. Das<br />
ist <strong>die</strong> alte Leib-Seele-Frage. Für <strong>die</strong> forensische Frage, ist das wiederum irrelevant.<br />
Die Personen, <strong>die</strong> sich in der (forensischen) Therapie mit <strong>Pädosexuelle</strong>n auseinandersetzen,<br />
dürfen nicht nur, sondern sie müssen sich um <strong>die</strong> Hintergründe eines Delinquententypus<br />
kümmern. Die Vorstellungen <strong>und</strong> Ansätze sind dabei, wie in anderen Feldern<br />
auch, zwischen Psychologen <strong>und</strong> Psychiatern unterschiedlich. Lassen wir erst den Psychiater<br />
zu Wort kommen, da er sich auch um Begutachtungen kümmert <strong>und</strong> in <strong>die</strong>sem Sinne einen<br />
Übergang bildet.<br />
Wir unterscheiden zwischen ausschliesslichem, auch fixiertem, <strong>und</strong> nicht-ausschliesslichem<br />
(auch heterogenen) <strong>Pädosexuelle</strong>n. Die Ausschliesslichkeit bezieht sich auf das<br />
sexuelle Interesse am Kind. <strong>Der</strong> nicht-ausschliessliche Typus hat bessere Prognosen, ein<br />
deliktfreies Leben zu führen.<br />
Die ausschliesslichen <strong>Pädosexuelle</strong>n leben risikoreicher, da sie nicht ausweichen können.<br />
Die <strong>Pädosexuelle</strong>n, <strong>die</strong> nur eine Teilveranlagung haben, würden wohl nicht "auf freier<br />
Wildbahn" nach Kindern jagen. Diese haben genügend Rückhalt, um sich einzuschränken.<br />
Aber gerade das Internet ist für <strong>die</strong>se eine Möglichkeit, im Schutz der eigenen vier Wände<br />
sich an Dinge zu trauen, <strong>die</strong> man in der Realität nicht ausleben würde. Das Internet bietet<br />
für solche, <strong>die</strong> es bin anhin geschafft haben, der Szene fern zu bleiben, auch eine grosse<br />
Verlockung.<br />
Auch <strong>die</strong> Psychiatrie unterscheidet zwei Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n. Die Kriterien der Unterscheidung<br />
sind aber andere. Bestimmt bei der Begutachtung <strong>die</strong> Möglichkeit des „anders<br />
handeln Könnens“ <strong>die</strong> Unterscheidung, ist es das Kriterium <strong>die</strong> Stärke der Fixierung auf das<br />
Kind. Bei der Begutachtung ist <strong>die</strong>s nicht bezüglich der Zurechnungsfähigkeit ausschlaggebend,<br />
aber für <strong>die</strong> Prognose durchaus, wie es der Gesprächspartner gleich selbst ausführt.<br />
Weitere Ausführungen zu Persönlichkeitsstrukturen sind therapeutisch wichtig:<br />
Die narzisstische Komponente ist bei den Pädophilien ausgeprägt. Es tut ihrem Ego gut,<br />
wenn <strong>die</strong> Kinder sie bew<strong>und</strong>ern, zu ihnen aufschauen, von ihnen abhängig sind. Pädophile<br />
verfügen oft über spezielle Fähigkeiten, <strong>die</strong> den Kindern Eindruck machen, wie z.B. Zaubern.<br />
Das Kind gibt ihnen das Gefühl von Grösse, nebst dem Sexuellen, das schon das<br />
Kerngeschäft bei der Beziehung ausmacht.<br />
Pädophile sind meist nicht Gewinnertypen, sie befinden sich in der Gesellschaft nicht auf<br />
der Sonnenseite <strong>und</strong> verfügen in der Regel auch über eine tiefere Intelligenz als eine Vergleichsgruppe.<br />
Gerade <strong>die</strong> pädosexuell veranlagten Männer, <strong>die</strong> von Erwachsenen weniger<br />
Anerkennung bekommen, können über <strong>die</strong> Anerkennung von Kindern ihr Selbstbewusstsein<br />
stärken, können Macht erleben <strong>und</strong> <strong>die</strong> narzisstischen Seiten befriedigen.
37<br />
Es ist möglich, dass es sich um eine spezielle Untergruppe von Pädophilen handelt, <strong>die</strong><br />
der <strong>Strafverfolgung</strong> nicht entgehen konnten (klinisches Population). Dass also <strong>die</strong> <strong>Pädosexuelle</strong>n,<br />
<strong>die</strong> nicht auf der Verliererseite stehen, über eine durchschnittliche Intelligenz <strong>und</strong><br />
soziale Kompetenz verfügen, es einfacher oder leichter haben, nicht strafrechtlich auffällig<br />
werden.<br />
Vor der richterlichen steht natürlich <strong>die</strong> polizeiliche Selektion. Dieser Selektionsprozess<br />
durch <strong>die</strong> Ermittlungsarbeit wurde von der Polizeiseite bereits betont <strong>und</strong> kommt auch bei der<br />
Therapie wieder zum Ausdruck.<br />
Auch wenn sich <strong>die</strong> gutachterliche Stimme nicht zu Ursachen oder Entstehungsbedingungen<br />
äussern wollte oder konnte, war der Gr<strong>und</strong>satz der Einstellungsabhängigkeit zentral. Die<br />
psychiatrisch-therapeutische Sicht äussert sich zu den Entstehungsbedingungen, <strong>die</strong> hier<br />
kurz angeführt, im Kapitel 6.6. weiter ausgeführt werden:<br />
Ich beschreibe Pädophilie als eine Entwicklungsstörung mit einem sexuellen Schwerpunkt.<br />
Eine gewisse Veranlagung scheint zu bestehen, <strong>die</strong> dann auch Weichen stellt. Die Entwicklungsstörung<br />
zeigt sich aber offenbar auch in anderen Bereichen wie eben in einer tieferen<br />
Intelligenz, <strong>die</strong> sie nicht für Ehrenplätze in der Gesellschaft prädestiniert. Von dem<br />
her ist ein Zusatzbedarf an Selbstbestätigung gegeben. <strong>Der</strong> anspruchslosere Umgang mit<br />
Kindern wird gesucht, Spezialbegabungen, <strong>die</strong> besonders bei Kindern Eindruck machen,<br />
sind häufig. Wie eben z.B. Zaubern, das für Kinder besonders attraktiv ist. Die besonderen,<br />
für Kinder attraktiven Fähigkeiten müssen nicht unbedingt beruflich ausgelebt werden, sie<br />
können sich auch in der Freizeit zeigen, wie z.B. bei der Jungwacht oder der Pfadi.<br />
Im Kapitel zu den Therapiemöglichkeiten (siehe Kapitel 6.6.) wird deutlich werden, dass <strong>die</strong><br />
Vorstellungen von den Ursachen für Pädosexualität direkt <strong>die</strong> Vorstellungen von den Behandlungsmöglichkeiten<br />
bedingen.<br />
Eine zusätzliche Optik erhalten wir durch <strong>die</strong> (forensisch) psychologische Therapie. Die<br />
psychologische oder psychoanalytische Therapiearbeit beschäftigt sich in der Regel am<br />
längsten <strong>und</strong> intensivsten mit (pädosexuellen) Tätern. Sich befassen mit Motiven, Ursachen,<br />
Biografien <strong>und</strong> Rahmenbedingungen ist zentral für <strong>die</strong> Therapiearbeit. Die forensische Therapie<br />
hat in Abhebung zur Begutachtung den Hauptzweck, <strong>die</strong> Rückfallgefahr zu minimieren.<br />
Diese Funktion respektive Aufgabe verlangt es, sich ein differenziertes Bild der konkreten<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong> Biografie des Gegenübers zu verschaffen:<br />
Diese (so genannten Pädophilen) haben ja als Gemeinsamkeit sexuelle Kontakte mit Kindern<br />
gehabt, aber das kann sehr verschiedene Hintergründe haben. Und <strong>die</strong>ser Hintergr<strong>und</strong><br />
wäre eigentlich rechtlich von grosser Bedeutung. Es hat nicht für <strong>die</strong> Straftat an sich<br />
eine grosse Bedeutung, obwohl auch <strong>die</strong> geprägt davon ist, denn nicht alle machen dasselbe<br />
mit den Kindern, es sind dann einfach qualifizierte sexuelle Kontakte, aber sie haben<br />
in ihrem Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> natürlich auch in ihren Zukunftsaussichten grosse Unterschiede<br />
untereinander weil auch ihre Entstehungsgeschichten sehr unterschiedlich sind. Das ist<br />
etwas, das das Gesetz heute praktisch nicht berücksichtigt <strong>und</strong> das auch in den Gutachten<br />
häufig nicht einmal gestreift wird.<br />
Kinder wecken auch bei der normalen Bevölkerung viele Seiten. Sie können lustig sein,<br />
herzig sein, sie können einen erheitern, sie können erotisch sein. Den einen interessiert<br />
das eine mehr als das andere. Man kann nicht sagen, dass sich der eine voll für Kinder<br />
<strong>und</strong> der andere gar nicht für Kinder interessiert. Da gibt es <strong>die</strong> ganze Palette auch im normalen<br />
Leben. <strong>Der</strong> Übergangsbereich ist gross <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Übergangsbereich interessiert<br />
uns ja.<br />
Anhand von konkreten Fällen wird uns im Folgenden <strong>die</strong> Palette näher gebracht:<br />
Es kann einer sein Kind missbrauchen, weil er seine Frau bestrafen will. Es handelt sich<br />
um andere Funktionen, wenn sich einer an der Tochter vergeht <strong>und</strong> eigentlich seine Frau<br />
damit meint. Da sind eher <strong>die</strong> Machtmotive als <strong>die</strong> sexuellen Motive im Vordergr<strong>und</strong>. Das<br />
kann natürlich auch sehr gravierend sein für das Opfer, aber das sind Täter, <strong>die</strong> kaum<br />
ausserhalb der Familie etwas machen würden. Die schädigen <strong>die</strong> eigene Familie, aus Wut<br />
z.B. weil sie sich nicht durchsetzen können. Ich habe aktuell gerade einen Jungen, den ich<br />
begutachte, der ist jahrelang von seinem Vater sexuell missbraucht worden. Er musste im<br />
Ehebett schlafen weil Vater <strong>und</strong> Mutter sich derart zerstritten haben, dass <strong>die</strong> Mutter pani-
38<br />
sche Angst vor dem Ehemann hatte <strong>und</strong> sie ihn auch sexuell abgewehrt hat. In <strong>die</strong>sem<br />
Kontext musste der Sohn bis er 13 Jahre alt war zwischen Mutter <strong>und</strong> Vater schlafen. Und<br />
dann hat der Vater begonnen, sich ihm sexuell zu nähern <strong>und</strong> hat gehofft, dass der Sohn<br />
das erwidert. Zum Teil war das aus sexueller Not aber es war auch eine Provokation gegenüber<br />
der Mutter, <strong>die</strong> das auch mitbekommen hat. Die Aussage war so quasi „ wenn Du<br />
mit mir nichts machst, dann halte ich mich an den Sohn“. Die Töchter haben sich jede<br />
Nacht eingeschlossen <strong>und</strong> haben geschaut, dass sie nicht „dran kommen“.<br />
In Gegenüberstellung zu den nächsten zwei „Fällen“ merkt man deutlich, wie anders <strong>die</strong> Motive,<br />
Ursachen <strong>und</strong> dementsprechend auch <strong>die</strong> Therapiemöglichkeiten <strong>und</strong> Prognoseeinschätzungen<br />
ausfallen:<br />
Dann gibt es <strong>die</strong> so genannt klassischen Pädophilien, <strong>die</strong> in ihrer Kindheit stecken geblieben<br />
sind. Ihre Erotik hat sich an Kinder oder an gleichaltrige Jugendliche geb<strong>und</strong>en. Und<br />
sie haben in ihrer Persönlichkeit nur eine Teilentwicklung durchgemacht.<br />
Ich therapiere im Moment einen Akademiker, ein hochintelligenter Mann, im Beruf anerkannt,<br />
gut sozialisiert. Er war als Kind aber schon schwierig, er lebte in einer Familie, in der<br />
alle nur für sich lebten. Sein Vater war ein Kriegstraumatisierter, der zwar ein erfolgreicher<br />
Geschäftsmann geworden ist, der sich aber auf keine Beziehungen mehr einlassen konnte<br />
<strong>und</strong> Mutter war leicht depressiv. Er lebte dann einsam als Nachzügler mit viel älteren Brüdern,<br />
geduldet, still, ohne Kontakte zu Gleichaltrigen, obwohl er sich <strong>die</strong>se Kontakte gewünscht<br />
hätte. Er träumte als Heranwachsender von Sexualität mit Buben <strong>und</strong> Mädchen<br />
so zwischen 12 <strong>und</strong> 14. Davon träumt er immer noch <strong>und</strong> nun ist er 40. Auf <strong>die</strong>ser Stufe ist<br />
<strong>die</strong> Erotik wie tiefgefroren worden. (…) Er wirbt eigentlich nur um Kinder. Er lebt in zig Familien<br />
mit, ist dann Gast des Hauses, spielt mit den Kindern, geht mit ihnen schwimmen,<br />
macht Sport mit ihnen, macht aber keine Übergriffe, auch wenn er das gerne würde. Aber<br />
er sieht sich so klein, dass er eigentlich gar nicht aktiv werden kann. Er hofft, dass das<br />
Kind auf ihn einen Übergriff macht. Aber natürlich kommt kein Kind auf <strong>die</strong>se Idee.(…) Er<br />
fühlte sich auch als Kind. <strong>Der</strong> war in der Beziehung wie ein kleiner Junge. <strong>Der</strong> hat seine<br />
Träume aus der Kindheit zu anderen Kindern nicht weiterentwickelt. Spielen ist für ihn das<br />
Grösste, obwohl er <strong>die</strong> ganze Woche wissenschaftlich tätig ist. Aber spielen <strong>und</strong> Sport mit<br />
Kindern ist für ihn das Grösste.(….)<br />
Ich erinnere mich an einen Fall, den ich in der Supervision begleitet habe. Ein Mittelschullehrer,<br />
Turnlehrer, der völlig verknallt war in seine Buben <strong>und</strong> <strong>die</strong> haben das nie bemerkt.<br />
Er war ein guter Turnlehrer <strong>und</strong> er hat sich selbst auch auferlegt, nie in <strong>die</strong> Duschen zu<br />
gehen, er musste sich beherrschen. Aber was er sich geleistet hat, war ein Opernbesuch<br />
mit vier hübschen Jünglingen, <strong>die</strong> er zum Opernbesuch eingeladen hat. Er hat dann Logenplätze<br />
gemietet unter dem Motto „ich zeige euch Kultur“. Das war auch schön für <strong>die</strong>se<br />
Buben <strong>und</strong> er hat das sehr genossen. So stellte er es sich vor, wenn er Söhne hätte. Er<br />
war sich aber auch bewusst, dass er ein älterer Mann ist <strong>und</strong> er hat gemerkt, dass er anders<br />
ist als Kinder.<br />
Diese Beispiele passen streng genommen nicht in unserer Thematik, da solche Personen,<br />
trotz eindeutig pädophiler Orientierung, nie mit dem Strafgesetzbuch in Berührung kommen<br />
müssen. (Forensische) Therapeuten haben ab <strong>und</strong> an mit leidenden <strong>Pädosexuelle</strong>n tu tun,<br />
<strong>die</strong> sich freiwillig einer Therapie unterziehen. Auch in <strong>die</strong>sem Kontext ist es aber wichtig zu<br />
sehen <strong>und</strong> zu betonen, dass nicht alle pädophil orientierten Menschen strafbare Handlungen<br />
begehen. Zudem wird damit auch klarer, welche Selektionsprozesse im eigentlichen <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
wirken. Folgende Beispiele bewegen sich wieder klar im strafrechtlich relevanten<br />
Bereich:<br />
(Es gibt auch) <strong>die</strong> Sorte, <strong>die</strong> wirklich sexuelle Erlebnisse suchen zu Kindern. Die gehen<br />
auch zu Kinderprostituierten, das ist dann eher <strong>die</strong> gefährliche Sorte. Aber ihr Traum ist ja<br />
auch immer, doch ein „anständiges“ Kind zu bekommen. Sie haben für Stricher-Kinder<br />
auch immer eine gewisse Verachtung. Es sind ja auch meist Leute, <strong>die</strong> in ihren anderen<br />
Lebensverhältnissen durchaus wohl geordnet funktionieren. Und sie merken durchaus,<br />
dass <strong>die</strong> Kinder, <strong>die</strong> sie bekommen können, auch seltsame Kinder sind, meist verwahrloste.<br />
Und dann gibt es das Phänomen – <strong>und</strong> da denke ich, das ist ein neueres Phänomen – mit<br />
Leuten, <strong>die</strong> eine sehr <strong>und</strong>ifferenzierte Sexualität leben. Die haben eigentlich keine grosse<br />
Affinität zu Kindern, sondern führen ein eher gelangweiltes Leben <strong>und</strong> <strong>die</strong> nun einen neuen<br />
Kitzel suchen. Die versuchen nun alles Mögliche aus, sei es mit Drogen, mit Drogen <strong>und</strong>
39<br />
Sexualität, Sexualität mit Prostitution, Sexualität im S/M- Bereich oder dann auch Sexualität<br />
mit Kindern. Das ist dann auch etwas Besonders. So: „wie ist das, ein 12-jähriges Mädchen<br />
zu entjungfern“, wie ist das, wenn es leidet, wenn etwas Sadistisches rein kommt.<br />
Das muss auch gar nicht so extrem sein, das kann so im Zusammenhang mit Lebenskrisen<br />
aufkommen.<br />
Ich habe gerade einen Fall eines 45-jährigen Mannes. <strong>Der</strong> war 20 Jahre verheiratet <strong>und</strong> es<br />
war nie etwas Besonderes. Aber <strong>die</strong> Sexualität mit seiner Frau hat immer mehr abgenommen,<br />
er war steril, sie hatten keine Kinder <strong>und</strong> seine Frau war darüber sehr unglücklich. Mit<br />
der Zeit haben sie keinen Sinn mehr in ihrer Ehe <strong>und</strong> in ihrer Sexualität gesehen. In dem<br />
Moment, als er sie verlassen hat, hat er angefangen, zu Prostituierten zu gehen. Und dann<br />
hat er gemerkt, dass ihm <strong>die</strong> schwarzen Prostituierten besser gefallen. Er wohnte alleine<br />
<strong>und</strong> hat plötzlich begonnen, auch Kinder anzuschauen, sich vor Kindern zu zeigen. Es<br />
zeigte sich eine Einsamkeit, auch eine starke Regression. Dann kamen so kindische Elemente,<br />
er onanierte vor Kindern, hat aber auch Kinder in <strong>die</strong> Wohnung geholt <strong>und</strong> wollte<br />
sich anfassen lassen. Er lockte <strong>die</strong> Kinder an <strong>und</strong> ein Mädchen musste man dann auch ins<br />
Heim einliefern, <strong>die</strong> hat das auch bei anderen gemacht, hatte schon einen richtigen K<strong>und</strong>enkreis.<br />
Es sind halt auch solche Kinder, <strong>die</strong> verwahrlost <strong>und</strong> vernachlässigt sind, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Männer auch erfolgreich anlocken. Er ist dann auch nackt ans Fenster gestanden, immer<br />
aber wie wenn es aus Versehen wäre. Die Kinder haben dann draussen schon auf das<br />
„Programm“ gewartet. Seine Übergriffe waren nicht wahnsinnig gravierend, es waren typische<br />
Handlungen in einem regressiven Zustand.<br />
Das Phänomen der jugendlichen „Prostituierten“, <strong>die</strong> mit pädosexuellen Ringen oder auch<br />
Einzelnen in Kontakt kommen, - es auch von der Stadtzürcher Polizei erwähnt - findet man<br />
wieder in der therapeutischen Optik, auch hier mit Fokus auf <strong>die</strong> Opferseite:<br />
Ich kenne das nur vom Hörensagen, aber da scheint Einiges zu laufen. Das ist aber wohl<br />
eher eine intellektuellere Schicht von Pädophilen. Es gibt sicher auch eine Oberschicht an<br />
Pädophilen, <strong>die</strong> sich sehr gut decken <strong>und</strong> schützen <strong>und</strong> <strong>die</strong> auch ihre Handlungen sehr gut<br />
vorbereiten <strong>und</strong> selten auffliegen. Was ich so mitbekomme, sind Jugendliche, <strong>die</strong> von zu<br />
Hause abhauen <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> Kurve gehen. Dann sind sie so einen Monat verschw<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> man weiss nicht, wo sie gelebt haben. Mit der Zeit erfährt man, dass sie von einem<br />
zum anderen gereicht wurden. Das sind Leute, <strong>die</strong> untereinander Kontakt haben, der erste<br />
gabelt ihn auf <strong>und</strong> „probiert ihn aus“, hat ihn ein paar Tage <strong>und</strong> geht dann in eine Bar <strong>und</strong><br />
übergibt ihn einem Bekannten. Das ging dann immer gut, alle gaben ihm Geld, gutes Essen,<br />
er wurde „ernst“ genommen, er wurde halbwegs respektiert, musste aber alles mitmachen.<br />
So hat er einen Monat in Saus <strong>und</strong> Braus gelebt <strong>und</strong> wir konnten ihn nicht fassen,<br />
weil er durch diverse Villen gereicht wurde <strong>und</strong> wir haben ihn dann auf der Strasse wieder<br />
gef<strong>und</strong>en. Er sagt aber nichts aus, weil er weiss, dass er alle <strong>die</strong>se Leute wieder kontaktieren<br />
kann, wenn er das nächste mal auf <strong>die</strong> Kurve geht. Zudem hat er Angst, als sowieso<br />
unglaubwürdiger Kleinkrimineller. Auch in seinem Gefühl das starke Moment, nicht mit <strong>die</strong>sem<br />
Staat zu kooperieren, der mich nur einsperrt oder ins Heim steckt. So will er <strong>die</strong> Leute<br />
nicht ausliefern, weil sie ja auch „gut“ zu ihm waren <strong>und</strong> so kommt es nicht zu einer Anzeige.<br />
Diese auf konkrete Beispiele <strong>und</strong> Schicksale bezogene Sicht erlaubt einen tieferen Einblick<br />
in das Geschehen, in <strong>die</strong> sehr unterschiedlichen inneren <strong>und</strong> äusseren Bedingungen, <strong>die</strong> einen<br />
Menschen zu sexuellen oder erotisierten Kontakten mit Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen treiben<br />
können.<br />
Dieses erste Kapitel sollte im Sinne einer Einführung folgende Punkte verdeutlicht haben:<br />
• Die unterschiedlichen Aufgaben <strong>und</strong> Funktionen im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess beinhalten<br />
immer auch eine Selektion. Selektionsprozesse in Bezug auf <strong>die</strong> Populationen,<br />
mit denen man in Kontakt tritt respektive treten kann, aber auch Selektionen in Bezug<br />
auf <strong>die</strong> Art der Wahrnehmung;<br />
• Menschen mit pädosexueller Orientierung haben zum Teil nie mit (<strong>Strafverfolgung</strong>s-)<br />
Behörden Kontakt, zum Teil nur mit therapeutischen Stellen, zum Teil mit der Polizei.<br />
Diejenigen, welche mit der Polizei in Kontakt kamen, werden in der Regel auch mit<br />
richterlichen Instanzen in Berührung kommen. Diejenigen, welche vor dem Richter
40<br />
standen, werden eventuell forensische begutachtet <strong>und</strong> <strong>die</strong>jenigen, welche in Begutachtung<br />
waren, kommen teilweise in therapeutische Behandlung;<br />
• Welche Kriterien <strong>und</strong> Mechanismen im Einzelfall oder sogar als generelleres Muster<br />
für <strong>die</strong> Selektionsprozesse verantwortlich gemacht werden können, sind nur annähernd<br />
bestimmbar;<br />
• In der Bevölkerung her spielt <strong>die</strong> Selektion bezüglich familiärer resp. ausserfamiliärer<br />
Kontexte. Sozial ausgegrenzte, weniger intelligente <strong>und</strong> sozial weniger kompetente<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>, <strong>die</strong> sich fremden Kindern nähern, werden eher auffällig <strong>und</strong> angezeigt.<br />
Zudem kommt man ihnen mit den bestehenden polizeilichen Mitteln auch eher auf <strong>die</strong><br />
Spur;<br />
• Von der richterlichen Warte aus werden eher solche <strong>Pädosexuelle</strong> zur Begutachtung<br />
geschickt, <strong>die</strong> entweder mit ihrem Verhalten aus „der Rolle fallen“, wie Alterspädophile<br />
oder solche, denen man aus verschiedenen Gründen eine höhere Gefährlichkeit<br />
attestiert;<br />
• Von der Bevölkerung, von der Polizei her <strong>und</strong> auch von der richterlichen Optik aus<br />
werden eher Personen aus unterprivilegierten Schichten wahrgenommen, <strong>die</strong>s zumindest<br />
was Personen betrifft, <strong>die</strong> sich konkret Kindern nähern, eventuell weniger im<br />
Bereich der Kinderpornografie;<br />
• Die Begutachtung wird von der richterlichen Selektion bestimmt. In <strong>die</strong>sem Fall ist <strong>die</strong><br />
Alterspädophilie im Vordergr<strong>und</strong>, was aber kaum einer realen Verteilung in der Bevölkerung<br />
entspricht;<br />
• Die therapeutische Arbeit erlaubt von ihrer Funktion her – auch wenn sich <strong>die</strong> Therapie<br />
auf <strong>die</strong> forensische Therapie beschränkt – den breitesten <strong>und</strong> tiefsten Blick auf<br />
<strong>die</strong> verschiedenen Formen der Pädosexualität <strong>und</strong> deren Geschichte. In Bezug auf<br />
<strong>die</strong> Schichtzugehörigkeiten, <strong>die</strong> soziale Einbettung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Intelligenzausprägungen<br />
ist das Klientel wahrscheinlich weniger eingegrenzt;<br />
• Die einzelnen Aufgaben bestimmen <strong>die</strong> Wahrnehmung des Gegenübers zusätzlich.<br />
Die Polizei hat bei pädosexuellen Delinquenten vorwiegend das Interesse, den Straftatbestand<br />
zu klären. Innere Bedingungen spielen eine untergeordnete Rolle. Begleitumstände,<br />
wie bestimmte F<strong>und</strong>e bei Hausdurchsuchungen hingegen sind für <strong>die</strong><br />
Ermittlungsarbeit wichtig <strong>und</strong> erlauben auch einen Einblick in <strong>die</strong> Persönlichkeit der<br />
Delinquenten;<br />
• Die RichterIn muss einerseits <strong>die</strong> Beweislage beurteilen, das Strafmass in Abhängigkeit<br />
zur Straftat <strong>und</strong> der Schuld festlegen <strong>und</strong> abschätzen, ob Gutachten<br />
<strong>und</strong>/oder Gefährlichkeitseinschätzungen in Auftrag gegeben werden müssen. Biografien<br />
<strong>und</strong> Motive spielen durchaus eine Rolle, wenn auch nicht in dem Ausmass, wie<br />
bei der therapeutischen Arbeit;<br />
• Die Begutachtung muss (gemäss reiner Lehre) ausschliesslich <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit<br />
beurteilen <strong>und</strong> greift dazu auf verschiedene Informationsquellen zurück, geht<br />
aber in der Regel auch nicht sehr tief auf <strong>die</strong> Persönlichkeitsstrukturen des Delinquenten<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> ursächlichen Bedingungen der Tat ein, zumindest nicht in Bezug auf<br />
Merkmale oder Prozesse, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit nicht direkt betreffen. Bei der<br />
Prognosearbeit kann <strong>die</strong> Sachlage anders aussehen, <strong>die</strong> wurde aber in <strong>die</strong>sem Rahmen<br />
nicht speziell thematisiert;<br />
• In der Therapiearbeit hat man nicht nur bezüglich Breite, sondern auch bezüglich der<br />
Tiefe <strong>die</strong> grösste Chance, verschiedenste Motive, Rahmen- <strong>und</strong> Entstehungsbedingungen<br />
zu erfassen.<br />
Im Weiteren werden <strong>die</strong> Aufgaben selbst im Zentrum stehen. Die Sicht der Person, welche<br />
<strong>die</strong> Funktion selbst innehat, wird zuerst zu Wort kommen, kommentiert aus Sicht der Anderen.
41<br />
6.2. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der Gesetzgebung<br />
„Legal definitions of child pornography, it seems to me, draw the<br />
bo<strong>und</strong>aries but don’t delineate the problem“ (Max Taylor, 2002)<br />
Im folgenden Kapitel werden recht heterogene Textstellen aufgeführt werden. Je nach GesprächspartnerIn<br />
sind andere Gesetzgebungen <strong>und</strong> Probleme damit, relevant.<br />
Wie bereits erwähnt, liegt es in der Natur der Sache, dass es keinen typischen Vertreter in<br />
der Gesetzgebungsfunktion gibt, aber wir lassen den Juristen zuerst zur nicht existierenden<br />
Pönalisierung des Konsums von Kinderpornografie zur Wort kommen:<br />
Nicht vom Strafrecht erfasst, heisst zunächst einmal nicht, dass ich <strong>die</strong>ses Verhalten auch<br />
befürworte. Hingegen muss unterschieden werden zwischen moralisch-ethischen Grenzen<br />
<strong>und</strong> Grenzen des Strafrechts. Letztere sollten als Ultima Ratio eingesetzt werden. <strong>Der</strong> Auftrag,<br />
den Konsum konsequent zu bestrafen, wäre auf der operativen Polizeiebene zudem<br />
nicht umsetzbar. Nicht durchsetzbare Verbote sind aber kontraproduktiv – Beispiele gibt es<br />
leider genügend. Schliesslich ist durchaus denkbar, dass man zufällig auf Kinderpornografie<br />
stösst im Internet. Die Vorsätzlichkeit zu beweisen, ist dann sehr schwer, wenn nicht<br />
unmöglich. Auch zur deutschen Regelung, <strong>die</strong> „sich Besitz verschaffen“ im Strafgesetzbuch<br />
vorsieht, bin ich skeptisch, weil es nicht eindeutig ist. Ab wann wäre der Beweis geliefert,<br />
dass sich Jemand Besitz verschaffen will? Welches sind eindeutige Suchbegriffe?<br />
Die Frage ist ja auch, was man überhaupt bestrafen will; einen krankhaften Trieb oder <strong>die</strong><br />
Etablierung <strong>und</strong> aktive Förderung eines kriminellen Marktes?<br />
Die Gesetzgebung muss sich also <strong>die</strong> Frage stellen, ob das Gesetz überhaupt durchsetzbar<br />
ist <strong>und</strong> was man damit erreichen will.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich ist es wohl für jeden Juristen <strong>und</strong> jede Juristin ein Thema, welche Rolle dem<br />
Strafrecht in der Gesellschaft zukommen soll oder darf. Gerade in dem sehr sensiblen Bereich<br />
der Verbrechen gegen Kinder haben Teile der Gesellschaft oder auch teils Kinderschutzorganisationen<br />
<strong>die</strong> Tendenz, dem Strafrecht moralisch-ethische Aufgaben zuschreiben<br />
zu wollen. Diese Tendenz spiegelt sich auch in den zahlreichen parlamentarischen Vorstössen,<br />
<strong>die</strong> zum Ziel haben, <strong>die</strong> Gesetzesgr<strong>und</strong>lage in <strong>die</strong>sem Bereich zu verschärfen 54 .<br />
Wie sieht <strong>die</strong> Polizei <strong>die</strong> aktuelle Gesetzeslage? Im Bereich der Pornografiegesetzgebung<br />
haben <strong>die</strong> zwei Polizeikorps zwei Aspekte angesprochen; <strong>die</strong> fehlende Strafbarkeit des Konsums<br />
<strong>und</strong> gewisse Unsicherheiten bezüglich des Verständnisses von Einfuhr <strong>und</strong> Vertrieb:<br />
Bei den P2P-Netzwerken ist das ja nun inzwischen geklärt, dass das Bereitstellen von eigenen<br />
Dateien dann eben Verbreitung ist 55 . Wir hatten bis jetzt noch nicht gross Fälle, <strong>die</strong><br />
nur auf den Temp-Files Daten hatten. Wir hatten Fälle, <strong>die</strong> hatten 20'000 Dateien in den<br />
Temp-Files, aber es genügt ein Bild aktiv abgespeichert <strong>und</strong> dann hat’s ihn.<br />
Die Problematik, dass Materialien auf den temporary files strafrechtlich nicht als Besitz gelten,<br />
löst sich bei Fällen der Stadtzürcher dadurch, dass <strong>die</strong> Meisten doch Dateien aktiv abgespeichert<br />
haben. Zudem haben es <strong>die</strong> Zürcher, wie wir schon gehört haben, selten mit IT-<br />
Spezialisten unter den Kinderpornografie-Konsumenten zu tun. Die <strong>Bern</strong>erinnen betonen bei<br />
der Gesetzeslage eher <strong>die</strong> Unklarheiten in Bezug auf <strong>die</strong> Definitionen von harter Pornografie<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> mangelnde Einbindung anderer Akteure, wie Provider, bei der Internet-Kriminalität:<br />
Für uns sind politische oder juristische Begründungen manchmal nicht nachvollziehbar.<br />
Zum Beispiel ist bei Art. 197 der Besitz eigentlich strafbar, aber wenn es um Pornografie<br />
mit Ausscheidungen geht, ist der Besitz nicht strafbar. Was sind da <strong>die</strong> Überlegungen dahinter?<br />
Wir können uns das nicht erklären. Was sind da für Entscheidungsfindungen dahinter?<br />
Im Bereich der Gesetzgebung zu sexuellen Handlungen mit Kindern beklagen <strong>die</strong> Stadtzürcher<br />
vor allem <strong>die</strong> richterliche Auslegung:<br />
54 Eine der Übersichten über <strong>die</strong> parlamentarischen Vorstösse der letzten Jahre findet sich auf der Homepage der<br />
Kinderschutzorganisation Marche Blanche. Siehe : http://www.marcheblanche.ch/interventions.php<br />
55 Im Bereich der Rechtssprechung bei den Verdächtigten der Aktion Genesis gibt es hingegen noch Kantone, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong>se Art des Tausches von Kinderpornografie nicht unter dem Aspekt der Verbreitung sahen.
42<br />
Nein, das Gesetz wäre schon gut, aber es wird nicht ausgeschöpft. Die härtere Bestrafung<br />
wäre auch eine Art Prävention. Nicht nur bei der Kinderpornografie, sondern auch bei den<br />
anderen Delikten gegen Kinder. (….) Höher ist sicher besser, aber <strong>die</strong> sollen doch einfach<br />
mal den Rahmen nutzen, den sie zur Verfügung haben. (… ) Wenn nun einer über einen<br />
Chat einen 13-Jährigen abschleppt <strong>und</strong> wenn er dann dafür drei Jahre Kiste riskiert, dann<br />
wirkt das schon anders <strong>und</strong> er überlegt sich das schon noch mal. Das würde Wirkung in<br />
der Gesellschaft signalisieren. Und einige davon würden sicher den Schritt nicht wagen.<br />
Wir denken auch, dass <strong>die</strong> Bevölkerung das gar nicht weiss, wie billig <strong>die</strong> davon kommen<br />
Wir werden im Kapitel zur Rechtssprechung (vgl. Kapitel 6.4.) noch sehen, wie <strong>die</strong> Polizei <strong>die</strong><br />
richterlichen Auslegungen kommentiert. Hier ist wichtig, dass offenbar von Polizeiseite nicht<br />
eine strengere Gesetzeslage gefordert wird. Ein weiteres Thema, das <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Stellen beschäftigt, ist <strong>die</strong> gesetzlich festgelegte Schutzaltersgrenze. Die Kantonspolizei<br />
<strong>Bern</strong> dazu:<br />
Zur Schutzaltergrenze meinen wir, dass man <strong>die</strong> runter auf 14 oder 15 nehmen müsste.<br />
Das ist einfach nicht mehr zeitgemäss. Das geht an der Realität vorbei. Wir sehen mehrere<br />
Fälle mit 14 oder 15-Jährigen, <strong>die</strong> um einiges ältere Partner hatten <strong>und</strong> das fanden wir völlig<br />
daneben, wenn sich das Gesetz da reinmischte. Oder besser, man müsste den gesetzlich<br />
definierten Altersunterschied heraufsetzen. Das würde eine unnötige Kriminalisierung<br />
von ungleich alten, aber einvernehmlichen Paaren vermeiden.<br />
Diese Form der Kriminalisierung wurde von den Stadtzürchern nicht erwähnt. Es ist möglich,<br />
dass Anzeigen in <strong>die</strong>sem Bereich eher in der ländlichen Bevölkerung auftreten.<br />
Die Aussagen der Ermittlungsbehörden zur Gesetzeslage betreffen weniger <strong>die</strong> Mängel bezüglich<br />
der Straftatbestände, denn Lücken in den strafprozessualen Gesetzesgr<strong>und</strong>lagen.<br />
Auf <strong>die</strong>se Lücken kommen wir im Kapitel 6.3. zur Ermittlungstätigkeit zu sprechen. Das Fehlen<br />
der Stimme aus dem Richterstand kommt an <strong>die</strong>ser Stelle schmerzlich zum Ausdruck, da<br />
einen Gegenüberstellung zur polizeilichen Sicht der Dinge an <strong>die</strong>ser Stelle sehr interessant<br />
wäre.<br />
<strong>Der</strong> Gesprächspartner aus der forensischen Begutachtung hat zur Gesetzesgr<strong>und</strong>lage bezüglich<br />
der Straftatbestände keine Aussagen gemacht. Hingegen ist bei der forensischen<br />
Begutachtung wichtig, welche Formen von sexuellen Orientierungen überhaupt vom Gesetz<br />
erfasst werden <strong>und</strong> welche nicht. Zudem geht es um <strong>die</strong> Frage, ob eine pädosexuelle Orientierung<br />
Krankheitswert hat oder ob es sich, wie oben ausgeführt, um eine einstellungsgetragene<br />
Angelegenheit handelt:<br />
In der Forensik hat man es ja ständig mit Schuld zu tun. Es stellt sich ja immer <strong>die</strong> Fähigkeitsfrage.<br />
Und in dem Moment, wo sie es mit einer Diagnose zu tun haben, kommt ja sofort<br />
der Krankheitsstatus ins Spiel <strong>und</strong> das heisst natürlich auch, dass man sich da alles<br />
erlauben kann. Das ist das Problem. Nach den gesellschaftlichen Normen sind sie dann<br />
exkulpiert. Das hindert auch das Problembewusstsein. Wenn sie den Gewohnheitspädophilen<br />
zum Kranken erklären, dann können sie ihn auch nicht verurteilen. (…)<br />
Diagnosen gibt es ja jede Menge, wir müssen da unterscheiden zwischen den forensisch<br />
relevanten Diagnosen. Pädophilie kann ich ja unter dem ICD-10 finden mit den ganzen Untergruppen.<br />
Den Status, den man mit einer Diagnose bekommt, ist von der Schuldfrage<br />
noch weit entfernt.<br />
In der Praxis wird das sehr doppelbödig diskutiert. Auf der einen Seite heisst es, <strong>die</strong> sind<br />
krank, <strong>die</strong> müssen in den Knast <strong>und</strong> zwar für immer <strong>und</strong> Schlüssel wegschmeissen <strong>und</strong> so<br />
<strong>und</strong> auf der anderen Seite ist das eben ein Widerspruch. Denn wenn einer krank ist, gehört<br />
er nicht in den Knast. (…)<br />
Ich meine auch, dass <strong>die</strong> Jurisprudenz das auch so sieht (dass zum Beispiel Homosexualität<br />
eine Einstellungsfrage ist). Und folgerichtig wurde das aus dem Strafgesetzbuch<br />
rausgenommen, solange es eben nicht auf Kosten anderer geht. Bei der Pädophilie ist das<br />
eben ausserordentlich problematisch <strong>und</strong> deshalb ist es auch verboten. Richtig ist, dass
43<br />
Pädophilie 56 (im StGB) auftaucht, weil es eben keine Krankheit ist <strong>und</strong> man deswegen<br />
nicht exkulpiert wird.<br />
Man kann ja sonst machen was man will, wenn beide einverstanden sind <strong>und</strong> beim Kind<br />
geht man eben nicht davon aus.<br />
Diese Gesprächspassagen beleuchten <strong>die</strong> Problematik der Begutachtung zwischen der<br />
Schuldfrage <strong>und</strong> der Krankheitsbeurteilung. Forensische Begutachtung bewegt sich vom<br />
Auftrag her per Definition in <strong>die</strong>sem Spannungsfeld. Im gesamtgesellschaftlichen Diskurs<br />
kommt <strong>die</strong>ses Spannungsfeld gerade bei der Pädophilie auch immer wieder zum Ausdruck.<br />
Einerseits werden pädosexuelle Täter als krank beurteilt, anderseits verlangt man hohe Gefängnisstrafen.<br />
Wie oben ausgeführt, reicht aber eine Diagnose alleine nicht aus, um Jemandem<br />
<strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit abzusprechen. Auch unter <strong>Pädosexuelle</strong>n findet man natürlich<br />
Fälle, bei denen der Hang oder der Kontrollverlust ein Thema ist (siehe Exkurs II) <strong>und</strong><br />
denen man demzufolge zu Recht eine Massnahme ausspricht. Hier ist aber relevant, dass im<br />
Gesetz sexuelle Handlungen mit Kindern verboten sind, unabhängig von Diagnosen oder<br />
spezifischen Motiven. Es ist Aufgabe des forensischen Gutachters, in jedem Einzelfall <strong>die</strong><br />
Zurechnungsfähigkeit zu klären, wie bei anderen Delikttypen auch.<br />
Die Aussagen des Psychiaters streifen drei Themen mit Bezug zur Gesetzeslage. Zum einen<br />
den fehlenden Straftatbestand des Konsums von Kinderpornografie:<br />
Zur rechtlichen Situation, dass nur der aktive Download <strong>und</strong> nicht das Konsumieren, auch<br />
wenn bezahlt wurde, strafbar ist, finde ich eine "grosszügige" Regelung, <strong>die</strong> dem ges<strong>und</strong>en<br />
Menschenverstand widerspricht <strong>und</strong> eher der <strong>Strafverfolgung</strong>s-Logik entspricht. Unter dem<br />
psychiatrischen Aspekt sollten <strong>Pädosexuelle</strong> mit dem Angebot auf dem Internet nicht konfrontiert<br />
werden, auch wegen dem Suchtaspekt.<br />
<strong>Der</strong> Suchtaspekt bei Kinderpornografiekonsumenten wird separat behandelt werden (siehe<br />
Exkurs II). Interessant ist beim obigen Zitat das angesprochene Zusammentreffen von verschiedenen<br />
„Logiken“. Eine Gesetzesbestimmung alleine kann einem gesellschaftlich sanktionierten<br />
Handeln nicht entgegentreten. Die meisten Menschen würden es wohl verurteilen,<br />
dass eine Person Kinderpornografie konsumiert, ob sie das Material nun herunterlädt oder<br />
nicht. Es ist moralisch-ethisch verwerflich <strong>und</strong> der Unterschied von Konsum <strong>und</strong> Besitz ist für<br />
nicht-JuristInnen schwer verständlich. Aus psychiatrischer Sicht ist <strong>die</strong> Gesetzeslage nicht<br />
befriedigend, weil Psychiater <strong>die</strong> Suchtdynamik in <strong>die</strong>sem Deliktsbereich kennen <strong>und</strong> wissen,<br />
wie sich das auf eine Deliktskarriere auswirken kann. Wie aber der Interviewpartner selbst<br />
betont, kann <strong>und</strong> muss das Strafrecht nicht für alle möglichen Gefahren zuständig sein:<br />
Natürlich gibt es unter den angenommenen 20 Prozent 57 mit pädosexuellen Fantasien einen<br />
kleinen Prozentsatz von ein oder zwei Prozent, <strong>die</strong> vor nichts zurückschrecken <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
sich nicht von Gesetzen abhalten lassen, aber für <strong>die</strong>se ist das Gesetz auch nicht gemacht.<br />
Aber der Grossteil <strong>die</strong>ser 20 Prozent würde sich vom Gesetz beeindrucken lassen<br />
<strong>und</strong> bei <strong>die</strong>sen sind polizeiliche Aktionen wohl ein Schuss vor den Bug.<br />
Die dritte Aussage bezieht sich auf <strong>die</strong> Schutzaltergrenze, <strong>die</strong> aus der psychiatrischen Optik<br />
diskutierbar, aber im Gr<strong>und</strong>satz unerlässlich ist:<br />
Aus der Optik der Sexualentwicklung beginnt <strong>die</strong> Sexualität zwar bei Geburt, aber <strong>die</strong> Sexualität<br />
unterliegt eine Stufenentwicklung. Es ist absurd, aus der Erwachsenenperspektive<br />
<strong>die</strong> kindliche Sexualentwicklung forcieren zu wollen. In <strong>die</strong>sem Sinne ist <strong>die</strong> rechtliche Forderung<br />
des Schutzalters berechtigt. Es ist aber natürlich auch so, dass Jugendliche unterschiedlichen<br />
Reifeprozessen unterliegen. Und für einige ist <strong>die</strong> Schutzaltergrenze schon<br />
ein wenig hoch gegriffen. Dann gibt es aber noch einen anderen Aspekt; wenn Kinder in<br />
ihrer sexuellen Entwicklung von einem Erwachsenen forciert wurden, kann es sein, dass<br />
das Kind auf eine sexualisierte Form auf Erwachsene reagiert. Das wird dann von <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
so interpretiert, als ob <strong>die</strong>se Kinder von sich aus den sexuellen Dialog suchen<br />
56 Gemeint ist hier, dass sexuelle Handlungen mit Kindern verboten sind, nicht <strong>die</strong> Tatsache, dass jemand sich zu<br />
einer pädophilen oder pädosexuellen Orientierung bekennt. Die Interpellation des Parlamentariers Oskar Freysinger<br />
wollte <strong>die</strong> offene „Werbung“ für Pädophilie auf dem Internet verbieten lassen. Auch bei <strong>die</strong>sem Thema gilt<br />
aber <strong>die</strong> Meinungsfreiheit. Siehe unter:<br />
http://www.parlament.ch/afs/data/d/gesch/2004/d%5Fgesch%5F20043029.htm<br />
57 Dr. Knecht bezieht sich auf <strong>die</strong> bereits in Kapitel 3.1. diskutierte Untersuchung von Briere & Runtz (1998)
44<br />
würden. Dass <strong>die</strong>se Frühsexualisierung bereits eine Reaktion auf eine forcierte Sexualität<br />
ist, wird ignoriert. Diese Kinder können auf eine fast abstossende Art sexuelle Zeichen<br />
senden, das ist aber ein Ausdruck von der Suche nach Selbstbestätigung, <strong>die</strong> sie nur in<br />
der Art von der Erwachsenenwelt erfahren haben. Von <strong>Pädosexuelle</strong>n wird das grob fehl<br />
interpretiert.<br />
Auch <strong>die</strong> psychotherapeutische Sicht betont den Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutz:<br />
Ich halte es für wichtig, dass es ein Straftatbestand ist <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sache auch evident bleibt.<br />
Da muss <strong>die</strong> Gesellschaft schon regelnd eingreifen. Man kann nicht einfach sagen, wir<br />
setzen unsere Kinder allem aus. Denn <strong>die</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschädigung ist eine Tatsache. Das<br />
ist nicht immer gleich, einige überstehen das ganz gut <strong>und</strong> brauchen wenig Hilfe. Auch<br />
nicht jeder sexuelle Übergriff ist so ein einschneidendes Ereignis. Das ist dann eher ein<br />
Problem der Opferhilfe heute, dass sie aus allem eine Riesensache machen muss. Man<br />
kann da nicht adäquat auf den Menschen eingehen <strong>und</strong> seine eigene Aktivitäten bei den<br />
Handlungen einbeziehen. Aber gr<strong>und</strong>sätzlich müssen Jugendliche schon geschützt sein.<br />
Sie können nicht alles selbst entscheiden. Sie können in Situationen geraten, in denen sie<br />
nicht abschätzen können, was mit ihnen passiert. Danach sind sie in einem Wulst von Irritationen,<br />
<strong>die</strong> ungünstig sind. Nicht immer gleich stark, aber verboten sein muss es.<br />
Diese gr<strong>und</strong>sätzlichen Überlegungen zur Strafbarkeit von sexuellen Handlungen mit Minderjährigen<br />
werden auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse ausgeweitet:<br />
Es gibt ja nur noch ganz wenige Bereiche, <strong>die</strong> man nicht legal konsumieren kann. Sei es,<br />
dass das Illegale dann noch an Attraktivität gewinnt oder dass man vergisst, dass es noch<br />
etwas Illegales gibt. Das ist wie wenn <strong>die</strong> ganze Schweiz überall Hanfläden aufmacht <strong>und</strong><br />
offiziell ist Cannabis verboten. Das ist der Jugend meist nicht klar, <strong>und</strong> da kann man nicht<br />
sagen, das Verbotene sei noch der grosse Kitzel. Die begreifen gar nicht, dass das verboten<br />
ist <strong>und</strong> sind entsetzt, wenn da ein Polizist kommt. Die sagen dann, der Polizist komme<br />
da nicht draus. Da haben wir eine Verwirrung geschaffen. Ein ähnliches Phänomen findet<br />
man im sexuellen Bereich. Wenn man alles zulässt, auch mit den Publikationen <strong>und</strong> Sexanzeigen,<br />
<strong>die</strong> Zeitungen sind da voll davon. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, ist sicher<br />
nicht mehr so stark wie früher.<br />
Diese letzte Bemerkung bezieht sich eher auf den Pornografie-Artikel. Wie <strong>die</strong> <strong>Bern</strong>er Polizistinnen<br />
schon angedeutet haben, ist <strong>die</strong> strafrechtliche Definition von illegalen Inhalten teils<br />
verwirrlich. Auch bei der Kinderpornografie, wo <strong>die</strong> Grauzone mit Jugendlichen an der<br />
Schutzaltergrenze ein ermittlungstechnisches, richterliches <strong>und</strong> nicht zuletzt ein moralisches<br />
Problem darstellt, drängt sich der Bezug zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen auf. Jugendlichkeitswahn,<br />
Käuflichkeit von allem <strong>und</strong> Jedem <strong>und</strong> Sexualisierungen im Alltagsbereich<br />
sind nur Stichworte, <strong>die</strong> auch in <strong>die</strong>ser Thematik an- <strong>und</strong> ausgeführt werden müssen.<br />
Zusammenfassend sind im Kapitel zur Gesetzgebung folgende Themen <strong>und</strong> Problempunkte<br />
angesprochen worden:<br />
• Im Bereich des Pornografieartikels kann für <strong>die</strong> Polizei <strong>und</strong> auch für <strong>die</strong> gesellschaftliche<br />
Wahrnehmung <strong>die</strong> Vermischung von verschiedenen illegalen Materialien<br />
verwirrlich sein <strong>und</strong> ermittlungstechnische Schwierigkeiten mit sich bringen;<br />
• Die Unterscheidung zwischen Konsum <strong>und</strong> Besitz von Kinderpornografie ist juristisch<br />
<strong>und</strong> von der Polizeipraxis aus gesehen korrekt. In Hinsicht auf <strong>die</strong> rasanten technischen<br />
Entwicklungen <strong>und</strong> gewisse Unklarheiten, was <strong>die</strong> technischen Möglichkeiten<br />
anbelangt (Temp Files, elektronische Einfuhr, etc.), wird sich aber noch Klärungsbedarf<br />
abzeichnen;<br />
• Vor allem aus Polizeisicht ist <strong>die</strong> Gesetzeslage im Bereich der sexuellen Handlungen<br />
mit Minderjährigen kein vorherrschendes Problem, <strong>die</strong> Ausschöpfung des Strafmasses<br />
hingegen schon;<br />
• Die Gesetzeslage für <strong>die</strong> polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten im Bereich der Pädosexualität<br />
wird von den RepräsentantInnen der Ermittlungsbehörden als mangelhaft<br />
betrachtet, was aber auch in anderen Delikts- <strong>und</strong> Ermittlungsbereichen der Fall sein<br />
wird;
45<br />
• Die gutachterliche Optik beschäftigt sich mit der ihr eigenen Problematik der Abhebung<br />
zwischen Schuld <strong>und</strong> Krankheit, <strong>die</strong> sich, gerade bei pädosexuellen Delikten,<br />
auch im gesellschaftlichen Diskurs als Knack- <strong>und</strong> Diskussionspunkt herausstellt;<br />
• <strong>Der</strong> Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutz wird mit je anderen Schwerpunkten von allen Seiten<br />
thematisiert. Die Schutzaltersgrenze muss auch bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen<br />
diskutiert werden.<br />
Wie vorgewarnt, ist das Kapitel zur Gesetzeslage sehr heterogen, <strong>und</strong> eventuell vermisst <strong>die</strong><br />
geneigte Leserin auch den roten Faden. Das liegt teils in der Natur der Sache, da <strong>die</strong> Gesetzeslage<br />
im Bereich der Pädosexualität verschiedene Straftatbestände beinhaltet <strong>und</strong> <strong>die</strong> Beteiligten<br />
am <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess sehr unterschiedliche Gebiete angesprochen haben.<br />
Zum anderen ist <strong>die</strong> Thematik der Gesetzeslage <strong>und</strong> –gebung von der Interviewerin auch<br />
nicht prioritär <strong>und</strong> uneinheitlich angesprochen worden. Einer der sicher kompetentesten<br />
Funktionsträger zu <strong>die</strong>sem Teil im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess wäre sicher der Richter beziehungsweise<br />
<strong>die</strong> Richterin. Vielleicht hätte <strong>die</strong>se Stimme dem Kapitel mehr Substanz verleihen<br />
können.<br />
Beim nächsten Kapitel zur polizeilichen Ermittlung verfügen wir hingegen wieder über qualifizierte<br />
FunktionsträgerInnen <strong>und</strong> allfällige Verwirrungen müssen von der Verfasserin vollumfänglich<br />
auf <strong>die</strong> eigene Kappe genommen werden.<br />
6.3. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der polizeilichen Ermittlung<br />
Die eigentliche Ermittlungsarbeit in den Polizeikorps ist abhängig von der Gesetzeslage <strong>und</strong><br />
den polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten. Hierbei ist <strong>die</strong> Gesetzesgr<strong>und</strong>lage in allen Kantonen<br />
<strong>die</strong>selbe. Die Polizeikorps sind aber in ihrer Arbeit (vgl. Kapitel 6.1.) mit unterschiedlichen<br />
Deliktskategorien respektive Täterschaften konfrontiert. Zudem sind <strong>die</strong> Polizeien in der<br />
Schweiz teils sehr unterschiedlich organisiert, ausgerüstet <strong>und</strong> setzen auch unterschiedliche<br />
Prioritäten bei der Ermittlung. Sei <strong>die</strong>s infolge einer Konzentration der Ordnungskräfte auf<br />
bestimmte Deliktsbereiche allgemein, sei <strong>die</strong>s innerhalb verschiedener Deliktsbereiche, in<br />
<strong>die</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> involviert sind.<br />
Vor allem von Ermittlungsaktionen im Bereich Kinderpornografie hört man aus praktisch allen<br />
Polizeikorps, dass Aufwand <strong>und</strong> Ertrag in einem Missverhältnis stünden. Sie meinen damit,<br />
dass sie vor allem bei den Hausdurchsuchungen <strong>und</strong> Materialauswertungen zeitlich, aber<br />
auch psychisch viel Energie aufwenden müssen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Urteile relativ milde ausfallen.<br />
Aus juristischer Sicht wird <strong>die</strong>se Klage folgendermassen kommentiert:<br />
Diese Aussage dürfte auch in anderen Bereichen des Strafrechts fallen <strong>und</strong> ist nicht typisch<br />
für <strong>die</strong> Bekämpfung der Kinderpornografie allein. Denken Sie z.B. an <strong>die</strong> Bekämpfung<br />
der Drogenkriminalität, der Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrsdelikte.<br />
Zum Teil mag es (<strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>die</strong> Urteile so milde ausfallen) tatsächlich daran liegen,<br />
dass <strong>die</strong> Dossiers zu wenig gut aufgearbeitet sind – <strong>und</strong> natürlich kann es vorkommen,<br />
dass gute Ermittlungsergebnisse auf fehlendes Spezialwissen der Richter stösst.<br />
Schliesslich führt unser föderales <strong>Strafverfolgung</strong>ssystem dazu, dass das Strafmass regional<br />
sehr verschieden ausfallen kann. Wie gesagt, <strong>die</strong>s ist meines Erachtens kein besonderes<br />
Problem nur bei der Bekämpfung der Kinderpornografie.<br />
Die Polizei sieht das - wie gesagt - ein wenig anders, ob <strong>die</strong> Ermittelnden aus anderen Deliktsbereichen<br />
mit denselben Problemen kämpfen, können wir hier nicht beurteilen oder bestätigen.<br />
Die Stadtzürcher Polizei hat aber in der Ermittlung noch mit anderen, aus ihrer Sicht ungünstigen,<br />
Rahmenbedingungen zu tun. Auf <strong>die</strong> Frage, ob sie nach Festnahmen bei einem Kinderpornografie-Delikt<br />
auch Folgeermittlungen unternehmen würden, um eventuelle weitere<br />
Kontakte, d.h. weitere potentielle Delinquenten zu finden:
46<br />
So genau nicht, nein. Wenn wir einen PC haben, dann wird <strong>die</strong> Festplatte gespiegelt <strong>und</strong><br />
dann gehen wir mit dem Encase 58 rein. Und wenn wir sehen, dass er Tausende von Bildern<br />
hat, dann gehen wir vertieft rein. Wir schauen dann schon, ob er Adressen gespeichert<br />
hat. Da haben wir aber wieder das Problem, dass wir für eine Abklärung der Email-<br />
Adressen wieder eine Verfügung des Untersuchungsrichters brauchen <strong>und</strong> eine Email-<br />
Abklärung beim UVEK kostet 250.- Franken. Da brauchen wir dann schon eine starke Verdachtslage,<br />
da muss dann schon mehr dran sein, dass uns der UR eine Verfügung gibt.<br />
Wir hatten nun eine zeitlang <strong>die</strong> Situation, dass wir Abklärungen wollten <strong>und</strong> es hiess, dass<br />
das nicht mehr geht <strong>und</strong> dass wir wegen dem Finanziellen besser hätten belegen müssen.<br />
Da muss der UR abwägen. Sonst wird er einfach auf den Art. 197(hier: Besitz von illegaler<br />
Pornografie) gehen. Auch für Email-Kontrollen, das wird vom UR nicht bewilligt, da muss<br />
der Verdacht extrem sein, meist reicht das nicht. Ist ja noch nicht wirklich etwas passiert.<br />
Was aus einer Laienperspektive befremdlich anmutet, nämlich dass aus Kostengründen auf<br />
Folgeermittlungen verzichtet werden muss, ist im Polizeialltag gang <strong>und</strong> gäbe. Wenn sich<br />
auch in der Schweiz <strong>die</strong> Erkenntnis durchsetzt, dass Missbraucher unter Kinderpornografie-<br />
Konsumenten keine Seltenheit sind, werden sich <strong>die</strong> Prioritäten eventuell verschieben. Aktuell<br />
kann man jedoch davon ausgehen, dass <strong>die</strong>se Haltung auch für andere Kantone mehr<br />
oder weniger repräsentativ ist.<br />
Die andere ungünstige Rahmenbedingung ist <strong>die</strong> Gesetzesgr<strong>und</strong>lage im Bereich der verdeckten<br />
Ermittlungen. Auf <strong>die</strong> Frage (siehe auch Kapitel 6.1.) nach Ermittlungen im Bereich<br />
von pädosexuellen Ringen oder der Oberschichtspädophilie:<br />
Wir denken, dass da einiges abläuft, das an der Polizei vorbei geht, da haben wir keine<br />
Ahnung davon. Da müssten wir an <strong>und</strong> für sich Leute speziell dafür abbestellen <strong>und</strong> wir<br />
müssten ein aktives Monitoring betreiben. Das müsste aber auch gesetzlich getragen sein.<br />
Die verdeckte Ermittlung ist schon in Ordnung, aber wir können nichts anbieten. Und auch<br />
bei den Chats, wenn wir uns als Minderjährige ausgeben, dann muss der UR beim Präsidenten<br />
der Anklagekammer einen Antrag stellen <strong>und</strong> der wird dann meist personell für einen<br />
Monat oder höchstens zwei bewilligt <strong>und</strong> alle Erkenntnisse müssen sofort dem UR<br />
gemeldet werden. Das ist sehr restriktiv das alles. Aber bei den Gruppen geht das nicht,<br />
weil da muss man was anbieten. Da muss man 50 Bilder anbieten, dass man 5 bekommt<br />
<strong>und</strong> dann heisst es, das sei alte Ware.<br />
Auch <strong>die</strong> Kantonspolizei <strong>Bern</strong> hat ihre Probleme mit der verdeckten Ermittlung:<br />
Wir haben vor ein paar Jahren auch ermittlungstechnisch <strong>die</strong> Idee gehabt, eine Legende<br />
zu erfinden, <strong>die</strong> dann auf dem Netz Kinderpornografie kauft mit einer Kreditkarte. Aber das<br />
geht halt nicht mit der aktuellen Gesetzeslage.<br />
Wenn <strong>die</strong> Polizeikorps in Chats oder in Newsgroups ermitteln wollen, dürfen sie auf keinen<br />
Fall strafbare Handlungen begehen, wie das in gewissen anderen Ländern (beispielsweise in<br />
den USA) möglich ist. Um in geschlossene Gruppierungen hinein zu kommen, muss man,<br />
wie schon ausgeführt, in aller Regel selbst illegales Material anbieten 59 . Das ist in der<br />
Schweiz auch in Zukunft, ausgeschlossen. Von anderen Kantonspolizeien ist bekannt (z.B.<br />
Kanton Waadt), dass sie in geschlossene Gruppierungen hinein kamen, indem sie bei Vernehmungen<br />
von <strong>Pädosexuelle</strong>n deren Passwörter bekommen haben <strong>und</strong> so unter deren<br />
Identität auf dem Internet aktiv werden konnten, ohne sich strafbar zu machen. Das setzt<br />
aber (erfolgreiche) Verhörtechniken oder auch einfach kooperative Verdächtigte voraus, denen<br />
zum Beispiel <strong>die</strong> Stadtzürcher noch nicht begegnet sind:<br />
Wir müssten mehr machen, aber da müssten wir aktiv ein Monitoring betreiben <strong>und</strong> dafür<br />
fehlen uns Zeit <strong>und</strong> Leute. Wenn wir natürlich einen hätten, der uns über sein Passwort<br />
Zugang verschafft, dann wären wir sofort dabei.<br />
Die <strong>Bern</strong>er Polizistinnen betonen <strong>die</strong> mangelnden Ressourcen auch, wobei sie intern für Ermittlungen<br />
von Sittlichkeitsverbrechen aus ihrer Sicht nicht ideal organisiert sind:<br />
58<br />
Spezielle Software, <strong>die</strong> illegale Pornografie erkennt.<br />
59<br />
Aus gr<strong>und</strong>sätzlichen Überlegungen zur Rechtsstaatlichkeit ist das auch begrüssenswert, auch wenn es im konkreten<br />
Bereich helfen würde, Kinder zu schützen.
47<br />
Aber eben, es ist generell auch eine Frage der Ressourcen, wir können mit Müh <strong>und</strong> Not<br />
<strong>die</strong> Fälle bearbeiten, <strong>die</strong> bei uns angezeigt werden. Da mal in einen Fall richtig reingehen,<br />
mit Telefonkontrollen <strong>und</strong> so, da haben wir einfach keine Zeit. Wir haben auch keine spezielle<br />
Abteilung. Von uns aus wäre es dringend nötig, dass wir ein Sittendezernat hätten.<br />
Die Polizei ist bei ihren Ermittlungen, sei es bei den Anzeigen oder auch bei den laufenden<br />
Ermittlungen, immer auch auf <strong>die</strong> Bevölkerung <strong>und</strong> andere Behörden angewiesen. Die<br />
Stadtzürcher <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Bern</strong>er schildern dazu verschiedene Probleme, aber beide erwähnen<br />
kritische Stellen. Die Stadtzürcher berichten, dass ihre Anzeigen, neben den Meldungen von<br />
KOBIK, von Opferhilfestellen, Spitälern oder Sozial<strong>die</strong>nsten stammen. Dabei handle es sich<br />
meist um Verdächtigte aus dem sozialen Nahraum. Bei <strong>die</strong>sen Deliktskonstellationen sind<br />
sie mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert, hier mit einem spezifisch kantonalen<br />
Problem mit den Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörden. Auf <strong>die</strong> Frage, ob bei innerfamiliären Anzeigen,<br />
wo Aussage gegen Aussage steht, den vermeintlichen Tätern mehr Glauben geschenkt werde:<br />
Nein, also wenn das Kind aussagt, dann geht meist auch was. Aber wir haben das Problem<br />
bei innerfamiliären Fällen, dass <strong>die</strong> Mutter auch irgendwie dabei ist <strong>und</strong> dann wird dem<br />
Kind ein Prozessbeistand gestellt, der <strong>die</strong> Kindesinteressen wahrnimmt. Und in den Fällen<br />
mit dem Prozessbeistand haben wir in vielen Fällen gesehen, dass das Kind nach dem<br />
Kontakt mit dem Prozessbeistand nicht mehr gegen den Täter aussagt, dann wird vom<br />
Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht <strong>und</strong> das Kind sagt nichts mehr. Man sagt,<br />
das sei besser für das Kind, wenn es wieder in <strong>die</strong> Familie zurückgeht, als dass es einen<br />
Prozess durchmachen muss. Dann ist der Fall für uns gestorben. Und das Störende ist,<br />
dass <strong>die</strong>s von einer Person abhängig ist. (…) Sie sagen, dass sie im Interesse des Kindes<br />
handeln. Sie wollen das familiäre Netz nicht zerstören. Es ist schlimmer, einen Missbrauch<br />
zu erleben, als <strong>die</strong> Familie zu zerstören. Sie sagen natürlich, dass auch wenn das Kind für<br />
eine gewisse Zeit herausgenommen werden kann, es dann früher oder später doch wieder<br />
in <strong>die</strong> Familie muss. Sie sagen, <strong>die</strong> Kinder müssen sonst Repressionen erleiden oder der<br />
Vater muss ins Gefängnis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie ist kaputt. Das ist für uns der Horror, wir wissen,<br />
dass wir das Kind in <strong>die</strong> Hölle zurück schicken müssen. Wir können uns noch so sicher<br />
sein, wenn das Kind nichts sagt, können wir nichts machen.<br />
Wie verbreitet solche Probleme auch in anderen Kantonen sind, wissen wir nicht. Das Beispiel<br />
zeigt aber, dass im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess viele Behörden <strong>und</strong> andere Akteure involviert<br />
sind <strong>und</strong> <strong>die</strong> Vorstellungen vom Kindswohl sehr unterschiedlich sein können, was möglicherweise<br />
hinderlich für <strong>die</strong> Ermittlungsarbeit ist. Ein Ermittler der Stadtzürcher Polizei<br />
bringt <strong>die</strong>s auf den Punkt:<br />
Zudem müsste man bei allen involvierten Stellen eine verantwortliche Stelle bezeichnen<br />
können. Da weiss zum Teil <strong>die</strong> eine Hand nicht, was <strong>die</strong> andere macht. Eine Stelle muss<br />
<strong>die</strong> Übersicht haben <strong>und</strong> jemand muss <strong>die</strong> Verantwortung haben. Wie auch <strong>die</strong> Geschichte<br />
mit dem Prozessbeistand.<br />
Wir hatten einmal einen Jungen von 9 oder 10 Jahren hier, der war schon völlig kaputt.<br />
Nicht mehr ansprechbar. Seit seinem 6. Altersjahr ging das, <strong>die</strong> erste Meldung kam vom<br />
Hort, <strong>die</strong> 2. vom Kindergarten, <strong>die</strong> 3. von der Primarschullehrerin <strong>und</strong> <strong>die</strong> 4. von der Sozialarbeiterin,<br />
aber der nächste Lehrer hat dann erst Anzeige erstattet. <strong>Der</strong> Junge war so<br />
schlimm schon zugerichtet, dass man nicht mehr mit ihm reden konnte. Da hat <strong>die</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde<br />
wenigstens gesagt, dass der nicht mehr zum Vater dürfe, der ihn so<br />
extrem missbrauchte. Sie sagten zwar, dass der Junge dann in ein Heim müsse, aber der<br />
Vater hat sich aufgelehnt gegen den Entscheid <strong>und</strong> nachher sind sie nach Südamerika abgehauen.<br />
Es ist wichtig <strong>und</strong> richtig, dass Behörden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bevölkerung in Sachen Kindsmissbrauch<br />
aufmerksam sind <strong>und</strong> sich <strong>die</strong> soziale Umgebung verantwortlich fühlt, aber offenbar ist viel<br />
Aufmerksamkeit auch heikel, wenn sich niemand mehr alleinig verantwortlich fühlt. <strong>Der</strong> Ball<br />
wird eventuell von einer Stelle zur anderen gespielt <strong>und</strong> es wird zu spät etwas unternommen.<br />
Dieser Frage nachzugehen, wäre aber eine eigene Arbeit wert.<br />
Die Kantonspolizei <strong>Bern</strong> hat keine Schwierigkeiten mit Kinderschutzorganisationen oder anderen<br />
Behörden. Die Polizistinnen schildern im Gegenteil kooperative <strong>und</strong> professionelle
48<br />
Partner bei Verfahren. Sie sprechen aber ein Thema an, bei dem nicht von zu viel, sondern<br />
eher von zuwenig echter Aufmerksamkeit ausgegangen wird:<br />
(…) dann macht man Kindertagesstätten, damit <strong>die</strong> Kinder nicht unbeaufsichtigt sind <strong>und</strong><br />
gerade da läuft so einiges. Da hören wir viel. Das ist schon verrückt, da macht man extra<br />
was für <strong>die</strong> Kinder <strong>und</strong> da passiert dann was. Dasselbe gilt für Sportvereine oder ähnliches.<br />
Das ist ganz schwierig. Und es geht ja auch nicht, dass man da nur Frauen anstellt.<br />
Das hat dann wieder andere negativen Auswirkungen. Man kann es nie ganz recht machen.<br />
(…)<br />
Soziale Kontrolle ist ganz wichtig <strong>und</strong> das muss man auch stark einsetzen. Aber zum Beispiel<br />
in Sportvereinen, wo es so schwierig ist, Freiwillige zu finden <strong>und</strong> Pädophile es eben<br />
wirklich auch sehr gut können mit Kindern, da drückt dann <strong>die</strong> Umgebung noch gerne beide<br />
Augen zu. Das sehen wir immer wieder.<br />
Eine ganz besondere Thematik, <strong>die</strong> auch in der Presse immer wieder zur Sprache kommt, ist<br />
der Missbrauch mit dem Missbrauch. Die <strong>Bern</strong>erinnen haben auch Erfahrungen in <strong>die</strong>sem<br />
heiklen Bereich:<br />
Wir haben noch viele Fälle, bei denen der Vater des Missbrauchs angeklagt wird im Rahmen<br />
einer Scheidungssituation. (…) Wir haben schon gehört, dass ein Scheidungsanwalt<br />
ein schlechter Anwalt sei, wenn er nicht den Kindsmissbrauch noch im Köcher habe. Das<br />
ist das eine, aber das andere ist eben auch, dass es durchaus sein kann <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte<br />
dann wirklich bei der Scheidungssituation ans Licht kommt. Das ist schon schwierig<br />
auseinander zu halten. Wir arbeiten ja hier in <strong>Bern</strong> eng mit Beratungsstellen zusammen<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> empfehlen zum Teil schon, keine Anzeige wegen Kindsmissbrauch in Scheidungssituationen<br />
zu machen (sondern erst später), eben weil es eben schwierig ist. Das sind<br />
aber wirklich gute Beratungsstellen, <strong>die</strong> sind schon verantwortungsbewusst.<br />
Wie schon erwähnt sind <strong>die</strong> Scheidungsfälle heikel, da muss man genau schauen, aber wir<br />
haben auch <strong>die</strong> Fälle, wo pubertierende Mädchen falsche Anschuldigungen machen. Die<br />
Motive sind unterschiedlich <strong>und</strong> <strong>die</strong> angeblichen Täter können auch unterschiedlich sein,<br />
das kann vom eigenen Vater bis zu Fremden gehen.<br />
Gerade bei solchen Konstellationen ist es wichtig, dass man es mit verantwortungsbewussten<br />
<strong>und</strong> professionellen Behörden <strong>und</strong> Kinderschutzorganisationen zu tun hat.<br />
Falschanschuldigungen in <strong>die</strong>sem Bereich können für <strong>die</strong> Betroffenen höchst problematisch<br />
sein. Missbrauchten Kindern nicht zu glauben, natürlich auch. Beim Thema Begutachtung<br />
(siehe Kapitel 6.5.) werden wir zu <strong>die</strong>ser Thematik noch mehr zu hören bekommen.<br />
Zum Schluss lassen wir den Juristen <strong>und</strong> Leiter KOBIK nochmals zu Wort kommen. Neben<br />
der kantonalen Ermittlung <strong>und</strong> der Koordination auf B<strong>und</strong>esebene (B<strong>und</strong>eskriminalpolizei)<br />
von internationalen Verfahren bei Kinderpornografiedelikten, ist KOBIK eine neue, komplementäre<br />
Einrichtung auf B<strong>und</strong>esebene, <strong>die</strong> bei der Ermittlung von pädosexuellen Delikten<br />
(über das Internet) ergänzende Dienstleistungen erbringt. KOBIK hat im ersten Betriebsjahr<br />
eine erfolgreiche Bilanz präsentieren können. Den teils von den Kantonen oder von Kinderschutzorganisationen<br />
geäusserten Vorwürfe, <strong>die</strong> mit „nur“ acht Personen dotierte Meldestelle<br />
sei zu wenig effizient, beziehungsweise man hätte das Monitoring eher bei den Kantonen<br />
aufstocken sollen, begegnet der Leiter KOBIK folgendermassen:<br />
<strong>Der</strong> Tatbeweis ist erbracht, dass es eben anders auch geht. Das erste Betriebsjahr von<br />
KOBIK ist auch im internationalen Vergleich eine Erfolgsgeschichte. Bei einem gewichteten<br />
Vergleich zeigt sich, dass wir mit 4-mal weniger Ressourcen, 5-mal mehr Verdachtsfälle<br />
im Inland aufzeigen konnten. Vergleiche mit dem Ausland sind oft rein politisch motiviert<br />
(es macht sich gut 50 Leute zu fordern) <strong>und</strong> lassen ausser Acht, dass <strong>die</strong> Schweiz einen<br />
sehr innovativen Weg geht 60 . So beschränken sich unsere Mitarbeiter auf ihre präventiven<br />
Arbeiten – sie müssen keine Ermittlungen führen (wie etwa in Bayern). Wir setzen im hochtechnischen<br />
Umfeld des Internets auch konsequent auf Nutzung technischer Werkzeuge.<br />
Zeitintensive, wiederkehrende Routinearbeiten erledigt weitgehend unser Informationssystem.<br />
Zudem haben wir nicht „nur“ Polizisten angestellt, sondern auch Informatiker, Sicherheitsleute,<br />
Journalisten, Juristen usw. Wir konzentrieren uns weiter auf <strong>die</strong> Schweiz-<br />
60 Vgl. auch Kriminalistik 6 / 2004
49<br />
relevanten Fälle. Schliesslich nutzen wir konsequent interne Synergien innerhalb des B<strong>und</strong>esamtes.<br />
Viel zum Erfolg beigetragen hat auch <strong>die</strong> gute Zusammenarbeit mit den Providern, gerade<br />
im Bereich Chatforen.<br />
Mehr Leute heisst nicht automatisch substantiell mehr Verfahren – ausschlaggebend ist<br />
der Grenznutzen. Heute kann ich sagen, dass mit 1-2 Personen mehr (Verstärkung des<br />
Monitorings) <strong>die</strong> Aufgaben von KOBIK nahezu perfekt gelöst werden könnten.<br />
Die erwähnte Zusammenarbeit mit Providern ist ein wichtiger Faktor bei der Ermittlung im<br />
Bereich der Internet-Delikte. Die Mitarbeit der Provider über eine Provider-Haftung mittels<br />
Strafrecht zu verankern, ist in der Schweiz, wie auch in anderen europäischen Ländern in<br />
Diskussion. Natürlich ist eine freiwillige Zusammenarbeit erfreulich, aber das Recht sollte <strong>die</strong><br />
Möglichkeit bieten, <strong>die</strong> nicht-kooperativen Provider zu ahnden.<br />
Aus den Aussagen von den Ermittelnden im weiteren Sinne entsteht der Eindruck, dass<br />
• <strong>die</strong> Frustration bezüglich dem Verhältnis von Aufwand <strong>und</strong> Ertrag bei den Kinderpornografie-Delikten<br />
nicht unbedingt ein deliktsspezifisches Problem sein muss, <strong>die</strong> Polizeikorps<br />
<strong>die</strong>s aber so sehen;<br />
• man auch in Bezug auf <strong>die</strong> mangelnden Ressourcen <strong>und</strong> <strong>die</strong> fehlenden polizeilichen<br />
Mittel aus anderen Deliktsbereichen mit grosser Wahrscheinlichkeit ähnliches hören<br />
wird. Bei Verbrechen gegen Kinder ist <strong>die</strong>se Tatsache aber in der Bevölkerung <strong>und</strong><br />
auch bei den Polizisten <strong>und</strong> Polizistinnen schwieriger zu ertragen, da das Schicksal<br />
der Opfer besonders unter <strong>die</strong> Haut geht <strong>und</strong> das Fehlen von Ressourcen als Entschuldigung<br />
beinahe zynisch wirkt;<br />
• bei einem so brisanten <strong>und</strong> emotionsbeladenen Thema wie Kindsmissbrauch <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
mit anderen Stellen nicht immer unproblematisch ist. So kann zu viel<br />
aber auch zu wenig Aufmerksamkeit für den Erfolg eines Ermittlungsverfahrens ausschlaggebend<br />
sein. Auch der Missbrauch mit dem Missbrauch ist für <strong>die</strong> Polizeiarbeit<br />
belastend <strong>und</strong> verlangt ein hohes Mass an Professionalität bei allen Beteiligten;<br />
• der neue Partner KOBIK bei der Ermittlung gut zu funktionieren scheint. Allfällige Kritikpunkte<br />
sind weniger sachlich, denn politisch begründet.<br />
Was meinen <strong>die</strong> Akteure aus Psychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie zur Polizeiarbeit in <strong>die</strong>sem<br />
Deliktsbereich? Folgende Aussagen machten <strong>die</strong> Interviewten eher als kritische Bürger,<br />
denn aus Insider-Kenntnissen heraus. Es ist dennoch interessant zu hören, was sie zur Ermittlungsarbeit<br />
meinen, da sie deren Erfolg oder Misserfolg über ihre Klienten oder Klientinnen<br />
zu spüren bekommen.<br />
Ich denke aber schon, dass <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> mit Aktionen wie der Operation Genesis<br />
präventive Wirkung zeigt. Vor allem denen, <strong>die</strong> keine ausschliessliche pädosexuelle Neigung<br />
verspüren wird damit gezeigt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum darstellt. (…)<br />
Neue Formen der Herstellung, des Tauschens <strong>und</strong> des Anbietens von Kinderpornografie<br />
führen evt. auch dazu, dass einige <strong>Pädosexuelle</strong> am Technischen scheitern. Zudem wird<br />
sich der Ruf der Internetfahnder verbessern <strong>und</strong> man wird merken, dass <strong>die</strong> Methoden der<br />
Internetfahndung nicht mehr allzu sehr hinter den Delinquenten hinterherhinken. Eindämmen<br />
kann man das Phänomen schon, aber beseitigen sicher nicht. Natürlich hinkt <strong>die</strong><br />
<strong>Strafverfolgung</strong> immer einige Schritte hinten nach, aber ihre Jagdwaffen werden immer<br />
besser.<br />
Diese konstruktive <strong>und</strong> optimistische Sicht aus der Psychiatrie wird teils auch von „unserem“<br />
Psychotherapeuten geteilt. Auf <strong>die</strong> Frage, welchen Nutzen Kinderpornografie-Aktionen haben<br />
können, meint der Gesprächspartner:<br />
Ja, Geld für den Staat... Die Untersuchungen waren wohl aber teurer. Nein im ernst, das<br />
ist ein kleiner Wink, dass das verboten ist <strong>und</strong> das wird schon notiert. Für manche ist das<br />
nicht klar <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft setzt da ein Zeichen. Vor allem ist oder war auch <strong>die</strong> Unterscheidung<br />
nicht klar, ob Material nun heruntergeladen wird oder nicht. Dass das ein Unter-
50<br />
schied wäre, das verstanden doch viele gar nicht. Nun wissen sie das, aber <strong>die</strong> werden da<br />
auch neue Tricks finden.<br />
Zudem hat der Psychologe durch seine Klientel auch Kenntnisse von Machenschaften von<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> weiss, wie schwer es für <strong>die</strong> Ermittelnden ist, da einzugreifen:<br />
Ich denke schon, dass es sehr schwer ist, da (Oberschichtspädophilie) ran zu kommen.<br />
Die haben halt auch viel bessere Möglichkeiten, können auch ins Ausland gehen um dort<br />
etwas zu erleben. Es sind ja mehr Zufälle, dass da mal etwas auffliegt <strong>und</strong> dann hat man<br />
plötzlich einen ganzen Ring. Meist halten sie eben auch untereinander völlig dicht <strong>und</strong> was<br />
ich so gehört habe, sind sie enorm vorsichtig, weil sie auch <strong>die</strong> Untersuchungsstrategien<br />
kennen. Die Jungen wissen zum Teil auch gar nicht, wo sie genau gewesen sind. Auch <strong>die</strong><br />
Übergaben werden sehr professionell gestaltet. Hochkriminell, aber sehr ge<strong>die</strong>gene Leute.<br />
Sie können das auch so gut beherrschen, weil sie sich eindenken können in das, was verboten<br />
ist. Sie sichern sich sehr gut ab. Es wäre dann sehr schwer zu beweisen, dass ein<br />
Junge einige Nächte bei ihm zu Hause gewesen ist <strong>und</strong> dass wirklich etwas passiert ist<br />
<strong>und</strong> was passiert ist. Und eine Anklage ist für <strong>die</strong> Polizei auch riskant, weil wenn sie es<br />
nachher nicht beweisen können, bekommen sie böse Rüffel.<br />
Bei der Ermittlungsarbeit im Bereich der Pädosexualität hat es <strong>die</strong> Polizei wohl mit ähnlich<br />
schlauen oder dummen Delinquenten zu tun, wie in anderen Bereichen auch. Speziell an<br />
<strong>die</strong>sen Deliktsbereichen ist <strong>die</strong> Tragik des Geschehens <strong>und</strong> <strong>die</strong> Intimität des Milieus, in dem<br />
<strong>die</strong>se Verbrechen oft geschehen. Die damit verb<strong>und</strong>ene Emotionalität <strong>und</strong> auch das Engagement<br />
von anderen Fachstellen, <strong>die</strong> sich dem Kinderschutz widmen, sind sicher in der Regel<br />
für <strong>die</strong> Polizeiarbeit hilfreich, können aber im Einzelfall auch kontraproduktiv sein. Wie<br />
überall im Berufsleben gilt auch hier, dass <strong>die</strong> Gefühle den Blick auf <strong>die</strong> Tatsachen nicht verstellen<br />
dürfen. So wie der sexuelle Missbrauch für Opfer äusserst tragische Folgen haben<br />
kann, sind Falschanschuldigungen über alle Massen stigmatisierend. Neben den Falschangeschuldigten<br />
dürfen aber <strong>die</strong> Täter nicht vergessen werden, <strong>die</strong> nie angeschuldigt werden,<br />
weil sie zu schlau sind oder von der Abhängigkeit <strong>und</strong> dem Vertrauen ihrer Opfer profitieren.<br />
Diese werden immer noch in der Überzahl sein.<br />
Das Internet hat den pädosexuellen Deliktsbereich stark verändert. Den neuen Formen muss<br />
mit neuen Ermittlungsmethoden begegnet werden. Mit der Einführung der anlassunabhängigen<br />
Recherchen wurde sicher ein wichtiger Schritt in <strong>die</strong> richtige Richtung getan. Dass eine<br />
besonders skrupellose Täterschaft auch in der Schweiz aktiv ist 61 , belegt das letzte Zitat. Es<br />
bleibt zu hoffen, dass es den Ermittlungsorganen gelingt, auch <strong>die</strong>se Kreise zur Verantwortung<br />
zu ziehen. Verbesserte Gesetzesgr<strong>und</strong>lagen für <strong>die</strong> polizeiliche Ermittlungsarbeit, mehr<br />
Ressourcen, verbesserte Organisationsstrukturen <strong>und</strong> eine professionelle Zusammenarbeit<br />
der involvierten Behörden würden <strong>die</strong> Chancen dafür erhöhen.<br />
6.4. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der Rechtssprechung<br />
Die durch <strong>die</strong> polizeiliche Ermittlung vorselektionierte Gruppe <strong>Pädosexuelle</strong>r haben wir in<br />
den vorhergehenden Kapiteln beschreiben können. Nach den Aussagen unserer GesprächspartnerInnen<br />
gehen wir davon aus, dass <strong>die</strong> Gruppe der Unvorsichtigen, sozial weniger<br />
Integrierten, intelligenzmässig Unterdurchschnittlichen, <strong>die</strong> ihre Opfer tendenziell ausserhalb<br />
der Familie suchen, bei der Rechtssprechung überrepräsentiert sind. Auch haben wir<br />
bereits Themen angesprochen, <strong>die</strong> bei der Rechtssprechung von den anderen Akteuren als<br />
problematisch geschildert wurden. Wir werden im Folgenden vertiefter auf <strong>die</strong>se Themen<br />
eingehen.<br />
<strong>Der</strong> Jurist hat bereits im vorausgehenden Kapitel geäussert, dass das fehlende Spezialwissen<br />
der RichterInnen <strong>und</strong> <strong>die</strong> „eventuell zu wenig gut aufgearbeiteten Dossiers“ aus Ermittlungskreisen<br />
mögliche Gründe dafür sein könnten, dass RichterInnen „zu milde“ Strafen aussprechen<br />
oder Kinderpornografie-Delikte als Kavaliersdelikte betrachten. Wie sehen das <strong>die</strong><br />
angesprochenen Ermittelnden? Die Stadtzürcher Polizei äussert sich dazu sehr pointiert:<br />
61 Vgl. dazu auch Gallwitz & Paulus (1998), <strong>die</strong> in ihrem Buch eine polizeilichen bekannte, besonders skrupellose,<br />
pädosexuelle Täterschaft beschreiben, <strong>die</strong> auch in der Schweiz aktiv war. Ein Schweizer Delinquent <strong>die</strong>ser Täterschaft<br />
wurde inzwischen verwahrt, der Ring hingegen konnte nicht aufgedeckt werden.
51<br />
Zum Teil ist es wirklich lächerlich, <strong>die</strong> bekommen nicht mal bedingte Freiheitsstrafen. Und<br />
Bussen, das nützt doch nichts. Bei den sexuellen Handlungen mit Kindern, das ist wirklich<br />
frustrierend, wenn man sieht, was <strong>die</strong> bekommen. Häufig bedingte Strafen, auch bei Wiederholungstätern.<br />
Auch das B<strong>und</strong>esgerichtsurteil, das da eine mildere Strafe gab, weil der<br />
Junge angeblich mitmachte <strong>und</strong> Lust empfand. Da kann man doch das Gesetz grad abschaffen<br />
<strong>und</strong> sagen, es sei nur strafbar, wenn <strong>die</strong> Kinder nicht wollen. Wir wissen doch,<br />
wie das geht <strong>und</strong> dass da oft ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wird.<br />
Man müsste <strong>die</strong> Justizebene da sensibilisieren, <strong>die</strong> wissen meist gar nicht, worum es geht.<br />
Wir haben Befragungen von Kindern auf Video, aber der Richter will nur das Befragungsprotokoll,<br />
weil das schneller geht <strong>und</strong> da bekommt man keinen Eindruck. Die nehmen sich<br />
<strong>die</strong> Zeit nicht. (…) Wir haben mal beim Sozialamt eine Präsentation gemacht mit ein paar<br />
Bildern drin, nicht mal das schlimmste, aber das ist denen extrem eingefahren. (…)<br />
<strong>Der</strong> letzte da, neunfache sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen, der hat drei Monate<br />
bedingt auf drei Jahre gekriegt. Als wir da nachdoppelten, meinten sie, dass normalerweise<br />
drei Monate bedingt auf 2 Jahre gegeben würde <strong>und</strong> das wäre in dem Sinne<br />
schon sehr streng. (…)<br />
Es gibt aber schon unterschiedliche Bezirksanwälte <strong>und</strong> wenn sie einstellen oder dem<br />
nicht weiter nachgehen, dann hat das meist damit zu tun, dass sie dem nicht so viel Gewicht<br />
geben oder keine Ressourcen haben. Immer kommt, sogar bei 8-Jährigen, dass das<br />
Kind einverstanden gewesen wäre. Warum haben wir denn das StGB? Man kann alles<br />
immer weiter verwässern, bis man ganz aufhören kann. Und auch wenn Urbaniok meint,<br />
dass es nicht immer schädigend für das Kind ist 62 , das ist uns auch klar, aber dennoch haben<br />
wir eine Gesetzgebung <strong>und</strong> <strong>die</strong> muss man durchsetzten. Wenn nun einer über einen<br />
Chat einen 13-Jährigen abschleppt <strong>und</strong> wenn er dann dafür drei Jahre Kiste riskiert, dann<br />
wirkt das schon anders <strong>und</strong> er überlegt sich das schon noch mal. Das würde Wirkung in<br />
der Gesellschaft signalisieren. Und einige davon würden sicher den Schritt nicht wagen.<br />
Wir denken auch, dass <strong>die</strong> Bevölkerung das gar nicht weiss, wie billig <strong>die</strong> davon kommen.<br />
Inwiefern <strong>die</strong>se doch sehr frustrierten Aussagen eines Polizeibeamten eine gesamtschweizerische<br />
Realität beschreiben, kann hier nicht beantwortet werden. Die Urteile der Aktion<br />
Genesis (siehe auch Kap. 6.1.) sind insofern ein Spezialfall, als dass man es kaum mit<br />
Wiederholungstätern zu tun hatte, dass es sich fast ausschliesslich um den Straftatbestand<br />
des Besitzes von illegaler Pornografie handelte <strong>und</strong> dass <strong>die</strong> Kantone nicht nur auf Polizeiseite,<br />
sondern auch auf der richterlichen Ebene bei <strong>die</strong>ser Aktion Neuland betreten haben.<br />
<strong>Der</strong> Straftatbestand des Besitzes trat erst kurz vor der Aktion in Kraft (1.4.02) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erfahrungen<br />
in der Rechtssprechung fehlten dementsprechend. Es war jedoch offensichtlich, dass<br />
sich einige Kantone bei ihrer Rechtssprechung schwer taten <strong>und</strong> sehr interessiert <strong>die</strong> Urteile<br />
anderer Kantone <strong>und</strong> Gutachten des B<strong>und</strong>esamtes für Justiz abwarteten. 63 Die Urteile sind<br />
aus Laiensicht recht tief ausgefallen. Es ist Tatsache, dass <strong>die</strong> Personen, welche kinderpornografisches<br />
Material angesehen haben, über das Delikt anders urteilen, als solche, <strong>die</strong> sich<br />
ihre eigenen Vorstellungen vom Material machen. Die Polizisten haben <strong>die</strong>se Erfahrung mit<br />
dem Sozialamt gemacht, KOBIK hat einigen ParlamentarierInnen „unzensiert“ gezeigt, welche<br />
Arten von Missbrauchsdarstellungen auf dem Netz kursieren. Durchwegs alle waren<br />
schockiert <strong>und</strong> engagieren sich sicher in Zukunft mehr in der Bekämpfung <strong>die</strong>ses Deliktsbereichs,<br />
als wenn sie weiter abstrakte Vorstellungen mit sich getragen hätten 64 .<br />
Wuttke (2003), <strong>die</strong> ebenfalls ExpertInneninterviews zur Thematik Kinderpornografie durchgeführt<br />
hat, zitiert in ihrem Buch einen Vertreter der <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden, der <strong>die</strong>selbe Erfahrung<br />
schildert; „Die Richter des Landesgerichtes X haben mir einmal auf dem Gang,<br />
62<br />
Dr. Frank Urbaniok hat einen Vortrag zum Thema Pädosexualität gehalten <strong>und</strong> dargelegt, dass sich der Schaden<br />
bei den Opfern sehr unterschiedlich zeigen kann.<br />
63<br />
Erfahrungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schreiberin im Rahmen ihrer Tätigkeit in der AG zur Evaluation der Aktion Genesis sammeln<br />
konnte.<br />
64<br />
Bei der Sensibilisierung von Entscheidungsträgern mit Hilfe von Darstellungen steht man immer vor dem Dilemma,<br />
einerseits keine Kinderpornografie reproduzieren zu wollen, andererseits auch keine zu „harmlosen“ Darstellungen<br />
(posierende Lolitas in der Regel) zu zeigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Realität beschönigen. Ein möglicher Ausweg ist<br />
das Präsentieren von Textmaterialien oder „nur“ von Tonspuren, <strong>die</strong> immer öfter bei Filmen vorhanden sind. Das<br />
Schreien, Wimmern <strong>und</strong> Weinen der Kinder geht so unter <strong>die</strong> Haut, dass man <strong>die</strong> Bilder gar nicht mehr zeigen<br />
muss, um <strong>die</strong> allfällige „Kavaliersdelikt-Einstellungen“ gründlich zu revi<strong>die</strong>ren.
52<br />
nachdem sie ein Video gesehen haben, gesagt: Wir haben nicht gewusst, was sich hinter einem<br />
solchen Satz eines Mädchen: ‚Er drang mit dem Penis in mich ein’, für ein Martyrium<br />
verbirgt. Jetzt haben wir es gesehen. Jetzt wissen wir es. Seit <strong>die</strong>ser Konfrontation sind <strong>die</strong><br />
Strafen, <strong>die</strong> von <strong>die</strong>ser Kammer ausgeurteilt werden, drastisch angestiegen.“ (S. 120)<br />
Die Stadtzürcher Polizei hat aber nicht im Speziellen <strong>die</strong> Rechtssprechung bei Besitz von<br />
Kinderpornografie angesprochen, sondern auch Delikte, welche sexuelle Handlungen mit<br />
Kindern betreffen.<br />
Das B<strong>und</strong>esamt für Statistik liefert uns einen groben Überblick über <strong>die</strong> Verurteilungen zu Art<br />
187 StGB seit 1992 65 :<br />
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002<br />
Verurteilungen insgesamt 270 261 297 274 292 331 320 357 356 329 324<br />
nach dem Ge-<br />
schlecht<br />
nach Altersgruppen<br />
männlich 266 257 291 270 299 325 315 350 351 311 312<br />
weiblich 4 4 6 4 3 6 5 7 5 18 12<br />
18-24 Jahre<br />
25-44 Jahre<br />
über 45<br />
Jahre<br />
47 42 47 50 41 45 53 54 46 62 58<br />
163 140 161 132 153 168 146 182 160 154 156<br />
60 79 89 92 98 118 121 121 150 113 110<br />
nach der Herkunft Schweizer 174 174 192 193 200 227 215 228 250 210 229<br />
nach der Hauptsanktion<br />
Ausländer 96 87 105 81 92 104 105 129 106 119 95<br />
Freiheitsstrafe 244 241 275 237 263 301 293 329 319 306 296<br />
davon unbedingte Strafe 66 65 64 61 65 70 76 95 76 76 49<br />
davon bedingte Strafe 178 176 211 176 198 231 217 234 243 230 247<br />
Massnahme 24 20 21 32 26 29 27 24 36 21 24<br />
Busse 2 0 1 5 3 1 0 4 1 2 4<br />
nach Art der Freiheitsstrafe<br />
Zuchthaus 28 30 33 30 24 42 43 50 39 40 23<br />
Gefängnis 214 210 241 205 238 259 249 279 280 263 269<br />
Haft 2 1 1 2 1 0 1 0 0 3 4<br />
Ohne <strong>die</strong> Tabelle im Detail zu interpretieren, kann <strong>die</strong> Aussagen gemacht werden, dass <strong>die</strong><br />
Mehrheit der Urteile bedingte Gefängnisstrafen betreffen. Art. 187 StGB „Sexuelle Handlungen<br />
mit Kindern“ beinhaltet: „Wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung<br />
vornimmt, es zu einer solchen Handlung verleitet oder es in eine sexuelle Handlung einbezieht,<br />
wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft“. Dieser Straftatbestand<br />
kann Oralsex mit einem 5-Jährigen Kind ebenso umfassen, wie unzüchtiges Berühren<br />
einer 15-Jährigen. Dennoch ist es bemerkenswert, wie stark <strong>die</strong> ausgesprochenen Urteile in<br />
der Regel von der möglichen Höchststrafe abweichen 66 .<br />
Schenkt man dem oben zitierten Polizisten Glauben, so werden aber auch durchaus schwerere<br />
Delikte mit bedingten Freiheitsstrafen bestraft. Ob härtere Strafen generalpräventive<br />
Wirkung hätten oder ob hohe Freiheitsstrafen einige Täter von ihrem Tun abhalten würden,<br />
wissen wir nicht.<br />
Mit Blick auf <strong>die</strong> Rechtslage <strong>und</strong> Rechtssprechung in anderen Deliktsbereichen muss dennoch<br />
von Unverhältnismässigkeit gesprochen werden. Auch im Bereich des Besitzes von<br />
65 Siehe unter http://www.statistik.admin.ch/stat_ch/ber19/dtfr19.htm<br />
66 Eine detaillierte Urteilsanalyse ist beim B<strong>und</strong>esamt für Polizei für <strong>die</strong> nächsten Jahre geplant.
53<br />
Kinderpornografie meint Staatsanwalt Andreas Brunner 67 : „Die Strafandrohung bei Besitz<br />
von Kinderpornografie geht nicht über ein Jahr hinaus. Auch das zeigt, dass das Delikt bei<br />
uns verharmlost wird. Ich sage gar nicht, dass man das Strafmass gewaltig nach oben korrigieren<br />
müsste. Ich gebe aber doch zu bedenken, dass man für Diebstahl mit Freiheitsentzug<br />
von bis zu fünf Jahren bestraft werden kann.“ Um wie viel deutlicher gilt das Argument der<br />
Unverhältnismässigkeit bei Delikten gegen <strong>die</strong> sexuelle Integrität bei Kindern!<br />
<strong>Der</strong> forensische Begutachter geht jedenfalls von unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafen<br />
aus, wenn er meint:<br />
Das heisst, <strong>die</strong>se fünf Jahre, <strong>die</strong> sie in der Regel bekommen, können für <strong>die</strong> sehr lange<br />
<strong>und</strong> harte Jahre sein. In der Regel bekommen <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Zweidrittelregelung, weil sie<br />
sich gut bewähren, weil sie auch kontrolliert werden durch <strong>die</strong> Mitgefangenen. Also <strong>die</strong><br />
Pädophilen im Knast, <strong>die</strong> leiden doppelt <strong>und</strong> haben auch ein doppeltes Interesse, aus dem<br />
Knast wieder raus zu kommen. Oftmals sind sie auch intelligenter als <strong>die</strong> Mitgefangenen.<br />
Zumindest was das Soziale anbelangt. Sie haben natürlich auch gelernt, nicht aufzufallen<br />
<strong>und</strong> Strategien zu entwickeln, dass sie überleben können im Gefängnis. Wegen der sozialen<br />
Ächtung haben sie auch vorher gelernt, sich zu verstecken <strong>und</strong> nicht aufzufallen.<br />
Diese fünf Jahre, <strong>die</strong> Pädokriminelle in der Regel bekommen sollen, gelten offenbar für <strong>die</strong>jenige<br />
Gruppe, welche <strong>die</strong> Begutachtung zu Gesicht bekommt. Verlangt eine Richterin / ein<br />
Richter ein forensisches Gutachten, wird es sich oft auch um schwerwiegendere Fälle handeln.<br />
Unabhängig von den möglichen Präventivwirkungen von hohen Strafen, stellt sich natürlich<br />
auch <strong>die</strong> Frage nach der Wirkung der tatsächlichen Freiheitsstrafe auf einen <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
<strong>und</strong> inwieweit dadurch potentielle Opfer geschützt werden. <strong>Der</strong> Psychotherapeut<br />
äussert sich zur positiven Wirkung jedenfalls äusserst kritisch:<br />
Die fünf Jahre Knast, <strong>die</strong> Pädophile bekommen, nützen natürlich gar nichts, im Gegenteil,<br />
das gilt aber auch für andere Straftaten. Sie sind nachher schlechter resozialisierbar. Unter<br />
Umständen geschwächt, was den Rückfall wahrscheinlicher macht. Deshalb sind angedrohte,<br />
aber lange Strafen angemessener.<br />
<strong>Der</strong> „konstruktive“ Vorschlag, dass man <strong>Pädosexuelle</strong>n, <strong>die</strong> straffällig geworden sind, hohe<br />
Strafen androhen soll <strong>und</strong> <strong>die</strong>s mehr Wirkung zeigen würde, müsste empirisch überprüft<br />
werden. Eventuell liessen sich Länder finden, <strong>die</strong> nach ihrer Gesetzgebung solche Formen<br />
von Strafandrohungen praktizieren. Zudem sieht der therapeutisch arbeitende Psychologe<br />
Mängel bezüglich der ausgesprochenen Massnahmen bei der Rechtsprechung <strong>und</strong> leitet<br />
somit direkt zum nächsten (<strong>und</strong> übernächsten) Kapitel weiter:<br />
Hingegen für <strong>die</strong> Frage nach der Therapierbarkeit <strong>und</strong> nach der Wahl der Therapie, dazu<br />
muss es eine differenzierte psychologische Analyse geben. Zum einen kann man beurteilen,<br />
ob eine Strafe zu Gunsten einer Therapie ausgesetzt werden kann. Das wäre ja häufig<br />
sinnvoll, aber was ich so sehe in der Justiz, wird das sehr willkürlich gehandhabt.<br />
Wir werden im nächsten Kapitel sehen, warum aus seiner Sicht der Einsatz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wahl<br />
von Therapien so willkürlich gehandhabt werden. Vorerst wollen wir aber kurz <strong>die</strong> Erkenntnisse<br />
zur Rechtssprechung zusammenfassen.<br />
• Bei der Rechtssprechung muss unterschieden werden zwischen den Delikten, <strong>die</strong><br />
Kinderpornografie, <strong>und</strong> solchen, <strong>die</strong> sexuelle Handlungen mit Kindern betreffen. Bei<br />
ersteren ist <strong>die</strong> Rechtssprechung noch zu jung, um Aussagen machen zu können.<br />
Die Strafandrohungen stehen aber, im Vergleich zu andere Deliktsbereichen, in einem<br />
Missverhältnis. Kritische Stimmen zu den zu milden Strafen sind aus Polizeikreisen<br />
<strong>und</strong> aus der Presse bereits zu hören. Bei den Delikten gegen <strong>die</strong> sexuelle Integrität<br />
von Minderjährigen kann jedoch auf eine langjährige Rechtssprechung zurückgegriffen<br />
werden;<br />
• Unsere Stimme aus Polizeikreisen kritisiert <strong>die</strong> milden Urteile im Bereich des Kindsmissbrauchs<br />
<strong>und</strong> begründet <strong>die</strong>s mit der mangelnden Sensibilität gewisser Bezirksrichter,<br />
<strong>die</strong> sich auch nicht <strong>die</strong> nötige Zeit nehmen, <strong>die</strong> Polizeidossiers anzuschauen.<br />
67<br />
Aus einem Interview in der Annabelle vom 11. August 2004 unter dem Titel „Besitz von harten Pornobildern<br />
wird verharmlost“.
54<br />
<strong>Der</strong> befragte Jurist meint, dass <strong>die</strong> Frustration in Bezug auf <strong>die</strong> Rechtssprechung<br />
nicht deliktsspezifisch sei, dass man aber eventuell <strong>die</strong> Dossiers besser aufbereiten<br />
müsse, um <strong>die</strong> RichterInnen besser zu sensibilisieren. Zudem sei der Richterstand,<br />
im Gegensatz zu den Ermittlungskreisen, in der Regel nicht spezialisiert auf Delikte.<br />
Dass Richterinnen <strong>und</strong> Richter, <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>sen Deliktsbereichen des Öfteren zu tun<br />
haben, sich zumindest einmal mit dem realen Geschehen konkret beschäftigen,<br />
scheint nicht zuviel verlangt;<br />
• Die Urteilsstatistik belegt zumindest, dass das mögliche Strafmass bei sexuellen<br />
Handlungen mit Kindern in der Mehrheit der Fälle nicht ausgeschöpft wird. Dass Kinder<br />
keine Lobby haben, scheint sich im Bereich der Rechtssprechung zu bewahrheiten;<br />
• Auch ob höhere Strafen individual- oder generalpräventive Wirkung zeigen würden,<br />
kann hier nicht beantwortet werden. Kriminologische Untersuchungen würden der individualpräventiven<br />
Wirkung gr<strong>und</strong>sätzlich widersprechen. 68 Zur generalpräventiven<br />
Wirkung höherer Strafen liegen nach Kunz (1994) keine empirischen Anhaltspunkte<br />
vor;<br />
• Die gutachterliche Sicht sieht <strong>die</strong> Rechtssprechung anders. Gutachter sehen in der<br />
Regel 5-Jahres-Strafen <strong>und</strong> betonen, dass <strong>die</strong>se Zeit gerade für <strong>die</strong>sen Delinquententypus<br />
sehr schwer zu ertragen ist, da <strong>die</strong> Mitgefangenen <strong>die</strong>se Täter ihre Verachtung<br />
spüren lassen;<br />
• Dass längere Haftstrafen eher <strong>die</strong> Rachegefühle der Gesellschaft befriedigen, ist <strong>die</strong><br />
Meinung des Vertreters der therapeutischen Sicht. Lange Haftstrafen haben kaum je<br />
einen positiven Einfluss auf jedwelche Delinquentengruppe <strong>und</strong> sie würden pädosexuelle<br />
Täter weiter isolieren <strong>und</strong> schwächen, was sich für potentielle Opfer kontraproduktiv<br />
auswirken kann. Besser seien lange angedrohte Haftstrafen <strong>und</strong> differenzierte<br />
Massnahmeempfehlungen, was aber kaum praktiziert werde.<br />
Wenn man sich von einer härteren Rechtssprechung kaum präventive Wirkung verspricht<br />
<strong>und</strong> ein Gefängnisaufenthalt eines <strong>Pädosexuelle</strong>n nach Einschätzung des (forensischen)<br />
Therapeuten im Sinne eines weiteren Opferschutzes eher kontraproduktive Wirkung zeigt,<br />
muss zumindest im Bereich der Massnahmen respektive der therapeutischen Arbeit ein<br />
Schwerpunkt gesetzt werden.<br />
Warum können aus Sicht des Therapeuten <strong>die</strong> GutachterInnen wenig differenzierte Empfehlungen<br />
zu Massnahmen aussprechen?<br />
6.5. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der forensischen Begutachtung<br />
Aus Gründen der Anbindung kommt in <strong>die</strong>sem Kapitel der „Letzte“ im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess,<br />
der Therapeut, zuerst zu Wort. Auf <strong>die</strong> Frage, warum <strong>die</strong> Richter <strong>und</strong>ifferenzierte<br />
Massnahmeempfehlungen aussprechen:<br />
Weil sie keine differenzierten Vorschläge von den Gutachtern bekommen. Ein Psychiater<br />
kann einfach sagen, ja, eine Therapie ist möglich, er kann aber gar nicht belegen, wie er<br />
auf <strong>die</strong>se Idee kommt. Vielleicht weil der Klient ihm sagt, er wolle eine Therapie machen.<br />
Ob das dann aussichtsreich ist? Da müsste er mit dem Klienten viel mehr arbeiten. Und er<br />
müsste eine psychologische Ausbildung haben, er muss <strong>die</strong> Dynamik genauer kennen lernen,<br />
<strong>die</strong> Motivationsanalyse muss gemacht werden <strong>und</strong> vor allem wissen <strong>die</strong> Psychiater<br />
nichts über <strong>die</strong> Normalbevölkerung. Sie sind sozialisiert auf psychiatrische Patienten. In<br />
der Forensik haben wir aber wenig psychiatrische Patienten, wir haben sehr viele Störungen,<br />
<strong>die</strong> wir aber auch sonst in der Bevölkerung finden. Die haben halt einfach eine Störung,<br />
<strong>die</strong> zufällig zu einem Delikt führte. Manchmal haben sie noch <strong>die</strong> Kombination zu<br />
ganz anderen Störungen, <strong>die</strong> in Abhängigkeiten zueinander stehen. (…)<br />
68 Siehe z.B. K.-L. Kunz (1994):“ <strong>Der</strong> gesetzliche Strafrahmen <strong>und</strong> <strong>die</strong> richterliche Strafhöhenbemessung beeinflusst<br />
im Allgemeinen weder <strong>die</strong> Hemmschwelle für Folgetaten noch das Ausmass der Normakzeptanz.“ (S. 328)
55<br />
Ich kenne „das gutachterliche Problem“. Das eine ist, dass das Wissen zu Perversionen<br />
bei vielen Gutachtern sehr schlecht ist. Sie wissen, dass es Perversionen gibt, sie kennen<br />
den Namen, aber sie können innerhalb der Perversionen nicht differenzieren. Sie sind in<br />
der Entstehungsgeschichte der Perversionen zu wenig ausgebildet. Es ist hilfreich, wenn<br />
man Psychologie stu<strong>die</strong>rt hat <strong>und</strong> auch das Leben der so genannt „Normalen“ kennt, <strong>die</strong><br />
auch ihre Unterschiede haben. Vor allem Psychiater sind meist so sozialisiert, dass sie nur<br />
pathologische Phänomene kennen. Da können sie dann sehr schnell sagen: „das ist ein<br />
Voyeur, das ist ein Exhibitionist, etc.“ wobei <strong>die</strong> sich untereinander wohl ähnlicher sind als<br />
<strong>die</strong>, <strong>die</strong> unter dem Label „Pädophilie“ subsumiert werden.<br />
Aus dem ersten Kapitel haben wir aus der Sicht des Gutachters in der Tat gehört, dass ihn<br />
Motive, Ursachen, Randbedingungen nur im Hinblick auf <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit interessieren.<br />
Auch wenn „unser“ forensischer Gutachter eine psychologische Ausbildung absolviert<br />
hat, meinte er selbst, dass gewisse Fragen für Psychologen von Interesse, forensisch aber<br />
dennoch irrelevant seien. Ein eher strukturelles Problem ist, dass eine Begutachtung nie <strong>die</strong><br />
Intensität einer therapeutischen Behandlung haben kann. Die Kontakte zum Delinquenten<br />
beschränken sich in der Regel auf ein paar Sitzungen <strong>und</strong> gehen nicht über Jahre, wie <strong>die</strong>s<br />
in der Therapie der Fall ist. <strong>Der</strong> Gutachter beschreibt <strong>die</strong> Schwierigkeiten seiner Arbeit in Bezug<br />
auf Prognoseeinschätzungen wie folgt:<br />
Die Gewohnheitspädophilen, <strong>die</strong> kommen am ehesten noch für Prognosen. Wenn <strong>die</strong> so<br />
für fünf Jahren in den Knast kommen <strong>und</strong> <strong>die</strong> benehmen sich da auch sehr gut - <strong>die</strong> sind ja<br />
im Knast meist sehr gut angepasst, auch von der Knasthierarchie her - da haben <strong>die</strong> Leute<br />
halt dann bedenken, ob man <strong>die</strong> wieder raus lassen kann. (…) Sie haben natürlich auch<br />
gelernt, nicht aufzufallen <strong>und</strong> Strategien zu entwickeln, dass sie überleben können im Gefängnis.<br />
Wegen der sozialen Ächtung haben sie auch vorher gelernt, sich zu verstecken<br />
<strong>und</strong> nicht aufzufallen.<br />
Und in <strong>die</strong>ser Konstellation eine Prognose abzugeben ist ausserordentlich schwierig, wenn<br />
nicht unmöglich. Diese Leute, wenn sie das umgekehrt formulieren, haben auch nie <strong>die</strong><br />
Chance gehabt, sich zu bewähren. Auch bei Hafterleichterung oder so, kann man das<br />
nicht feststellen, das ist zu kontrolliert <strong>und</strong> zu kurz. (…)<br />
Wann haben wir es mit einer Krankheit zu tun, wann mit einer Gewöhnung <strong>und</strong> Einstellung?<br />
Sie versuchen das natürlich zu explorieren, versuchen Verhaltensmuster herauszufinden<br />
bei den Erzählungen damit sie Hinweise <strong>und</strong> Informationen bekommen, ob so etwas<br />
wie ein Kontrollverlust vorhanden ist oder nicht. Vielleicht ist er dann auch schon so geschult,<br />
dass er weiss, was er ihnen erzählen muss, das ist sehr schwierig. Und darum<br />
meine ich auch, von einer Trefferquote von 90 Prozent zu sprechen, ist wirklich fahrlässig.<br />
Die ganzen Kriterien, <strong>die</strong> sie auch berücksichtigen müssen, wie sozialer Nahraum , Ehefrau,<br />
Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> so, bei denen wissen sie ja auch nicht, wie sich <strong>die</strong> Dynamik verändert.<br />
Theoretisch hört sich das natürlich gut an, aber praktisch ist das ausserordentlich schwierig.<br />
<strong>Der</strong> Begutachter bestätigt also indirekt eine gewisse Unmöglichkeit, eine differenzierte Begutachtung<br />
für <strong>die</strong> weitere Entwicklung von <strong>Pädosexuelle</strong>n abzugeben, wenn auch aus anderen<br />
Gründen als der Therapeut.<br />
Gutachterliche Tätigkeit besteht darin, <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit abzuklären <strong>und</strong> Prognosen<br />
abzugeben. Eine dritte Aufgabe zeigt sich an folgendem Beispiel:<br />
Ja, einmal hatte ich eine Frau. Das war eine Frau, <strong>die</strong> soll Manipulationen an ihrem Sohn<br />
vorgenommen haben <strong>und</strong> der Gutachtenauftrag lautete, <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit <strong>die</strong>ser<br />
Frau zu beurteilen, sie war in Therapie. Danach hat sich aber alles um <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit<br />
des Sohns gedreht. Dann tauchte der Ehemann als Zeuge auf, es handelte sich dann um<br />
einen Zivilprozess, wie das halt so ist <strong>und</strong> dann wurde das alles <strong>und</strong>urchsichtig <strong>und</strong> es<br />
blieb der Verdacht.<br />
Die Feststellung der Glaubwürdigkeit ist <strong>die</strong> dritte, schwierige Aufgabe, <strong>die</strong> sehr oft in Zusammenhang<br />
mit Sexualdelikten bei Kindern, auftaucht. Diese Aufgabe der Gutachter ist<br />
auch in Polizeikreisen am ehesten bekannt. Die <strong>Bern</strong>er Polizei hat vor allem terminbedingte<br />
Probleme bei den GutachterInnen festgestellt. Beim Thema des Missbrauchs mit dem Missbrauch<br />
meinten <strong>die</strong> <strong>Bern</strong>erinnen zu den Gutachtern:
56<br />
Und eben, wie sie wissen, sind <strong>die</strong> Gutachter überlastet <strong>und</strong> dann kann das dauern. Die<br />
Aufschübe werden dann der Polizei angelastet, <strong>die</strong> Leute können das nicht auseinander<br />
halten. Und das Warten ist bei <strong>die</strong>sen Fällen besonders kritisch, weil das auch sehr belastend<br />
ist für <strong>die</strong> Kinder.<br />
<strong>Der</strong> Polizei fällt vor allem auf, dass <strong>die</strong> Betroffenen, <strong>und</strong> vielleicht auch Teile der Bevölkerung,<br />
nicht beurteilen können, warum ein Verfahren so lange hängig ist. Möglicherweise<br />
hat <strong>die</strong> Pressearbeit r<strong>und</strong> um <strong>die</strong> Verwahrungsinitiative <strong>die</strong> Engpässe bei der gutachterlichen<br />
Arbeit so zum Thema gemacht, dass in der Bevölkerung nun besser unterschieden werden<br />
kann zwischen der gutachterlichen Arbeit <strong>und</strong> der Polizeiarbeit. Das ändert aber nichts daran,<br />
dass für <strong>die</strong> Betroffenen, vor allem für <strong>die</strong> Opfer, lange Wartezeiten auf ein Gutachten<br />
dennoch ein grosses Problem sein können. Wie steht es um <strong>die</strong> Qualität solcher Glaubwürdigkeitsgutachten?<br />
<strong>Der</strong> Therapeut meint dazu:<br />
(…) aber man muss schon auch damit rechnen, dass sie Geschichten erf<strong>und</strong>en haben. Ich<br />
habe Mädchen erlebt, <strong>die</strong> Szenen erf<strong>und</strong>en haben. Um sich wichtig zu machen, um abzulenken<br />
aber auch um sich zu rächen, auch z.B. für nicht erwiderte Liebe. So 14/15-jährige<br />
Mädchen können sehr boshaft sein. Auch enorm durchgedacht in der Phantasie, das ist<br />
auch für den Fachmann nicht leicht zu erkennen. (…) Ja, sie können sich da rein steigern,<br />
dann werden sie aber auch teilweise bedroht, zur Redlichkeit ermahnt, in Frage gestellt.<br />
Und das kann bewirken, dass sie erst recht nachdoppeln <strong>und</strong> dann schmücken sie immer<br />
mehr aus. Zum Teil in einer Detailtreue, <strong>die</strong> man eigentlich von einem normalen Gedächtnis<br />
gar nicht erwarten würde. Aber das ist selbst in einer Glaubhaftigkeitsbeurteilung etwas<br />
ganz schwieriges. Wenn es familiäre Angelegenheiten betrifft wird es noch schwieriger.<br />
Auch <strong>die</strong> Polizei kennt <strong>die</strong>se Problematik. Die <strong>Bern</strong>er Polizistinnen erwähnen <strong>die</strong> Problembereiche,<br />
stellen aber <strong>die</strong> Glaubwürdigkeitsgutachten nicht in Frage:<br />
Wie schon erwähnt sind <strong>die</strong> Scheidungsfälle heikel, da muss man genau schauen, aber wir<br />
haben auch <strong>die</strong> Fälle, wo pubertierende Mädchen falsche Anschuldigungen machen. Die<br />
Motive sind unterschiedlich <strong>und</strong> <strong>die</strong> angeblichen Täter können auch unterschiedlich sein,<br />
das kann vom eigenen Vater bis zu Fremden gehen. Bei jüngeren Kindern sind falsche<br />
Anschuldigungen ganz ganz selten. Wenn sie von einem Elternteil instrumentalisiert werden,<br />
merkt man das recht schnell. Sie müssen auch nicht mal instrumentalisiert werden,<br />
das passiert manchmal ganz schleichend <strong>und</strong> unbewusst. Das Kind erzählt etwas, das<br />
man in Richtung sexuellen Übergriff interpretieren kann <strong>und</strong> <strong>die</strong> Situation in der Familie ist<br />
heikel <strong>und</strong> dann wird nachgefragt <strong>und</strong> weiter nachgefragt <strong>und</strong> auf einmal hat man eine<br />
konstruierte Geschichte. Aber normalerweise erzählt ein kleineres Kind keine erf<strong>und</strong>enen<br />
Geschichten. Aber <strong>die</strong> Gutachten werden dann selbstverständlich von Fachmännern <strong>und</strong><br />
Fachfrauen gemacht.<br />
• Die Begutachtung von <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> Zeugen in Verfahren, bei denen pädosexuelle<br />
Handlungen Thema sind, können drei Aufgaben umfassen: Die Begutachtung<br />
der Zurechnungsfähigkeit <strong>und</strong> eventuelle Therapieempfehlungen, Prognoseeinschätzungen<br />
<strong>und</strong> Glaubwürdigkeitsgutachten.<br />
• <strong>Der</strong> Begutachter selbst beschreibt Schwierigkeiten bei der Prognose <strong>und</strong> deutet einige<br />
bei der Glaubwürdigkeitseinschätzung an. Wir wissen leider nicht genau, mit welchen<br />
Methoden <strong>die</strong> gutachterliche Arbeit <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit im Detail prüft <strong>und</strong><br />
welche Informationen dafür benötigt werden. Die therapeutische Sicht jedenfalls kritisiert<br />
<strong>die</strong> gutachterliche Arbeit in Bezug auf <strong>die</strong> mangelnde Abklärung der Hintergründe<br />
<strong>und</strong> das mangelnde Wissen um „normal“-psychologische Prozesse. Diese Mängel<br />
führen dazu, dass Massnahmen empfohlen werden, <strong>die</strong> Gründe zu <strong>die</strong>sen Massnahmen<br />
aber im Dunkeln bleiben würden.<br />
• Die Polizeiseite kennt, wie der Therapeut auch, <strong>die</strong> Schwierigkeiten bei Fällen, in denen<br />
Aussage gegen Aussage steht. Gerade bei vermeintlichen Opfern im Jugendalter<br />
<strong>und</strong> in Scheidungssituationen sind Falschanschuldigungen keine Seltenheit. Die<br />
Glaubwürdigkeit in solchen Verfahren zu prüfen, ist auch aus Sicht des geschulten<br />
Psychologen nicht einfach.
57<br />
• Gr<strong>und</strong>sätzlich gilt, dass bei der gutachterlichen Arbeit einige strukturelle Probleme<br />
vorhanden sind: zum einen gibt es zu wenige forensische Gutachter in der Schweiz,<br />
was zu Engpässen bei der Bearbeitung führt. Dies wirkt sich auch auf <strong>die</strong> polizeiliche<br />
Arbeit aus. Zum anderen arbeiten <strong>die</strong> Gutachter eine relativ kurze Zeit mit den Delinquenten,<br />
was keine vertiefte Sicht der Motive <strong>und</strong> Rahmenbedingungen ermöglicht.<br />
Das hat zur Folge, dass, so zumindest <strong>die</strong> Ansicht des Therapeuten, Richterinnen<br />
<strong>und</strong> Richter zu wenig differenzierte Massnahmeempfehlungen abgeben. Die fehlende<br />
Wirkung der Besserung durch Strafe würde somit nicht durch effiziente Therapiearbeit<br />
kompensiert;<br />
• Zudem sind Gutachter in der Regel, wie <strong>die</strong> RichterInnen auch, nicht spezialisiert auf<br />
Deliktstypen oder Krankheitsbilder.<br />
Es folgt ein längeres Kapitel zur therapeutischen Behandlung. Es wird sich zeigen, ob zumindest<br />
im Bereich der Behandlungsmöglichkeiten angemessenes Know-how <strong>und</strong> dementsprechende<br />
Umsetzungen vorhanden <strong>und</strong> möglich sind.<br />
6.6. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in der therapeutischen Behandlung<br />
Die Stadtzürcher Polizei hat Erfahrungen mit therapierten Tätern sammeln können. Beim<br />
Fall, der bereits in Kapitel 6.1. zur Sprache kam, war <strong>die</strong> Therapie offenbar ein Thema:<br />
Für uns ist das ein ganz Gefährlicher <strong>und</strong> den hat man über Jahre therapiert. Bei der<br />
Hausdurchsuchung hatten wir auch <strong>die</strong> ganzen Unterlagen von seiner früheren Festnahme<br />
gef<strong>und</strong>en. Alle Unterlagen vom Gericht <strong>und</strong> vom Therapeuten <strong>und</strong> darin stand, dass er untherapierbar<br />
wäre.<br />
Man liest zwischen den Zeilen eine gewisse Frustration in Bezug auf <strong>die</strong>sen Fall. Diese<br />
Frustration wird bei einem anderen Delinquenten noch deutlicher ausgedrückt:<br />
Wenn wir hören, dass ein schwerer Fall, der 30 Monate Gefängnis bekam <strong>und</strong> <strong>die</strong> Strafe<br />
zugunsten einer ambulanten Therapie aufgehoben wurde, <strong>und</strong> man nachher sieht, dass es<br />
wirklich nichts gebracht hat <strong>und</strong> dass <strong>die</strong> Person gar nicht therapierbar ist, dann gibt das<br />
schon zu denken. Richtiger wäre, wenn er <strong>die</strong> Strafe absitzen müsste <strong>und</strong> dann zusätzlich<br />
eine Therapie bekäme. Haftbegleitend muss das ablaufen. Zudem haben <strong>die</strong> zum Teil Auflagen,<br />
wie kein Kontakt zu Kindern oder kein Zugang zu Computern, aber das kontrolliert<br />
gar niemand. Auch ob er in eine Therapie geht, wird nicht mal kontrolliert.<br />
Den PolizistInnen ist oft nicht klar, warum in einigen Fällen <strong>die</strong> Strafe zugunsten einer Massnahme<br />
erlassen wird. Sie empfinden sie als ungerecht. Zudem ist möglicherweise den PolizistInnen<br />
nicht klar, warum einer therapiert wird, wenn er doch als untherapierbar gilt. Aber<br />
am meisten gibt ihnen zu denken, dass <strong>die</strong> Auflagen nicht kontrolliert werden. Ob sie aber<br />
gr<strong>und</strong>legend den Nutzen einer therapeutischen Massnahme in Zweifel ziehen, kam in den<br />
Gesprächen nicht zum Ausdruck.<br />
Aus der gutachterlichen Optik wird klar, dass Therapien Erfolg haben können. Wird Pädophilie<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich als Einstellung betrachtet, ein Anders-Handeln-Können in den meisten<br />
Fällen vorausgesetzt, dann muss konsequenterweise davon ausgegangen werden, dass mit<br />
geeigneten Massnahmen eine solche Einstellungsveränderung erreicht werden kann. Auf <strong>die</strong><br />
Frage, wie denn Einstellungen verändert werden können, stossen wir bereits auf <strong>die</strong> erste<br />
Einschränkung:<br />
Das sind dann <strong>die</strong> Geschichten mit den Verhaltensmodifikationen. Vor einer solchen Therapie<br />
muss man aber eine Diagnose stellen <strong>und</strong> da haben wir ein Problem. Das beisst sich<br />
nämlich in den Schwanz. Deswegen müssen wir eine Einschränkung machen <strong>und</strong> sagen,<br />
<strong>die</strong> Diagnose ist forensisch relevant. Und das sind eben nicht alle Diagnosen einfach so.<br />
Die Störung muss nämlich erheblich sein. Ein Neuröschen reicht eben für <strong>die</strong> Exkulpierung<br />
nicht aus. Sie müssen schauen, welche Diagnosen für den Artikel 10/11 relevant ist.<br />
Es scheint, als ob in der Begutachtung <strong>und</strong> Therapie ein wenig mit „Tricks“ gearbeitet wird,<br />
wenn man der „reinen Lehre“ der therapeutischen Arbeit gerecht werden will. Wird ein <strong>Pädosexuelle</strong>r<br />
im forensischen Sinne als zurechnungsfähig beurteilt, kann er im forensischen Sin-
58<br />
ne nicht krank sein. Ist er nicht krank, muss er nicht therapiert werden. Zudem ist es eine<br />
Tatsache, dass gewisse <strong>Pädosexuelle</strong> nicht unter ihrer Orientierung leiden (siehe auch Kapitel<br />
6.7.) <strong>und</strong> dementsprechend kein Konflikterleben zeigen. <strong>Der</strong> forensische Psychologe behilft<br />
sich da mit einer neuen (begrifflichen) Unterscheidung:<br />
Ein Proband muss ein Konflikterleben, einen Leidensdruck <strong>und</strong> Freiwilligkeit vorweisen für<br />
eine Psychotherapie. Darum ist ja auch der Begriff der forensischen Psychotherapie ein<br />
Widerspruch. (..) Man müsste dann eben einfach pädagogische Massnahmen treffen. Das<br />
hat aber mit forensischer Therapie nichts zu tun. (...), <strong>und</strong> das gibt dann auch den ideologischen<br />
Streit, bei dem dann <strong>die</strong> hartgesottenen Therapeuten sagen, man dürfe nicht von<br />
Therapie sprechen, sondern von Pädagogik. Es scheiden sich <strong>die</strong> Geister, inwiefern forensische<br />
Therapie überhaupt den Rang <strong>die</strong>ses Begriffes bekommt. Die einzige pädagogische<br />
Massnahme ist ja, dass ich ihn einsperre <strong>und</strong> ihm gut zurede, dass er das nicht mehr tun<br />
darf. Das sind aber keine therapeutischen Bereiche, aber das ist alles eine Frage des Anspruchs,<br />
das ist sehr schwierig.<br />
Heute kommt ja das alte Thema der 70er Jahre wieder auf mit der Motivationsarbeit. Die<br />
forensische Therapie blieb da hängen, dass man so Gruppen macht <strong>und</strong> so versucht, ein<br />
Konflikterleben zu induzieren, damit man eben den therapeutischen Hebel setzen kann.<br />
Zur Psychotherapieforschung bei Delinquenten hat der Gutachter eine sehr kritische Haltung.<br />
Auf <strong>die</strong> Frage zur Rückfallhäufigkeit in Zusammenhang mit Therapiearbeit, äussert er<br />
sich folgendermassen:<br />
Das ist eben das grosse Problem, weil sie ja <strong>die</strong> falsch Positiven 69 nicht haben <strong>und</strong> das gerade<br />
<strong>die</strong> Interessanten sind. Ich kenn da nur <strong>die</strong>se kanadische oder amerikanische Stu<strong>die</strong><br />
mit <strong>die</strong>sem natürlichen Experiment <strong>und</strong> da kursierte ja, dass 30 bis 40 Prozent <strong>die</strong>ser<br />
Hochgefährlichen nicht rückfällig wurde 70 . Es gibt aber auch relativ neue Stu<strong>die</strong>n aus anderen<br />
Deliktsbereichen. Und <strong>die</strong> zeigen ganz unterschiedliche Resultate. Die einen sagen,<br />
unterm Strich bringt Psychotherapie gar nichts <strong>und</strong> <strong>die</strong> Prävalenz sei von der Therapie völlig<br />
unabhängig. Andere beschreiben Effekte. Das ist eben ganz schwierig, weil sie <strong>die</strong><br />
Gruppe der falsch Positiven nicht haben.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich ist der forensische Gutachter aber der Meinung, dass man pädosexuellen Einstellungen<br />
mit verhaltenstherapeutischen Massnahmen durchaus begegnen kann:<br />
Ja, bei den Einstellungen auf jeden Fall. Bei Fehlgewöhnung auch, bei Hirnorganizität<br />
auch, aber sehr sehr begrenzt. Bei den Süchtigen auch.<br />
Wir können hier <strong>die</strong> Forschungsresultate <strong>und</strong> <strong>die</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Schwierigkeiten nicht<br />
weiter ausführen, stattdessen lassen wir <strong>die</strong> therapeutisch Arbeitenden selbst zu Wort<br />
kommen:<br />
<strong>Der</strong> (forensische) Psychiater behandelt seit einigen Jahren <strong>Pädosexuelle</strong>:<br />
Die Behandlung von Pädophilen ist nicht auf Heilung ausgerichtet. Es ist ein Sonderfall von<br />
Behandlung, da Pädophile ihre Neigung aus mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz<br />
nicht ausleben dürfen. Es geht ihnen also mit oder nach einer Therapie nicht besser. Man<br />
kann schon sagen, dass ein straffreies Leben eine gewisse Erleichterung bringen kann,<br />
aber schlussendlich beruht <strong>die</strong> Therapie auf einer Kontrolle der pädosexuellen Bedürfnisse.<br />
Die Therapie ist auf Rückfallverhinderung ausgerichtet, ob chemische oder verhaltenstherapeutische<br />
Behandlungen, alles was einer Verhinderung eines Rückfalls <strong>die</strong>nt, ist gut.<br />
Mit anderen Worten bestätigt unser Gesprächspartner <strong>die</strong> Haltung des Begutachters; <strong>die</strong><br />
Behandlung von <strong>Pädosexuelle</strong>n ist ein Sonderfall in der therapeutischen Arbeit. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
geht es um <strong>die</strong> Erhaltung <strong>und</strong> Beibehaltung von Kontrolle.<br />
Ich basiere meine Therapien mehrheitlich auf einer chemisch-medikamentösen Behandlung,<br />
<strong>die</strong> auf ein selbstständiges Leben ohne Rückfall ausgerichtet ist. Ich habe mit meinen<br />
69<br />
<strong>Der</strong> Anteil an Inhaftierten, <strong>die</strong> nicht wieder rückfällig würden, wenn sie es unter Beweis stellen könnten, <strong>die</strong> also<br />
fälschlicherweise als rückfallgefährdet Beurteilten.<br />
70<br />
Gemeint ist damit wahrscheinlich <strong>die</strong> Begebenheit in einem amerikanischen Gefängnis für Hochgefährliche.<br />
Aus formaljuristischen Gründen musste ein Teil der als hochgefährlich begutachteten Straftäter entlassen werden<br />
<strong>und</strong> ein beachtlicher Prozentsatz unter ihnen stellte sich in der unerwarteten Freiheit als nicht gefährlich heraus.<br />
Ich kenne den Fall aber nur vom Hören-Sagen.
59<br />
Behandlungsmethoden gute Erfahrungen gemacht. Ein wirklicher Rückfall ist bis anhin<br />
noch nicht passiert. Es kam vor, dass Patienten wieder in der Nähe von Spielplätzen,<br />
Schwimmbäder etc. aufgetaucht sind. Sie sind verwarnt worden, aber einen richtigen<br />
Rückfall habe ich noch nicht erleben müssen. Ich habe aber keinen Einblick in <strong>die</strong> längerfristige<br />
Entwicklung, meist sind <strong>die</strong> Patienten nur bis Abschluss der Probezeit unter Beobachtung.<br />
Die chemisch-medikamentöse Behandlung führt letztlich dazu, dass <strong>die</strong> Patienten keine sexuelle<br />
Lust mehr verspüren. Die Nebenwirkungen sind nicht zu unterschätzen. Es kann angenommen<br />
werden, dass <strong>die</strong>se Art von Behandlung nur bei schweren Fällen <strong>und</strong> / oder Wiederholungstäter<br />
angewendet wird. Die Frage, ob <strong>die</strong>se Behandlung auch bei Kinderpornografie-Konsumenten<br />
zur Anwendung kommen könnte, wird dementsprechend verneint:<br />
Ich stehe dem skeptisch gegenüber. Eine medikamentöse Massnahme halte ich für übertrieben<br />
<strong>und</strong> ich kann mir nicht vorstellen, welche sonstige Massnahme greifen könnte. Ein<br />
Appell an das Risiko, erwischt zu werden mit allen Konsequenzen oder eine Stärkung des<br />
moralischen Bewusstseins kann man sich noch am ehesten vorstellen.<br />
In <strong>die</strong>sem Sinn ist eine allfällige Behandlungsmöglichkeit bei Kinderpornografie-<br />
Konsumenten für mich noch ein ungelöstes Problem. Den reinen Betrachter, soll man den<br />
schon mit chemischen Keulen behandeln? Also wenn er das will, weil er sich selber kontrollieren<br />
will <strong>und</strong> dem Trieb nicht widerstehen kann, dann schon, aber das ist ja nicht <strong>die</strong><br />
Regel. <strong>Pädosexuelle</strong> haben ja normalerweise kein echtes Unrechtsbewusstsein <strong>und</strong> dann<br />
ist <strong>die</strong> Frage, ob beim reinen Betrachter eine so massive Behandlung mit starken Nebenwirkungen<br />
angemessen ist <strong>und</strong> das als verhältnismässig angeschaut würde.<br />
Behandlungen, <strong>die</strong> auf Opferempathie oder auf der Früherkennung von risikoträchtigen Situationen<br />
beruhen, setzen schon ein gewisses Schuldbewusstsein voraus. Und das ist bei<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>n meist eher nicht vorhanden. Von verordneten ambulanten Psychotherapien<br />
für Kinderpornografie halte ich eher wenig. Vielleicht kann das Risiko stärker betont werden<br />
<strong>und</strong> eine Verdeutlichung, was gesellschaftlich auf dem Spiel steht.<br />
Diese „Behandlung“ würde dann wieder auf <strong>die</strong> pädagogischen Massnahmen herauslaufen.<br />
Wie in Kapitel 6.1. ausgeführt, hat es unser Gesprächspartner aus der Psychiatrie mit einer<br />
speziellen Population unter den <strong>Pädosexuelle</strong>n zu tun. Es sind in der Regel solche, <strong>die</strong> vom<br />
Gericht zu einer Massnahme verurteilt worden sind <strong>und</strong> - wie wir annehmen - wohl schwerere<br />
Verbrechen begangen haben.<br />
<strong>Der</strong> Psychotherapeut behandelt (siehe Kapitel 6.1.) auch nicht straffällig gewordene <strong>Pädosexuelle</strong>.<br />
Ein Psychologe arbeitet gr<strong>und</strong>sätzlich nicht medikamentös, ausser er ist auch noch<br />
Arzt. Wie sehen <strong>die</strong> psychologischen Behandlungsmöglichkeiten bei „Freiwilligen“ aus? <strong>Der</strong><br />
bereits auf Seite 39 kurz beschriebene Akademiker ist von sich aus in Therapie. Warum hat<br />
er sich in Therapie begeben? Auf meine Frage, ob er leide:<br />
Ja, er leidet sehr, aber er leidet eigentlich daran, dass er sich verliebt <strong>und</strong> es nie wirklich<br />
erwidert wird. Und wenn er zu aufdringlich wird, dann finden es <strong>die</strong> Leute komisch <strong>und</strong><br />
dann brechen sie den Kontakt ab. Er beginnt z.B. ständig zu telefonieren, will immer abmachen,<br />
will ständig mit den Kindern zusammen sein. Alle mögen ihn eigentlich, aber einmal<br />
in der Woche oder im Monat würde reichen, so wie man halt mit anderen netten Menschen<br />
auch umgeht. Er ist aber zutiefst einsam, er kann sich nicht auf Erwachsenenbeziehungen<br />
einlassen. Auch Fre<strong>und</strong>schaften gibt es bei ihm eigentlich nur zu Leuten, <strong>die</strong> Kinder<br />
haben. Die finden es an sich toll, dass sie einmal mit einem erwachsenen, gescheiten<br />
Menschen reden können, der auch ihre Kinder akzeptiert. Mit dem kann man am Sonntag<br />
etwas unternehmen <strong>und</strong> er kommt mit.<br />
Er hat nicht <strong>die</strong> Einsicht, dass seine Liebe zu einem Kind oder gar eine sexuelle Beziehung<br />
für das Kind schädlich sein könnte. Aber:<br />
Das hat er bei mir gelernt. Aber er behilft sich mit der Behauptung, dass er nie etwas Sexuelles<br />
machen würde. Er liebt <strong>die</strong>se Kinder <strong>und</strong> er bevorzugt sie. Das sind dann irritierende<br />
Handlungen <strong>und</strong> häufig hat er erlebt, dass <strong>die</strong> Kinder dann frech werden. Es gibt dann<br />
so Machtspiele von den Kindern <strong>und</strong> er leidet dann fürchterlich <strong>und</strong> fragt sich, warum <strong>die</strong><br />
Kinder so böse sind zu ihm. Die Kinder merken es irgendwie, dass er nach Beziehung
60<br />
lechzt <strong>und</strong> wenn dann ein Kind sagt, bleib doch bei uns <strong>und</strong> Du gehörst doch zu uns, dann<br />
ist er überglücklich.<br />
Sein Leiden besteht in immerwährender unerwiderter Liebe, in seiner Isolation in der Erwachsenenwelt<br />
<strong>und</strong> wohl auch in der gesellschaftlichen Ächtung seiner Orientierung.<br />
Dass <strong>die</strong> Orientierung geändert werden könnte, glaubt unser Interviewpartner nicht:<br />
Das ist etwas, das auch therapeutisch sehr schwer zu verändern ist. Häufig kann man<br />
schauen, dass sie sich über Wasser halten, man kann schauen, dass sie nicht verunglücken.<br />
Ein Element ist, dass <strong>die</strong>se Menschen unglaublich einsam sind. Weil das Modell von<br />
ihnen mit Kindern kann einfach nicht funktionieren. Für Kinder ist das nicht <strong>die</strong> normale<br />
Welt <strong>und</strong> auch wenn sie Kinder teilweise begleiten können, so auf dem Spielplatz, dann<br />
gehen <strong>die</strong> Kinder nachher wieder zu ihren Müttern <strong>und</strong> für <strong>die</strong> Kinder ist klar, dass eben<br />
das ihre Mütter sind. Diese Kinder kann man nicht haben. Man kann dann schon schauen,<br />
dass man z.B. in Brasilien ein Strassenkind finden kann, aber <strong>die</strong> sind so bindungsunfähig,<br />
dass sie auch nicht das geben können, was <strong>die</strong>se Männer wollen. Sie kommen so eigentlich<br />
nie auf ihre Rechnung. Wenn <strong>die</strong>se Leute betreut sind, so können sie zumindest mal<br />
darüber reden, sie können ihrem Elend Ausdruck geben <strong>und</strong> sie können gestützt werden.<br />
Sie müssen aber bestätigt werden, dass ihr Modell nicht zum Erfolg führen kann <strong>und</strong> man<br />
muss sie dabei trösten. Man muss ihnen aber auch klar machen, dass sie keine Beziehung<br />
mit Kindern erzwingen oder erschleichen können. Sie sind ja sehr findig <strong>und</strong> sie lassen<br />
sich zum Teil unglaubliche Dinge einfallen.<br />
Sich kontrollieren lernen, eine gewisse Empathie für <strong>die</strong> potentiellen kleinen PartnerInnen<br />
entwickeln, sich trösten lassen, lernen, sich über Wasser zu halten <strong>und</strong> nicht straffällig werden;<br />
<strong>die</strong>se eher beelendende Wirkung durch <strong>die</strong> Therapiearbeit stellt auch aus Sicht des<br />
Therapeuten ein Widerspruch zu den sonstigen Therapiemöglichkeiten dar:<br />
Bei ihm ist <strong>die</strong> grosse Gefahr in der Therapie, dass er den Mut bekommt, aktiv zu werden.<br />
Weil Therapien wollen ja eigentlich, dass <strong>die</strong> Menschen aktiv werden, dass sie ihre Wünsche<br />
besser durchsetzen können. Nun ist es aber bei seinen Wünschen besser, wenn er<br />
sie nicht durchsetzt.<br />
Diese mögliche Kontraproduktivität bei Therapien mit <strong>Pädosexuelle</strong>n haben wir bei den<br />
Gruppierungen auf dem Internet bereits angesprochen (siehe Kapitel 2.3.1.), es besteht aber<br />
auch bei Selbsthilfegruppen, <strong>die</strong> von Pädophilenorganisationen angeboten werden:<br />
Auch <strong>die</strong> Tendenz, dass sich Pädophile outen, dass sie sich zusammenschliessen, Selbsthilfegruppen<br />
gründen. Da reden sie sich schon ein, dass sie gut sind zu den Kindern, dass<br />
sie es gut meinen <strong>und</strong> sie bestätigen sich gegenseitig. Das ist etwas Gefährliches.<br />
Wir werden im folgenden Kapitel noch auf <strong>die</strong>se Problematik zu sprechen kommen.<br />
Abschliessend werden <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>sätze von Therapiearbeit bei <strong>Pädosexuelle</strong>n nochmals auf<br />
den Punkt gebracht:<br />
Es gibt einfach einige Prinzipien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Therapien erfüllen müssen. Es darf nicht rein analytisch<br />
ausgerichtet sein, das heisst man darf <strong>die</strong> Aktivitäten in der Therapie nicht dem<br />
Klienten überlassen. Es muss auch erzieherische <strong>und</strong> moralische Aspekte beinhalten, <strong>die</strong><br />
der Therapeut übernehmen muss. Das lässt sich in den meisten Therapieformen durchführen.<br />
Es dürfen auch keine Programme abgespult werden. Das ist zwar im Moment modern,<br />
aber es ist zuwenig individuell. Und es fokussiert den eigentlichen sexuellen Übergriff zu<br />
stark. Das Delikt muss schon einbezogen <strong>und</strong> auch stark thematisiert werden, wenn sich<br />
<strong>die</strong> Therapie aber nur auf das Delikt beschränkt, dann wird ein Bereich im Leben des Pädophilen,<br />
der an sich schon völlig isoliert ist <strong>und</strong> abgespalten, weiterhin isoliert behandelt.<br />
Jede therapeutische Intension zielt aber darauf ab, dass man das Bestehende weiterentwickelt,<br />
dass bessere Möglichkeiten entdeckt werden, dass der Fetischist auch einmal zum<br />
Lebewesen kommt. Bei Pädophilen wäre es <strong>die</strong> Hoffung, dass sie sich in eine ältere Generation<br />
hineinentwickeln können. Das ist aber erfahrungsgemäss selten der Fall. Aber es<br />
kommt schon vor. Die Regressiven sind sogar relativ leicht therapierbar. Wenn sie <strong>die</strong><br />
Umgebung geordnet haben, sind sie eigentlich aus der Gefahrenzone draussen. Bei den<br />
so genannten Kernpädophilen, <strong>die</strong> nichts anderes im Kopf haben, für <strong>die</strong> ist der therapeutische<br />
Erfolg eine Verarmung. Sie sind eingeschränkt im Leben, sie müssen verzichten.<br />
Wenn sie gescheit <strong>und</strong> empfindsam sind, können sie eventuell nachvollziehen, dass es für
61<br />
das Kind ungünstig ist. Ein Lehrer mit <strong>die</strong>sen Fähigkeiten kann zum Beispiel sagen, dass<br />
er freiwillig aufs Schule geben verzichtet, weil er dauernd in Versuchung gerät. Dann wird<br />
er halt Nachtwächter in einer Fabrik <strong>und</strong> kontrolliert Maschinen. Er muss bereit sein, das<br />
Milieu zu wechseln <strong>und</strong> das ist manchmal erreichbar.<br />
In <strong>die</strong>sem letzten, dichten Zitat kommt auch zum Ausdruck, dass man <strong>die</strong> verschiedenen Motive<br />
der <strong>Pädosexuelle</strong>n bei der Behandlung berücksichtigen muss.<br />
Zusammenfassend schliesst das letzte Kapitel zu den therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten<br />
mit folgenden Punkten:<br />
• In Polizeikreisen kommt man mit den Therapeuten kaum in Kontakt, das Wissen um<br />
<strong>die</strong> Behandlungsmöglichkeiten wird in der Regel klein sein, aber <strong>die</strong> Skepsis ist<br />
gross, wenn <strong>die</strong> Ermittelnden mit therapierten oder nicht-therapierbaren Wiederholungstätern<br />
in Kontakt kommt.<br />
• Zudem wird offenbar <strong>die</strong> Beobachtung gemacht, dass <strong>die</strong> verordneten Massnahmen<br />
nicht kontrolliert werden, was <strong>die</strong> bereits bestehende Skepsis wohl eher noch vergrössert.<br />
• Die forensische Begutachtung ist in unserem Fall gegenüber Therapiemöglichkeiten<br />
im forensischen Bereich gr<strong>und</strong>sätzlich kritisch eingestellt. Da bei Gefängnispopulationen<br />
gewisse Gr<strong>und</strong>bedingungen für Therapiearbeit nicht gegeben sind <strong>und</strong> im Speziellen<br />
bei <strong>Pädosexuelle</strong>n der Leidensdruck oft nicht gegeben ist, sollte man aus<br />
Sicht des Gutachters eher von pädagogischen, denn von therapeutischen Massnahmen<br />
sprechen. Zum Erfolg von Therapien im Strafvollzug kann sich der Gutachter<br />
aus forschungstheoretischen <strong>und</strong> methodischen Mängeln bei der Messung von Erfolgen,<br />
nicht äussern.<br />
• Diejenige Population, <strong>die</strong> zum (forensischen) Psychiater in Behandlung kommt, wird<br />
sich durch Wiederholungstaten <strong>und</strong>/oder schwere Verbrechen „auszeichnen“. Dadurch<br />
rechtfertigt sich aus psychiatrischer Sicht auch eine chemisch-medikamentöse<br />
Behandlung, <strong>die</strong> der Psychiater für weniger gravierende Delikte, wie den Konsum von<br />
Kinderpornografie, nicht einsetzten würde. Diese Art von Behandlung ist auf Triebreduktion<br />
ausgerichtet <strong>und</strong> scheint bei gewissen <strong>Pädosexuelle</strong>n, zumindest was <strong>die</strong><br />
Dauer der Behandlung betrifft, auch wirksam zu sein. Deutlich sieht der Psychiater<br />
aber auch <strong>die</strong> Grenzen der Behandlung, da sie nicht auf Heilung ausgerichtet ist,<br />
sondern auf Kontrolle der gesellschaftlich <strong>und</strong> strafrechtlich nicht akzeptierten sexuellen<br />
Orientierung.<br />
• Gleichermassen argumentiert der Psychotherapeut, wenn er <strong>die</strong> Chancen einer Behandlung<br />
in der Kontrolle, einer gewissen Einsichtsfähigkeit <strong>und</strong> in einer Umorientierung<br />
in Bezug auf potentielle Sexual- oder Liebespartner im Bereich des Möglichen<br />
sieht. In der psychotherapeutischen Behandlung werden auch nicht straffällig gewordene<br />
Pädophile <strong>und</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> behandelt, aber auch deren Leidensdruck kommt<br />
eher infolge unerwiderter <strong>und</strong> unmöglich lebbarer Liebe zustande, denn aus der Einsicht,<br />
dass <strong>die</strong> Orientierung krank oder schädlich für <strong>die</strong> PartnerInnen sein könnte.<br />
Auch hierbei ist das Ziel der Behandlung nicht Heilung, sondern Beherrschung mit<br />
dem gewünschten Effekt eines straffreien Lebens, das aber weiterhin von Einsamkeit<br />
innerhalb der Erwachsenenwelt geprägt ist.<br />
• Wenn <strong>Pädosexuelle</strong>, freiwillig oder auf richterliche Anordnung, eine Therapie machen,<br />
ist es essentiell, dass sie von professionellen <strong>und</strong> spezialisierten TherapeutInnen<br />
behandelt werden. Ungeeignete Therapieformen bergen <strong>die</strong> Gefahr, dass<br />
sich <strong>Pädosexuelle</strong> durch das Reden über ihre Orientierung Mut verschaffen <strong>und</strong> aktiv(er)<br />
werden.<br />
Bevor wir <strong>Pädosexuelle</strong>n selbst zu verschiedenen, bereits thematisierten Aspekten das Wort<br />
erteilen, schieben wir einen Exkurs zum Suchtaspekt ein. <strong>Der</strong> Suchtaspekt, der vor allem im<br />
Konsum von Kinderpornografie ein Thema ist, wurde von den GesprächspartnerInnen<br />
mehrmals angesprochen. Da es sich um einen Aspekt handelt, der unabhängig vom Straf-
62<br />
verfolgungsprozess zur Sprache kam, der mir aber dennoch wichtig erscheint, will ich ihn<br />
abschliessend noch anführen.<br />
Exkurs II: <strong>Der</strong> Suchtaspekt<br />
Es ist hier nicht der Ort, <strong>die</strong> Suchtthematik theoretisch auszuführen. Vorausgehend soll nur<br />
erwähnt sein, dass <strong>die</strong> Symptome für eine Entwicklung zur Sucht, wie sie von Hans Giese<br />
(1962) bereits in den 60-er Jahren beschrieben wurden 71 , weiterhin ihre Gültigkeit zu haben<br />
scheinen. Zudem werden <strong>die</strong>se Leitsymptome auch auf perverse Entwicklungen im Sexualbereich<br />
(z.B. Sigusch, 2002), <strong>und</strong> neuerdings auch Suchtverhalten von Internet-<br />
Konsumenten (Cyber-Sex-Süchtige) angewandt <strong>und</strong> diskutiert. <strong>Der</strong> Psychologe Franz Eidenbenz,<br />
der sich auf <strong>die</strong> Auswirkungen von Internetpornografie spezialisiert hat 72 , geht davon<br />
aus, dass zwei bis drei Prozent der Internetnutzer süchtig sind <strong>und</strong> weitere drei Prozent<br />
gefährdet. 73 „Sucht <strong>und</strong> Internet„ ist ein neues Thema, <strong>die</strong> Psychologen <strong>und</strong> Psychiater bereits<br />
beschäftigen. Es ist eine Frage der Zeit, bis der „süchtige Zerfall“ auch bei der Begutachtung<br />
<strong>und</strong> der Rechtssprechung als eigenes Kapitel auftauchen wird.<br />
Wie wir am Schluss von Kapitel vier gelesen haben, ist Sucht für <strong>Pädosexuelle</strong>, <strong>die</strong> auf Kinderpornografie<br />
zurückgreifen, ein Thema <strong>und</strong> Problem. Aus der polizeilichen Ermittlung wissen<br />
wir, dass bei Hausdurchsuchungen bei gewissen <strong>Pädosexuelle</strong>n unglaubliche Mengen<br />
an kinderpornografischen Darstellungen beschlagnahmt werden. Wir wollen im Folgenden<br />
unsere Gesprächspartner zum Thema Sucht, Kinderpornografie <strong>und</strong> Internet zitieren. <strong>Der</strong><br />
Jurist führt uns aus, weshalb der Konsum im Schweizerischen Strafgesetzbuch nicht pönalisiert<br />
ist:<br />
Die Frage ist ja auch, was man überhaupt bestrafen will; einen krankhaften Trieb oder <strong>die</strong><br />
Etablierung <strong>und</strong> aktive Förderung eines kriminellen Marktes?<br />
Auf <strong>die</strong> Rückfrage, ob denn der Konsum nicht auch den Markt unterstütze:<br />
Auf den ersten Blick mag <strong>die</strong>s zutreffen. Ich bin aber überzeugt, dass der Konsum bei<br />
normal veranlagten Menschen eine einmalige Sache bleibt. Deshalb ergibt sich aus <strong>die</strong>sem<br />
Konsumverhalten keine wirkliche Ankurbelung des Marktes. Wird der Konsum weitergeführt,<br />
so ist <strong>die</strong>s in aller Regel auch mit Speicherung <strong>und</strong> Besitz verb<strong>und</strong>en. Und damit<br />
ist <strong>die</strong> Grenze zur Strafbarkeit überschritten. Eine Analogie kann evtl. zum Verbot der Einfuhr<br />
von Kinderpornografie gezogen werden. Meines Wissens bezweckt <strong>die</strong>ses Verbot <strong>die</strong><br />
Masse an illegalen Materialien im Inland nicht zu vergrössern. Solange das Konsumieren<br />
nicht als elektronische Einfuhr bewertet wird, ist es auch schlüssig, den blossen Konsum<br />
nicht unter Strafe zu stellen.<br />
Das Gesetzt geht also davon aus, dass <strong>die</strong> „wirklichen“ Konsumenten von Kinderpornografie,<br />
nicht <strong>die</strong>jenigen sind, <strong>die</strong> nur wenige Male „reinschauen“ oder zufällig beim Surfen auf Kinderpornografie<br />
stossen, sondern solche, <strong>die</strong> aktiv abspeichern <strong>und</strong> sich somit strafbar machen.<br />
Wie von der Polizeiseite bereits erwähnt, gibt es durchaus „nur“-Konsumenten, bei denen<br />
sich viele Dateien vorwiegend auf den Temporary Files befinden, <strong>die</strong> aber durch Unvorsichtigkeit<br />
auch Dateien abspeichert <strong>und</strong> sich somit strafbar gemacht haben:<br />
Wir hatten Fälle, <strong>die</strong> hatten 20'000 Dateien in den Temp-Files, aber es genügt ein Bild aktiv<br />
abgespeichert <strong>und</strong> dann hat’s ihn.<br />
Sie erwähnen aber, dass <strong>die</strong>s eher <strong>die</strong> Ausnahme ist. In den Daten der Genesis-Aktion fanden<br />
sich dennoch nicht Wenige, <strong>die</strong> konsumiert, aber nicht abgespeichert hatten. Es wird<br />
sich aber in der Regel dabei nicht um grosse Sammler handeln. Wir können also davon aus-<br />
71 Grob zusammengefasst handelt es sich um folgende Leitsymptome: Verfall der Sinnlichkeit, zunehmende Frequenz<br />
mit abnehmender Satisfaktion, Promiskuität <strong>und</strong> Anonymität, Ausbau von Phantasien, Praktik <strong>und</strong> Raffinement,<br />
süchtiges Erleben <strong>und</strong> Periodizität des Verlangens (Wiederholungszwang).<br />
72 Er behandelt auch Verurteilte aus der Aktion Genesis.<br />
73 Interview mit Franz Eidenbenz in der Sonntags-Zeitung vom 18. Mai 2004 unter dem Titel „Eine neue Dimension<br />
erreicht“. Siehe auch http://www.suchtmagazin.ch/text1-04.htm. Es handelt sich dabei aber nicht nur um Sexsüchtige,<br />
sondern auch Spiel- oder Chat-Süchtige.
63<br />
gehen, dass <strong>die</strong> Gesetzeslage <strong>die</strong> „echten“ Kinderpornografie-Konsumenten erfasst, auch<br />
wenn wir annehmen müssen, dass <strong>die</strong> Schlaueren unter ihnen mit der neuen Gesetzeslage<br />
umzugehen lernen 74 .<br />
Die forensische Begutachtung brachte im Gespräch einen Begriff ein, der durchaus mit<br />
süchtigen Kinderpornografie-Konsumenten in Zusammenhang gebracht werden kann.<br />
Die Juristen haben da einen ganz schlimmen Begriff: den Hang. Wenn sie bei einem Prozess<br />
<strong>die</strong>sen Begriff verpasst bekommen, dann kommt <strong>die</strong> Verwahrung ins Spiel. Wenn der<br />
Hang ins Spiel kommt, ist es ein Gewohnheitsverbrecher. Die Gewohnheit ist weit weg<br />
vom Krankheitsbegriff.<br />
<strong>Der</strong> Hang wird als eine starke Gewohnheit definiert, bei der man davon ausgeht, dass <strong>die</strong><br />
Betroffenen <strong>die</strong> Kontrolle über ihr Tun verloren haben. Auf den Hinweis, dass es Kinderpornografie-Konsumenten<br />
gibt, <strong>die</strong> von sich aus behaupten, sie hätten den Konsum nicht unter<br />
Kontrolle, meint der forensische Gutachter:<br />
Ja, das würde ich auch glauben. Aber man muss auch aufpassen, ob Verdächtigte das<br />
nicht wissen <strong>und</strong> meinen, sie bekommen deswegen Rabatt, aber prognostisch schlägt sich<br />
das ausserordentlich ungünstig nieder.<br />
Aber ich würde doch sagen, dass es auch in <strong>die</strong>sem Bereich den süchtigen Zerfall gibt <strong>und</strong><br />
es Leute gibt, <strong>die</strong> das nicht sein lassen können.<br />
Aber beim süchtigen Zerfall, da wird es eben schwierig. Zerfall nennt man das, weil man<br />
dabei von einem Zerfall der Persönlichkeit ausgeht. Die Sucht ist ja durch den Kontrollverlust<br />
definiert <strong>und</strong> wenn ein Kontrollverlust vorhanden ist, dann können sie nicht mehr von<br />
der Fähigkeit des „anders handeln Könnens“ reden. Eine solche Person müssen sie dann<br />
tatsächlich in <strong>die</strong> Nähe der Artikel 10/11 rücken. Und dann können wir auch von einer<br />
Krankheit sprechen. Es ist aber ausserordentlich schwierig, <strong>die</strong> Linie zu ziehen. Wann haben<br />
wir es mit einer Krankheit zu tun, wann mit einer Gewöhnung <strong>und</strong> Einstellung?<br />
In der Regel mutet man es dem Täter zu, dass er anders handeln kann <strong>und</strong> bei den anderen<br />
schaut man, ob es ein süchtiger Zerfall ist. Das ist dann wieder ein schwieriger Begriff.<br />
Dann kommen <strong>die</strong>se Geschichten mit dem Kontrollverlust <strong>und</strong> wir annehmen müssen,<br />
dass sie eben nicht anders konnten. Und bei der Sexualität findet man eben auch Suchtstrukturen.<br />
Entschieden ist er auch der Meinung, dass der Kontrollverlust <strong>und</strong> der süchtige Zerfall durch<br />
das Internet begünstigt werden können:<br />
Ja, sicher, wegen der Verfügbarkeit. Das Problem ist ja, dass man bei süchtigen Persönlichkeiten<br />
das Modell hat, dass etwas weggenommen wird <strong>und</strong> das ersetzt werden muss,<br />
das Substitutionsmodell.<br />
Meines Wissens wurde noch niemand in der Schweiz wegen süchtigem Konsum (resp. Besitz)<br />
von Kinderpornografie als vermindert zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig begutachtet.<br />
Innerhalb der Aktion Genesis wurde aber Einigen eine ambulante Psychotherapie<br />
verordnet oder empfohlen, wenn es sich um starke Sammler handelte. Wie angesprochen<br />
habe auch Einige von sich aus behauptet, dass sie durch das Sammeln von illegalen Materialien<br />
süchtig geworden seien. Sie hätten immer wieder neue Dateien gesucht, Serien vervollständigen<br />
wollen <strong>und</strong> dafür beträchtliche Energie an den Tag gelegt. Unter Diesen ist<br />
auch auffallend, dass sie viel Zeit investieren, um <strong>die</strong> Dateien zu beschriften, ein System<br />
herzustellen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ordnung zu pflegen. In <strong>die</strong>sem Sinn verhalten sich <strong>die</strong> Konsumenten<br />
wie Sammler von anderen, seltenen Dingen, <strong>die</strong> man haben <strong>und</strong> vervollständigen will. Die<br />
psychiatrische Sicht sieht <strong>die</strong>s auch so, würde <strong>die</strong>se süchtige Sammeltätigkeit aber nicht<br />
als Krankheit bezeichnen:<br />
<strong>Der</strong> Kollektionismus im pathologischen Sinne ist wohl etwas anderes als <strong>Pädosexuelle</strong>, <strong>die</strong><br />
ihre Bilder sammeln, um sie zu tauschen, um sie immer wieder anzusehen. Beim pathologischen<br />
Sammler steht ja das Sammeln an sich im Vordergr<strong>und</strong>). <strong>Der</strong> Mensch ist schon<br />
74 Nach Auskunft von IT-SpezialistInnen ist es bereits jetzt mit entsprechender Software möglich, den Cache-<br />
Speicherplatz zu vergrössern, <strong>die</strong> Speicherdauer zu verlängern <strong>und</strong> den Zugriff so zu organisieren, als ob es sich<br />
um einen normalen Speicherplatz handeln würde.
64<br />
Jäger <strong>und</strong> Sammler, aber das Sammeln als Paraphilie kann ich mir kaum vorstellen. Das<br />
ist kein Trieb an sich, man kann sich das höchstens als etwas Sek<strong>und</strong>äres vorstellen. Das<br />
Bild hat in <strong>die</strong>sen Kreisen von "Kennern" einen hohen Stellenwert <strong>und</strong> ist auch ein kostbares<br />
Tauschgut. Und wenn etwas selten oder verboten ist <strong>und</strong> auch teuer bezahlt wurde,<br />
steigt auch der Sammlerwert. Das ist dann eher wie beim Briefmarkensammler.<br />
Eine mögliche verstärkende, suchterzeugende Wirkung des Internets auf <strong>Pädosexuelle</strong> wird<br />
angesprochen. Dieser Zusammenhang findet sich aber bei verschiedensten Formen von<br />
Pornografie oder in anderen Bereichen des menschlichen Lebens. Die natürlichen Schranken<br />
im üblichen Zusammenleben fallen weg <strong>und</strong> lassen Raum für eine künstliche Welt, <strong>die</strong><br />
unberechenbarer wird:<br />
Also derjenige, der <strong>die</strong> entsprechende Prädispostion mitbringt, <strong>und</strong> er sieht, dass er nicht<br />
gerade eine Verhaftung riskiert <strong>und</strong> es geht eine Zeit lang gut, der kann durch ein gesteigertes<br />
Angebot eine gesteigerte Nachfrage entwickeln. Was ich hingegen nicht glaube, ist,<br />
dass ein Angebot eine Triebrichtung verändern kann. Das wäre ja, wie wenn ein normal<br />
veranlagter Mann nach einem Schwimmbadbesuch plötzlich als Pädophiler herausläuft.<br />
Aber auf der veranlagten Triebrichtung kann sich <strong>die</strong> Nachfrage steigern lassen. Je bizarrer<br />
<strong>die</strong> Abweichung ja ist, umso schwieriger ist es auch, <strong>die</strong>se zu befriedigen. Umso<br />
schwieriger, aufwändiger, teurer, auch gefährlicher wird es. Dort wo es zusätzlich kriminalisiert<br />
ist, können <strong>die</strong> Anbieter natürlich auch <strong>die</strong> Preise hoch ansetzen. Das ist wie beim<br />
Heroin. Von dem her lässt sich das auch ausbeuten, aber man kann da nicht einfach Normalbürger<br />
reinziehen.<br />
Ähnlich ist es bei den Suizid-Internetseiten. Bei den Homepages zur Anleitung zum Suizid<br />
sind auch hier nur <strong>die</strong> gefährdet, <strong>die</strong> eine gewisse Suizidalität schon spüren <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses<br />
Phänomen dadurch begünstigt wird.<br />
Im Vergleich zum Beispiel zur Nikotinsucht ist ja Sexualität ein primärer Trieb. Und bei<br />
welcher Ausrichtung auch immer, meist merkt man in der Pubertät bereits, welche sexuellen<br />
Neigungen vorhanden sind. Auch <strong>Pädosexuelle</strong> merken sehr früh, dass sie anders<br />
sind. Ein 40-Jähriger, der überraschend merkt, dass er Kinder anziehend findet, ist unglaubwürdig.<br />
Jeder Mann merkt <strong>und</strong> weiss sehr früh, auf welche Art von Reizen er reagiert.<br />
Natürlich gibt es den gesellschaftlichen Druck, dass er nicht dazu stehen kann, aber merken<br />
würde er es trotzdem. (…)<br />
Sexualität ist steigerungsanfällig. Wer sexuell aktiv ist, ist empfänglich für mehr. Die<br />
menschlichen Beziehungen sind eine natürliche Art, den sexuellen Austausch einzubetten,<br />
<strong>und</strong> dadurch auch zu mässigen. Wenn <strong>die</strong>se Mässigungen fehlen <strong>und</strong> sexuelle Gefühle mit<br />
hoher Frequenz frustrationslos konsumiert werden können, dann steigt auch <strong>die</strong> Kadenz.<br />
Dann ist suchtartige Entwicklung gut möglich.<br />
Beim Thema Sucht muss unterschieden werden, dass es qualitative Abweichungen gibt im<br />
Sexualverhalten, eben <strong>die</strong> Paraphilien, <strong>die</strong> nichts mit der Menge zu tun haben müssen.<br />
Dann gibt es suchtartiges Sexualverhalten, dass aber nicht mit einer Paraphilie einhergehen<br />
muss. Es ist ein wenig so, dass <strong>die</strong> Neigungen, <strong>die</strong> eben nicht normal sind, schwieriger<br />
zu befriedigen sind <strong>und</strong> deshalb vermehrt zu einer süchtigen Entwicklung führen. Gerade<br />
weil im Internet quasi eine Art Selbstbe<strong>die</strong>nung angeboten wird, kann man das Tempo<br />
selber vorgeben <strong>und</strong> <strong>die</strong> natürlichen Einschränkungen, <strong>die</strong> durch Partnerinnen oder<br />
Partner vorgegeben werden, fallen weg. Es besteht keine gegenseitige Sexualerziehung<br />
mehr, keine Angleichung der quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Bedürfnisse. In <strong>die</strong>sem Sinne<br />
sind <strong>die</strong> Internetnutzer prädisponiert für eine süchtig-perverse Entwicklung. Zum einen<br />
mengenmässig, aber auch in immer extremeren Formen.<br />
Wie wir bereits gehört haben, wird dementsprechend aus psychiatrischer Sicht empfohlen,<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>, <strong>die</strong> zu Kinderpornografie-Konsum neigen, vom Internet fernzuhalten, ob sie<br />
nun „nur“ konsumieren oder aktiv Materialen herunterladen. Solche Vorgaben werden, wie<br />
einzelne Erfahrungen der Polizei zeigen, nicht kontrolliert.<br />
Auch aus der Sicht des Psychotherapeuten wird der Suchtaspekt im Zusammenhang mit<br />
fehlenden menschlichen Beziehungen angesprochen:<br />
(…) es liegt in der Natur von gewissen Perversionen, dass sie nie zu einer Befriedigung<br />
kommen. Das hat etwas Trostloses. Einer, der zu Dominas ging, hat mir einmal gesagt, er<br />
müsse immer wieder dahin gehen, aber immer, wenn er raus kommt, ist er am Boden zer-
65<br />
stört <strong>und</strong> beschämt. Aber kaum ist er wieder zu Hause, baut sich <strong>die</strong> Phantasie wieder auf.<br />
Dann sucht er wieder eine andere <strong>und</strong> denkt, mit der wäre es besser.<br />
Und natürlich ruft alles, was mit Sexualität zu tun hat, nach Wiederholung. Auch im ganz<br />
normalen Bereich ist man ja nicht nach einmal zufrieden. Wenn das aber mit sadistischen<br />
Elementen gekoppelt ist, ist das doch eine gefährliche Sache. Sexualität ist immer auch<br />
ein wenig aggressiv, das kann man nicht wegdenken, aber wenn das Sadistische darin<br />
gross wird, dann ist <strong>die</strong> Befriedigung nie da. Man will immer mehr, immer anders. Das ist<br />
so ein Publikum, das so in Partyszenen verkehrt, meist auch Kokain nimmt, um zu steigern.<br />
Die sind da wahnsinnig kreativ <strong>und</strong> sie geben sich auch Tipps für Neues. Das sind<br />
nicht ganz ungefährliche Phantasien. Beziehungsmässig ist da nichts da, es ist emotional<br />
nicht ausgefüllt.<br />
Wie aus Sicht des Therapeuten bereits erwähnt, bergen das Internet, wie auch unprofessionelle<br />
Therapien oder Selbsthilfegruppen, <strong>die</strong> Gefahr, dass sich Gefährdete im Kreis von<br />
Gleichgesinnten oder durch unqualifizierte Bestärkung in ihrer Wahrnehmung stärken <strong>und</strong><br />
aktiver werden. Im Internet finden sich Gleichgesinnte <strong>und</strong> eben auch relativ frei verfügbares<br />
Material. Die meisten Gesprächspartner teilen <strong>die</strong> Meinung, dass das Internet im Bereich der<br />
Pädosexualität neue Möglichkeiten erschliesst, <strong>die</strong> dem Opferschutzes entgegenlaufen. <strong>Der</strong><br />
(forensische) Psychiater hat sich auch in anderen Zusammenhängen mit dem relativ neuen<br />
Phänomen der elektronischen Me<strong>die</strong>n <strong>und</strong> deren Gefahren für gewisse Gruppen der Gesellschaft<br />
beschäftigt:<br />
Dass Perversionen im Ansatz zumindest im Internet ausgelebt werden, erstaunt mich<br />
nicht. Stu<strong>die</strong>n haben gezeigt, dass doch 20 Prozent der männlichen Bevölkerung zumindest<br />
am Rande eine pädosexuelle Neigung aufweisen. Das erklärt auch den hohen Anteil<br />
von Konsumenten von illegaler Pornografie auf dem Internet. Das heisst aber nicht, dass<br />
alle davon zum realen Missbraucher werden würden. Das Internet bietet ihnen <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />
ihre eigentlichen Interessen zumindest plastisch einmal vor Augen zu haben <strong>und</strong><br />
so den Kick dennoch mal spüren zu können. Wie viele davon dann auch zu Tat schreiten<br />
würden, ist schwierig zu sagen. Man weiss, dass bei den Intelligenteren auch <strong>die</strong> Moral<br />
besser entwickelt ist <strong>und</strong> man kann hoffentlich ein wenig darauf setzen.<br />
Auf der anderen Seite scheint das Angebot an Sexseiten, auch illegale, enorm zu wachsen,<br />
<strong>und</strong> das birgt natürlich auch ein gewisses Risiko. Von Oktober 2003 bis Juni 2003 soll<br />
das Angebot an Sexseiten mit fetischistischen Angeboten auf dem Netz um 100% gewachsen<br />
sein. Die Sexseiten sind relational zum Gesamtwachstum auch überproportional<br />
gestiegen. Das sind Millionen von Adressen. Da muss eine Nachfrage vorhanden sein. Die<br />
Nachfrageseite ist ja auch bereit, viel Geld zu bezahlen dafür. Das zeugt doch auch von<br />
einer sexuellen Frustration in der Gesellschaft. Gewiefte Geschäftsleute kommen dem halt<br />
nach <strong>und</strong> stellen Angebote ins Netz. Um zu testen, welche Formen von Normabweichungen<br />
in der Nachfrage am grössten sind, stellt man halt mal breit ins Netz. <strong>Der</strong> Fetischismusmarkt<br />
zum Beispiel ist massiv am wachsen.<br />
Nicht alle pädosexuell Veranlagten sind anfällig für Kinderpornografie. Es gibt Exponenten,<br />
<strong>die</strong> sich klar von <strong>die</strong>ser Form der Darstellung von sexuellen Aktivitäten mit Kindern distanzieren<br />
(siehe auch Kapitel 6.7.). In <strong>die</strong>sem Sinne sind <strong>Pädosexuelle</strong> nicht anders als andere<br />
Menschen, <strong>die</strong> unterschiedliche Vorlieben haben <strong>und</strong> ganz unterschiedlich auf Internet<br />
<strong>und</strong>/oder Pornografie reagieren. <strong>Pädosexuelle</strong> (vor allem <strong>die</strong> ausschliesslich auf Kinder fixierten)<br />
können aber, gesellschaftlich <strong>und</strong> strafrechtlich akzeptiert, ihre Phantasien kaum<br />
ausleben. Ihr Verlangen nach Liebe oder sexuellen Kontakten zu Kindern auszuleben, ist in<br />
ihrem Alltag gefährlich <strong>und</strong> schwierig. Zudem haben einige Schwierigkeiten, in der Erwachsenenwelt<br />
Anerkennung zu erlangen, Beziehungen allgemein zu leben <strong>und</strong> überhaupt Anschluss<br />
zu finden. Diese mangelnde erotische, soziale <strong>und</strong> auch sexuelle Einbindung macht<br />
sie empfänglicher für Ersatzhandlungen. Die mangelnde Befriedigung können sie sich auf<br />
dem Internet einfacher auf Mausklick erlangen. Nicht nur rein sexuelle Bedürfnisse werden<br />
pseudo-befriedigt, sondern auch erotische (Nacktbilder, FKK-Bilder, etc.). Auch <strong>die</strong> Sehnsucht<br />
nach Partnerschaft (Chats, Newsgroups <strong>und</strong> <strong>die</strong> Suche nach dem „Traumkind“) wird<br />
über Internet zu befriedigen versucht. Skrupellose Geschäftsleute machen sich in <strong>die</strong>sem<br />
<strong>und</strong> in anderen illegalen oder ausgefallenen Bereichen <strong>die</strong> Mängel <strong>die</strong>ser Menschen zu Nutze<br />
<strong>und</strong> machen ein Geschäft damit. Nicht nur <strong>die</strong> Gesetzgebung, auch <strong>die</strong> Ermittlungskreise
66<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> therapierenden <strong>und</strong> begutachtenden Behörden werden sich wohl in naher Zukunft<br />
(noch) stärker mit <strong>die</strong>sen neuen Formen des Austausches <strong>und</strong> deren Folgen beschäftigen<br />
müssen.<br />
Bevor wir uns an ein Fazit wagen <strong>und</strong> daraus mögliche Empfehlungen ableiten, lassen wir<br />
pädophil orientierte Menschen, wie sie sich in der Regel nennen, zu den bereits behandelten<br />
Themen zu Wort kommen.<br />
6.7. <strong>Der</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> in seiner Selbstdarstellung<br />
Um einen Einblick in <strong>die</strong> Sichtweise der hier im Zentrum stehenden Menschen zu erhalten,<br />
be<strong>die</strong>nen wir uns aus den zahlreichen Texten von Pädophilenvereinigungen auf dem Internet.<br />
Wir werden uns auf <strong>die</strong> deutschsprachigen Vereine beschränken <strong>und</strong> dabei <strong>die</strong> Schweizer<br />
Pädophilenvereinigung, <strong>die</strong> unter dem Domainnamen itp-arcados 75 auf dem Netz vertreten<br />
ist, bevorzugen. Natürlich sind es wiederum nur einzelne Personen, <strong>die</strong> auf dem Internet<br />
ihre Meinung k<strong>und</strong>tun <strong>und</strong> dementsprechend ist <strong>die</strong> Meinung <strong>die</strong>ser Personen nicht repräsentativ.<br />
Wie bei den anderen InterviewpartnerInnen, haben <strong>die</strong> angeführten Textstellen<br />
dementsprechend exemplarische Funktion.<br />
Zu Beginn will ich mittels kurzer, unterschiedlichster Textausschnitte einen kleinen Einblick<br />
über verschiedene Typen von pädosexuell oder pädophil veranlagten Menschen geben, wie<br />
sie auch von unseren Gesprächspartnern <strong>und</strong> in der Literatur beschrieben worden sind.<br />
6.7.1. Von Pädophilen <strong>und</strong> Pädokriminellen<br />
<strong>Der</strong> Autor von Alice im W<strong>und</strong>erland, Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Caroll, gilt bei<br />
vielen Pädophilen 76 als eine Art Vorbild. Er besass eine enorme Sammlung von Kinderbildern.<br />
In seinem Leben existierte eine „reale“ Alice, sie war eine der drei Schwestern, <strong>die</strong> er<br />
privat lange Zeit als Mathematiklehrer unterrichtete. Unter dem Titel „Briefe an kleine Mädchen“<br />
77 wurden seine Briefe an Alice <strong>und</strong> andere kleine Mädchen, veröffentlicht. Folgende<br />
Textstellen verdeutlichen, wie Charles Lutwidge Dodgson seine „kleinen Fre<strong>und</strong>innen“ „verehrte“.<br />
Meine liebe Agnes<br />
Endlich ist es mir gelungen, Dich zu vergessen. Es ist sehr anstrengend gewesen, aber ich<br />
habe 6 „Vergessensnachhilfest<strong>und</strong>en“ genommen, <strong>die</strong> St<strong>und</strong>e zu einer halben Krone.<br />
Nach drei St<strong>und</strong>en habe ich meinen eigenen Namen vergessen, <strong>und</strong> ich habe vergessen,<br />
<strong>die</strong> nächste St<strong>und</strong>e zu besuchen. Da meinte der Professor, ich käme sehr gut voran, aber<br />
„ich hoffe“ fügte er hinzu, „dass Sie nicht vergessen werden, <strong>die</strong> St<strong>und</strong>en zu bezahlen.<br />
(….) Ich will Dir seine Adresse geben, da Du vielleicht gern St<strong>und</strong>en bei ihm nehmen<br />
möchtest, um mich zu vergessen. Er lebt in der Mitte von Hyde Park, <strong>und</strong> sein Name ist<br />
Ferg Essen. Es ist eine solche Erleichterung, alles vergessen zu haben über Agnes <strong>und</strong><br />
Evey <strong>und</strong>… <strong>und</strong>…, <strong>und</strong> ich fühle mich so glücklich, wie der Tag kurz ist.<br />
Ach! Kind, Kind! Warum bist Du nie in Oxford gewesen, um Dich photografieren zu lassen?<br />
Dein Dich liebender Fre<strong>und</strong> Lewis Caroll<br />
Die pädophile Orientierung von Charles Lutwidge Dodgson wurde <strong>und</strong> wird in der Presse<br />
kaum thematisiert. Im Tagesanzeiger-Magazin 78 wird, meiner Ansicht nach richtigerweise,<br />
explizit erwähnt, „dass Carroll zumindest eine starke pädophile Ader hatte.“ Betrachtet man<br />
seine Kinderbilder, wird der Eindruck, dass er <strong>die</strong> Kinder in „Frauenmanier“ posieren lässt,<br />
offensichtlich. Auch wenn wir nicht wissen, ob er seine Liebe zu den Mädchen auch auf der<br />
Handlungsebene auslebte, scheint mir Charles Lutwidge Dodgson doch ein eindrückliches<br />
Beispiel eines Pädophilen zu sein, der sich zwar in unglaublichem Masse mit kleinen Mäd-<br />
75 www.itp-arcados.net. ITP steht für Infos zum Thema Pädophilie.<br />
76 Wir gebrauchen im Folgenden den Begriff des Pädophilen als Oberbegriff (wie sie selbst es auch tun), da wir<br />
zum Vornherein keinen Gr<strong>und</strong> haben zu glauben, dass <strong>die</strong> Personen, welche sich zu den Themen äussern, auch<br />
sexuell mit Kindern aktiv sind, wenn <strong>die</strong>s nicht explizit bestätigt wird.<br />
77 Caroll, Lewis (1994)<br />
78 TA-Magazin vom 2. März 1996
67<br />
chen auseinandersetzte, dem auch <strong>die</strong> Erotik unzweifelhaft wichtig war, bei dem jedoch der<br />
Aspekt des sexuellen Interesses für Kinder kaum zum Ausdruck kommt 79 . Er erinnert an den<br />
von unserem forensischen Psychologen beschriebenen Mathematiker, der an der unerwiderten<br />
Liebe leidet <strong>und</strong> der sich nach Aussagen seines Therapeuten kaum je einem Kind sexuelI<br />
nähern würde.<br />
Ich möchte <strong>die</strong>se Form der Orientierung weder verharmlosen noch verurteilen, in Abhebung<br />
zu folgenden Beispielen merkt der geneigte Leser / <strong>die</strong> geneigte Leserin aber sofort, wo <strong>die</strong><br />
Unterschiede zu eindeutiger auf Sexualität fixierten Pädophilen resp. <strong>Pädosexuelle</strong>n zu finden<br />
sind.<br />
„Waldbär“ ist der Nickname eines Pädophilen / <strong>Pädosexuelle</strong>n, dem man oft in offenen<br />
Chats begegnet, <strong>die</strong> eindeutig für pädosexuell respektive pädophil Orientierte geschaffen<br />
wurden. „Waldbär“ hat auch eine eigene Website 80 , auf der er viele Themen r<strong>und</strong> um Pädophilie<br />
aus eigener Sicht <strong>und</strong> Erfahrung behandelt. Unter dem Titel: „Sexualität“ finden wir folgenden<br />
Eintrag:<br />
Schade, dass ich es auf <strong>die</strong>sem Server nicht mitloggen kann - ich hätte zu gerne gewusst,<br />
der wievielte Deiner Klicks auf <strong>die</strong>ser Seite es gewesen ist. Die meisten "normalen" Menschen<br />
(damit meine ich Heteros) glauben doch, ein Mädchenliebhaber lebte nur zu seiner<br />
eigenen Triebbefriedigung. Tatsache ist aber, dass Sex für mich eher einen geringeren<br />
Stellenwert einnimmt als für <strong>die</strong> meisten Normalos. Zuerst einmal sollten wir den Begriff<br />
"Sex" klären. Sex ist nicht zwangsläufig Penetration. Sex findet im Kopf statt. Mechanik<br />
(also körperliche Erleichterung) <strong>und</strong> Psyche lassen sich voneinander entkoppeln. Im Klartext:<br />
man muss nicht zwangsläufig irgendwelche Körperteile in andere Menschen stecken,<br />
um sexuell befriedigt zu sein. Man kann sich auch schöne Dinge vorstellen <strong>und</strong> selbst<br />
Hand anlegen. Ich komme nicht auf <strong>die</strong> Idee, ein junges Mädchen mit meinen Organen zu<br />
erschrecken. Das ist meine Sache nicht, weil es nicht ihre Sache ist. Außer, wenn sie es<br />
so will. Wirklich will. Ist aber noch nicht vorgekommen.<br />
Es wird immer gefragt, woher ich weiß, dass sie es wirklich will, <strong>und</strong> dass sie es nicht nur<br />
vorgibt. Dass sie es vielleicht jetzt will, aber später rückblickend nicht mehr. Abstrakt.<br />
Weißt Du, was Deine Partnerin will? Wirst Du auf den Menschen, den Du liebst, nicht maximale<br />
Rücksicht nehmen? Wirst Du ihm nicht williger Diener sein in all seinem Begehr?<br />
So bin ich es auch. Wer glaubt, es gebe keinerlei gemeinsame Schnittmengen auf sexuellem<br />
Gebiet zwischen erwachsenen Männern <strong>und</strong> jungen Mädchen, der irrt. Ich z. B. genieße<br />
es, beherrscht zu werden. Einem Mädchen zu <strong>die</strong>nen. Ihre Füße zu küssen, ihren Befehlen<br />
zu gehorchen. Und es gibt Mädchen, <strong>die</strong> es genießen, verehrt zu werden. Angebetet<br />
zu sein, Befehle erteilen zu können, einen größeren, körperlich Überlegenen ganz in ihrer<br />
Gewalt zu haben. Ist das nicht sexuell? Doch. Und so passt auf jeden Topf ein Deckel.<br />
Aber: Sex ist nur ein Teil einer Beziehung. Die Liebe steht immer im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
„Waldbär“ ist für mich ein typisches Beispiel eines Kernpädophilen, der seine Liebe zu Kindern<br />
in allen erdenklichen Formen betont, der aber bezüglich der Sexualität zwischen Kindern<br />
<strong>und</strong> Erwachsenen dezi<strong>die</strong>rt <strong>die</strong> Meinung vertritt, es gäbe einvernehmliche Formen.<br />
Häufig liest man bei Kernpädophilen, dass sie bewusst auf Penetration verzichten <strong>und</strong> <strong>die</strong>se<br />
Form der Sexualität auch nicht suchen. „Waldbär“ scheint - dem Zitat zu Folge - aber der<br />
Meinung zu sein, dass er als „grosser Masochist“ eine „kleine Domina“ finden kann, <strong>die</strong> selber<br />
Freude an <strong>die</strong>sen Formen der „Sexualität“ hat. Mir zumindest gelingt es bei aller Offenheit<br />
<strong>und</strong> Toleranz nicht, mir eine solche Szene mit Mädchen vorzustellen, <strong>die</strong> mit Freude <strong>und</strong><br />
im erotischen Bewusstsein ein solches „Spiel“ mitspielen.<br />
Auf dem Internet findet man aber Schilderungen von eindeutig <strong>Pädosexuelle</strong>n, bei denen <strong>die</strong><br />
Sexualität <strong>die</strong> Hauptrolle spielt. Folgende Dialogausschnitte wurden dem Buch von Gisela<br />
Wuttke (1998, S.126 u.f)) entnommen, sie stammen aus einem Internet:<br />
„Das was zustande kommt, ist kein Problem. Was suchst Du denn genau?“<br />
79 Die Sprache des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, zudem aus der Feder eines begnadeten Literaten, mag natürlich fälschlicherweise<br />
den Eindruck erwecken, dass auch <strong>die</strong> dahinter liegenden Gefühle <strong>und</strong> Phantasien für <strong>die</strong> Kinder differenzierter<br />
<strong>und</strong> sanfter seien.<br />
80 Siehe: http://free.hostdepartment.com/w/waldbaer/index.html
68<br />
„Na, eine nette Elf- bis Dreizehnjährige. Kannst Du da was kriegen?“<br />
„Wo bist Du denn her. Die Fahrt <strong>und</strong> alles musst du natürlich bezahlen.“<br />
„Das ist klar. Ich wohne im Raum XXX, wo kannst du sie denn hinbringen? Woher kommt<br />
sie denn?“<br />
„Von meinem Fre<strong>und</strong>en aus Polen.“<br />
(….)<br />
„Wieviel? Und wie lange kann ich sie dafür behalten?“<br />
„500 Mark plus Spesen- für einen Tag.“<br />
(….)<br />
„Was für eine willst Du, schlankere oder reifere?“<br />
„Schlanke.“<br />
„Ausser Misshandlungen <strong>und</strong> SM kannst du alles mit ihr machen. Aber <strong>die</strong> Fahrt ist bei den<br />
500 Mark noch nicht mir drin. Und <strong>die</strong> Spesen auch nicht.“<br />
„Okay, wann bist du mit dem Mädchen wo?“<br />
(…)<br />
„Also, alles klar, du wirst mit dem Spielzeug zufrieden sein.“<br />
Man findet im Internet in geschlossenen Bereichen solche Dialoge relativ rasch, wenn man<br />
sich Zutritt verschaffen kann. Auch Schilderungen von sexuellen Handlungen mit Kindern<br />
sind, wie <strong>die</strong> Darstellungen <strong>und</strong> Filme, teils unglaublich brutal. Für Menschen, <strong>die</strong> Kinder in<br />
der Art missbrauchen, dabei filmen, sie misshandeln, mit ihnen handeln, sie verkaufen <strong>und</strong><br />
manchmal auch töten ist der Begriff „Pädophilie“ in der Tat nur noch zynisch.<br />
Ich wollte mit obigen Textausschnitten den bereits in den vorausgegangenen Kapiteln beschriebenen<br />
verschiedenen Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n ein Gesicht geben <strong>und</strong> mit ihren Worten<br />
zeigen, dass das Bewusstsein der eigenen Orientierung, <strong>die</strong> Phantasien <strong>und</strong> <strong>die</strong> daraus<br />
resultierenden Handlungen ähnlich unterschiedlich sind wie bei anderen Menschen auch.<br />
Ausser im Fall des eindeutig enthaltsamen Pädophilen, der sein Interesse an Kindern teilweise<br />
kompensieren <strong>und</strong> reflektieren kann, bewegen sich <strong>Pädosexuelle</strong> jedoch immer mehr<br />
oder weniger am Rande oder mitten in der Illegalität.<br />
6.7.2. Pädophile zu ausgewählten Themen des <strong>Strafverfolgung</strong>sprozesses<br />
Auf der Homepage der Pädophilenvereinigung der Schweiz werden neben den Themen<br />
„Wissenschaft, Me<strong>die</strong>n <strong>und</strong> Bücher“ auch <strong>die</strong> Bereiche „Aus dem Leben, Beratung <strong>und</strong> Justiz“<br />
behandelt. Letztere sind hier von grösserem Interesse. Einige ausgewählte Statements<br />
sollen erhellen, wie sich „echte Pädophile“ ihre Partnerschaften vorstellen, aber auch, wie sie<br />
<strong>die</strong> aktuelle Gesetzeslage (in der Schweiz), Rechtssprechung <strong>und</strong> polizeilichen Ermittlung<br />
sehen <strong>und</strong> welche Erfahrungen sie damit gemacht haben. An vielen Stellen wird von (durchwegs<br />
anonymen) Autoren <strong>die</strong> Überzeugung dargelegt, dass einvernehmliche Sexualität<br />
zwischen Erwachsenen <strong>und</strong> Minderjährigen 81 existiert <strong>und</strong> dass für viele Minderjährige<br />
solche Erfahrungen eine Bereicherung seien.<br />
Ein Kriterium zur Beurteilung sexueller Handlungen von Erwachsenen mit Kindern anerkennt<br />
sicher jeder echte Pädophile: „Wenn <strong>die</strong> Handlungen dem Kind schaden, dann sind<br />
sie zu unterlassen, zu verbieten.“<br />
Es liegt in den Händen des Pädophilen, in seinen Beziehungen zu Kindern durch Rücksicht,<br />
Zartgefühl, Respekt, Geduld <strong>und</strong> meist auch Verzicht Schaden zu vermeiden. Doch<br />
Pädophile sind nicht vollkommen, <strong>und</strong> wie in jeder Beziehung besteht <strong>die</strong> Gefahr, dass<br />
81 Da sich ITP Arcados auf <strong>die</strong> homosexuelle Pädophilie spezialisiert hat, beziehen sich <strong>die</strong> meisten Erfahrungsberichte<br />
<strong>und</strong> Einstellungen auf <strong>die</strong> Partnerschaft zwischen jugendlichen Männern <strong>und</strong> erwachsenen Männern. Es<br />
scheint, dass homosexuelle Pädophile ältere Partner (zwischen 8 <strong>und</strong> 16) suchen als heterosexuelle Pädophile.<br />
Systematisch Untersuchungen dazu fehlen jedoch meines Wissens.
69<br />
man <strong>die</strong> eigenen Interessen <strong>und</strong> <strong>die</strong> des Mitmenschen nicht immer unter einen Hut bringt,<br />
dass der Egoist tief drin - sei es beim Kind oder beim Erwachsenen - für einmal <strong>die</strong> Überhand<br />
gewinnt <strong>und</strong> man dem Partner weh tut. Doch wenn das Verhältnis von Liebe <strong>und</strong> Zuneigung<br />
geprägt ist, kann man einander vergeben <strong>und</strong> findet wieder zueinander. Es sind<br />
wertvolle Erfahrungen auf dem Lebensweg, <strong>und</strong> sie machen einen reifer.<br />
Es gibt Untersuchungen, <strong>die</strong> zeigen, dass pädophilie Beziehungen keineswegs so generell<br />
<strong>und</strong> allgemein <strong>und</strong> immer <strong>und</strong> überall, wie es <strong>die</strong> Missbrauchsindustrie verkündet, zum<br />
Schaden des Kindes sich wenden müssen.(…)<br />
Was hingegen der Pädophile nicht mehr steuern <strong>und</strong> beeinflussen kann, ist - beim Einschreiten<br />
der Polizei - <strong>die</strong> schädigende Wirkung der Überreaktionen von seiten der Eltern<br />
<strong>und</strong> der Gesellschaft, der Schadensmaximierung durch <strong>die</strong> selbsternannten Kinderschützer,<br />
der Verletzungen der Intimssphäre durch den Zwang zur Aussage <strong>und</strong> durch <strong>die</strong> selten<br />
wertfreie Art der Vernehmungen durch Polizei <strong>und</strong> Untersuchungsrichter.<br />
Da stellt sich <strong>die</strong> Frage ähnlich wie beim Drogenkonsum: Soll man auf den Konsum verbotener<br />
Drogen verzichten, nur weil <strong>die</strong> Gesellschaft bisher alles tat, um den Schaden zu<br />
maximieren? - oder soll <strong>die</strong> Gesellschaft versuchen, den Schaden zu minimieren?<br />
Es ist bezeichnend für viele Pädophile, dass sie auf eine auch für das Kind vielleicht sogar<br />
positive pädosexuelle Beziehung verzichten, nur um ihm eine Traumatisierung im Falle der<br />
Aufdeckung zu ersparen.<br />
<strong>Der</strong> Textausschnitt zeigt, wie ein Pädophiler einen möglichen Schaden bei einem Kind nicht<br />
in der ungleichen Partnerschaft sieht, (auch wenn es denn mal weh getan hat, weil der erwachsene<br />
Partner doch nicht immer zartfühlend, respektvoll <strong>und</strong> geduldig war), sondern in<br />
der Sek<strong>und</strong>ärtraumatisierung durch <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden <strong>und</strong> Kinderschutzorganisationen.<br />
Weitere Autoren fügen dann Stu<strong>die</strong>n <strong>und</strong> Untersuchungen an, <strong>die</strong> belegen, dass Kinder<br />
keine asexuellen Wesen sind, dass sexuelle Erfahrungen von Kindern mit Erwachsenen<br />
auch positiv erlebt wurden <strong>und</strong> dass <strong>die</strong> Tabuisierung der kindlichen Sexualität dem Kind<br />
weit mehr schadet, als das „Lernen von reiferen Lehrern im Bereich der Sexualität“. Dass der<br />
„bezeichnende“ Verzicht von Pädophilien auf Sexualkontakte mit Minderjährigen auch darin<br />
begründet ist, dass sie das Kind vor der Traumatisierung im Falle eines Aufdeckens schützen<br />
wollen, r<strong>und</strong>et <strong>die</strong> Argumentation ab, <strong>die</strong> zeigen soll, dass für <strong>die</strong>sen Autor Kinderschützer<br />
<strong>und</strong> Pädophile in Bezug auf den Kinderschutz <strong>die</strong> Rollen getauscht haben.<br />
Wie wird das Thema der Kinderpornografie behandelt? Pornografische Darstellungen mit<br />
Kindern werden in unseren Gesetzestexten zwar in der Tat breiter definiert als Pornografie<br />
allgemein 82 , enthalten aber sicher sexualisierte Bezüge <strong>und</strong> können somit nicht mehr als ohne<br />
<strong>die</strong>sen Bezug behandelt werden. Im Folgenden wird <strong>die</strong> Gesetzesänderung aus dem Jahr<br />
2002, <strong>die</strong> den Besitz von Kinderpornografie strafbar machte, mittels drei Argumenten kritisiert:<br />
Wer Kinderpornographie konsumiert, macht damit einen Mangel wett: nämlich fehlende<br />
sexuelle Beziehungen zu Kindern. Das beweist auch <strong>die</strong> gerichtliche Beurteilung nach den<br />
Porno-Razzien in Frankreich: Nur bei 6 von insgesamt 686 Kinderpornographie-<br />
Konsumenten stiessen <strong>die</strong> Ermittler auch auf aktive sexuelle Beziehungen zu Kindern.<br />
Pornographie hat eine Ventilfunktion! Wer Ventile entfernt, provoziert Schlimmeres!<br />
<strong>Der</strong> B<strong>und</strong>esrat will (oder kann!) den blossen Konsum ja gar nicht pönalisieren. Durch blosses<br />
Anschauen macht sich auch nach neuem Gesetz keiner strafbar - <strong>und</strong> was <strong>die</strong> Herstellung<br />
betrifft: <strong>die</strong> ist schon lange verboten. Also was soll seine obige Argumentation?<br />
Wer nach neuem Gesetz keine Kinderpornographie mehr besitzen darf, als Vorlage zum<br />
Träumen aber welche braucht, wird sich im Internet umsehen oder sonstwo, wo er doch<br />
noch solches Material zu sehen bekommt. Während heutzutage für Kinderpornographie im<br />
Internet noch kaum etwas bezahlt wird, wird ein Verbot - man kennt das von den Drogen -<br />
das Material kostbar machen, was sich Profiteure nicht entgehen lassen werden. Nun reizen<br />
bekanntlich höhere Profitaussichten erst recht zum Einstieg ins Geschäft.<br />
82 So werden, wie bereits erwähnt, das Posieren von Kindern in sexualisierter Manier oder das Fokussieren auf<br />
Geschlechtsteile bei Kindern bei pornografischen Darstellungen mit Kindern als pornografisch definiert.
70<br />
Zum ersten Argument der Ventilfunktion von Pornografie haben wir schon im Kapitel vier einiges<br />
zu hören bekommen. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Verhältnis von Pornografie<br />
<strong>und</strong> gelebter Sexualität sind in der Tat widersprüchlich <strong>und</strong> verlangen eine differenzierte<br />
Betrachtung nach Risikogruppen. Das hier angefügte Beispiel der französischen Polizeiaktion<br />
hingegen ist wenig überzeugend. Falls <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden unter den Kinderpornografie-Konsumenten<br />
keine aktiven Missbraucher gef<strong>und</strong>en haben, heisst <strong>die</strong>s noch<br />
lange nicht, dass es sie nicht gibt, wie wir auch aus den Aussagen der Polizei selbst zu ihren<br />
Möglichkeiten zu Folgeermittlungen erfahren haben. Zudem müssen <strong>die</strong> Aktionen selbst immer<br />
genau angeschaut werden. So werden sich auch bei Aktionen wie Genesis (professionelle<br />
Anbieter mit Bezahlung über Kreditkartenfirmen) bedeutend weniger aktive Missbraucher<br />
finden, als bei Aktionen zu geschlossenen Gruppierungen auf dem Internet. Die verschiedenen<br />
Angebote sprechen auch ganz unterschiedliche Gruppierungen an.<br />
Das zweite Argument muss nicht widerlegt werden, da offenbar der Unterschied zwischen<br />
Konsum <strong>und</strong> Besitz nicht verstanden worden ist. Das dritte Argument jedoch ist spitzfindig.<br />
Da wird für ein gesetzlich toleriertes Anbieten von Kinderpornografie plä<strong>die</strong>rt, um damit einen<br />
Schwarzmarkt zu verhindern. Für <strong>die</strong> Anbieter <strong>und</strong> Hersteller mag <strong>die</strong>ses Argument eine gewisse<br />
Gültigkeit haben, wobei angemerkt werden muss, dass professionelle Anbieter selten<br />
selbst ein sexuelles Interesse an Kindern haben. <strong>Pädosexuelle</strong> fügen <strong>die</strong>ses Argument aber<br />
wohl nur an, weil sie befürchten, mehr bezahlen zu müssen.<br />
Bezeichnend bei <strong>die</strong>ser Argumentationslinie ist, dass das pornografisch ausgebeutete Kind<br />
in keiner Weise mit dem Zartgefühl <strong>und</strong> den Respekt behandelt wird, wie <strong>die</strong> potentiellen<br />
„kleinen Fre<strong>und</strong>e“ der Pädophilen, es wird nicht einmal erwähnt. Es finden sich aber auf der<br />
Homepage durchaus auch Aussagen von Pädophilen, <strong>die</strong> Kinderpornografie gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ablehnen. Diejenigen aber, welche <strong>die</strong> Widersprüche von Kinderliebe <strong>und</strong> Kinderpornografie<br />
erkennen, behaupten, dass der Gesetzgeber <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden Kinderpornografie<br />
absurd extensiv auslegen:<br />
Als 1992 das Gesetz betr. Kinderpornographie vom Volk angenommen wurde, wusste man<br />
eigentlich noch, wofür man seine Stimme abgegeben hatte: Sexuelle Handlungen von, vor<br />
oder mit Kindern sollten nicht mehr aufgenommen werden dürfen; entsprechende alte Aufnahmen<br />
durften nicht mehr herumgereicht, angepriesen oder verkauft werden.<br />
So weit, so gut! Inzwischen sind <strong>die</strong> Untersuchungsbehörden - <strong>und</strong> vermehrt auch <strong>die</strong> Gerichte<br />
- dazu übergegangen, alles als Kinderpornographie zu bezeichnen, was in ihren Augen<br />
<strong>die</strong> Phantasie eines Pädophilen erregen könnte: Aufnahmen von Kindern, <strong>die</strong> ihre<br />
Beine nicht militärisch stramm geschlossen halten - oder nur noch mit einer Unterhose bekleidet<br />
herumtollen - oder, o Graus, ganz natürlich, aber nackt unter der Dusche stehen<br />
oder sich an der Sonne räkeln.<br />
Auch wenn <strong>die</strong> Aufnahmen weit <strong>und</strong> breit keine sexuellen Handlungen zeigen, weder von,<br />
vor noch mit Kindern, bieten sie willkommenen Anlass zu polizeilichen Interventionen,<br />
Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmung <strong>und</strong> Vernichtung. Die sexuellen Handlungen<br />
müssen schon lange nicht mehr real sein, um zu einer Verurteilung zu führen: es genügt<br />
<strong>die</strong> Vermutung, dass sie sich eventuell im Kopf des Pädophilen abspielten.<br />
Aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Überlegung darf der normale, d.h. nicht pädophile Bürger Hans Meier einen<br />
Knaben nackt fotografieren <strong>und</strong> sich am Foto erfreuen. Tut dasselbe aber der pädophile<br />
Hans Müller, löst <strong>die</strong> Aufnahme ein Strafverfahren aus <strong>und</strong> endet mit einer Verurteilung.<br />
Die Missbrauchshysterie hat den Buchstaben des Gesetzes entwertet, zur Manipuliermasse<br />
degra<strong>die</strong>rt.<br />
Dazu kann nur angemerkt werden, dass ich kein einziges Urteil gef<strong>und</strong>en habe 83 , bei dem<br />
Personen wegen Darstellungen, wie sie oben beschrieben sind, vor den Richter / vor <strong>die</strong><br />
Richterin gebracht wurden. Die Beurteilung von strafrechtlich relevantem bzw. nicht relevantem<br />
Material obliegt den kantonalen <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden <strong>und</strong> fällt teils unterschiedlich<br />
aus. Dass harmloses Material von nackten Kindern ein Ermittlungsverfahren ausgelöst hätte,<br />
83<br />
Da alle Urteile betreffend Artikel 197 StGB dem B<strong>und</strong>esamt für Polizei geschickt werden müssen, ist der Einblick<br />
recht umfassend.
71<br />
scheint mir äusserst unwahrscheinlich. Pädophile sehen sich als von den <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden<br />
<strong>und</strong> der Gesellschaft verfolgte Minderheit (sicher nicht zu Unrecht) <strong>und</strong> betonen<br />
<strong>die</strong>s auch im Zusammenhang mit der polizeilichen Ermittlung. Folgende Person schildert<br />
seine Erfahrungen mit der Polizei, nachdem er wegen sexuellen Handlungen mit Knaben<br />
verhaftet worden ist:<br />
Als ich <strong>die</strong> Tür öffnete, begehrten vier Herren in Zivil Einlass <strong>und</strong> der vorgezeigte Hausdurchsuchungsbefehl<br />
ermächtigte sie, in meinem persönlichen Kram zu wühlen <strong>und</strong> mitzunehmen,<br />
was ihnen beliebte. Mit ihrer Erlaubnis rasierte ich mich <strong>und</strong> duschte ausgiebig -<br />
man liess mich dabei sogar allein - <strong>und</strong> fand hier meine Fassung wieder.<br />
Als es dann doch zur Befragung kam, musste er sich voyeuristische Fragen gefallen lassen,<br />
wie z.B. ob er im Zusammensein mit mir einen Samenerguss gehabt hätte, was für <strong>die</strong><br />
Verurteilung eines Pädophilen aus juristischer Sicht ein absolut bedeutungsloses Detail ist.<br />
W<strong>und</strong>ert es da einen, wenn bekannterweise viele Kinder aus Polizeibefragungen Schaden<br />
davontragen?<br />
Aus taktischen Gründen, <strong>die</strong> mit konkreten Beziehungen zusammenhingen, war ich zuerst<br />
<strong>und</strong> einige Tage lang kooperativ. Ich wollte <strong>die</strong> Polizei "beschäftigen" <strong>und</strong> ablenken. Dies<br />
ist mir gelungen, indem ich mich in einigen (eher harmlosen) Fällen selbst belastet habe.<br />
Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich dann aber konsequent jede weitere Zusammenarbeit<br />
abgelehnt <strong>und</strong> alle Aussagen verweigert. Dies hat sicherlich zur Verlängerung der U-<br />
Haft geführt. Allerdings spielte das keine grosse Rolle mehr (<strong>die</strong> Sache war ja nun bei der<br />
Arbeitsstelle ohnehin bekannt). <strong>Der</strong> Gr<strong>und</strong> für meine Verweigerung war in erster Linie der<br />
Umstand, dass ich meine Beziehungen zu M. <strong>und</strong> V. schützen wollte <strong>und</strong> auch, dass ich<br />
aus den ersten Befragungsprotokollen von Knaben ersehen konnte, welch "dreckige" Methoden<br />
<strong>die</strong> Polizei verwendet hatte. Da wurde gedroht <strong>und</strong> nach strafrechtlich kaum relevanten<br />
Details gefragt, <strong>die</strong> klar darauf hindeuteten, dass sich der betreffende Beamte auf<br />
voyeuristische Weise aufgeilt.<br />
Wiederum wird der Schutz der Kinder als Gr<strong>und</strong> für <strong>die</strong> Verweigerung der Zusammenarbeit<br />
mit der Polizei angegeben. Dass von <strong>die</strong>sem Verdächtigten <strong>die</strong> Polizei nicht gerade als<br />
Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Helfer gesehen wird, ist nahe liegend, dass aber in Sachen „Kinderschutz“ wiederum<br />
eine verkehrte Welt dargestellt wird, sagt einiges über <strong>die</strong> Einsicht in <strong>die</strong> Folgen des<br />
Verhaltens des Verdächtigten. Interessanterweise werden auf der Homepage Arcados (<strong>und</strong><br />
auf allen ähnlichen Seiten aus anderen Ländern) Tipps <strong>und</strong> Tricks im Umgang mit den <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden<br />
angeboten <strong>und</strong> ausgetauscht. Entweder sind doch nicht alle Pädophile<br />
so unschuldig im Bereich der sexuellen Handlungen mit Kindern oder aber sie werden alle zu<br />
Unrecht angeklagt, verhört <strong>und</strong> eingesperrt, wie <strong>die</strong>s folgender Textausschnitt glauben machen<br />
will:<br />
Immer mehr werden Leute in Strafverfahren wegen sexuellen Kindsmissbrauchs verwickelt,<br />
<strong>die</strong> keine strafbaren Handlungen begangen haben noch welche im Sinne hatten. Es<br />
genügen Vermutungen auf eine pädophile Veranlagung, sei es, weil man früher Abonnent<br />
von "Jung <strong>und</strong> frei" war oder weil man erwiesenermassen Kontakt zu einem nun verhafteten<br />
Pädophilen pflegte oder weil einem <strong>die</strong> Nachbarin Besuche von Jugendlichen vergönnt<br />
usw. usf. Zu <strong>die</strong>sem Zweck - <strong>und</strong> nicht als Anleitung zu Straftaten - <strong>die</strong> folgenden Hinweise.<br />
Adressen, <strong>die</strong> man bei euch vorfindet, können euren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten grosses<br />
Ungemach bringen. Adressen befinden sich an mehr Orten, als man vielleicht annimmt: im<br />
Internetbrowser, bei den E-Mails, im Adressbuch eines PC-Textprogramms, als Telefonnummern<br />
gespeichert in eurem Telefonapparat oder Handy usw.<br />
Telefonkontrollen werden immer beliebter <strong>und</strong> den Ermittlern immer leichter zugestanden<br />
- obwohl Justizbehörden erklären, man mache nur bei schweren Delikten (also bei Straftaten<br />
gegen Leib <strong>und</strong> Leben, Sprengstoffanschlägen <strong>und</strong> bei mafiösen Vereinigungen)<br />
Gebrauch davon.<br />
Material: Auch harmlose Fotos von Kindern, entsprechende Bildbände, Bücher <strong>und</strong> Videos,<br />
selbst wenn sie nur Aufnahmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens beinhalten, werden<br />
bei einer Hausdurchsuchung mitgenommen. Das gibt Arbeit <strong>und</strong> verlängert <strong>die</strong> U-Haft<br />
im gewünschten Masse: Zu jedem Foto kommen ein paar Fragen, da wird katalogisiert, registriert,<br />
zugeordnet... Videos müssen gesichtet werden. - Zudem zeigt <strong>die</strong> grosse Menge
72<br />
von Kartons <strong>und</strong> Bananenschachteln, <strong>die</strong> von Polizisten zu ihren Fahrzeugen geschleppt<br />
werden, der ganzen Wohnumgebung anschaulich, wie schlimm eure vermuteten Verbrechen<br />
sein müssen.<br />
Verlangt ein detailliertes Verzeichnis aller beschlagnahmten Gegenstände.<br />
Vergleicht man <strong>die</strong>se Aussagen mit den Aussagen der Polizeibehörden, könnte der Kontrast<br />
nicht grösser sein. Nach Aussagen der <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden sind Folgeermittlungen<br />
eher <strong>die</strong> Ausnahme. Damit Telefon- <strong>und</strong> Emailkontrollen mit einer richterlichen Erlaubnis<br />
durchgeführt werden können, reichen keine schwachen Vermutungen <strong>und</strong> strafrechtlich nicht<br />
relevantes Material reicht für eine Verfahrenseröffnung nicht. Offensichtlich stehen sich da<br />
zwei klare Feindbilder gegenüber.<br />
Auch zum Thema Begutachtung wurden wir fündig:<br />
Ein Pädophiler muss seine Wünsche hintanstellen, <strong>und</strong> er schafft es meist auch, da er das<br />
Kind ja aufrichtig gern hat. Das Kind muss sich bei ihm wohl fühlen, sonst kommt es nicht<br />
wieder. Das psychiatrische Gutachten äussert sich über mich in <strong>die</strong>ser Beziehung folgendermassen:<br />
"Konflikte von sexuellen <strong>und</strong> aggressiven Triebimpulsen mit der Realität oder den Forderungen<br />
der Moral oder von Idealvorstellungen bewältigt er hauptsächlich durch Verdrängung<br />
oder Intellektualisierung... Es besteht ein grosses Bedürfnis nach Zuneigung <strong>und</strong><br />
Zuwendung umfassender Art, das jedoch stark unter Kontrolle gehalten werden muss.<br />
Dementsprechend sind Gefühlsregungen nur zugelassen, wenn sie intellektuellen <strong>und</strong> ästhetischen<br />
Ansprüchen genügen können. Durch <strong>die</strong>se hohe Anspruchshaltung besteht<br />
auch eine gute Gewähr, dass Triebe nicht einfach plötzlich <strong>und</strong> ungehemmt durchbrechen.<br />
Andererseits brauchen all <strong>die</strong>se Mechanismen, <strong>die</strong> der Kontrolle <strong>und</strong> Abwehr <strong>die</strong>nen, viel<br />
psychische Energie, so dass der Proband in seinen Lebensmöglichkeiten stark eingeschränkt<br />
ist."<br />
Sie sehen, keine egoistische Selbstverwirklichung auf Kosten des jungen Menschen, wo<br />
es doch immer so schön heisst, sie - <strong>die</strong> Pädophilen - suchten nur ihre eigene sexuelle Befriedigung,<br />
ihren persönlichen Lustgewinn auf Kosten des Kindes. Dem ist selten so. Knaben,<br />
<strong>die</strong> in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Pädophilen stehen, würden es sich auch<br />
nicht gefallen lassen. Sie können zwar anhänglich sein <strong>und</strong> schmeicheln wie eine Katze,<br />
aber sie kommen <strong>und</strong> gehen, wann sie wollen, sie lassen sich ihre Freiheit nicht nehmen,<br />
sie diktieren den Tarif in einer zwanglosen pädophilen Beziehung.<br />
Dieser begutachtete Pädophile ist offenbar mit der Einschätzung des Gutachters einverstanden<br />
<strong>und</strong> interpretiert <strong>die</strong> Beurteilung seiner Kontrollfähigkeiten dahingehend, dass er<br />
seine Impulse gut unter Kontrolle hat. Er kontrolliert seine Handlungen aber nicht aus Einsicht<br />
heraus, dass er dem Kind ansonsten Schaden zufügen würde, sondern weil das Kind<br />
nicht mehr zu ihm kommt, wenn es zu sehr bedrängt wird. Das Kind gibt in <strong>die</strong>sem Fall den<br />
„Tarif durch“, bestimmt, welche Art von Beziehung es eingehen will <strong>und</strong> welche nicht. Dass<br />
Pädophile seltener Gewalt anwenden, als man im Allgemeinen meint, kann nicht bestritten<br />
werden. Wenn man sich aber <strong>die</strong> subtilen psychologischen Druckmittel vor Augen führt, von<br />
denen Opfer berichteten, erscheint das obige Zitat in einem anderen Licht. Zur Begutachtung<br />
habe ich ansonsten keine kritischen Stimmen finden können, bin aber sicher, dass nicht alle<br />
begutachteten Pädophilen so positiv rechtfertigend ihre Begutachtungstexte auf das Internet<br />
stellen würden. Möglicherweise gibt man auch kaum öffentlich zu, forensisch begutachtet<br />
worden zu sein. Was unser forensischer Begutachter in den vorhergehenden Kapiteln zu<br />
Pädophilen im Strafvollzug meinte, finden wir wiederum aus Sicht eines <strong>Pädosexuelle</strong>n, der<br />
den Strafvollzug erlebt hat:<br />
Im Gefängnis ist man wer, wenn man viel Geld gescheffelt hat. Als Pädophiler, der kein<br />
Geld gemacht hat, sondern "nur geliebt" hat, rangiert man in der alleruntersten Schublade.<br />
Wenn man in der Presse nicht mit Foto <strong>und</strong>/oder Name bekanntgemacht wurde, ist es aber<br />
auch nicht unbedingt nötig, <strong>die</strong> Art der Delikte den Mit-Häftlingen zu sagen. Mir schien es<br />
geschickt zu sein, auf Fragen im Sinne einer Notlüge zu antworten: Ich gab an, mit harten<br />
Pornos gehandelt zu haben. Dies entspricht zwar nicht der Wahrheit, ist aber nahe genug<br />
an der Wahrheit, dass ich <strong>die</strong>s glaubwürdig vertreten konnte. Man hat <strong>die</strong>s zur Kenntnis<br />
genommen <strong>und</strong> kaum je weiter mit mir darüber gesprochen. Ich habe ausnahmslos nie-
73<br />
mandem meinen wirklichen Haftgr<strong>und</strong> erzählt. In einer so engen Gemeinschaft muss man<br />
wohl auch bei einem sog. besten Fre<strong>und</strong> (dem ich lieber <strong>die</strong> Wahrheit erzählt hätte) damit<br />
rechnen, dass er’s irgendwann mal doch weiter erzählt....<br />
Hätte ich gar keine Auskunft gegeben, wären <strong>die</strong> wildesten Spekulationen losgegangen.<br />
Recht bald hätte man mich dann wohl in <strong>die</strong> Kategorie der "Kindli-Ficker" gesteckt. Das<br />
Wort macht übrigens den Wissensstand der Leute im Knast (<strong>und</strong> der Leute im Volk) über<br />
Pädophilie deutlich: erstens man "fickt" (ficken = einzig mögliche Form des Geschlechtsverkehrs;<br />
<strong>die</strong>s ist das etwas einfach wirkende Klischee der Heterosexuellen) <strong>und</strong> zweitens<br />
"Kindli" (also kleine Kinder oder Babys, sicher keine Jugendlichen !).<br />
Dass, wie allgemein angenommen wird, <strong>Pädosexuelle</strong> im Gefängnisalltag zuunterst in der<br />
sozialen Hierarchie stehen, konnte in <strong>die</strong>sem Fall umgangen werden. Dies weil <strong>die</strong> Identität<br />
<strong>die</strong>ses <strong>Pädosexuelle</strong>n in den Me<strong>die</strong>n nicht publik wurde. Ein Gefängnisaufenthalt hat sicher<br />
weder eine heilende, noch stärkende Wirkung auf <strong>Pädosexuelle</strong>, werden sie von Mitgefangenen<br />
erniedrigt <strong>und</strong> gequält, ist <strong>die</strong>s höchstens Balsam für <strong>die</strong> rachsüchtige Volkseele, nicht<br />
aber für missbrauchte Kinder oder für weitere potentielle Opfer. In <strong>die</strong>sem Sinn rechtfertigt<br />
sich eine Veröffentlichung der Identitäten von <strong>Pädosexuelle</strong>n (wie es beispielsweise in den<br />
USA gar gesetzlich gefordert ist) in keinster Weise. Dass Arbeitgeber an Schulen oder sonstigen<br />
Einrichtungen, <strong>die</strong> sich um Kinder kümmern, ein Recht haben, über einschlägige Vorstrafen<br />
informiert zu sein, ist eine andere Angelegenheit.<br />
Zum Abschluss noch ein Zitat zur Therapie von Pädophilen:<br />
Pädophilie hat zwingenderweise nichts krankhaftes an sich. Damit haben Pädophile<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich auch nicht eine Therapie nötig. Wie ich weiter oben erwähnt habe, hat mir<br />
aber eine langjährige Therapie geholfen, meine sexuelle Ausrichtung voll zu akzeptieren<br />
<strong>und</strong> Beziehungsängste abzubauen. In schwierigen Lebenssituationen kann eine gute Therapie<br />
gerade auch pädophilen Menschen viel bringen.<br />
Wenn auch einigermassen klar ist, dass kein Therapeut Pädophilie, Homosexualität, Heterosexualität<br />
oder andere sexuelle Vorlieben wegtherapieren kann, so ist doch unbestritten,<br />
dass in einer gut laufenden Therapie Lebensschwierigkeiten erfolgreich angegangen werden<br />
können. Ein Ziel einer solchen Therapie könnte es beispielsweise für einen pädophilen<br />
Menschen sein, Lebensformen auszubilden, <strong>die</strong> ermöglichen, sich so zu verhalten, dass<br />
man nicht straffällig wird <strong>und</strong> dennoch ein befriedigendes Leben führt. Vor Gericht werden<br />
solche Bemühungen oft als solche erkannt <strong>und</strong> wirken sich manchmal auch strafmildernd<br />
aus. Wenn Gerichte allerdings ihrerseits Therapien "verordnen" halte ich <strong>die</strong>s für eher<br />
fragwürdig.<br />
<strong>Der</strong> erste Teil des Textausschnittes macht deutlich, dass sich zumindest <strong>die</strong>se selbst deklarierten<br />
Pädophilen nicht als krank verstehen. Sie sehen sich in einer Reihe mit anderen Formen<br />
sexueller Orientierung, <strong>die</strong> man einfach „hat“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> man nicht „wegtherapieren“ kann.<br />
Sie würden ihre Orientierung wohl nicht als Einstellung betrachten, sondern als gegeben.<br />
Man muss <strong>die</strong>se Haltung aber klar von den oben beschriebenen Ersatz-Objekt-Tätern unterscheiden,<br />
<strong>die</strong> ihre Handlungen klar als situativ bedingt bezeichnen, wie <strong>die</strong>s bei Deegener<br />
(1995) eindrücklich nachgelesen werden kann. Im Zitat kommt ein Punkt zum Ausdruck, der<br />
im Kapitel 6.6. zu den Therapiemöglichkeiten vom Psychologen bereits deutlich angesprochen<br />
wurde. Therapien können auch den konträren (aus meiner Sicht zumindest) Effekt haben,<br />
dass sich Pädophile in ihrer Orientierung bestärkt fühlen. Ob sich <strong>die</strong> oben zitierte Aussage,<br />
dass er Beziehungsängste abbauen lernte oder <strong>die</strong> Therapie ihm half, ein straffreies<br />
Leben zu führen auf eine Orientierung Richtung Partnerschaft mit Erwachsenen bezieht,<br />
kann zumindest angezweifelt werden.<br />
Wer sich für <strong>die</strong> Selbstdarstellung einiger Pädophiler interessiert, findet auf dem Internet sehr<br />
aufschlussreiche Aussagen. Hier sollen <strong>die</strong> wenigen Textpassagen genügen, um den Kontrast<br />
zu den Meinungen <strong>und</strong> Haltungen der Repräsentanten der <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden zu<br />
verdeutlichen.<br />
Die Ansicht von (Kern-) Pädophilen, dass ihre Orientierung natürlich ist, nicht verwerflich <strong>und</strong><br />
ihre „Partnerschaften“ mit Kindern den Kindern nicht schaden, sondern im Gegenteil für ihre<br />
Entwicklung wichtig <strong>und</strong> nötig sind, wird durchs Band vertreten. Wie weit Erwachsene bei ih-
74<br />
ren Handlungen mit Kindern gehen dürfen, ist hingegen unterschiedlich beschrieben. Distanzieren<br />
sich einige klar von Pornografie oder eindeutigen sexuellen Handlungen mit Kindern,<br />
sind andere der Überzeugung, dass Erwachsene Kinder regelrecht in <strong>die</strong> Welt der Sexualität<br />
einweihen müssen. Mit den <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden, den Me<strong>die</strong>n <strong>und</strong> der öffentlichen Meinung<br />
tun sich wohl <strong>die</strong> meisten schwer, da ihre Orientierung gesellschaftlich geächtet ist, das<br />
Strafgesetzbuch klare Grenzen vorgibt, <strong>die</strong> bei einigen zumindest ihre Phantasien direkt<br />
betreffen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n nur zu gerne Themen mit Kindern <strong>und</strong> Sexualität aufgreifen <strong>und</strong><br />
„Kinderschänder“ auf <strong>die</strong> Titelseite bringen.<br />
Auch wenn in <strong>die</strong>sem letzten Kapitel deutlich geworden ist, wie wenig Berührungspunkte<br />
zwischen <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> nicht-<strong>Pädosexuelle</strong>n vorhanden sind, lohnt es sich dennoch,<br />
<strong>die</strong> Thematik differenziert zu betrachten <strong>und</strong> auch <strong>die</strong> Not <strong>und</strong> <strong>die</strong> Einsamkeit von auf Kinder<br />
fixierten Menschen wahrzunehmen <strong>und</strong> zu bedauern, solange <strong>die</strong>se <strong>die</strong> strafrechtlichen <strong>und</strong><br />
moralisch-ethischen Grenzen unserer jetzigen Gesellschaft akzeptieren. Denn auch wenn<br />
wir in <strong>die</strong>ser Arbeit <strong>die</strong> Optik der Opfer bewusst ausgeklammert haben, dürfen wir das Leid<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Not der Kinder nicht vergessen, <strong>die</strong> missbraucht worden sind. Wurde ihre elende Erfahrung<br />
zudem noch gefilmt oder fotografiert, wird sie tausendfach <strong>und</strong> auf nicht absehbare<br />
Zeit im Internet reproduziert.
7. Erkenntnisse<br />
75<br />
Die Zusammenfassungen am Ende aller Kapitel im empirischen Teil werden (persönlich gefärbt)<br />
nochmals verdichtet <strong>und</strong> mit den theoretischen Überlegungen zu Beginn verknüpft.<br />
Zudem soll versucht werden, daraus Empfehlungen für <strong>die</strong>jenigen Personen zu formulieren,<br />
<strong>die</strong> in ihrer Arbeit mit (delinquenten) <strong>Pädosexuelle</strong>n zu tun haben.<br />
7.1. Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen zu Kindern (sexuell) hingezogen<br />
fühlen<br />
In der Literatur werden verschiede Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n beschrieben <strong>und</strong> auch unsere<br />
Gesprächspartner haben mit vielen verschiedenen Menschen zu tun, denen einzig gemein<br />
ist, dass sie sich im Umgang mit Kindern nicht an <strong>die</strong> strafrechtlich <strong>und</strong> gesellschaftlich gesetzten<br />
Grenzen halten. Die wichtigsten, respektive offensichtlichsten Unterschiede zeigen<br />
sich in der Intensität der Fixierung auf Kinder <strong>und</strong> in den Phantasien, <strong>die</strong> Kinder bei <strong>die</strong>sen<br />
Menschen auslösen. Selbsternannte Pädophile, <strong>die</strong> behaupten, dass nicht Sexualität im<br />
Vordergr<strong>und</strong> stehe, sondern <strong>die</strong> „echte“ Partnerschaft <strong>und</strong> Liebe zwischen Erwachsenen <strong>und</strong><br />
Kindern, kommen eventuell nie mit dem Strafrecht in Berührung, einfach weil sie keine verbotenen<br />
Handlungen begehen. Sie stossen aber bereits an gesellschaftlich gesetzte Grenzen,<br />
wenn sie offen zu ihren Neigungen stehen. Pädophilie ist eines der wenigen (Tabu-)<br />
Themen, das vom grössten Teil der Bevölkerung in keiner Weise toleriert wird. Diese nicht<br />
vorhandene Toleranz kommt in der Politik, am Stammtisch <strong>und</strong> auch in der medialen Berichterstattung<br />
zum Ausdruck. Sie führt aber auch dazu, dass über das Thema kaum differenziert<br />
diskutiert, berichtet <strong>und</strong> geforscht wird.<br />
Leben <strong>Pädosexuelle</strong> ihre Phantasien aus, greift der Staat über <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden<br />
ein. Das Strafrecht unterscheidet aber nicht, aus welchen Motiven eine Person ein Kind zu<br />
sexuellen Handlungen zwingt. Auch <strong>die</strong> so genannten Ersatz-Objekt-Täter haben - zumindest<br />
in einem situativ bedingten, regressiven Zustand - ein sexuelles Interesse am Kind,<br />
auch der sadistisch Veranlagte oder der perverse „Wüstling“ sucht das Kind als Opfer, wenn<br />
auch aus anderen Lebenslagen <strong>und</strong> aus anderen Gründen als der <strong>Pädosexuelle</strong>, dessen gesamte<br />
sexuelle Phantasie dem Kind gehört. Das Strafgesetzbuch unterscheidet nach der Art<br />
der Übergriffe, sieht aber für alle denselben Strafrahmen vor. Für <strong>die</strong> Begutachtung, <strong>die</strong> Therapie<br />
<strong>und</strong> nicht zuletzt für das Opfer, sind aber <strong>die</strong> Motive der Täter sehr wohl von Bedeutung.<br />
Nicht als Rechtfertigung für Übergriffe, aber für einen angemessenen Umgang mit den<br />
Tätern <strong>und</strong> demzufolge für einen besseren Opferschutz lohnt sich eine sorgfältige Abklärung,<br />
eine f<strong>und</strong>ierte Forschung <strong>und</strong> eine sorgfältige Berichterstattung bei sexuellen Delikten von<br />
Erwachsenen an Kindern.<br />
7.2. Die polizeiliche Ermittlung steckt noch in den Kinderschuhen<br />
Gute oder schlechte Polizeiarbeit ist nicht in erster Linie von guten oder schlechten PolizistInnen<br />
abhängig. Auch <strong>die</strong> beste <strong>und</strong> engagierteste Polizistin arbeitet in einem Korps, das<br />
unter bestimmten Rahmenbedingungen arbeiten kann respektive muss. Im besseren Fall<br />
verfügt eine kantonale Polizei über eine eigene Kinderschutzgruppe, <strong>die</strong> sich vollumfänglich<br />
Delikten gegen Kinder widmen kann. Dies ist längst nicht in allen Kantonen gegeben. Eine<br />
gute Kinderschutzgruppe verfügt über genügend Personal, damit sie sich auch um Delikte<br />
kümmern kann, <strong>die</strong> sich im Hintergr<strong>und</strong> des gesellschaftlich Offensichtlichen abspielen. Es<br />
gibt keine plausiblen Gründe, anzunehmen, dass sich nicht auch in <strong>die</strong>sem Land besonders<br />
skrupellose Menschen finden, um gemeinsam Verbrechen gegen Kinder zu begehen. Es ist<br />
kaum zu verstehen, dass der Zufall es bestimmen sollte, ob solche Machenschaften entdeckt<br />
werden 84 . Wenn genügend Personal vorhanden wäre, könnte man sich auch proaktiv um<br />
<strong>die</strong>se Deliktsfelder kümmern <strong>und</strong> damit auch eine gewisse präventive Wirkung erzielen.<br />
84 Auch ist kaum verständlich, dass in ausländischer Literatur solche Machenschaften, <strong>die</strong> in der Schweiz durchgeführt<br />
wurden, beschrieben werden (siehe Gallwitz <strong>und</strong> Paulus, 1998).
76<br />
Hinter einer solchen idealen Ermittlungsgruppe steht nicht zuletzt der politische <strong>und</strong> justizielle<br />
Wille, <strong>die</strong> Polizeiarbeit zu unterstützen. Er würde sich in der Prioritätensetzung zeigen,<br />
aber auch in mutigen Entscheidungen, ein weiterreichendes Verfahren zu erlauben, auch<br />
wenn das Risiko besteht, dass sich der Erfolg nicht sofort einstellt.<br />
Dass Kinder keine Lobby haben, ist nicht nur ein Motto von Kinderschutzorganisationen,<br />
sondern es zeigt sich auch in der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Selbstverständlich haben<br />
der Bürger <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bürgerin ein Recht darauf, dass <strong>die</strong> störende Strassenkriminalität bekämpft<br />
wird. Das darf aber nicht heissen, dass Delikte, <strong>die</strong> im Alltag nicht direkt wahrnehmbar<br />
sind, ignoriert oder als zweitrangig behandelt werden dürfen. Intensive <strong>und</strong> erfolgreiche<br />
Polizeiarbeit kostet Geld, nicht geahndete Delikte gegen Kinder kosten <strong>die</strong> Gesellschaft aber<br />
bedeutend mehr. Die Opfer werden erwachsen <strong>und</strong> sind bedeutend anfälliger für (ges<strong>und</strong>heitliche<br />
<strong>und</strong> auch kriminelle) Entwicklungen, <strong>die</strong> den Staat schlussendlich auch Einiges kosten.<br />
Eine Kostenrechnung mag in <strong>die</strong>sem Zusammenhang zynisch wirken, bewegt aber wohl<br />
viel stärker politische Meinungs(um)bildung als emotionale Berichterstattung, <strong>die</strong> doch meist<br />
nur kurzfristig, wenn überhaupt, gesellschaftliche Räder in Bewegung setzt 85 .<br />
7.3. Besser auf <strong>die</strong> Begutachtung achten!<br />
Dass es mit der Begutachtung in der Schweiz nicht zum Besten steht, weiss <strong>die</strong> interessierte<br />
Bevölkerung nicht erst sei der „Verwahrungsinitiative“, durch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Thematik einer breiten<br />
Bevölkerung zugänglich gemacht wurde. Thematisiert wurde aber in der Regel vor allem der<br />
Mangel an forensischen BegutachterInnen in der Schweiz 86 . Die Vertreterinnen der Kantonspolizei<br />
<strong>Bern</strong> haben <strong>die</strong>s auch im Gespräch erwähnt. Auf Gutachten muss <strong>die</strong> Justiz, vor allem<br />
bei komplexeren Fällen, teils sehr lange warten. Dass es in der Schweiz zu wenige ausgebildete<br />
GutachterInnen hat, liegt sicher zum Teil an der Aufgabe selbst. Wenigen ist es<br />
gegeben, sich im Alltag ständig mit einer schwierigen Population auseinanderzusetzen.<br />
Wichtiger ist aber wohl <strong>die</strong> Bürde, <strong>die</strong> Gutachter mit der Verantwortung der Gutachten zu<br />
tragen haben, <strong>die</strong> von den RichterInnen meist übernommen werden. Wenn man Zurechnungsfähigkeit<br />
oder Glaubwürdigkeit einer Person beurteilt oder gar mittel- bis längerfristige<br />
Prognosen abgibt, kann man sich nicht auf eine exakte Wissenschaft stützen, dafür ist der<br />
Mensch ein zu komplexes System in Entwicklung. Gutachten können für <strong>die</strong> Begutachteten,<br />
aber auch für potentielle Opfer, entscheidende Weichen im Leben stellen. „Fehlurteile“ können<br />
aber auch für den Begutachter / <strong>die</strong> Begutachterin das Ende einer erfolgreichen Karriere<br />
bedeuten. Auch wenn ein Urteil von der freien richterlichen Beweisführung abhängt, sind<br />
RichterInnen hochgradig von Sachverständigen abhängig. Und gerade dem forensischen<br />
Begutachter wird im Nachhinein besonders auf <strong>die</strong> Finger geschaut. Mit <strong>die</strong>ser wichtigen,<br />
aber auch sehr schweren Aufgabe muss <strong>die</strong>ser Berufsstand leben. In der aktuellen Situation<br />
können sich BegutachterInnen nicht auf gewisse Deliktsbereiche spezialisieren. GutachterInnen<br />
sind weiterhin GeneralistInnen, spezialisiert auf <strong>die</strong> forensische Begutachtung, aber<br />
nicht auf einen bestimmten Deliktstypus. Die hochkomplexe <strong>und</strong> äusserst wichtige Aufgabe<br />
der forensischen Begutachterin würde <strong>die</strong>s aber bedingen, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht<br />
werden will.<br />
7.4. Spricht <strong>die</strong> Rechtssprechung Recht?<br />
Eine ähnliche Problematik findet sich bei den Richterinnen <strong>und</strong> Richtern, wenn auch nicht<br />
aus denselben Gründen. Kantonale RichterInnen sind in der Regel für eine geografisch begrenzte<br />
Region zuständig. Auch wenn wir in den Gesprächen mit VertreterInnen der Polizei<br />
gehört haben, dass Delikte in einer ländlich geprägten Umgebung von Delikten aus dem urbanen<br />
Umfeld unterschieden werden können, sind <strong>die</strong> Unterschiede dennoch klein. Gerade<br />
in einem dicht besiedelten Land wie der Schweiz wird wohl jede Richterin <strong>und</strong> jeder Richter<br />
85<br />
Ich kann es nicht belegen, bin aber überzeugt, dass das Thema der häuslichen Gewalt viel Aufschwung erfahren<br />
hat, als <strong>die</strong> volkwirtschaftlichen Folgekosten <strong>die</strong>ses Deliktsbereichs ausgerechnet <strong>und</strong> medial diskutiert worden<br />
sind.<br />
86<br />
Man spricht gar von einem „forensischen Vakuum“ in der Schweiz. Vgl. dazu bspw. NZZ am Sonntag vom<br />
11.01.04: Die Stille Macht der Gutachter.
77<br />
längerfristig mit ähnlichen Deliktsfeldern zu tun haben, umso mehr in der hoch mobilen heutigen<br />
Welt. Die fehlende Spezialisierung des Richterstandes hat eher mit den föderalistischen<br />
Strukturen der Schweiz zu tun, denn mit mangelndem Personal, obwohl der Pressberichterstattung<br />
zu Folge auch beim Richterstand langsam aber sicher <strong>die</strong> Ressourcen fehlen.<br />
Muss sich ein Richter / eine Richterin mit allen möglichen Delikten, <strong>die</strong> zudem noch von individuell<br />
sehr unterschiedlichen Delinquenten ausgeführt werden, beschäftigen, fehlt gezwungenermassen<br />
der Blick für übergeordnete Zusammenhänge <strong>und</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit, bei einem<br />
Deliktstypus in <strong>die</strong> Tiefe gehen zu können. Wie jedes Berufsfeld ist auch der Richterstand mit<br />
politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert. Wie wir in den Gesprächen<br />
gehört haben, stehen (Untersuchungs-) RichterInnen unter einem Zeit- <strong>und</strong> auch Kostendruck.<br />
Geld für komplexere <strong>und</strong> mit wenig Erfolgschancen behaftete Ermittlungen fehlt,<br />
Zeit für eine längerfristige Auseinandersetzung mit Delinquenten wohl teilweise auch. Gerade<br />
bei pädosexuellen Delikten ist es aber wichtig, <strong>die</strong> Geschichte hinter dem Delikt zu durchleuchten,<br />
gerade weil <strong>die</strong>se Geschichten teils sehr komplex sind <strong>und</strong> nicht zuletzt weil <strong>die</strong><br />
bekannten <strong>und</strong> potentiellen Geschädigten ein Recht darauf haben. Wenn sich der Richterstand<br />
nicht auf substantielle Hilfe gerade von den forensischen BegutachterInnen stützen<br />
kann, wirkt sich <strong>die</strong> mangelnde Spezialisierung noch stärker aus. Nicht zuletzt sind RichterInnen<br />
auch Menschen <strong>und</strong> der Umgang mit <strong>die</strong>sem Deliktsfeld ist für Niemanden einfach.<br />
Bis zu einem gewissen Grad ist es demzufolge verständlich, wenn sich RichterInnen vor einer<br />
intensiven Beschäftigung mit den Tätern, den Opfern <strong>und</strong> den Tatsachen scheuen. PolizistInnen<br />
haben <strong>die</strong>se Möglichkeit nicht.<br />
7.5. Und dennoch ein Plädoyer für <strong>die</strong> Therapie<br />
Gemäss Laienmeinung nützt <strong>die</strong> (forensischen) Therapie speziell bei <strong>Pädosexuelle</strong>n wenig<br />
bis gar nichts. „Die sind <strong>und</strong> bleiben krank“ oder „für solche soll nicht noch Geld für eine Behandlung<br />
ausgegeben werden“ sind häufige Äusserungen in Leserbriefen oder auf populistischen<br />
Websites. Hinter solchen Äusserungen steht <strong>die</strong> Annahme, dass sich <strong>Pädosexuelle</strong><br />
nicht ändern können <strong>und</strong> <strong>die</strong> Meinung, dass sie eine speziell harte Strafe ver<strong>die</strong>nen. Wie wir<br />
aber gehört haben, ist pädosexuell nicht gleich pädosexuell <strong>und</strong> dementsprechend unterschiedlich<br />
müssen <strong>die</strong> Behandlungen ausfallen. Ist für einen, ausschliesslich auf Kinder fixierten,<br />
pädosexuellen Wiederholungstäter eine chemische Behandlung angesagt, nützt es<br />
bei einem Ersatz-Objekt-Täter eventuell schon, wenn er seine Lebenssituation in den Griff<br />
bekommt. Auch wenn beide ein ähnliches Delikt begangen haben <strong>und</strong> richtigerweise zu einer<br />
ähnliche Strafe verurteilt werden, werden sie sich - kommen sie denn wieder frei - unter Umständen<br />
völlig verschieden verhalten. Diesem Umstand kann <strong>die</strong> Rechtssprechung nur bedingt<br />
Rechung tragen. Sicherungsverwahrte sind auch unter <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>die</strong> Ausnahme,<br />
wie wir aus der Urteilsstatistik gesehen haben. Alle anderen sind nach mehr oder weniger<br />
kurzer Zeit wieder auf freiem Fuss. Nur <strong>die</strong> therapeutische Behandlung kann dann im Sinne<br />
des Opferschutzes auf <strong>die</strong> weiteren Handlungen einwirken 87 . Therapeutische Behandlung<br />
von Kernpädosexuellen birgt, wie wir gehört haben, auch ein gewisses Risiko. Sie kann dazu<br />
führen, dass <strong>die</strong> Täter aktiver, selbstbewusster <strong>und</strong> hemmungsloser werden. Wir kennen <strong>die</strong><br />
Gr<strong>und</strong>bedingungen einer erfolgsversprechenden Therapie, wie sie uns von psychiatrischer<br />
<strong>und</strong> psychologischer Seite vorgestellt wurde. Unsere Gesprächspartner sind aber beide sehr<br />
erfahren mit Pädophilen oder <strong>Pädosexuelle</strong>n. Das gilt bei weitem nicht für alle Behandelnden.<br />
Auch Therapeuten <strong>und</strong> Psychiater beschränken in der Regel ihr Tätigkeitsfeld auf bestimmte<br />
geografischen Regionen <strong>und</strong> so viele <strong>Pädosexuelle</strong> - geschweige denn nicht delinquente<br />
Pädophile - befinden sich nicht in Therapie, als dass sich viele Therapeuten <strong>und</strong><br />
Psychiater den nötigen Erfahrungsschatz erarbeiten könnten.<br />
Dennoch ist es unabdingbar, <strong>die</strong> therapeutische (psychologische oder psychiatrische) Behandlung<br />
als zentralen Partner im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess zu betrachten. TherapeutInnen<br />
87 Auch wenn sich <strong>die</strong> mediale Berichterstattung in der Schweiz immer weniger scheut, pädosexuelle Täter für <strong>die</strong><br />
Bevölkerung leicht(er) identifizierbar zu machen, haben wir noch nicht <strong>die</strong> Verhältnisse, <strong>die</strong> wir in anderen Ländern<br />
(z.B. Grossbritannien oder <strong>die</strong> USA) kennen. Das heisst, Pädokriminelle haben in der Regel das Recht auf<br />
eine gewisse Anonymität <strong>und</strong> sind so weniger der sozialen Kontrolle, aber auch den primitiven Rachegelüsten von<br />
Teilen der Bevölkerung ausgeliefert.
78<br />
verfügen über <strong>die</strong> besten Möglichkeiten, den spezifischen Lebensgeschichten der Täter <strong>und</strong><br />
den Motiven, <strong>die</strong> der Tat zu Gr<strong>und</strong>e liegen, auf <strong>die</strong> Spur zu kommen. Natürlich wäre es wünschenswert,<br />
wenn <strong>die</strong> forensischen BegutachterInnen bereits über <strong>die</strong> nötige (Spezial-) Ausbildung<br />
<strong>und</strong> vor allem auch Zeit für eine f<strong>und</strong>ierte Aufbereitung des Tatgeschehens <strong>und</strong> dessen<br />
individuelle Hintergründe verfügten. Wie bereits oben erwähnt, sind wir aber noch weit<br />
davon entfernt.
8. Empfehlungen<br />
79<br />
Wir wagen im Folgenden einige konkrete Empfehlungen. Dabei soll keine Rücksicht auf <strong>die</strong><br />
realistische Machbarkeit bezüglich aktueller gesellschaftlicher Rahmenbedingungen genommen<br />
werden. Es handelt sich also teils eher um Wünsche, denn um reale Empfehlungen.<br />
8.1. Offen reden <strong>und</strong> frei forschen<br />
In der Presseberichterstattung, aber vor allem auch in der Forschungsgemeinschaft, muss<br />
der <strong>Pädosexuelle</strong> als Delinquententypus differenzierter behandelt werden können. Es sind<br />
oft einzelne, engagierte AutorInnen, <strong>die</strong> sich dem Thema Kindsmissbrauch widmen, oft nicht<br />
im Rahmen der universitären Forschung, sondern im Kontext der Arbeit von Kinderschutzorganisationen.<br />
An <strong>die</strong> Thematisierung der Täter selbst haben sich meines Wissens bis anhin<br />
Wenige gewagt. Zwar wird <strong>die</strong> Thematik der Pädosexualität teilweise als Kapitel innerhalb<br />
der Sexualdelinquenz, in der Regel aber nicht als eigener Untersuchungsgegenstand behandelt.<br />
Auch wenn <strong>Pädosexuelle</strong> keine homogene Delinquentengruppe darstellen (wie es in<br />
aller Regel auch bei anderen Deliktstypen nicht der Fall ist), ist das kein Argument gegen eine<br />
differenzierte Betrachtung, im Gegenteil. Die differenzierte Betrachtung von <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
birgt für <strong>die</strong> Autoren immer auch ein gewisses Risiko, von der Bevölkerung falsch verstanden<br />
respektive in <strong>die</strong> „falsche Ecke“ gedrängt zu werden. Rüdiger Lautmann beispielsweise<br />
wird von (militanten) Kinderschutzorganisationen als zu tolerant betrachtet <strong>und</strong> man<br />
schreibt ihm, zu Recht oder zu Unrecht, eine verdächtige Sympathie für Pädophile zu. Autoren,<br />
<strong>die</strong> <strong>Pädosexuelle</strong> klar im Kontext von schwerstkriminellen Handlungen beschreiben, haben<br />
es einfacher, sie bilden aber dennoch nur einen Teil der Wahrheit ab. Gerade für <strong>die</strong> Beteiligten<br />
am <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess wäre es sinnvoll <strong>und</strong> nötig, eine sachliche Betrachtung<br />
<strong>und</strong> umfassende Übersicht zu <strong>Pädosexuelle</strong>n zur Verfügung zu haben. Dies könnte helfen,<br />
<strong>die</strong> verschiedenen Prädispositionen <strong>und</strong> situationalen Bedingungen, <strong>die</strong> zu einer Tat führen<br />
können, zu unterscheiden <strong>und</strong> <strong>die</strong>s bei ihren Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.<br />
Zudem herrscht ein Mangel an Forschung <strong>und</strong> Literatur zum Thema Kinderpornografie. Das<br />
Thema hat mit der breiten Nutzung des Internets <strong>und</strong> den grossen Polizeiaktionen massiv an<br />
Brisanz gewonnen, wurde aber erst rudimentär von der Forschung aufgegriffen. Fragen bezüglich<br />
der Gesetzgebung <strong>und</strong> Tätermotive tauchen auf <strong>und</strong> es besteht dringender Handlungsbedarf.<br />
8.2. Bestehendes Know-how in der Ermittlungsarbeit teilen<br />
Ermittelnde sind mindestens so stolz oder beschämt über erfolgreiche oder weniger erfolgreiche<br />
Arbeit, wie andere Berufsleute auch. Sie werden aber von der Bevölkerung mit Argusaugen<br />
beobachtet <strong>und</strong> gerade erfolgreiche Aktionen gegen <strong>Pädosexuelle</strong> lassen sich in der<br />
Bevölkerung „gut verkaufen“. Bei weniger erfolgreichen Aktionen werden sie mit strengen<br />
Massstäben gemessen <strong>und</strong> oft hat <strong>die</strong> interessierte Bevölkerung wenig bis keine Vorstellung<br />
von den Schwierigkeiten <strong>und</strong> Hürden bei der Ermittlungsarbeit 88 .<br />
Mit den föderalistischen Strukturen der kantonalen Polizeien in der Schweiz werden wir noch<br />
einige Jahre leben müssen oder dürfen. Man kann <strong>die</strong>se Situation aber auch als Chance<br />
wahrnehmen, indem man <strong>die</strong> einzelnen Korps in einer (theoretischen) Konkurrenz betrachtet.<br />
Kriterien für erfolgreiche Ermittlungsarbeit sollen <strong>und</strong> müssen mit anderen Polizkorps geteilt<br />
werden. In gewissen Deliktsbereichen existieren Plattformen, <strong>die</strong> zwecks Austauschs<br />
von Erfahrungen <strong>und</strong> Best Practices zwischen den inländischen <strong>und</strong> ausländischen Polizeien<br />
etabliert wurden (z.B. bei Drogendelikten). Im Bereich der Delikte gegen Kinder wurde in der<br />
Schweiz im Jahre 1982, nach der Serie von verschw<strong>und</strong>enen Kindern in der Schweiz, <strong>die</strong><br />
Soko Rebecca 89 ins Leben gerufen. Innerhalb <strong>die</strong>ser Gruppe von Ermittelnden, <strong>die</strong> sich regelmässig<br />
trifft, wird nicht nur das Thema der verschw<strong>und</strong>enen Kinder besprochen, sondern<br />
88 Wie man <strong>die</strong>s bei der Berichterstattung zur Aktion Genesis gut verfolgen konnte.<br />
89 http://www.police.be.ch/site/index/aktuell/aktuell_vermisste/vermisst_soko.htm
80<br />
es werden breiter Delikte gegen Kinder behandelt. Auch das relativ neu in der Schweiz etablierte<br />
Datenbanksystem ViCLAS nimmt alle Delikte gegen Kinder (auch bereits das verdächtige<br />
Ansprechen von Kindern) in <strong>die</strong> Datenbank auf <strong>und</strong> ermöglicht so ein rasches Erkennen<br />
von Serien. Diese Plattformen sind jedoch eher auf <strong>die</strong> Lösung von konkreten Fällen angelegt<br />
als auf den Austausch von Know How. Gerade im Bereich des doch neuen Deliktfeldes<br />
der Kinderpornografie (über Internet) <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen, kantonsübergreifenden<br />
Polizeiaktionen, besteht Austauschbedarf. Das Wissen um neue Modi Operandi, neue Technologien<br />
zu deren Bekämpfung, erfolgreiche Verhörmethoden oder Tipps <strong>und</strong> Tricks im Zusammenhang<br />
mit Hausdurchsuchungen bei Kinderpornografiedelikten sind in der Schweiz<br />
vorhanden, werden aber nur zum Teil unter den Polizeikorps ausgetauscht. Gerade Ermittelnde,<br />
<strong>die</strong> gegen Delinquenten vorgehen, <strong>die</strong> mit dem Internet als Tatmittel operieren, sind<br />
sich auch gewohnt, <strong>die</strong> neuen elektronischen Me<strong>die</strong>n zu nutzen. Diese Me<strong>die</strong>n können demzufolge<br />
auch als Plattform genutzt werden. Warum nicht Newsgroups einrichten, ein spezielles<br />
Intranet aufbauen oder Newsletters anbieten, <strong>die</strong> auf Neuigkeiten aufmerksam machen.<br />
Dies wird zwar zum Teil schon praktiziert, aber nicht schweizweit eingesetzt. Bezüglich spezifischer<br />
Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung existieren zwar Angebote für Ermittelnde im Bereich der<br />
Pädokriminalität <strong>und</strong> der IT-Ermittlung, aber auch dabei bestehen noch erhebliche Lücken.<br />
Im benachbarten Deutschland bietet das BKA 14-tätige Kurse im Bereich der (Ermittlung gegen)<br />
Kinderpornografie an <strong>und</strong> <strong>die</strong>se werden auch von Schweizer Polizeien genutzt. Einem<br />
„Import“ stünde gr<strong>und</strong>sätzlich aber nichts im Wege.<br />
8.3. EntscheidungsträgerInnen sensibilisieren<br />
Wie bereits erwähnt, hat KOBIK interessierten ParlamentarierInnen unzensurierte kinderpornographische<br />
Szenen aus dem Internet vorgeführt. Die Stadtpolizei Zürich hat dasselbe bei<br />
Sozial<strong>die</strong>nsten gezeigt. Solche einmaligen Aktionen lassen das Publikum hautnah erleben,<br />
worum es bei Delikten im Bereich der Kinderpornografie geht <strong>und</strong> sollen das Engagement<br />
bei der Bekämpfung <strong>die</strong>ser Delikte stärken. Wie wir von den Stadtzürcher Ermittelnden aber<br />
auch gehört haben, sind RichterInnen nicht immer bereit, sich mit konkreter Kinderpornografie<br />
auseinander zu setzen. Trotz knapper zeitlicher Ressourcen, ist es meiner Ansicht nach<br />
nicht zu viel verlangt, wenn gerade RichterInnen sich zumindest einmal mit den konkreten<br />
Inhalten vertraut machen. Das sind sie den ermittelnden Behörden, aber auch den Opfern<br />
<strong>die</strong>ser Delikte schuldig. Zudem hilft <strong>die</strong> Betrachtung der konkreten Darstellungen bei der Beurteilung<br />
eines Falles. Um einschätzen zu können, mit welcher Art von Konsument es ein<br />
Richter / eine Richterin zu tun hat, muss er oder sie wissen, welche Inhalte in welchem Umfang<br />
heruntergeladen oder verbreitet wurden. Die Ermittelnden geben sich in der Regel Mühe,<br />
ihre Polizeiberichte so aufzubereiten, dass von einer richterlichen Instanz beurteilt werden<br />
kann, worum es geht. Es wäre interessant zu wissen, ob <strong>und</strong> inwiefern <strong>die</strong> Rechtssprechung<br />
abhängig von der Qualität der Polizeirapporte ist.<br />
Aber nicht nur RichterInnen, sondern auch politische Kreise <strong>und</strong> Sozial<strong>die</strong>nste müssten sich<br />
eingehender mit dem Phänomen der Kinderpornografie auseinandersetzen, um reale Entscheidungsgr<strong>und</strong>lagen<br />
zur Verfügung zu haben. KOBIK oder andere geeignete (B<strong>und</strong>es-<br />
)Stellen könnten sich zur Aufgabe machen, Weiterbildungs- oder Sensibilisierungs-<br />
Plattformen für verschiedene interessierte Kreise zu schaffen.<br />
8.4. Begutachtung <strong>und</strong> Therapie stärken <strong>und</strong> spezialisieren<br />
Die Begutachtung nimmt eine entscheidende Rolle im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess ein. Auch<br />
wenn ein Mangel an qualifizierten forensischen GutachterInnen besteht, können sich GutachterInnen,<br />
wie auch <strong>die</strong> oben angesprochenen Kreise, über Kinderpornografie informieren.<br />
In einer Weiterbildung an meiner Arbeitsstelle meinte ein forensischer Gutachter, er habe<br />
sich einmal einige kinderpornografische Darstellungen anschauen müssen, <strong>und</strong> es sei ihm<br />
nicht gut gegangen dabei. Es machte nicht den Anschein, als wenn es in der Branche üblich<br />
wäre, sich mit den Materialien auseinander zu setzen. Nach der Aktion Genesis haben einige<br />
kantonale RichterInnen den Verurteilten <strong>die</strong> Weisung erteilt, sich in psychiatrische oder psychologische<br />
Behandlung zu begeben. Es wäre hilfreich für eine erfolgreiche Begutachtung,
81<br />
wenn <strong>die</strong> Spezialisten eine Ahnung hätten, womit sie es bei ihrer Klientel zu tun haben. Ich<br />
fand es beim Lesen von Urteilen eher befremdlich, wenn <strong>die</strong> Begutachtung eines Klienten,<br />
der Tausende von kinderpornografischen Filmen <strong>und</strong> Dateien gesammelt hatte, zum Schluss<br />
kam, es seien keine pädophilen Tendenzen feststellbar. Wenn sich <strong>die</strong> therapeutisch Arbeitenden<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Begutachter als Sachverständige eine Wissensgr<strong>und</strong>lage erarbeitet hätten,<br />
<strong>die</strong> der Rechtssprechung als Entscheidungsbasis <strong>die</strong>nen könnte, würden gewisse RichterInnen<br />
wahrscheinlich nicht mehr, wie bis anhin, selbstverständlich vor Me<strong>die</strong>n behaupten können,<br />
<strong>die</strong> allermeisten Kinderpornografiekonsumenten handelten aus Neugier <strong>und</strong> nicht getrieben<br />
durch pädosexuelle Phantasien. Die Schuster bleiben nicht bei ihren Leisten, wenn<br />
der Bäcker nebenan seine Brötchen schlecht bäckt <strong>und</strong> er Hunger hat.<br />
8.5. Seriöse Therapieangebote für (potentielle) Täter<br />
Die Pädophilenvereinigung Arcados schreibt auf ihrer Homepage: „ Es haben sich seit Bestehen<br />
der Beratung für Pädophilie über 2000 Betroffene gemeldet. Vielen von ihnen konnte<br />
durch eine Beratung geholfen werden oder sie wurden an professionelle Therapeuten vermittelt.<br />
Es gibt in der Schweiz, in Deutschland oder in Österreich kein anderes Beratungsangebot<br />
welches von Pädophilen freiwillig in Anspruch genommen wird.“<br />
Natürlich gibt es Pädophile, <strong>die</strong> sich an Therapeuten wenden, ohne über Arcados vermittelt<br />
worden zu sein. Aber Arcados hat insofern Recht, als dass es in der Schweiz keine übergreifende<br />
Organisation gibt, welche für Pädophile eine Übersicht der spezialisierten TherapeutInnen<br />
bereitstellt. Wie wir wissen, ist eine seriöse <strong>und</strong> spezialisierte Therapie für <strong>Pädosexuelle</strong><br />
sehr wichtig, damit nicht kontraproduktive Effekte im Sinne des Opferschutzes entstehen.<br />
Eine unsachgemässe Therapie kann dazu führen, dass pädosexuell Orientierte in ihren<br />
Phantasien bestärkt werden, Hemmschwellen abbauen <strong>und</strong> somit aktiver werden können.<br />
Möglicherweise tun wir ITP Arcados unrecht, wenn wir an der Seriosität ihrer Beratungen<br />
zweifeln, es mutet aber seltsam an, dass von den drei offiziellen BeraterInnen nur einer über<br />
eine entsprechende Ausbildung verfügt <strong>und</strong> gerade <strong>die</strong>ser im begründeten Ruf steht, zu tolerant<br />
gegenüber pädophiler Orientierung zu sein. Warum werden auf der Homepage keine<br />
anerkannten TherapeutInnen aufgelistet, an <strong>die</strong> notsuchende Pädophile vermittelt werden<br />
können? In der Schweiz existieren spezialisierte <strong>und</strong> seriöse Beratungs- <strong>und</strong> Therapieangebote<br />
für <strong>die</strong>se Klientel. Wie in anderen Ländern (bspw. Deutschland oder England), könnten<br />
sich auch in der Schweiz <strong>die</strong>se Spezialisten vernetzen <strong>und</strong> ihr Angebot anhand von Broschüren<br />
oder über das Internet verbreiten. Auch für RichterInnen wäre es hilfreich, wenn sie<br />
wüssten, an welche SpezialistInnen sie ihre Verurteilten im Bereich der Pädokriminalität weisen<br />
müssten.<br />
8.6. Akteure an einen Tisch bringen<br />
Ein Ziel <strong>die</strong>ser Arbeit war es, aufzuzeigen, wie unterschiedlich oder auch wie ähnlich <strong>die</strong><br />
Blickwinkel, <strong>die</strong> Meinungen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Einstellungen der Beteiligten am <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess<br />
zu <strong>Pädosexuelle</strong>n sind. Die verschiedenen Akteure im <strong>Strafverfolgung</strong>sprozess haben,<br />
wenn überhaupt, nur punktuell Kontakt zueinander <strong>und</strong> wissen auch nur punktuell von den<br />
verschiedenen Aufgabengebieten <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen Schwierigkeiten. Fachtagungen<br />
oder andere Formen von Angeboten zu Themen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Akteure verbinden, könnten<br />
helfen, <strong>die</strong> Funktionsträger zusammenzubringen. Beim Thema „häusliche Gewalt“ ist es zum<br />
Teil gelungen, Entscheidungs- <strong>und</strong> Funktionsträger an einen Tisch zu bringen, damit sie sich<br />
gegenseitig ihre Sicht der Dinge näher bringen <strong>und</strong> so im Kampf gegen ein Deliktsfeld vereinter<br />
auftreten 90 . Das Pilotprojekt galt als Erfolg <strong>und</strong> kann als Vorbild auch für andere Deliktsfelder<br />
gesehen werden. Ein solcher r<strong>und</strong>er Tisch kann in einem Kanton funktionieren, als<br />
90 Am r<strong>und</strong>en Tisch zum Thema „häusliche Gewalt“ nahmen VertreterInnen der Kantonspolizei, dem Kriminalkommissariat,<br />
der Staatsanwaltschaft, dem Strafgericht, dem Zivilgericht <strong>und</strong> dem Gleichstellungsbüro teil. Von<br />
privater Seite nahmen <strong>die</strong> Opferhilfestelle, <strong>die</strong> Frauenhausberatungsstelle, <strong>die</strong> Migrantinnenberatung <strong>und</strong> eine<br />
spezialisierte Rechtsanwältin an den Gesprächen teil. Neben Erfahrungsaustausch ging es vor allem darum, Vernetzungen<br />
zwischen den existierenden Stellen zu erreichen, sowie <strong>die</strong> bestehenden Möglichkeiten des Opferschutzes<br />
koordiniert zur Anwendung kommen zu lassen.
82<br />
gesamtschweizerische Plattform eignet sich <strong>die</strong>se Form nicht. Spezielle Tagungen oder<br />
sonstige Weiterbildungsangebote für Interessierte aus verschiedensten Organisationen, <strong>die</strong><br />
sich mit dem Thema der Pädosexualität beschäftigen, wären hingegen möglich. <strong>Der</strong> Kinderschutz<br />
Schweiz hat zusammen mit der NGO ECPAT im Juni 2002 in Balsthal eine Fachtagung<br />
zum Thema „Kinderpornografie im Internet“ durchgeführt 91 . Diese erfolgreiche Initiative<br />
sollte unbedingt wiederholt, wenn nicht institutionalisiert werden.<br />
8.7. Übersicht erlangen <strong>und</strong> Kräfte konzentrieren<br />
Auch wenn <strong>die</strong> Schweiz ein kleines Land ist <strong>und</strong> es nicht schwer fallen sollte, in einem Deliktsbereich<br />
<strong>die</strong> Übersicht zu erlangen, ist <strong>die</strong>s noch nicht gelungen. Bezüglich Aussagen zur<br />
Anzahl von pädokriminellen Delikten in der Schweiz sind keine verbindlichen Aussagen möglich.<br />
Die Anzeigestatistik in der jetzigen Form erlaubt es nicht, <strong>die</strong> Anzahl Anzeigen wegen<br />
Delikten gegen Kinder heraus zu filtern. Zum einen, da <strong>die</strong> Erhebungsmethoden in den einzelnen<br />
Kantonen keine Zusammenfassungen erlauben <strong>und</strong> zum anderen, da <strong>die</strong> Delikte gegen<br />
<strong>die</strong> sexuelle Integrität nicht flächendeckend aufgeschlüsselt gemeldet werden. Bei den<br />
Urteilsstatistiken sieht <strong>die</strong> Lage zwar besser aus, es gäbe aber immer noch einige Verbesserungen<br />
anzubringen. So ist es zum Beispiel (noch) nicht möglich, Wiederholungstaten zu erkennen<br />
oder etwas über das Alter der Opfer oder <strong>die</strong> Beziehungen zwischen Opfer <strong>und</strong> Täter<br />
zu erfahren. Systematische Untersuchungen zum Dunkelfeld werden von staatlichen Stellen<br />
nicht finanziert <strong>und</strong> regelmässig durchgeführt, wie <strong>die</strong>s in anderen Ländern der Fall ist.<br />
Da pädokriminelle Delikte in aller Regel in den Zuständigkeitsbereich der Kantone gehören,<br />
hat der B<strong>und</strong> <strong>die</strong> Übersicht über <strong>die</strong> kriminelle Szene nicht oder nur in Ansätzen. Die Kommunikation<br />
zwischen den Kantonen hat sich in den letzten Jahren zwar sicher verbessert,<br />
aber ein regelmässiger Austausch gehört nicht zur Tagesordnung. Was im Bereich der Drogendelikte<br />
funktioniert, indem regelmässige Treffen von RepräsentantInnen der Drogenfahndung<br />
durchgeführt werden, zentral statistische Erhebungen von B<strong>und</strong>esstellen bei den Kantonen<br />
stattfinden <strong>und</strong> sich Personen überkantonal darum kümmern, welche Trends, neue<br />
Modi Operandi oder Szenenverschiebungen sich gesamtschweizerisch abzeichnen, könnte<br />
sich auch bei pädokriminellen Delikten durchsetzen. Eine zentrale B<strong>und</strong>esstelle im Bereich<br />
Pädokriminalität könnte zusätzlich für <strong>die</strong> Kantone regelmässige Lagedarstellungen erstellen<br />
<strong>und</strong> Schulungen durchführen.<br />
Eine Problematik, <strong>die</strong> bis anhin noch kaum angesprochen wurde, sind <strong>die</strong> Opfer von Kinderpornografie<br />
in der Schweiz. Die Opferidentifizierung wurde bis anhin nur punktuell von einigen<br />
Kantonen angegangen, wenn (vor allem aus dem Ausland) Meldungen eintrafen, dass<br />
das Opfer auf einer Darstellung aus der Schweiz stammen könnte. Im Gegensatz zu<br />
Deutschland, existiert in der Schweiz keine zentral geführte Datenbank mit kinderpornografischen<br />
Darstellungen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Ermittelnden wichtige Hinweise geben kann, ob das Opfer<br />
aus der Schweiz stammen könnte, ob es eventuell bereits in anderen Serien auftauchte <strong>und</strong><br />
ob es möglicherweise schon identifiziert werden konnte von anderen Ermittlungsbehörden.<br />
Vielleicht ist eine Zeitungsmeldung 92 , in der ein US-Ermittler <strong>die</strong> Identifizierung von Schweizer<br />
Opfern auf kinderpornografischem Material mitteilt, Anlass genug für (politische) Behörden,<br />
<strong>die</strong>se Lücke endlich anzugehen.<br />
Es ist, wie immer <strong>und</strong> überall, eine Frage des (politischen) Willens, <strong>die</strong>se Forderungen in <strong>die</strong><br />
Tat umzusetzen. Kinder haben vielleicht keine Lobby, aber viele kleine Lobbies, <strong>die</strong> sich<br />
überparteilich konzentrieren sollten, um tat- <strong>und</strong> schlagkräftig(er) zu werden.<br />
91<br />
Siehe zum Bsp.: http://www.kinderschutz.ch/data/bibliothek/resolution_balsthal.pdf<br />
92<br />
Vgl. Sonntagszeitung vom 26.09.04. Ob sich <strong>die</strong> Berichterstattung auf reale Begebenheiten bezieht, sei hier<br />
dahingestellt.
83<br />
Literatur<br />
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Hilden.<br />
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pluriels sur les abus sexuels d'enfants. Editions Médecine et Hygiène.<br />
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Täterschaft. Campus Verlag, Frankfurt/Main.<br />
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84<br />
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• Schorsch, Eberhard & Pfäfflin, Friedemann (1986): Die sexuelle Deviation <strong>und</strong> sexuell motivierte<br />
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Internet unter: http://www.ipce.info/library_3/files/nat_dims_kp.htm<br />
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• Weissenberger, Philippe (1998): Strafwürdiger Besitz von Kinderpornografie? Zu den geplanten<br />
Gesetzesrevisionen im Bereich harter Pornografie. In: Aktuelle juristische Praxis 3 / 98<br />
• Wuttke, Gisela (2002): Pornografie an Kindern. Die Folgen <strong>und</strong> Wirkungen von Kinderpornografie.<br />
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child pornography. unter: http://www.gao.gov/new.items/d031115t.pdf<br />
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• http://www.copine.ie<br />
• http://www.gao.gov<br />
• http://www.ipce.info<br />
• http://www.ipt-forensics.com/<br />
• http://www.itp-arcados.net/<br />
• http://www.marche-blanche.ch<br />
• http://www.ncis.co.uk<br />
• http://www.paedo-portal.de<br />
• http://www.parlament.ch<br />
• http://www.police.be.ch<br />
• http://www.statistik.admin.ch<br />
• http://www.suchtmagazin.ch<br />
• http://www.unicef-suisse.ch<br />
• www.who.int/whosis
85<br />
Anhang I; „Leitfaden“ <strong>und</strong> ExpertInneninterviews<br />
Das Interview soll offen geführt werden. <strong>Der</strong> „Leitfaden“ <strong>die</strong>nt lediglich einer Orientierungshilfe <strong>und</strong> einer<br />
Gedächtnisstütze, damit wichtige Aspekte nicht verloren gehen. Weder <strong>die</strong> Reihenfolge noch <strong>die</strong><br />
Themen sind verbindlich. Je nach Fachwissen der ExpertInnen können Themen weggelassen, neue<br />
hinzugezogen oder punktuell vertieft werden.<br />
Historisch-geografischer Aspekt<br />
Ist Wissen aus anderen Zeitepochen, Kulturkreisen (auch Tierwelt) vorhanden zum sexuellen Umgang<br />
Erwachsener mit Kindern? Toleranz, Verbreitung, Regeln oder Tabus?<br />
Typologie von <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
Können Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n unterschieden werden? Wenn ja, hinsichtlich welcher Kriterien?<br />
Persönlichkeitsmerkmale <strong>Pädosexuelle</strong>r<br />
Sind Ihnen Persönlichkeitsmerkmale von <strong>Pädosexuelle</strong>n in Ihrer Arbeit aufgefallen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se von<br />
nicht-<strong>Pädosexuelle</strong>n unterscheidet (unabhängig von der sexuellen Neigung zu Kindern)? Merkmale<br />
der Persönlichkeit im engeren Sinne, aber auch beispielsweise zu Intelligenz oder sonstigen Interessen<br />
im Leben?<br />
Entstehungsbedingungen der Pädosexualität<br />
Wo sehen Sie <strong>die</strong> Ursachen von Pädosexualität? Biologisch, kulturell, Mischformen? Falls Sie unterschiedliche<br />
Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n annehmen, unterscheiden sich <strong>die</strong>se auch in Ihren Entstehungsbedingungen?<br />
Ausmass <strong>und</strong> Verbreitung der Pädosexualität<br />
Wie schätzen Sie <strong>die</strong> Verbreitung von Menschen mit pädosexuellen Neigungen in der aktuellen Gesellschaft<br />
ein? Hell-Dunkelfeld-Verhältnis? Hat sie das Ausmass von <strong>Pädosexuelle</strong>n räumlich <strong>und</strong><br />
zeitlich verändert <strong>und</strong> wenn ja, weshalb?<br />
Pädosexualität <strong>und</strong> Kinderpornografie<br />
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> Kinderpornografie-Konsumenten? Handelt<br />
es sich ausschliesslich um <strong>die</strong>selbe Population? Wenn nicht, wo sehen Sie <strong>die</strong> Abweichungen?<br />
Sind auch nicht-<strong>Pädosexuelle</strong> Konsumenten? Lehnen teils <strong>Pädosexuelle</strong> Kinderpornografie ab? Wie<br />
beurteilen Sie den Einfluss von Kinderpornografie? Ersatzhandlungen, Anleitungen, Förderung? Wie<br />
hoch schätzen Sie <strong>die</strong> Gefahr ein, dass „nur“-Konsumenten zu aktiven Missbrauchern werden? Handelt<br />
es sich um ein neues Phänomen oder einfach um ein neues Medium?<br />
Wie beurteilen Sie den Suchtaspekt von Kinderpornografie-Konsumenten? Kennen Sie Sammler von<br />
Kinderpornografie? Wenn ja, wie erklären Sie sich <strong>die</strong> „Sammelwut“? Haben Sie eine Idee, wie sich<br />
der Markt entwickelt?<br />
Rechtliche Situation <strong>und</strong> <strong>Strafverfolgung</strong><br />
Im Speziellen interessiert hier <strong>die</strong> rechtliche Situation <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> von Konsumenten (Besitz,<br />
Verbreitung, Herstellung) von Kinderpornografie (Art. 197 StGB). Beurteilen Sie <strong>die</strong> rechtliche Situation<br />
als angemessen? Wenn nein, weshalb nicht? Wo sehen Sie <strong>die</strong> Stärken <strong>und</strong> Schwächen der<br />
<strong>Strafverfolgung</strong>?<br />
Behandlung von <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> Kinderpornografie-Konsumenten<br />
Wie beurteilen Sie <strong>die</strong> Behandlung von <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong>/oder Kinderpornografie? Welche Behandlungsmethoden<br />
schätzen Sie als erfolgreich ein <strong>und</strong> welches Ziel verfolgen <strong>die</strong> Behandlungen? Empfehlen<br />
Sie spezielle Behandlungen für „nur“-Kinderpornografie-Konsumenten? Wenn ja, welche <strong>und</strong><br />
wo können <strong>die</strong> Behandlungsschwerpunkte ansetzen?<br />
Wichtige, noch nicht angesprochene Aspekte der Pädosexualität?
1. Interview mit Dr. med. Thomas Knecht<br />
86<br />
Funktion:<br />
Herr Dr. Knecht ist leitender Arzt des Bereichs Sucht <strong>und</strong> Forensik <strong>und</strong> therapeutischer Leiter der psychiatrischen<br />
Dienste Thurgau (Münsterlingen) <strong>und</strong> ausgewiesener Experte unter anderem in der Behandlung<br />
von <strong>Pädosexuelle</strong>n.<br />
Das Interview wurde am 24.11.2003 in Münsterlingen am Arbeitsplatz von Herr Dr. Knecht durchgeführt<br />
<strong>und</strong> dauerte zirka drei St<strong>und</strong>en 93 .<br />
CB: Können Sie verschiedene Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n unterscheiden, haben Sie in Ihrer Arbeit<br />
mit unterschiedlichen Formen von <strong>Pädosexuelle</strong>n zu tun?<br />
Wir unterscheiden zwischen ausschliesslichem (auch fixiertem) <strong>und</strong> nicht-ausschliesslichem (auch heterogenen)<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>n. Die Ausschliesslichkeit bezieht sich auf das sexuelle Interesse am Kind.<br />
<strong>Der</strong> nicht-ausschliessliche Typus hat bessere Prognosen, ein deliktfreies Leben zu führen.<br />
Die ausschliesslichen <strong>Pädosexuelle</strong>n leben risikoreicher, da sie nicht ausweichen können. Die <strong>Pädosexuelle</strong>n,<br />
<strong>die</strong> nur eine Teilveranlagung haben, würden wohl nicht "auf freier Wildbahn" nach Kindern<br />
jagen. Diese haben genügend Rückhalt, um sich einzuschränken. Aber gerade das Internet ist für <strong>die</strong>se<br />
eine Möglichkeit, im Schutz der eigenen vier Wände sich an Dinge zu trauen, <strong>die</strong> man in der Realität<br />
nicht ausleben würde. Das Internet bietet für solche, <strong>die</strong> es bin anhin geschafft haben, der Szene<br />
fern zu bleiben, auch eine grosse Verlockung.<br />
CB: Können Sie uns etwas zu Pädosexualität in der kulturellen Entwicklung oder im Tierreich<br />
erzählen, Sie haben ja darüber auch in Ihren Artikeln 94 geschrieben?<br />
Als rein kulturelles Phänomen kann Pädosexualität nicht bezeichnet werden, am Beispiel der Bonobos<br />
sieht man, dass Sex mit "Kindern" auch in der Natur vorkommt. Es handelt sich schon um ein Erbstück<br />
aus unserer Stammesgeschichte. Aber durch <strong>die</strong> totale Kommerzialisierung aller Sphären des<br />
menschlichen Lebens <strong>und</strong> durch <strong>die</strong> allgemeine Lockerung von Tabus hat es ganz andere Formen<br />
angenommen. Wobei das Tabu bei der Pädophilie doch recht erhalten geblieben ist im Vergleich zu<br />
anderen Lockerungen im Bereich der Sexualität. Bei <strong>die</strong>sen Leuten (Pädophilie, <strong>die</strong> sich öffentlich outen<br />
<strong>und</strong> sich in Organisationen zusammenfinden) hat <strong>die</strong>s ein Gefühl der Ungleichbehandlung wach<br />
gerufen, <strong>und</strong> so ist eine regelrecht kämpferische Bewegung entstanden für eine Legalisierung der Pädophilie.<br />
Dazu kommt, dass der heutige Markt gnadenlos jedes Bedürfnis erfasst <strong>und</strong> eine Erotisierung auch<br />
der Kinderwelt stattfindet.<br />
CB: Zeichnen sich <strong>die</strong> <strong>Pädosexuelle</strong>n, <strong>die</strong> Sie kennen gelernt haben, durch auffallende Persönlichkeitsmerkmale<br />
aus?<br />
Die narzisstische Komponente ist bei den Pädophilien ausgeprägt. Es tut ihrem Ego gut, wenn <strong>die</strong><br />
Kinder sie bew<strong>und</strong>ern, zu ihnen aufschauen, von ihnen abhängig sind. Pädophile verfügen oft über<br />
spezielle Fähigkeiten, <strong>die</strong> den Kindern Eindruck machen, wie z.B. Zaubern.<br />
Das Kind gibt ihnen das Gefühl von Grösse, nebst dem Sexuellen, das schon das Kerngeschäft bei<br />
der Beziehung ausmacht.<br />
Pädophile sind meist nicht Gewinnertypen, sie befinden sich in der Gesellschaft nicht auf der Sonnenseite<br />
<strong>und</strong> verfügen in der Regel auch über eine tiefere Intelligenz als eine Vergleichsgruppe. Gerade<br />
<strong>die</strong> pädosexuell veranlagten Männer, <strong>die</strong> von Erwachsenen weniger Anerkennung bekommen, können<br />
über <strong>die</strong> Anerkennung von Kindern ihr Selbstbewusstsein stärken, können Macht erleben <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
narzisstischen Seiten befriedigen.<br />
Es ist möglich, dass es sich um eine spezielle Untergruppe von Pädophilen handelt, <strong>die</strong> der <strong>Strafverfolgung</strong><br />
nicht entgehen konnten (klinisches Population). Dass also <strong>die</strong> <strong>Pädosexuelle</strong>n, <strong>die</strong> nicht auf<br />
der Verliererseite stehen, über eine durchschnittliche Intelligenz <strong>und</strong> soziale Kompetenz verfügen, es<br />
einfacher oder leichter haben, nicht strafrechtlich auffällig werden.<br />
93 Aufgr<strong>und</strong> technischer Probleme bei der Aufnahme, musste sich das Transkript stark auf <strong>die</strong> schriftlichen Notizen<br />
stützen. Demzufolge ist bei <strong>die</strong>sem Interview der Wortlaut weitgehend verloren gegangen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Themen<br />
wurden beim Aufschreiben bereits zusammengefasst. Das Interview wirkt, im Vergleich zu den anderen, aus <strong>die</strong>sen<br />
Gründen geordneter.
87<br />
CB: Haben Sie Vorstellungen davon, wie es in der Entwicklung eines Menschen zu einer pädosexuellen<br />
Veranlagung kommt?<br />
Ich beschreibe Pädophilie als eine Entwicklungsstörung mit einem sexuellen Schwerpunkt. Eine gewisse<br />
Veranlagung scheint zu bestehen, <strong>die</strong> dann auch Weichen stellt. Die Entwicklungsstörung zeigt<br />
sich aber offenbar auch in anderen Bereichen wie eben in einer tieferen Intelligenz, <strong>die</strong> sie nicht für<br />
Ehrenplätze in der Gesellschaft prädestiniert. Von dem her ist ein Zusatzbedarf an Selbstbestätigung<br />
gegeben. <strong>Der</strong> anspruchslosere Umgang mit Kindern wird gesucht, Spezialbegabungen, <strong>die</strong> besonders<br />
bei Kindern Eindruck machen, sind häufig. Wie eben z.B. Zaubern, das für Kinder besonders attraktiv<br />
ist. Die besonderen, für Kinder attraktiven Fähigkeiten müssen nicht unbedingt beruflich ausgelebt<br />
werden, sie können sich auch in der Freizeit zeigen, wie z.B. bei der Jungwacht oder der Pfadi.<br />
Es gibt keine absolute Symmetrie zwischen Mann <strong>und</strong> Frau. Es existieren gewisse Hirnstammkerne,<br />
<strong>die</strong> beim Mann männlich geprägt sein müssen, damit heterosexuelles Erleben statt findet aber bei der<br />
Frau ist es nicht das genaue Gegenteil. Das männliche Hormon Testosteron verstärkt auch bei der<br />
Frau <strong>die</strong> Triebintensität, wenn auch in tieferer Konzentration. Das ist nicht alles spiegelsymmetrisch.<br />
Interessanterweise gibt es aber einen Kern, der heisst Nucleus präopticus, der ist beim Mann das<br />
Steuerungszentrum für <strong>die</strong> Ejakulation <strong>und</strong> bei der Frau das Zentrum für das Brutpflegeverhalten. Ich<br />
kann mir vorstellen, dass wenn beim Mann <strong>die</strong>ser Kern nur teilweise männlich geprägt ist, es zu amalgamiertem<br />
Sexualverhalten bei Kopulation <strong>und</strong> Pflegeverhalten käme <strong>und</strong> das gäbe dann eine Art pädophiles<br />
Sexualverhalten. Bei Ratten konnte man zeigen, dass das Sexualverhalten zu dem Gegengeschlecht<br />
produziert werden kann, wenn man beim Fötus im Mutterleib das Gegenhormon zuführt.<br />
Wenn also ein Weibchen mit einem weiblichen Embryo eine Überdosis Testosteron bekommt, dann<br />
wird <strong>die</strong> weibliche Ratte männliches Kopulationsverhalten zeigen auf andere Rattenweibchen, aber<br />
phänomenlogisch ist es ein Weibchen <strong>und</strong> es hat ein weniger ausgeprägtes Brutpflegeverhalten. Es<br />
ist nicht sicher, ob bei Verabreichung von Östrogen <strong>die</strong> männliche Ratte dann das umgekehrte Verhalten<br />
an den Tag legt. Es gibt also zumindest bei Ratten gewissen Bef<strong>und</strong>e, <strong>die</strong> zeigen, dass <strong>die</strong>ser<br />
Kern bei Männchen <strong>und</strong> Weibchen andere Funktionen haben <strong>und</strong> dass <strong>die</strong> Prägung <strong>die</strong>ses Kerns für<br />
gewisse Aspekte des Verhaltens verantwortlich ist. Man weiss auch, dass sich gewisse Fehlprägungen<br />
auch hirnstrukturell unterscheiden. Es gibt des Weiteren Bef<strong>und</strong>e, dass Homopädophilie wahrscheinlicher<br />
ist, je mehr ältere Brüder man hat. Man vermutet, dass von mütterlicher Seite Antikörper<br />
gegen das männliche Hormon Testosteron gebildet werden könnten, so dass der jüngere Bruder zuwenig<br />
hormonelle Prägung bekommt. Das sind aber noch alles Anfangsbef<strong>und</strong>e aus dem experimentellen<br />
Bereich. Aber daraus können gewisse Hypothesen gebildet werden. Zum Beispiel hilft es zu erklären,<br />
dass Homosexualität <strong>und</strong> Pädophilie Ausdruck einer Hirnentwicklungsstörung sind, welche bereits<br />
im Mutterleib ihren Anfang nehmen <strong>und</strong> nebst genetischen Risikofaktoren auf hormoneller Fehlprägung<br />
beruhen könnten.<br />
Zudem gibt es Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> zeigen, dass in Bezug auf hetero-inzestuöse Verhaltensweisen offenbar<br />
auch Prägung eine grosse Rolle spielt. So sind Väter, <strong>die</strong> sich früh um <strong>die</strong> Pflege von ihren Kindern<br />
gekümmert haben, weit weniger oft bei Inzestdelikten involiert, als Väter, <strong>die</strong> erst später dazu kommen<br />
oder Stiefväter. Auch bei Geschwistern, <strong>die</strong> früh eine nahe Beziehung pflegten, kommt der geschwisterliche<br />
Inzest weit weniger oft vor. Die Beziehungen sind anderswertig besetzt <strong>und</strong> das Risiko, dass<br />
<strong>die</strong> Männer dann bei ihren Kindern sexuelle Reize wahrnehmen, ist bedeutend kleiner. Nach Freud<br />
sind ja alle Menschen von Natur aus inzestuös <strong>und</strong> nur wenn sich der Ödipuskomplex gut entwickelt,<br />
kann das allenfalls aufhören, aber eine biologische Schranke gibt es nach Freud nicht.<br />
CB: Was denken Sie zur Beziehung von <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> Kinderpornografie?<br />
Ich schliesse mich der Meinung aus Fachartikeln an, dass <strong>die</strong> Mehrheit der K<strong>und</strong>en von kinderpornografischen<br />
Seiten Menschen sind mit pädosexuellen Interessen. Zudem teile ich <strong>die</strong> Meinungen aus<br />
Fachkreisen, dass über 90% des kinderpornografischen Materials über das Internet gesucht <strong>und</strong> getauscht<br />
wird. Das Interesse, überhaupt solche Seiten anzuschauen, muss gegeben sein. Das Risiko,<br />
bei einem Delikt erwischt zu werden, bei Entdeckung einer starken gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzt<br />
zu sein <strong>und</strong> noch dafür zu zahlen, muss mit einem speziellen Interesse begründet sein. Ein gewisser<br />
Antrieb als Gegenwert muss gegeben sein. Das heisst nicht, dass jeder Konsument ein ausschliesslicher<br />
Pädophiler ist, dem fixierten Typus angehört. Es kann sich auch um Interessierte sein,<br />
<strong>die</strong> dem nicht-ausschliesslichen Typus angehören, für <strong>die</strong> das Kind aber ein möglicher Reiz darstellt<br />
neben anderen Formen des sexuellen Interesses.<br />
CB: Wir sehen zum Teil Material, das im Internet angeboten wird, das mit Kindersex weniger zu<br />
tun hat als mit sadistischen Darstellungen teilweise mit Säuglingen. Hat das mit Pädosexualität<br />
noch etwas zu tun oder denken Sie, dass es sich um eine andere K<strong>und</strong>schaft für <strong>die</strong>se Darstel-
88<br />
lungen handelt? Wir sehen auch oft Konsumenten, <strong>die</strong> neben Kinderpornografischem Material<br />
auch zoophile Darstellungen sammeln.<br />
Es ist so, dass verschiedenen Perversionen resp. Paraphilien, des Öfteren kombiniert auftreten können.<br />
So ist der sadistisch veranlagte <strong>Pädosexuelle</strong> durchaus denkbar <strong>und</strong> kommt auch vor. Die Paraphilien<br />
sind relativ frei kombinierbar. Da Pädosexualität eine Form von Entwicklungsstörung darstellt,<br />
ist es wahrscheinlich, dass nicht nur ein Teil der Persönlichkeit davon betroffen ist. In der Praxis<br />
sieht man auch gehäufte Normabweichungen.<br />
Die Kombination von teils gewalttätigem Kinderpornografie-Material <strong>und</strong> Zoophilie ist in dem Sinne<br />
nicht erstaunlich, als dass man weiss, dass gerade sadistisch veranlagte Gewalt- <strong>und</strong> Sexualstraftäter<br />
in der Kindheit <strong>und</strong> Jugend oft Tiere quälten <strong>und</strong> töteten.<br />
CB: Wie sehen Sie das Verhältnis von Perversionen <strong>und</strong> Internet?<br />
Dass Perversionen im Ansatz zumindest im Internet ausgelebt werden, erstaunt mich nicht. Stu<strong>die</strong>n<br />
haben gezeigt, dass doch 20 Prozent der männlichen Bevölkerung zumindest am Rande eine pädosexuelle<br />
Neigung aufweisen. Das erklärt auch den hohen Anteil von Konsumenten von illegaler Pornografie<br />
auf dem Internet. Das heisst aber nicht, dass alle davon zum realen Missbraucher werden<br />
würden. Das Internet bietet ihnen <strong>die</strong> Möglichkeit, ihre eigentlichen Interessen zumindest plastisch<br />
einmal vor Augen zu haben <strong>und</strong> so den Kick dennoch mal spüren zu können. Wie viele davon dann<br />
auch zu Tat schreiten würden, ist schwierig zu sagen. Man weiss, dass bei den Intelligenteren auch<br />
<strong>die</strong> Moral besser entwickelt ist <strong>und</strong> man kann hoffentlich ein wenig darauf setzen.<br />
Auf der anderen Seite scheint das Angebot an Sexseiten, auch illegale, enorm zu wachsen, <strong>und</strong> das<br />
birgt natürlich auch ein gewisses Risiko. Von Oktober 2003 bis Juni 2003 soll das Angebot an Sexseiten<br />
mit fetischistischen Angeboten auf dem Netz um 100% gewachsen sein. Die Sexseiten sind relational<br />
zum Gesamtwachstum auch überproportional gestiegen. Das sind Millionen von Adressen. Da<br />
muss eine Nachfrage vorhanden sein. Die Nachfrageseite ist ja auch bereit, viel Geld zu bezahlen dafür.<br />
Das zeugt doch auch von einer sexuellen Frustration in der Gesellschaft. Gewiefte Geschäftsleute<br />
kommen dem halt nach <strong>und</strong> stellen Angebote ins Netz. Um zu testen, welche Formen von Normabweichungen<br />
in der Nachfrage am grössten sind, stellt man halt mal breit ins Netz. <strong>Der</strong> Fetischismusmarkt<br />
zum Beispiel ist massiv am wachsen.<br />
CB: Wie ist es denn mit dem Suchtaspekt, kann das Angebot auch süchtig machen?<br />
Also derjenige, der <strong>die</strong> entsprechende Prädispostion mitbringt, <strong>und</strong> er sieht, dass er nicht gerade eine<br />
Verhaftung riskiert <strong>und</strong> es geht eine Zeit lang gut, der kann durch ein gesteigertes Angebot eine gesteigerte<br />
Nachfrage entwickeln. Was ich hingegen nicht glaube, ist dass ein Angebot eine Triebrichtung<br />
verändern kann. Das wäre ja, wie wenn ein normal veranlagter Mann nach einem Schwimmbadbesuch<br />
plötzlich als Pädophiler herausläuft. Aber auf der veranlagten Triebrichtung kann sich <strong>die</strong><br />
Nachfrage steigern lassen. Je bizarrer <strong>die</strong> Abweichung ja ist, umso schwieriger ist es auch, <strong>die</strong>se zu<br />
befriedigen. Umso schwieriger, aufwändiger, teurer, auch gefährlicher wird es. Dort wo es zusätzlich<br />
kriminalisiert ist, können <strong>die</strong> Anbieter natürlich auch <strong>die</strong> Preise hoch ansetzen. Das ist wie beim Heroin.<br />
Von dem her lässt sich das auch ausbeuten, aber man kann da nicht einfach Normalbürger reinziehen.<br />
Ähnlich ist es bei den Suizid-Internetseiten. Bei den Homepages zur Anleitung zum Suizid sind auch<br />
hier nur <strong>die</strong> gefährdet, <strong>die</strong> eine gewisse Suizidalität schon spüren <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses Phänomen dadurch begünstigt<br />
wird.<br />
Im Vergleich zum Beispiel zur Nikotinsucht ist ja Sexualität ein primärer Trieb. Und bei welcher Ausrichtung<br />
auch immer, meist merkt man in der Pubertät bereits, welche sexuellen Neigungen vorhanden<br />
sind. Auch <strong>Pädosexuelle</strong> merken sehr früh, dass sie anders sind. Ein 40-Jähriger, der überraschend<br />
merkt, dass er Kinder anziehend findet, ist unglaubwürdig. Jeder Mann merkt <strong>und</strong> weiss sehr<br />
früh, auf welche Art von Reizen er reagiert. Natürlich gibt es den gesellschaftlichen Druck, dass er<br />
nicht dazu stehen kann, aber merken würde er es trotzdem. Auch bei den so genannten polymorph<br />
Perversen, <strong>die</strong> auf verschiedene Reize sexuell reagieren, ist das früh merkbar. In Nordamerika wird<br />
eine Methode (Penisplethysmographie; Messung der Schwellung des Penis) angewandt, um herauszufinden,<br />
auf welche Reize der Patient reagiert.<br />
Sexualität ist steigerungsanfällig. Wer sexuell aktiv ist, ist empfänglich für mehr. Die menschlichen<br />
Beziehungen sind eine natürliche Art, den sexuellen Austausch einzubetten, <strong>und</strong> dadurch auch zu<br />
mässigen. Wenn <strong>die</strong>se Mässigungen fehlen <strong>und</strong> sexuelle Gefühle mit hoher Frequenz frustrationslos<br />
konsumiert werden können, dann steigt auch <strong>die</strong> Kadenz. Dann ist suchtartige Entwicklung gut möglich.
89<br />
Beim Thema Sucht muss unterschieden werden, dass es qualitative Abweichungen gibt im Sexualverhalten,<br />
eben <strong>die</strong> Paraphilien, <strong>die</strong> nichts mit der Menge zu tun haben müssen. Dann gibt es suchtartiges<br />
Sexualverhalten, dass aber nicht mit einer Paraphilie einhergehen muss. Es ist ein wenig so,<br />
dass <strong>die</strong> Neigungen, <strong>die</strong> eben nicht normal sind, schwieriger zu befriedigen sind <strong>und</strong> deshalb vermehrt<br />
zu einer süchtigen Entwicklung führen. Gerade weil im Internet quasi eine Art Selbstbe<strong>die</strong>nung<br />
angeboten wird, kann man das Tempo selber vorgeben <strong>und</strong> <strong>die</strong> natürlichen Einschränkungen, <strong>die</strong><br />
durch Partnerinnen oder Partner vorgegeben werden, fallen weg. Es besteht keine gegenseitige Sexualerziehung<br />
mehr, keine Angleichung der quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Bedürfnisse. In <strong>die</strong>sem Sinne<br />
sind <strong>die</strong> Internetnutzer prädisponiert für eine süchtig-perverse Entwicklung. Zum einen mengenmässig,<br />
aber auch in immer extremeren Formen.<br />
CB: Kann man Päsosexuelle behandeln <strong>und</strong> wenn ja, wie?<br />
Die Behandlung von Pädophilen ist nicht auf Heilung ausgerichtet. Es ist ein Sonderfall von Behandlung,<br />
da Pädophile ihre Neigung aus mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz nicht ausleben dürfen.<br />
Es geht ihnen also mit oder nach einer Therapie nicht besser. Man kann schon sagen, dass ein straffreies<br />
Leben eine gewisse Erleichterung bringen kann, aber schlussendlich beruht <strong>die</strong> Therapie auf<br />
einer Kontrolle der pädosexuellen Bedürfnisse. Die Therapie ist auf Rückfallverhinderung ausgerichtet,<br />
ob chemische oder verhaltenstherapeutische Behandlungen, alles was einer Verhinderung eines<br />
Rückfalls <strong>die</strong>nt, ist gut.<br />
Ich basiere meine Therapien mehrheitlich auf einer chemisch-medikamentösen Behandlung, <strong>die</strong> auf<br />
ein selbstständiges Leben ohne Rückfall ausgerichtet ist.<br />
Ich habe mit meinen Behandlungsmethoden gute Erfahrungen gemacht. Ein wirklicher Rückfall ist bis<br />
anhin noch nicht passiert. Es kam vor, dass Patienten wieder in der Nähe von Spielplätzen,<br />
Schwimmbäder etc. aufgetaucht sind. Sie sind verwarnt worden, aber einen richtigen Rückfall habe<br />
ich noch nicht erleben müssen. Ich habe aber keinen Einblick in <strong>die</strong> längerfristige Entwicklung, meist<br />
sind <strong>die</strong> Patienten nur bis Abschluss der Probezeit unter Beobachtung.<br />
Die Patienten, <strong>die</strong> durch eine Massnahme zu mir in Behandlung kamen, sind natürlich eine Art Negativselektion<br />
bezüglich ihrer Persönlichkeitsstruktur. Es ist durchaus möglich, dass <strong>die</strong> intelligenteren,<br />
sozial kompetenteren <strong>Pädosexuelle</strong>n auf Schleichwegen zu ihren illegalen Präferenzen gelangen.<br />
Auch über <strong>die</strong> finanziellen Mittel, über <strong>die</strong> solche evt. vermehrt verfügen, können sie sich zum Beispiel<br />
Reisen ins Sextourismusländer leisten, das <strong>die</strong> minder Intelligenten vielleicht eben nicht vermögen.<br />
CB: Was halten Sie vom Vorschlag von Laien oder auch Kinderschutzgruppen, den wir<br />
manchmal zu hören bekommen, dass man <strong>Pädosexuelle</strong> so lange (auch in der Fahndung) mit<br />
Kinderpornografie konfrontieren solle, bis sie sich anekeln würden?<br />
Ich halte das für völlig falsch. Denn <strong>die</strong> pädosexuelle Neigung ist ein unerschütterlicher Trieb, der<br />
nicht der Katharsis unterworfen ist. Im Gegenteil, <strong>die</strong> Reizschwelle würde langfristig sinken.<br />
CB: Was halten Sie von psychotherapeutischen oder psychiatrischen Massnahmen für Konsumenten<br />
von Kinderpornografie?<br />
Ich stehe dem skeptisch gegenüber. Eine medikamentöse Massnahme halte ich für übertrieben <strong>und</strong><br />
ich kann mir nicht vorstellen, welche sonstige Massnahme greifen könnten. Ein Appell an das Risiko,<br />
erwischt zu werden mit allen Konsequenzen oder eine Stärkung des moralischen Bewusstseins kann<br />
man sich noch am ehesten vorstellen.<br />
In <strong>die</strong>sem Sinn ist eine allfällige Behandlungsmöglichkeit bei Kinderpornografie-Konsumenten für mich<br />
noch ein ungelöstes Problem. Den reinen Betrachter, soll man den schon mit chemischen Keulen behandeln?<br />
Also wenn er das will, weil er sich selber kontrollieren will <strong>und</strong> dem Trieb nicht widerstehen<br />
kann, dann schon, aber das ist ja nicht <strong>die</strong> Regel. <strong>Pädosexuelle</strong> haben ja normalerweise kein echtes<br />
Unrechtsbewusstsein <strong>und</strong> dann ist <strong>die</strong> Frage, ob beim reinen Betrachter eine so massive Behandlung<br />
mit starken Nebenwirkungen angemessen ist <strong>und</strong> das als verhältnismässig angeschaut würde.<br />
Behandlungen, <strong>die</strong> auf Opferempathie oder auf dem Früherkennung von risikoträchtigen Situationen<br />
beruhen, setzen schon ein gewisses Schuldbewusstsein voraus. Und das ist bei <strong>Pädosexuelle</strong>n meist<br />
eher nicht vorhanden. Von verordneten ambulanten Psychotherapien für Kinderpornografie halte ich<br />
eher wenig. Vielleicht kann das Risiko stärker betont werden <strong>und</strong> eine Verdeutlichung, was gesellschaftlich<br />
auf dem Spiel steht.
90<br />
CB: Was halten Sie von der aktuellen rechtliche Situation <strong>und</strong> der <strong>Strafverfolgung</strong> von <strong>Pädosexuelle</strong>n?<br />
Zur rechtlichen Situation, dass nur der aktive Download <strong>und</strong> nicht das Konsumieren, auch wenn bezahlt<br />
wurde, strafbar ist, finde ich eine "grosszügige" Regelung, <strong>die</strong> dem ges<strong>und</strong>en Menschenverstand<br />
widerspricht <strong>und</strong> eher der <strong>Strafverfolgung</strong>s-Logik entspricht. Unter dem psychiatrischen Aspekt sollten<br />
<strong>Pädosexuelle</strong> mit dem Angebot auf dem Internet nicht konfrontiert werden, auch wegen dem Suchtaspekt.<br />
Ich denke aber schon, dass <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> mit Aktionen wie der Operation Genesis schon präventive<br />
Wirkung zeigt. Vor allem denen, <strong>die</strong> keine ausschliessliche pädosexuelle Neigung verspüren<br />
wird damit gezeigt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum darstellt.<br />
Natürlich gibt es unter den angenommenen 20 Prozent mit pädosexuellen Fantasien einen kleinen<br />
Prozentsatz von ein oder zwei Prozent, <strong>die</strong> vor nichts zurückschrecken <strong>und</strong> <strong>die</strong> sich nicht von Gesetzen<br />
abhalten lassen, aber für <strong>die</strong>se ist das Gesetz auch nicht gemacht. Aber der Grossteil <strong>die</strong>ser<br />
20 Prozent würde sich vom Gesetz beeindrucken lassen <strong>und</strong> bei <strong>die</strong>sen sind polizeiliche Aktionen<br />
wohl ein Schuss vor den Bug.<br />
Neue Formen der Herstellung, des Tauschens <strong>und</strong> des Anbietens von Kinderpornografie führen evt.<br />
auch dazu, dass einige <strong>Pädosexuelle</strong> am Technischen scheitern. Zudem wird sich der Ruf der Internetfahnder<br />
verbessern <strong>und</strong> man wird merken, dass <strong>die</strong> Methoden der Internetfahndung nicht mehr allzu<br />
sehr hinter den Delinquenten hinterherhinken. Eindämmen kann man das Phänomen schon, aber<br />
beseitigen sicher nicht. Natürlich hinkt <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong> immer einige Schritte hinten nach, aber ihre<br />
Jagdwaffen werden immer besser.<br />
CB: Was halten Sie von der Schutzaltergrenze von 16 Jahren?<br />
Aus der Optik der Sexualentwicklung beginnt <strong>die</strong> Sexualität zwar bei Geburt, aber <strong>die</strong> Sexualität unterliegt<br />
eine Stufenentwicklung. Es ist absurd, aus der Erwachsenenperspektive <strong>die</strong> kindliche Sexualentwicklung<br />
forcieren zu wollen. In <strong>die</strong>sem Sinne ist <strong>die</strong> rechtliche Forderung des Schutzalters berechtigt.<br />
Es ist aber natürlich auch so, dass Jugendliche unterschiedlichen Reifeprozessen unterliegen.<br />
Und für einige ist <strong>die</strong> Schutzaltergrenze schon ein wenig hoch gegriffen. Dann gibt es aber noch<br />
einen anderen Aspekt; wenn Kinder in ihrer sexuellen Entwicklung von einem Erwachsenen forciert<br />
wurden, kann es sein, dass das Kind auf eine sexualisierte Form auf Erwachsene reagiert. Das wird<br />
dann von <strong>Pädosexuelle</strong>n so interpretiert, als ob <strong>die</strong>se Kinder von sich aus den sexuellen Dialog suchen<br />
würden. Dass <strong>die</strong>se Frühsexualisierung bereits eine Reaktion auf eine forcierte Sexualität ist,<br />
wird ignoriert. Diese Kinder können auf eine fast abstossende Art sexuelle Zeichen senden, das ist<br />
aber ein Ausdruck von der Suche nach Selbstbestätigung, <strong>die</strong> sie nur in der Art von der Erwachsenenwelt<br />
erfahren haben. Von <strong>Pädosexuelle</strong>n wird das grob fehl interpretiert.<br />
CB Ich habe schon gehört, dass es bei Kinderpornografie-Konsumenten um eine Art Voyeurismus<br />
handelt. Was meinen Sie dazu?<br />
Die Optik des Voyeurismus finde ich nicht angemessen. Denn Voyeurismus zeichnet sich durch zwei<br />
Aspekte aus: Den Kitzel erwischt zu werden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Präferenz des voyeuristischen Aktes gegenüber<br />
dem realen Akt. Beim Konsumenten von Kinderpornografie ist das Schauen aus Distanz mehr eine<br />
Ersatzhandlung. Ausser er würde <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>sbehörden quasi im Nacken spüren, was kaum<br />
der Fall ist. Zudem wird der klassische <strong>Pädosexuelle</strong> lieber ein Kind missbrauchen, als Bilder auf dem<br />
Internet zu betrachten. Im Einzelfall kann <strong>die</strong> Kombination zwischen Voyeurismus <strong>und</strong> Pädosexualität<br />
natürlich schon vorkommen, aber ich glaube nicht, dass <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Regel ist.<br />
CB: Wir stellen fest, dass es unter den Kinderpornografie-Konsumenten viele Sammler der<br />
Darstellungen gibt, <strong>die</strong> eine beträchtliche Energie in das Sammeln <strong>und</strong> Ordnen der Darstellungen<br />
investieren. Wie erklären Sie sich <strong>die</strong>ses Phänomen?<br />
<strong>Der</strong> Kollektionismus im pathologischen Sinne ist wohl etwas anderes als <strong>Pädosexuelle</strong>, <strong>die</strong> ihre Bilder<br />
sammeln, um sie zu tauschen, um sie immer wieder anzusehen. Beim pathologischen Sammler steht<br />
ja das Sammeln an sich im Vordergr<strong>und</strong> (Bsp. desjenigen, der <strong>die</strong> Wohnung mit Bauschutt gefüllt hatte,<br />
gesammelt <strong>und</strong> sortiert). <strong>Der</strong> Mensch ist schon Jäger <strong>und</strong> Sammler, aber das Sammeln als Paraphilie<br />
kann ich mir kaum vorstellen. Das ist kein Trieb an sich, man kann sich das höchstens als etwas<br />
Sek<strong>und</strong>äres vorstellen. Das Bild hat in <strong>die</strong>sen Kreisen von "Kennern" einen hohen Stellenwert<br />
<strong>und</strong> ist auch ein kostbares Tauschgut. Und wenn etwas selten oder verboten ist <strong>und</strong> auch teuer bezahlt<br />
wurde, steigt auch der Sammlerwert. Das ist dann eher wie beim Briefmarkensammler.
91<br />
CB: <strong>Der</strong> Begriff Kinderpornografie wird teilweise in der Öffentlichkeit kritisiert. Teilen Sie <strong>die</strong>se<br />
Kritik?<br />
Aus meiner Sicht bestimmen drei Kriterien <strong>die</strong> Kinderpornografie: Die Abbildungen müssen sexuelle<br />
Schlüsselreize bieten oder es müssen sexuelle Handlungen dargestellt werden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Produkte<br />
müssen in der Absicht erzeugt worden sein, beim Betrachter eine sexuelle Erregung hervorzurufen.<br />
Also <strong>die</strong> Blickrichtung, <strong>die</strong> dargestellte Handlung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Absicht.<br />
Den Begriff der Kinderpornografie finde ich sehr angemessen. Denn der Begriff "Porne" bedeutet aus<br />
dem Griechischen "<strong>die</strong> Hure". <strong>Der</strong> kommerzielle Aspekt <strong>die</strong>ses Phänomens wird somit betont. Ich würde<br />
auch Bilder, <strong>die</strong> im strafrechtlichen Sinne nicht unter Pornografie laufen, wie so genannte FKK-<br />
Bilder oder sonstige Nacktdarstellungen von Kindern, als pornografisch bezeichnen, sobald <strong>die</strong> Absicht<br />
da ist, Geld zu machen <strong>und</strong> <strong>die</strong> abnorme Sexualität anzusprechen. Zum Beispiel ist bei einem<br />
Buch zur Kinderchirurgie <strong>die</strong>se Absicht eben nicht gegeben <strong>und</strong> der kommerzielle Aspekt durch Ausbeutung<br />
perverser Instinkte auch nicht. So kann man das abheben.<br />
Man kann den Konsum von Kinderpornografie ist „low-risk-behaviour“ des pädosexuellen Missbrauchs<br />
verstehen.<br />
CB: Herr Dr. Knecht, ich danke ich herzlich für das sehr informative Gespräch!
2. Interview mit Dr. rer. nat., Dipl.- Psych. Dietrich Pülschen<br />
92<br />
Funktion:<br />
Herr Pülschen ist Psychologe I am Forensisch-Psychiatrischen Dienst (FPD) der <strong>Universität</strong> <strong>Bern</strong>.<br />
Das Interview fand am 14.01.2003 im Büro von Herrn Pülschen statt <strong>und</strong> dauerte zirka drei St<strong>und</strong>en.<br />
Vorbemerkung von Herrn Pülschen:<br />
Ich bin der Meinung, dass der Leitfaden des Interviews ideologisch durchsetzt ist. Vor allem <strong>die</strong> Ausgangslage,<br />
dass es überhaupt Typen von <strong>Pädosexuelle</strong>n gebe, ist ideologisch bestimmt.<br />
Bei Typologien ist es immer das Problem, dass man so viele Typen, wie Menschen hat, weil jeder<br />
Mensch ein anderer Typ ist. Das ist ein System, eine Typologie kann nie ein System sein.<br />
CB: kann man nicht von Typen sprechen, wenn sich bei Gruppen von Tokens Gemeinsamkeiten<br />
finden lassen?<br />
Das ist eben das Problem; spricht man von Tokens, oder Elementen, liegt dem Elementarismus zu<br />
Gr<strong>und</strong>e. Aus einer Typologie wird nie ein System. Aussagen, <strong>die</strong> man über Typologien machen kann,<br />
sind nach oben offen, man kann da so viel auffüllen, wie man will, es ist nie voll. Funktionstypen gibt<br />
es nicht, das wären dann Funktionsprinzipien. Ein Typus ist immer statisch. Das ist aber eine ideologische<br />
Diskussion. Typologien sind wie Glossare oder Diagnosen verschiedenster Provenienz, es<br />
sind Dinge, <strong>die</strong> einem erlauben, dass man sich unterhalten kann. Eine Form von Esperanto. Mehr<br />
nicht. Aber eben, entweder man denkt in Typologien oder man denkt nicht in Typologien. Das muss<br />
man hier nicht überstrapazieren. Ein solcher Leitfaden ist dann einfach nicht theoriefrei, wie er mir angekündigt<br />
wurde.<br />
CB: Einigen wir uns darauf, dass man <strong>die</strong> Fragen im alltagssprachigen Sinn auffassen. Im Sinne<br />
von: sind Ihnen in ihrer praktischen Erfahrung mit <strong>Pädosexuelle</strong>n Unterschiede aufgefallen?<br />
Natürlich, es gibt da Unterschiede nach Geschlecht oder Alter.<br />
CB: Frauen haben Sie schon erlebt?<br />
Ja, einmal hatte ich eine Frau. Das war eine Frau, <strong>die</strong> soll Manipulationen an ihrem Sohn vorgenommen<br />
haben <strong>und</strong> der Gutachtenauftrag lautete, <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit <strong>die</strong>ser Frau zu beurteilen, sie<br />
war in Therapie. Danach hat sich aber alles um <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit des Sohns gedreht. Dann tauchte<br />
der Ehemann als Zeuge auf, es handelte sich dann um einen Zivilprozess, wie das halt so ist <strong>und</strong><br />
dann wurde das alles <strong>und</strong>urchsichtig <strong>und</strong> es blieb der Verdacht.<br />
Bei den Frauen ist es so, dass <strong>die</strong> eine völlig andere Sexualität haben als Männer, dass das nicht so<br />
nach aussen gekehrt wird. Darum ist es wesentlich schwieriger als bei Männern, das überhaupt herauszufinden<br />
vom Verhalten her. Eigentlich trivial. Wenn man dann bei dem schwierigen Thema der<br />
Dunkelziffern ist, - denn wie soll man das denn operationalisieren- glaube ich, dass das wesentlich<br />
schwieriger herauszufinden ist als bei den Männern.<br />
CB: Gehen wir zum Unterscheidungsmerkmal Alter.<br />
Ich kann unterscheiden zwischen Gewohnheitspädophilen <strong>und</strong> Alterspädophilen. Die ersteren sind<br />
primärpersönlich pädophil <strong>und</strong> <strong>die</strong> anderen sind <strong>die</strong>, <strong>die</strong> aus organischen Verfallserscheinungen im Alter<br />
pädophile Handlungen begehen. Die Situationsvarianz wird bei den Alterspädophilen grösser sein,<br />
sie planen, strukturieren weniger. Gewohnheitspädophile wenden eine grössere psychische Energie,<br />
Vorbereitungshandlungen <strong>und</strong> Planungen auf. In der Forensik in Bezug auf <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit<br />
ist nur <strong>die</strong> Unterscheidung zwischen <strong>die</strong>sen zwei Erscheinungsformen sinnvoll. , das heisst, ob <strong>die</strong><br />
Frage nach Art. 10/11 StGB relevant ist oder nicht. Das ist so ähnlich wie bei den Fragestellung zu<br />
anderen Delikten.<br />
Bei der Neuropsychologie zum Beispiel kann man ewiglange Untersuchungen machen zu Stellen im<br />
Hirn, <strong>die</strong> relevant sind, aber für den Forensiker ist nur relevant, ob sich das im Verhalten niederschlägt<br />
in der Einsichts- <strong>und</strong> Steuerungsfähigkeit. Dasselbe gilt für das Funktionsprinzip der Pädophilie.<br />
CB: Und bei den Alterspädophilen schlägt sich der organische Zerfall nieder? Ist das relevant<br />
für <strong>die</strong> Einsichtsfähigkeit?<br />
Die können schon eine Einsicht haben, sie können zum Teil einen übergeordneten Standpunkt einnehmen.<br />
Hier stellt sich <strong>die</strong> Frage nach der Steuerungsfähigkeit. Es kann aber beide Fähigkeiten tangieren,<br />
da muss man halt schauen. Das ist ein graduelles Phänomen. Wenn der Abbau soweit fortge-
93<br />
schritten ist, dass <strong>die</strong> Einsicht nicht mehr gegeben ist, dann wissen <strong>die</strong> nicht mehr, was sie tun. Das<br />
ist keine Seltenheit. Das ist ein häufiges Phänomen. Wir hier in <strong>Bern</strong> haben so geschätzt doppelt so<br />
viele Alterspädophile wie Gewohnheitspädophile. Das ist natürlich aber auch eine Selektion, weil nur<br />
<strong>die</strong> von den Gerichten geschickten Personen zu uns kommen. Bei den Alterspädophilen hat man halt<br />
auch eher den Eindruck, dass da was nicht stimmen könnte. Die Gewohnheitspädophilen, <strong>die</strong> kommen<br />
am ehesten noch für Prognosen. Wenn <strong>die</strong> so für fünf Jahre in den Knast kommen <strong>und</strong> <strong>die</strong> benehmen<br />
sich da auch sehr gut - <strong>die</strong> sind ja im Knast meist sehr gut angepasst, auch von der Knasthierarchie<br />
her - da haben <strong>die</strong> Leute halt dann Bedenken, ob man <strong>die</strong> wieder raus lassen kann.<br />
CB: kann ich zu den Alterspädophilen nochmals nachfragen? Also wenn sich da so ein organischer<br />
Zerfall bemerkbar macht, wie stellt man sich das vor? Sind da <strong>die</strong> sexuellen Interessen<br />
allgemein freigesetzt oder ändert das <strong>die</strong> Neigung, <strong>die</strong> Orientierung?<br />
Man kann natürlich schon glauben, dass das pädosexuelle Interesse allgemein <strong>und</strong> zum vornherein<br />
da ist <strong>und</strong> wir einfach über Hirnzentren verfügen, <strong>die</strong> das im Normalfall bremsen. Das kann man glauben<br />
oder nicht.<br />
CB: Wenn man dann aber <strong>die</strong> Verhaltensebene anschaut, zeigen <strong>die</strong> dann nur pädosexuelles<br />
Verhalten oder auch andere, ungewöhnliche Formen der Sexualität?<br />
Von der Theorie her ist da <strong>die</strong> Primärpersönlichkeit ausschlaggebend. Wenn man davon ausgeht,<br />
müsste man annehmen, dass <strong>die</strong> pädosexuelle Orientierung schon da war. Auf der anderen Seite ist<br />
da eine ausgeprägte Situationsvarianz <strong>und</strong> Kinder sind halt eine einfache Möglichkeit.<br />
CB: Wie erklären Sie sich, dass es keine alterspädophilen Frauen gibt?<br />
Das kann ich nicht erklären. Das ist wie Prävalenzahlen auch in anderen Deliktsbereichen, da sind <strong>die</strong><br />
Männer auch dominant. Bei Frauen liegt der Anteil immer so bei 12 bis 15 Prozent. Und in den Psychiatrien<br />
sind bis zu 60 bis 70 Prozent der Frauen depressiv. Also man kann das statistisch ja nur beschreiben,<br />
nicht erklären. Das wäre ja anmassend, das erklären zu wollen, das weiss man einfach<br />
nicht. Das ist nicht kausal, das hat wohl mit Biologie zu tun, mit psycho-bio-sozialen Faktoren, das<br />
sagt man ja, wenn man überhaupt nicht weiss, warum das so ist. Das heisst halt alles <strong>und</strong> nichts.<br />
Bei den Gewohnheitspädophilen ist wichtig, dass man weiss, dass es eine Einstellung ist. Nach Art.<br />
10/11 StGB, wenn man also <strong>die</strong> Zurechnungsfähigkeit im Fokus hat, stellt sich <strong>die</strong> Frage; kann er oder<br />
will er. Nehmen wir das klassische Beispiel, wenn sich der Stiefvater an der Stieftochter vergeht oder<br />
an Nachbarskinder, dann muss man sich fragen, ob er anders hätte handeln können. Dem Alterspädophilen<br />
spricht man ja da <strong>die</strong> Wahl ab. Bei dem Gewohnheitspädophilen wird das aber sehr schwierig,<br />
weil das ja einstellungsgetragen ist.<br />
Einstellung meine ich ganz im psychologischen Sinn. Also zu mir hat mal ein Pädophiler gesagt, warum<br />
er denn mit seiner 14-jährigen Tochter kein sexuelles Verhältnis haben soll. Sie wolle es ja auch.<br />
Das ist ja dann auch meist <strong>die</strong> Begründung, wenn man sie danach fragt. Warum es denn solche Gesetze<br />
überhaupt gäbe.<br />
CB: Warum wird dann Pädophilie als Krankheit beschrieben?<br />
Das ist ein rein kulturelles Problem. Denn eigentlich gehört das da gar nicht rein. Die Einstellung zu<br />
Pädophilie ist ja sehr kulturabhängig.<br />
CB: Wie erklären sie sich denn, dass es in so wenigen Kulturen Erwähnung findet?<br />
Wie lange ist es denn her, seit Pädophilie unter Strafe steht?<br />
CB: Keine Ahnung.<br />
Ich denke, das ist erst seit 100 bis 150 Jahren so. Vorher konnte man ja mit den Kindern machen, was<br />
man wollte. Das hatte <strong>und</strong> hat an anderen Orten der Welt einfach eine andere kulturelle Bewandtnis.<br />
CB: Ich würde da aber doch gerne nach dem Alter der Kinder unterscheiden. Also beim so genannten<br />
Lolita-Phänomen kann ich mir ja noch vorstellen, dass da der kulturelle Einfluss gross<br />
ist, aber bei den Kleineren?<br />
Das ist schon ein Unterschied, aber <strong>die</strong> Reaktion der Gesellschaft als Hintergr<strong>und</strong> bestimmt schon <strong>die</strong><br />
Einstellung. Und <strong>die</strong> Antwort der Gesellschaft auf Kindersex kam doch recht spät mit einem Gesetz.
94<br />
CB: Aber wenn ich ihre Aussagen nun richtig verstanden habe, dann sind sie also der Meinung,<br />
dass Sex mit Kindern eine natürliche Verhaltensweise in allen Kulturen ist <strong>und</strong> nur <strong>die</strong><br />
kulturellen Bestimmungen können da Restriktionen anwenden.<br />
Nein, das will ich natürlich nicht so sehen. Auf gar keinen Fall will ich das so sehen. Ich denke nur,<br />
dem Umkehrschluss, dass das nämlich eine Störung, wenn nicht gar eine Krankheit sei, dem würde<br />
ich nicht zustimmen. Das ist ja genau das Problem. In der Forensik hat man es ja ständig mit Schuld<br />
zu tun. Es stellt sich ja immer <strong>die</strong> Fähigkeitsfrage. Und in dem Moment, wo sie es mit einer Diagnose<br />
zu tun haben, kommt ja sofort der Krankheitsstatus ins Spiel <strong>und</strong> das heisst natürlich auch, dass man<br />
sich da alles erlauben kann. Das ist das Problem. Nach den gesellschaftlichen Normen sind sie dann<br />
exkulpiert. Das hindert auch das Problembewusstsein. Wenn sie den Gewohnheitspädophilen zum<br />
Kranken erklären, dann können sie ihn auch nicht verurteilen.<br />
CB: Und das wird so gehandhabt? Also in der Schweiz wird von den forensischen Psychologen<br />
<strong>und</strong> Psychiatern keine Diagnose gestellt?<br />
Diagnosen gibt es ja jede Menge, wir müssen da unterscheiden zwischen den forensisch relevanten<br />
Diagnosen. Pädophilie kann ich ja unter dem ICD-10 finden mit den ganzen Untergruppen. Den Status,<br />
den man mit einer Diagnose bekommt, ist von der Schuldfrage noch weit entfernt.<br />
In der Praxis wird das sehr doppelbödig diskutiert. Auf der einen Seite heisst es, <strong>die</strong> sind krank, <strong>die</strong><br />
müssen in den Knast <strong>und</strong> zwar für immer <strong>und</strong> Schlüssel wegschmeissen <strong>und</strong> so <strong>und</strong> auf der anderen<br />
Seite ist das eben ein Widerspruch. Denn wenn einer krank ist, gehört er nicht in den Knast.<br />
CB: Also Sie sind der Meinung, dass wenn Pädophilie eine Einstellungsfrage ist, dann kann<br />
man <strong>die</strong> Einstellung ändern?<br />
Ja, richtig, das ist entscheidend, ich kann eine Einstellung auch modifizieren. Das klingt ja auch bei<br />
der Gewohnheit an. Die Juristen haben da einen ganz schlimmen Begriff: den Hang. Wenn sie bei einem<br />
Prozess <strong>die</strong>sen Begriff verpasst bekommen, dann kommt <strong>die</strong> Verwahrung ins Spiel. Wenn der<br />
Hang ins Spiel kommt, ist es ein Gewohnheitsverbrecher.<br />
Die Gewohnheit ist weit weg vom Krankheitsbegriff.<br />
CB: Und wie ändert man <strong>die</strong> Einstellung?<br />
Das sind dann <strong>die</strong> Geschichten mit den Verhaltensmodifikationen. Vor einer solchen Therapie muss<br />
man aber eine Diagnose stellen <strong>und</strong> da haben wir ein Problem. Das beisst sich nämlich in den<br />
Schwanz. Deswegen müssen wir eine Einschränkung machen <strong>und</strong> sagen, <strong>die</strong> Diagnose ist forensisch<br />
relevant. Und das sind eben nicht alle Diagnosen einfach so. Die Störung muss nämlich erheblich<br />
sein. Ein Neuröschen reicht eben für <strong>die</strong> Exkulpierung nicht aus. Sie müssen schauen, welche Diagnosen<br />
für den Artikel 10/11 relevant ist.<br />
So würde man dann eben unterscheiden, dass <strong>die</strong> Gewohnheitspädophilie eine Einstellungsgeschichte<br />
ist <strong>und</strong> <strong>die</strong> Alterspädophilen eben wirklich nicht anders können.<br />
CB: Haben sie da Erfahrungen zu erfolgreichen Verhaltensänderungen?<br />
Das funktioniert unter den therapeutischen Voraussetzungen, das heisst sie müssen ein Konflikterleben<br />
haben seitens des Patienten. Und sie müssen noch ein Paar Voraussetzungen erfüllt haben, z.B.<br />
vertrauensbildende Massnahmen zwischen Patienten <strong>und</strong> Therapeut. Aber das Konflikterleben muss<br />
da sein, um überhaupt den therapeutischen Hebel setzen zu können.<br />
CB: Aber man sagt ja, dass <strong>die</strong> Einsicht in <strong>die</strong> Problematik bei den Pädophilen sehr selten ausgeprägt<br />
ist. Das Unrechtsbewusstsein ist ja kaum ausgebildet.<br />
Genau, <strong>und</strong> das gibt dann auch den ideologischen Streit, bei dem dann <strong>die</strong> hartgesottenen Therapeuten<br />
sagen, man dürfe nicht von Therapie sprechen, sondern von Pädagogik. Es scheiden sich <strong>die</strong><br />
Geister, inwiefern forensische Therapie überhaupt den Rang <strong>die</strong>ses Begriffes bekommt. Die einzige<br />
pädagogische Massnahme ist ja, dass ich ihn einsperre <strong>und</strong> ihm gut zurede, dass er das nicht mehr<br />
tun darf. Das sind aber keine therapeutischen Bereiche, aber das ist alles eine Frage des Anspruchs,<br />
das ist sehr schwierig.<br />
Heute kommt ja das alte Thema der 70er Jahre wieder auf mit der Motivationsarbeit. Die forensische<br />
Therapie blieb da hängen, dass man so Gruppen macht <strong>und</strong> so versucht, ein Konflikterleben zu induzieren,<br />
damit man eben den therapeutischen Hebel setzen kann.
95<br />
CB: Aber haben Sie das schone erlebt, dass da ein Pädophiler einsichtig geworden ist <strong>und</strong><br />
sich verändert hat <strong>und</strong> <strong>die</strong> pädosexuellen Phantasien waren weg?<br />
Ich habe erlebt, dass tatsächlich ein Leidensdruck entstanden ist, aber was dafür verantwortlich war,<br />
ist schwierig zu sagen.<br />
Aber man muss auch jedem Täter zugestehen, dass seine Einstellungen geändert werden können.<br />
Aber letzten Endes liegt <strong>die</strong> Entscheidung bei ihm.<br />
CB: Gibt es da Untersuchungen zur Rückfallhäufigkeit von <strong>Pädosexuelle</strong>n?<br />
Das ist eben das grosse Problem, weil sie ja <strong>die</strong> falsch Positiven nicht haben <strong>und</strong> das gerade <strong>die</strong> Interessanten<br />
sind. Ich kenn da nur <strong>die</strong>se kanadische oder amerikanische Stu<strong>die</strong> mit <strong>die</strong>sem natürlichen<br />
Experiment <strong>und</strong> da kursierte ja, dass 30 bis 40 Prozent <strong>die</strong>ser Hochgefährlichen nicht rückfällig wurde.<br />
Es gibt aber auch relativ neue Stu<strong>die</strong>n aus anderen Deliktsbereichen. Und <strong>die</strong> zeigen ganz unterschiedliche<br />
Resultate. Die einen sagen, unterm Strich bringt Psychotherapie gar nichts <strong>und</strong> <strong>die</strong> Prävalenz<br />
sei von der Therapie völlig unabhängig. Andere beschreiben Effekte. Das ist eben ganz schwierig,<br />
weil sie <strong>die</strong> Gruppe der falsch Positiven nicht haben.<br />
CB: Hat man denn zumindest Angaben zur Rückfallquote der falsch Negativen?<br />
Ich kenne Zahlen zu anderen Deliktsfeldern, aber nicht zu Sexualdelikten.<br />
Die falsch Negativen sind natürlich auch interessant, gerade wegen der repressiven Zeit im Moment in<br />
der Begutachtung. In den 80-er Jahren war ja eher der Helferaspekt im Vordergr<strong>und</strong>. Da kam ein Sendungsbewusstsein<br />
rein. Das andere Problem ist, dass man <strong>die</strong> reine Gruppe der Sexualdelinquenz<br />
kaum hat, <strong>die</strong> sind fast alle polyvalent.<br />
CB: Bei den Pädophilen sagt man doch aber, dass sie recht exklusiv vorgehen?<br />
Ja, aber <strong>die</strong> reinen Sexualdelinquenten sind doch sehr selten. Statistisch kann man mit denen kaum<br />
was anfangen. <strong>Der</strong> reine monovalente Sexualstraftäter macht nur so gegen ein Prozent aus. Und<br />
auch aus meiner Erfahrung haben <strong>die</strong> Leute immer auch noch was anderes gemacht. Noch Diebstahl<br />
oder Betrug <strong>und</strong> andere solche Geschichten. So muss man sich fragen, ob solche Untersuchungen<br />
überhaupt sinnvoll sind. Und wir haben nur <strong>die</strong> Statistik als einzige sinnvolle Methode. Deswegen finde<br />
ich das auch mit <strong>die</strong>ser Typologie so schwierig. Weil man bei <strong>die</strong>sen Typen meist gar nicht weiss,<br />
was <strong>die</strong> noch alles gemacht haben. Die sind vielleicht wegen eines Deliktes mal aufgefallen, aber<br />
mehr weiss man da nicht.<br />
CB: Zurück zu den Einstellungen. Da kommt mit zweierlei in den Sinn. Ich habe mir <strong>die</strong> Pädophilenseiten<br />
mal angeschaut <strong>und</strong> da fällt doch auf, dass sie von sich selbst behaupten, dass<br />
Pädophilie eine Neigung sei wie z.B. Homosexualität <strong>und</strong> dass sie ihre Neigung eben auch<br />
meist früh bemerken. Zudem würden sie wohl widersprechen, wenn man von der Möglichkeit<br />
der Einstellungsänderung spricht.<br />
Das andere ist <strong>die</strong> Frage, warum denn gewisse Leute <strong>die</strong>se Einstellung haben <strong>und</strong> andere<br />
nicht, also <strong>die</strong> Frage nach der Entstehungsgeschichte auch bei den Einstellungen.<br />
Das ist natürlich eine berechtigte Frage bei allen Einstellungsformen. Also ich gehe ja immer noch von<br />
dem alten Ansatz der freien Willensbildung aus über den wir lange diskutieren könnten. Das ist doch<br />
<strong>die</strong> alte Arie, wie ich meine Willensbildung auspräge <strong>und</strong> was will ich <strong>und</strong> so. Also eine ganz stinknormale<br />
Willensbildung. Aber im Prinzip läuft das doch bei allen Einstellungen so ab.<br />
CB: Aber introspektiv empfinde ich es als einen anderen Prozess, ob wir nun von meinen Einstellungen<br />
oder von meinen sexuellen Orientierungen sprechen. Ich habe nicht <strong>die</strong> Idee, dass<br />
ich mich für eine heterosexuelle Orientierung entschieden hätte.<br />
Ja, das ist natürlich ein Riesenunterschied weil es auch andere Konsequenzen mit sich bringt.<br />
CB: Ich meine das aber eher so von der Änderbarkeit her. Ich denke schon, dass da Unterschiede<br />
in der freien Willensbildung vorhanden sind. Also sie würden <strong>die</strong> Homosexualität auch<br />
als Einstellung bezeichnen?<br />
Ja, das würde ich auch tun. Aber das ist natürlich eine harte Diskussion. Ich meine auch, dass <strong>die</strong> Jurisprudenz<br />
das auch so sieht. Und folgerichtig wurde das aus dem Strafgesetzbuch rausgenommen,<br />
solange es eben nicht auf Kosten anderer geht. Bei der Pädophilie ist das eben ausserordentlich<br />
problematisch <strong>und</strong> deshalb ist es auch verboten. Richtig ist, dass Pädophilie (im StGB) auftaucht, weil<br />
es eben keine Krankheit ist <strong>und</strong> man deswegen nicht exkulpiert wird.
96<br />
Man kann ja sonst machen was man will, wenn beide einverstanden sind <strong>und</strong> beim Kind geht man<br />
eben nicht davon aus. Darum sehe ich das eben als Einstellung, auch wenn mich meine Kollegen dafür<br />
schlachten würden. Wenn <strong>die</strong> das bio-genetisch betrachten wollen, dann muss Pädophilie eben<br />
auch einen Krankheitsstatus haben.<br />
CB: Aber doch nicht alles, was bio-genetisch begründet werden kann, ist eine Krankheit.<br />
Wenn es nicht erwünscht ist schon. Das ist gerade das Problem; wenn wir irgendein Verhalten haben,<br />
das nicht erwünscht ist, wird es pathologisiert. Sie kommen ja dann in den Bereich rein des „nicht<br />
Normgerechten“. Sie können doch nicht behaupten, dass alles, was nicht der Gauss’schen Glocke<br />
entspricht, krank sei. Das ist ja in einem freien Land nicht möglich. Da gilt doch der Gr<strong>und</strong>satz der freien<br />
Einstellung <strong>und</strong> einige kosten halt was.<br />
CB: Wie ist denn <strong>die</strong> Erfahrung im klinischen Kontext?<br />
Keine Polyvalenten, ich kannte keinen polyvalenten Sexualstraftäter, darum ist das auch mit den Typologien<br />
so schwierig. Ich hatte einen, der mir stark in Erinnerung geblieben ist, der auch noch wegen<br />
Betrugs angeklagt war, der deutlich auch <strong>die</strong> Einstellungsseite unterstrichen hat. <strong>Der</strong> sicherlich auch<br />
missbraucht worden ist in seiner Kindheit, zumindest was er angibt, der ist intelligenter gewesen als<br />
<strong>die</strong> anderen sonst <strong>und</strong> der hat eben angegeben, seine Tochter sei ein selbständiges, autonomes Wesen<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> hätte das eben auch gewollt, <strong>die</strong> hat auch im Gerichtssaal gesagt, dass sie mit ihrem Vater,<br />
nachdem er dann wieder aus dem Knast sein werde, eine Nummer schieben wolle. Das war natürlich<br />
eine tragische Geschichte, denn jeder Hornochse hat gesehen, dass <strong>die</strong> Tochter in ihrem Entwicklungsgrad<br />
nicht so weit war, dass sie das hätte entscheiden können. Die ständigen Ausreden, <strong>die</strong><br />
man in der Begutachtung zu hören bekommt, dass <strong>die</strong> Kinder das eben auch gewollt hätten, dass er<br />
verführt worden wäre <strong>und</strong> so weiter. Das unterstreicht für mich natürlich den Eindruck, dass das eine<br />
Einstellungsfrage ist.<br />
CB: Aus meiner rein theoretischen Erfahrung mit Aussagen, habe ich bei innerfamiliären Tätern<br />
auch <strong>die</strong>sen Eindruck bekommen, dass da in bestimmten problematischen Lebensphasen<br />
Väter ihre Töchter missbrauchen <strong>und</strong> so argumentieren, aber bei den Pädophilen hatte ich<br />
nicht den Eindruck, dass etwas situationsbedingt ablaufen würde <strong>und</strong> dass sich das ändern<br />
könnte.<br />
Denken sie doch nur an <strong>die</strong> Vielzahl von Männern, <strong>die</strong> Kontaktanzeigen durchgehen <strong>und</strong> nach Frauen<br />
mit Töchtern suchen. Ich verstehe den Widerspruch gar nicht.<br />
CB: Ich habe so prototypisch unterschiedliche Täterschaften im Kopf zwischen innerfamiliären<br />
Tätern <strong>und</strong> Pädophilen im engeren Sinn. Bei den ersten scheint der sexuelle Missbrauch eher<br />
eine Ersatzhandlung zu sein.<br />
Ja, <strong>die</strong> psychische Energie ist sicherlich eine ganz andere <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ich-Schwäche spielt sicher auch<br />
eine Rolle, aber ich sehe keinen gr<strong>und</strong>sätzlichen Unterschied. Aber <strong>die</strong> Ansprechbarkeit auf Kinder<br />
muss ja bei allen einmal da sein. Es ist dann aber nur eine Frage der psychischen Energie, wie viel<br />
ich investiere, wie viel Hemmungen man abbauen muss, um das Ziel zu erreichen. Es spielen sicher<br />
auch noch andere Persönlichkeitsstrukturen mit rein wie Verführbarkeit oder Ichstärke, aber das finden<br />
sie auch bei allen anderen Deliktsbereich, auch bei Laden<strong>die</strong>ben, das ist immer dasselbe Muster.<br />
Das ändert nichts daran, dass wir es mit einer einstellungsgetragenen Geschichte zu tun haben.<br />
Strafverschärfend hinzu kommt der Hang <strong>und</strong> da bekommen sie Probleme, allerspätestens dann.<br />
CB: Ab wann redet man denn von einem Hang?<br />
Wenn sich <strong>die</strong> Einstellung so niederschlägt, dass <strong>die</strong> Gewohnheit sehr stark wird.<br />
CB: Und von den verschiedenen Opferkategorien halten sie auch nichts?<br />
Nein, da gibt es ja Systeme <strong>und</strong> ich glaube schon, dass es da Unterschiede gibt. Nur ist das forensisch<br />
nicht relevant. Warum es da verschiedene Präferenzen gibt, weiss man ja auch nicht <strong>und</strong> forensisch<br />
ist nur relevant, ob <strong>die</strong> Person anders hätten handeln können. In der Regel mutet man es dem<br />
Täter zu, dass er anders handeln kann <strong>und</strong> bei den anderen schaut man, ob es ein süchtiger Zerfall<br />
ist. Das ist dann wieder ein schwieriger Begriff. Dann kommen <strong>die</strong>se Geschichten mit dem Kontrollverlust<br />
<strong>und</strong> wir annehmen müssen, dass sie eben nicht anders konnten. Und bei der Sexualität findet<br />
man eben auch Suchtstrukturen. Die psychische Energie, <strong>die</strong> es Pädophilen kostet, sich im Gefängnis<br />
anzupassen ist grösser als für andere, weil sie ja auch in der Gefangenenhierarchie so tief hängen.<br />
Die haben da sehr viele Schwierigkeiten, <strong>die</strong> sind ganz unten <strong>und</strong> man lässt sie das auch spüren. Das<br />
heisst, <strong>die</strong>se fünf Jahre, <strong>die</strong> sie in der Regel bekommen, können für <strong>die</strong> sehr lange <strong>und</strong> harte Jahre
97<br />
sein. In der Regel bekommen <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Zweidrittelregelung, weil sie sich gut bewähren, weil sie<br />
auch kontrolliert werden durch <strong>die</strong> Mitgefangenen. Also <strong>die</strong> Pädophilen im Knast, <strong>die</strong> leiden doppelt<br />
<strong>und</strong> haben auch ein doppeltes Interesse, aus dem Knast wieder raus zu kommen. Oftmals sind sie<br />
auch intelligenter als <strong>die</strong> Mitgefangenen. Zumindest was das Soziale anbelangt. Sie haben natürlich<br />
auch gelernt, nicht aufzufallen <strong>und</strong> Strategien zu entwickeln, dass sie überleben können im Gefängnis.<br />
Wegen der sozialen Ächtung haben sie auch vorher gelernt, sich zu verstecken <strong>und</strong> nicht aufzufallen.<br />
Und in <strong>die</strong>ser Konstellation eine Prognose abzugeben ist ausserordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich.<br />
Diese Leute, wenn sie das umgekehrt formulieren, haben auch nie <strong>die</strong> Chance gehabt, sich<br />
zu bewähren. Auch bei Hafterleichterung oder so, kann man das nicht feststellen, das ist zu kontrolliert<br />
<strong>und</strong> zu kurz.<br />
Aber beim süchtigen Zerfall, da wird es eben schwierig. Zerfall nennt man das, weil man dabei von einem<br />
Zerfall der Persönlichkeit ausgeht. Die Sucht ist ja durch den Kontrollverlust definiert <strong>und</strong> wenn<br />
ein Kontrollverlust vorhanden ist, dann können sie nicht mehr von der Fähigkeit des „anders handeln<br />
Könnens“ reden. Eine solche Person müssen sie dann tatsächlich in <strong>die</strong> Nähe der Artikel 10/11 rücken.<br />
Und dann können wir auch von einer Krankheit sprechen. Es ist aber ausserordentlich schwierig,<br />
<strong>die</strong> Linie zu ziehen. Wann haben wir es mit einer Krankheit zu tun, wann mit einer Gewöhnung<br />
<strong>und</strong> Einstellung? Sie versuchen das natürlich zu explorieren, versuchen Verhaltensmuster herauszufinden<br />
bei den Erzählungen damit sie Hinweise <strong>und</strong> Informationen bekommen, ob so etwas wie ein<br />
Kontrollverlust vorhanden ist oder nicht. Vielleicht ist er dann auch schon so geschult, dass er weiss,<br />
was er ihnen erzählen muss, das ist sehr schwierig. Und darum meine ich auch, von einer Trefferquote<br />
von 90 Prozent zu sprechen, ist wirklich fahrlässig. Die ganzen Kriterien, <strong>die</strong> sie auch berücksichtigen<br />
müssen, wie sozialer Nahraum , Ehefrau, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> so, bei denen wissen sie ja auch nicht,<br />
wie sich <strong>die</strong> Dynamik verändert. Theoretisch hört sich das natürlich gut an, aber praktisch ist das ausserordentlich<br />
schwierig.<br />
CB: Wenn Sie nun aus polizeilicher Sicht <strong>die</strong> Informationen hätten zu Sammeltätigkeit?<br />
Ja, man könnte dem nachgehen, <strong>die</strong> Frage ist aber auch dabei: hat er <strong>die</strong> Kontrolle darüber oder kann<br />
er es auch sein lassen?<br />
CB: Von den Anzeigeprotokollen haben wir teilweise <strong>die</strong> Aussagen, dass Verdächtigte selbst<br />
von sich sagen, sie hätten <strong>die</strong> Kontrolle nicht mehr.<br />
Ja, das würde ich auch glauben. Aber man muss auch aufpassen, ob Verdächtigte das nicht wissen<br />
<strong>und</strong> meinen, sie bekommen deswegen Rabatt, aber prognostisch schlägt sich das ausserordentlich<br />
ungünstig nieder.<br />
CB: Also in <strong>die</strong>sem Deliktsbereich spielt das wahrscheinlich keine Rolle, da sind <strong>die</strong> Strafmasse<br />
so gering, da bekommt auch keiner eine Massnahme.<br />
Aber ich würde doch sagen, dass es auch in <strong>die</strong>sem Bereich den süchtigen Zerfall gibt <strong>und</strong> es Leute<br />
gibt, <strong>die</strong> das nicht sein lassen können.<br />
CB: Würde Sie sagen, dass das Internet einen solchen Zerfall begünstigen könnte?<br />
Ja, sicher, wegen der Verfügbarkeit. Das Problem ist ja, dass man bei süchtigen Persönlichkeiten das<br />
Modell hat, dass etwas weggenommen wird <strong>und</strong> das ersetzt werden muss, das Substitutionsmodell.<br />
CB: Gibt es einen Zusammenhang zwischen süchtigen Persönlichkeiten <strong>und</strong> anderen Störungen?<br />
Ich frage mich, ob sich <strong>die</strong> Sammler unter den Konsumenten auch durch etwas anderes<br />
auszeichnen, abheben von den Nicht-Sammlern. Z.B narzisstische Störungen?<br />
Ja, sicher gibt es <strong>die</strong>se Konstellation, aber ob das symptomatisch ist? Das mag ja psychologisch eine<br />
interessante Frage sein, aber forensisch ist das nicht relevant.<br />
CB: Ja gut, aber für <strong>die</strong> Prognose wären solche Zusammenhänge schon interessant zu wissen,<br />
oder?<br />
Ja sicher, aber das ist ja alles auch schon bekannt über Stu<strong>die</strong>n zu Suchtkriterien. Das sind ja dann<br />
auch bei <strong>die</strong>sen Bereichen <strong>die</strong>selben Kriterien.
98<br />
CB: Hat man von der Einstellungsgenese her ein Ahnung, weshalb es mehr homosexuelle <strong>Pädosexuelle</strong><br />
gibt <strong>und</strong> warum <strong>die</strong> homosexuellen <strong>Pädosexuelle</strong>n eine andere Alterskategorie der<br />
Kinder bevorzugen, wie man das doch des Öfteren hört?<br />
Das wäre mir neu, keine Ahnung, welche Bestimmungsstücke bei der Pathogenese da eine Rolle<br />
spielen.<br />
CB: Was sagen Sie denn zur Erkenntnis, dass <strong>Pädosexuelle</strong> häufiger selbst Missbrauchsopfer<br />
waren als <strong>die</strong> anderen? Spielt das eine Rolle bei der Einstellungsgenese?<br />
Ich höre das immer bei den Begutachtungen, das können auch Schutzbehauptungen sein.<br />
CB: Das kommt aber auch aus Dunkelfeldforschungen raus (Verweise auf Rekrutenbefragung).<br />
Ja, mag sein. Es gibt schon viele Einstellungsforschungen. Aber das Problem ist beim Verhältnis Einstellung<br />
/ Verhalten <strong>und</strong> umgekehrt. Das muss sich überhaupt nicht decken, was <strong>die</strong> <strong>die</strong> Forschung<br />
auch zeigt. Die Einstellung kann auch sozial erwünscht sein. Ich kann mir schon vorstellen, dass beides<br />
beides determinieren kann, aber es ist sehr schwierig, denn sie können das beschreiben oder sie<br />
können das erklären. Sie können den Zusammenhang zwischen Missbrauchserfahrung <strong>und</strong> Pädosexualität<br />
sehen, aber es erklärt nichts. Es ist natürlich auch immer schwierig mit den Definitionen von<br />
Missbrauch. In der forensischen Begutachtung brauchen halt auch viele <strong>die</strong> Missbrauchsgeschichte,<br />
weil sie meinen, dann besser da zu stehen. Aber auch wenn es tatsächlich so ist, stellt sich <strong>die</strong> Frage,<br />
was hat er dem entgegen zu setzen. Auf der anderen Seite ist da auch der Druck, der auf ihn zukommt.<br />
Die entscheidende Frage ist, ob sich eine Einstellung entwickelt hat oder ob es eine Sucht<br />
geworden ist.<br />
CB: Würden Sie nicht daran glauben, dass man auch biologische Determinanten für Pädosexualität<br />
findet?<br />
Ich bin ja Psychologe. Selbst wenn wir so Faktoren finden, müsste man wissen, was ist Ursache <strong>und</strong><br />
was ist Wirkung. Die Leute kommen mit so ganz tollen Bildern aus den neurologischen Verfahren, es<br />
mag ja sein, dass sich da Unterschiede zeigen bei bestimmten Personen, aber man weiss ja nicht,<br />
was ist <strong>die</strong> Ursache <strong>und</strong> was ist <strong>die</strong> Wirkung. Die Biografie hat auch einen Einfluss auf <strong>die</strong> Hirnstruktur.<br />
Zudem ist hier wieder <strong>die</strong> Frage, was sich da niederschlägt <strong>und</strong> wie was kompensiert werden<br />
kann. Das ist <strong>die</strong> alte Leib-Seele-Frage. Für <strong>die</strong> forensische Frage, ist das wiederum irrelevant.<br />
CB: Noch zur Frage der Verbreitung <strong>und</strong> des Ausmasses. Da würden Sie nun auch sagen, dass<br />
das kulturabhängig sei.<br />
Ich glaube nicht, dass sich <strong>die</strong> Prävalenzen über <strong>die</strong> Zeiten hinweg geändert haben. Ich glaube, dass<br />
sich vor allem das Anzeigeverhalten verändert hat.<br />
CB: Es gibt eine Stu<strong>die</strong>, <strong>die</strong> zeigen will, dass bei 20 Prozent der männlichen Bevölkerung zumindest<br />
teilweise pädosexuelle Phantasien vorhanden sind. Was meinen Sie dazu?<br />
Das kann ich mir nicht vorstellen.<br />
CB: Zum Abschluss noch zu den Behandlungsmöglichkeiten. Also Sie meinen, dass ein verhaltenstherapeutischer<br />
Ansatz nützen kann.<br />
Ja, bei den Einstellungen auf jeden Fall. Bei Fehlgewöhnung auch, bei Hirnorganizität auch, aber sehr<br />
sehr begrenzt. Bei den Süchtigen auch.<br />
CB: Was sagen Sie denn dazu, dass das Material, das bei Polizeiaktionen beschlagnahmt wird,<br />
offenbar immer brutalere Szenen mit immer jüngeren Opfern zeigt? Das Sadistische ist da im<br />
Vordergr<strong>und</strong>. Wenn Sie so einen Konsumenten bei sich hätten, was würden Sie denn dazu sagen?<br />
Ich weiss ja gar nicht, ob <strong>und</strong> was für einen Leidensdruck er hat. <strong>Der</strong> muss aber einen Leidensdruck<br />
haben, damit man ihn überhaupt behandeln kann. Ohne Handelsdruck würde ich mich weigern. Man<br />
müsste dann eben einfach pädagogische Massnahmen treffen. Das hat aber mit forensischer Therapie<br />
nichts zu tun. Ein Proband muss ein Konflikterleben, einen Leidensdruck <strong>und</strong> Freiwilligkeit vorweisen<br />
für eine Psychotherapie. Darum ist ja auch der Begriff der forensischen Psychotherapie ein Widerspruch.<br />
CB: Herr Pülschen, ich danke Ihnen bestens für das sehr interessante Gespräch!
3. Interview mit Dr. Phil., Psychologe FSP Hans-Werner Reinfried<br />
99<br />
Funktion:<br />
Selbstständiger Begutachter, Psychotherapeut <strong>und</strong> Buchautor.<br />
Das Interview fand am 11.02.2004 in einem Restaurant in <strong>Bern</strong> statt <strong>und</strong> dauerte zirka drei St<strong>und</strong>en.<br />
CB: Das letzte Interview führte ich mit einem forensischen Psychologen, der <strong>die</strong> Betrachtung<br />
der Pädosexualität vor allem aus der forensischen, gutachterlichen Relevanz heraus betrachtete.<br />
Mich interessiert Ihre Meinung als Tätertherapeut. Wie sehen Sie das Verhältnis?<br />
Ich kenne „das gutachterliche Problem“. Das eine ist, dass das Wissen zu Perversionen bei vielen<br />
Gutachtern sehr schlecht ist. Sie wissen, dass es Perversionen gibt, sie kennen den Namen, aber sie<br />
können innerhalb der Perversionen nicht differenzieren. Sie sind in der Entstehungsgeschichte der<br />
Perversionen zu wenig ausgebildet. Es ist hilfreich, wenn man Psychologie stu<strong>die</strong>rt hat <strong>und</strong> auch das<br />
Leben der so genannt „Normalen“ kennt, <strong>die</strong> auch ihre Unterschiede haben. Vor allem Psychiater sind<br />
meist so sozialisiert, dass sie nur pathologische Phänomene kennen. Da können sie dann sehr<br />
schnell sagen: „das ist ein Voyeur, das ist ein Exhibitionist, etc.“ wobei <strong>die</strong> sich untereinander wohl<br />
ähnlicher sind als <strong>die</strong>, <strong>die</strong> unter dem Label „Pädophilie“ subsumiert werden.<br />
Diese haben ja als Gemeinsamkeit sexuelle Kontakte mit Kindern gehabt, aber das kann sehr verschiedene<br />
Hintergründe haben. Und <strong>die</strong>ser Hintergr<strong>und</strong> wäre eigentlich rechtlich von grosser Bedeutung.<br />
Es hat nicht für <strong>die</strong> Straftat an sich eine grosse Bedeutung, obwohl auch <strong>die</strong> geprägt davon ist,<br />
denn nicht alle machen dasselbe mit den Kindern, es sind dann einfach qualifizierte sexuelle Kontakte,<br />
aber sie haben in ihrem Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> natürlich auch in ihren Zukunftsaussichten grosse Unterschiede<br />
untereinander weil auch ihre Entstehungsgeschichten sehr unterschiedlich sind. Das ist etwas,<br />
das das Gesetz heute praktisch nicht berücksichtigt <strong>und</strong> das auch in den Gutachten häufig nicht<br />
einmal gestreift wird.<br />
CB: Nach welchen Kriterien würden Sie denn unterscheiden?<br />
Zum Beispiel, ob der sexuelle Kontakt in einer Beziehung stattfindet <strong>und</strong> welche Bedeutung der Kontakt<br />
in <strong>die</strong>ser Beziehung hat. Es kann einer sein Kind missbrauchen, weil er seine Frau bestrafen will.<br />
Es handelt sich um andere Funktionen, wenn sich einer an der Tochter vergeht <strong>und</strong> eigentlich seine<br />
Frau damit meint. Da sind eher <strong>die</strong> Machtmotive als <strong>die</strong> sexuellen Motive im Vordergr<strong>und</strong>. Das kann<br />
natürlich auch sehr gravierend sein für das Opfer, aber das sind Täter, <strong>die</strong> kaum ausserhalb der Familie<br />
etwas machen würden. Die schädigen <strong>die</strong> eigene Familie, aus Wut z.B. weil sie sich nicht durchsetzen<br />
können. Ich habe aktuell gerade einen Jungen, den ich begutachte, der ist jahrelang von seinem<br />
Vater sexuell missbraucht worden. Er musste im Ehebett schlafen weil Vater <strong>und</strong> Mutter sich<br />
derart zerstritten haben, dass <strong>die</strong> Mutter panische Angst vor dem Ehemann hatte <strong>und</strong> sie ihn auch sexuell<br />
abgewehrt hat. In <strong>die</strong>sem Kontext musste der Sohn bis er 13 Jahre alt war zwischen Mutter <strong>und</strong><br />
Vater schlafen. Und dann hat der Vater begonnen, sich ihm sexuell zu nähern <strong>und</strong> hat gehofft, dass<br />
der Sohn das erwidert. Zum Teil war das aus sexueller Not aber es war auch eine Provokation gegenüber<br />
der Mutter, <strong>die</strong> das auch mitbekommen hat. Die Aussage war so quasi „ wenn Du mit mir<br />
nichts machst, dann halte ich mich an den Sohn“. Die Töchter haben sich jede Nacht eingeschlossen<br />
<strong>und</strong> haben geschaut, dass sie nicht „dran kommen“.<br />
CB: Und <strong>die</strong> Mutter hat <strong>die</strong> Töchter nicht ins Bett genommen?<br />
<strong>Der</strong> Sohn war der jüngste, das hat man rechtfertigen können.<br />
CB: Und Sie würden sagen, dass <strong>die</strong>ser Täter in einer anderen Familienkonstellation resp.<br />
wenn <strong>die</strong>ser Konflikt nicht gewesen wäre, nicht interessiert ist an sexuellen Kontakten mit Kindern.<br />
Ja. Das war ein kurdischer Hirt, der seit Jahren arbeitslos ist, Alkoholiker <strong>und</strong> ein absoluter Patriarch,<br />
der Herrscher. Und <strong>die</strong> Beherrschung der Kinder äussert sich auch in den Übergriffen an den Kindern.<br />
<strong>Der</strong> Missbrauch gehört zum Unterwerfen der Kinder <strong>und</strong> möglicherweise auch der Tiere, <strong>die</strong> sie haben.<br />
Das ist in <strong>die</strong>sen Kulturen viel selbstverständlicher als bei uns. Nun, in der Schweiz ist das ein<br />
strafbares Delikt.<br />
Dann gibt es <strong>die</strong> so genannt klassischen Pädophilien, <strong>die</strong> in ihrer Kindheit stecken geblieben sind. Ihre<br />
Erotik hat sich an Kinder oder an gleichaltrige Jugendliche geb<strong>und</strong>en. Und sie haben in ihrer Persönlichkeit<br />
nur eine Teilentwicklung durchgemacht.<br />
Ich therapiere im Moment einen Akademiker, ein hochintelligenter Mann, im Beruf anerkannt, gut so-
100<br />
zialisiert. Er war als Kind aber schon schwierig, er lebte in einer Familie, in der alle nur für sich lebten.<br />
Sein Vater war ein Kriegstraumatisierter, der zwar ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist, der<br />
sich aber auf keine Beziehungen mehr einlassen konnte <strong>und</strong> Mutter war leicht depressiv. Er lebte<br />
dann einsam als Nachzügler mit viel älteren Brüdern, geduldet, still, ohne Kontakte zu Gleichaltrigen,<br />
obwohl er sich <strong>die</strong>se Kontakte gewünscht hätte. Er träumte als Heranwachsender von Sexualität mit<br />
Buben <strong>und</strong> Mädchen so zwischen 12 <strong>und</strong> 14. Davon träumt er immer noch <strong>und</strong> nun ist er 40. Auf <strong>die</strong>ser<br />
Stufe ist <strong>die</strong> Erotik wie tiefgefroren worden.<br />
CB: Und <strong>die</strong> Erotik zeigt sich dann auch in <strong>die</strong>ser kindlichen Form, so wie man es manchmal<br />
von Pädophilen hört, dass sie nicht an Penetration interessiert sind, sondern eher an streicheln,<br />
höchstens Petting?<br />
Er ginge nicht mal so weit. Er wirbt eigentlich nur um Kinder. Er lebt in zig Familien mit, ist dann Gast<br />
des Hauses, spielt mit den Kindern, geht mit ihnen schwimmen, macht Sport mit ihnen, macht aber<br />
keine Übergriffe, auch wenn er das gerne würde. Aber er sieht sich so klein, dass er eigentlich gar<br />
nicht aktiv werden kann. Er hofft, dass das Kind auf ihn einen Übergriff macht. Aber natürlich kommt<br />
kein Kind auf <strong>die</strong>se Idee.<br />
Bei ihm ist <strong>die</strong> grosse Gefahr in der Therapie, dass er den Mut bekommt, aktiv zu werden. Weil Therapien<br />
wollen ja eigentlich, dass <strong>die</strong> Menschen aktiv werden, dass sie ihre Wünsche besser durchsetzen<br />
können. Nun ist es aber bei seinen Wünschen besser, wenn er sie nicht durchsetzt.<br />
CB: Und wie arbeiten Sie nun mit <strong>die</strong>sem Menschen in der Therapie? Leidet er?<br />
Ja, er leidet sehr, aber er leidet eigentlich daran, dass er sich verliebt <strong>und</strong> es nie wirklich erwidert wird.<br />
Und wenn er zu aufdringlich wird, dann finden es <strong>die</strong> Leute komisch <strong>und</strong> dann brechen sie den Kontakt<br />
ab. Er beginnt z.B. ständig zu telefonieren, will immer abmachen, will ständig mit den Kindern zusammen<br />
sein. Alle mögen ihn eigentlich, aber einmal in der Woche oder im Monat würde reichen, so<br />
wie man halt mit anderen netten Menschen auch umgeht. Er ist aber zutiefst einsam, er kann sich<br />
nicht auf Erwachsenenbeziehungen einlassen. Auch Fre<strong>und</strong>schaften gibt es bei ihm eigentlich nur zu<br />
Leuten, <strong>die</strong> Kinder haben. Die finden es an sich toll, dass sie einmal mit einem erwachsenen, gescheiten<br />
Menschen reden können, der auch ihre Kinder akzeptiert. Mit dem kann man am Sonntag etwas<br />
unternehmen <strong>und</strong> er kommt mit.<br />
CB: Hat er <strong>die</strong> Einsicht, dass es schädlich für das Kind wäre, wenn er sich sexuell nähern würde?<br />
Das hat er bei mir gelernt. Aber er behilft sich mit der Behauptung, dass er nie etwas Sexuelles machen<br />
würde. Er liebt <strong>die</strong>se Kinder <strong>und</strong> er bevorzugt sie. Das sind dann irritierende Handlungen <strong>und</strong><br />
häufig hat er erlebt, dass <strong>die</strong> Kinder dann frech werden. Es gibt dann so Machtspiele von den Kindern<br />
<strong>und</strong> er leidet dann fürchterlich <strong>und</strong> fragt sich, warum <strong>die</strong> Kinder so böse sind zu ihm. Die Kinder merken<br />
es irgendwie, dass er nach Beziehung lechzt <strong>und</strong> wenn dann ein Kind sagt, bleib doch bei uns<br />
<strong>und</strong> Du gehörst doch zu uns, dann ist er überglücklich.<br />
CB: Aus Erfahrungsberichten von Pädophilen selbst hört man ja <strong>die</strong> einen, <strong>die</strong> gewissermassen<br />
einsehen, dass <strong>die</strong> sexuelle Beziehung für das Kind nicht gut wäre, <strong>die</strong> sich eine gewisse<br />
Empathie erhalten haben, aber auch <strong>die</strong>, welche behaupten, dass es dem Kind gut tun würde<br />
<strong>und</strong> nur <strong>die</strong> kulturellen Schranken Sex zwischen Kindern <strong>und</strong> Erwachsenen verbieten.<br />
Ja, es gibt da alle Schattierung. Sicher gibt es auch Menschen, <strong>die</strong> haben so einen „pädophilien<br />
Touch“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leute sagen dann, der könne es gut mit Kindern oder Jugendlichen. Sie leben es zum<br />
Teil nie ganz aus. Ich erinnere mich an einen Fall, den ich in der Supervision begleitet habe. Ein Mittelschullehrer,<br />
Turnlehrer, der völlig verknallt war in seine Buben <strong>und</strong> <strong>die</strong> haben das nie bemerkt. Er<br />
war ein guter Turnlehrer <strong>und</strong> er hat sich selbst auch auferlegt, nie in <strong>die</strong> Duschen zu gehen, er musste<br />
sich beherrschen. Aber was er sich geleistet hat, war ein Opernbesuch mit vier hübschen Jünglingen,<br />
<strong>die</strong> er zum Opernbesuch eingeladen hat. Er hat dann Logenplätze gemietet unter dem Motto „ich zeige<br />
euch Kultur“. Das war auch schön für <strong>die</strong>se Buben <strong>und</strong> er hat das sehr genossen. So stellte er es<br />
sich vor, wenn er Söhne hätte. Er war sich aber auch bewusst, dass er ein älterer Mann ist <strong>und</strong> er hat<br />
gemerkt, dass er anders ist als Kinder.<br />
<strong>Der</strong> Patient, von dem ich vorher erzählte, der fühlte sich auch als Kind. <strong>Der</strong> war in der Beziehung wie<br />
ein kleiner Junge. <strong>Der</strong> hat seine Träume aus der Kindheit zu anderen Kindern nicht weiterentwickelt.<br />
Spielen ist für ihn das Grösste, obwohl er <strong>die</strong> ganze Woche wissenschaftlich tätig ist. Aber spielen <strong>und</strong><br />
Sport mit Kindern ist für ihn das Grösste. Gewinnen ist dabei völlig unwichtig.
101<br />
Ein Anderer will gerne gut ankommen bei den Kindern, sucht Gesellschaft <strong>und</strong> wieder ein anderer<br />
sucht viel direkter ein sexuelles Erlebnis, der ist viel stärker auf den sexuellen als auf den Beziehungs-<br />
Aspekt ausgerichtet.<br />
CB: Kann ich noch kurz auf Ihren Patienten zurückkommen. Ist dort auch der narzisstische<br />
Aspekt des Bew<strong>und</strong>ertwerdens drin, auch wenn man sich auf das kindliche Niveau begibt?<br />
Ja natürlich, das ist doch schön, das geniessen wir doch alle, wenn wir bew<strong>und</strong>ert werden. Wir bekommen<br />
es halt eher auch von Erwachsenen <strong>und</strong> er kann mit Erwachsenenbeziehungen nichts anfangen,<br />
auch wenn sie nett mit ihm sind. Aber das ist ihm sehr fremd, er ist wie imprägniert. Wenn<br />
Jemand nett ist zu ihm als auch wenn Jemand ihn lobt, da hüpft sein Herz nicht. Natürlich ist es aber<br />
auch mit Erotik verb<strong>und</strong>en. Die Ausrichtung auf Kinder ist da sehr stark.<br />
Das ist etwas, das auch therapeutisch sehr schwer zu verändern ist. Häufig kann man schauen, dass<br />
sie sich über Wasser halten, man kann schauen, dass sie nicht verunglücken. Ein Element ist, dass<br />
<strong>die</strong>se Menschen unglaublich einsam sind. Weil das Modell von ihnen mit Kindern kann einfach nicht<br />
funktionieren. Für Kinder ist das nicht <strong>die</strong> normale Welt <strong>und</strong> auch wenn sie Kinder teilweise begleiten<br />
können, so auf dem Spielplatz, dann gehen <strong>die</strong> Kinder nachher wieder zu ihren Müttern <strong>und</strong> für <strong>die</strong><br />
Kinder ist klar, dass eben das ihre Mütter sind. Diese Kinder kann man nicht haben. Man kann dann<br />
schon schauen, dass man z.B. in Brasilien ein Strassenkind finden kann, aber <strong>die</strong> sind so bindungsunfähig,<br />
dass sie auch nicht das geben können, was <strong>die</strong>se Männer wollen. Sie kommen so eigentlich<br />
nie auf ihre Rechnung. Wenn <strong>die</strong>se Leute betreut sind, so können sie zumindest mal darüber reden,<br />
sie können ihrem Elend Ausdruck geben <strong>und</strong> sie können gestützt werden. Sie müssen aber bestätigt<br />
werden, dass ihr Modell nicht zum Erfolg führen kann <strong>und</strong> man muss sie dabei trösten. Man muss ihnen<br />
aber auch klar machen, dass sie keine Beziehung mit Kindern erzwingen oder erschleichen können.<br />
Sie sind ja sehr findig <strong>und</strong> sie lassen sich zum Teil unglaubliche Dinge einfallen. Sie haben immer<br />
<strong>die</strong> Hoffnung, dass sich etwas zufällig ergibt. Zum Beispiel in einem Lager hoffen sie, dass es einem<br />
Kind schlecht wird <strong>und</strong> es zu einem ins Zimmer kommt <strong>und</strong> ins Bett schlüpft. Das passiert dann<br />
ewig nicht aber <strong>die</strong> Hoffnung ist da. Oder man macht eine Bergtour <strong>und</strong> das geliebt Kind stürzt <strong>und</strong><br />
man muss es nach Hause tragen. Dann darf er es richtig anpacken.<br />
Aber Kinder interessieren sich halt lange nicht so für Erwachsene, wie <strong>die</strong>se Erwachsen es glauben.<br />
Sie lenken dann <strong>die</strong> Aufmerksamkeit des Kindes <strong>und</strong> versuchen es neugierig zu machen <strong>und</strong> das machen<br />
sie oft sehr geschickt. Wenn sie das in Mathematik machen würden, wären sie hervorragende<br />
Lehrer. Sie gestalten Situationen <strong>und</strong> wenn man das bei Untersuchungen auseinander nimmt, ist es<br />
schwierig zu sagen, wer da eigentlich initiativ war. In ihrer Darstellung bekommt man das Gefühl, <strong>die</strong><br />
Kinder hätten sie überfallen. Sie hätten quasi nur den kindlichen Wünschen nachgegeben. Aber <strong>die</strong><br />
kindlichen Wünsche müssen normaler weise geweckt werden, das kann man aber natürlich. Kinder<br />
sind neugierig <strong>und</strong> sie wollen alles Mögliche wissen, aber sie kommen nicht auf <strong>die</strong> Idee, den Intimbereich<br />
von fremden Personen zu erforschen.<br />
CB: Bei Gleichaltrigen schon, oder?<br />
Bei Gleichaltrigen kann es das geben, ja, aber bei älteren Herren finde sie das nicht so spannend. Es<br />
kann sein, wenn ein Kind ganz verwahrlost ist <strong>und</strong> es schon Erfahrungen gemacht hat, dass man damit<br />
Erwachsene für sich gewinnen kann <strong>und</strong> dass da irgend etwas Spannendes abläuft oder auch<br />
Geld zu ver<strong>die</strong>nen ist oder sie <strong>die</strong> Erwachsenen beherrschen können. Aber das findet man eigentlich<br />
nur in sehr zerrütteten, verwahrlosten Verhältnissen.<br />
CB: Die verwahrlosten Kinder sind ja häufig auch Opfer.<br />
Da kommt man halt schneller ans Ziel. Ich denke da an einen anderen Pädophilien, der eine fünfjährige<br />
Liebesgeschichte mit Jugendlichen hatte, mit zwei Brüdern. Aber <strong>die</strong> wussten das gar nicht, er hatte<br />
sich einfach immer um sie bemüht. Sie waren sehr nette Jugendliche <strong>und</strong> erst als er ihnen seine<br />
Liebe gestanden hatte, erschraken sie <strong>und</strong> wollten das ja nicht <strong>und</strong> sie haben sich von ihm distanziert.<br />
Da ist er zusammen gebrochen <strong>und</strong> hat sehr gelitten. Die zwei Brüder hatten dann Schuldgefühle <strong>und</strong><br />
dachten, sie könnten ihn ja nicht ganz sitzen lassen. Hie <strong>und</strong> da sind sie dann mit ihm Kaffee trinken<br />
gegangen weil sie dachten, er sei ja so viele Jahre nett mit ihnen gewesen <strong>und</strong> sie wollten auch nett<br />
zu ihm sein. Das waren sehr beziehungsfähige Brüder, <strong>die</strong> waren aber natürlich dann auch an Mädchen<br />
interessiert. Den Beziehungsaspekt bei <strong>die</strong>sem Mann haben sie aufgenommen <strong>und</strong> den Rest<br />
abgelehnt. Die haben dann auch über das Phänomen geredet <strong>und</strong> haben sich dafür interessiert, zwei<br />
ganz intelligente Jugendliche. Sie versuchten das halt auf ihre Art zu verarbeiten. Sie waren auch<br />
nicht in Gefahr aus ihrer eigenen starken Persönlichkeit heraus. Da war keine Versuchung da für sie.
102<br />
CB: Wenn <strong>die</strong>ser Pädophile nun versucht, sich in <strong>die</strong> Kinder hinein zu versetzen, wie sieht er<br />
sich dann in seiner Position? Glaubt er denn, dass ein Liebesinteresse von Kindern an ihm<br />
vorhanden sein kann?<br />
Ja, das versucht er sich zu Recht zu legen. Das ist auch ein wenig ein therapeutischer Erfolg, dass er<br />
merkt, dass er immer wieder scheitert. Er muss immer wieder Neue suchen, weil er immer wieder an<br />
einen Punkt kommt, bei dem <strong>die</strong> Kinder das Interesse verlieren, weil er zu fest wirbt. Das ist ja für <strong>die</strong><br />
Kinder seltsam, sie wollen ja den Erwachsenen folgen <strong>und</strong> normal ist ja, dass sich Erwachsene auch<br />
immer wieder abwenden <strong>und</strong> sich um Erwachsenen-Sachen kümmern. Bei ihm war das eben nicht<br />
so, er hat sich nie abgewendet, er hat immer alles mitgemacht. Und <strong>die</strong> Kinder merken, dass es komisch<br />
ist. Wenn er in der Therapie <strong>die</strong>se Abläufe auch immer wieder analysiert hat, merkte er, dass<br />
es chancenlos ist. Das heisst aber nicht, dass er den Traum aufgegeben hat, vielleicht meint er, dass<br />
es dann doch mal klappt.<br />
CB: Behilft er sich mit Pornografie?<br />
Nein, das ist ihm alles viel zu grob. Das wäre ihm auch zu sexuell. Er ist ganz scheu <strong>und</strong> prüde. Das<br />
heisst aber nicht, dass er nicht doch sexuelle Träume hat mit den Kindern.<br />
CB: Hatten Sie schon Klienten, <strong>die</strong> sich Kinderpornografie angeschaut haben?<br />
Ja, das ist aber auch eine ganz gemischte Klientel. Es gibt darunter Leute, <strong>die</strong> ganz klar Sexualität mit<br />
Kindern suchen, <strong>die</strong> darauf fixiert sind, eine perverse Ausrichtung, sie sind in ihrer sexuellen Entwicklung<br />
stehen geblieben. Sei <strong>die</strong>s in einem voyeuristischen oder exhibitionistischen Sinne, aber auch<br />
einfach ein sexuelles Interesse.<br />
CB: Warum meinen Sie „stehen geblieben“? Wie muss man das verstehen?<br />
Es ist häufig so, dass sie sich zu dem Zeitpunkt, als ihre eigenen sexuellen Interessen wach geworden<br />
sind, an Gleichaltrige oder Jüngere geb<strong>und</strong>en haben <strong>und</strong> sie konnten sich nicht weiterentwickeln.<br />
CB: Aber in ihrer Sexualität haben sie sich ja doch irgendwie weiter entwickelt. Also im Unterschied<br />
zu dem Klienten, von dem Sie vorher sprachen, der das „richtig“ Sexuelle ja scheute,<br />
sind ja solche, <strong>die</strong> wirkliche sexuelle Beziehungen zu Kindern wollen, anders.<br />
Da gibt es eben alle Schattierungen, <strong>die</strong> Sorte, <strong>die</strong> wirklich sexuelle Erlebnisse suchen zu Kindern.<br />
Die gehen auch zu Kinderprostituierten, das ist dann eher <strong>die</strong> gefährliche Sorte. Aber ihr Traum ist ja<br />
auch immer, doch ein „anständiges“ Kind zu bekommen. Sie haben für Stricher-Kinder auch immer<br />
eine gewisse Verachtung. Es sind ja auch meist Leute, <strong>die</strong> in ihren anderen Lebensverhältnissen<br />
durchaus wohl geordnet funktionieren. Und sie merken durchaus, dass <strong>die</strong> Kinder, <strong>die</strong> sie bekommen<br />
können, auch seltsame Kinder sind, meist verwahrloste.<br />
Und dann gibt es das Phänomen – <strong>und</strong> da denke ich, das ist ein neueres Phänomen – mit Leuten, <strong>die</strong><br />
eine sehr <strong>und</strong>ifferenzierte Sexualität leben. Die haben eigentlich keine grosse Affinität zu Kindern,<br />
sondern führen ein eher gelangweiltes Leben <strong>und</strong> <strong>die</strong> nun einen neuen Kitzel suchen. Die versuchen<br />
nun alles Mögliche aus, sei es mit Drogen, mit Drogen <strong>und</strong> Sexualität, Die versuchen nun alles Mögliche<br />
aus, sei es mit Drogen, mit Drogen <strong>und</strong> Sexualität, Sexualität mit Prostitution, Sexualität im S/M-<br />
Bereich oder dann auch Sexualität mit Kindern. Das ist dann auch etwas Besonders. So: „wie ist das,<br />
ein 12-jähriges Mädchen zu entjungfern“, wie ist das, wenn es leidet, wenn etwas Sadistisches rein<br />
kommt. Das muss auch gar nicht so extrem sein, das kann so im Zusammenhang mit Lebenskrisen<br />
aufkommen.<br />
Ich habe gerade einen Fall eines 45-jährigen Mannes. <strong>Der</strong> war 20 Jahre verheiratet <strong>und</strong> es war nie<br />
etwas Besonderes. Aber <strong>die</strong> Sexualität mit seiner Frau hat immer mehr abgenommen, er war steril,<br />
sie hatten keine Kinder <strong>und</strong> seine Frau war darüber sehr unglücklich. Mit der Zeit haben sie keinen<br />
Sinn mehr in ihrer Ehe <strong>und</strong> in ihrer Sexualität mehr gesehen. In dem Moment, als er sie verlassen hat,<br />
hat er angefangen, zu Prostituierten zu gehen. Und dann hat er gemerkt, dass ihm <strong>die</strong> schwarzen<br />
Prostituierten besser gefallen. Er wohnte alleine <strong>und</strong> hat plötzlich begonnen, auch Kinder anzuschauen,<br />
sich vor Kindern zu zeigen. Es zeigte sich eine Einsamkeit, auch eine starke Regression. Dann<br />
kamen so kindische Elemente, er onanierte vor Kindern, hat aber auch Kinder in <strong>die</strong> Wohnung geholt<br />
<strong>und</strong> wollte sich anfassen lassen. Er lockte <strong>die</strong> Kinder an <strong>und</strong> ein Mädchen musste man dann auch ins<br />
Heim einliefern, <strong>die</strong> hat das auch bei anderen gemacht, hatte schon einen richtigen K<strong>und</strong>enkreis. Es<br />
sind halt auch solche Kinder, <strong>die</strong> verwahrlost <strong>und</strong> vernachlässigt sind, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Männer auch erfolgreich<br />
anlocken. Er ist dann auch nackt ans Fenster gestanden, immer aber wie wenn es aus Versehen wäre.<br />
Die Kinder haben dann draussen schon auf das „Programm“ gewartet.<br />
Seine Übergriffe waren nicht wahnsinnig gravierend, es waren typische Handlungen in einem regressiven<br />
Zustand. Das hat noch nicht mit Alterspädophilie zu tun. So mit Alten, <strong>die</strong> nicht mehr können
103<br />
<strong>und</strong> auf einmal den Wunsch haben, so kleine Elfen zur Verfügung zu haben. Wenn er dann noch enthemmt<br />
ist, kommt dann zum Wunsch, ein Kind auf dem Schoss zu haben, auch der Wunsch dazu,<br />
dass das kleine Wesen ihm in <strong>die</strong> Hosen fasst. Aber <strong>die</strong> Übergänge sind sehr fliessend.<br />
CB: Sind ihnen bei den pädosexuellen Delinquenten auch Gemeinsamkeiten aufgefallen?<br />
Übergriffe zeigen sich schon häufig bei Familien, <strong>die</strong> nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.<br />
Problemfälle. Es ist schon auch ein Unterschichtsphänomen.<br />
Die Kinder aus den Unterschichten sind auch nicht so Kontrollen ausgesetzt. Die Kontrolle kommt ja<br />
aus dem Bürgertum. Alle <strong>die</strong> Anzeigen zu den sexuellen Übergriffen, <strong>die</strong> kommen ja auch von Leuten,<br />
<strong>die</strong> noch Vorstellungen haben von einer anständigen Welt. Die sich auch wehren. In einfachen oder<br />
verwahrlosten Gesellschaftsschichten ist das eben nicht immer der Fall. Die haben teilweise das Gefühl,<br />
dass sie das hinnehmen müssen, sie schimpfen auch mit den Kindern oder sie werden zu heimlichen<br />
Komplizen weil sie denken, das müsse so sein weil sie solche Sachen evt. selbst auch erlebt<br />
haben.<br />
CB: Sie kennen ja auch Biografien von anderen Delinquenten, gibt es da Unterschiede?<br />
Die Perversionen sind schon anders als <strong>die</strong> anderen kriminellen Sachen. Die Beeinträchtigungen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong>se Menschen erfahren haben, waren gekoppelt mit Sexualität. Sie waren auch in dem Bereich betroffen.<br />
Andere Kriminelle haben in der Regel eine normale Sexualität.<br />
CB: Und wie sehen solche Koppelungen aus?<br />
Dass sie sehr stark verb<strong>und</strong>en sind, das kann ganz unterschiedlich sein. Es ist auch sehr unterschiedlich,<br />
was Pädophilie an Kinder eigentlich schön finden, das kann das Gesicht, der Hintern, der Bauch<br />
sein. Meistens sind es ganz spezielle Körperteile. Das hat schon Ähnlichkeiten mit Fetischismus. Fetischisten<br />
sind ja einfach noch weiter vom Menschen entfernt. Die wollen nur noch einen Ersatz für einen<br />
Menschen. Ich habe da grad zwei kleine Buben, <strong>die</strong> haben Unterwäsche gestohlen von einem<br />
Mädchen, das vier Jahre älter ist als <strong>die</strong> Buben. Eine Schönheit, in <strong>die</strong> beide Jungs völlig verknallt<br />
sind, <strong>die</strong> aber von dem Mädchen nicht mal begrüsst werden. Sie sind dann in der Waschküche <strong>die</strong><br />
Spitzenunterwäsche <strong>die</strong>ses Mädchens stehlen gegangen <strong>und</strong> haben damit onaniert. Und das ist nun<br />
gerade so eine heikler Moment. Beide werden ganz streng gehalten zu Hause, sie leben in einem<br />
lieblosen Elternhaus, kein Vater <strong>und</strong> eine sehr rigide, aber überforderte Mutter, <strong>die</strong> Kinder sind sehr<br />
alleine gelassen, nicht recht aufgeklärt <strong>und</strong> dann ist eben der eine der Brüder auf <strong>die</strong> Idee mit der Unterwäsche<br />
gekommen. Das hat sich dann weiterentwickelt. Zuerst haben sie daran gerochen, damit<br />
onaniert, sich <strong>die</strong> Wäsche selbst angezogen, es war schon so, wie wenn sie mit dem Mädchen selbst<br />
zusammen gewesen wären. Das könnte man als Beginn eines Fetischismus sehen. Bei <strong>die</strong>sen zwei<br />
Brüdern wären <strong>die</strong> Bedingungen dafür günstig, sie sind ängstlich <strong>und</strong> vorsichtig in Beziehungen, sie<br />
haben Mühe mit kameradschaftlichen Beziehungen zu anderen Jungen. Sie können nun an <strong>die</strong>ser<br />
Unterwäsche-Geschichte einen riesigen Gefallen finden, <strong>und</strong> wenn sie weiter jahrelang mit <strong>die</strong>sen<br />
Höschen leben, wird das zu einer festen Gewohnheit. Das hätte ja, ausser dem Stehlen, keine Implikationen<br />
mit dem Gesetz.<br />
CB: Das ist auch bei gewissen <strong>Pädosexuelle</strong>n bekannt, dass sie auf der Suche nach Kinderunterwäsche<br />
sind.<br />
Ja, das ist es eben, <strong>die</strong> Wäsche wächst mit ihnen nicht mit, <strong>die</strong> bleiben bei der Kinder-Unterwäsche.<br />
Dann muss es evt. noch ein spezielles Höschen sein, eine gewisse Marke oder so. Die sind dann sogar<br />
an einem Modell hängen geblieben. Bei den Vorlieben für Kinder ist das ähnlich, da gibt es teilweise<br />
ganz enge Vorstellungen, dass sie etwa nur blonde, blauäugige Kinder wollen. Dann gibt es<br />
aber schon auch <strong>die</strong> Undifferenzierten, alles was „quietscht“ ist gut, es muss einfach ein Kind sein.<br />
CB: Das erinnert mich auch an <strong>die</strong> Interviews mit Pädophilien in einem Buch, da haben viele<br />
auch so Prototypen von Kindern beschrieben, <strong>die</strong> sie suchen <strong>und</strong> wollen. Da haben ich, wie<br />
auch an anderen Orten, auch gelesen, dass es unterschiedliche Präferenzen im Altersbereich<br />
gibt in Abhängigkeit, ob man homo- oder heterosexuelle Interessen bei Kindern hat. Ich kann<br />
mir das nicht erklären.<br />
Ich weiss auch nicht, ob das wirklich stimmt. Es gibt schon Pädophile, <strong>die</strong> kleine Kinder suchen, spezielle<br />
Altersklassen suchen.
104<br />
CB: Führen Sie das auf das Erlebnis zurück mit den Kindern in einem bestimmten Alter, bei<br />
dem sie dann hängen geblieben sind?<br />
Es kann sein, dass sie an kleinkindlichen Interessen hängen geblieben sind, also weit vor der Pubertät,<br />
selber als 8-jährige spannende Sachen erlebt haben oder Hoffnungen gehabt haben oder in der<br />
Pubertät mit kleinen Kindern Erlebnisse gehabt haben. Ich könnte mir das so vorstellen. Das hat aber<br />
mit der geschlechtlichen Orientierung an sich nichts zu tun. Das andere hat eher mit der gr<strong>und</strong>legenden<br />
Orientierung zu tun.<br />
CB: Man sagt auch, dass es mehr homosexuelle <strong>Pädosexuelle</strong> gebe als heterosexuelle.<br />
Das ist eventuell von der Statistik her möglich, ich kann mir das aber nicht erklären. Ich hätte eher den<br />
Verdacht, dass es sich um das Phänomen handelt, dass es eben viele Homosexuelle gibt, <strong>die</strong> auf Jugendliche<br />
stehen. Mit jugendlichen Männern ist es wohl auch schwieriger als mit jugendlichen Frauen.<br />
Wahrscheinlich passiert dort mehr im Graubereich.<br />
CB: Warum ist es denn schwieriger mit jungen Männern?<br />
Jugendliche Männer, selbst wenn sie selber homosexuelle Gefühle haben, tun sich weniger gern mit<br />
Männern zusammen. Hingegen dass sich Mädchen in einen jüngeren Mann verlieben, das ist eher<br />
noch möglich. Darum ist es einfacher <strong>und</strong> es wird eher nicht straffällig, es fliegt weniger schnell auf.<br />
Das wäre eine Möglichkeit, aber ich weiss es nicht.<br />
CB: Da kommt mit gerade der Fall in Uster in den Sinn.<br />
Ja, aber da weiss ich auch nicht, was da ablief, ich kenne <strong>die</strong> Akte nicht. Ich habe aber schon bei einigen<br />
ähnlichen Fällen gesehen, wie sie abgelaufen sind <strong>und</strong> bin deshalb sehr misstrauisch. Ich bin<br />
darum auch bei <strong>die</strong>sem Fall nicht sicher, ob es richtig beurteilt worden ist. Es ist natürlich heute ein<br />
sehr heikles Gebiet <strong>und</strong> wenn ein Kind erzählt, Jemand habe <strong>die</strong>s <strong>und</strong> das mit ihm gemacht, dann ist<br />
das eine ganz schwierige Situation. Das Gegenteil ist sehr schwer zu beweisen. Bei <strong>die</strong>sem Fall steht<br />
nicht zur Debatte, dass etwas passiert ist, <strong>die</strong> Frage ist, wie viel ist passiert. Dann kommen dann <strong>die</strong><br />
Fragen der Glaubhaftigkeit der Jugendlichen.<br />
CB: Ich höre natürlich auch <strong>die</strong> Stimmen von Opferschutzorganisationen, <strong>die</strong> meinen, dass den<br />
Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen immer noch viel zu wenig Glauben geschenkt werde.<br />
Ja, teilweise sicher, aber man muss schon auch damit rechnen, dass sie Geschichten erf<strong>und</strong>en haben.<br />
Ich habe Mädchen erlebt, <strong>die</strong> Szenen erf<strong>und</strong>en haben. Um sich wichtig zu machen, um abzulenken<br />
aber auch um sich zu rächen, auch z.B. für nicht erwiderte Liebe. So 14/15-jährige Mädchen können<br />
sehr boshaft sein. Auch enorm durchgedacht in der Phantasie, das ist auch für den Fachmann<br />
nicht leicht zu erkennen.<br />
CB: Vielleicht auch, weil sie es mit der Zeit selber glauben?<br />
Ja, sie können sich da rein steigern, dann werden sie aber auch teilweise bedroht, zur Redlichkeit ermahnt,<br />
in Frage gestellt. Und das kann bewirken, dass sie erst recht nachdoppeln <strong>und</strong> dann schmücken<br />
sie immer mehr aus. Zum Teil in einer Detailtreue, <strong>die</strong> man eigentlich von einem normalen Gedächtnis<br />
gar nicht erwarten würde. Aber das ist selbst in einer Glaubhaftigkeitsbeurteilung etwas ganz<br />
schwieriges. Wenn es familiäre Angelegenheiten betrifft wird es noch schwieriger. Z.B. in dem Ustener-Fall<br />
war das Mädchen ja Kindermädchen, <strong>und</strong> in Scheidungsfällen ist <strong>die</strong> Vermischung noch viel<br />
stärker.<br />
Ich sehe da zum Teil unmögliche Sachen, zum Beispiel wie da Eltern ihre Kinder im Bett haben. Alle<br />
nackt, für alle natürlich, für alle selbstverständlich <strong>und</strong> <strong>die</strong> Kinder kommen nicht mehr aus <strong>die</strong>sen Betten<br />
raus. Das ist nicht eine Gefahr für sexuelle Übergriffe, aber es ist für <strong>die</strong> Entwicklung der Kinder<br />
nicht günstig. Die Kinder werden geb<strong>und</strong>en, auch eine gewisse symbiotische Bindung teilweise. Ich<br />
habe gerade eine Mutter, <strong>die</strong> mir ihren Sohn, einen Drittklässler, angemeldet hat, weil er jeden Morgen<br />
im fünf Uhr bei ihnen im Bett auftaucht <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mutter hat das Gefühl, dass das nun nicht mehr<br />
nötig sei. Ich rede daraufhin mit dem Jungen <strong>und</strong> er findet es gar kein Problem, ist sogar stolz drauf<br />
<strong>und</strong> hat mir 14 Tage später berichtet, dass er nicht mehr zur Mutter gegangen ist. Es war nicht<br />
schwierig für ihn, er brauchte wie ein Signal. Aber was passiert? In der dritten Woche geht <strong>die</strong> Mutter<br />
zu ihm ins Bett. Das waren ihre Bedürfnisse, sie hat Angst ihn zu verlieren, <strong>die</strong> ganze Ehe steht auf<br />
dem Spiel.
105<br />
CB: Wenn wir grad beim Thema sind. Was meinen Sie zu pädosexuellen Frauen?<br />
Ja, das gibt es sicher auch. Ich denke aber schon, dass es weniger sind <strong>und</strong> <strong>die</strong> Formen sind wohl<br />
weniger invasiv. Sie können innig schmusen mit Kindern <strong>und</strong> das wird halt akzeptiert. Aber sie können<br />
Kinder so auch an sich binden <strong>und</strong> zum Teil auch irritieren. Man sagt dann eher, dass sie <strong>die</strong> Kinder<br />
emotional abhängig machen, aber es können auch ungünstige Stimulationen stattfinden. Das ist eben<br />
das Schwierige, weil einige Eltern <strong>die</strong> Kinder zuwenig berühren <strong>und</strong> andere zu viel. Man muss Kinder<br />
eben auch lassen, dass sie sich zu eigenen Personen entwickeln können. Aber was will das Gesetz<br />
dabei erfassen? Frauen werden da wahrscheinlich nur sehr wenig erfasst, eigentlich nur wenn sie<br />
Übergriffe auf fremde Kinder machen würden.<br />
CB: Haben Sie schon von einer Frau gehört, <strong>die</strong> von sich aus sagt, sie habe erotische oder sexuelle<br />
Interesse an Kindern?<br />
Nein, so nicht. Vielleicht eher in verklausulierter Form, im Sinne von: „ich habe <strong>die</strong> Kinder so gern, ich<br />
brauche den Mann gar nicht.“ Die Kinder sind dann bei ihr im Bett <strong>und</strong> da wird schon „herumgespielt“.<br />
Er liegt z.B. auf der nackten Brust, er ist aber ein Fünftklässler. In meinem letzten Buch beschreibe ich<br />
einen, der ist noch in der 2. Realschule jeden Morgen zur Mutter ins Bett. Ein völliger Schläger, aber<br />
jeden Morgen im Bett der Mutter <strong>und</strong> dabei hatte es auch teils erotische Aspekte. Sie kicherte, sie habe<br />
halt lieber <strong>die</strong> Wärme des Sohnes als <strong>die</strong> des Mannes. Ich kann nicht sagen, das sei eine pädophile<br />
Mutter, das ist eine unglückliche Frau, <strong>die</strong> mit ihrem Mann nichts anzufangen weiss.<br />
Alle Eltern sind natürlich auch an ihre Kinder geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> das hat ja sein Gutes.<br />
Aber eben, in einer Scheidungssituation können an sich harmlose Situationen, wie das Baden des Vaters<br />
mit den Kindern, anders konstruiert werden, es kann aufgebauscht werden. Das sind dann rechtlich<br />
enorme Probleme. Da kommt man in familiäre Bereiche, wo man nicht mehr alles entschlüsseln<br />
kann. Im Umgang von Erwachsenen mit Kindern hat man das ganze Spektrum <strong>und</strong> an einem Ende<br />
des Spektrums kommt das Strafrecht ins Spiel, aber manchmal ist das schwierig abzugrenzen bei <strong>die</strong>sen<br />
Übergangsfällen. Wenn Kinder vergewaltigt werden, ist das juristisch klar. Das ist „einfacher“ als<br />
Sachen, <strong>die</strong> im Zusammenleben passieren.<br />
CB: Sie meinen auch für <strong>die</strong> Prognose?<br />
Ja.<br />
CB: Sie haben zu Beginn schon erwähnt, dass Sie sich wünschen, dass man <strong>die</strong> sexuellen<br />
Handlungen mit Kindern differenzierter betrachtet auch für das Strafmass <strong>und</strong> für <strong>die</strong> Prognose.<br />
Für das Strafmass nicht, da sind <strong>die</strong> psychologischen Kriterien fragwürdig. Das ist eine unselige Verknüpfung,<br />
<strong>die</strong> dazu führt, dass man unzählige Elemente aufführt. Das funktioniert ja heute auch so.<br />
Aber ich denke, dass sich das Strafmass an der Tat orientieren muss. Hingegen für <strong>die</strong> Frage nach<br />
der Therapierbarkeit <strong>und</strong> nach der Wahl der Therapie, dazu muss es eine differenzierte psychologische<br />
Analyse geben. Zum einen kann man beurteilen, ob eine Strafe zu Gunsten einer Therapie ausgesetzt<br />
werden kann. Das wäre ja häufig sinnvoll, aber was ich so sehe in der Justiz, wird das sehr<br />
willkürlich gehandhabt.<br />
CB: Weil das Wissen nicht vorhanden ist?<br />
Weil sie keine differenzierten Vorschläge von den Gutachtern bekommen. Ein Psychiater kann einfach<br />
sagen, ja, eine Therapie ist möglich, er kann aber gar nicht belegen, wie er auf <strong>die</strong>se Idee kommt.<br />
Vielleicht weil der Klient ihm sagt, er wolle eine Therapie machen. Ob das dann aussichtsreich ist? Da<br />
müsste er mit dem Klienten viel mehr arbeiten. Und er müsste eine psychologische Ausbildung haben,<br />
er muss <strong>die</strong> Dynamik genauer kennen lernen, <strong>die</strong> Motivationsanalyse muss gemacht werden <strong>und</strong> vor<br />
allem wissen <strong>die</strong> Psychiater nichts über <strong>die</strong> Normalbevölkerung. Sie sind sozialisiert auf psychiatrische<br />
Patienten. In der Forensik haben wir aber wenig psychiatrische Patienten, wir haben sehr viele<br />
Störungen, <strong>die</strong> wir aber auch sonst in der Bevölkerung finden. Die haben halt einfach eine Störung,<br />
<strong>die</strong> zufällig zu einem Delikt führte. Manchmal haben sie noch <strong>die</strong> Kombination zu ganz anderen Störungen,<br />
<strong>die</strong> in Abhängigkeiten zueinander stehen.<br />
CB: Wir haben bei der Aktion Genesis <strong>die</strong> Feststellung gemacht, dass kaum einer „nur“ Kinderpornografie<br />
sammelt. Sie haben es schon angetönt, meinen Sie, dass sind nun Personen,<br />
<strong>die</strong> eigentlich nicht pädosexuell veranlagt sind, sondern einfach einen neuen Kitzel suchen?<br />
Ich kenne eigentlich wenige Leute, <strong>die</strong> nur Pornografie konsumieren. Die sind ja eigentlich mit sehr<br />
wenig zufrieden, das ist ja wie eine fetischistische Angelegenheit.
106<br />
CB: Wir wissen natürlich im Einzelfall (noch) nicht, was sie sonst noch machen.<br />
Gut, wenn sie sich so „Appetit“ holen <strong>und</strong> dann z.B. zu Prostituierten gehen als denkbare Kombination<br />
oder es wird solche geben, <strong>die</strong> sich einfach befriedigen dabei. Aber ich habe schon den Verdacht,<br />
dass das langfristig nicht anhält, weil das Ziel des Schauens ist doch immer auch das konkrete Erlebnis.<br />
CB: Sie denken also, dass der Konsum das Risiko für einen realen Übergriff vergrössert?<br />
Ja, das denke ich schon. Das sind schon Phänomene, <strong>die</strong> ich bei vielen Tätern gesehen habe. Dass<br />
sie über lange Zeit eine stille Vorzeit hatten. So Bilder schaffen schon eine Art Realität. Wenn man Bilder<br />
sieht von kleinen nackten Kindern sieht <strong>und</strong> dann aber immer weiterentwickelte Formen, Kinder<br />
mit Erwachsenen, Kinder mit Kinder, Kinder in speziellen Stellungen oder so. Da bekommt man Vorbilder,<br />
<strong>die</strong> auflockernd wirken. Das ist eine ähnliche Gefährdung wie Therapien, wo sie durch das Reden<br />
auch mutiger werden. Und dann kann es schon passieren, dass Jemand macht, was sie eigentlich<br />
gern machen würden. Ich kann nicht glauben, dass Jemand als Lebensziel hat, sich mit Fotos zu<br />
befriedigen, sondern er ist so gehemmt, dass er sich allenfalls mit Fotos begnügt. Aber wenn er das<br />
oft macht, dann ist <strong>die</strong> Chance gross, dass er es einmal erleben will, weil Bilder eine starke Wirkung<br />
auf uns haben. Wenn sich dann eine Chance ergibt, dass er auch versucht, das umzusetzen. Zudem<br />
haben <strong>die</strong> Bilder einen gewissen Erlaubnischarakter. Er darf, es ist nicht so schlimm. Auch <strong>die</strong> Tendenz,<br />
dass sich Pädophile outen, dass sie sich zusammenschliessen, Selbsthilfegruppen gründen. Da<br />
reden sie sich schon ein, dass sie gut sind zu den Kindern, dass sie es gut meinen <strong>und</strong> sie bestätigen<br />
sich gegenseitig. Das ist etwas Gefährliches. Ich glaube aber nicht, dass irgendjemand durch <strong>die</strong> Bilder<br />
gefährdet ist. Dass Sie zum Beispiel auf den Geschmack kommen würden. Ich musste das mal<br />
schauen <strong>und</strong> ich fand das sehr widerwärtig. Da geht es mir auch nicht gut dabei. Aber wenn Jemand<br />
eine solche Tendenz hat <strong>und</strong> solche Wünsche hat, dann kann der Konsum zu mehr Aktivität führen.<br />
CB: Bei den Newsgroups oder Chats ist es ja noch dramatischer, weil sie sich durch <strong>die</strong> Dialoge<br />
bestätigen.<br />
Ich kenne das nur vom Hörensagen, aber da scheint Einiges zu laufen. Das ist aber wohl eher eine intellektuellere<br />
Schicht von Pädophilen. Es gibt sicher auch eine Oberschicht an Pädophilen, <strong>die</strong> sich<br />
sehr gut decken <strong>und</strong> schützen <strong>und</strong> <strong>die</strong> auch ihre Handlungen sehr gut vorbereiten <strong>und</strong> selten auffliegen.<br />
Was ich so mitbekomme, sind Jugendliche, <strong>die</strong> von zu Hause abhauen <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> Kurve gehen.<br />
Dann sind sie so einen Monat verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> man weiss nicht, wo sie gelebt haben. Mit der Zeit<br />
erfährt man, dass sie von einem zum anderen gereicht wurden. Das sind Leute, <strong>die</strong> untereinander<br />
Kontakt haben, der erste gabelt ihn auf <strong>und</strong> „probiert ihn aus“, hat ihn ein paar Tage <strong>und</strong> geht dann in<br />
eine Bar <strong>und</strong> übergibt ihn einem Bekannten. Das ging dann immer gut, alle gaben ihm Geld, gutes<br />
Essen, er wurde „ernst“ genommen, er wurde halbwegs respektiert, musste aber alles mitmachen. So<br />
hat er einen Monat in Saus <strong>und</strong> Braus gelebt <strong>und</strong> wir konnten ihn nicht fassen, weil er durch diverse<br />
Villen gereicht wurde <strong>und</strong> wir haben ihn dann auf der Strasse wieder gef<strong>und</strong>en. Er sagt aber nichts<br />
aus, weil er weiss, dass er alle <strong>die</strong>se Leute wieder kontaktieren kann, wenn er das nächste mal auf<br />
<strong>die</strong> Kurve geht. Zudem hat er Angst, als sowieso unglaubwürdiger Kleinkrimineller. Auch in seinem<br />
Gefühl das starke Moment, nicht mit <strong>die</strong>sem Staat zu kooperieren, der mich nur einsperrt oder ins<br />
Heim steckt. So will er <strong>die</strong> Leute nicht ausliefern, weil sie ja auch „gut“ zu ihm waren <strong>und</strong> so kommt es<br />
nicht zu einer Anzeige.<br />
CB: Meinen Sie, dass wenn <strong>die</strong> Polizei sich da in ihren Bemühungen ein wenig konzentrieren<br />
würde, dass man dann an <strong>die</strong>se Oberschichtspädophilen ran kommen würde?<br />
Ich denke schon, dass es sehr schwer ist, da ran zu kommen. Die haben halt auch viel bessere Möglichkeiten,<br />
können auch ins Ausland gehen um dort etwas zu erleben. Es sind ja mehr Zufälle, dass da<br />
mal etwas auffliegt <strong>und</strong> dann hat man plötzlich einen ganzen Ring. Meist halten sie eben auch untereinander<br />
völlig dicht <strong>und</strong> was ich so gehört habe, sind sie enorm vorsichtig, weil sie auch <strong>die</strong> Untersuchungsstrategien<br />
kennen. Die Jungen wissen zum Teil auch gar nicht, wo sie genau gewesen sind.<br />
Auch <strong>die</strong> Übergaben werden sehr professionell gestaltet. Hochkriminell, aber sehr ge<strong>die</strong>gene Leute.<br />
Sie können das auch so gut beherrschen, weil sie sich eindenken können in das, was verboten ist.<br />
Sie sichern sich sehr gut ab. Es wäre dann sehr schwer zu beweisen, dass ein Junge einige Nächte<br />
bei ihm zu Hause gewesen ist <strong>und</strong> dass wirklich etwas passiert ist <strong>und</strong> was passiert ist. Und eine Anklage<br />
ist für <strong>die</strong> Polizei auch riskant, weil wenn sie es nachher nicht beweisen können, bekommen sie<br />
böse Rüffel. Das polizeiliche ist nicht mein Fach, ich weiss da zu wenig, aber von den Jugendlichen<br />
weiss ich, dass sie nur zum Bahnhof gehen müssen <strong>und</strong> dann werden sie abgeschleppt. Und beim<br />
Bahnhof hat <strong>die</strong> Polizei begonnen, viel rigoroser zu kontrollieren <strong>und</strong> das hat zu einer Verschiebung<br />
geführt. Da läuft nun nicht mehr so viel.
107<br />
CB: Das waren vor allem jugendliche Stricher? Auch Drogen?<br />
Nicht mal schlimm, das sind eher Schüler, <strong>die</strong> aus dem Timeout rausgeworfen wurden, auf der Strasse<br />
stehen, sich <strong>die</strong> Zeit vertreiben, von zu Hause auf Kurve wollen. In Zürich hat es so eine ganze Jugendszene<br />
an der Zähringerstrasse. Da hat es eine Bar, wo viele jugendliche Stricher verkehren. Die<br />
ist eigentlich ab 18, aber <strong>die</strong> Szene dehnt sich weit auf <strong>die</strong> Strasse aus <strong>und</strong> wenn ein Jugendlicher da<br />
stehen bleibt, wird er angesprochen. Selbst wenn er hässlich ist, aber offenbar gibt es für jeden Geschmack<br />
etwas. Aber das sind dann schon eher Jugendliche, ab 13, 14 nach oben. Gesetzlich schon<br />
geschützt, aber auch selber sehr aktiv. Die wissen dann auch schnell mal, was man mitmachen muss,<br />
was man können muss. Die wollen auch manchmal aus denen noch Geld rausdrücken. Nicht dass sie<br />
keine Ahnung hätten, worauf sie sich einlassen. Das ist nicht wie ein Überfall auf Kinder. Die wissen,<br />
dass sie da zu Geld kommen, zum Teil suchen sie auch sexuelle Erlebnisse, was sie nicht ganz<br />
zugeben können. Das Geld kann da auch als Tarnung <strong>die</strong>nen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erlebnisse sind auch nicht immer<br />
schlecht. Sie finden manchmal auch sehr nette, <strong>die</strong> gar nicht viel wollen, sie nur nackt sehen oder<br />
im selben Bett schlafen. Dann fühlen sie sich recht respektiert <strong>und</strong> bekommen noch Geschenke <strong>und</strong><br />
dann haben sie das Gefühl, sie hätten den grossen Deal gemacht. Das sind aber auch meist Jugendliche,<br />
<strong>die</strong> zu kurz gekommen sind, sie suchen auch Beziehungen, Väter, das sie dann in einem ungünstigen<br />
Umfeld so halbwegs finden. Also glücklich ist es schon nicht.<br />
CB: Was meinen Sie denn zu missbrauchten Kleinkindern in der Kinderpornografie? Würden<br />
Sie das unter dem Aspekt der Pädosexualität oder des Sadismus anschauen?<br />
Das ist schon widerwärtig. Ich hatte auch noch nie einen Klienten, der was mit Babys wollte. Es ist natürlich<br />
<strong>die</strong> kleinste Form von Lebewesen, <strong>die</strong> wehrloseste. Das ist schon sehr ausgefallen. Ich kann<br />
mir das als pädophile Variante schon vorstellen, ich denke aber, dass eine gewisse Verrohung damit<br />
zusammen hängen muss. Da werden noch zusätzliche Schranken überschritten. Da noch ein Lebewesen<br />
zu quälen, da muss noch eine andere Pathologie dazu kommen. Da müssen Hassgefühle gegen<br />
Babys da sein. Das müsste man in den Lebensgeschichten erforschen, was da abreagiert wird.<br />
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das häufig ist.<br />
CB: Sie haben ja anfangs das neuere Phänomen des neuen Kitzel-Suchens erwähnt. Das wäre<br />
auch eine Variante dafür?<br />
Ja, das ist auch eine Variante, so quasi Perversionen kultivieren. Alles einmal erlebt haben. Es muss<br />
ja auch eine rechte Anzahl von so Folterstudios geben. Zu Beginn hatte ich da nicht so bedenken,<br />
weil ich dachte, <strong>die</strong> können sich ja schon schlagen, wenn sie sich einig sind. Aber das Wesen <strong>die</strong>ser<br />
Sachen ist ja, dass es nie zu einer wirklichen Befriedigung kommt. Man bleibt in einer Abhängigkeit zu<br />
<strong>die</strong>sen Geschehnissen. Man will es wiederholen, perfektionieren. <strong>Der</strong> Wunsch <strong>die</strong>ser Menschen ist<br />
schon recht gross, mit noch ausgefalleneren Ideen Erfüllung zu finden.<br />
CB: Ist das Sucht?<br />
Ja, vielleicht, aber es liegt in der Natur von gewissen Perversionen, dass sie nie zu einer Befriedigung<br />
kommen. Das hat etwas Trostloses. Einer, der zu Dominas ging, hat mir einmal gesagt, er müsse immer<br />
wieder dahin gehen, aber immer, wenn er raus kommt, ist er am Boden zerstört <strong>und</strong> beschämt.<br />
Aber kaum ist er wieder zu Hause, baut sich <strong>die</strong> Phantasie wieder auf. Dann sucht er wieder eine andere<br />
<strong>und</strong> denkt, mit der wäre es besser.<br />
Und natürlich ruft alles, was mit Sexualität zu tun hat, nach Wiederholung. Auch im ganz normalen<br />
Bereich ist man ja nicht nach einmal zufrieden. Wenn das aber mit sadistischen Elementen gekoppelt<br />
ist, ist das doch eine gefährliche Sache. Sexualität ist immer auch ein wenig aggressiv, das kann man<br />
nicht wegdenken, aber wenn das Sadistische darin gross wird, dann ist <strong>die</strong> Befriedigung nie da. Man<br />
will immer mehr, immer anders. Das ist so ein Publikum, das so in Partyszenen verkehrt, meist auch<br />
Kokain nimmt, um zu steigern. Die sind da wahnsinnig kreativ <strong>und</strong> sie geben sich auch Tipps für Neues.<br />
Das sind nicht ganz ungefährliche Phantasien. Beziehungsmässig ist da nichts da, es ist emotional<br />
nicht ausgefüllt. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass einer mit einem Baby in <strong>die</strong>sem Kontext<br />
eine Beziehung aufbauen könnte.<br />
CB: Ja, das passt ja gar nicht zu dem Klienten, den sie anfangs beschrieben haben. Denken<br />
Sie, dass das Pädophile in Kombination mit dem Sadistischen eine eher seltene Kombination<br />
darstellt?<br />
Ich kenne Pädophile, <strong>die</strong> ganz schockiert sind über Kinderpornografie <strong>und</strong> das eine grosse Schweinerei<br />
finden. Es gibt auch pädophile Vereine, <strong>die</strong> sich da ganz klar abgrenzen wollen. Ja, aber es gibt<br />
natürlich alles, auch wenn ich denke, dass so grosse Quälereien, wie auch der Kannibale da aus<br />
Deutschland, dass das eher selten ist. Gut, heute besteht natürlich <strong>die</strong> Möglichkeit, dass sich seltene
108<br />
Neigungen finden. Früher wäre das ein grosser Zufall gewesen. Man kann ja nicht in ein Lokal gehen<br />
<strong>und</strong> sagen, ich will gerne einen fressen oder ich will ein Baby, dann würden dich <strong>die</strong> Leute erschlagen.<br />
Ich denke nicht einmal, dass der Kannibale da einfach einen gefressen hätte, wenn er keinen Freiwilligen<br />
gef<strong>und</strong>en hätte. <strong>Der</strong> brauchte einen, der ihm entspricht. Und wenn es keine Tötungen gibt, sind<br />
solche perverse Spiele ja auch strafrechtlich nicht relevant. Da dachte ich eben lange, dass mich das<br />
gar nichts angeht, das ist ja der liberale Gedanke <strong>und</strong> wenn ja beide Spass haben dabei. Früher hat<br />
man ja auch Homosexuelle verfolgt <strong>und</strong> das hat man alles aufgelöst. Bei <strong>die</strong>ser Explosion aber <strong>die</strong>ser<br />
doch ausgefallenen Sexualpraktiken, <strong>die</strong> auch laut propagiert werden können, vermute ich schon,<br />
dass wie ein Abfallprodukt davon auch illegale Praktiken gefördert werden. In einer Gesellschaft, in<br />
der generell eine Lockerung stattfindet, fühlen sich <strong>die</strong> halt auch wohler. Die Einsicht ist nicht mehr so<br />
ganz vorhanden, dass das eigentlich verboten ist. Das ist dann noch ein bisschen verboten. Und das<br />
ist dann gefährlich <strong>und</strong> heikel.<br />
Alle meine Jungen in der Therapie, <strong>die</strong> schauen sich auch all <strong>die</strong> Sendungen im Fernsehen zu allen<br />
möglichen Formen der Perversionen an. Zu Beginn hat man das unter dem aufklärerischen Aspekt<br />
auch gut gef<strong>und</strong>en, aber inzwischen merkt man, dass es <strong>die</strong> Jugend übermässig beschäftigt. Sie fragen<br />
sich, ob man <strong>die</strong>s <strong>und</strong> das nun auch ausprobieren muss, <strong>und</strong> zwar in einem Lebensalter, in dem<br />
sie noch gar keine eigene, gefestigte Sexualität haben. Bei Berufsschülern ist das zum Teil recht üblich,<br />
dass man alles mal ausprobiert hat, homo <strong>und</strong> hetero <strong>und</strong> alles. Einer hat mir erzählt, dass er mal<br />
mit einem Schaf einen Versuch gemacht hat. Man muss alles probiert hat. Sensation seeking, das bei<br />
Jugendlichen sowieso stark ausgeprägt ist. Wenn das Angebot aus der Gesellschaft so stark ist, wirkt<br />
das anregend. Ich will nicht sagen, dass das jeden betrifft. Ich stelle einen grossen Unterschied fest,<br />
ob ich Jugendliche aus dem Kreis 4 oder aus dem Oberland begutachte. Auch <strong>die</strong> vom Land haben<br />
viel Blödsinn im Kopf, aber über Sexualität wissen sie mehr so was vom Fernsehen. Aber im Kreis 4<br />
liegen Präservative in jedem Hinterhof, Pornohefte liegen herum, in den Fenstern sitzen nackte Frauen,<br />
dann hat er ein anderes Verhältnis dazu, das ist ja auch normal. Aber er hat dann eher <strong>die</strong> Idee,<br />
von all dem mal zu naschen. Da gibt es dann ganz wilde Sachen, auch dass ein 14-Jähriger eine 12-<br />
Jährige vergewaltigt. Nicht alle, <strong>die</strong> dort wohnen, machen das <strong>und</strong> auch denen, <strong>die</strong> es machen, muss<br />
man ganz klar sagen, dass es verboten ist, aber generell liegt schon viel mehr in der Luft. Es ist auch<br />
viel schwieriger zu erklären, dass das verboten ist, das geht bei einem Jungen aus dem Tösstal viel<br />
leichter.<br />
CB: Wenn wir nochmals auf Pädos zurückkommen können. Ich habe nun von vielen Formen<br />
von Pädosexualität gehört mit unterschiedlichen Ausdruckformen <strong>und</strong> Hintergründen. Sind da<br />
<strong>die</strong> Störungen einfach anders, oder wie kommen <strong>die</strong>se Unterschiede zustande?<br />
Die Störungen sind anders. <strong>Der</strong> einen ist gehemmter als der andere. Bei einem ist <strong>die</strong> Beziehungsvorstellung<br />
im Vordergr<strong>und</strong>, bei anderen ist das rein Sexuell ausgeprägter. Sie wollen vom Kind befriedigt<br />
werden. Häufig auch der Wunsch, oral befriedigt zu werden. Ein gewisser Demütigungsaspekt<br />
ist da auch vorhanden.<br />
Kinder wecken auch bei der normalen Bevölkerung viele Seiten. Sie können lustig sein, herzig sein,<br />
sie können einen erheitern, sie können erotisch sein. Den einen interessiert das eine mehr als das<br />
andere. Man kann nicht sagen, dass sich der eine voll für Kinder <strong>und</strong> der andere gar nicht für Kinder<br />
interessiert. Da gibt es <strong>die</strong> ganze Palette auch im normalen Leben. <strong>Der</strong> Übergangsbereich ist gross<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Übergangsbereich interessiert uns ja. Das sind Leute, <strong>die</strong> in gewissen Situationen gefährdet<br />
sein können. Es kann sein, dass sie im Moment schlechte Handlungen begehen, <strong>die</strong> schädlich<br />
<strong>und</strong> irritierend sein können für Kinder, aber sie können auch relativ leicht wieder Abstand bekommen,<br />
da sie durchaus auch andere Interessen haben <strong>und</strong> wenn es ihnen gelingt, <strong>die</strong>se Interessen durchzusetzen,<br />
dann ziehen sie es sogar vor. Aber wenn jemand völlig auf Kinder fixiert ist in seiner Entwicklung<br />
<strong>und</strong> nur mit Kindern <strong>die</strong> Erotik spielt, so <strong>die</strong> ganz klassischen Pädophilen. Das sind auch <strong>die</strong>, <strong>die</strong><br />
sich ständig wiederholen, <strong>die</strong> uns nicht loslassen, <strong>die</strong> Hartnäckigen. Die können nicht anders <strong>und</strong> es<br />
sind <strong>die</strong>, <strong>die</strong> am meisten Sorgen machen.<br />
CB: Die Übergänge sind fliessen, aber es beginnt auch einmal.<br />
Ja, in der eigentlichen Handlung, ob jemand das realisiert oder nicht. Es gibt noch viele, <strong>die</strong> Kinder ja<br />
herzig finden <strong>und</strong> irgendwo dran denken, aber sie machen es nicht, weil man das einfach nicht tut.<br />
CB: Dann kann man auch gar nicht von einer Prävalenz sprechen?<br />
Einige können wirklich nicht anders, aber das sind nicht extrem viele. Meist haben <strong>die</strong> fixierten auch<br />
ganz bestimmte Vorstellungen <strong>und</strong> haben es drum auch nicht einfach, an <strong>die</strong> Kinder ihrer Wahl ranzukommen.<br />
<strong>Der</strong> findet vielleicht „sein Kind“ nie, bleibt so ein unglücklicher Mensch, der aber auch
109<br />
nicht straffällig wird. <strong>Der</strong> breit Interessierte hat es da leichter. Es muss nicht mal sein, dass er das bei<br />
der Kinderpornografie findet.<br />
CB: Was halten Sie denn von den Strafen von ein paar Tausend Franken, <strong>die</strong> ausgesprochen<br />
werden bei Besitz von Kinderpornografie? Bringt das was?<br />
Ja, Geld für den Staat... Die Untersuchungen waren wohl aber teurer. Nein im ernst, das ist ein kleiner<br />
Wink, dass das verboten ist <strong>und</strong> das wird schon notiert. Für manche ist das nicht klar <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft<br />
setzt da ein Zeichen. Vor allem ist oder war auch <strong>die</strong> Unterscheidung nicht klar, ob Material nun<br />
heruntergeladen wird oder nicht. Dass das ein Unterschied wäre, das verstanden doch viele gar nicht.<br />
Nun wissen sie das, aber <strong>die</strong> werden da auch neue Tricks finden.<br />
Die Frage ist schon, was ist los mit denen. Man sagt immer, dass seien brave Familienväter <strong>und</strong> Angestellte.<br />
Ja sicher, der Schein wird so sein, aber wie geht das in <strong>die</strong>sen Ehen, was läuft da ab, können<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Ehe führen? Sind es verhinderte Pädophile, <strong>die</strong> da heimlich schauen?<br />
CB: Kennen Sie Pädophilie, <strong>die</strong> in einer Ehe leben <strong>und</strong> wissen Sie, wie sie ihre Ehe leben?<br />
Ja, aber das waren aktive Pädophilie, <strong>die</strong> einfach noch eine Frau gehabt haben <strong>und</strong> <strong>die</strong> Frauen finden,<br />
dass der halt da noch was nebenbei brauche, dann lässt er mich in Ruhe. Ich kenne auch solche<br />
mit eigenen Kindern, <strong>die</strong> sie aber in Ruhe lassen. Einer sagte mal, dass er das auswärts ausleben<br />
müsse, damit er <strong>die</strong> eigenen Kinder in Ruhe lasse. Das fand er nicht gut. Die waren ihm zu nahe.<br />
Auch Sex-Touristen, <strong>die</strong> das dann im Ausland ausleben. Auch mit jugendlichen Sex-Touristen, <strong>die</strong><br />
durch <strong>die</strong> Schweiz wandern.<br />
CB: Woher kommen denn <strong>die</strong>?<br />
Polen, Russland, Ostländer. Ich weiss allerdings nicht, wie jung <strong>die</strong> sind. Es gab schon Untersuchungen,<br />
wo sie gemerkt haben, dass da ganze Busse kommen mit so 30 jungen Frauen <strong>und</strong> Männer. Die<br />
werden vorangekündigt <strong>und</strong> sind schon im Voraus gebucht. Die sind dann solange da, wie ihr Touristenvisum<br />
gilt. In <strong>die</strong>ser Zeit werden sie umhergereicht. Aber wohl sind <strong>die</strong> nicht ganz jung, aber zutrauen<br />
würde ich dem Milieu da alles. Ich weiss einfach, dass vor allem bei der männlichen Prostitution<br />
eine ganze Menge einfach nur durchreist. Das ist dann dasselbe, das ich schon vorher erwähnte,<br />
<strong>die</strong> Freier sind da immer enttäuscht <strong>und</strong> glauben immer, mit einem anderen wäre es besser. Die Freier<br />
gehen nicht immer zum selben Jungen, auch weil dann <strong>die</strong> Anonymität geknackt würde. Sie sagen<br />
schon, dass sie eine Beziehung suchen, aber das sagen sie nur, <strong>die</strong> Angst vor dem Ausgeliefert-Sein<br />
ist ihnen zu gross. Die gehen dann auch meist in anonyme Hotels.<br />
CB: Man hört doch oft, dass bei den Pädophilen vor allem <strong>die</strong> mangelnde Körperbehaarung<br />
wichtig ist, dass das Kind aufhört Kind zu sein, wenn sich <strong>die</strong> Körperbehaarung zeigt.<br />
Das ist wahrscheinlich aber auch ein Problem der Ermittlungen. Die Leute, <strong>die</strong> eben wirklich Kinder<br />
wollen, <strong>die</strong> sind gefährdeter, weil sich das schlechter findet. Und es ist auch allgemein verpönter. Es<br />
gibt schon <strong>die</strong>, <strong>die</strong> auf Jugendliche stehen. Aber schon noch nicht ausgewachsen. Aber es gibt alles.<br />
Aber <strong>die</strong>, <strong>die</strong> auf Jugendliche stehen, haben es schon leichter, dem kann man auch in der Therapie<br />
beibringen, dass er einen 18-Jährigen nimmt. Sein Zustandsbild hat sich nicht verändert, aber es ist<br />
zumindest im legalen Bereich. Das ist auch eine Einsicht, dass er vorsichtig sein muss. Das wird dann<br />
oft als grosser Erfolg verkauft, aber es ist eine kleine Anpassungsleistung. Es ist sicher nichts Gesichertes,<br />
weil <strong>die</strong> Beziehungen halten sowieso nicht so lang. Ich habe jetzt grad einen erlebt, der ist älter<br />
als ich, der hat in Sri Lanka einen Lover gef<strong>und</strong>en. <strong>Der</strong> Junge hat ihm gesagt, er wolle ihn als Vater<br />
<strong>und</strong> der Mann geht nun dorthin <strong>und</strong> holt ihn. Er will ihn nicht adoptieren, sondern als Partner hierhin<br />
bringen. Er ist total ausser Rand <strong>und</strong> Band <strong>und</strong> völlig verknallt. <strong>Der</strong> Junge will doch einfach in <strong>die</strong><br />
Schweiz, weil er sich hier ein besseres Leben erhofft. <strong>Der</strong> ist aber wohl schon um <strong>die</strong> 20. Aber eben,<br />
der Altersabstand, das gibt an sich schon Probleme, <strong>und</strong> das hält sicher nicht an. Wenn das anhält, ist<br />
er vorübergehend angepasst, aber das ist brüchig.<br />
CB: Wenn man <strong>die</strong> geschichtliche Betrachtung noch anschaut, haben Sie das Gefühl, dass<br />
sich da was verändert hat, gab es schon immer <strong>die</strong>selben Phänomen <strong>und</strong> wir haben nun einfach<br />
andere Formen?<br />
Zum einen ist es schon ein Phänomen, das in dekadenten Gesellschaften immer verstärkt aufgetreten<br />
ist. In reichen Gesellschaften wird der Kitzel schon vermehrt gesucht. Sich an etwas Jungem <strong>und</strong><br />
Hübschen zu vergnügen, ist da nahe liegend. Das ist in der heutigen Zeit schon auch gegeben, wir<br />
sind ja unglaublich reich. Man kann sich alles erlauben <strong>und</strong> alles kaufen, warum sollte man sich nicht<br />
ein wenig Liebe kaufen. Es gibt ja nur noch ganz wenige Bereiche, das man nicht legal konsumieren<br />
kann. Sei es, dass das Illegale dann noch an Attraktivität gewinnt oder dass man vergisst, dass es
110<br />
noch etwas Illegales gibt. Das ist wie wenn <strong>die</strong> ganze Schweiz überall Hanfläden aufmacht <strong>und</strong> offiziell<br />
ist Cannabis verboten. Das ist der Jugend meist nicht klar, <strong>und</strong> da kann man nicht sagen, das<br />
Verbotene sei noch der grosse Kitzel. Die begreifen gar nicht, dass das verboten ist <strong>und</strong> sind entsetzt,<br />
wenn da ein Polizist kommt. Die sagen dann, der Polizist komme da nicht draus. Da haben wir eine<br />
Verwirrung geschaffen. Ein ähnliches Phänomen findet man im sexuellen Bereich. Wenn man alles<br />
zulässt, auch mit den Publikationen <strong>und</strong> Sexanzeigen, <strong>die</strong> Zeitungen sind da voll davon. Das Gefühl,<br />
etwas Verbotenes zu tun, ist sicher nicht mehr so stark wie früher. Ich denke, dass einfachere Länder<br />
das Phänomen weniger kennen, es wird vor allem nicht so kultiviert. In archaischen Gesellschaften ist<br />
es recht häufig, aber eher innerfamiliär. Die liegen alle in einem Bett, zusammen im Guten <strong>und</strong> im<br />
Schlechten. Die Schranke hat ja dann erst <strong>die</strong> bürgerliche Gesellschaft gesetzt. Die Schranke hat<br />
man ja dann im 68 nieder reissen wollen <strong>und</strong> hat es auch getan. Vorher war ja <strong>die</strong> Gesellschaft ausserordentlich<br />
prüde <strong>und</strong> man hatte wenig Wissen über <strong>die</strong> Sexualität. Im Zusammenhang mit der Aufklärung<br />
ist auch das Perverse mit an <strong>die</strong> Oberfläche gekommen. Das gab es sicher früher auch, das<br />
war aber sehr viel versteckter. Die Selbstverständlichkeit, das einfach hinzunehmen, ist sicher gewachsen.<br />
Das Internet ist sicher auch ein Teil, der dazu beigetragen hat, dass man heute solche Informationen<br />
einfacher austauschen kann. Man ist nicht mehr geb<strong>und</strong>en, in einer Grosstadt zu leben,<br />
um Gleichgesinnte zu finden. Man kann auch im Appenzell oder im <strong>Bern</strong>er Oberland leben <strong>und</strong> man<br />
findet <strong>die</strong> Kollegen, mit denen man austauschen kann <strong>und</strong> <strong>die</strong> du an deinen Vergnügungen teilnehmen<br />
lassen kannst. Das ist eine neue Dimension. Früher war <strong>die</strong> Landbevölkerung davon ausgeschlossen.<br />
Zumindest von der Kultivierung waren sie ausgeschlossen. Dass ein Knecht einen Jungen<br />
oder ein Mädchen missbrauchte, das hat es immer gegeben, aber es waren isoliertere Ereignisse, <strong>die</strong><br />
er nicht stilisieren konnte. Im Moment ist der Trend stark, <strong>die</strong>se Sachen auch noch als etwas Grossartiges<br />
zu verkaufen.<br />
CB: Folgendes gehört nicht wirklich in Ihren Bereich, wenn Sie aber <strong>die</strong> Gesetzesartikel in Sachen<br />
Kinderpornografie betrachten, oder auch zu sexuellen Handlungen mit Kindern im weiteren<br />
Sinn, würden Sie dann daran etwas ändern aus Ihrer Sicht, wenn Sie könnten?<br />
Ich halte es für wichtig, dass es ein Straftatbestand ist <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sache auch evident bleibt. Da muss <strong>die</strong><br />
Gesellschaft schon regelnd eingreifen. Man kann nicht einfach sagen, wir setzen unsere Kinder allem<br />
aus. Denn <strong>die</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschädigung ist eine Tatsache. Das ist nicht immer gleich, einige überstehen<br />
das ganz gut <strong>und</strong> brauchen wenig Hilfe. Auch nicht jeder sexuelle Übergriff ist so ein einschneidendes<br />
Ereignis. Das ist dann eher ein Problem der Opferhilfe heute, dass sie aus allem eine Riesensache<br />
machen muss. Man kann da nicht adäquat auf den Menschen eingehen <strong>und</strong> seine eigene Aktivitäten<br />
bei den Handlungen einbeziehen. Aber gr<strong>und</strong>sätzlich müssen Jugendliche schon geschützt<br />
sein. Sie können nicht alles selbst entscheiden. Sie können in Situationen geraten, in denen sie nicht<br />
abschätzen können, was mit ihnen passiert. Danach sind sie in einem Wulst von Irritationen, <strong>die</strong> ungünstig<br />
sind. Nicht immer gleich stark, aber verboten sein muss es. Auf der anderen Seite muss man<br />
schon sehen, dass gewisse Täter ihren Tendenzen ausgeliefert sind. Sie können höchstens, auch als<br />
therapeutisches Ziel, auf <strong>die</strong> Handlungen verzichten. Sie werden so quasi Mönch. Und sie verzichten<br />
zum Teil nur aus Angst vor einer Strafe. Deshalb muss man <strong>die</strong> Strafbarkeit nicht unterschätzen.<br />
Deshalb funktionieren bei Pädophilen auch <strong>die</strong> angedrohten Strafen oft. Das Angedrohte wirkt oft besser<br />
als <strong>die</strong> durchgeführte Strafe. Dann gibt es natürlich auch <strong>die</strong> Pädophilen, <strong>die</strong> Übergriffe im Zusammenhang<br />
mit Lebenskrisen machten, oder <strong>die</strong>, welche den Kitzel suchen. Da muss man dann<br />
schauen, wie man <strong>die</strong> therapeutisch auffangen kann, bei Einigen klappt das. Da sind auch Verlagerungen<br />
möglich, auch wenn <strong>die</strong> fragil bleiben.<br />
Die fünf Jahre Knast, <strong>die</strong> Pädophile bekommen, nützen natürlich gar nichts, im Gegenteil, das gilt<br />
aber auch für andere Straftaten. Sie sind nachher schlechter resozialisierbar. Unter Umständen geschwächt,<br />
was den Rückfall wahrscheinlicher macht. Deshalb sind angedrohte, aber lange Strafen<br />
angemessener. Es gibt auch therapeutische Begleitungen, <strong>die</strong> über Jahre laufen, zwar niederfrequent,<br />
wenn er darauf anspricht. Aber als allgemeine Regel kann man das nicht formulieren. Sie müssen<br />
es schon ernst nehmen <strong>und</strong> den zusätzlichen Schutz brauchen.<br />
CB: Wie steht es mit den Therapieformen? Gibt es da bessere <strong>und</strong> schlechtere?<br />
Es gibt einfach einige Prinzipien, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Therapien erfüllen müssen. Es darf nicht rein analytisch ausgerichtet<br />
sein, das heisst man darf <strong>die</strong> Aktivitäten in der Therapie nicht dem Klienten überlassen. Es<br />
muss auch erzieherische <strong>und</strong> moralische Aspekte beinhalten, <strong>die</strong> der Therapeut übernehmen muss.<br />
Das lässt sich in den meisten Therapieformen durchführen. Es dürfen auch keine Programme abgespult<br />
werden. Das ist zwar im Moment modern, aber es ist zuwenig individuell. Und es fokussiert den<br />
eigentlichen sexuellen Übergriff zu stark. Das Delikt muss schon einbezogen <strong>und</strong> auch stark thematisiert<br />
werden, wenn sich <strong>die</strong> Therapie aber nur auf das Delikt beschränkt, dann wird ein Bereich im<br />
Leben des Pädophilen, der an sich schon völlig isoliert ist <strong>und</strong> abgespalten, weiterhin isoliert behan-
111<br />
delt. Jede therapeutische Intension zielt aber darauf ab, dass man das Bestehende weiterentwickelt,<br />
dass bessere Möglichkeiten entdeckt werden, dass der Fetischist auch einmal zum Lebewesen<br />
kommt. Bei Pädophilen wäre es <strong>die</strong> Hoffung, dass sie sich in eine ältere Generation hineinentwickeln<br />
können. Das ist aber erfahrungsgemäss selten der Fall. Aber es kommt schon vor. Die Regressiven<br />
sind sogar relativ leicht therapierbar. Wenn sie <strong>die</strong> Umgebung geordnet haben, sind sie eigentlich aus<br />
der Gefahrenzone draussen. Bei den so genannten Kernpädophilen, <strong>die</strong> nichts anderes im Kopf haben,<br />
für <strong>die</strong> ist der therapeutische Erfolg eine Verarmung. Sie sind eingeschränkt im Leben, sie müssen<br />
verzichten. Wenn sie gescheit <strong>und</strong> empfindsam sind, können sie eventuell nachvollziehen, dass<br />
es für das Kind ungünstig ist. Ein Lehrer mit <strong>die</strong>sen Fähigkeiten kann zum Beispiel sagen, dass er<br />
freiwillig aufs Schule geben verzichtet, weil er dauernd in Versuchung gerät. Dann wird er halt Nachtwächter<br />
in einer Fabrik <strong>und</strong> kontrolliert Maschinen. Er muss bereit sein, das Milieu zu wechseln <strong>und</strong><br />
das ist manchmal erreichbar.<br />
CB: Dann wäre der Fall da letzthin, bei dem sie einem pädosexuellen Lehrer nicht das Patent,<br />
sondern das Ausbildungsdiplom entzogen haben, so dass er nicht mehr in der Erwachsenenbildung<br />
tätig sein konnte, wie er das wollte, ein unvernünftiger Entscheid?<br />
Ja, wenn man das so hört, sicher. Bei Lehrern soll man Berufsverbot verhängen, sonst nichts. Ich hatte<br />
in Zürich schon einige Lehrer, <strong>die</strong> haben nachher alle in anderen Bereichen einen Platz gef<strong>und</strong>en.<br />
CB: Aber Sie denken schon, dass Pädophilie, <strong>die</strong> das früh bemerkt haben, auch absichtlich Berufe<br />
wählten, bei denen sie mit Kindern zu tun haben?<br />
Natürlich, das ist nahe liegend, wenn sie es früher entdeckt haben. Das ist nicht bei allen so klar. Es<br />
gibt durchaus Leute, <strong>die</strong> sich das lange nicht eingestehen können, <strong>die</strong> so ängstlich sind <strong>und</strong> <strong>die</strong> erst<br />
später, wenn sie schon ein wenig Erfolg im Leben gehabt haben, auf <strong>die</strong> Suche gehen. Das ist ähnlich<br />
bei den Homosexuellen. Das kann lange verdrängt sein. Aber viele suchen den Beruf schon in einem<br />
Bewusstsein, mit Kindern zusammen sein zu wollen. Und sie können es ja meist auch gut mit Kindern,<br />
sie finden leicht Zugang zu Kindern. Es sind ja meist nicht <strong>die</strong> bösen Männer <strong>und</strong> darum gehen <strong>die</strong><br />
Kinder denen auch so schnell auf den Leim. Deshalb kann man <strong>die</strong> Kinder auch so schwer warnen.<br />
Da müsste man ja sagen, dass sie vor jedem Fremden, der sie grüsst, davon rennen sollen. Wenn<br />
das funktionieren würde, dann wäre das Kind so verschüchtert, dass es ein gestörtes Verhalten entwickeln<br />
würde. Darum sind auch <strong>die</strong> präventiven Ansätze bei den Kindern so schwierig.<br />
CB: Herr Reinfried, ich bedanke mich herzlich für das ausführliche <strong>und</strong> informative Gespräch!
112<br />
4. Interview mit der Gruppe Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich<br />
Funktion:<br />
Die Kinderschutz-Gruppe der Stadtpolizei Zürich ist zuständig für alle Delikte, <strong>die</strong> Minderjährige<br />
betreffen, vorwiegend Delikte gegen <strong>die</strong> sexuelle Integrität.<br />
Das Gespräch fand am 30.04.04 in den Räumlichkeiten der Stadtpolizei statt <strong>und</strong> dauerte zirka drei<br />
St<strong>und</strong>en. Gesprächspartner waren Rolf Nägeli <strong>und</strong> fünf seiner MitarbeiterInnen.<br />
CB: Wenn sie gegen <strong>Pädosexuelle</strong> ermitteln, fallen ihnen Gemeinsamkeiten bei den Verdächtigten<br />
auf?<br />
Was uns zum Beispiel auffällt ist, dass bei jedem rechten <strong>Pädosexuelle</strong>n, der h<strong>und</strong>erte von Videos zu<br />
Hause hat, h<strong>und</strong>ertprozentig mindestens eine Kassette zur Miniplayback-Show vorhanden ist. Generell<br />
haben sie Kindersendungen zu Hause. Auch Kassetten von beispielsweise Michel aus Löhneberg,<br />
es muss nicht mal was Sexuelles oder so sein. Die stehen auf Kindersendungen. Auch fast alle haben<br />
FKK-Heftchen, sie machen da Ausdrucke. Zudem haben viele auch Jelmolikataloge oder ähnlich, in<br />
denen sie dann einfach <strong>die</strong> Kindermodels anschauen. Sie schneiden dann Kinder aus <strong>und</strong> sammeln<br />
<strong>die</strong>, stapelweise. Und Bücher über Kindsmissbrauch, das haben auch fast alle. Da markieren sie dann<br />
<strong>und</strong> lesen das intensiv. Sie post-iten dann <strong>die</strong> Seiten, bei denen es ums ermitteln, ums Überführen<br />
<strong>und</strong> so geht. Sie sammeln Infos, damit sie sich selber schützen können, wenn sie dann mal verhaftet<br />
werden würden.<br />
CB: Sammeln sie auch Infos zum technischem Know How? So Tipps, wie sie sich im Internet<br />
besser schützen können?<br />
Da merken wir nichts, nein das haben wir nicht festgestellt. Die, <strong>die</strong> wir bis jetzt rein genommen hatten,<br />
waren entweder so gut auf dem PC, dass wir nichts gemerkt haben oder es waren wirklich Banausen.<br />
Solche, <strong>die</strong> ihre Daten wirklich mit eindeutigen Namen kennzeichnen, wie Lolitas oder so., offensichtlich<br />
für alle sichtbar. Wir hatten bis jetzt noch keinen, der seine Sachen wirklich gut versteckt<br />
hat. Wir hatten einen, der seine Bilddateien oder Filme präparierte, dass man meinen konnte, es wären<br />
Word-Dokumente. Er hat einfach das .avi durch ein .doc ersetzt, aber von der Grösse her hat man<br />
das sofort gemerkt. Aber das war nur einmal der Fall. Einen Fall hatten wir mit einem speziellen Programm,<br />
aber er wusste selbst nicht, es zu gebrauchen. Wir hatten schon Personen, <strong>die</strong> nach dem<br />
1.4.02 nachdem der Besitz von Kinderpornografie strafbar wurde, einfach alles auf ihren Temp-Files<br />
liessen <strong>und</strong> irgendwie aufbewahren konnten.<br />
CB: Wäre das für euch hilfreich für <strong>die</strong> Ermittlung, wenn wir eine Gesetzgebung wie in<br />
Deutschland hätten, wo das „sich Besitz verschaffen“ schon reicht als Straftatbestand, das<br />
heisst dass eine Zahlung mit Kreditkarten <strong>und</strong> ein Suchen nach einschlägigen Sites schon genügt<br />
für einen Verdacht?<br />
Ja sicher. Bei den P2P-Netzwerken ist das ja nun inzwischen geklärt, dass das Bereitstellen von eigenen<br />
Dateien dann eben Verbreitung ist. Wir hatten bis jetzt noch nicht gross Fälle, <strong>die</strong> nur auf den<br />
Temp-Files Daten hatten. Wir hatten Fälle, <strong>die</strong> hatten 20'000 Dateien in den Temp-Files, aber es genügt<br />
ein Bild aktiv abgespeichert <strong>und</strong> dann hat’s ihn.<br />
CB: Wir kommt ihr eigentlich mehrheitlich an <strong>die</strong> Fälle, was ist der Auslöser?<br />
Viele Fälle von KOBIK, im Moment hauptsächlich zu P2P-Netzwerke. Dann auch bei unserer alltäglichen<br />
Arbeit. Bei jeder Hausdurchsuchung, <strong>die</strong> wir machen, beschlagnahmen wir <strong>die</strong> Computer.<br />
CB: Dann macht ihr auch Folgermittlungen? Also wenn ihr merkt, dass ist ein Newsgroups-<br />
Mitglied von illegalen Gruppen, schaut ihr auch, was für Emails er gespeichert hat?<br />
So genau nicht, nein. Wenn wir einen PC haben, dann wird <strong>die</strong> Festplatte gespiegelt <strong>und</strong> dann gehen<br />
wir mit dem Encase rein. Und wenn wir sehen, dass er Tausende von Bildern hat, dann gehen wir vertieft<br />
rein. Wir schauen dann schon, ob er Adressen gespeichert hat. Da haben wir aber wieder das<br />
Problem, dass wir für eine Abklärung der Email-Adressen wieder eine Verfügung des UR brauchen<br />
<strong>und</strong> eine Email-Abklärung beim UVEK kostet 250.- Franken. Da brauchen wir dann schon eine starke<br />
Verdachtslage, da muss dann schon mehr dran sein, dass uns der UR eine Verfügung gibt. Wir hatten<br />
nun eine zeitlang <strong>die</strong> Situation, dass wir Abklärungen wollten <strong>und</strong> es hiess, dass das nicht mehr geht
113<br />
<strong>und</strong> dass wir wegen dem Finanziellen besser hätten belegen müssen. Da muss der UR abwägen.<br />
Sonst wird er einfach auf den Art. 197 gehen.<br />
Auch für Email-Kontrollen, das wird vom UR nicht bewilligt, da muss der Verdacht extrem sein, meist<br />
reicht das nicht. Ist ja noch nicht wirklich etwas passiert.<br />
CB: Habt ihr viele Fälle, <strong>die</strong> in Newsgroups drin sind?<br />
Über den Chat-Fall (Gaynet) <strong>und</strong> über KOBIK haben wir zum Teil solche Fälle. Wir müssten mehr<br />
machen, aber da müssten wir aktiv ein Monitoring betreiben <strong>und</strong> dafür fehlen uns Zeit <strong>und</strong> Leute.<br />
Wenn wir natürlich einen hätten, der uns über sein Passwort Zugang verschafft, dann wären wir sofort<br />
dabei.<br />
Wir hatten im Jahr 1999 einen Fall, bei dem wir über denselben Provider wie nun beim Gaynet-Fall<br />
ein Verfahren hatten. Die haben in einer ersten Phase Kinderpornografie aus den Newsgroups abgezogen<br />
<strong>und</strong> haben es dann aufbereitet <strong>und</strong> als www-Dokument allen zugänglich gemacht. Damals hatte<br />
man das Wissen noch nicht, wie man einfach auf offene Newsgroups gelangt <strong>und</strong> darum funktionierte<br />
das noch recht gut. <strong>Der</strong> Fall ist immer noch hängig. Die vier, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Seite betrieben haben, sind<br />
noch nicht verurteilt. Die hatten zirka 600 User, <strong>die</strong> drin waren <strong>und</strong> ihr Material verbreitet hatten. Das<br />
sind Leute auch aus anderen Kantonen. Bei uns haben <strong>die</strong> so 1400.-CHF Busse <strong>und</strong> 700.- Verfahrenskosten.<br />
CB: Man hört, dass bei <strong>Pädosexuelle</strong>n in praktisch allen Fällen auch Kinderpornografie gef<strong>und</strong>en<br />
wird. Ist das bei euch auch so?<br />
Wir schauen schon immer. Und bei vielen Fällen finden wir auch Kinderpornografie, aber viel auch im<br />
Grenzbereich, so Hamilton-Zeugs <strong>und</strong> Sachen, <strong>die</strong> nicht eindeutig strafrechtlich relevant sind.<br />
CB: Ist denn strafrechtlich nicht-relevantes Material für euch doch auch ein Ermittlungsansatz?<br />
Wie auch bei Arcados, <strong>die</strong> sich ja nicht strafbar machen, aber da sind doch <strong>die</strong> Vermutungen<br />
schon da, dass dahinter was läuft?<br />
Vermutungen haben wir schon. Zum Beispiel der Chat vom Sorgen Jungsforum, bei dem schon im offenen<br />
Bereich Tipps ausgetauscht werden. Da kann man schon davon ausgehen, dass sie regelmässig<br />
Kontakt haben <strong>und</strong> dass da mehr läuft. In den geschlossenen Bereich können wir natürlich nicht.<br />
Auch über angebotene Selbsthilfegruppen wird Einiges laufen, aber wir können nichts machen.<br />
Wir denken, dass da einiges abläuft, das an der Polizei vorbei geht, da haben wir keine Ahnung davon.<br />
Da müssten wir an <strong>und</strong> für sich Leute speziell dafür abbestellen <strong>und</strong> wir müssten ein aktives Monitoring<br />
betreiben. Das müsste aber auch gesetzlich getragen sein. Die verdeckte Ermittlung ist schon<br />
in Ordnung, aber wir können nichts anbieten. Und auch bei den Chats, wenn wir uns als Minderjährige<br />
ausgeben, dann muss der UR beim Präsidenten der Anklagekammer einen Antrag stellen <strong>und</strong> der<br />
wird dann meist personell für einen Monat oder höchstens zwei bewilligt <strong>und</strong> alle Erkenntnisse müssen<br />
sofort dem UR gemeldet werden. Das ist sehr restriktiv das alles. Aber bei den Gruppen geht das<br />
nicht, weil da muss man was anbieten. Da muss man 50 Bilder anbieten, dass man 5 bekommt <strong>und</strong><br />
dann heisst es, das sei alte Ware. Wir kommen in Bereiche, von KOBIK her, wenn wir <strong>die</strong> Personen<br />
haben, dann können wir ermitteln.<br />
CB: Und Anzeigen zu sexuellem Missbrauch?<br />
Ja, wir haben Anzeigen z.B. von Opferhilfestellen, vom Spital oder von Sozialzentren. Das sind dann<br />
meist Täter aus dem sozialen Nahraum.<br />
CB: Und <strong>die</strong> Fremden, wie kommt man an <strong>die</strong>?<br />
Ja, <strong>die</strong> haben wir auch, so aus den Hallenbäder oder von Spielplätzen. Die werden dann frühmorgens<br />
angegangen <strong>und</strong> denen nehmen wir den PC auch mit.<br />
CB: Habt ihr viele aus <strong>die</strong>ser Kategorie?<br />
Das ist schwer zu sagen. Es tauchen halt auch immer wieder <strong>die</strong>selben auf. Wir haben aber schon<br />
genug, von den Anzeigen her, gerade z.B. <strong>die</strong> Exhibitionisten vor Kinder, aber <strong>die</strong> erwischen wir meist<br />
nicht. Die jagen wir, weil wir Beschreibungen haben oder Infos zum Modus Operandi. Da arbeiten wir<br />
auch eng mit der Kantonspolizei Zürich zusammen oder mit dem Thurgau. Aber eben, beim sexuellen<br />
Missbrauch innerhalb der Familien, da haben wir weniger Fälle, weil das selten angezeigt wird. Oder<br />
wir haben <strong>die</strong> Anzeigen <strong>und</strong> auch noch eine Videobefragung, aber dann ist häufig fertig. Weil das Kind<br />
nichts mehr sagt oder weil der Beistand sagt, dass <strong>die</strong> Aussagen nichts zählen.
114<br />
CB: Also bei der Situation Aussage gegen Aussage ist es meist zu Gunsten der Täter?<br />
Nein, also wenn das Kind aussagt, dann geht meist auch was. Aber wir haben das Problem bei innerfamiliären<br />
Fällen, dass <strong>die</strong> Mutter auch irgendwie dabei ist <strong>und</strong> dann wird dem Kind ein Prozessbeistand<br />
gestellt, der <strong>die</strong> Kindesinteressen wahrnimmt. Und in den Fällen mit dem Prozessbeistand haben<br />
wir in vielen Fällen gesehen, dass das Kind nach dem Kontakt mit dem Prozessbeistand nicht<br />
mehr gegen den Täter aussagt, dann wird vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht <strong>und</strong><br />
das Kind sagt nichts mehr. Man sagt, das sei besser für das Kind, wenn es wieder in <strong>die</strong> Familie zurückgeht,<br />
als dass es einen Prozess durchmachen muss. Dann ist der Fall für uns gestorben. Und das<br />
Störende ist, dass <strong>die</strong>s von einer Person abhängig ist.<br />
CB: Was haben denn <strong>die</strong> Personen für ein Interesse daran, das Kind in <strong>die</strong> Familie zurück zu<br />
schicken?<br />
Sie sagen, dass sie im Interesse des Kindes handeln. Sie wollen das familiäre Netz nicht zerstören.<br />
Es ist schlimmer, einen Missbrauch zu erleben, als <strong>die</strong> Familie zu zerstören. Sie sagen natürlich, dass<br />
auch wenn das Kind für eine gewisse Zeit herausgenommen werden kann, es dann früher oder später<br />
doch wieder in <strong>die</strong> Familie muss. Sie sagen, <strong>die</strong> Kinder müssen sonst Repressionen erleiden oder der<br />
Vater muss ins Gefängnis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie ist kaputt. Das ist für uns der Horror, wir wissen, dass wir<br />
das Kind in <strong>die</strong> Hölle zurück schicken müssen. Wir können uns noch so sicher sein, wenn das Kind<br />
nichts sagt, können wir nichts machen.<br />
CB: Ist denn das üblich oder ist das da eine spezielle Person auf <strong>die</strong>sem Posten?<br />
Die Rechtsabteilung auf den Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörden muss das entscheiden. Das wäre für uns interessant<br />
zu wissen, wie das in anderen Kantonen abläuft. Da müsste man mal in den anderen Gemeinden<br />
schauen.<br />
CB: Gibt es da keine Beschwerdestelle oder jemand, der das mal von aussen anschauen könnte?<br />
Wir haben gehört, dass man bei einer übergeordneten Stelle eine Aufsichtsbeschwerde machen kann<br />
oder versuchen, auf einem anderen Weg einen Prozessbeistand zu finden. Z.B. über einen Opferanwalt.<br />
Aber wenn <strong>die</strong> Untersuchungsbehörden einen Prozessbeistand stellen, dann bestellen sie ihn<br />
immer an derselben Stelle.<br />
CB: Kann ich nochmals auf <strong>die</strong> Eingangsfrage zurückkommen. Was habt ihr für Eindrücke in<br />
Bezug auf <strong>die</strong> pädosexuelle Täterschaft. Zeichnen <strong>die</strong> sich durch irgendetwas aus?<br />
Wir hatten gerade in letzter Zeit der Fall des Coiffeurs. Er ist nicht der Intelligenteste, der in der Badi<br />
unter Wasser kleine Jungs oral befriedigte <strong>und</strong> behauptete, <strong>die</strong> Kleinen hätten das von ihm verlangt<br />
<strong>und</strong> er hätte ihnen nur einen Gefallen getan. <strong>Der</strong> ist völlig uneinsichtig. <strong>Der</strong> Bademeister hat ihn da an<br />
den Ohren aus dem Wasser gezogen. Diesen Typ sehen wir ab <strong>und</strong> zu, <strong>die</strong> sind recht dumm uneinsichtig.<br />
CB: Habt ihr das Gefühl, das sei eine negative Auswahl, dass vor allem <strong>die</strong> Dummen von der<br />
<strong>Strafverfolgung</strong> entdeckt werden?<br />
Es gibt schon verschiedene Typen. Es gibt <strong>die</strong> Ungepflegten, „Verdruckten“, meist auch sehr abstossend,<br />
vernachlässigt <strong>und</strong> ungepflegt. Einer, der schon vor 10 Jahren wegen sexuellen Handlungen<br />
mit Kindern verurteilt wurde, hat über Migros <strong>und</strong> Coop Inserate aufgehängt, dass er Jungs für Kopierarbeiten<br />
suchen würde. Die Jungs fanden aber fast alle - wir hatten einige von denen hier- der sei<br />
gar nicht so schlimm. Auch <strong>die</strong> Eltern fanden den meist nett. Das sei ein Lässiger, ein Netter, aber als<br />
wir den sahen, das war wirklich widerlich. Er hat auch noch Nachhilfe gegeben, gratis, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wohnung<br />
sah wirklich aus wie er. Wir konnten nicht verstehen, dass <strong>die</strong> Eltern <strong>die</strong>ser Person ihre Kinder<br />
in <strong>die</strong>se Wohnung anvertrauten. Nur eine Mutter hat <strong>die</strong> Wohnung gesehen <strong>und</strong> hat ihr Kind grad wieder<br />
mitgenommen. Man muss dazu schon noch sagen, dass bis auf eines alle Kinder Ausländerkinder<br />
waren. Er hat dann mit den Kindern ein „Königsspiel“, ein Kartenspiel gemacht, das ging so: wenn der<br />
Junge gewonnen hat, hat das Kind 5 Franken bekommen <strong>und</strong> wenn er gewonnen hat, durfte er sich<br />
was wünschen, so ausziehen <strong>und</strong> anfassen. Die Übergriffe gingen recht weit, <strong>die</strong> sind dann auch im<br />
Bett gelandet <strong>und</strong> haben einander betatscht. Zudem hatte er eine Holzkiste in Kindergrösse gebastelt<br />
mit Ösen zum Fesseln daran <strong>und</strong> er hatte auch Peitschen <strong>und</strong> so weiter. Für uns ist das ein ganz Gefährlicher<br />
<strong>und</strong> den hat man über Jahre therapiert. Bei der Hausdurchsuchung hatten wir auch <strong>die</strong> ganzen<br />
Unterlagen von seiner früheren Festnahme gef<strong>und</strong>en. Alle Unterlagen vom Gericht <strong>und</strong> vom Therapeuten<br />
<strong>und</strong> darin stand, dass er untherapierbar wäre. Er war aber normal intelligent, der hat sogar<br />
an der Uni stu<strong>die</strong>rt. Er hatte auch einen Fre<strong>und</strong>eskreis <strong>und</strong> hatte mal ein Stipendium von irgendeinem
115<br />
Fonds bekommen. Er kannte recht viele Leute. Aber er hatte nie auf seinem Beruf gearbeitet, er hat<br />
am Morgen <strong>die</strong> Zeitungen ausgetragen <strong>und</strong> sonst sein Leben auf <strong>die</strong> Kinder ausgerichtet.<br />
CB: Ist das nun ein Ausnahmefall, das dünkt mich nun sehr exotisch.<br />
Wir denken, dass es von denen noch viele gibt, es ist aber eben schwieriger, an <strong>die</strong> ran zu kommen.<br />
CB: Meint ihr, dass es eine Art Oberschichtspädophilie gibt?<br />
Ja sicher, aber <strong>die</strong> sind raffinierter, an <strong>die</strong> kommen wir schlecht. Es wäre unser Ziel, dass wir mal an<br />
einen Pädoring rankommen. Aber das ist sehr schwierig, das wäre eher ein Zufallstreffer. Wir glauben<br />
auch, dass das nicht unbedingt richtige Pädos sind, sondern solche, <strong>die</strong> das Kickmässige, Dekadente<br />
suchen <strong>die</strong> sich mal was „Besonderes“ leisten.<br />
CB: Ich habe gehört, dass ganze Cars voll Minderjährige aus dem Osten in <strong>die</strong> Schweiz geführt<br />
werden <strong>und</strong> <strong>die</strong> dann von Angehörigen eher der Oberschicht abwechselnd für Parties oder für<br />
den „Eigengebrauch“ eine Woche missbraucht werden <strong>und</strong> dann wieder in den Osten abtransportiert<br />
werden.<br />
Wir sind sicher, dass es das gibt, in Zürich <strong>und</strong> in der Schweiz sonstwo. Aber eben, wie kommen wir<br />
an <strong>die</strong> Ringe ran? Einzelfälle hatten wir durchaus, Ärzte, Pfarrer, Lehrer, aber der Ring ist in einer anderen<br />
Sphäre. Wenn wir nicht verdeckt arbeiten können, wenn wir das Equipment nicht haben, dann<br />
ist das aussichtslos. Wir hatten mal so einen Musiklehrer, der war extrem.<br />
Die sind dann zum Teil sehr fies <strong>und</strong> machen völlig abartige Sachen. Wir hatten bei einem Videos sichergestellt,<br />
<strong>die</strong> er von sich selbst aufgenommen hat. Da hat er mit seinen Fäkalien da eine Show abgezogen,<br />
das drehte einem den Magen.<br />
CB: Wie seht ihr das mit den Opfern, teilt ihr <strong>die</strong> Meinung, dass vor allem vernachlässigte Kinder<br />
Opfer werden, das <strong>die</strong> gezielt gesucht werden?<br />
In Zürich sind schon <strong>die</strong> Albaner-Kinder auffällig häufig in Verfahren involviert, <strong>die</strong> entweder miteinander<br />
umherziehen oder bereits in den Asylantenheimen angegangen werden. Die machen viel für Geld.<br />
Es sind schon viele Ausländerkinder, <strong>die</strong> nicht betreut sind, <strong>die</strong> alleine auf sich gestellt sind <strong>und</strong> mit<br />
den Kollegen umherziehen. Die haben Sex als Geldquelle entdeckt. Wenn wir sie aufgreifen ist das<br />
schlimm für sie, weil wir das auch den Eltern sagen müssen.<br />
Die andere Kategorie sind <strong>die</strong> neugierigen Kinder oder Jugendlichen. Das haben wie schon einige<br />
Male gesehen. Die gehen dann ins Internet, auf eine Gayseite <strong>und</strong> posten was aufs Anschlagbrett mit<br />
der Mitteilung, dass sie interessiert sind an Boysex <strong>und</strong> wer sie da einführen könne. Dann kommt es<br />
zu einem Treffen. Einmal haben <strong>die</strong> vorher einander Faxe geschickt um ein Treffen zu vereinbaren.<br />
<strong>Der</strong> Typ kam dann extra von Zug hier nach Zürich <strong>und</strong> <strong>die</strong> haben sich bei einem Schulhaus getroffen,<br />
<strong>die</strong> Eltern waren Abwart, <strong>und</strong> da ist es dann zu sexuellen Handlungen gekommen. Eben, das Motiv ist<br />
Geld, Neugier <strong>und</strong> Langeweile.<br />
CB: Es handelt sich da aber um Jungs in der Pubertät?<br />
Ja, <strong>die</strong> sind so 14 oder 15. Die Täter sind dann nicht unbedingt <strong>Pädosexuelle</strong>. Das sind oft Homosexuelle<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> suchen junge Männer, es ist ihnen aber egal, wie jung <strong>die</strong> sind. Die würden dann auch<br />
ältere Männer nehmen. Bei unserem Gaynet-Verfahren, das ist quasi ein Tummelplatz für Homosexuelle,<br />
<strong>die</strong> sich treffen wollen, es geht nur ums Sexuelle. Einige sagen klar, dass sie keine Männer unter<br />
16 suchen <strong>und</strong> wenn das so ist, ist das auch kein Problem. Es hat da auch keine, <strong>die</strong> nur auf Kinder<br />
stehen.<br />
CB: Und das mit den Albaner, ist das so weil es in Zürich viele Albaner hat? Wir wissen, dass<br />
Kinder von Eltern aus Krisengebieten häufiger als Kind missbraucht worden sind. Könnt ihr<br />
euch vorstellen, dass das gerade bei den Albaner-Kindern eine Rolle spielen könnte, das <strong>die</strong><br />
quasi schon vorgespurt worden sind?<br />
Das kann schon sein, das ist von der Mentalität her schon was anderes. Zu den Gründen können wir<br />
nicht viel sagen. Aber sicher ist, dass wir kaum Schweizer Jungs darunter haben. Wenn es sich um<br />
Schweizer handelt, fallen <strong>die</strong> meist schnell mal um, <strong>die</strong> vertrauen sich dann den Eltern oder anderen<br />
Bezugspersonen an. Die Albaner erzählen nichts. Die Albaner-Jungs sind aber auch <strong>die</strong>, <strong>die</strong> an den<br />
Schulen Mädchen missbrauchen. Da hatten wir schon einige Fälle. Da hatten wir einen Fall von 12<br />
Albaner-Jungs, <strong>die</strong> haben in der Schule drei Mädchen sexuell genötigt. Es sind aber nicht nur <strong>die</strong><br />
Jungs, es sind auch <strong>die</strong> Mädchen. Die haben eine extreme Haltung gegenüber Sexualität. Die Mädchen,<br />
so 13 Jahre alt, haben abwechslungsweise mit verschiedenen Jungs hintereinander Oralsex
116<br />
gemacht, von sich aus. Aufgefallen ist es, weil ein anderer Junge das auch wollte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mädchen<br />
wollten nicht <strong>und</strong> dann kam <strong>die</strong> Sache ins Rollen. Das hat todsicher auch mit den Me<strong>die</strong>n zu tun. Und<br />
das war kein Einzelfall in der Art. Das ist abartig. Auf dem Land ist das schon weniger.<br />
CB: Ist das auch ein Unterschichtsphänomen oder ist das allgemein ein Trend?<br />
Schon auch eher Unterschicht oder in speziellen Schulhäusern <strong>und</strong> Quartieren. Halt in den Oberstufenschulklassen,<br />
meist auch Schüler ohne Perspektive nach der Schule. Aber es ist schon so, wenn<br />
wieder ein Fall einer Vergewaltigung im Schulhaus vorkommt, dann gibt es ein grosses Geschrei,<br />
aber wenn man dann befragt, dann merkt man, dass das eine ganze solche Kultur ist <strong>und</strong> so etwas<br />
auffliegt, weil eben einer oder eine nicht das bekam, was er oder sie wollte.<br />
CB: Wieder zurück zu den <strong>Pädosexuelle</strong>n. Denkt ihr es ist eine andere Art Täterschaft zwischen<br />
denen, <strong>die</strong> auf Pubertierende steht <strong>und</strong> denen, <strong>die</strong> jüngere Kinder suchen.<br />
Wir sehen weniger solche, <strong>die</strong> kleine Kinder suchen. Wir haben schon mehr Fälle, bei denen es um<br />
Jugendliche geht. Da haben wir halt auch junge Mädchen, <strong>die</strong> sich für Geld prostituieren, nicht immer<br />
<strong>und</strong> nicht extrem, aber <strong>die</strong> haben ihre Männer, <strong>die</strong> sie kennen <strong>und</strong> für ein T-Shirt rufen <strong>die</strong> einen an<br />
<strong>und</strong> erlauben ihm, sie ein wenig anzufassen. In dem Fall waren wir lange dran. Das begann mit einer<br />
Anmache von jungen Mädchen als Modefotograf, das klappt immer noch sehr gut. Aber in einem Fall<br />
haben sich der Mann <strong>und</strong> das junge Mädchen einem Solarium getroffen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Handlungen da gingen<br />
schon sehr weit. <strong>Der</strong> war in Zürich ein Chefbeamter, der wurde dann versetzt.<br />
CB: Aber bei den Exhibitionisten hat es doch Fälle von solchen, <strong>die</strong> sich speziell vor kleinen<br />
Kinder entblössen.<br />
Es gibt schon solche Fälle, von denen wir hören. Aber wir haben nicht so typische Personen im Kopf.<br />
Das ist im Einzelfall speziell. Aber bei den <strong>Pädosexuelle</strong>n finden wir schon typische Sachen, wie gesagt.<br />
Es sind übrigens oft „Messies“, <strong>die</strong> extrem sammeln <strong>und</strong> <strong>die</strong> Wohnung mit irgendwelchen Sachen<br />
voll gestopft haben. Häufig finden wir auch Sammler von Modellen wie Flugzeuge, Autos, Eisenbahnen,<br />
alles so auf Rädern, was Buben eben auch mögen. Viele sind wie gesagt sehr ungepflegt.<br />
Das hören wir auch von Opfern, dass sie sagen, dass der Täter stinke. Das sind schon Hinweise,<br />
dass sie sozial verwahrlost sind. Solche, <strong>die</strong> nie Gutes erfahren haben <strong>und</strong> Kinder sind <strong>die</strong> einzigen<br />
Ansprechpartner für sie, <strong>die</strong> komman<strong>die</strong>ren <strong>die</strong> nicht rum, da schaut jemand zu ihnen auf, manchmal<br />
suchen <strong>die</strong> gar nicht Kinder als Sexualpartner weil sie das so wollen, sondern weil sie bei den Erwachsenen<br />
draussen sind.<br />
CB: Ist das bei den Kinderpornografie-Konsumenten auch so? Wir haben da eher den Mittelstand<br />
bei den Genesis-Leuten.<br />
Wir haben schon auch sozial ausgegrenzte, <strong>die</strong> sich am Computer dann ausleben. Einer zum Beispiel,<br />
der wurde am Chat süchtig <strong>und</strong> suchte nach Mädchen, <strong>die</strong> Sex mit ihm wollen. Er behauptete<br />
dann schon, dass er nur schauen wolle, ob es das gäbe, aber das sagen alle. Er meinte aber, das sei<br />
nur der Reiz des Verbotenen <strong>und</strong> er suche eigentlich nicht Kinder oder Jugendliche als Sexualpartner.<br />
Wir denken schon, dass <strong>die</strong>, <strong>die</strong> den Schritt am Chat machen <strong>und</strong> dann zu einem Treffen übergehen<br />
wollen, dass <strong>die</strong> schon sehr gefährdet sind, weiter zu gehen, wenn sich <strong>die</strong> Gelegenheit ergibt. Das<br />
war auch im Gaynet-Verfahren so, <strong>die</strong> haben alle gesagt, sie wollen nur schauen, ob da wirklich ein<br />
Junge komme <strong>und</strong> sie hätten nichts gemacht, aber bei den Befragungen ist dann bei einigen schon<br />
herausgekommen, dass bereits in der Vergangenheit etwas passiert ist.<br />
Vor Gericht wird das sogar als untauglicher Versuch von sexuellen Kontakten mit Minderjährigen betrachtet,<br />
<strong>die</strong> bekommen nicht einmal eine bedingte Strafe. Viele hatten zumindest noch Pornografie zu<br />
Hause. Aber bei einem konnten wir sexuelle Handlungen in der Vergangenheit beweisen <strong>und</strong> er bekam<br />
drei Monate bedingt.<br />
CB: Wenn wir gerade bei der Gerichtspraxis sind, meint ihr, dass <strong>die</strong> Gesetzesgr<strong>und</strong>lage bei<br />
den Delikten, mit denen ihr es zu tun habt, ungenügend ist?<br />
Nein, das Gesetz wäre schon gut, aber es wird nicht ausgeschöpft. Die härtere Bestrafung wäre auch<br />
eine Art Prävention. Nicht nur bei der Kinderpornografie, sondern auch bei den anderen Delikten gegen<br />
Kinder. Zum Teil ist es wirklich lächerlich, <strong>die</strong> bekommen nicht mal bedingte Freiheitsstrafen. Und<br />
Bussen, das nützt doch nichts. Bei den sexuellen Handlungen mit Kindern, das ist wirklich frustrierend,<br />
wenn man sieht, was <strong>die</strong> bekommen. Häufig bedingte Strafen, auch bei Wiederholungstätern.<br />
Auch das B<strong>und</strong>esgerichtsurteil, das da eine mildere Strafe gab, weil der Junge angeblich mitmachte<br />
<strong>und</strong> Lust empfand. Da kann man doch das Gesetz grad abschaffen <strong>und</strong> sagen, es sei nur strafbar,
117<br />
wenn <strong>die</strong> Kinder nicht wollen. Wir wissen doch, wie das geht <strong>und</strong> dass da oft ein Vertrauensverhältnis<br />
aufgebaut wird.<br />
Man müsste <strong>die</strong> Justizebene da sensibilisieren, <strong>die</strong> wissen meist gar nicht, worum es geht. Wir haben<br />
Befragungen von Kindern auf Video, aber der Richter will nur das Befragungsprotokoll, weil das<br />
schneller geht <strong>und</strong> da bekommt man keinen Eindruck. Die nehmen sich <strong>die</strong> Zeit nicht. Wie bei dem<br />
Film heute morgen beim Vortrag von Herrn Urbaniok, das geht doch extrem unter <strong>die</strong> Haut. Aber <strong>die</strong><br />
Richter sehen das nie.<br />
Wir haben mal beim Sozialamt eine Präsentation gemacht mit ein paar Bildern drin, nicht mal das<br />
Schlimmste, aber das ist denen extrem eingefahren.<br />
CB: Ihr würdet also nicht ein höheres Strafmass fordern wollen?<br />
Höher ist sicher besser, aber <strong>die</strong> sollen doch einfach mal den Rahmen nutzen, den sie zur Verfügung<br />
haben. <strong>Der</strong> letzte da, neunfache sexuelle Handlungen mit einem Minderjährigen, der hat drei Monate<br />
bedingt auf drei Jahre gekriegt. Als wir da nachdoppelten, meinten sie, dass normalerweise drei Monate<br />
bedingt auf 2 Jahre gegeben würde <strong>und</strong> das wäre in dem Sinne schon sehr streng. <strong>Der</strong> Typ, der<br />
sein Notebook zur Reparatur gebracht hatte <strong>und</strong> bei dem sie Kinderpornografie entdeckten – weil wir<br />
sensibilisieren <strong>die</strong>se Geschäfte <strong>und</strong> sagen denen, dass sie uns das melden sollen- wir haben das Notebook<br />
dann, bevor es der Besitzer holte, angeschaut <strong>und</strong> gespiegelt <strong>und</strong> hatten <strong>die</strong> Adresse. Es war<br />
eine bekannte Lokalgrösse am Regionalfernsehen. Er hatte massenhaft Ware <strong>und</strong> der hat vier Monate<br />
auf 2 Jahre bedingt bekommen wegen Besitz von Kinderpornografie.<br />
Es gibt aber schon unterschiedliche Bezirksanwälte <strong>und</strong> wenn sie einstellen oder dem nicht weiter<br />
nachgehen, dann hat das meist damit zu tun, dass sie dem nicht so viel gewicht geben oder keine<br />
Ressourcen haben. Immer kommt, sogar bei 8-Jährigen, dass das Kind einverstanden gewesen wäre.<br />
Warum haben wir denn das StGB? Man kann alles immer weiter verwässern, bis man ganz aufhören<br />
kann. Und auch wenn Urbaniok meint, dass es nicht immer schädigend für das Kind ist, das ist uns<br />
auch klar, aber dennoch haben wir eine Gesetzgebung <strong>und</strong> <strong>die</strong> muss man durchsetzten. Wenn nun<br />
einer über einen Chat einen 13-Jährigen abschleppt <strong>und</strong> wenn er dann dafür drei Jahre Kiste riskiert,<br />
dann wirkt das schon anders <strong>und</strong> er überlegt sich das schon noch mal. Das würde Wirkung in der Gesellschaft<br />
signalisieren. Und einige davon würden sicher den Schritt nicht wagen.<br />
Wir denken auch, dass <strong>die</strong> Bevölkerung das gar nicht weiss, wie billig <strong>die</strong> davon kommen.<br />
CB: Was meint ihr zu Therapie oder sonstigen Massnahmen? Denkt ihr, dass das was nützt?<br />
Wenn wir hören, dass ein schwerer Fall, der 30 Monate Gefängnis bekam <strong>und</strong> <strong>die</strong> Strafe zugunsten<br />
einer ambulanten Therapie aufgehoben wurde, <strong>und</strong> man nachher sieht, dass es wirklich nichts gebracht<br />
hat <strong>und</strong> dass <strong>die</strong> Person gar nicht therapierbar ist, dann gibt das schon zu denken. Richtiger<br />
wäre, wenn er <strong>die</strong> Strafe absitzen müsste <strong>und</strong> dann zusätzlich eine Therapie bekäme. Haftbegleitend<br />
muss das ablaufen. Zudem haben <strong>die</strong> zum Teil Auflagen, wie kein Kontakt zu Kindern oder kein Zugang<br />
zu Computern, aber das kontrolliert gar niemand. Auch ob er in eine Therapie geht, wird nicht<br />
mal kontrolliert.<br />
CB: Habt ihr sonst noch Ideen für eine wirksame Prävention?<br />
Ja, wir denken, man müsste flächendeckend in den Schulen <strong>und</strong> zwar schon in den Primarschulen informieren<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Kinder zum Thema sexuelle Übergriffe sensibilisieren. Die müssen lernen, nein zu<br />
sagen <strong>und</strong> sie müssen informiert werden, was ihnen passieren kann, eben auch längerfristig. Wir denken,<br />
dass das sehr wirksam wäre. Also in Zürich läuft da kaum etwas. Auch zu den Gefahren auf dem<br />
Internet. Wir denken, dass würde obligatorisch zum Schulstoff gehören, das braucht nicht mehr als 2<br />
St<strong>und</strong>en.<br />
Zudem müsste man bei allen involvierten Stellen eine verantwortliche Stelle bezeichnen können. Da<br />
weiss zum Teil <strong>die</strong> eine Hand nicht, was <strong>die</strong> andere macht. Eine Stelle muss <strong>die</strong> Übersicht haben <strong>und</strong><br />
jemand muss <strong>die</strong> Verantwortung haben. Wie auch <strong>die</strong> Geschichte mit dem Prozessbeistand.<br />
Wir hatten einmal einen Jungen von 9 oder 10 Jahren hier, der war schon völlig kaputt. Nicht mehr<br />
ansprechbar. Seit seinem 6. Altersjahr ging das, <strong>die</strong> erste Meldung kam vom Hort, <strong>die</strong> 2. vom Kindergarten,<br />
<strong>die</strong> 3. von der Primarschullehrerin <strong>und</strong> <strong>die</strong> 4. von der Sozialarbeiterin, aber der nächste Lehrer<br />
hat dann erst Anzeige erstattet. <strong>Der</strong> Junge war so schlimm schon zugerichtet, dass man nicht mehr<br />
mit ihm reden konnte. Da hat <strong>die</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde wenigstens gesagt, dass der nicht mehr<br />
zum Vater dürfe, der ihn so extrem missbrauchte. Sie sagten zwar, dass der Junge dann in ein Heim<br />
müsse, aber der Vater hat sich aufgelehnt gegen den Entscheid <strong>und</strong> nachher sind sie nach Südamerika<br />
abgehauen.
118<br />
CB: Habt ihr auch zu tun mit Kindersex-Touristen?<br />
Wir haben Kenntnis, aber keine Fälle. Wir hatten keine Rechtshilfe-Fälle aus den kritischen Ländern.<br />
Wir beobachten aber einige <strong>Pädosexuelle</strong>n <strong>und</strong> <strong>die</strong> gehen regelmässig nach Thailand oder auf <strong>die</strong><br />
Philippinen. Das wissen wir von Überwachungen.<br />
Noch zu den NGOs, da wissen wir auch, dass es da auch einige schwarze Schafe gibt. Auch bei Kinderschutzorganisationen,<br />
<strong>die</strong> in der Schweiz tätig sind. Wir haben da Vorkenntnisse. Auch <strong>die</strong> Website<br />
der Pädophilen in der Schweiz, <strong>die</strong> ITP Arcados, <strong>die</strong> haben wir im Auge. Die ist auch in den Chats<br />
drin. Aber eben, strafrechtlich kann man nichts machen, aber man muss dran bleiben <strong>und</strong> vielleicht<br />
kann man dann irgendwann mal den Hebel ansetzten.<br />
Ansätze hätten wir viel, aber wir haben keine Ressourcen, um da lange dran zu bleiben <strong>und</strong> das nötige<br />
zu machen.<br />
CB: Ich danke euch allen, dass ihr euch so viel Zeit genommen habt, das Gespräch war sehr<br />
interessant für mich!
119<br />
5. Interview mit Repräsentantinnen der Kantonspolizei <strong>Bern</strong><br />
Funktion:<br />
Interview-Partnerinnen: Frau Irène Pellet, Regionalfahndung der Kapo <strong>Bern</strong>, Spezialistin im Bereich<br />
Delikte gegen Kinder <strong>und</strong> Frau Ursula Hirschi, Chefin Kommissariat Leib <strong>und</strong> Leben der Kapo <strong>Bern</strong>.<br />
Das Interview fand am 13.05.2004 in Räumlichkeiten der Kantonspolizei <strong>Bern</strong> statt <strong>und</strong> dauerte zirka<br />
zwei St<strong>und</strong>en (Teile des Gesprächs handelten auch um andere, in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nicht relevanten<br />
Themen).<br />
CB: Ich würde gerne von euren Erfahrungen profitieren. Beginnen wir doch mit den Typen.<br />
Sehr ihr in eurer Arbeit auch unterschiedliche Tätergruppierungen <strong>und</strong> wenn ja, wodurch unterscheiden<br />
<strong>die</strong> sich?<br />
Ich habe ein Buch gef<strong>und</strong>en, dass differenziert Typen beschreibt <strong>und</strong> wir finden das in unserer Arbeit<br />
auch in der Art. Er (Jungjohann) unterscheidet Kernpädophilie, infantile Pädophilie, senile Pädophilie<br />
<strong>und</strong> Pädophilie im Beruf, also der Pädagoge, der das auch teilweise sublimieren kann, aber manchmal<br />
halt auch nicht. Und ich sehe das auch so, in <strong>die</strong>sem Bereich gibt es relativ Viele.<br />
<strong>Der</strong> Kernpädophile ist einfach der, der nur mit Kindern als Geschlechtspartner etwas anfangen kann.<br />
Und <strong>die</strong> kennen wir auch, <strong>die</strong> gibt es. Wir erkennen <strong>die</strong>, weil sich jemand meldet, seien <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Betroffenen<br />
selber oder es kommt z.B. von KOBIK eine Meldung. Meldungen können durchaus auch aus<br />
dem sozialen Nahraum kommen, <strong>die</strong> suchen sich nicht nur fremde Kinder, er kann sich durchaus<br />
auch Kinder aus seinem Umfeld suchen. Sie suchen ja oft erst das Vertrauen der Mutter oder der Eltern.<br />
Er kann auch als Kinderpornografie-Konsument in Erscheinung treten, das muss aber nicht sein Wir<br />
haben auch schon festgestellt, dass <strong>die</strong> gar nichts Belastendes auf ihrem Computer haben. Wir denken,<br />
das ist auch eine Vorsichtsmassnahme, weil <strong>die</strong> denken, dass evt. der Vater des Kindes schauen<br />
kommen will, was <strong>die</strong> da zusammen am Computer spielen.<br />
CB: Ich kann mir auch vorstellen, dass <strong>die</strong> wirklich nicht auf Pornografie stehen zum Teil.<br />
Ja, das hat man früher gemeint, da dachte man, das sei alles einfacher strukturiert, da meinte man<br />
auch, dass ein Exhibitionist kein Vergewaltiger sei, aber heute weiss man, dass sich <strong>die</strong>se Formen<br />
vermischen. Es gibt keine klaren Grenzen mehr.<br />
CB: Wie ist denn ihre Erfahrung mit den Kernpädophilien, gehen <strong>die</strong> bis zur Vergewaltigung<br />
von Kindern oder liegt es eher im Bereich von sexueller Nötigung, wie man das an manchen<br />
Orten liest?<br />
Da findet man alles, <strong>die</strong> ganze Bandbreite. Uns fällt auf, dass <strong>die</strong> ein irrsinniges Gespür für Kinder haben,<br />
<strong>die</strong> wissen wirklich, was Kinder wollen <strong>und</strong> können sich da richtig einfühlen. Die sind aber nicht<br />
unbedingt in <strong>die</strong>sen pädagogischen Berufen, dass ist dann eher der andere Typus, der Pädagoge.<br />
Die in den typischen Berufen scheinen uns eher <strong>die</strong> Intellektuelleren zu sein. <strong>Der</strong> Kernpädophile ist<br />
nicht unbedingt sehr intelligent. Aber auch nicht der infantile Typus, wie er im Buch unterschieden<br />
wird, sondern einfach ein Handwerker, oder einer mit einem normalen, durchschnittlichen Beruf. Es<br />
gibt schon auch so ganz Einfache, <strong>die</strong> wie Kinder wirken. Ich denke da an einen, der fuhr immer mit<br />
einem Töffli rum mit Anhänger <strong>und</strong> hat immer Kinder rumgefahren. <strong>Der</strong> war sehr typisch, der konnte<br />
mit einer Frau gar nicht kommunizieren, der hatte da gar keinen Bezug. Wir wissen aber nicht, ob es<br />
so ist, weil er nicht an Frauen herankommt oder weil <strong>die</strong> Anziehung für Kinder stärker ist.<br />
Bei Kernpädophilen kippt es dann relativ schnell zum infantilen Typus, der dann wirklich zurückgeblieben<br />
ist. Das würde nie gehen mit einer erwachsenen Frau. Die können mit Erwachsenen keine<br />
Beziehung eingehen. Aber dennoch haben sie halt Körper von Erwachsenen.<br />
CB: Fällt euch bei Hausdurchsuchungen auf, dass sie z.B. auch ihre Wohnung kindlicher eingerichtet<br />
haben, dass Kinderspielsachen oder so vorhanden ist oder fällt euch sonst etwas<br />
auf?<br />
Ja, ich hatte mal einen, aber so durchgehend fällt da nichts auf. Meist haben sie was, das Kinder fasziniert,<br />
dann aber eher um den Kindern Eindruck zu machen. <strong>Der</strong> eine hatte zum Beispiel eine Videokamera,<br />
als das noch neu war. Oder Computerspiele. Das ist sehr beliebt bei den Kindern.
120<br />
CB: Wie ist es bei den Opfern, teilt ihr <strong>die</strong> Meinung, dass eher emotional oder sonst vernachlässigte<br />
Kinder von Kernpädophilen gesucht werden, weil es da einfacher ist?<br />
Erste Interviewpartnerin: Nein, das fällt uns nicht auf, <strong>die</strong> haben einfach ein Gespür für Kinder, egal<br />
woher. Ich denke auch nicht, dass Kinder mit emotionalem Vakuum gefährdeter sind. Die Aussage ist<br />
halt auch heikel, weil wir damit den Eltern oder Mütter zusätzlich Schuld aufladen. Wir sagen schon,<br />
dass jedes Kind aus jeder sozialen Schicht Opfer werden kann.<br />
Zweite Interviewpartnerin: Es ist schon möglich, dass Kinder von Eltern, <strong>die</strong> sich nicht so um ihre Kinder<br />
kümmern können, weil sie arbeiten müssen, eher Opfer werden, weil sie eben einfachere Opfer<br />
sind, weil sie niemand beaufsichtigt. Kinder aus klaren Strukturen können von Fremden auch gar nicht<br />
so angegangen werden.<br />
Erste Interviewpartnerin: Das stimmt schon, wenn es denn Fremdtäter sind, aber eben, es gibt auch<br />
solche, <strong>die</strong> sich das Vertrauen der Familie erschlichen haben. Ich finde das einfach schon heikel, weil<br />
jede Familie, <strong>die</strong> betroffen ist, sucht <strong>die</strong> Schuld bei sich <strong>und</strong> alle sind überzeugt, dass das Kind ihnen<br />
solche Erlebnisse erzählen würde <strong>und</strong> sie machen es eben doch nicht. Auch wenn es wohl schon<br />
eher <strong>die</strong> vernachlässigten Kinder sind, <strong>die</strong> Opfer werden können, aber man muss mit solchen Aussagen<br />
gegen aussen vorsichtig sein.<br />
CB: Ich denke auch nicht, dass es um Schuldzuweisung gehen muss, man kann <strong>die</strong> Aussage,<br />
sodann sie denn wahr wäre, ja auch brauchen um <strong>die</strong>sen Familien oder Müttern mehr Hilfen<br />
anzubieten, wie Tageschulen oder Horte oder so, damit sie eben <strong>die</strong> Kinder nicht alleine lassen<br />
müssen.<br />
Ja, aber um dem ein wenig entgegen zu halten; dann macht man Kindertagesstätten, damit <strong>die</strong> Kinder<br />
nicht unbeaufsichtigt sind <strong>und</strong> gerade da läuft so einiges. Da hören wir viel. Das ist schon verrückt, da<br />
macht man extra was für <strong>die</strong> Kinder <strong>und</strong> da passiert dann was. Dasselbe gilt für Sportvereine oder<br />
ähnliches. Das ist ganz schwierig. Und es geht ja auch nicht, dass man da nur Frauen anstellt. Das<br />
hat dann wieder andere negativen Auswirkungen. Man kann es nie ganz recht machen.<br />
CB: Aber ist denn in einer Kindertagesstätte oder so nicht <strong>die</strong> soziale Kontrolle noch stark?<br />
Kann man dem damit ein wenig entgegen wirken?<br />
Soziale Kontrolle ist ganz wichtig <strong>und</strong> das muss man auch stark einsetzen. Aber zum Beispiel in<br />
Sportvereinen, wo es so schwierig ist, Freiwillige zu finden <strong>und</strong> Pädophile es eben wirklich auch sehr<br />
gut können mit Kindern, da drückt dann <strong>die</strong> Umgebung noch gerne beide Augen zu. Das sehen wir<br />
immer wieder.<br />
CB: Da kommt mir <strong>die</strong> Diskussion in einem einschlägigen Chat in den Sinn, wo sie sich Tipps<br />
austauschen, wie man Juniorenfussballtrainer wird <strong>und</strong> was man machen muss, wenn man<br />
sich verliebt oder so. Wie läuft das denn hier in <strong>Bern</strong> so mit der Prävention, mit der Aufklärung<br />
an Schulen?<br />
Doch, wir machen schon auch Öffentlichkeitsarbeit, an den Schulen oder auch bei Eltern. In <strong>Bern</strong> ist<br />
es mit den Informationen sehr gut. Wenn man Informationen sucht, dann findet man das schon. Das<br />
ist nicht in allen Kantonen so gut. Das Problem ist eher, dass auch wenn man viel weiss, dass man<br />
denkt, dass einem selbst nie etwas passiert. Allen anderen ja, aber einen selber erwischt es nicht.<br />
Plötzlich geschieht das in der eigenen Familie <strong>und</strong> dann ist das eine ganz andere Dimension.<br />
Und eben, der typische Pädophile braucht ja kaum Gewalt. Und wenn das Kind mal in einer Situation<br />
drin ist, dann kommt es nicht mehr raus. Ich denke manchmal, wie oft wir Erwachsenen in Situationen<br />
sind, <strong>die</strong> wir nicht wollen, aber aus denen wir nicht mehr rauskommen, wie muss es denn erst für Kinder<br />
schwierig sein. Da muss keine Gewalt angewendet werden.<br />
CB: Also bei den meisten Fällen, <strong>die</strong> ihr bearbeitet, ist keine Gewalt im Spiel?<br />
Es gibt es schon auch, aber <strong>die</strong> Fälle, in denen keine physische Gewalt angewendet wurde, überwiegen.<br />
Es gibt schon auch <strong>die</strong> sadistischen Typen, aber bei denen geht es eigentlich nicht um das Kind,<br />
sondern um das kindliche Verhalten. Weil es keine Macht hat, weil es sich nicht wehren kann. Da<br />
kann der sadistische Typ einfacher Macht ausüben. Die haben Angst vor Frauen <strong>und</strong> vor Männern<br />
sowieso. Da geht es um <strong>die</strong> Lust am quälen <strong>und</strong> am erniedrigen, um Macht ausüben. Wir hatten einen<br />
Fall, der zwei Mädchen vergewaltigt hat <strong>und</strong> man ist dem erst drei Jahre später auf <strong>die</strong> Spur gekommen,<br />
weil eine Mutter das Tagebuch ihrer Tochter gef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> da stand drin, dass <strong>die</strong>ser Mann,<br />
der ein Bekannter der Familie war, das Kind sexuell missbraucht hat. Man hat dann im Anschluss<br />
noch weitere missbrauchte Kinder gef<strong>und</strong>en. <strong>Der</strong> hat sieben ein halb Jahre bekommen <strong>und</strong> wurde<br />
dann unseres Wissens auch verwahrt.
121<br />
Und eben, wir haben auch den senilen Typus, bei dem aber Hirnabbauprozesse <strong>und</strong> ein verändertes<br />
Lebensumfeld eine Rolle spielen. Meist war das Leben <strong>die</strong>ser Täter im Vorfeld normal.<br />
CB: Wie ist es mit den Inzesttätern?<br />
Das gibt es ganz wenig, das ist aber auch nicht sexueller Missbrauch an Kindern, sondern unter Erwachsenen<br />
in der Familie. So Fälle mit Stiefvätern <strong>und</strong> Onkel, das fällt ja nicht unter Inzest, das ist ja<br />
eine gesetzliche Regelung, <strong>die</strong> mit Blutsverwandtschaft zu tun hat. Die Fälle mit Missbrauch in der<br />
Familie, das gibt es schon <strong>und</strong> in allen Schattierungen.<br />
CB: Wie haben ja auch so Angebote im www oder früher per Inserat. Da suche <strong>Pädosexuelle</strong><br />
explizit allein erziehende Frauen wegen der Kinder. Die heiraten ja dann wegen den Kindern.<br />
Ich kann mir aber vorstellen, dass <strong>die</strong>se Fälle weniger zur Anzeige kommen, weil es in einem<br />
abgeschlossenen System geschieht.<br />
Also alles, was innerhalb der familiären Gemeinschaft passiert, ist schwierig. Darum ist das auch<br />
schwierig mit <strong>die</strong>sen Zahlen, das ist alles hypothetisch. Ich denke, noch schwieriger ist es, wenn der<br />
eigene Vater das Kind missbraucht.<br />
Wir haben noch viele Fälle, bei denen der Vater des Missbrauchs angeklagt wird im Rahmen einer<br />
Scheidungssituation.<br />
CB: Habt ihr da auch das Problem des Missbrauchs mit dem Missbrauch?<br />
Wir haben schon gehört, dass ein Scheidungsanwalt ein schlechter Anwalt sei, wenn er nicht den<br />
Kindsmissbrauch noch im Köcher habe. Das ist das eine, aber das andere ist eben auch, dass es<br />
durchaus sein kann <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte dann wirklich bei der Scheidungssituation ans Licht kommt.<br />
Das ist schon schwierig auseinander zu halten. Wir arbeiten ja hier in <strong>Bern</strong> eng mit Beratungsstellen<br />
zusammen <strong>und</strong> <strong>die</strong> empfehlen zum Teil schon, keine Anzeige wegen Kindsmissbrauch in Scheidungssituationen<br />
zu machen (sondern erst später), eben weil es eben schwierig ist. Das sind aber<br />
wirklich gute Beratungsstellen, <strong>die</strong> sind schon verantwortungsbewusst.<br />
Wie schon erwähnt sind <strong>die</strong> Scheidungsfälle heikel, da muss man genau schauen, aber wir haben<br />
auch <strong>die</strong> Fälle, wo pubertierende Mädchen falsche Anschuldigungen machen. Die Motive sind unterschiedlich<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> angeblichen Täter können auch unterschiedlich sein, das kann vom eigenen Vater<br />
bis zu Fremden gehen. Bei jüngeren Kindern sind falsche Anschuldigungen ganz ganz selten. Wenn<br />
sie von einem Elternteil instrumentalisiert werden, merkt man das recht schnell. Sie müssen auch<br />
nicht mal instrumentalisiert werden, das passiert manchmal ganz schleichend <strong>und</strong> unbewusst. Das<br />
Kind erzählt etwas, das man in Richtung sexuellen Übergriff interpretieren kann <strong>und</strong> <strong>die</strong> Situation in<br />
der Familie ist heikel <strong>und</strong> dann wird nachgefragt <strong>und</strong> weiter nachgefragt <strong>und</strong> auf einmal hat man eine<br />
konstruierte Geschichte. Aber normalerweise erzählt ein kleineres Kind keine erf<strong>und</strong>enen Geschichten.<br />
Aber <strong>die</strong> Gutachten werden dann selbstverständlich von Fachmännern <strong>und</strong> Fachfrauen gemacht.<br />
Und eben, wie sie wissen, sind <strong>die</strong> Gutachter überlastet <strong>und</strong> dann kann das dauern. Die Aufschübe<br />
werden dann der Polizei angelastet, <strong>die</strong> Leute können das nicht auseinander halten. Und das Warten<br />
ist das bei <strong>die</strong>sen Fällen besonders kritisch, weil das auch sehr belastend ist für <strong>die</strong> Kinder.<br />
CB: Da kommt mir grad das Problem mit dem Prozessbeistand im Raum ZH in den Sinn. Wie<br />
läuft das in <strong>Bern</strong> mit der Amtsvorm<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> den Prozessbeiständen? Wie ist da der Einfluss<br />
<strong>die</strong>ser Stellen auf <strong>die</strong> Anzeigebereitschaft oder den Prozessverlauf?<br />
In <strong>Bern</strong> ist das ganz anders. Normalerweise ist ja <strong>die</strong> Mutter dabei, ausser sie könnte Partei sein.<br />
Wenn <strong>die</strong> Mutter das Kind nicht begleiten kann <strong>und</strong> eine Beistandschaft vorhanden ist, dann reicht<br />
das oder wenn es Pflegeeltern hat, dann müssen sie das ok geben. Wenn gar niemand vorhanden ist,<br />
dann muss <strong>die</strong> zuständige Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde eine superprovisorische Verfügung aussprechen,<br />
damit wir <strong>die</strong> Befragungen etc. machen können. Aber es findet kein Gespräch zwischen Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde<br />
<strong>und</strong> dem Kind statt <strong>und</strong> es wird auch nicht von Jemandem von der Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde<br />
begleitet. Wenn niemand da ist, dann wird das Kind von Jemandem von einer Beratungsstelle<br />
begleitet, meist ist es ja Jemand, der <strong>die</strong> Familie schon vorher begleitet hat.<br />
CB: Zurück zur <strong>Strafverfolgung</strong>. Habt ihr verschiedene Strategien, Taktiken bei unterschiedlichen<br />
<strong>Pädosexuelle</strong>n Delikten?<br />
Bei den Taktiken gibt es schon Nuancen. Das wichtigste Kriterium ist <strong>die</strong> unmittelbare Gefährdung<br />
des Kindes, also <strong>die</strong> Dringlichkeit. Aber ansonsten gehen wir ähnlich vor. Wir gehen halt auch immer<br />
auf Anzeige hin vor, wir haben keine Ressourcen, um eigene Recherchen durch zu führen.
122<br />
Wir haben vor ein paar Jahren auch ermittlungstechnisch <strong>die</strong> Idee gehabt, eine Legende zu erfinden,<br />
<strong>die</strong> dann auf dem Netz Kinderpornografie kauft mit einer Kreditkarte. Aber das geht halt nicht mit der<br />
aktuellen Gesetzeslage.<br />
CB: Habt ihr Hinweise auf Ringe?<br />
Wir haben auch schon in Pädophilenkreisen ermittelt. Bei Pädophilen, <strong>die</strong> auch dazu gestanden sind.<br />
Das war so vor sechs Jahren, der Fall R. <strong>und</strong> Konsorte, <strong>die</strong> hatten Kontakte untereinander, da gingen<br />
Briefe hin <strong>und</strong> her, aber das war alles altes Material. Da konnte man nichts mehr machen.<br />
Aber eben, es ist generell auch eine Frage der Ressourcen, wir können mit Müh <strong>und</strong> Not <strong>die</strong> Fälle bearbeiten,<br />
<strong>die</strong> bei uns angezeigt werden. Da mal in einen Fall richtig reingehen, mit Telefonkontrollen<br />
<strong>und</strong> so, da haben wir einfach keine Zeit. Wir haben auch keine spezielle Abteilung. Von uns aus wäre<br />
es dringend nötig, dass wir ein Sittendezernat hätten. Es werden halt einfach andere Prioritäten gesetzt<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Zusammenlegung mit der Stadtpolizei wurde auch nicht vollzogen, das hätte dann auch<br />
Ressourcen frei gesetzt.<br />
CB: Was meint ihr zum Begriff der Oberschichtspädophilie?<br />
Es gibt gr<strong>und</strong>sätzlich keine Schichtzuteilung bei den Pädophilen, das kommt in allen Schichten vor,<br />
aber von Ringen aus der Oberschicht? Im Fall R., ja, <strong>die</strong> haben schon eher in der Oberschicht verkehrt.<br />
Aber wir wissen halt auch nicht mehr. Ist <strong>die</strong> Gefahr nicht zu gross, wenn <strong>die</strong> sich noch organisieren?<br />
Wir denken, dass ist eher was, das sich im stillen Kämmerlein abspielt. Durch das Internet<br />
kann sich das ja schon verändert haben. Früher musste man sich treffen, um Photos auszutauschen<br />
<strong>und</strong> heute kann man das alles über Internet machen.<br />
CB: Dann hätte ich noch eine Frage. In Zürich hört man aus Polizeikreisen, dass sie Probleme<br />
haben mit Jugendlichen, Mädchen <strong>und</strong> Knaben im Schutzalter, <strong>die</strong> sich so halb prostituieren,<br />
das heisst, sie lassen Erwachsene sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen für Geld oder<br />
manchmal nur für ein T-Shirt. In gewissen Kreisen scheint sich das herausgebildet zu haben.<br />
Kennt ihr solche Phänomen in <strong>Bern</strong> auch? Die K<strong>und</strong>schaft ist nicht einmal unbedingt pädosexuell,<br />
sondern <strong>die</strong> suchen einfach junge Menschen.<br />
Nein, das kennen wir nicht in der Art, aber da müsste man besser bei der Stadtpolizei nachfragen, da<br />
sähe es unter Umständen anders aus.<br />
CB: Wie seht ihr <strong>die</strong> Gesetzgebung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Rechtsprechung in den Deliktsfeldern, habt ihr da<br />
Probleme damit?<br />
Ich will nur noch betonen, dass der Inzest in <strong>die</strong>ser Fragestellung nichts zu hat, da geht es nur um<br />
Erwachsenen untereinander. So Vater-Tochter-Konstellationen werden nur als Inzest behandelt,<br />
wenn das Kind schon Erwachsen ist, sonst läuft das unter dem Art. 187.<br />
Für uns sind politische oder juristische Begründungen manchmal nicht nachvollziehbar. Zum Beispiel<br />
ist bei Art. 197 der Besitz eigentlich strafbar, aber wenn es um Pornografie mit Ausscheidungen geht,<br />
ist der Besitz nicht strafbar. Was sind da <strong>die</strong> Überlegungen dahinter? Wir können uns das nicht erklären.<br />
Was sind da für Entscheidungsfindungen dahinter?<br />
CB: Da müsste man <strong>die</strong> Botschaft hinter dem Gesetzesartikel nachlesen, ich müsste das aber<br />
auch nochmals nachlesen.<br />
Zur Schutzaltergrenze meinen wir, dass man <strong>die</strong> runter auf 14 oder 15 nehmen müsste. Das ist einfach<br />
nicht mehr zeitgemäss. Das geht an der Realität vorbei. Wir sehen mehrere Fälle mit 14 oder 15-<br />
Jährigen, <strong>die</strong> um einiges ältere Partner hatten <strong>und</strong> das fanden wir völlig daneben, wenn sich das Gesetz<br />
da reinmischte. Oder besser, man müsste den gesetzlich definierten Altersunterschied heraufsetzen.<br />
Das würde eine unnötige Kriminalisierung von ungleich alten, aber einvernehmlichen Paaren<br />
vermeiden.<br />
Auch mit der Tabuisierung der kindlichen Sexualität, das muss man auch darüber reden können. Aber<br />
eben, es kommt schon darauf an, wer in welchem Alter mit wem Sexualität ausübt. Da muss das Gesetz<br />
schon eingreifen.<br />
CB: Ich möchte mich herzlich für das interessante Gespräch bedanken <strong>und</strong> für <strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> sie<br />
sich genommen haben!
123<br />
6. Interview mit lic. jur. Philipp Kronig, Leiter KOBIK<br />
Funktion:<br />
Herr Kronig ist Jurist, Leiter von KOBIK (Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität)<br />
<strong>und</strong> Mitglied einiger Arbeitsgruppen, <strong>die</strong> sich mit der Rechtssetzung auch im Bereich Kinderpornografie<br />
auseinandersetzen.<br />
Das Interview fand am 24.05.04 in einem Restaurant in <strong>Bern</strong> statt <strong>und</strong> wurde nicht aufgenommen. <strong>Der</strong><br />
untenstehende Text ist aufgr<strong>und</strong> von schriftlichen Notizen zustande gekommen. Das Gespräch dauerte<br />
zirka 45 Minuten.<br />
CB: Herr Kronig, ich spreche Sie hier als Jurist <strong>und</strong> Leiter der KOBIK an. Erst zum Art 197 / 3<br />
bis des StGB. Ich weiss, dass sie gegen <strong>die</strong> Pönalisierung des Konsums von Kinderpornografie<br />
sind, können Sie mir erklären, weshalb?<br />
Nicht vom Strafrecht erfasst, heisst zunächst einmal nicht, dass ich <strong>die</strong>ses Verhalten auch befürworte.<br />
Hingegen muss unterschieden werden zwischen moralisch-ethischen Grenzen <strong>und</strong> Grenzen des<br />
Strafrechts. Letztere sollten als Ultima Ratio eingesetzt werden. Den Auftrag den Konsum konsequent<br />
zu bestrafen, wäre auf der operativen Polizeiebene zudem nicht umsetzbar. Nicht durchsetzbare Verbote<br />
sind aber kontraproduktiv – Beispiele gibt es leider genügend. Schliesslich ist durchaus denkbar,<br />
dass man zufällig auf Kinderpornografie stösst im Internet. Die Vorsätzlichkeit zu beweisen, ist dann<br />
sehr schwer, wenn nicht unmöglich. Auch zur deutschen Regelung, <strong>die</strong> „sich Besitz verschaffen“ im<br />
Strafgesetzbuch vorsieht, bin ich skeptisch, weil es nicht eindeutig ist. Ab wann wäre der Beweis geliefert,<br />
dass sich Jemand Besitz verschaffen will? Welches sind eindeutige Suchbegriffe? Die Frage ist<br />
ja auch, was man überhaupt bestrafen will; einen krankhaften Trieb oder <strong>die</strong> Etablierung <strong>und</strong> aktive<br />
Förderung eines kriminellen Marktes?<br />
CB: Aber wenn Jemand „nur“ konsumiert <strong>und</strong> dafür zahlt, unterstützt er den Markt ja auch?<br />
Auf den ersten Blick mag <strong>die</strong>s zutreffen. Ich bin aber überzeugt, dass der Konsum bei normal veranlagten<br />
Menschen eine einmalige Sache bleibt. Deshalb ergibt sich aus <strong>die</strong>sem Konsumverhalten keine<br />
wirkliche Ankurbelung des Marktes. Wird der Konsum weitergeführt, so ist <strong>die</strong>s in aller Regel auch<br />
mit Speicherung <strong>und</strong> Besitz verb<strong>und</strong>en. Und damit ist <strong>die</strong> Grenze zur Strafbarkeit überschritten.<br />
Eine Analogie kann evtl. zum Verbot der Einfuhr von Kinderpornografie gezogen werden. Meines Wissens<br />
bezweckt <strong>die</strong>ses Verbot <strong>die</strong> Masse an illegalen Materialien im Inland nicht zu vergrössern. Solange<br />
das Konsumieren nicht als elektronische Einfuhr bewertet wird, ist es auch schlüssig den blossen<br />
Konsum nicht unter Strafe zu stellen.<br />
CB: Man hört aus Polizeikreisen immer wieder, dass <strong>die</strong> Justizebene das Problem der Kinderpornografie<br />
nicht wirklich ernst nimmt, dass <strong>die</strong> Richter <strong>und</strong> Richterinnen das als Kavaliersdelikt<br />
anschauen <strong>und</strong> lächerliche Strafen aussprechen. Dass Aufwand <strong>und</strong> Ertrag in einem Missverhältnis<br />
stünden. Was meinen Sie dazu?<br />
Diese Aussage dürfte auch in anderen Bereichen des Strafrechts fallen <strong>und</strong> ist nicht typisch für <strong>die</strong><br />
Bekämpfung der Kinderpornografie allein. Denken Sie z.B. an <strong>die</strong> Bekämpfung der Drogenkriminalität,<br />
der Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrsdelikte.<br />
Zum Teil mag es tatsächlich daran liegen, dass <strong>die</strong> Dossiers zu wenig gut aufgearbeitet sind – <strong>und</strong><br />
natürlich kann es vorkommen, dass gute Ermittlungsergebnisse auf fehlendes Spezialwissen der<br />
Richter stösst. Schliesslich führt unser föderales <strong>Strafverfolgung</strong>ssystem dazu, dass das Strafmass<br />
regional sehr verschieden ausfallen kann. Wie gesagt, <strong>die</strong>s ist meines Erachtens kein besonderes<br />
Problem nur bei der Bekämpfung der Kinderpornografie.<br />
CB: Kommen wir im engeren Sinn zu KOBIK. Es wurden schon politische <strong>und</strong> andere Stimmen<br />
laut, dass das jetzige KOBIK zu klein sei, dass man mindestens 50 Personen brauchen würde,<br />
um eine effiziente anlassunabhängige Recherche zu führen. Was halten Sie davon?<br />
Nicht viel. <strong>Der</strong> Tatbeweis ist zudem erbracht, dass es eben anders auch geht. Das erste Betriebsjahr<br />
von KOBIK ist auch im internationalen Vergleich eine Erfolgsgeschichte. Bei einem gewichteten Vergleich<br />
zeigt sich, dass wir mit 4-mal weniger Ressourcen, 5-mal mehr Verdachtsfälle im Inland aufzeigen<br />
konnten. Vergleiche mit dem Ausland sind oft rein politisch motiviert (es macht sich gut 50 Leute<br />
zu fordern) <strong>und</strong> lassen ausser Acht, dass <strong>die</strong> Schweiz einen sehr innovativen Weg geht. So beschränken<br />
sich unsere Mitarbeiter auf ihre präventiven Arbeiten – sie müssen keine Ermittlungen füh-
124<br />
ren (wie etwa in Bayern). Wir setzen im hochtechnischen Umfeld des Internets auch konsequent auf<br />
Nutzung technischer Werkzeuge. Zeitintensive, wiederkehrende Routinearbeiten erledigt weitgehend<br />
unser Informationssystem. Zudem haben wir nicht „nur“ Polizisten angestellt, sondern auch Informatiker,<br />
Sicherheitsleute, Journalisten, Juristen usw. Wir konzentrieren uns weiter auf <strong>die</strong> Schweizrelevanten<br />
Fälle. Schliesslich nutzen wir konsequent interne Synergien innerhalb des B<strong>und</strong>esamtes.<br />
Viel zum Erfolg beigetragen hat auch <strong>die</strong> gute Zusammenarbeit mit den Providern, gerade im Bereich<br />
Chatforen.<br />
Mehr Leute heisst nicht automatisch substantiell mehr Verfahren – ausschlaggebend ist der Grenznutzen.<br />
Heute kann ich sagen, dass mit 1-2 Personen mehr (Verstärkung des Monitorings) <strong>die</strong> Aufgaben<br />
von KOBIK nahezu perfekt gelöst werden könnten.<br />
Wie gesagt KOBIK ermittelt nicht. Es ist auch richtig, dass <strong>die</strong> tatsächliche Verfahrensführung in den<br />
Kantonen verankert bleibt. Wir müssen allerdings <strong>die</strong> Impulse geben <strong>und</strong> zwar aus Hinweisen aus öffentlich<br />
erkennbaren Bereichen. Ob <strong>die</strong> Kantone für <strong>die</strong>sen Deliktsbereich mehr Ressourcen <strong>und</strong><br />
mehr Möglichkeiten bekommen sollten, ist ein anderes Problem, da sind wir natürlich auch dafür, aber<br />
da haben wir keinen Einfluss. GENESIS hat gezeigt, dass alle Kantone fähig sind Verfahren im Internetbereich<br />
zu führen. Vereinzelt wurde eine weitergehende Koordination des B<strong>und</strong>es gefordert im<br />
Vorfeld der Ermittlungen. Zum Beispiel, dass Kreditkarteninhaber abgeklärt werden können oder dass<br />
<strong>die</strong> IP-Nummern ermittelt werden, bevor <strong>die</strong> Verfahren den Kantonen abgetreten werden.<br />
CB: Wo sähen Sie auf rechtlicher Ebene Verbesserungsvorschläge? Was halten Sie z.B. von<br />
der 6-Monats-Aufbewahrungsregelung der IP-Adressen? Ist das ein Problem?<br />
Nun, <strong>die</strong> zurückgezogene parlamentarische Initiative Frick hatte damit sicherlich ein Problem. Aus<br />
Sicht der <strong>Strafverfolgung</strong> ist <strong>die</strong> 6 Monate-Regelung eher an der unteren Grenze. Zu beachten ist dabei,<br />
dass praktisch jedes Verfahren im Internet-Bereich mit der Abklärung der IP-Adresse beginnt. Ist<br />
<strong>die</strong>s nicht möglich, so endet <strong>die</strong> <strong>Strafverfolgung</strong>. <strong>Der</strong> Aufwand der Provider ist verhältnismässig <strong>und</strong><br />
der Eingriff in <strong>die</strong> Privatsphäre auch. Denn <strong>die</strong> Daten werden nur bei Vorliegen eines konkreten Tatverdachts<br />
erhoben.<br />
CB: Herr Kronig, ich möchte Ihnen herzlich für <strong>die</strong> interessanten Ausführungen danken <strong>und</strong> für<br />
<strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> Sie sich genommen haben.
Anhang II; Textbeispiele aus offenen Newsgroups<br />
Alle Textpassagen stammen aus den, für alle einsehbaren, Gruppierungen auf www.google.ch.<br />
Beispiel 1:<br />
Hallo ihr.<br />
125<br />
Wollte euch Frohe Weihnachten wünschen. Seid lieb zu Kindern ;-)<br />
Meine Mail-Addresse ist übrigens nicht mehr aktiv. Die wurde mir geschlossen.<br />
Machts gut.<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
Das kann ich gut verstehen! Für solche prekären Anlagen benutzt man(n) ja auch anonyme mailadressen! Bei<br />
web.de ist <strong>die</strong>s leider nicht der Fall. dort muß man <strong>die</strong> Heimatadresse angeben.<br />
Wenn du junge Mädchen kennst, dann nur her damit. Ich mache ALLES! Ich kenne da keine Grenzen! Die Mädchen<br />
dürfen nur nicht jünger als 5 <strong>und</strong> älter als 13 Jahre sein. Du darfst mich dabei auch filmen <strong>und</strong>/oder<br />
fotografieren!<br />
Beispiel 2:<br />
hi leute hab ne menge pthc pics (250+) <strong>und</strong> ne menge privat pics von schönen mädchen (50+) interesse am tauschen?<br />
1 Probebild zu mir. ich schreib dir ob ich interesse hab!<br />
nur mädchen zwischen 8 <strong>und</strong> 16 jahren.<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
<strong>Der</strong> Penner tauscht nicht. Kassiert zwar Bilder sendet jedoch nicht zurück!<br />
Beispiel 3:<br />
I look for photos or for films of tortures of small girls<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
I TOO!!!!<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
and my to ....<br />
and sand good litle pics...<br />
Beispiel 4:<br />
suche mädchen zwischen 12j. u .16j. aus dem raum süddeutschland für bondage bilder(nur privat, keine veröffentlichung),<br />
keine nacktbilder. honorar nach vereinbarung<br />
Beispiel 5:<br />
verkaufe kinderstrumpfhosen (getragen) <strong>die</strong> strumpfhosen stammen von mädchen im alter von 5-10<br />
interessenten senden eine mail an obige adresse!<br />
Beispiel 6:<br />
hi, ich mal wieder, wenn ich schon gerade dabei bin, ich habe eine group bei yahoo, wer dort eintreten will kann<br />
mir bilder von kindern senden, nur hard! es gibt ein grosses angebot darin, also. wer mir mindestens 4 bilder sendet<br />
wird als member eingeloggt <strong>und</strong> kann gucken sich was runterladen oder sonst was. videos sind auch willkommen,<br />
<strong>und</strong> wer mir einen clip sendet den ernenne ich zum moderator der group <strong>und</strong> der kann über <strong>die</strong> group<br />
mitbestimmen. freue mich schon auf eure antworten!<br />
Mfg Steve<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
Also nochmal, member wird man nur wenn man mindestens 4 bilder sendet, antwort dann sobald wie möglich,<br />
nicht länger als 3 tage!
Beispiel 7:<br />
126<br />
Ich suche privat nackt Bilder von jungen (bis 14Jahre max) Töchtern oder Schwestern , wer hat sowas. Ich habe<br />
tonnen von BD-Company , Ruslolita , Homelolita usw...<br />
Möchte gerne mehr private Bildchen oder sogar Filme , tausche dann auch massig , vielleicht auch über ICQ.<br />
Bitte aussagekräftiges Material an daughterlover@hotmail.com , sende dann auch aussagekräftiges zurück , bitte<br />
angeben welches alter man sucht .<br />
Bei misstrauen kann auch erst was harmloses gesendet werden , schicke dann was zurück.<br />
greets Daughterlover<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
Ich habe auch über 5000 pcis. Meine ICQ:194275761<br />
Beispiel 8:<br />
suche leute <strong>die</strong> ihre kinder zum sex anbieten, oder zuhälter <strong>die</strong> kinder zum sex anbieten, meldet euch bitte! tausche<br />
natürlich auch bilder <strong>und</strong> videos!<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
da hänge ich mich doch voll mit rein. Auch ich würde für Sex mit Kindern bezahlen <strong>und</strong> mich sogar beim ficken<br />
filmen <strong>und</strong> fotografieren lassen!<br />
------------------------------------------------------------------------------<br />
Suche ebenfalls!Ich mag Girls unter 10y. Meine ICQ:194275761<br />
Können gerne Pics <strong>und</strong> mehr tauschen!<br />
Beispiel 9:<br />
gegen entsprechende bezahlung suche ich eine kleine familie (mutter/ tochter) oder einzelne mädchen bis max.<br />
12 jahre für heiße video- <strong>und</strong>/oder fotoaufnahmen. alle aufnahmen nur für privat, kein internetauftritt.<br />
grossraum hamburg, basis pro session bis 150,00 € (!) je nach bild/pose, geschlechtsverkehr mit mutter, tochter<br />
oder beiden zusammen wäre schön, muss aber nicht unbedingt...<br />
Ich würde mich auch gern beim mastubieren zuschauen oder von der tochter anpissen lassen...<br />
also, bis später dann, hoffe ich...<br />
Beispiel 10:<br />
Ich suche gleichgesinnte, aus Deutschland, am besten aus dem Raum Münster/Osnabrück <strong>die</strong> evt. Kontakte oder<br />
Bildmaterial haben <strong>und</strong> <strong>die</strong>se auch teilen, bzw verkaufen. Da ich schon länger vergeblich versuche an soetwas<br />
heran zu kommen, bin ich auch über jeden Tip <strong>und</strong> jedes Pic dankbar (Tauschmterial vorhanden!)<br />
Beispiel 11:<br />
Hallo ihr.<br />
Wer von euch aus dem Raum Köln <strong>und</strong> Umgebung hat Interesse meinen 2jährigen Sohn <strong>und</strong> meine 9 Monate alte<br />
Tochter bei gelegentlichen Treffs nackt zu sehen? Beide laufen gerne öfters mal nackt durch <strong>die</strong> Wohnung.<br />
Vielleicht kann auch mal beim baden oder umziehen geholfen werden. Wer will kann gerne seine Kinder mitbringen.<br />
Anfassen <strong>und</strong> streicheln ja, Verkehr nein!<br />
Bitte keine "... ich will Deine Kinder ficken" Antworten oder ähnliches.<br />
Paul<br />
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Ich würde Deine Kinder gerne mal anschauen <strong>und</strong> anfassen. Wie weit darf man den dann gehen? Bist Du in einer<br />
Gruppe <strong>die</strong> sowas öfters machen?<br />
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hi, hätte lust mal zu schauen. Schick mir doch mal ein paar fotos, als appetithäppchen.<br />
Gruß
igideon<br />
127<br />
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Habe auch Interesse, hätte auch gerne bilder. Aber poste <strong>die</strong> bilder möglichst in <strong>die</strong> newsgroup ich will hier nicht<br />
meine email angeben. Beitrag 6 aus der Diskussionsgruppe<br />
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Habe evtl. bald Bilder.<br />
Aber wie kann ich <strong>die</strong> hier Posten?<br />
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hmm? mein letztes posting ist irgendwie nicht angekommen :-( also ich hätte schon lust dazu, wohne auch nicht<br />
weit von köln entfernt. schick mir doch bitte mal ein paar bilder per mail, o.k.?<br />
cu<br />
GB Boy
128<br />
Anhang III; Beispiel einer geschlossenen Gruppierung<br />
Folgende Zusammenfassung wurde dem Artikel von Groebel, J et al (2001) entnommen.<br />
Alison and the Wonderland Club<br />
The story of the Wonderland Club, the largest child pornography network on the Internet ever, started<br />
in April 1996 in Greenfield, California.<br />
Alison, ten years old, stayed the night with her school friend and a few days later her mother received<br />
a telephone call. This school friend’s father, Ronald R., had been arrested for abusing a child. Mr. R.<br />
encouraged his daughter to have friends over to stay. One night in the Easter holidays, Alison’s stay<br />
would become a horrible one. She was pulled out of a slumber party, taken into a computer room and<br />
was abused in front of a little camera (connected to a computer) while a dozen men were watching.<br />
Men from Australia, Canada, Finland and the U.S. typed in requests<br />
for R. to perform specific sexual acts with the child. Mr. R.’s molesting activities came to light because<br />
a local child had complained that Ronald had tried to abuse her. Ronald R. was sentenced to over a<br />
h<strong>und</strong>red years in prison in California and a dozen other men aro<strong>und</strong> the U.S. were sentenced to<br />
shorter jail sentences.<br />
The electronic trail crossed U.S. borders and led to Hastings, Sussex. U.S. Customs had fo<strong>und</strong> an email<br />
address of Ian B. on Ronald R.’s computer in California. In October 1997, Sussex police seized<br />
the computer of Ian B., a 28 year-old computer technician. A police computer forensics expert had examined<br />
the computer, in which more than 42,000 paedophile images had been stored, and through<br />
which 1642 images had been distributed to 17 other Internet users in the six days prior to Ian B.’s arrest.<br />
After Ian’s computer had been examined for five months, evidence was discovered of an extensive<br />
and sophisticated club of paedophiles called Wonderland. The main purpose of the Wonderland<br />
Club was to exchange paedophile materials, pictures, movies, information, and very appallingly,<br />
so<strong>und</strong>s. The Club had its own committee, rules, and procedures.<br />
For example, in order to be admitted new members were requested to contribute 10,000 original images<br />
of child pornography. The Club operated very carefully out of a secure Internet Relay Chat (IRC)<br />
channel that could be accessed through a number of private servers. It often happened members vanished<br />
from one computer server, only to reappear on another server based somewhere else in the<br />
world. A „Traders Security Handbook” showed members how to use encryption to conceal images,<br />
confuse police, and what to do if arrested. Members who wanted to get in the private chat room had to<br />
pass seven security checks and were only known by pseudonyms such as „Satan”, „Sheepy” and<br />
„Hopeful Spank Dad”. The chat room was run on a special software programme, known as „Sandra”<br />
or (how appropriate) „Alice” to its regulars, which acted as a gatekeeper denying access to anyone<br />
who was not a subscribed Wonderland Club member. Images were swapped through a direct File<br />
Transfer Protocol (FTP) connection to each connected computer.<br />
In April 1998 the National Crime Squad (NCS) set up Operation Cathedral to track down the British<br />
members of the Wonderland Club. Electronic trails had led to Stockport, Cheshire. In Stockport, Manchester<br />
police arrested Gary S., former RAF engineer, and fo<strong>und</strong> 20,000 images of child pornography<br />
in his computer. Gary’s computer provided the police more up to date information on the Wonderland<br />
Club and improved the chance of online tracking. Gary S. turned out to be one of the key members.<br />
As he was actively abusing children and producing images for others, this enhanced Gary’s status<br />
within the Club. Three members of the Club actually travelled to Stockport to Gary’s home address<br />
and had pictures taken on his bed with the victims. Those pictures did not contain indecent poses but<br />
were apparently taken, as one of the members e-mailed them ro<strong>und</strong> the Net, as some remembrance<br />
of the visit to Gary’s house. As one of the detectives of the Crime Squad stated: „…just so that they<br />
could get a buzz out of saying they’d met the stars of the movie.” Gary S. has already been sentenced<br />
to 12 years in prison for the abuse of three children.<br />
Police and computer specialists worked out a technique which enabled them to actually watch suspects<br />
on the Internet. Additionally, names and addresses of suspects’ customer accounts were obtained<br />
from ISPs. As this was not enough, it had also to be proved that the suspects actually were<br />
downloading the child porn images, detectives of the NCS watched 13 addresses of Wonderland suspects.<br />
Police tracked down „Hopeful Spank Dad” or „Spank daddy” the nickname of Gavin S., a 24 year-old<br />
computer technician from Dartford, Kent. Gavin S. had long online conversation with other Club members<br />
as for example with Ian B. who supported and encouraged Mr. S. in his paedophile activities. After<br />
the computer of Ian B. was seized, he had been allowed out on bail without conditions and police<br />
tracked him down to Charlbury, Oxfordshire where he was being watched at his home address. In
129<br />
May 1998, the NCS located Gavin S. in hut of the local Sea Cadets headquarters. Gavin S. was a volunteer<br />
youth leader, in contact with 25 boys and girls between the age of 10 and 18. The police had to<br />
continuously balance the need for evidence against the risk to children. Such as a <strong>und</strong>ercover officer<br />
involved in the surveillance of Mr. S. stated: „When we took him to the Sea Scout hut, the heckles on<br />
the back of our neck all stood up on end and we were all concerned as to what our next cause of action<br />
should be, and we just ensured that whenever he was going to the Sea Scouts that we had the<br />
surveillance team with him to ensure that at no time when he departed did he take anyone with him. If<br />
at any stage he had the children with him on a one to one basis, or a two to one basis, then our instructions<br />
were to arrest him.” By June, investigations of the NCS revealed 10 British suspects and up<br />
to 180 potential Wonderland Club members in 12 other countries.<br />
In July 1998, the British police team briefed U.S. Customs on 90 suspected American Wonderland<br />
members and passed on lists of pseudonyms and e-mail addresses. U.S. Customs identified another<br />
key member, Scott A. in St. Charles Missouri. Also Scott A. appeared to be well respected within the<br />
network because he was actually abusing children and producing images on demand. According to a<br />
computer forensics expert of U.S. Customs „if you want a special request you would talk to him about<br />
certain things that you wanted to see him do the next time he’s abusing a child he would do it for you.”<br />
Among the members who traded child pornographic material Customs not only fo<strong>und</strong> stereotypical<br />
paedophiles, e.g. those who are exploring playgro<strong>und</strong>s, but also people one would never have suspected<br />
like those who were married and with children, a professor in the University of Connecticut, law<br />
students and medical students.<br />
By now eight European countries were looking for Wonderland members. Also in Germany where the<br />
National Computer Crime Unit was haunting for a dozen suspected Club members. The Crime Unit<br />
examined computer logs, e-mails and images received from the UK National Crime Squad. German<br />
police tracked down „Ultima” to a government guesthouse near Bonn. Ultima, a civil servant in public,<br />
turned out to be a committee member of the Wonderland Club and the person to decide whether a<br />
candidate would be carefully examined for a new membership or would not be given access. Ultima<br />
had very close contacts to the leading persons, both to the UK and to the US.<br />
By the end of August, thirteen countries were hunting for Wonderland suspects and although not all of<br />
them had been identified time was running out. Some members were becoming suspicious and<br />
started to secretly encode their images to hide evidence. Across the world police forces decided not to<br />
wait any longer and the Wonderland Club was about to be arrested. Getting in suspects’ homes, securing<br />
evidence, and preserving evidence were some major concerns, moreover, police forces had<br />
also to prevent suspects from one country warning suspected members in other countries.<br />
On 2 September 1998, in 13 countries, more than a thousand police and child protection officers simultaneously<br />
raided 105 Wonderland members. Worldwide more than 100 computers were seized.<br />
The surveillance of and hunt for the Wonderland Club and its members, world’s largest Internet child<br />
pornography network, resulted in the seizure of 750,000 paedophile and child porn images as well as<br />
aro<strong>und</strong> 1,800 computerized videos. According to detectives of the British National Crime Squad the<br />
images not just concern children running on the beach, but in some occasions the worst kind of abuse<br />
one could imagine, including people committing vaginal and anal rape on children as young as six and<br />
nine months of age. A chief inspector of the NCS comments: „Certainly one series that sticks in my<br />
mind is a series that was labelled ‘Colby’. Colby would appear to be a child of no more than a year old<br />
and the initial images are of a young toddler, a very blond-haired lad, walking in a hallway in nappies.<br />
That image goes through some 20 or 30 slides and ends up with the most horrific abuse of the child<br />
and certainly, like the rest of the team, I guess that one image probably stays with you and that for me<br />
would be the most horrible that I saw.”<br />
Regretfully, the revelations about Wonderland are just part of the whole story. The identification of<br />
many victims remains a major problem. Three years ago, an 11 year-old Portuguese boy Rui Pedro<br />
M. had been kidnapped on his way to school and, since then, has never been fo<strong>und</strong>. Images of Rui<br />
Pedro M. were traded in the Wonderland network, for example, an image was fo<strong>und</strong> on the computer<br />
of one of the suspects, Gavin S. Sadly, so far the Portuguese boy is the only child that has been positively<br />
identified.<br />
On 13 February 2001, before Kingston Crown Court, seven Britons were sentenced for their participation<br />
in the Wonderland Club. Ian B. and David H. received 30 months, Gavin S. was jailed for 24<br />
months, two other members were sentenced to 24 months, one member received 18 months, and the<br />
final individual was sentenced to 12 months. It is very likely that other child porn networks remain to<br />
exist on the Internet or new ones will emerge. This is what one of the Wonderland members, David H.,<br />
had to say before he received his sentence: „They’ll hide up and then they’ll start their own channel<br />
and then they’ll regroup, and the group will eventually be as big as it was with new members, with new<br />
pictures, and with all of the old pictures which are still floating out there.”<br />
Sources: BBC, Panorama (2001), U.S. Customs Service (2001) & ZDNet (2001)
130<br />
“Ich erkläre hiermit, dass ich <strong>die</strong>se Arbeit selbstständig verfasst <strong>und</strong> keine anderen als <strong>die</strong><br />
angegebenen Quellen benutzt habe. Alle Stellen, <strong>die</strong> wörtlich oder sinngemäss aus Quellen<br />
entnommen wurden, habe ich als solche gekennzeichnet. Mir ist bekannt, dass andernfalls<br />
der Senat gemäss Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe o des Gesetzes über <strong>die</strong> <strong>Universität</strong> vom 5.<br />
September 1996 zum Entzug des aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Arbeit verliehenen Titels berechtigt ist."<br />
<strong>Bern</strong>, den 6. Oktober 2004