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theoretisch-didaktische grundlagen - Sir Peter Ustinov Institut

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Vorurteilsbeispiel Rassismus<br />

50<br />

Innere Brüchigkeit<br />

Definition nach<br />

persönlichem<br />

Gutdünken<br />

Kriterium Hautfarbe<br />

willkürlich eingesetzt<br />

Frage der Ideologie<br />

Zerstörerischer Patriotismus<br />

durchzusetzen (ohne darin ernsthaft herausgefordert zu werden), können mächtige<br />

Ideologien ihre gesellschaftliche Vorherrschaft besonders eindrücklich unter Beweis<br />

stellen.<br />

Rassistisches Weltbild: unlogisch, aber dadurch flexibel und wandelbar<br />

Auf der grundlegendsten Ebene wird die innere Brüchigkeit des rassistischen Weltbildes<br />

bereits am bemerkenswerten Umstand erkennbar, dass seit den Anfängen der<br />

sich biologisch verstehenden „Rassenwissenschaft“ keine zwei ihrer Vertreter sich je<br />

auf ein Einteilungssystem der auf der Erde existierenden „Rassen“ einigen konnten –<br />

was bei angeblich von der Natur vorgegebenen scharfen Grenzlinien zwischen ihnen<br />

eigentlich keine ernsthaften Schwierigkeiten bieten dürfte. Wie offen rassistische<br />

Wortführer jeden Anspruch auf eine diesbezügliche Folgerichtigkeit missachten können,<br />

wird wohl an wenigen Beispielen so anschaulich wie an dem des Wiener Bürgermeisters<br />

Karl Lueger (1844–1910), der eine maßgebliche Rolle beim Aufschwung des<br />

Antisemitismus seiner Zeit spielte und zugleich für den markigen Ausspruch bekannt<br />

war: „Wer a Jud ist, bestimm i!“ – dass es also nicht an einer unabänderlichen Natur<br />

des Blutes, sondern an der Willkür der Macht liegt, wo die Grenzlinien zwischen dieser<br />

und anderen „Rassen“ verlaufen würden.<br />

Am deutlichsten werden die inneren Ungereimtheiten des modernen Rassismus aber<br />

wohl an der geradezu surreal anmutenden Willkür, mit der er sein zentrales Zuordnungskriterium<br />

der Hautfarbe immer wieder eingesetzt hat. So kannte etwa die<br />

Geschichte der USA zwischen der Mitte des 19. und des 20. Jahrhunderts eine sehr<br />

zögerliche und schrittweise Aufnahme verschiedener Einwanderungsbevölkerungen<br />

(Iren, Juden, Italiener, Polen …) in die Kategorie der „weißen“ Amerikaner – was<br />

natürlich in keiner Weise mit einer Aufhellung ihrer Hautfarbe, sondern unverkennbar<br />

mit veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zusammenhing. Während so<br />

z.B. kaukasische Einwanderer und Einwanderinnen schließlich als „weiße“ Amerikaner<br />

gelten konnten, werden Kaukasier freilich von vielen russischen Rassisten auch heute<br />

noch als „Schwarze“ betrachtet. Umgekehrt konnten etwa vor dem Ersten Weltkrieg<br />

deutsche Kolonialideologen in Ostafrika die Gruppe der Tutsi trotz ihrer unübersehbar<br />

schwarzen Hautfarbe zu „wesensmäßig Weißen“ (mit „arischen Wurzeln“) erklären,<br />

da ihnen die Führung einer früheren Hochkultur zugeschrieben wurde (wozu Schwarze<br />

ja für grundsätzlich unfähig angesehen wurden).<br />

Für minderwertig erklärt. Geschichte eines engstirnigen und zerstörerischen Patriotismus<br />

„Um 1900 – zur Zeit, als die modernen Nationalstaaten, die Kolonialreiche und der lmperialismus auf ihrem<br />

Höhepunkt sind – werden die von den europäischen Ländern und den USA beherrschten Völker für minderwertig<br />

erklärt, da sie unfähig seien, ein mit dem ihrer Beherrscher vergleichbares Niveau an ,Zivilisation‘ zu<br />

erreichen. Gleichzeitig halten Politiker und lntellektuelle leidenschaftliche Reden auf die ,Grösse‘ ihrer Nationen.<br />

[…] Nationalismus und die diesem Überlegenheitsgefühl eigenen Diskurse wuchern […] mit nie dagewesener<br />

lntensität. Dies hat einerseits zur Legitimierung der Unterjochung der kolonialisierten Völker geführt,<br />

andererseits der Verunglimpfung oder gar Ausgrenzung von Gesellschaftsgruppen oder Personen, deren Erscheinungsbild<br />

oder Lebensweise nicht dem vorherrschenden Modell entsprachen, Tür und Tor geöffnet. Auf<br />

der Grundlage von sogenannten wissenschaftlichen Theorien – vor allem aus dem Bereich des Sozialdarwinismus<br />

– verbreiten sich rassistische, antisemitische und antifeministische Diskurse. Der Glaube an die Existenz<br />

einer Hierarchie unter den „Rassen“ setzt sich auch bei seriösen Wissenschaftlern […] durch. Die<br />

Staatsverwaltungen lassen sich ebenfalls bald von dieser Welle rassistischer Anschauungen überrollen.“<br />

Quelle: Jost 2011, 39 (Hans-UIrich Jost ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Lausanne)

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