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theoretisch-didaktische grundlagen - Sir Peter Ustinov Institut

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Vorurteile auf individueller Ebene<br />

16<br />

Ignorieren der<br />

objektiven Realität<br />

Keine kognitiven<br />

Defizite<br />

Der Fremde in uns<br />

Die Psychologen Elliot Aronson, Timothy Wilson und Robin Akert fassen die unausgesprochene<br />

und doch nicht zu verkennende Haltung dieses sehr charakteristischen<br />

Mr. X recht schlüssig mit dem Motto zusammen: „Erspar mir die Fakten; ich habe mir<br />

meine Meinung gebildet.“ Die Erfahrung mit Reaktionen dieser Art hat gewiss auch<br />

schon die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach zu ihrem bekannten Aphorismus<br />

veranlasst: „Ein Urteil lässt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil“ (Ebner-<br />

Eschenbach 1961), oder Albert Einstein zu seinem entnervten Ausspruch: „It is harder<br />

to crack a prejudice than an atom.“ Auch Allport formulierte in ähnlicher Weise, dass<br />

das Vorurteil „sich aktiv allen Beweisen widersetzt, die es entkräften würden. Wir<br />

neigen dazu, uns aufzuregen, wenn ein Vorurteil von Widerspruch bedroht wird.“<br />

(Allport 1979, 9) Ähnlich erblickte der Philosoph Norberto Bobbio das Entscheidende<br />

am Vorurteil im Umstand, dass „wir ihm mit derartigem Nachdruck zustimmen, dass<br />

es jeglicher rationalen Widerlegung trotzt“ und sich eben dadurch von allen sonstigen<br />

Arten irriger Meinungen – „die mit den Mitteln der Vernunft und der Erfahrung korrigiert<br />

werden können“ – scharf abgrenzt. (Bobbio 1994, 123)<br />

Anhand solcher Beobachtungen wird deutlich, dass der seit über zwei Jahrhunderten<br />

(in seiner uns heute noch geläufigen Bedeutung) eingebürgerte Begriff des „Vorurteils“<br />

leicht zu einem gravierenden Missverständnis verleiten kann: dass es sich bei den entsprechenden<br />

Sichtweisen und Einstellungen in erster Linie um die Folge gedanklicher<br />

Mängel (kognitiver Defizite) handle – um mangelndes Wissen, geistige Bequemlichkeit<br />

und Voreiligkeit in der Urteilsbildung oder auch gezielte Fehlinformation durch einflussreiche<br />

Medien oder geschickte Demagogen und Demagoginnen. Die offensichtlich<br />

weitaus gewichtigere, nicht selten besonders bestürzende Dimension einer tief verwurzelten<br />

und emotionsgeladenen Hartnäckigkeit, die sich von „des Gedankens Blässe“<br />

(selbst leicht begreifbarer) sachlicher Erörterungen kaum je beirren lässt, bleibt<br />

dabei weitgehend ausgeklammert. „Der Euphemismus, der Gebrauch des harmlosen<br />

Wortes verdankt sich der Scheu, das Furchtbare zu nennen“, befand in diesem Sinne<br />

etwa der Philosoph Max Horkheimer, wenn „unter dem Titel des Vorurteils“ unverkennbar<br />

„nicht bloß Antipathie und soziale Benachteiligung, sondern der auf schwächere<br />

Gruppen gerichtete Hass, die organisierte Verfolgung, entfesselte Mordlust“ thematisiert<br />

wird. (Horkheimer 1961)<br />

Empfehlung für einen tieferen Einblick in die psychologischen Wurzeln von Vorurteilen<br />

Anhand eines breiten Spektrums von Persönlichkeitsstudien, therapeutischen Fallgeschichten, historischen<br />

Beispielen (u.a. Hitler, Göring, Heß, Frank) und präzisen Beobachtungen des gesellschaftlichen Lebens liefert<br />

der Psychoanalytiker Arno Gruen überzeugende und hautnahe Zugänge zum Verständnis der kulturellen<br />

und lebensgeschichtlichen Ursprünge von Vorurteilen. Seine scharfsinnigen Einblicke in die subjektive Innenwelt<br />

von Ressentiments und Gruppenhass können zuweilen Bestürzung auslösen, ebenso aber auch die<br />

Aussicht auf befreiende Möglichkeiten vermitteln, die mit einem geschärften Blick auf das Wirken tiefer<br />

Ängste und Zwänge einhergeht.<br />

Ein entscheidender Zusammenhang, den Gruen in seinem Buch „Der Fremde in uns“ erläutert, besteht darin,<br />

dass der Hass auf das Fremde, der Vorurteile antreibt, letzten Endes ein Hass auf das Eigene ist – auf echte<br />

und starke Gefühlsregungen, die in der Kindheit unter dem Druck massiver elterlicher Verurteilung innerlich<br />

abgestoßen werden mussten und wodurch die Entwicklung einer stimmig empfundenen persönlichen<br />

Identität blockiert wurde. Die dadurch verursachte innere Leere macht süchtig nach der Pose von Übermacht,<br />

Härte, „Erfolgsmenschentum“ und Verachtung von Schwäche, um dem Schmerz über das verlorene<br />

Selbstgefühl auszuweichen. Um sich aus dieser tragischen Verstrickung zu befreien, ist es notwendig, diesen<br />

Schmerz zuzulassen und das innerlich Verlorene zu betrauern, wodurch auch die Fähigkeit zur Einfühlung<br />

in andere wächst – besonders auch in jene, die zuvor im Visier der eigenen Vorurteile gestanden waren.<br />

Quelle: Gruen 2000.

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