Der Pädosexuelle und die Strafverfolgung - SCIP - Universität Bern
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seinerzeit sicher einen richtigen, neuen Fokus gesetzt; der besagt, dass sexuelle Übergriffe<br />
nichts mit der - inzwischen veralteten - Ansicht zu tun haben, dass sich Männer vor allem sexuelle<br />
Lust durch Gewalt verschaffen. Diese Theorie wurde meist noch in Kombination mit<br />
der Trieb- oder Dampfkesseltheorie diskutiert.<br />
Dass aber nun alles nur noch Machtausübung sei, ist eine zu wenig differenzierte Ansicht.<br />
Auf Kinder <strong>und</strong> natürlich auch auf Erwachsene kann auf unterschiedlichste Art Macht ausgeübt<br />
werden. Sie können geschlagen, eingesperrt, weggesperrt, bedroht, verhöhnt, vernachlässigt,<br />
etc. werden. Auch wenn der sexuelle Missbrauch unter dem Machtaspekt betrachtet<br />
wird, stellt sich <strong>die</strong> Frage, warum gerade über den sexuellen Übergriff <strong>und</strong> nicht in anderer<br />
Art <strong>und</strong> Weise Macht ausgeübt wird.<br />
Schorsch (1986) stellt hilfreiche Konzepte zur Sexualität <strong>und</strong> zur Bedeutung sexueller Devianz<br />
auf, <strong>die</strong> ich an <strong>die</strong>ser Stelle kurz einführen möchte, um <strong>die</strong> Komplexität <strong>und</strong> Besonderheit<br />
sexueller Handlungen zu verdeutlichen. Schorsch vertritt einen psychodynamischen,<br />
verstehenden Ansatz, der im Bereich der <strong>Strafverfolgung</strong> dahingehend relevant ist, dass das<br />
Verständnis der Tatmotivation im Vordergr<strong>und</strong> steht <strong>und</strong> <strong>die</strong>s forensisch im Kontext der Gerichtsverhandlung,<br />
der Begutachtung <strong>und</strong> natürlich auch in der forensischen Therapie zur<br />
Sprache kommt.<br />
Wie bereits erwähnt, ist in der modernen Sexualwissenschaft das Dampfkessel-Modell überholt.<br />
Vergewaltiger <strong>und</strong> Kindsmissbraucher leiden nicht unter einem zu starken Sexualtrieb,<br />
den sie notfalls mit gewalttätigen Übergriffen ausleben müssen. Schorsch meint, dass der<br />
Begriff des Triebes <strong>und</strong> der Triebstärke das Verständnis der Funktion der Sexualität verhindere.<br />
Aus der psychodynamischen Perspektive werden in der sexuellen Erregung <strong>und</strong> der<br />
Lust „essentielle Ereignisse der eigenen frühen Geschichte momentan in der Regression des<br />
Orgasmus wieder lebendig – dazu gehören <strong>die</strong> W<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> Traumata, <strong>die</strong> Ängste ebenso<br />
wie Zustände von Glück <strong>und</strong> Erfüllung (….) Zugleich ist Sexualität der Bereich, in dem der<br />
Mensch am intensivsten mit anderen Menschen in Beziehung tritt bzw. treten kann. In der<br />
Sexualität kommen folglich <strong>die</strong> Eigenarten <strong>und</strong> Besonderheiten, aber auch <strong>die</strong> Schwierigkeiten,<br />
Ängste <strong>und</strong> Störungen des Menschen am deutlichsten zum Ausdruck.“ (S. 325)<br />
Im Bereich der sexuellen Deviation wird deutlich, dass <strong>die</strong> Sexualität (auch) Funktionen der<br />
Angstabwehr, Konfliktbewältigung <strong>und</strong> Wunscherfüllung innehat <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Funktionen in<br />
teils bizarren Formen Stabilität herzustellen versuchen. Nach Schorsch (1986) gilt <strong>die</strong> Faustregel:<br />
„ Je mehr <strong>die</strong> Sexualität der Angstabwehr <strong>und</strong> Konfliktbewältigung <strong>die</strong>nt, desto geringer<br />
wird <strong>die</strong> partnerschaftliche Beziehungsfähigkeit, desto stärker treten im allgemeinen aggressive<br />
Anteile <strong>und</strong> Feindseligkeiten in den Vordergr<strong>und</strong>.“ (S. 326)<br />
Die perverse Phantasie oder der perverse Akt haben insofern stabilisierende Funktion <strong>und</strong><br />
Abwehrcharakter, als frühere W<strong>und</strong>en, Traumata <strong>und</strong> Ängste rekonstruiert werden können<br />
indem sie momentan verleugnet, <strong>und</strong> zusammen mit der sexuellen Erregung punktuell überw<strong>und</strong>en<br />
werden können. Auch wenn hier nicht der Ort ist, psychodynamische Theorien der<br />
Sexualität in all ihren Breiten <strong>und</strong> Tiefen auszuleuchten, hilft nur schon <strong>die</strong>se kurze Konzeptdarstellung,<br />
um auch pädosexuelle Beziehungen theoretisch besser zu verstehen.<br />
„In der pädophilen Beziehung ist nachweisbar, dass sich der erwachsene Mann in dem Kind<br />
wieder erkennt; es sind zumindest stark identifikatorische Beziehungen. (…) Es sind in der<br />
Regel Männer, denen <strong>die</strong> innere Lösung von der Mutter nur unzureichend gelungen ist, <strong>die</strong><br />
bis ins Erwachsenenalter hinein eine starke Sehnsucht haben, in <strong>die</strong> frühe, kleinkindhafte<br />
Beziehung zur Mutter zurückzukehren, <strong>und</strong> <strong>die</strong>ses infantile Beziehungsmuster in all ihre Beziehungsversuche<br />
hineintragen. (…) das perverse Ritual hat auch hier wieder <strong>die</strong> Funktion<br />
einer Umdeutung – etwa in der Art: Die Ängste, klein, abhängig, kindlich, schwach, unmännlich<br />
zu sein, wenn ich den Wünschen nachgebe, <strong>die</strong> alte Mutter-Kind-Beziehung wieder herzustellen,<br />
sind unbegründet; denn in der Beziehung zum Kind erleb ich mich im Gegenteil<br />
stark, mächtig, potent, unabhängig <strong>und</strong> überlegen. Diese Uminterpretation ist verb<strong>und</strong>en mit<br />
einem Hochgefühl von Befriedigung.“ (Schorsch, 1986, S. 329)<br />
Dieses Konzept ist meines Erachtens auf <strong>die</strong> verschiedenen Typen (siehe oben) von <strong>Pädosexuelle</strong>n<br />
anwendbar. Unabhängig davon, ob eine dauerhafte, ungebrochene Fixierung auf