Ausgewählte Abgrenzungsprobleme bei kriminellen und ...

4.4. Terrorist oder „legitimer“ Freiheitskämpfer?
Kriminelle und terroristische Organisationen
Das Hauptproblem für Strafverfolgungsbehörden und Gerichte hinsichtlich Ermittlung und
Qualifizierung einer Organisation als terroristisch nach Art. 260ter StGB besteht in der Abgrenzung
zwischen international geächtetem Terrorismus und legitimem, militantem Befreiungs-
oder Freiheitskampf. 111 Bezüglich der Einstufung der jeweiligen Widerstandsbewegungen
als terroristisch oder freiheitskämpferisch besteht international wenig Konsens, da die
entsprechenden Zielsetzungen je nach Gesellschaft und Zeitgeist unterschiedlich bewertet
werden und die gleiche politische Bewegung zwischen „terroristisch“ und „freiheitskämpferisch“
oszillieren kann. 112 Letztlich geht es auch um die Frage, ob und wann eine Organisation
trotz gelegentlicher oder häufiger terroristischer Methoden politische Legitimität beanspruchen
darf. 113
4.4.1. Ausgangslage
Der Gesetzgeber nennt keine Kriterien, wie die Abgrenzung „Terrorist – Freiheitskämpfer“
konkret vorzunehmen ist. Diese delikate Aufgabe, im Einzelfall die straflose „politisch legitime“
Gewaltanwendung von der terrorismustypischen Handlung abzugrenzen, hat er den
zuständigen Gerichten überlassen. 114 Insbesondere bei Bürgerkriegen gehört die Abgrenzung
zwischen Terroristen und Schwerverbrechern einerseits und Konfliktparteien bzw. separatistischen
Widerstandskämpfern andererseits zu den schwierigsten Fragen des internationalen
Strafrechts und wird oft mit der Redewendung „one man’s terrorist is another man’s freedom
fighter“ umschrieben. 115 Das Bundesgericht zählt (grundsätzlich) extremistische Parteien,
oppositionelle politische Gruppen sowie Organisationen, die mit angemessenen (nicht verbrecherischen)
Mitteln um die politische Macht in ihrem Heimatland ringen oder einen Freiheitskampf
gegen diktatorische Regimes führen, nicht zu den kriminellen Organisationen. 116 Gerade
bei Anhängern von separatistischen Widerstandorganisationen, die sich gegen ethische
Verfolgung und Unterdrückung wehren, dürfe nicht ohne weiteres auf internationalstrafrechtlich
verfolgungswürdige „terroristische“ Schwerverbrechen geschlossen werden. 117 Unzulässig
wäre es bspw., alle muslimischen Bürgerkriegsopfer oder alle getöteten und verwundeten
muslimischen Kämpfer pauschal in einen terroristischen Zusammenhang oder gar ins Umfeld
der Al-Qaïda zu stellen. 118
111
FIOLKA, BSK II, 1734.
112
JOSITSCH, ZStrR 2005, 463.
113
ARZT, OK-Kommentar, 414.
114
BGE 130 II 344; FORSTER, ZStrR 2003, 445; derselbe, ZBJV 2005, 221 f.
115
CASSANI, SZW 2003, 299-302; MOREILLON/DE COURTEN, ZStrR 2003, 118 f.
116
BGE 133 IV 58 E. 5.3.1; 131 II 235 E. 2.12; 130 II 337 E. 3.4; 128 II 355 E. 3.4; 125 II 569 E. 5c.
117
BGE 133 IV 58 E. 5; 130 II 337 E. 6 und 7.1.
118
FORSTER, ZStrR 2003, 434: Zwischen der strafbaren Unterstützung terroristischer Organisationen und der
zulässigen finanziellen Hilfe an Bürgerkriegsopfer muss jedenfalls unterschieden werden.
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