Ausgewählte Abgrenzungsprobleme bei kriminellen und ...

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4. Terroristische Organisationen Kriminelle und terroristische Organisationen Die Qualifikation einer Organisation als terroristisch und damit als kriminell (im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB) gestaltet sich in der Praxis als schwierig. Das Bundesgericht hat in einer konstanten Rechtsprechung festgehalten, dass unter Art. 260ter Ziff. 1 StGB auch terroristische Organisationen fallen, 57 obschon der Gesetzestext ausdrücklich nur von kriminellen Organisationen spricht. Nicht nur in den Medien, sondern auch von Behörden wird eine Gruppierung oder Organisation manchmal etwas voreilig (zu Recht oder zu Unrecht) als extremistisch, fundamentalistisch, gewaltextremistisch oder terroristisch bezeichnet. Für die Strafverfolgung ist damit wenig gewonnen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen Aufschluss darüber geben, nach welchen Kriterien Strafverfolgungsbehörden und Gerichte eine Gruppierung als terroristisch qualifizieren dürfen. 4.1. Trotz weltweiter „Aufrüstung“ gegen Terrorismus keine einheitliche Definition Der Begriff Terrorismus geht auf das lateinische Wort terrori zurück und bedeutet „Furcht“, „Schrecken“. 58 Er bezeichnet (grundsätzlich) die Verfolgung einer politischen Zielsetzung auf dem Weg der Ausübung von Gewalt. 59 4.1.1. Antiterrorismus-Strafrecht Der 11. September 2001 hat nicht nur eine äusserst brutale Seite des globalen Terrorismus offenbart und einen weltweiten Schockzustand ausgelöst. Plötzlich stand das bis anhin eher stiefmütterlich behandelte Problem des internationalen Terrorismus zuoberst auf der Agenda staatlicher Exekutiven und internationalen Organisationen. Folge davon war eine kaum mehr überblickbare Masse von Empfehlungen, Gesetzen und Verordnungen, welche sich mit dem Ziel der Bekämpfung des Terrorismus befassen. 60 Auch die Schweiz hat sich diesem internationalen Trend angeschlossen: Sie hat im Zusammenhang mit Terrorismus und Terrorismusfinanzierung alle zwölf spezifischen Antiterroris- 57 BAUMGARTNER, BSK II, 1724 f. mit Hinweisen auf die entsprechenden Bundesgerichtsentscheide; KOLLER, ZSR 2006, 110-113. 58 WÜRMLI, Terror, 4. 59 JOSITSCH, ZStrR 2005, 463. 60 BBl 2002 1873-1875; KOLLER, ZSR 2006, 107 ff.; REINLE, Terrorismusfinanzierung, 114, mit Hinweis auf die Botschaft vom 26. Juni 2002 betreffend die Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung des Strafgesetzbuches und die Anpassung weiterer Gesetze (BBl 2002 5390, 5393); FORSTER, ZStrR 2003, 425-427. 14
Kriminelle und terroristische Organisationen mus-Abkommen (bzw. Protokolle) der UNO in Kraft gesetzt. 61 Schon vor „9/11“ hat die Schweiz am 2. Oktober 2000 die Verordnung über Massnahmen gegenüber Personen und Organisationen mit Verbindungen zu Usama bin Laden, der Gruppierung „Al-Qaïda“ oder den Taliban erlassen. 62 Am 7. November 2001 erliess der Bundesrat als Reaktion auf die Resolution 1373 des UN-Sicherheitsrats 63 und die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York gestützt auf die Art. 184 und 185 der BV zusätzlich ein Verbot der Organisation Al-Qaïda sowie allfälliger Nachfolgeorganisationen. Das Verbot wurde seither immer wieder verlängert; es ist noch (mindestens) bis am 31. Dezember 2008 in Kraft. 64 4.1.2. Definitionsversuche für Terrorismus Die internationalen Terrorismusabkommen enthalten keinen eigenen Begriff des Terrorismus. 65 Vor allem aus rechtsstaatlichen Gründen liess sich bis anhin kein allgemeiner Terrorismustatbestand verwirklichen. Der hauptsächliche Grund hiefür liegt in der im Einzelfall heiklen Abgrenzung zwischen Terroristen und „legitimen“ Befreiungs-, Widerstands- oder Freiheitskämpfern. 66 In der Schweiz scheiterte die Einführung eines selbständigen Terrorismustatbestandes bereits im parlamentarischen Verfahren. 67 Es wurde argumentiert, Gewalt gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund könne unter gewissen Umständen auch als Kampf einer Befreiungs- oder Selbstverteidigungsbewegung, als Form der berechtigten Vergeltung oder gar als Kriegsführung einer regulären Armee verstanden werden. 68 61 BBl 2002 1883 ff., 1893; im Einzelnen: Abkommen vom 14.09.1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (SR 0.748.710.1); Übereinkommen vom 16.12.1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (SR 0.748.710.2); Übereinkommen vom 23.09.1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (SR 0.748.710.3); Übereinkommen vom 14.12.1973 über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen, einschliesslich Diplomaten (SR 0.351.5); Internationales Übereinkommen vom 17.12.1979 gegen Geiselnahme (SR 0.351.4); Übereinkommen vom 03.03.1980 über den physischen Schutz von Kernmaterial (SR 0.732.031); Protokoll vom 24.12.1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen (SR 0.748.710.31); Übereinkommen vom 10.03.1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (SR 0.747.71); Protokoll vom 10.03.1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden (SR 0.747.711); Übereinkommen vom 01.03.1991 über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens (SR 0.748.710.4); Übereinkommen vom 15.12.1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (SR 0.353.21, in Kraft seit 23.10.2003); Übereinkommen vom 9.12.1999 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (SR 0.353.22, in Kraft seit 23.10.2003). 62 SR 946.203. 63 Am 28.09.2001 hat der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1373 gegen den Terrorismus angenommen. Die Resolution listet verschiedene Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und dessen Finanzierung auf. Ausserdem fordert sie alle Staaten auf, innerhalb von 90 Tagen einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Ausschuss einen Bericht über die zur Umsetzung dieser Resolution getroffenen Massnahmen einzureichen (BBl 2002 5397). 64 SR 122; BBl 2002 1835, 1857, 1861 und 1886. Zum schweizerischen Antiterror-Strafrecht: NOBEL, Finanzmarktrecht, § 6 N. 112-123; BISS 2002, 12; BISS 2003, 14. 65 SCHRADER, Terrorismus, 570; BBl 2002 1838 f. 66 BBl 2002 5399, 5434, 5439 und 5402; ARZT, OK-Kommentar, 404; DONATSCH/WOHLERS, Strafrecht IV, 200; FIOLKA, BSK II, 1734; HEINE, Landesbericht, 356 und 368; SOINE, Kriminalistik 2005, 412 f.; VEST, Terrorismus, 52 ff. 67 BBl 2002 5391 ff., 5402; HEINE, Landesbericht, 356; DONATSCH/WOHLERS, Strafrecht IV, 200; MOREIL- LON/DE COURTEN, ZStrR 2003, 118 ff.; VEST, Terrorismus, 52 ff. 68 BISS 2001, 22. Siehe dazu ausführlich nachfolgend unter Kapitel 4.4. 15
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