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Ausgewählte Abgrenzungsprobleme bei kriminellen und ...

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Kriminelle <strong>und</strong> terroristische Organisationen<br />

Im ersten Entscheid ging es um die Auslieferung von Marcello Ghiringhelli an Italien. Ghiringhelli<br />

wurde von der italienischen Justiz wegen auf den Umsturz des Staates gerichteter<br />

Handlungen sowie wegen Tötungs-, Vermögens- <strong>und</strong> Verwaltungsdelikten für schuldig bef<strong>und</strong>en,<br />

die alle mit seiner Teilnahme als Organisator auf hoher Stufe in der Hierarchie an<br />

Aktivitäten der Mailänder <strong>und</strong> Turiner Kolonnen der „Roten Brigaden“ zusammenhingen.<br />

Da<strong>bei</strong> sei es zu Überfällen mit automatischen Schusswaffen in Brandizzo, Turin <strong>und</strong> Salerno<br />

gekommen, in deren Verlauf neun Personen den Tod fanden. Der Auszuliefernde machte in<br />

seiner Beschwerde geltend, er könne gestützt auf Art. 3 EAUe 89 nicht an Italien ausgeliefert<br />

werden, da die strafbare Handlung politischen Charakter habe.<br />

Das B<strong>und</strong>esgericht wies die Beschwerde unter Hinweis auf die zum relativ politischen Delikt<br />

entwickelte Rechtsprechung ab: Ein relativ politisches Delikt liegt vor, wenn einer gemeinrechtlichen<br />

Straftat im konkreten Fall ein vorwiegend politischer Charakter zukommt. Der<br />

vorwiegend politische Charakter ergibt sich aus der politischen Natur der Umstände, Beweggründe<br />

<strong>und</strong> Ziele, die den Täter zum Handeln bestimmt haben <strong>und</strong> die in den Augen des<br />

Rechtshilferichters vorherrschend erscheinen. Das durch politischen Eifer veranlasste Delikt<br />

muss stets im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staat begangen worden sein <strong>und</strong> in<br />

einem engen, direkten <strong>und</strong> eindeutigen Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Kampfes<br />

stehen. Ausserdem ist erforderlich, dass der verursachte Schaden in einem angemessenen<br />

Verhältnis zum verfolgten politischen Ziel steht <strong>und</strong> die auf dem Spiel stehenden politischen<br />

Interessen müssen wichtig <strong>und</strong> legitim genug sein, um die Tat, wenn nicht zu rechtfertigen, so<br />

doch mindestens einigermassen verständlich erscheinen zu lassen. 90 Das Gericht kam zum<br />

Schluss, das absichtliche Töten von Sicherheitsbeauftragten, Polizisten, Soldaten <strong>und</strong> Passanten<br />

mit automatischen Schusswaffen, um Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten, sei<br />

grausam <strong>und</strong> verwerflich im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. c EÜBT, weshalb den Taten nicht<br />

der dem politischen Delikt gebührende Schutz gewährt werden könne. 91 Ohne expliziten<br />

Hinweis auf Art. 260ter Ziff. 1 StGB, jedoch in Anwendung des EÜBT, qualifizierte das B<strong>und</strong>esgericht<br />

die „Brigate Rosse“ als terroristische Organisation. 92<br />

Diese Praxis wurde im Auslieferungsfall von Nicola Bortone ausdrücklich bestätigt. Bortone<br />

wurde vorgeworfen, er sei von 1985 bis September 1989 als Gründer, Mitglied <strong>und</strong> Förderer<br />

der „Brigate Rosse“ in Rom, Florenz, Mailand, Forlì <strong>und</strong> Neapel tätig gewesen. Er sei in Italien<br />

<strong>bei</strong> mehreren Treffen von Führungsmitgliedern der „Brigate Rosse“" anwesend gewesen<br />

<strong>und</strong> habe sich auch heimlich nach Frankreich begeben, um von der Leitung der terroristischen<br />

Organisation Instruktionen entgegenzunehmen. Für die Finanzierung der Reise <strong>und</strong> des Aufenthaltes<br />

habe der Verfolgte von der Organisation LIT. 3 Mio. erhalten bzw. mitgeführt. In<br />

89<br />

Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1).<br />

90<br />

BGE 125 II 569 E. 9b; bestätigt (u.a.) in BGE 130 II 337 E. 3.2; 128 II 355 E. 4.2. Absolut politische Delikte<br />

stehen demgegenüber in unmittelbarem Zusammenhang mit politischen Vorgängen. Darunter fallen namentlich<br />

Straftaten, welche sich ausschliesslich gegen die soziale <strong>und</strong> politische Staatsorganisation richten, wie<br />

etwa Angriffe gegen die verfassungsmässige Ordnung, Landes- oder Hochverrat, Staatsstreich <strong>und</strong> Aufstand<br />

(BGE 125 II 569 E. 9b, 128 II 364 E. 4.2.).<br />

91<br />

BGE 125 II 577 f. E. 9b mit Hinweisen auf BGE 115 Ib 68 E. 5b, 113 Ib 175 E. 6b, 110 Ib 82 E. 4b, 110 Ib<br />

280 E. 6d, 109 Ib 64 E. 6a, 108 Ib 408 E. 7b.<br />

92<br />

BGE 125 II 574 E. 5c-d; FORSTER, ZStrR 2003, 429.<br />

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