Spielzeit 12 13 - Niedersächsische Staatstheater Hannover
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l'OPera seria<br />
»Aus dem Hirn eines Dämons entsprang die Idee der Oper<br />
als Geißel der Menschheit.« Große Verzweiflung muss<br />
Theater macher umtreiben, wenn sie ihren eigenen Lebens<br />
inhalt verfluchen. Und Verwünschungen schleudern alle<br />
Beteiligten des Opernunternehmens »L'Oranzebe«, das in<br />
Florian Leopold Gassmanns komischer Opernparodie mit<br />
dem irreführenden Namen L'Opera seria gegeben werden<br />
soll, in den Theaterhimmel. Was sich die Truppe aus<br />
Librettist, Komponist, Impresario, Sängern und Tänzern in<br />
dieser Komödie vorgenommen hat, ist abenteuerlich genug:<br />
An nur einem Tag soll morgens geprobt und abends<br />
aufgeführt werden. Jeder hat unter diesen Bedingungen<br />
zu kämpfen: Delirio und Sospiro, Dichter und Komponist<br />
der Oper, mit den unverschämten Kürzungsbefehlen des<br />
Impresario und dem spontanen Verlangen der Sänger<br />
nach zusätzlichen Arien; die Primadonna Stonatrilla gegen<br />
alle weiblichen CoStars; der nicht ganz helle Tenor Ritornello<br />
mit Noten und Buchstaben zugleich; der Produzent<br />
des Ganzen, Fallito, mit dem schon in seinem Namen angelegten<br />
Bankrott und auch mit seinen Nerven; und alle<br />
zusammen mit dem Geschmack des Publikums.<br />
Es begegnet einem ein Stück, das mit seinem Titel das<br />
genaue Gegenteil von dem ankündigt, was es ist: L'Opera<br />
seria ist eine Opera buffa, die im Gewand der ernsten Oper<br />
daherkommt. Im Jahr ihrer Uraufführung, 1769, hatte die<br />
komische Oper die ernste an Beliebtheit schon längst<br />
übertroffen – und bediente sich der überholten Gattung<br />
als liebstes Objekt ihres Spottes. Hervorgegangen aus Elementen<br />
des Stegreiftheaters, der Commedia dell'arte und<br />
des Théâtre de la Foire, florierte sie unter aller Art Bezeichnungen<br />
zuvorderst in Italien.<br />
In Venedig führte Goldoni mit seinen Theatertexten das<br />
Niveau der ursprünglich aus stereotypen Figuren und Situationen<br />
heraus improvisierten Gattung auf einen neuen<br />
Höhepunkt. Der in Böhmen geborene Florian Leopold Gassmann<br />
verbrachte dort seine Lehrjahre, sah Goldonis Stücke<br />
und vertonte später viele seiner Texte. Als er 1763 Glucks<br />
Nachfolger und Komponist für Ballette in Wien wurde,<br />
brachte er nicht nur exzellente Kenntnisse der komischen<br />
Zutaten der Opera buffa, sondern auch der musikalischen<br />
Floskeln der ernsten Oper mit. L'Opera seria schäumt über<br />
vor musikalischem Witz. Gassmann verbindet zum Beispiel<br />
die für Wiegenlieder typische, zarte Instrumentierung mit<br />
agitatorischem Arientext und lässt die Koloraturen der Sänger<br />
zu irrwitzigen Stolpersteinen werden. Das Textbuch<br />
des Opernreformers und Mitstreiters Christoph Willibald<br />
Gluck, Ranieri de Calzabigi, liest sich wie eine Karikatur<br />
der damals allgemein geläufigen Libretti Metastasios.<br />
Komik, das hat sich bis zur heutigen Comedy und politischen<br />
Satire nicht geändert, ist eine Kunst der Gegenwärtigkeit.<br />
Mit der ersten Szenenanweisung von L'Opera seria<br />
zieht das Lachen auch in unsere Zeit ein, denn: »Die Handlung<br />
der Komödie spielt in jeder Stadt, in der Opern gegeben<br />
werden.«<br />
Der niederländische Regisseur und Bühnenbildner Michiel<br />
Dijkema inszenierte u. a. Monteverdis L'Orfeo am Drottningholms<br />
Slottsteater Stockholm, Schönbergs Pierrot<br />
Lunaire beim Gergiev Festival Rotterdam, Humperdincks<br />
Hänsel und Gretel für das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen<br />
sowie wiederholt an der Staatsoperette Dresden,<br />
an der Nationale Reisoper Enschede (Glucks Orpheus und<br />
Eurydike und Rossinis La Cenerentola) und an der Oper<br />
Leipzig (zuletzt Tosca von Puccini). Für die herausragende<br />
technische Umsetzung seines Bühnenbildes zu Der Barbier<br />
von Sevilla gewann er 2011 für das <strong>Staatstheater</strong> Wiesbaden<br />
den ersten WizardAward für kreative Bühnentechnik.<br />
Die Inszenierung von L'Opera seria ist sein erstes Engagement<br />
an der Staatsoper <strong>Hannover</strong>.