03.12.2012 Aufrufe

Akzess-Arbeit Altes Testament bei Prof. Dr. Th. Krüger Theologische ...

Akzess-Arbeit Altes Testament bei Prof. Dr. Th. Krüger Theologische ...

Akzess-Arbeit Altes Testament bei Prof. Dr. Th. Krüger Theologische ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Akzess</strong>-<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />

<strong>Altes</strong> <strong>Testament</strong><br />

<strong>bei</strong><br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Th</strong>. <strong>Krüger</strong><br />

<strong>Th</strong>eologische Fakultät der Universität Zürich<br />

Die Mensch-Tier-Beziehung in ausgewählten Schöpfungs-, Gesetzes- und<br />

Weisheitstexten des Alten <strong>Testament</strong>s<br />

fertiggestellt am 11. Oktober 2003<br />

verfasst von:<br />

cand. theol. Evelyn Goetschel<br />

Regensbergstrasse 304<br />

8050 Zürich<br />

Tel. 043 333 44 78<br />

e-mail: edg@gmx.ch


A. Einleitung<br />

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ 1 Dieser vielzitierte<br />

Satz von ALBERT SCHWEITZER begleitet mich schon seit längerer Zeit. Seit meiner frühen<br />

Kindheit empöre ich mich, wenn böswillig oder – was ich fast noch schlimmer finde – aus<br />

Unüberlegtheit Tiere gequält werden. Tierversuche, Massentierhaltungen, Pelzmäntel,<br />

Schönheitswettbewerbe für Tiere, Zirkus oder andere Volksbelustigungen – an so vielen<br />

Orten scheint die Dummheit, der Egoismus und die Arroganz des Menschen über seinen<br />

Verstand und sein Verantwortungsbewusstsein gesiegt zu haben. SCHWEITZERS Formulierung<br />

bringt auf den Punkt, was mich immer wieder beschäftigt: Der Mensch ist nicht das<br />

einzige Wesen, das leben will. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass der Lebenserhaltungstrieb<br />

der Tiere nicht gleichzusetzen sei mit dem Lebenswillen des Menschen; dass<br />

wir also nicht einfach so behaupten können, dass Tiere leben wollen. In meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />

werde ich jedoch davon ausgehen, dass Tiere leben wollen und das Recht auf ein lebenswertes<br />

Leben haben. Nicht alle Menschen teilen jedoch diese Ansicht und glauben deshalb<br />

berechtigt zu sein, andere Lebewesen für ihre Zwecke missbrauchen, quälen und töten zu<br />

können.<br />

In meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> werde ich dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier nachgehen. Dies<br />

geschieht anhand einiger ausgewählter alttestamentlicher Texte. Ich werde untersuchen, ob<br />

sich die Haltung SCHWEITZERS in den alttestamentlichen Texten finden lässt. Und ich werde<br />

danach fragen, ob die alttestamentlichen Texte Impulse zur Reflexion unseres heutigen<br />

Verhältnisses zum Tier geben können.<br />

1. Voraussetzungen<br />

Der Titel dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> kann missverstanden werden. Zumindest kann er das in dem Masse,<br />

als er durchklingen lassen könnte, dass die Israeliten der biblischen Zeit die Stellung des<br />

Menschen ausdrücklich im Gegensatz zu der des Tieres durchdacht und in diesem Sinn<br />

eine eine klare Konzeption der Mensch-Tier-Beziehung, bzw. eine Tierethik gehabt hätten.<br />

Dies allerdings ist nicht meine <strong>Th</strong>ese. Ich gehe in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> davon aus, dass in den<br />

alttestamentlichen Texten vieles über die Mensch-Tier-Beziehung der damaligen Zeit implizit<br />

einfloss und nun zu interpretieren ist. Dass eine Tierethik, wie in jüngster Zeit von<br />

ihr gesprochen wird, zur Zeit der Entstehung dieser Texte bestanden haben soll, dürfte keine<br />

ernstlich vertretbare Position sein. 2<br />

1 ALBERT SCHWEITZER, S. 181.<br />

2 Vgl. DE PURY in JANOWSKI, S. 112.<br />

2


Dennoch möchte ich den Aussagen über die Mensch-Tier-Beziehung nachgehen, wie sie<br />

zur Zeit der Abfassung der untersuchten Texte bestanden hat. Ich werde nach den Hintergründen<br />

fragen und nach möglichen Impulsen für eine tierethische Diskussion in der Neuzeit.<br />

Diese möglichen Folgerungen sind selbstverständlich mit der nötigen Vorsicht zu geniessen,<br />

leben wir heute doch in einer gänzlich anderen Lebenswelt als die Autoren der biblischen<br />

Texte. Diese Lebenswelt und die damit verbundene Beziehung des Menschen zum<br />

Tier werde ich in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> soweit beleuchten, als es für meine Fragestellung relevant<br />

ist.<br />

Damit diese Untersuchungen den heutigen Verhältnissen gegenüber gestellt werden können,<br />

möchte ich nun kurz auf die heutige Situation eingehen: Für uns heute, besonders für<br />

diejenigen unter uns, die in einem städtischen Kontext leben, hat sich die Tierwelt dermassen<br />

unseren alltäglichen Beschäftigungen entzogen, dass wir ein ganzes Leben verbringen<br />

könnten, ohne direkt mit einem Tier konfrontiert zu werden oder gezwungen zu sein, über<br />

die Nachbarschaft von Mensch und Tier nachzudenken. In unserer heutigen – städtischen –<br />

Welt ist das Tier keine ernstzunehmende Konkurrenz. Wenn Tiere überhaupt gefährlich<br />

erscheinen, dann <strong>bei</strong>spielsweise in Form von Insekten- oder Virenplagen. 3<br />

Für viele unserer Zeitgenossen findet die Beziehung zur Tierwelt nur noch auf drei Ebenen<br />

statt, und alle drei Ebenen scheinen mir, im Vergleich zum alttestamentlichen Umgang mit<br />

dem Tier, eine geradezu entartete Beziehung zwischen Mensch und Tier zu bezeugen:<br />

Tiere werden in erster Linie als materielles Gut angesehen, das allein zur Verfügung des<br />

Menschen steht. Es kann hier von einer eigentlichen Verdinglichung gesprochen werden.<br />

Ich denke <strong>bei</strong>spielsweise an Milchkühe auf einem Grossbauernhof, an medizinische Versuchstiere<br />

oder an die Tatsache, dass bis in allerjüngste Zeit das Tier juristisch als Sache<br />

angesehen wurde.<br />

Die zweite Ebene der Mensch-Tier-Beziehung in der heutigen Zeit stellt die Verniedlichung<br />

dar. Tiere, im Besonderen gilt dies für Haustiere, werden zum Mensch-Ersatz gemacht.<br />

Wenn es <strong>bei</strong>spielsweise darum geht, dass in einer Fernsehserie ein Affe wie ein<br />

Mensch gekleidet wird und sich in dieser Aufmachung buchstäblich zum Affen machen<br />

muss, oder wenn Zuchthunde <strong>bei</strong> Schönheitswettbewerben auf unwürdige Art und Weise<br />

vorgeführt werden, hat das wenig mit einer gesunden Mensch-Tier-Beziehung zu tun.<br />

Die dritte und letzte Ebene ist die Manifestation des Exotischen oder, wie ich auch sagen<br />

könnte, die Begegnung mit dem Monströsen. Hier<strong>bei</strong> denke ich besonders an die ausge-<br />

3


stellten und gegebenenfalls dressierten exotischen Tiere in zoologischen Gärten, Zirkussen<br />

oder Vergnügungsparks. 4<br />

2. Motivation<br />

Beim Anblick von Bildern aus Forschungszentren, wo Tierleichen zu Tausenden aus den<br />

Laboratorien geschafft werden, <strong>bei</strong>m Anhören von Radioberichten über ausgesetzte<br />

Haustiere in der Sommerferienzeit, <strong>bei</strong>m Beobachten, wie manche Zeitgenossen mit ihrem<br />

Haustier umgehen, als wäre es ein Stofftier oder <strong>bei</strong>m Lesen von Zeitungsartikeln über die<br />

unsäglichen Missstände in Delfinarien drängen sich mir die folgenden Fragen auf: „Wie<br />

konnte der Mensch zu dem werden, was er heute ist? Wie konnte es dazu kommen, dass<br />

der Mensch den Eindruck zu haben scheint, er könne nach Lust und Laune mit der Tierwelt<br />

umgehen? Was ist im Alltag vieler zeitgenössischer Menschen aus dem vielgenannten<br />

Begriff der Mitgeschöpflichkeit geworden?“<br />

Dass die Kirchen zu diesen Problemen kaum Stellung beziehen, wurde in den vergangenen<br />

Jahren schmerzlich deutlich. Meiner Meinung nach lässt sich dies jedoch nicht mit einfachen<br />

Begründungen entschuldigen. Sicher: Die Missstände, welche im Zusammenleben<br />

unter Menschen deutlich sind, sind auch dringend anzugehen und zu beheben. Doch dass<br />

die Fragen bezüglich des Umgangs mit dem Tier nicht wahrgenommen werden, ist dennoch<br />

nicht zu rechtfertigen.<br />

3. Absicht<br />

Ich werde in der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> untersuchen, welche Mensch-Tier-Beziehung in den<br />

alttestamentlichen Texten zu finden ist und ob und wie diese für den heutigen Umgang des<br />

Menschen mit dem Tier nutzbar gemacht werden könnte.<br />

Dass sich diese biblischen Argumente – so sie sich denn überhaupt finden lassen sollten –<br />

nicht unadaptiert auf unsere heutige Lebenswelt übertragen lassen, ist einleuchtend. Doch<br />

vielleicht können wir einige grundsätzliche Ansatzpunkte in unsere Zeit übernehmen und<br />

anhand der biblischen Texte eine Reflexion unseres Umganges mit der Tierwelt vornehmen.<br />

Mit der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> möchte ich zeigen, dass wir – trotz aller die Lebenswelt<br />

betreffenden Unterschiede – in den biblischen Texten Aussagen zum Verhältnis zwischen<br />

Mensch und Tier finden können, welche für uns heute noch immer Relevanz haben.<br />

3 Vgl. DE PURY in JANOWSKI, S. 114.<br />

4 Vgl. DE PURY, S. 115.<br />

4


Ich werde da<strong>bei</strong> darstellen, dass die biblischen Texte nicht nur über das Verhältnis zwischen<br />

Gott und den Menschen sprechen, sondern auch über das Verhältnis vom Menschen<br />

zu seiner Umwelt, zu welcher auch die Tierwelt gerechnet werden muss.<br />

4. Vorgehen<br />

Ich werde in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> biblische Texte als solche untersuchen und nach den ihnen innewohnenden<br />

Implikationen zur Mensch-Tier-Beziehung fragen. Wünschenswert wäre,<br />

dass ich damit zu einer Reflexionsar<strong>bei</strong>t bezüglich des Umgangs mit Tieren anrege. Da<strong>bei</strong><br />

möchte ich aber keinesfalls fundamentalistisch biblizistisch argumentieren.<br />

Ich werde die biblischen Texte als historische von Menschen verfasste Texte lesen. Das<br />

heisst, ich frage nicht nach der Mensch-Tier-Beziehung, wie sie Gott für den Menschen<br />

gedacht hat, sondern ich frage nach der Mensch-Tier-Beziehung, wie sie die Menschen zur<br />

Entstehungszeit der jeweiligen Texte wahrgenommen haben. Das heisst aber nicht, dass<br />

ich nun davon ausgehe, dass die Texte ausschliesslich von historischem Interesse sind. Ich<br />

bin davon überzeugt, dass die biblischen Texte, welche unsere heutige Kultur und Gesellschaft<br />

stark prägen, auch heute noch als verbindliche Texte gelesen werden können. Anhand<br />

dieser Texte kann das eigene Verhalten – in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> das Verhalten des Menschen<br />

dem Tier gegenüber – hinterfragt und aus religiöser Sicht reflektiert werden.<br />

Da die Textauswahl zum <strong>Th</strong>ema Mensch-Tier-Beziehung im AT sehr gross ist, beschränke<br />

ich mich auf die drei Bereiche Schöpfungsberichte, Gesetzestexte und Weisheitstexte.<br />

Auch innerhalb dieser drei Bereiche konzentriere ich mich jeweils auf einige wenige Texte,<br />

da<strong>bei</strong> spare ich die Tiergeschichten 5 , die Opferthematik 6 und die eschatologischen Utopien<br />

7 bewusst aus und beschränke mich auf die Texte, welche den Alltag der damaligen<br />

Menschen, bzw. ihre grundsätzliche Haltung dem Tier gegenüber zeigt. Ich bin mir bewusst,<br />

dass sich die drei ausgewählten Textsorten nicht miteinander vergleichen lassen, da<br />

sie doch sehr unterschiedliche Entstehungszeiten und Funktionen haben. Ich werde aus<br />

diesem Grund in der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> keine direkten Textvergleiche anstellen, sondern<br />

vielmehr die verschiedenen Texte nebeneinander stellen und sie auf meine Fragestellung<br />

hin untersuchen. Ziel dieser Gegenüberstellung ist also das Darstellen der Bandbreite von<br />

Texten.<br />

Die vorliegende <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist in fünf Blöcke unterteilt: Block A umfasst die Einleitung, Block<br />

B behandelt die Schöpfungstexte, Block C hat die Gesetzestexte zum Inhalt, in Block D<br />

5<br />

Z.B. Bileam Num 22 oder die Speisung Elias durch Raben 1Kön 17.<br />

6<br />

Z.B. Lev 1-7.<br />

5


untersuche ich die Weisheitstexte, und in einem letzten Block E suche ich nach einer gemeinsamen<br />

Aussage im Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung und nach dem Fazit für<br />

eine tierethische Diskussion in der Moderne.<br />

Die einzelnen Blöcke <strong>bei</strong>nhalten eine Auswahl mehrerer kürzerer Textstellen, welche ich<br />

auf die Mensch-Tier-Beziehung hin befragen möchte. Ein Fazit schliesst den Block jeweils<br />

ab. Die einzelnen Text-Untersuchungen gestalten sich wie folgt: Ich stelle den Text in der<br />

hebräischen Form und seine Übersetzung an den Anfang, stelle dann einige Fragen zum<br />

Wortgebrauch an den Text, d.h. ich möchte einige schwierig zu übersetzende Worte oder<br />

Begriffe genauer betrachten, um die ursprüngliche Bedeutung möglichst genau zu erfassen<br />

und die Aussage des Textes – auch bezüglich meiner Fragestellung – besser zu begreifen.<br />

Ich suche im Weiteren nach einer expliziten oder impliziten Mensch-Tier-Beziehung und<br />

schliesse den Abschnitt mit einem kleinen Fazit, beziehungsweise mit einer möglichen<br />

Anregung für die tierethische Diskussion ab.<br />

Ausgehend von diesen Schlussbemerkungen werde ich im letzten Block nach einer gemeinsamen<br />

impliziten alttestamentlichen Tierethik fragen und werde versuchen, einen<br />

möglichen Gedankenanstoss für die heutige tierethische Diskussion herauszuar<strong>bei</strong>ten.<br />

5. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese<br />

Wie bereits erwähnt, scheint mir der Umgang vieler heutiger Menschen mit dem Tier äusserst<br />

problematisch. 8 Dass eine ausbeuterische und gedankenlose Haltung des Menschen<br />

dem Tier gegenüber zwangsläufig als gegeben betrachtet werden muss, ist meines Erachtens<br />

nicht notwendig. Ich gehe davon aus, dass der Umgang mit dem Tier nicht immer<br />

schon so schwierig war bzw. dass sich die Gedankenlosigkeit und die Arroganz des Menschen<br />

seiner Umwelt – und somit auch dem Tier gegenüber – im Lauf der Geschichte verstärkte.<br />

Die <strong>Th</strong>ese, welche ich also als Hintergrund zu meiner Fragestellung betrachten<br />

werde, lautet: In den alttestamentlichen Texten wird – auf unterschiedlicher Begründungsbasis<br />

– ein verantwortungsbewusster Umgang des Menschen mit dem Tier gefordert. Im<br />

weiteren gehe ich in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> davon aus, dass die Texte eine grundsätzliche Freundlichkeit<br />

dem Tier gegenüber aufweisen und dass hinter den Texten tierschützerische Gedanken<br />

stehen, auch wenn man nicht von einem durchdachten und ausgefeilten Tierschutzkonzept<br />

ausgehen kann.<br />

7 Z.B. Jes 11,6-8.<br />

8 S.o. A. Einleitung, S. 2.<br />

6


Ob sich diese <strong>Th</strong>ese verifizieren lässt, wird sich zeigen. Ich gehe im Fazit darauf ein. 9<br />

6. Literatur<br />

Bei der Suche nach Literatur fiel auf, dass die Anzahl der Autoren, die sich mit dem <strong>Th</strong>ema<br />

beschäftigt haben, beschränkt ist. Es gibt zwar einige ältere und neuere Studien zur<br />

Mensch-Tier-Problematik in der Bibel, doch sind die Literaturlisten in diesen Studien nicht<br />

ausufernd lange. In Absprache mit Herrn <strong>Prof</strong>essor <strong>Krüger</strong> habe ich mich auf ein Minimum<br />

an Sekundärliteratur beschränkt und mich vorwiegend auf die direkte Auseinandersetzung<br />

mit dem Bibeltext konzentriert.<br />

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass ich <strong>bei</strong> der verwendeten Sekundärliteratur hauptsächlich<br />

christliche Kommentare und Studien ausgewählt habe. In der jüdischen Tradition,<br />

ich denke vor allem an die Talmudschulen, wäre zur <strong>Th</strong>ematik meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> bestimmt viel<br />

Literatur zu finden gewesen. Diese Form von Textauslegung, wie sie namentlich <strong>bei</strong>spielsweise<br />

Rabbi Hillel (70 v. Chr. – 10 n. Chr.), Rabbi Moses ben Maimon (1135 –<br />

1204) oder Rabbi Joseph ben Ephraim Caro (1488 – 1575) pflegten, ist mir jedoch mit<br />

meinem theologischen Handwerk nicht zugänglich. So beschränke ich mich in der vorliegenden<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> auf die klassische christliche Form von alttestamentlicher Textinterpretation.<br />

Dass ich diese Schätze von jüdischer Textauslegung nicht für meine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> fruchtbar<br />

machen kann, erachte ich als schmerzliche Lücke.<br />

B. Die Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungs-Texten<br />

Im Alten <strong>Testament</strong> finden sich viele unterschiedliche Schöpfungskonzepte. Alle diese auf<br />

eine Tierethik hin zu untersuchen, würde den Rahmen dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sprengen. So beschränke<br />

ich mich im folgenden Kapitel auf die vier Schöpfungstexte Gen 1, Gen 2, Ps 8<br />

und Hi 38f und versuche damit, die Vielfalt der alttestamentlichen Schöpfungskonzeptionen<br />

zu repräsentieren.<br />

Ich werde im Folgenden so vorgehen, dass ich mich zuerst je einzeln mit den jeweiligen<br />

Texten befasse, indem ich zunächst auf den Text und seine Übersetzung eingehe, dann<br />

einzelne Aspekte des Textes herausgreife und schliesslich die Mensch-Tier-Beziehung<br />

diskutiere. In einem zweiten Schritt vergleiche ich die Texte miteinander und suche so<br />

nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Blick auf die Tierethik. Mit einer Schlussbetrachtung<br />

beende ich das Kapitel.<br />

9 S.u. E.1.1. Überprüfung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese, S. 70.<br />

7


1. Gen 1,20 – 1,31<br />

1.1. Text und Übersetzung<br />

~yhil{a/ ar'b.YIw: 1,27<br />

ar'B' ~yhil{a/ ~l,c,B. Aml.c;B. ~d'a'h'-ta,<br />

`~t'ao ar'B' hb'qen>W rk'z" Atao<br />

~yhil{a/ ~t'ao %r,b'y>w: 1,28<br />

Wal.miW Wbr>W WrP. ~yhil{a/ ~h,l'<br />

rm,aYOw:<br />

~Y"h; tg:d>Bi Wdr>W h'vub.kiw> #r,a'h'ta,<br />

tf,m,roh' hY"x;-lk'b.W ~yIm;V'h; @A[b.W<br />

`#r,a'h'-l[;<br />

hNEhi ~yhil{a/ rm,aYOw: 1,29<br />

[r;z< [;rezO bf,[e-lK'-ta, ~k,l' yTit;n"<br />

#[eh'-lK'-ta,w> #r,a'h'-lk' ynEP.-l[; rv,a]<br />

hy ynEP.-l[; #r,a'h'-l[;<br />

~yhil{a/ ar'b.YIw: 1,21<br />

vp,n ~yMiY:B;<br />

rq,bo-yhiy>w: br,[,-yhiy>w: 1,23<br />

`yviymix] ~Ay<br />

aceAT ~yhil{a/ rm,aYOw: 1,24<br />

fm,r,w" hm'heB. Hn"ymil. hY"x; vp,n<<br />

#r,a'h'<br />

`!ke-yhiy>w: Hn"ymil. #r,a,-Aty>x;w><br />

tY:x;-ta, ~yhil{a/ f[;Y:w: 1,25<br />

Hn"ymil. hm'heB.h;-ta,w> Hn"ymil. #r,a'h'<br />

ar>Y:w: WhnEymil. hm'd'a]h' fm,r,-lK'<br />

taew><br />

`bAj-yKi ~yhil{a/<br />

hf,[]n: ~yhil{a/ rm,aYOw: 1,26<br />

tg:d>bi W<strong>Dr</strong>>yIw> WnteWmd>Ki<br />

Wnmel.c;B. ~d'a'<br />

hm'heB.b;W ~yIm;V'h; @A[b.W ~Y"h;<br />

fmeroh' fm,r,h'-lk'b.W #r,a'h'-lk'b.W<br />

`#r,a'h'-l[;<br />

9


1,20 Und Gott sprach: „Die Wasser sollen wimmeln vom Gewimmel lebender Wesen,<br />

und Vögel 10 sollen 11 über der Erde vor der Himmelsfeste fliegen!“<br />

1,21 Und Gott schuf die grossen Seetiere und alle sich regenden Lebewesen, von denen<br />

das Wasser wimmelt, nach ihren Arten und alle geflügelten Vögel nach ihren Arten;<br />

und Gott sah, dass es gut war.<br />

1,22 Und Gott segnete sie folgendermassen: „Seid fruchtbar, werdet zahlreich und<br />

füllt die Wasser des Meeres, und die Vögel sollen zahlreich werden auf der Erde!“<br />

1,23 Und es wurde Abend, und es wurde Morgen, ein fünfter Tag.<br />

1,24 Und Gott sprach: „Die Erde bringe Lebewesen – jedes nach seiner Art – hervor:<br />

Vieh und Kriechgetier und Wildgetier der Erde – jedes nach seiner Art!“ Und so geschah<br />

es.<br />

1,25 Gott machte das Wildgetier der Erde nach seinen Arten und die Tiere nach ihren<br />

Arten und alles Kriechgetier des Erdbodens nach seinen Arten; und Gott sah, dass es<br />

gut war.<br />

1,26 Und Gott sprach: „Lasst uns Menschen 12 machen nach unserem Bild, entsprechend<br />

unserem Abbild, und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über<br />

die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles<br />

Kriechgetier, das auf der Erde kriecht!“<br />

1,27 Und Gott schuf den Menschen 13 als sein Bild; als Bild Gottes schuf er ihn, männlich<br />

und weiblich schuf er sie 14 .<br />

1,28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich<br />

und füllt die Erde und unterwerft sie und herrscht über die Fische des Meeres<br />

und über die Vögel des Himmels und über jedes Tier, das sich auf der Erde regt!“<br />

1,29 Und Gott sprach: „Siehe, ich gebe euch alles Samen spendende Kraut, das auf der<br />

Oberfläche der ganzen Erde ist, und alle Bäume, an denen Samen spendende Baumfrüchte<br />

sind – es soll euch Nahrung sein.<br />

1,30 Und allem Wildtier der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was auf<br />

der Erde kriecht und lebendig ist, gebe ich alles Blattwerk des Krautes zur Nahrung!“<br />

Und so geschah es.<br />

1,31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, an, und siehe, es war sehr gut. Und es<br />

wurde Abend, und es wurde Morgen, ein sechster Tag.<br />

10 Kollektivbegriff.<br />

11 Eigentlich Singular.<br />

12 Kollektivbegriff.<br />

13 Kollektivbegriff.<br />

14 Der Text geht hier in den Plural über. ‚Sie‘ bezieht sich auf die Menschen.<br />

10


1.2. Fragen an den Text<br />

In diesem Schöpfungsbericht gibt es einige Begriffe, welche zu übersetzen nicht ganz unproblematisch<br />

sind. Im Folgenden werde ich die Worte arb, ‚schaffen’, krb, ‚segnen’, bAj,<br />

‚gut’, hdr, ‚herrschen’, und vbk, ,herrschen’ genauer betrachten, damit der Text in seinem<br />

möglichst ursprünglichen Sinn auf meine Fragestellung hin untersucht werden kann.<br />

1.2.1. arb, ‚schaffen’<br />

In meiner Übersetzung habe ich arb der Tradition gemäss mit ‚schaffen‘ übersetzt. In diesem<br />

deutschen Verb wird jedoch nicht deutlich, ob es sich um ein Schaffen aus dem<br />

Nichts, eine creatio ex nihilo 15 , oder um das Formen aus einem Urstoff handelt. Da diese<br />

Frage in meiner Übersetzung offenbleibt, ist es also fraglich, ob das deutsche ‚Schaffen‘<br />

dem Verb tatsächlich gerecht wird.<br />

Für die Fragestellung der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> spielt es jedoch keine Rolle, ob es sich hier<br />

um eine creatio ex nihilo oder um das Schaffen aus einem präexistenten Urstoff handelt.<br />

Beide, Mensch und Tier werden durch arb ‚geschaffen’. Dass die Erschaffung <strong>bei</strong>der mit<br />

demselben Verb beschrieben wird, ist für die Frage nach der Mensch-Tier-Beziehung aussagekräftig.<br />

Der Sachverhalt, dass Mensch und Tier arb wurden, hatte eine breite Wirkungsgeschichte.<br />

So beruht <strong>bei</strong>spielsweise der Begriff und das Konzept der Mitgeschöpflichkeit darauf, dass<br />

Mensch, Tier und Pflanzen auf gleiche Weise erschaffen wurden. 16<br />

1.2.2. krb, ‚segnen’ 17<br />

Im AT ist selten die Rede davon, dass Jahwe Menschen, Tiere oder Gegenstände segnet.<br />

Umso genauer ist nun nach der Bedeutung krb in Gen 1,22.28 zu fragen.<br />

Im atl. Gebrauch wird Segen als unmittelbare Zusage der Fruchtbarkeit verstanden. Für die<br />

Völker im alten Orient war es ganz selbstverständlich, dass Segen sinnlich erfahrbar ist<br />

und überall, wo Leben gedeiht, vorhanden ist. Segen darf also in diesem Zusammenhang<br />

nicht – wie im heutigen Abendland üblich – mit dem gesprochenen Wort in Verbindung<br />

gebracht werden, sondern muss im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit und gedeihendem<br />

Leben gesehen werden. Der Segen und seine erhofften Auswirkungen wurden nicht als<br />

etwas Spirituelles verstanden, sondern die Auswirkungen erfolgten in ganz konkreten Ga-<br />

15<br />

Diese philosophische Begriff scheint allerdings auf die hebräische Bibel nicht anwendbar, entstand er doch<br />

in der alten Kirche und ist erst ab dem 2. Jh. n. Chr. nachweisbar. Vgl. KEEL/SCHRÖER, S. 174.<br />

16<br />

S.u. A. 1.4.1. Mitgeschöpflichkeit, S. 16.<br />

17<br />

Vgl. SCHARBERT in <strong>Th</strong>WAT, Bd I, Sp 826.<br />

11


en, nämlich der Fruchtbarkeit. 18 Vor diesem Hintergrund ist auch die Beobachtung erklärbar,<br />

dass die Landtiere nicht gesegnet werden: Während die Tiere des Wassers und die<br />

Tiere der Luft ihren Lebensraum (weiterhin) bevölkern sollen, fühlen sich die Menschen<br />

von der Vermehrung der Landtiere bedrängt. Im 6. Jh. v. Chr., zur ungefähren Entstehungszeit<br />

dieses Textes, wurden die Landtiere als direkte Konkurrenten des Menschen <strong>bei</strong><br />

der Besiedlung des Landes gesehen. Die wilden Tiere des Landes, so z.B. Löwen, Wildesel<br />

und Geier, stellten eine echte Bedrohung für den Menschen dar: 19 Das mühsam urbar gemachte<br />

Kulturland konnte jederzeit wieder zur unbewohnbaren Wildnis werden. Herrschaft<br />

20 und Kontrolle, welche Lebensräume für den Menschen schuf, galten in dieser Situation<br />

als hoher Wert. 21 Diese Lebenssituation darf nicht ausser Acht gelassen werden,<br />

wenn die Feststellung, dass die Landtiere nicht gesegnet werden und keinen Fruchtbarkeitsauftrag<br />

erhalten, diskutiert wird. Hier im ethischen Sinn davon zu sprechen, dass die<br />

Landtiere missachtet würden, wäre m.E. verfehlt.<br />

1.2.3. bAj, ‚gut’<br />

Die Diskussion um die ethische Kernfrage „Was ist gut?“ werde ich an dieser Stelle nicht<br />

führen. Dennoch werde ich in diesem Abschnitt darauf eingehen, was die Aussage des Satzes<br />

ist, der in deutscher Übersetzung heisst „und Gott sah, dass es gut war“. Im Weiteren<br />

möchte ich hier kurz auf die Bedeutung des Sachverhaltes eingehen, dass die Erschaffung<br />

des Menschen, im Gegensatz zu den Wasser-, Luft- und Landtieren, nicht mit bAj, ,gut’,<br />

quittiert wird.<br />

bAj hat im Hebräischen den Schwerpunkt auf dem funktionalen Aspekt. Im Mittelpunkt<br />

steht die Eignung und der Nutzen einer Sache oder einer Person. Da<strong>bei</strong> geht es vor allem<br />

darum, dass die rechte Ordnung eingehalten wird, d.h. die Funktionalität der Sache oder<br />

der Person wird daran gemessen, wie sehr sie der zu bewältigenden Aufgabe entspricht.<br />

Bezüglich der Schöpfungswerke heisst das also, dass sie gut sind zu dem Zweck, für den<br />

sie angefertigt wurden. Im Bereich der Landwirtschaft ist im Zusammenhang mit bAj der<br />

Aspekt der Fruchtbarkeit nicht ausser Acht zu lassen. Sicher spielt die Fruchtbarkeit in<br />

diesem Zusammenhang auch eine nicht zu verachtende Rolle. 22 Hinter der Quittierung<br />

„Gott sah, dass es gut war“ steckt keine objektive Beurteilung, sondern vielmehr die Feststellung,<br />

dass das Erschaffene fruchtbar ist und seinem Zweck entspricht.<br />

18 Vgl. KEEL/SCHROER, S. 94.<br />

19 S.u. A.4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere, S. 32.<br />

20 S.u. A. 1.4.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen, S. 18.<br />

21 Vgl. KEEL/SCHROER, S. 182.<br />

12


Entgegen der landläufigen Meinung wird die Erschaffung des Menschen nicht mit daom<br />

bAj, ,sehr gut‘, quittiert. daom bAj (Gen 1,31) bezieht sich nämlich nicht auf die Erschaffung<br />

des Menschen, sondern auf die gesamte Schöpfung. Wie ist es zu beurteilen, dass alle<br />

Lebewesen mit Ausnahme des Menschen für bAj befunden werden? Nach DE PURY 23 heisst<br />

das dreierlei: erstens bedeutet es, dass der Mensch frei ist, gut zu sein oder nicht. Seine<br />

Existenz ist ausserhalb der Kategorien ‚gut’ und ‚schlecht’ und stellt somit eine existentielle<br />

Freiheit dar. Damit sind (zweitens) die Existenzbedingungen von Mensch und Tier<br />

grundsätzlich unterschieden: Während das Tier in der Kategorie „gut“ lebt, kann der<br />

Mensch sich für oder gegen das „Gut-Sein“ entscheiden. Diese Freiheit entsteht (drittens)<br />

für den Menschen durch den Akt des Angesprochenseins.<br />

Wieweit lässt sich diese <strong>Th</strong>ese DE PURYS für die Fragestellung meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nutzbar machen?<br />

Diese <strong>Th</strong>ese ist deshalb interessant, weil sie stark auf die ethische Diskussion eingeht.<br />

Dass der Mensch innerhalb der ganzen Schöpfung mehr Verantwortung zugesprochen<br />

bekommt als andere Lebewesen, ist nicht wegzudiskutieren. Dass dies jedoch in einem<br />

ethischen Sinn in dieser Ausgeprägtheit im vorliegenden Text stehen soll, wie DE<br />

PURY zeigt, möchte ich hinterfragen. Die Problematik seiner <strong>Th</strong>ese ist meines Erachtens<br />

die, dass – trotz diskussionswürdigem Ansatz – ausser Acht gelassen wird, dass bAj im<br />

Zusammenhang dieses Textes möglicherweise etwas anderes meint als das, was wir heute<br />

unter ‚gut‘ verstehen. bAj dürfte kaum ethisch zu verstehen sein, sondern viel eher im oben<br />

erwähnten Sinn der Zweckmässigkeit und Fruchtbarkeit. Falls bAj tatsächlich ausschliesslich<br />

in diesem Sinn verstanden werden will, stellt sich natürlich die Frage, ob denn der<br />

Mensch nicht ausreichend seinem Zweck entspricht, dass seine Erschaffung nicht mit bAj<br />

quittiert wird. In ihrer Konsequenz muss diese Frage anhand von drei Aspekten beleuchtet<br />

werden:<br />

Erstens ist es denkbar, dass mit bAj eine Zweckdienlichkeit gemeint ist, welche zeigt, dass<br />

die Instinkte gut funktionieren. Da der Mensch jedoch nicht ausschliesslich über die Instinkte<br />

sondern auch mit seinem Verstand agieren kann, entspricht er nicht dem, was bAj<br />

meint.<br />

Der zweite Aspekt, der beachtet werden muss, ist der, dass möglicherweise nicht der<br />

Mensch zweckdienlich für seine Umwelt, sondern umgekehrt, die Umwelt zweckdienlich<br />

für den Menschen geschaffen wurde. Dieser Schöpfungsbericht scheint auf den Menschen<br />

als Zielpunkt hin konzipiert worden zu sein. Also ist der Mensch als Massstab für die<br />

22 Vgl. ANDRÉ, in <strong>Th</strong>WAT, Bd III, Sp. 324.<br />

23 Vgl. DE PURY in JANOWSKI, S. 141.<br />

13


Zweckdienlichkeit von Flora und Fauna zu sehen und insofern nicht mit dem gleichen, die<br />

Funktionalität anzeigenden bAj zu bestimmen.<br />

Als dritter Aspekt muss hier der Begriff des ~yhil{a/ ~l,c,B – Abbildes Gottes – erwähnt<br />

werden. Während <strong>bei</strong> den Pflanzen und Tieren die Zweckdienlichkeit in Relation auf den<br />

Menschen mit bAj angezeigt wird, wird der Mensch in Relation zu Gott gesetzt. Somit<br />

entfällt die Diskussion nach der Funktionalität in Bezug auf die Umwelt, weil hier mit anderen<br />

Massstäben argumentiert wird.<br />

1.2.4. hdr 24 , ‚herrschen’<br />

Dieses Verb bezeichnet das königliche Herrschen über fremde oder feindliche Völker. Diese<br />

Herrschaft kann verbunden sein mit Gewaltausübung gegen diejenige Gruppe von Menschen,<br />

welche als Bedrohung angesehen wird. hdr heisst also konkret soviel, wie die Verantwortung<br />

dafür übernehmen, dass niemand das eigene Volk bedroht. In diesem Sinn<br />

kann auch der Herrschaftsauftrag von Gen 1,26.28 verstanden werden: Hier wird innerhalb<br />

des Schöpfungs-berichtes das Verhältnis des Menschen zur Tierwelt bzw. zur Erde und zu<br />

den Tieren bestimmt. Ich stelle hier nun die zu überprüfende <strong>Th</strong>ese auf, dass das Herrschen<br />

als etwas genuin Menschliches verstanden wird.<br />

Um diese <strong>Th</strong>ese zu überprüfen, betrachte ich zunächst den Kontext des Herrschaftsauftrages:<br />

Gott erteilt dem Menschen den Auftrag zu herrschen als Inhalt des Segens. Es scheint<br />

also, als ob die Erteilung der Fruchtbarkeit eng mit dem Herrschaftsauftrag verknüpft sei:<br />

Beide werden von Gott erteilt.<br />

Als nächsten Schritt beziehe ich nun obenerwähnte Grundbedeutung des Verbes hdr mit<br />

ein: Wenn hdr verstanden werden muss als ‚gewaltsam das eigene Volk gegen vernichtende<br />

Aussenmächte zu verteidigen‘, dann zeigt das doch eigentlich die damalige Lebenssituation<br />

sehr deutlich auf: Das Land, das zum Leben benötigt wurde, musste – gegebenenfalls<br />

mit Gewalt – gegen die wilden Tiere verteidigt werden. 25 Daraus eine negative<br />

Grundhaltung allen Tieren gegenüber zu sehen, wäre hier m.E. verfehlt, zumal klar von<br />

einem königlichen Herrschen die Rede ist. Ein König hat Verantwortung zu tragen – auch<br />

den Feinden gegenüber. Es scheint nun also tatsächlich vielmehr so zu sein, dass der<br />

Mensch, wollte er lebensfähig sein und bleiben, sich gegen die Wildtiere behaupten musste.<br />

Die Fähigkeit dazu bekam er von Gott kurz nach seiner Erschaffung als Segensinhalt.<br />

24<br />

Vgl. ZOBEL, in <strong>Th</strong>WAT, Bd VII, Sp. 352.<br />

25<br />

Namentlich wohl vorwiegend Löwen und Wildesel. S.u. A.4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere, S. 32.<br />

14


D.h. er bekam den Auftrag, für seinen Lebensraum zu kämpfen zusammen mit dem Zuspruch<br />

der Fruchtbarkeit und der Vermehrung.<br />

Meine <strong>Th</strong>ese, dass das Herrschen als etwas genuin Menschliches verstanden wird, scheint<br />

sich also dann zu bestätigen, wenn man davon ausgeht, dass das Herrschen direkt mit dem<br />

Überleben gekoppelt werden muss.<br />

Ebenfalls von Interesse ist, dass das Herrschen über die Erde gleichwertig neben das Herrschen<br />

über die Tierwelt tritt. Möglicherweise wurde also nicht nur die Tierwelt mit ihren<br />

gefährlichen Wildtieren, sondern auch die Pflanzenwelt mit ihren unberechenbaren Gewächsen<br />

oder die Erde mit scheinbar unbebaubarem Land oder unzugänglichem Gelände<br />

als Bedrohung verstanden. Über alles muss geherrscht werden – alle diese Bedrohungen<br />

müssen die Menschen in den Griff bekommen, wollen sie so überleben, wie es ihnen zugedacht<br />

ist.<br />

An dieser Stelle sei jedoch noch einmal betont, dass es sich <strong>bei</strong> hdr nicht um ein gewaltsames<br />

Unterwerfen der Erde und der Tierwelt handelt, sondern ein Dienst- und Bewohnbarmachen<br />

derselben. Dem Menschen wird als einzigem Lebewesen von Gott eine königliche<br />

Stellung innerhalb der Schöpfung zugewiesen. Die Herrschaft des Menschen ist eine<br />

ihm von Jahwe verliehene Machtstellung und hat dessen Ordnungsgefüge zu dienen.<br />

1.2.5. vbk 26 , ,herrschen’<br />

Grundsätzlich meint dieses Verb ‚den Fuss auf etwas/jemanden setzen‘ oder ‚herrschen‘.<br />

Es setzt also immer einen Stärkeren als Subjekt und einen Schwächeren als Objekt voraus.<br />

Gewaltanwendung im Zusammenhang mit der Herrschaftsausübung kann <strong>bei</strong> diesem Verb<br />

nicht ausgeschlossen werden. Allerdings ist mit „Herrschen über den Lebensraum“ nicht<br />

rücksichtsloses, brutales Zerstören der Erde oder um ein uneingeschränktes Tötungsrecht<br />

gemeint. 27 Vielmehr ist da<strong>bei</strong> an das Verwalten von Lebenswelt gedacht, welches mit dem<br />

normalen Walten des Hirten über seine Herde verglichen werden kann. Zur Hirtenar<strong>bei</strong>t<br />

gehört die Sorge für die Nahrung der Tiere und für die Sicherung ihres Lebensraumes. 28<br />

Da Gott selber diese Aufgabe nicht wahrnehmen kann oder will 29 , ist er auf eine Art Statthalter<br />

auf Erden angewiesen, der hier in seinem Sinn die göttliche Ordnung, und damit<br />

auch die Lebensbedingungen für seine Schöpfung, aufrecht erhält. Dies zeigt sich <strong>bei</strong>-<br />

26 Vgl.DOHMEN in <strong>Th</strong>WAT, Bd IV, Sp. 56ff.<br />

27 Vgl. KEEL/SCHRÖER, S. 182.<br />

28 Vgl. LIEDKE in JANOWSKI, S. 207.<br />

29 S.u. A.1.3.2. göttliche Ordnung, S. 17.<br />

15


spielsweise in Gen 1,26: Der Mensch wird gleich <strong>bei</strong> seiner Erschaffung zur Herrschaft<br />

über die Tiere bestimmt.<br />

Es kann also gesagt werden, dass auch <strong>bei</strong> diesem Verb nicht das Anwenden von Gewalt<br />

oder das böswillige Beherrschen im Zentrum steht, sondern das ‚Lebensfähig-Machen‘,<br />

das ‚Am-Leben-Erhalten‘.<br />

1.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht<br />

Der Gesichtspunkt „Leben“ ist für diesen Text sehr zentral. In der Tatsache, dass alle Lebewesen<br />

und ihre Umwelt von Gott zum Leben geschaffen wurden und in alle Folgezeit<br />

reichen Fortbestand bringen werden, zeigt sich ein Aspekt dieses ‚Lebens’. Weiter zeigt<br />

sich dieses ‚Leben’ aber auch darin, dass Gott die Welt in verschiedene Lebensräume zerlegt<br />

und jeweils die Lebewesen, welche ihrerseits differenziert gruppiert sind, den passenden<br />

Lebensräumen zuordnet. Doch sieht P 30 in diesem Bereich der natürlichen Welt und<br />

Umwelt von vornherein ein Problem: Das Verhältnis von Tieren und Menschen. Bei der<br />

Bestimmung der Menschen in den Versen 26ff wird dieses problematische Verhältnis deutlich<br />

aufgerollt. 31<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es in diesem Text grundsätzlich um die Präsentation<br />

von Grundordnungen geht, welche das Handeln Gottes in der für den Menschen<br />

erfahrbaren Welt zeigt. Die funktionierende Beziehung zwischen Menschen und Tieren<br />

wird in diesem Schöpfungsbericht nicht als naturgegebene Selbstverständlichkeit gezeichnet.<br />

Mensch und Tier werden auch nicht zur Selbstregulation des Verhältnisses sich selbst<br />

überlassen. Die Gestaltung dieses Verhältnisses sieht P von Gott im Schöpfungsgeschehen<br />

gesetzt. Die lebensdienliche Ordnung dieser Beziehung spielt für den Menschen eine wesentliche<br />

Rolle. 32<br />

1.3.1. Mitgeschöpflichkeit<br />

Im Zusammenhang dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist die Beobachtung wichtig, dass sowohl vom Menschen<br />

wie vom Tier ausgesagt wird, dass sie „geschaffen“ wurden. 33 Dies zeigt, dass Menschen<br />

wie Tiere unter den gleichen Voraussetzungen – bzw. eben voraussetzungslos – von Gott<br />

gewollt und so auch geschaffen wurden. Der Sachverhalt, dass Mensch und Tier arb –<br />

‚geschaffen‘ – wurden, hatte eine breite Wirkungsgeschichte. So möchte ich im Folgenden<br />

30<br />

P steht für Priesterschrift, die Autorschaft dieses Berichtes.<br />

31<br />

S. u. A.1.3.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen, S. 18.<br />

32<br />

Vgl. STECK, S. 78.<br />

33<br />

S.o. B.1.2.1. arb, S. 9.<br />

16


kurz auf den ethischen Gedanken der Mitgeschöpflichkeit eingehen, der auf diesem Text<br />

fusst.<br />

Der Zürcher <strong>Th</strong>eologe FRITZ BLANKE prägte im Jahr 1959 den Begriff der Mitgeschöpflichkeit<br />

34 und damit den tierschutzethischen Ansatz, der vom Gedanken der gemeinsamen<br />

Geschöpflichkeit der Natur ausgeht. Das Konzept der ‚Mitgeschöpflichkeit’ macht<br />

deutlich, dass es ethisch unvertretbar ist, die Menschlichkeit auf blosse Mitmenschlichkeit<br />

zu reduzieren. Damit wird also die Nächstenliebe in den grösseren Zusammenhang aller<br />

Geschöpfe gestellt. 35<br />

1.3.2. Göttliche Ordnung<br />

Im Kern des Textes geht es – neben einer Schilderung der Schöpfung – um die Bewahrung<br />

der göttlichen Ordnung. Das Zusammenleben des Menschen mit den anderen Lebewesen<br />

zeigt sich für P deshalb als so brisantes Problem, weil der Schöpfer selbst nach Abschluss<br />

des Schöpfungswirkens nicht mehr ständig gestaltend eingreift. Der Schöpfer braucht also<br />

einen Statthalter auf Erden, der in seinem Sinne, d.h. im Sinne der von Gott erstellten<br />

Schöpfungswelt, wirkt. ‚Wirken‘ steht <strong>bei</strong> P für das stetige Stiften und Vollziehen der<br />

Ordnung im Zusammenleben der Lebewesen. ‚Ordnung‘ ist für P „nie ein fremdbestimmendes,<br />

lebensminderndes oder gar knechtendes Reglement, sondern der Rahmen, in dem<br />

Eigenleben zu seinem wie zum Wohle und Bestand der Gesamtheit entfaltet, aber auch<br />

begrenzt wird.“ 36 Sprechen wir demnach vom Zusammenleben des Menschen mit seiner<br />

Umwelt <strong>bei</strong> P, dann sprechen wir immer auch von der göttlichen Schöpfungsordnung, welche<br />

zu erhalten er dem Menschen aufgetragen hat.<br />

Der Mensch steht also als Garant der lebenskontinuierlichen Ordnung des Ganzen. Der<br />

Sachverhalt, dass der Mensch als Zielpunkt der Schöpfung angesehen wird, macht deutlich,<br />

dass die göttliche Ordnung, die Pflanzen und Tiere nicht ausschliesslich um ihrer<br />

selbst Willen geschaffen wurden. 37 Im vorliegenden priesterschriftlichen Schöpfungsbericht<br />

kommt dies zwar nicht sehr deutlich zum Ausdruck, ist hier doch von einer scheinbar<br />

zweckfreien Erschaffung der Welt und von der Artenvielfalt zu lesen. Doch im Kontext<br />

dessen betrachtet, dass der Mensch als Zielpunkt der ganzen Schöpfung zu sehen ist,<br />

scheint mir STECKS <strong>Th</strong>ese, dass nämlich die Welt von Gott um allen Lebens willen und<br />

nicht um des Menschen willen geschaffen wurde, diskussionswürdig.<br />

34<br />

Der Begriff ‚Mitgeschöpf’ war insbesondere im Pietismus heimisch, ist also ein Wort des späten 18. Jahrhunderts.<br />

Vgl. TEUTSCH, S. 139.<br />

35<br />

Vgl. TEUTSCH, S. 139f.<br />

36<br />

STECK, S. 79.<br />

17


1.3.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen<br />

Der wohl schwierigste Punkt der Schöpfungsgeschichte nach P ist wohl der Begriff der<br />

Herrschaft Gottes. Was nämlich für uns heutige Menschen einen negativen Beigeschmack<br />

hat, dürfte von der Autorenschaft fraglos positiv verstanden worden sein. Ich gehe mit<br />

STECK einig, wenn er sagt, <strong>bei</strong> der Herrschaft des Menschen handle es sich um eine Bestimmung,<br />

welche nötig sei, um den Fortbestand der Schöpfungswelt aufrecht zu erhalten.<br />

So ist diese Bestimmung auch in die göttliche Gesamtbilligung der Schöpfungswelt eingeschlossen,<br />

wonach diese daom. bAj war. 38 Es geht hier also keinesfalls um eine von Gott<br />

gelöste, autonome oder gar autokratische Verfügung über die Tierwelt für selbsterwählte<br />

Zwecke. Mit der Herrschaft des Menschen über die Tierwelt ist vielmehr das Amt des verantwortungsbewussten<br />

Sachwalter Gottes gemeint.<br />

LIEDKE präsentiert dagegen eine andere Meinung 39 : Er geht davon aus, dass die Herrschaft<br />

des Menschen <strong>bei</strong> P heisse, im Bewusstsein zu leben, dass die gegebene Gewaltsituation<br />

zwischen Mensch und Tier nicht dem ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes entspreche,<br />

sondern vom Menschen verursacht sei. Um den Segen der Schöpfung nicht verloren gehen<br />

zu lassen, sei es nötig, die Gewalt gegenüber den Tieren zu minimieren. Im Gegensatz zu<br />

LIEDKE denke ich, dass das Eingesetztwerden des Menschen über die Tiere zentral mit dem<br />

Schöpfungswillen Gottes übereinstimmt. Die Herrschaft des Menschen wird jedoch nicht<br />

als rücksichtslose Ausbeutung verstanden. Ein klares Indiz dafür ist, dass dieser Herrschaftsauftrag<br />

mit der Segnung zusammen stattfindet. Der Auftrag des Menschen, die Erde<br />

zu beherrschen geht für den Menschen einher mit dem Fruchtbarkeitsauftrag. Wenn Gott<br />

dem Menschen den Auftrag zu Herrschen erteilt, kann es nicht sein, dass dieser Auftrag<br />

gegen seinen Willen geschieht.<br />

Das Problem dieser Stelle jedoch zeigt sich deutlich: Der Herrschaftsauftrag, wie er in Gen<br />

1 dargestellt ist, wird wenig konkret geboten; 40 d.h. es wird nicht ausgeführt, was diese<br />

Herrschaft alles <strong>bei</strong>nhaltet und wo ihre Grenzen sind. So kommt es, dass der Begriff ausgedehnt<br />

und leicht missbraucht werden kann.<br />

1.4. Fazit<br />

37 Vgl. dagegen STECK, S. 81.<br />

38 Vgl. STECK, S. 79.<br />

39 Vgl. LIEDKE in JANOWSKI, S. 209.<br />

40 Vgl. STECK, S. 78.<br />

18


Meiner Meinung nach zeigt der Schöpfungsbericht nach P zwei voneinander abhängige<br />

Diskussionspunkte auf: Der erste dieser Punkte ist das Geschaffensein von Mensch und<br />

Tier. Beide sind von Gott geschaffen, <strong>bei</strong>de sind von Gott gewollt. 41 Auch wenn der<br />

Mensch eine Sonderstellung einnimmt, so ist er grundsätzlich auch geschaffen wie seine<br />

Umwelt, wie die Tiere auch. Dieses Bewusstsein prägt dann auch das Verständnis der<br />

Sonderstellung des Menschen. Dieser zweite Punkt, die Herrschaft des Menschen, muss<br />

m.E. unbedingt in die Richtung von Stecks <strong>Th</strong>ese diskutiert werden. Nämlich, dass es <strong>bei</strong>m<br />

Herrschaftsauftrag des Menschen weder um sinnlose Tötung noch um grossangelegten<br />

Missbrauch von Tieren geht, sondern vielmehr um einen verantwortungsvollen Umgang<br />

mit der Umwelt. Dass der eigene Lebensraum gegen die Tierwelt verteidigt werden muss<br />

heisst nicht, dass der Mensch keine Achtung vor dem Tier haben soll. Diese <strong>bei</strong>den Gedanken<br />

wurden von SCHWEITZER in seiner „Ehrfurcht vor dem Leben“ aufgenommen. Da<br />

zeigt er, ausgehend vom Gedanken des gemeinsamen Geschaffenseins von Mensch und<br />

Tier, dass unsere Nächsten alle Wesen – nicht nur die Menschen – sind. „Deshalb glaube<br />

ich, dass der Begriff der Ehrfurcht vor dem Leben unseren Gedanken der Humanität mehr<br />

Tiefe, mehr Grösse und mehr Wirksamkeit verleiht.“ 42<br />

Können wir diese <strong>bei</strong>den zentralen Punkte in das Bewusstsein unserer Beziehung zu Tieren<br />

mit einbeziehen, so ist der wichtigste Pfeiler eines gesunden Umgangs des Menschen mit<br />

dem Tier gesetzt.<br />

41 Die Schöpfung, wie sie in diesem Text geschildert wird, geschieht mittels eines Sprechaktes Gottes. Ein<br />

Sprechakt setzt immer den Willen des Agierenden voraus.<br />

42 SCHWEITZER, S. 165.<br />

19


2. Gen 2,7-2,9.15.18-25<br />

2.1. Text und Übersetzung<br />

Tamve ~d'a'h' ar'q.YIw 2,20<br />

tY:x; lkol.W ~yIm;V'h; @A[l.W hm'heB.h;lk'l.<br />

`ADg>nw: hV'ail. ~d'a'h'-!mi xq;l'-rv,a]<br />

`~d'a'h'-la,<br />

~[;P;h; tazO ~d'a'h' rm,aYOw: 2,23<br />

hV'ai areQ'yI tazOl. YrIf'B.mi rf'b'W<br />

ym;c'[]me ~c,[,<br />

`taZO-hx'q\lu vyaime yKi<br />

wybia'-ta, vyai-bz"[]y: !Ke-l[;2,24<br />

`dx'a, rf'b'l. Wyh'w> ATv.aiB. qb;d'w><br />

AMai-ta,w><br />

~d'a'h' ~yMiWr[] ~h,ynEv. Wyh.YIw: 2,25<br />

`Wvv'Bot.yI al{w> ATv.aiw><br />

~d'a'h'-ta, ~yhil{a/ hw"hy> rc,yYIw: 2,7<br />

~yYIx; tm;v.nI wyP'a;B. xP;YIw:<br />

hm'd'a]h'-!mi rp'['<br />

`hY"x; vp,n<br />

lk'a]m;l.<br />

`[r'w" bAj<br />

...<br />

~d'a'h'-ta, ~yhil{a/ hw"hy> xQ;YIw: 2,15<br />

`Hr'm.v'l.W Hd'b.['l. !d,[e-!g:b. Whxe-<br />

NIY:w:<br />

...<br />

bAj-al{ ~yhil{a/ hw"hy> rm,aYOw: 2,18<br />

`ADg>n hd,F'h; tY:x;-lK' hm'd'a]h'-<br />

!mi<br />

tAar>li ~d'a'h'-la, abeY"w: ~yIm;V'h;<br />

vp,n< ~d'a'h' Al-ar'q.yI rv,a] lkow> Alar'q.YI-hm;<br />

`Amv. aWh hY"x;<br />

2,7 Und Jhwh, der Gott, formte den Menschen aus Staub vom Erdboden und blies Leben<br />

in seine Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.<br />

20


2,8 Und Jhwh, der Gott, pflanzte einen Garten in Eden im Osten und setzte dort den<br />

Menschen hinein, den er geformt hatte.<br />

2,9 Und Jhwh, der Gott, liess aus der Erde alle Bäume wachsen, angenehm anzusehen<br />

und gut zur Nahrung und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens und der<br />

Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.<br />

...<br />

2,15 Und Jhwh, der Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit<br />

er ihn bear<strong>bei</strong>te und hüte.<br />

...<br />

2,18 Und Jhwh, der Gott, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich werde<br />

ihm eine Hilfe machen als sein Gegenüber.<br />

2,19 Und Jhwh, der Gott, bildete aus der Erde jedes Tier des Feldes und jeden Vogel<br />

des Himmels und ging zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde; und<br />

ganz wie der Mensch ein lebendes Wesen nennen wird, so ist sein Name.<br />

2,20 Und der Mensch gab allem Vieh und allen Vögeln des Himmels und allen Tieren<br />

des Feldes Namen; aber für den Menschen fand er keine Hilfe als sein Gegenüber.<br />

2,21 Da liess Jhwh, der Gott, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er<br />

schlief ein. Und er nahm eine von seinen Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch.<br />

2,22 Und Jhwh, der Gott, bildete die Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, zu<br />

einer Frau und brachte sie zu dem Menschen.<br />

2,23 Da sprach der Mensch: „Diese ist nun endlich Ge<strong>bei</strong>n von meinem Ge<strong>bei</strong>n und<br />

Fleisch von meinem Fleisch. Sie soll ‚Männin‘ 43 heissen, denn vom Mann ist sie genommen.“<br />

2,24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau<br />

anhängen, und sie werden zu einem Fleisch.<br />

2,25 Und die <strong>bei</strong>den, der Mensch und seine Frau, waren nackt und schämten sich<br />

nicht.<br />

2.2. Fragen an den Text<br />

2.2.1. rmv 44 , ‚bewachen, behüten, u.a.’<br />

Der Begriff rmv kommt in sehr verschiedenen Kontexten vor. Das Verb bezeichnet grundsätzlich<br />

‚bewachen, behüten, beobachten, erfüllen, halten, Wache halten, ausspähen‘.<br />

Schattierungen und Varianten davon ergeben sich durch die jeweilige Kombination mit<br />

anderen Wörtern. Das Verb weicht jedoch in seiner Bedeutung nie ganz von seiner Grund-<br />

43<br />

Da es kein entsprechendes deutsches Wort gibt, welches die hebräische Wortverwandtschaft wiedergeben<br />

könnte, bleibe ich <strong>bei</strong>m konstruierten und sehr unbefriedigenden Wort „Männin“.<br />

44<br />

Vgl. GARCIA LOPEZ in <strong>Th</strong>WAT, Bd VIII, Sp. 280ff.<br />

21


edeutung ab. Im Kontext dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> heisst das, dass der Auftrag, den der Mensch in<br />

diesem Schöpfungsbericht erhält, nämlich den Garten zu rmv nicht mit Gewalt verbunden<br />

werden kann. Anders als im Herrschaftsauftrag von Gen 1 scheint hier tatsächlich von einem<br />

völlig gewaltlosen Bewahren die Rede zu sein.<br />

2.2.2. rz[ 45 , ‚Hilfe’<br />

Das Verb weckt grundsätzlich die Vorstellung des Schutzes, wie das daraus abgeleitete<br />

Nomen hrz[, ‚Einfriedung/Umrahmung‘, zeigt. Häufig hat es Gott zum Subjekt und einen<br />

Ausdruck zur Bezeichnung der Gläubigen oder des Gottesvolkes als direktes Objekt. Auf<br />

profanem Gebiet begegnen als Subjekt ein Kriegsherr bzw. Krieger. Ausserhalb des militärischen<br />

Kontextes kann es eine moralische oder soziale Unterstützung oder die Hilfe <strong>bei</strong><br />

der Ausübung einer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> bezeichnen. Im Zusammenhang des vorliegenden Textes kann<br />

man also davon ausgehen, dass die Hilfe, die hier angestrebt wird, als soziale Unterstützung<br />

gedacht ist. Die Frage, ob hier an eine materielle Hilfe gedacht ist oder ob nicht vielmehr<br />

die soziale Unterstützung im Vordergrund steht, scheint berechtigt.<br />

2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’<br />

Vom Menschen wird ausdrücklich gesagt, dass er von Gott Leben eingehaucht bekommt.<br />

Er wird also in zwei Etappen geschaffen: Im ersten Schritt formt Gott das Material, im<br />

zweiten Schritt schenkt er das Leben. Diese zwei Schritte werden aber nicht von der Erschaffung<br />

der Tiere erwähnt. Es ist zwar klar, dass die Tiere – wie die Menschen auch –<br />

lebende Wesen sind (Gen 2,19). Dass Gott ihnen aber Leben einhaucht, wird nicht explizit<br />

gesagt.<br />

Interessant an diesem Konzept, dass der Mensch das einzige unter allen lebenden Wesen<br />

ist, welches von Gott Odem eingehaucht bekommt, scheint mir die Überlegung zu sein,<br />

dass der Mensch – wie die übrigen Wesen auch – zwar geschaffen, aber doch etwas besonderes<br />

ist. In verschiedenen theologischen Konzepten und auch in diversen philosophischen<br />

Denkansätzen wird versucht, die Andersartigkeit des Menschen gegenüber dem Tier zu<br />

erklären. Während ausserbiblische, philosophische Versuche damit argumentieren, dass<br />

das Tier im Gegensatz zum Menschen keinen Verstand besitze, argumentiert Gen 2 damit,<br />

dass der Mensch im Gegensatz zum Tier Lebensodem eingehaucht bekommen habe. Diese<br />

Tatsache wird zwar nicht ausdiskutiert, aber sie wird als selbstverständliche Prämisse angenommen.<br />

22


2.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im jahwistischen Schöpfungsbericht<br />

2.3.1. rz[, ‚Hilfe’<br />

Aus heutiger Sicht ist der Tatbestand, dass das Wort rz[,, ,Hilfe’, sowohl für das Tier als<br />

auch für die Frau verwendet wird, erschreckend. Wie ist es zu verstehen, dass die Frau auf<br />

die gleiche Stufe wie das Tier gestellt wird? Diese Diskussion wäre sehr lohnend, würde<br />

jedoch den Rahmen dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sprengen.<br />

Was heisst es nun, wenn das Tier als rz[ für den Menschen gesehen wird? In Gen 2,9 wird<br />

gesagt, dass Jhwh alle Bäume wachsen liess und dass sie gut zur Nahrung waren. Daraus<br />

einen grundsätzlichen Vegetarismus des Menschen abzulesen wäre m.E. etwas vage. Dennoch<br />

muss aber <strong>bei</strong>m Betrachten von Gen 2 auffallen, dass keine Rede davon ist, Tiere zu<br />

töten. Man kann also folgern, dass das Tier als Lieferant von Gütern und Dienstleistungen<br />

gesehen werden kann, dass aber das Töten von Tieren nicht im Sinne ihrer Hilfestellung<br />

ist. Nun aber davon auszugehen, dass aufgrund der Funktion des Tieres als rz[ für den<br />

Menschen, Mensch und Tier zwangsläufig in einer engen, personifizierten Beziehung zueinander<br />

stehen müssten, könnte hier ein Fehlschluss sein. Um aus den Tieren einen Nutzen<br />

zu ziehen, braucht man nicht mit ihnen in Beziehung zu stehen. Im Gegenteil: Möglicherweise<br />

ist sogar gerade die Beziehungslosigkeit der Grund für die Hilfestellung des<br />

Tieres.<br />

Nach DE PURY 46 muss rz[ jedoch in einem grundsätzlicheren und existentielleren Sinn verstanden<br />

werden. Seiner Meinung nach geht es hier um die Überwindung von Einsamkeit,<br />

was m.E. durchaus seine Richtigkeit hat. Doch möchte ich mich davor hüten, rz[ hier mit<br />

DE PURY ausschliesslich als „Lebenshilfe“ 47 zu sehen. Es wäre wohl an der Realität der<br />

Autorenschaft der biblischen Texte vor<strong>bei</strong>gedacht, wenn nicht auch von einer Hilfe auf<br />

materieller Basis ausgegangen würde. Wenn jedoch heute damit argumentiert wird, dass ja<br />

das Tier nur als Hilfe für den Menschen geschaffen wurde, dann ist dagegen zu halten,<br />

dass diese Hilfe nicht als Freigabe zur Ausbeutung, sondern vor allem als soziale Unterstützung<br />

gedacht ist. Dass jedoch diese soziale Unterstützung auch ausarten kann, zeigt<br />

<strong>bei</strong>spielsweise der heutige Umgang mit überzüchteten und vermenschlichten Zuchthunden,<br />

welche als Kinder- oder Partnerersatz Verniedlichungen und unwürdige Vermenschlichungen<br />

über sich ergehen lassen müssen.<br />

45 Vgl. WAGNER in <strong>Th</strong>WAT, Bd VI, Sp. 14ff.<br />

46 DE PURY in JANOWSKI, S. 134.<br />

23


2.3.2. ADg>nn


Ausdruck ‚Partner‘ muss hier allerdings mit Vorsicht genossen werden, ist es doch so, dass<br />

die Namensgebung einseitig verläuft: Der Mensch gibt den Tieren die Namen. Das Tier<br />

jedoch kann dem Menschen keinen Namen geben oder sonstwie aktiv mit ihm in Beziehung<br />

treten. Dies zeigt also deutlich, dass es hier nicht nur um das Knüpfen einer Beziehung,<br />

sondern zugleich auch um einen Akt der Souveränität des Menschen geht.<br />

2.3.4. Leben einhauchen<br />

Dass nur der Mensch von Gott Leben eingehaucht bekommt, habe ich bereits erwähnt. 50<br />

Der Sachverhalt, dass vom Tier solches Eingehaucht-Bekommen nicht erwähnt wird, darf<br />

m.E. jedoch nicht überinterpretiert werden, ist es doch recht vage, anhand von im Text<br />

abwesenden Bemerkungen, aussagekräftige Schlüsse zu ziehen. Dennoch könnte man das<br />

Fehlen des Atemeinhauchens als Manifestation der Kluft zwischen Mensch und Tier deuten.<br />

Diese Kluft zeigt sich unter anderem auch darin, dass der Mensch Verantwortung für<br />

die Schöpfung übernehmen muss.<br />

Wie immer diese (fehlende) Textstelle zu interpretieren ist, es zeigt sich, dass zwischen<br />

Mensch und Tier keine Gleichstellung angestrebt wird. Der Text macht bewusst, dass <strong>bei</strong>de<br />

– sowohl Mensch als auch Tier – lebende Wesen und von Gott geschaffen sind, dass<br />

aber dennoch ein deutlicher Unterschied zwischen Mensch und Tier bestehen bleibt. Allerdings<br />

ist das Bewusstsein, dass sowohl Menschen wie auch Tiere lebende Wesen sind,<br />

nicht zu unterschätzen. Ob die Tiere von Gott Lebensodem eingehaucht bekommen oder<br />

nicht, spielt in der gesamten Haltung des Textes eigentlich keine bedeutende Rolle. Das<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl, welches Gen 2 beschreibt, dass nämlich Mensch und Tier –<br />

trotz unüberbrückbar scheinender Kluft – von demselben Schöpfer aus demselben Material<br />

geschaffen wurden, überwiegt. 51<br />

2.4. Fazit<br />

Die Erschaffung des Tieres als Hilfe für den Menschen macht deutlich, dass das Tier nicht<br />

um seiner selbst willen existiert. Die Tiere haben nur im Bezug auf den Menschen ihre<br />

Daseinsberechtigung und sind so dem Menschen klar untergeordnet. Abschwächend könnte<br />

hierzu allerdings der Begriff ‚Gegenüber’ erwähnt werden. Die Tiere werden nicht einfach<br />

als Zeitvertreib für den Menschen gemacht, sondern als potentielle Partner. Der Versuch<br />

Jhwhs, dem Menschen Tiere als Partner zu geben, schlug jedoch insofern fehl, als er<br />

49 Dazu parallel zu setzen ist auch die „Namensgebung“ Adams.<br />

50 S.o. B.2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, S. 22.<br />

25


für den Menschen kein adäquates Gegenüber fand (Gen 2,20). Dies zeigt die Überlegenheit,<br />

die der Mensch gegenüber dem Tier empfindet. Für den Menschen kommt eine echte<br />

Partnerschaft, ein echtes Gegenüber-Stehen, mit den Tieren in diesem Schöpfungsbericht<br />

nicht in Frage. Dass eine echte Partnerschaft mit dem Tier keine wirkliche Möglichkeit ist,<br />

zeigt sich auch darin, dass nur der Mensch von Gott <strong>bei</strong> der Erschaffung Leben eingehaucht<br />

bekam. Das Tier gilt zwar auch als lebendes Wesen, scheint aber sein Leben nicht<br />

so direkt und explizit von Gott bekommen zu haben. 52 Die Namensgebung kann auch sehr<br />

unterschiedlich beurteilt werden. Einerseits kann sie als ein positives In-Beziehung-Treten<br />

verstanden werden. Andererseits kann dieser Akt der Namensgebung auch als Herrschafts-<br />

Zeichen, als Machtdemonstration des Menschen gegenüber dem Tier, gelesen werden.<br />

Im Gesamten kann man hier aber feststellen, dass die Tiere – auch wenn diese scheinbar<br />

‚positiven’ Begriffe ‚Hilfe’ und ‚Gegenüber’ im Text eine wichtige Rolle spielen – doch<br />

sehr deutlich für minder wertvoll als der Mensch gehalten werden. Die Tiere genügen dem<br />

Menschen nicht als Gegenüber, sie genügen ihm möglicherweise gerade als ‚Hilfe’, was<br />

zwar sehr nützlich ist, aber die Überlegenheit des Menschen klar signalisiert. Der Text<br />

bestätigt also im Gesamten deutlich den Herrschaftsanspruch des Menschen über die Tierwelt<br />

seiner Zeit.<br />

3. Ps 8,4-10<br />

3.1. Text und Übersetzung<br />

hT'v; lKo ^yd,y" yfe[]m;B. Whleyvim.T; 8,7<br />

`wyl'g>r;-tx;t;<br />

`yd'f' tAmh]B; ~g:w> ~L'Ku ~ypil'a]w:<br />

hna' rbe[o ~Y"h; ygEd>W ~yIm;v'<br />

rAPci 8,9<br />

`~yMiy:<br />

^m.vi ryDIa;-hm' WnynEdoa] hw"hy> 8,10<br />

`#r,a'h'-lk'B.<br />

51 S.u. E 2. Religionswissenschaftliche Betrachtung, S.75f.<br />

52 S.o. B.2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’, S. 20.<br />

^yt,[oB.c.a, yfe[]m; ^ym,v' ha,r>a,-yKi 8,4<br />

`hT'n>n"AK rv,a] ~ybik'Akw> x;rey"<br />

yKi ~d'a'-!b,W WNr,K.z>ti-yKi vAna/-hm'<br />

8,5<br />

`WNd,q.p.ti<br />

dAbk'w> ~yhil{a/me j[;M. WhreS.x;T.w:<br />

8,6<br />

`WhreJ.[;T. rd'h'w><br />

26


8,4 Wenn ich deine Himmel anschaue, das Werk deiner Finger, den Mond und die<br />

Sterne, die du befestigt hast:<br />

8,5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und der Sohn des Menschen, dass du<br />

dich um ihn kümmerst?<br />

8,6 Denn du hast ihn (nur) wenig geringer gemacht als göttliche Wesen, hast ihn mit<br />

Herrlichkeit und Pracht gekrönt.<br />

8,7 Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht; alles hast du<br />

unter seine Füsse gestellt:<br />

8,8 Alle Schafe und Rinder und auch die Tiere des Feldes,<br />

8,9 Vögel des Himmels und Fische des Meeres, was auf den Pfaden der Meere zieht.<br />

8,10 Jhwh, unser Herr, wie prächtig ist dein Name auf der ganzen Erde!<br />

3.2. Fragen an den Text<br />

3.2.1. ~yhil{a/me j[;M, ‚wenig geringer als göttliche Wesen’<br />

Dass der Text hier von ~yhil{a spricht, irritiert. Wird dieser Begriff doch im Allgemeinen<br />

als Bezeichnung für Jhwh gebraucht, scheint hier eher die Rede von göttlichen Wesen zu<br />

sein. In meiner Übersetzung halte ich mich an den <strong>Th</strong>WAT-Artikel 53 , der Ps 8,6 einleuchtend<br />

unter „Abweichende Verwendung“ behandelt und für die obenerwähnte Übersetzung<br />

plädiert. Ich gehe mit dem <strong>Th</strong>WAT-Artikel einig, dass hier die Ähnlichkeit mit dem Göttlichen<br />

im Allgemeinen der entscheidende Punkt ist. Ob der Mensch nun wenig geringer als<br />

Gott oder wenig geringer als göttliche Wesen oder Engel geschaffen wurde, spielt eigentlich<br />

keine zentrale Rolle. Wichtig ist, wie bereits oben erwähnt, dass der Mensch Ähnlichkeit<br />

mit dem Göttlichen im Allgemeinen hat. 54 Im Zusammenhang mit der Fragestellung<br />

der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist die deutlich gezeichnete Hierarchie wichtig: Jhwh steht zuoberst;<br />

je nach Übersetzung kommen dann die göttlichen Wesen oder Engel, dann kommt<br />

der Mensch. Dann erst folgen die Tiere als unterste erwähnte Hierarchiestufe. 55<br />

Die Fragen, die im Folgenden zu stellen sind, betreffen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />

von Mensch und Göttlichkeit. Wie äussert es sich, dass der Mensch nur wenig geringer<br />

ist als göttliche Wesen? Was fehlt ihm, dass er nicht göttliches Wesen ist? Wodurch<br />

ist er den Tieren überlegen? Diesen Fragen gilt es im folgenden Abschnitt nachzugehen.<br />

53 Vgl. RINGGREN in <strong>Th</strong>WAT, Bd I, Sp. 285.<br />

54 S.o. 1.2.3. bAj, S.14.<br />

55 S.o. B.2.3.2. ADg>n


3.2.2. ^yd,y" yfe[]m;B. Whleyvim.T;, ‚Du hast ihn zum Herrscher über die<br />

Werke deiner Hände gemacht‘<br />

Ps 8,7a liefert die erste Antwort auf eben diese Fragen: ‚Du hast ihn zum Herrscher über<br />

die Werke deiner Hände gemacht‘. Die zentrale Aussage <strong>bei</strong> der Bemerkung, dass der<br />

Mensch (nur) wenig geringer als göttliche Wesen sein soll, ist also die, dass der Mensch<br />

als eine Art Statthalter Jhwhs über die Schöpfung herrscht. Der Kontext lässt eine gewaltsame<br />

Herrschertätigkeit des Menschen über die Tiere gar nicht zu, geht es doch darum, die<br />

grossartige Schöpfung Jhwhs verantwortungsvoll zu verwalten.<br />

3.2.3. wyl'g>r;-tx;t; hT'v; lKo, ‚Alles hast du unter seine Füsse gestellt‘<br />

Dieser Satz zeigt deutlich die Besitzergreifung an. Während in Ägypten diese Wendung in<br />

Bezug auf den Pharao als Beschützer Ägyptens gegenüber den Fremdvölkern gebraucht<br />

wird, dehnt Ps 8 die umfassende Kompetenz des Königs auf den von Gott erwählten Menschen<br />

generell aus. Der Mensch hat durch seine göttliche Ausstattung nicht nur die Fähigkeit,<br />

der chaotischen Bedrohung zu widerstehen, sondern diese chaotische Bedrohung auch<br />

zu beherrschen. Hier ist allerdings nicht von den bedrohenden Tieren die Rede, sondern<br />

vor allem von den domestizierten Nutztieren. Auch diese zu beherrschen hat der Mensch<br />

die Fähigkeit und den Auftrag von Jhwh bekommen. Bei diesem Bild ist klar von der Vorstellung<br />

einer gewaltsamen Machtausübung wegzukommen. Es geht vielmehr um das beschützende<br />

Moment als um eine sinnlose, evtl. sogar gewalttätige, Machtdemonstration.<br />

3.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im Schöpfungskonzept des Psalmisten<br />

Auch in diesem Text kommt deutlich zum Ausdruck, dass der Mensch als Stellvertreter<br />

Jhwhs über dessen Schöpfung wachen soll. 56 Diese Verwaltungsaufgabe ist jedoch nicht a<br />

priori mit ausbeuterischem Machtbissbrauch in Verbindung zu bringen. Vielmehr ist sie<br />

Ausdruck einer grossen Ehre, die dem Menschen zuteil wird. Der Mensch ist dazu bestimmt,<br />

mit der Schöpfung, welche unter seine Füsse gestellt wurde, umzugehen. Dass<br />

ausgerechnet Jhwhs Geschöpfe anvertraut werden hängt – laut dem Text – damit zusammen,<br />

dass der Mensch nur wenig geringer als Gott, göttliche Wesen, Engel gemacht wurde.<br />

Das Bild, das von den Tieren gezeichnet wird, ist in diesem Text erstaunlich farblos: Das<br />

Tier wird weder verniedlicht, noch als das Monströse bezeichnet, sondern sehr neutral dar-<br />

56<br />

S.o. B.1.2.5. vbk, ,herrschen’, S.15; B.1.4.2. göttliche Ordnung, S. 17; B.3.2.2. ^yd,y" yfe[]m;B. Whleyvim.T;,<br />

‚Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht‘, S. 28.<br />

28


gestellt. Es heisst nirgends im Text, dass es grossen Mut brauche, über die angsteinflössenden<br />

wilden Tiere zu herrschen, aber es heisst auch nirgends, dass es eine leichte Aufgabe<br />

sei, die ohnehin zu verachtenden Tiere zu bändigen. Das Tier, bzw. das Wohlergehen der<br />

Tiere, ist abhängig von der menschlichen Intelligenz, vom menschlichen Einfühlungsvermögen,<br />

vom menschlichen Verantwortungsbewusstsein. Was der Mensch mit diesem<br />

Herrschaftsauftrag macht, bleibt ihm überlassen – dadurch, dass er den Auftrag von Jhwh<br />

bekommen hat, könnte man davon ausgehen, dass ihm die Verantwortung bewusst ist. Man<br />

könnte interpretieren: Die Pracht und Grossartigkeit des Menschen wird in diesem Psalm<br />

<strong>bei</strong>nahe peinlich besungen. Nur Jhwh ist noch prächtiger und grossartiger – so der Text.<br />

Dass Jhwhs Werke, allein dadurch, dass sie seine Werke sind, grossartig sind, versteht sich<br />

von selbst. Also muss der grossartige Mensch Sorge tragen zu diesen grossartigen Werken,<br />

von welchen die einen Tiere sind. Über die anderen Werke wird im Text gar nichts gesagt.<br />

Es werden einzelne Tiere und Gattungen aufgezählt – Haus-/Nutztiere, Tiere des Feldes,<br />

Vögel, Fische und Meeresbewohner. Typisch auch hier: Wilde Landtiere werden nicht<br />

erwähnt. Sie sind eine Bedrohung für den Menschen, derer er nicht ohne weiteres Herr<br />

wird.<br />

3.4. Fazit<br />

Die Herrschaft des Menschen über die Tiere wird in diesem Text stark betont. Doch in<br />

diesem Herrscher-Sein ist der Ton des verantwortungsvollen Umgangs mit den grossartigen<br />

Werken Jhwhs bestimmend. Da nirgends im Text von der zerstörerischen oder bedrohenden<br />

Macht der Tiere die Rede ist, kann der Mensch auch ohne die Tiere quälen oder<br />

unterdrücken zu müssen mit Achtung über sie herrschen. Die Stellung des Menschen in<br />

diesem Text ist die eines Statthalters. Er hat dafür zu sorgen – so deutlich wird der Text<br />

allerdings nicht –, dass es den Werken seines Herrschers gut geht. Also hat er den Tieren,<br />

die hier erwähnt werden, Sorge zu tragen. Tierquälerei oder Machtmissbrauch würde klar<br />

gegen den Auftrag verstossen, den der Mensch von Jhwh bekommen hat. 57<br />

57 S.o. B. 1.2.5. vbk 57 , ,herrschen’, S. 13; B. 1.4.2. göttliche Ordnung, S. 15; B. 3.2.2. ^yd,y" yfe[]m;B.<br />

Whleyvim.T;, ‚Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht‘, S. 26; s.u. B.5.4. Statthalterschaft<br />

als gemeinsame Aussage der untersuchten Texte, S. 35f.<br />

29


4. Hi 38,39-39,30<br />

4.1. Text und Übersetzung<br />

h'r,WzT. lg<br />

Hl'-al{L. h'yna;K' WNv,y[ir>t;h. 39,20<br />

`hm'yae Arx.n:<br />

…<br />

frop.yI #nE-rb,a]y: ^t.n"yBimih] 39,26<br />

`!m'ytel. Îwyp'n"K.Ð ¿Apn"K.À<br />

rv,n" H;yBig>y: ^yPi-l[;-~ai 39,27<br />

`ANqi ~yrIy" ykiw><br />

!n"l{t.yIw> !Kov.yI [l;s, 39,28<br />

`hd'Wcm.W [l;s,-!v,-l[;<br />

qAxr'mel. lk,ao-rp;x' ~V'mi 39,29<br />

`WjyBiy: wyn"y[e<br />

Îwyx'rop.a,w>Ð ¿Axrop.a,w>À 39,30<br />

`aWh ~v' ~ylil'x] rv,a]b;W ~d'-W[l.[;y><br />

tY:x;w> @r,j' aybil'l. dWct'h] 38,39<br />

`aLem;T. ~yrIypiK.<br />

Wbv.yE tAnA[M.b; Wxvoy"-yKi 38,40<br />

`br,a'-Aml. hK'Sub;<br />

Adyce bre[ol' !ykiy" ymi 38,41<br />

W[t.yI W[WEv;y> lae-la, Îwyd'l'y>Ð<br />

¿Adl'y>À-yKi<br />

`lk,ao-ylib.li<br />

td,l, t[e T'[.d;y"h] 39,1<br />

`rmov.Ti tAlY"a; llexo [l;s'-yle[]y:<br />

hn"aL,m;T. ~yxir'y> rPos.Ti 39,2<br />

`hn"T'd>li t[e T'[.d;y"w><br />

…<br />

rB'b; WBr>yI ~h,ynEb. Wml.x.y: 39,4<br />

`Aml' Wbv'-al{w> Wac.y"<br />

yvip.x' ar,P, xL;vi-ymi 39,5<br />

`x;Tepi ymi dAr[' tArs.moW<br />

Atybe hb'r'[] yTim.f;-rv,a] 39,6<br />

`hx'lem. wyt'AnK.v.miW<br />

…<br />

^d,b.[' ~yRe hb,ayOh] 39,9<br />

`^s,Wba]-l[; !yliy"-~ai<br />

Atbo[] ~l,t,B. ~yre-rv'q.tih] 39,10<br />

`^yr,x]a; ~yqim'[] dDef;y>-~ai<br />

…<br />

hs'l'[/n< ~ynIn"r>-@n:K. 39,13<br />

`hc'nOw> hd'ysix] hr'b.a,-~ai<br />

h'yc,Be #r,a'l' bzO[]t;-yKi 39,14<br />

30


`~Mex;T. rp'['-l[;w><br />

38,39 (Jahwe spricht zu Hiob:) Erjagst du (erg: etwa) für die Löwin die Beute, und<br />

stillst du den Hunger der Junglöwen,<br />

38,40 wenn sie sich auf (ihren) Lagern ducken und im Dickicht auf der Lauer liegen?<br />

38,41 Wer sichert dem Raben sein Futter, wenn seine Jungen zu Gott schreien, ohne<br />

Nahrung umherirren?<br />

39,1 Kennst du die Zeit des Gebärens der Steinböcke? Beobachtest du das Kreissen<br />

der Hirschkühe?<br />

39,2 Zählst du die Monate, die sie erfüllen müssen, und kennst du die Zeit ihres Gebärens?<br />

…<br />

39,4 Ihre Jungen werden stark, sie wachsen im Freien; sie gehen weg und kehren nicht<br />

(mehr) zu ihnen zurück.<br />

39,5 Wer hat den Wildesel frei laufen lassen und wer hat die Fesseln des Wildlings gelöst,<br />

39,6 dem ich die Steppe zur Behausung machte und zu seiner Wohnung das salzige<br />

Land?<br />

…<br />

39,9 Wird der Büffel dir dienen wollen oder wird er an deiner Krippe übernachten?<br />

39,10 Wirst du den Büffel in der Furche an seinem Seil binden oder wird er die Täler<br />

hinter dir her eggen?<br />

…<br />

39,13 Der Flügel der Straussenhenne schwingt munter; ist es Flügel des Storches oder<br />

Gefieder?<br />

39,14 Denn sie lässt ihre Eier der Erde und lässt sie auf dem Staub wärmen.<br />

39,15 Und sie vergisst, dass ein Fuss sie zerdrücken und das Wild des Feldes sie zertreten<br />

kann.<br />

39,16 Sie behandelt ihre Jungen hart, als seien sie nicht ihre. War ihre Mühe umsonst,<br />

so kümmert es sie nicht.<br />

39,17 Denn Gott liess sie die Weisheit vergessen und gab ihr nicht Anteil an Einsicht.<br />

39,18 Zur Zeit, da sie in die Höhe schnellt, lacht sie über das Ross und seinen Reiter.<br />

39,19 Gibst du dem Pferd die Kraft? Bekleidest du seinen Hals mit einer Mähne?<br />

39,20 Bringst du es zum Springen wie die Heuschrecke? Furchtbar ist sein majestätisches<br />

Schnauben!<br />

…<br />

31


39,26 Fliegt der Falke durch deine Weisheit, breitet er seine Flügel aus für den Südwind?<br />

39,27 Oder erhebt sich auf deinen Befehl der Adler so hoch und baut in der Höhe sein<br />

Nest?<br />

39,28 Feld bewohnt er und horstet auf dem Felszahn und der Bergfeste.<br />

39,29 Von dort aus erspäht er Nahrung, seine Augen blicken in die Ferne.<br />

39,30 Seine Jungen schlürfen Blut, und wo Erschlagene sind, da ist er.<br />

4.2. Fragen an den Text<br />

4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere<br />

Die Auswahl der in dieser Gottesrede aufgezählten Tiere erstaunt auf den ersten Blick. Bei<br />

näherer Betrachtung jedoch, ist die Aussage dieser Zusammenstellung einleuchtend. Ich<br />

möchte im Folgenden kurz auf die einzelnen erwähnten Tiere eingehen und in einem<br />

knappen Fazit die vermutete Absicht dieser Auswahl erläutern. 58<br />

aybil, der Löwe (Hi 38,39), ist ein typischer Vertreter derjenigen Tiere, von denen man im<br />

8.-5. Jh. v. Chr. sagte, er bewohne menschenleere Städte. Löwen bedrängen die Menschen<br />

in durch Krieg zerstörte und entvölkerte Siedlungen. So schildert <strong>bei</strong>spielsweise Jer 4,7<br />

den Löwen als eine Macht, die bewohntes Land in eine menschenleere Einöde verwandelt.<br />

Der Löwe gilt auch als einer der grössten Feinde des Hausviehs.<br />

bre[, der Rabe (Hi 38,41), ist ein unreines Tier, welches ein Vertreter jener unheimlicher<br />

Tiere ist, welche zusammen mit Dämonen aller Art verfluchte, zu Ruinen gewordene Städte<br />

und Landstriche bewohnen.<br />

[l;s'-yle[] und tAlY"a, Hirsch und Steinbock (Hi 39,1), werden hier aufgeführt als Vertreter<br />

der Bewohner des für Menschen unbewohnbaren Buschwaldes, bzw. der für Menschen<br />

unzugänglichen Felswüsten.<br />

ar,P, der Wildesel (Hi 39,5), steht als Feind der Kulturpflanzen. Als Steppentier bewohnt<br />

auch er verödete Landstriche. Der einsame, als störrisch geltende Wildesel steht als Kontrastbild<br />

zum Menschen, welcher in einer wohlgeordneten Gemeinschaft lebt.<br />

~yR, der Wildstier (Hi 39,9), wird hier als Bild vitaler, furchterregender Kraft angefügt.<br />

Diese Vitalität kann in positivem wie in negativem Kontext stehen. Im vorliegenden Zusammenhang<br />

dürfte wohl eher der beängstigende, fremde Aspekt betont sein.<br />

58 Vgl. KEEL, S. 64ff.<br />

32


~ynIn"r, die Straussenhenne (Hi 39,13), gilt als Bewohnerin verödeter Landstriche. Die<br />

brutal wirkende Art der Brutpflege der Straussenhennen soll die Skrupellosigkeit dieser<br />

Tiere deutlich machen.<br />

SWS, das Pferd (Hi 39,19), wurde in Israel nicht als landwirtschaftliches Nutztier gehalten,<br />

sondern wurde mit Gewalt und Krieg assoziiert. Es wird auch mit der Verfolgung Israels<br />

durch den Pharao in Zusammenhang gebracht: Pferde und Streitwagen ermöglichten<br />

dem Pharao die Verfolgung Israels. So steht auch in diesem Text das Pferd für ein kräftiges,<br />

beängstigendes und bedrohlich wirkendes Tier.<br />

Das Pferd steht in dieser Auflistung nicht auf der gleichen Ebene wie die übrigen Tiere, da<br />

der Aspekt der Verfolgungserfahrung Israels zusätzlich mit ins Spiel kommt.<br />

#nE, der unreine Falke (Hi 39,26), beseitigt, zusammen mit anderen Geierarten, nach der<br />

Zerstörung von Städten die letzten menschlichen Überreste und gilt deshalb als<br />

angsteinflössendes Tier, das gemieden werden sollte.<br />

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in dieser Gottesrede, bis auf das Pferd, nur<br />

Tiere auftreten, welche eine Art Gegenwelt zur zivilisierten, menschlichen Welt bilden: Sie<br />

bewohnen nämlich von Menschen verlassene Orte und Landstriche, die Wüste und das<br />

Walddickicht. Diese Vorstellung, dass es Tiere gibt, welche zusammen mit Dämonen zu<br />

Ruinen gewordene Städte bewohnen, ist im 8.-5. Jh. v. Chr. in Vorderasien häufig belegt.<br />

Sie findet sich in den biblischen Texten z.B. in Jes 13,19-22; 32,12-14; 34,6-15; Jer 50,39f;<br />

51,36-43; Zef 2,13-15.<br />

Dass zerstörte Städte und Landstriche von wilden Tieren bewohnt werden, zeigt letztlich,<br />

dass sich der Mensch mit den Wildtieren in einem steten Kampf um die Erde befindet. Der<br />

Mensch kann nur in der Stadt und in der Gemeinschaft überleben; fällt die Stadt, ist der<br />

Mensch vom Tier bedroht.<br />

4.2.2. Weisheit<br />

Die Weisheit und die Einsicht Jhwhs garantieren die Qualität des Weltenplans, wie er hier<br />

vorgelegt wird. Auch wenn das Wort Weisheit im ausgewählten Text nicht vorkommt, so<br />

wird doch deutlich, dass es in dieser Gottesrede darum geht, die göttliche Weisheit und<br />

Einsicht auch auf die Gegenwelt, welche durch die aufgezählten Tiere präsentiert wird,<br />

auszudehnen. Die <strong>bei</strong>den Extreme, welche in diesem Text aufgezeigt werden, nämlich die<br />

menschenfeindlichen Mächte und Jahwes Herrschaft über sie, ergeben zusammen ein<br />

33


Weltbild, das sich vom Menschen aus betrachtet als chaotisch oder sogar feindselig darstellt,<br />

welches aber fest in Jhwhs Händen ist. 59<br />

4.2.3. Rhetorische Fragen<br />

Die rhetorischen Fragen, wie sie in diesem Text gestellt werden, verfolgen den Zweck darzustellen,<br />

dass Jhwh die Herrschaft über jene Tiere, die vom Menschen als fremd und<br />

feindlich empfunden werden, innehat.<br />

Ein Nebeneffekt dieser Fragen ist der, dass das Unvermögen Hiobs aufgezeigt wird. Dies<br />

ist nicht nur im Rahmen der Hioberzählung interessant, sondern auch im Zusammenhang<br />

mit dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>: steht Hiob hier für die ganze Menschheit, so zeigt uns diese Gottesrede,<br />

dass der Mensch nicht fähig ist, die Tierwelt als Gesamtheit richtig einzuschätzen und richtig<br />

mit ihr umzugehen. Die Wildheit der Tiere wird in diesem Text stark betont. Das zeigt<br />

das menschliche Gefühl des völligen Ausgeliefertseins. Allerdings wird nicht nur die<br />

Fremdartigkeit dieser Welt betont, sondern auch Jhwhs Herrschaft über sie. Mit Hilfe der<br />

rhetorischen Fragen wird jeder Zweifel darüber beseitigt, die Tiere könnten eine eigene<br />

Herrschermacht über den Menschen darstellen. In einer Welt, in der man sich vor wilden<br />

Tieren so sehr fürchtete wie heute <strong>bei</strong>spielsweise vor einem Autounfall mit Todesfolge, ist<br />

es zentral, daran glauben zu können, dass Jhwh die Herrschaft dieser Tiere im Griff hat.<br />

Die primäre Aussage der rhetorischen Fragen, wie sie hier vorliegen, ist also die, dass ein<br />

anarchisch-chaotisches Element in der Welt spürbar ist, das der Mensch nicht zu bändigen<br />

vermag. 60<br />

4.3. Die Mensch-Tier-Beziehung in der zweiten Gottesrede <strong>bei</strong> Hiob<br />

Der Mensch nimmt in dieser Gottesrede den wilden Tieren gegenüber die Haltung ein, die<br />

er seit Alters her allem Fremden und Feindlichen gegenüber einnimmt: Es wird integriert<br />

oder eliminiert. 61 In diesem Fall soll der Text für eine Integration des Fremden einstehen.<br />

Der Ton, mit welchem von den Wildtieren gesprochen wird, ist respektvoll. Die Tiere werden<br />

nicht verdinglicht oder verniedlicht, sondern als Teile einer zu fürchtenden Gegenwelt<br />

angesehen. Allerdings ist hier sehr deutlich die in der Einleitung erwähnte dritte Ebene der<br />

Mensch-Tier-Beziehung zu sehen: Die „Begegnung mit dem Monströsen“, wie ich sie<br />

nannte. In den Tieren kommt etwas zum Vorschein, was sonst in der Welt nicht erfahrbar<br />

59 Vgl. KEEL, S. 85f.<br />

60 Vgl. KEEL, S. 82.<br />

61 Vgl. KEEL, S. 81.<br />

34


wird. Allerdings wird hier sofort die Wendung genommen, dass Jhwh anhand dieser<br />

monströsen Tierwelt aufzeigt, wie mächtig er ist.<br />

4.4. Fazit<br />

Im Gesamten kann also gesagt werden, dass die Tierwelt als etwas Grossartiges, Fremdes,<br />

Respekt Gebietendes auftritt. Der Mensch ist nicht fähig, sich dieser Tierwelt zu bemächtigen<br />

– Jhwh hat jedoch die Macht über diese Tiere inne. Diese Macht Jhwhs über die Tiere<br />

unterscheidet sich in Nichts von der Macht, welche er über die Menschen hat.<br />

Für uns heutige mitteleuropäische Menschen scheint diese Zusage, dass Jhwh die feindliche<br />

Welt der Tiere unter Kontrolle hat, nicht mehr zentral. Dennoch zeigt der Text deutlich<br />

einen Umgang mit den Tieren, der auch für uns heutigen Menschen nach wie vor Relevanz<br />

hat: Die Tiere – und zwar diejenigen Tiere, vor denen man sich fürchtet und die Unbehagen<br />

und Schaudern auslösen – werden als etwas Wertvolles gezeichnet. Sie werden nicht<br />

aus der Lebenswelt des Menschen eliminiert, sondern bleiben als Teil der Lebenswelt des<br />

Menschen bestehen. Dadurch aber, dass Jhwh die Herrschaft über sie hat, verlieren diese<br />

Tiere ihre Angst machende Komponente, welche <strong>bei</strong>m Menschen zum Wunsch führen<br />

könnte, diese Tiere zu beseitigen.<br />

Der Aspekt der Mitgeschöpflichkeit fehlt in diesem Text völlig. Zwar ist Jhwh unter anderem<br />

dafür besorgt, dass die Tiere zur rechten Zeit ihre Jungen gebären, doch davon, dass<br />

Jhwh auch diese Tiere geschaffen hätte, steht im Text nichts. Das hängt möglicherweise<br />

damit zusammen, dass diese Tierwelt als eine feindliche Gegenwelt wahrgenommen wurde,<br />

welche zur Entstehungszeit des Textes eine feste Form hatte: Alle diese Tiere waren<br />

selbstverständlich dafür zuständig, zusammen mit Dämonen die menschenleeren Städte<br />

und Landstriche zu bewohnen. Diese Gegenwelt schien den damaligen Menschen vertraut<br />

zu sein. Dass <strong>bei</strong> einer Gegenwelt, welche als dämonisch empfunden wird, nicht explizit<br />

von einer Mitgeschöpflichkeit gesprochen wird, leuchtet ein.<br />

5. Fazit: Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungstexten<br />

5.1. Anthropozentrismus<br />

Die untersuchten Schöpfungstexte sind alle deutlich anthropozentrisch gestaltet. Das heisst<br />

in diesem Zusammenhang nicht, dass ausschliesslich der Mensch einen Eigenwert hat. Es<br />

35


esagt aber, dass eine Handlung, die um des Menschen willen unternommen wird, Vorrang<br />

vor einer ähnlichen Handlung hat, die um etwas anderes willen geschieht. 62<br />

Es geht also in den untersuchten Texten weder darum, Mensch und Tier auf eine Stufe zu<br />

stellen, noch ist es das Ziel der Texte, den Menschen als einzig wertvolles Wesen darzustellen.<br />

Vielmehr wird in diesen Texten die Position des Menschen an der Spitze der<br />

Schöpfung begründet. Ob das damit geschieht, dass er als Zielpunkt der Schöpfung geschaffen<br />

wird (Gen1), oder eben gerade umgekehrt, dass die Schöpfung für ihn geschieht<br />

(Gen2), spielt da<strong>bei</strong> eigentlich keine Rolle. Der entscheidende Punkt ist – so ganz besonders<br />

im Psalm 8 –die Begründung des menschlichen „Herr-Sein“ über die Schöpfung. Eine<br />

etwas andere Färbung hat allerdings der Hiob-Text: Hier wird dargestellt, dass Jhwh Herr<br />

über die Tierwelt ist, welche der Mensch als bedrohlich und chaotisch empfindet. Doch<br />

auch in diesem Text geht es letztlich darum, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu<br />

klären – und zwar auf den Menschen hin.<br />

In allen Texten spielt also das Herrschen über die Tierwelt die zentrale Rolle. Dieses wird<br />

in allen Texten so verstanden, dass der Mensch als ‚Abbild‘ Gottes versuchen muss, sich<br />

der ihm anvertrauten Natur gegenüber so zu verhalten, wie Jahwe selbst sich zum Menschen<br />

und zur Schöpfung verhält: Ja sagend, barmherzig, gerecht. Der Hiob-Text, welcher<br />

hier scheinbar etwas aus der Reihe fällt, macht genau diese Haltung deutlich: Jhwh kümmert<br />

sich selbst um die Tierwelt, die dem Menschen feindlich erscheint. Und Jhwh kümmert<br />

sich liebevoll, würdevoll und gerecht um diese Tiere, von denen der Mensch ein<br />

schlechtes Bild hat, vor denen er sich fürchtet. So, wie sich Jhwh auch um die ‚negativen‘<br />

Tiere kümmert, soll sich nun der Mensch um diejenigen Tiere kümmern, welche ihm als<br />

‚Nutztiere‘ zugedacht wurden. Dies steht so zwar nicht im Hiob-Text und auch nicht mit so<br />

explizitem Bezug zu Hiob in den übrigen drei untersuchten Texten. Doch es scheint, als ob<br />

man diese Texte gut aufeinander beziehen könnte, ist es doch genau diese Haltung Jhwhs<br />

der Tierwelt gegenüber, welche vom Menschen gefordert wird.<br />

Es ist folglich nicht die Intention der Texte, die Schöpfung zur blossen Lebensgrundlage<br />

des Menschen zu degradieren, sondern das <strong>Th</strong>ema ist vielmehr, das Leben als etwas ‚Heiliges‘<br />

zu verstehen, dem achtungs- und würdevoll zu begegnen ist. Mit TEUTSCH möchte<br />

ich sagen, dass die untersuchten Texte dem Menschen eine „Scheu vor dem rein nutzenden<br />

Gebrauch“ 63 der Tierwelt nahelegen.<br />

62 Vgl. RÖCKLINSBERG, S. 85.<br />

63 TEUTSCH in RÖHRIG, S. 121.<br />

36


5.2. Hierarchie und Machtmissbrauch<br />

Dass es in der Geschichte des Menschen mit den Tieren nicht <strong>bei</strong> dieser „Scheu vor dem<br />

rein nutzenden Gebrauch“ geblieben ist, macht uns – als ein Beispiel unter vielen möglichen<br />

– die Nachricht aus jüngster Zeit bewusst, welche zum Inhalt hatte, dass es momentan<br />

zu wenig Rhesusaffen gäbe, welche für die Versuchstierforschung gebraucht werden könnten.<br />

Die Forschung stehe vor einem grossen Problem, sehe sie doch ihren Fortschritt dadurch<br />

massiv gefährdet. Hört man solche Meldungen, fragt man sich: Was wurde aus der<br />

alttestamentlichen Achtung des Menschen gegenüber dem Tier?<br />

Der Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 lässt einen solch missbräuchlichen Umgang des Menschen<br />

mit dem Tier nicht zu. Es ist da zwar von ‚unterwerfen‘ und ‚herrschen‘ die Rede.<br />

Doch dass daraus ein derartiger Machtmissbrauch entstehen muss, wie er sich in der Geschichte<br />

zeigte und zeigt, kann nicht mit diesen Texten begründet werden. Dass in den<br />

Schöpfungsberichten eine klare Hierarchie vorgestellt wird, heisst nicht, dass diese Hierarchie<br />

zwangsläufig in einen Machtmissbrauch münden muss.<br />

Meines Erachtens ist es jedoch nicht im Sinn dieser Texte, sie ausschliesslich auf ihr<br />

Mensch-Tier-Verhältnis hin zu lesen. Auch ist es wohl nicht im Sinn dieser Texte, sie in<br />

einem übersteigert anthropozentrischen Sinn zu sehen. Vielmehr geht es hier wohl darum,<br />

die menschliche Abhängigkeit von Gott zu erkennen. Ohne diese Erkenntnis gerät der<br />

Mensch leicht in Selbstgefälligkeit und strebt in einem ungesunden Mass nach Unabhängigkeit.<br />

Das heisst aber nicht, dass die eigenen Fähigkeiten nicht geschätzt werden sollten,<br />

sondern im Gegenteil geht es in dieser theozentrischen Lebenshaltung darum, die geschenkten<br />

Fähigkeiten und Möglichkeiten für Gott und mit Gott vor Augen zu gebrau-<br />

chen. 64<br />

In diesem Zusammenhang müssen denn wohl auch die Herrschaftsaufträge und die Segnungen<br />

der <strong>bei</strong>den Schöpfungsberichte in Gen 1 und Gen 2 gelesen werden: Gott gibt dem<br />

Menschen die Fähigkeit, über die feindliche Tierwelt zu herrschen. Doch dies geschieht in<br />

einer Form, in der sich der Mensch bewusst sein muss, dass er in einem grösseren Ganzen<br />

eingebettet ist. Es geschieht in einer Form, die klar theozentrisch ist: Der Mensch hat von<br />

Gott einen Auftrag bekommen, den es auszuführen gilt.<br />

5.3. Mitgeschöpflichkeit<br />

Ist heute von Mitgeschöpflichkeit die Rede, so ist damit oft die Vorstellung verbunden, die<br />

Tiere würden als ‚Mitbrüder und Mitschwestern‘ gesehen und der Mensch müsse sein<br />

37


Herrschersein über die Tierwelt, bzw. seine Gottebenbildlichkeit, aufgeben und sich mit<br />

den Tieren auf ein und dieselbe Stufe stellen.<br />

Die untersuchten Texte legen eine Vorstellung der Tiere als ‚Mitbrüder und Mitschwestern‘<br />

nicht nahe. Es ist in diesen Texten auch nicht zu erkennen, dass der Mensch seine<br />

Herrschaftsposition über die Tiere aufgeben sollte. Vielmehr wird hier das Herrschen des<br />

Menschen über die Tiere begründet und definiert. So wird mit dem Konzept der Mitgeschöpflichkeit<br />

der verantwortungsbewusste Umgang mit dieser Macht begründet. 65<br />

Missbraucht der Mensch die Schöpfung Jhwhs, stellt er sich gegen die Grossartigkeit<br />

Jhwhs selbst. Der Mensch kann also – ist er sich dessen bewusst, dass die Tiere Teil der<br />

Schöpfung Gottes sind – gar nicht anders, als dieser Schöpfung mit Achtung zu begegnen.<br />

Und dies nicht primär um der Schöpfung, sondern um des Schöpfers willen.<br />

5.4. Statthalterschaft als gemeinsame Aussage der untersuchten Texte<br />

Die untersuchten Texte weisen alle auf ihre Art das <strong>Th</strong>ema der Statthalterschaft auf. Der<br />

Mensch hat den Auftrag, Gott auf der Erde zu vertreten, bzw. seine Herrschaft stellvertretend<br />

auszuüben. Diese Überlegung wird in unterschiedlichen Formen durchgedacht:<br />

In Gen 1 wird durch den Herrschaftsauftrag, der sehr deutlich mit dem Segen Gottes gekoppelt<br />

ist, gezeigt, dass der Mensch als Zielpunkt der Schöpfung zugleich auch die Vertretung<br />

Gottes auf der Erde übernehmen soll.<br />

In Gen 2 zeigen sowohl Herrschaftsauftrag als auch Namensgebung die Vorstellung, dass<br />

der Mensch Gott vertreten soll. Da<strong>bei</strong> ist es keineswegs so, dass der Mensch an die Stelle<br />

Gottes treten soll und Allmachtsgefühle entwickeln soll. Es geht dagegen vielmehr darum,<br />

dass der Mensch mit seinen Fähigkeiten dafür eingesetzt wird, Gottes Idee in der Welt zu<br />

vertreten. Im Bezug auf den Herrschaftsauftrag ist das einleuchtend. Im Bezug auf die<br />

Namensgebung ist es möglicherweise nicht so eindeutig. Doch kann der Akt der Namensgebung<br />

m.E. als abgeschwächte Form des Schöpfungsaktes selbst gesehen werden. D.h.<br />

der Mensch hat nicht die Macht und alle Möglichkeiten, welche Gott besitzt, doch hat er<br />

im kleineren Ausmass die Möglichkeit, Gott ähnlich dessen Taten fortzusetzen.<br />

64<br />

Vgl. RÖCKLINSBERG, S. 358.<br />

65<br />

Richtet man den Blick über die besprochenen Texte hinaus, so sieht man <strong>bei</strong>spielsweise in Gen 9, dass<br />

Gott die Tiere in seinen Bund aufnimmt, den er mit den Menschen und der ganzen Schöpfung schliesst. Daraus<br />

aber eine Degradierung des menschlichen Herrscherseins ableiten zu wollen, ist m.E. nicht im Sinn dieser<br />

Texte.<br />

38


In Ps 8 kommt die Vorstellung der Statthalterschaft sehr deutlich zum Tragen: Der Mensch<br />

wurde nach diesem Text nur wenig geringer gemacht als Gott selber 66 und zwar in der Absicht,<br />

über die Welt zu herrschen.<br />

In Hi 38f kommt das Konzept der Statthalterschaft nur sehr versteckt zum Vorschein: In<br />

der vorliegenden Gottesrede wird betont, dass Gott der Herrscher über die Tiere ist, welche<br />

der Mensch domestizieren kann. Es werden aber in diesem Zusammenhang nur diejenigen<br />

Tiere aufgezählt, welche für den Menschen wirklich bedrohlich wirken. Die Haustiere,<br />

über welche der Mensch ohnehin ‚herrschen‘ kann, wird nichts gesagt. Es könnte also der<br />

Schluss gezogen werden, dass in diesem Text die liebevolle Fürsorge Gottes für die Tiere<br />

im Vordergrund steht. Der Mensch, der über einen Teil der Tierwelt die Statthalterschaft<br />

Gottes übernommen hat, kann an dieser Gottesrede zweierlei sehen: Einerseits wird ihm<br />

bewusst gemacht, dass er nur über einen Teil der Tierwelt herrschen kann, dass aber der<br />

andere Teil, der, welcher ihm so bedrohlich scheint, von Gott selbst beherrscht und gelenkt<br />

wird. Andererseits wird dem Menschen auch bewusst gemacht, wie er über den Teil der<br />

Tierwelt ‚herrschen‘ soll, über den er Gewalt hat: Nämlich ebenso fürsorglich und aufmerksam.<br />

5.5. Schlussbemerkung<br />

Es kann also formuliert werden, dass in den untersuchten Schöpfungstexten einerseits die<br />

Geschöpflichkeit von Mensch und Tier im Vordergrund steht, andererseits aber auch die<br />

Statthalterschaft des Menschen betont wird. Diese Vertretung Gottes, welche der Mensch<br />

zu übernehmen aufgetragen bekam, ist geprägt von Verantwortung, liebevoller Fürsorge<br />

und klarem Ordnungsdenken. Angesichts der heutigen tier- und umweltschützerischen<br />

Probleme scheint diese liebevolle Fürsorge in weite Ferne gerückt: In unzumutbar kleinen<br />

Delphinarien, in Listen der ausgestorbenen Tierarten, in der Zerstörung von natürlichen<br />

Lebensräumen wilder Tiere findet man den verantwortungsvollen Umgang nicht wieder.<br />

Mit STARKLOFF kann ich sagen: „Ich empfinde es als Blasphemie, wenn in Gottesdiensten<br />

und anderswo Gottes gute Schöpfung gepriesen wird und weiterhin Tiere zu lebenden<br />

Fleischbergen und Messinstrumenten degradiert werden dürfen. Wo bleibt der einhellige<br />

und scharfe Protest der traditionellen Kirchen und ihrer Gemeinden gegen die erbarmungs-<br />

66<br />

Je nach Übersetzung wurde er auch wenig geringer gemacht als die göttlichen Wesen/Engel. Dazu s.o.<br />

B.3.2.1. ~yhil{a/me j[;M, S. 27f.<br />

39


lose Haltung der Tiere in modernen Agrarfabriken, gegen Horrorszenen des Mästens und<br />

Schlachtens, gegen den Frevel der Tierversuche?“ 67<br />

C. Das Tier in den Gesetzestexten<br />

1. Sabbatgebot Dtn 5,12-15<br />

1.1. Text und Übersetzung<br />

db,[,-yKi T'r>k;z"w> 5,15<br />

hw"hy> ^a]ciYOw: ~yIr;c.mi #r,a,B. t'yyIh'<br />

hy"Wjn> [;roz>biW hq'z"x] dy"B. ~V'mi<br />

^yh,l{a/<br />

tAf[]l; ^yh,l{a/ hw"hy> ^W>ci !Ke-l[;<br />

`tB'V;h; ~Ay-ta,<br />

~Ay-ta, rAmv' 5,12<br />

hw"hy> ^W>ci rv,a]K; AvD>q;l. tB'V;h;<br />

`^yh,l{a/<br />

dbo[]T; ~ymiy" tv,ve 5,13<br />

`^T,k.al;m.-lK' t'yfi['w><br />

tB'v; y[iybiV.h; ~Ayw> 5,14<br />

hk'al'm.-lk' hf,[]t; al{ ^yh,l{a/ hw"hyl;<br />

^r>Avw> ^t,m'a]w:-^D>b.[;w> ^T,biW-<br />

^n>biW hT'a;<br />

rv,a] ^r>gEw> ^T,m.h,B.-lk'w> ^r>mox]w:<br />

^t.m'a]w: ^D>b.[; x;Wny" ![;m;l. ^yr,['v.Bi<br />

`^AmK'<br />

5,12 Beachte den Sabbattag, um ihn heilig zu halten, so wie Jhwh, dein Gott, es dir<br />

geboten hat!<br />

67 STARKLOFF in RÖHRIG, S. 56.<br />

40


5,13 Sechs Tage sollst du ar<strong>bei</strong>ten und alle deine Werke tun;<br />

5,14 aber der siebte Tag ist Sabbat für Jhwh, deinen Gott. (Da) sollst du keinerlei <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />

tun, du und dein Sohn und deine Tochter und dein Knecht und deine Magd und<br />

dein Rind und dein Esel und all dein Vieh und der Fremde, der <strong>bei</strong> dir, innerhalb deiner<br />

Tore ist. Dein Knecht und deine Magd sollen ruhen wie du.<br />

5,15 Und denke daran, daß du Sklave warst im Land Ägypten und daß Jhwh, dein<br />

Gott, dich von dort mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm herausgeführt hat!<br />

Darum hat Jhwh, dein Gott, dir geboten, den Sabbat zu halten.<br />

1.2. Vorbemerkung: Deuteronomium und Exodus<br />

Ich beschränke mich in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> auf die Berücksichtigung der dtn Fassung dieses Textes.<br />

Die Fassung wie sie in Ex zu finden ist, weicht zwar von dieser Fassung ein wenig ab,<br />

doch die Unterschiede erachte ich für die Beantwortung meiner Fragestellung für nicht<br />

relevant. Ich habe mich für die dtn Fassung entschieden, weil dort die konkrete Aufzählung<br />

der Tiere, also Rind, Esel und Vieh, zu finden ist. 68<br />

1.3. Fragen an den Text<br />

1.3.1. Rind, Esel, Vieh<br />

Unter Rind, Esel und Vieh ist das übliche Nutztier zu verstehen. Das Rind ermöglicht die<br />

Ackerbau-Kultur, der Esel gilt als wichtigstes Lasttier und Verkehrsmittel und das Vieh,<br />

was wohl die Kollektivbezeichnung für Schafe und Ziegen sein dürfte, war Hauptlieferant<br />

der Grundnahrungsmittel Milch und Käse. Schafe wie Ziegen wurden auch wegen ihrer<br />

Wolle gehalten. 69 Wichtig ist hier zusammenfassend zu konstatieren, dass es sich in diesem<br />

Text nicht um wilde, bedrohliche Tiere, sondern um die bekannten Nutz- und Haustiere<br />

handelt.<br />

1.3.2. Begründung des Gebots<br />

Das Sabbatgebot, wie es im Dtn zu finden ist, wird mit dem Andenken an die Herausführung<br />

Israels aus Ägypten begründet. Der Mensch soll an diesem Tag seine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> niederlegen,<br />

damit er sich bewusst an den Auszug aus der Knechtschaft unter Gottes Führung erinnern<br />

kann. Auch soll durch die Niederlegung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> symbolisch gezeigt werden, dass<br />

die Israeliten nicht mehr in der Sklaverei leben, sondern ein freies Volk sind und somit<br />

auch die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> selbst einteilen können. Aus welchem Grund die Haus- und Nutztiere an<br />

diesem Tag aber ruhen sollen, wird nicht gesagt. Sie werden ganz selbstverständlich in<br />

68 In der Exodus-Fassung ist diese Aufzählung erst einige Verse später zu finden.<br />

69 Vgl. CANSDALE/SCHÜTZ-SCHUFFERT, S. 1556ff.<br />

41


dieses Gebot miteinbezogen. Welche Überlegungen und welches Tierbild dahinter stehen,<br />

bleibt aber offen.<br />

1.4. Mensch-Tier-Beziehung im Sabbatgebot nach Dtn<br />

An den Menschen ergeht das Gebot, am Sabbat zu ruhen. Auch soll er dafür sorgen, dass<br />

sein Vieh an diesem Tag nicht zur <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> eingesetzt wird. Bei diesem Miteinbeziehen des<br />

Viehs in die Sabbatruhe müssen wohl vier verschiedene Komponenten berücksichtigt werden.<br />

Diese vier Gesichtspunkte, nämlich die landwirtschaftliche Erfahrung, das Ruhen des<br />

Menschen, die Identifikation mit dem ‚Haus‘ und das Miteinbeziehen der Tiere in die Gesellschaft,<br />

werde ich im Folgenden kurz aufzeigen.<br />

1.4.1. Landwirtschaftliche Erfahrung<br />

Die Erfahrung der Menschen dürfte schon zur Abfassungszeit dieses Textes gezeigt haben,<br />

dass das Vieh dann am leistungsfähigsten ist, wenn es regelmässig ruhen kann. So, wie ein<br />

Acker eine Brachzeit haben sollte, ist es auch mit dem Vieh zu halten. Da ist keine Vermenschlichung<br />

oder Empathie zu entdecken, sondern schlicht die landwirtschaftliche<br />

Kenntnis. Es geht in diesem Text nicht um Tierschutz, sondern um die Leistungssicherung<br />

der Tiere. Der Text lässt keine emotionale Bindung zu den erwähnten Tieren erkennen: Sie<br />

werden nicht verniedlicht und nicht vermenschlicht, sondern als das, was sie sind, nämlich<br />

als Last- und Nutztiere in das Gebot des Sabbats mit einbezogen.<br />

1.4.2. Das Ruhen des Menschen<br />

Auch muss beachtet werden, dass möglicherweise das Vieh nicht um seiner selbst willen<br />

ruhen soll, sondern aus dem einfachen Tatbestand, weil der Mensch ruhen muss und also<br />

<strong>bei</strong>spielsweise auch keinen Esel mit Lasten beladen sollte. Diese Überlegung scheint mir<br />

auch nach Betrachtung des näheren Kontextes der Textpassage nicht einfach so negiert<br />

werden zu können. Ist doch der Text, aus welchem diese Verse stammen, der Dekalog,<br />

deutlich anthropozentrisch gestaltet. Auch innerhalb der Textpassage ist nicht viel von einem<br />

Miteinbeziehen der ganzen Schöpfung zu spüren: Diejenigen Menschen, von denen<br />

auch gesagt wird, dass sie sich an die Sabbatruhe halten sollen, können ebenso gut wie die<br />

Tiere unter dem Aspekt gesehen werden, dass sie dem Hausherren keine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> machen<br />

sollen: Kinder und Bedienstete müssen zur <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> angeleitet werden. Auch der Fremde, der<br />

mitar<strong>bei</strong>ten soll, braucht Aufwand, damit er ar<strong>bei</strong>ten kann. Möglicherweise ist also, neben<br />

dem landwirtschaftlichen Aspekt, die Sicherstellung des menschlichen Ruhens genauso<br />

42


wichtig für diese Passage, welche ein Bewusstsein des Menschen für die Bedürfnisse der<br />

Tiere zu zeigen scheint.<br />

1.4.3. Identifikation mit dem ‚Haus‘<br />

Ein dritter Aspekt darf <strong>bei</strong> alldem aber nicht ausser Acht gelassen werden: Die Identifikation<br />

des Hausherren mit seinem ‚Haus‘, also seiner Familie, seinen Mitar<strong>bei</strong>terinnen und<br />

Mitar<strong>bei</strong>tern und auch seinem Vieh, dürfte zur damaligen Zeit sehr gross gewesen sein.<br />

Zur <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>s- und Lebensgemeinschaft gehören die Tiere als Last- und Nutzvieh selbstverständlich<br />

dazu. Trotz dieser Selbstverständlichkeit ist aber klar zu sehen, dass das Vieh<br />

nicht personalisiert wird. Es scheint vielmehr um die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft des Viehs zu gehen, das<br />

so selbstverständlich wie die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft der Magd zum ‚Haus‘ dazugehört.<br />

1.4.4. Der Miteinbezug des Tieres in die Gesellschaft<br />

Die drei obengenannten Aspekte zeigen alle eine recht handfeste Lesart. Man könnte jedoch<br />

noch einen Schritt weitergehen und danach fragen, was denn – abgesehen von der<br />

Identifikation mit dem ‚Haus‘, mit der ‚Familie‘, – das Tier in der Gesellschaft für eine<br />

Rolle spielt, dass es in dieses Gebot so deutlich aufgenommen wird.<br />

Auch für das Tier gilt die Begründung des Gedenkens an den Auszug aus der Sklaverei.<br />

Ganz selbstverständlich wird das Tier also in die Erfahrung des Volkes miteinbezogen.<br />

Interessant an diesem Punkt ist m.E. die Beobachtung, dass das Tier zwar nicht vermenschlicht<br />

oder personalisiert wird, aber dennoch in der Gesellschaft seinen Platz einnimmt.<br />

1.5. Fazit<br />

Ob das Tier tatsächlich einen so sicheren Platz in der Gesellschaft inne hatte, ob es nur in<br />

der Familie eine Rolle spielte, ob es nur um den Menschen ging, der die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht verrichten<br />

sollte, das Tier am Ruhetag zu beschäftigen oder ob das Tier aus Gründen der<br />

landwirtschaftlichen Effizienz einen Tag pro Woche ruhen musste – es wurde, aus welchen<br />

konkreten Gründen auch immer, miteinbezogen in den Gedenktag der Befreiung Israels.<br />

Im Prinzip spielt der Grund keine Rolle. Wichtig ist, dass das Vieh miteinbezogen wird. Es<br />

ist aber auch relevant zu betonen, dass zum Tier, wie es in diesem Text erwähnt wird, keine<br />

persönliche Beziehung aufgebaut wird. Es geht nicht darum, das Tier als Familienmitglied,<br />

zu dem eine emotionale Bindung aufgebaut werden soll, zu erkennen, sondern vielmehr<br />

darum, das Tier als <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft und möglicherweise auch als Lieferanten von Milch<br />

43


und Wolle zu schätzen und als anvertrautes Gut würdig zu behandeln und in die eigene<br />

Lebenserfahrung mit einzubeziehen.<br />

2. Schächten Dtn 12,23.25; Gen 9,4f; Lev 17,11.14<br />

2.1. Texte und Übersetzungen<br />

2.1.1. Dtn 12,21.23-25<br />

WNl,k.aTo al{ 12,24<br />

qx;r>yI-yKi 12,21<br />

`~yIM'K; WNk,P.v.Ti #r,a'h'-l[; hw"hy> rx;b.yI rv,a] ~AqM'h; ^M.mi<br />

![;m;l. WNl,k.aTo al{ 12,25 T'x.b;z"w> ~v' Amv. ~Wfl' ^yh,l{a/<br />

hf,[]t;-yKi ^yr,x]a; ^yn ^tiyWIci rv,a]K; ^l. hw"hy><br />

`^v,p.n: tW:a; lkoB. ^yr,['v.Bi<br />

...<br />

qz:x] qr12,23<br />

~D'h; yKi ~D'h; lkoa] yTil.bil.<br />

vp,N vp,N"h; aWh<br />

`rf'B'h;-~[i<br />

12,21Wenn der Platz dir zu fern ist, der Jhwh, dein Gott, gewählt hat, um dort seinen<br />

Namen niederzulegen, dann sollst du von deinen Rindern und von deinen Schafen, die<br />

Jhwh dir gegeben hat, töten, so wie ich dich geheissen habe, und du sollst (davon) essen<br />

innerhalb von deinen Toren nach Herzenslust.<br />

...<br />

12,23 Nur halte (dich) daran, kein Blut zu essen! Denn das Blut ist die Seele und du<br />

sollst nicht mit dem Fleisch die Seele essen!<br />

12,24 Du sollst es nicht essen, sondern auf die Erde sollst du es giessen wie Wasser.<br />

12,25 Du sollst es nicht essen, damit es dir und deinen Kindern nach dir gut geht, weil<br />

du tust, was in den Augen Jhwhs richtig ist.<br />

2.1.2. Lev 17,11.14<br />

aWh ~D'h;-yKi ~k,ytevop.n:-l[; rPek;l.<br />

x;Bez>Mih;-l[; ~k,l' wyTit;n> ynIa]w: awhi ~D'B; rf'B'h; vp,n< yKi 17,11<br />

`rPek;y> vp,N


f'B'-lK' vp,n< yKi Wlkeato al{ rf'B'-lK'<br />

`treK'yI wyl'k.ao-lK' awhi AmD'<br />

17,11 Denn die Seele des Fleisches ist sein Blut und ich habe es euch gegeben für den<br />

Altar damit ihr entsühnt werdet. Denn das Blut sühnt für eine Seele.<br />

17,14 Denn die Seele alles Fleisches ist in seinem Blut und ich habe den Israeliten gesagt:<br />

ihr dürft das Blut keinerlei Fleisches essen, denn die Seele allen Fleisches ist sein<br />

Blut. Alle, die es essen, sollen ausgerottet werden.<br />

2.1.3. Gen 9,4<br />

9,4 Nur Fleisch mit seiner Seele, seinem Blut, dürft ihr nicht essen!<br />

2.2. Fragen an die Texte<br />

`Wlkeato al{ Amd' Avp.n:B. rf'B'-%a; 9,4<br />

2.2.1.^tiyWIci rv,a]K; Dtn 12,21, ‚wie ich dich geheissen habe’<br />

Interessant ist die kleine Bemerkung ‚wie ich dich geheissen habe‘ deswegen, weil die<br />

Stelle, auf welche Jhwh verweist, in den alttestamentlichen Texten nicht zu finden ist. Die<br />

Schlachtanweisungen, welche Jhwh den Menschen bereits gegeben haben soll, können<br />

nirgends eingesehen werden. Dies weist darauf hin, dass die Tradition der Schlachtung<br />

durch Ausbluten älter als die vorliegende Schicht des Dtn ist. Es weist darauf hin, dass eine<br />

mündliche Tradition bestanden haben muss, welche bereits klare Weisungen zum<br />

Schlachtvorgang <strong>bei</strong>nhaltet. Diese mündliche Tradition ist jedoch nicht erhalten.<br />

2.2.2. vpn 70 , ‚Schlund, Rachen, Kehe, Leben’<br />

Die konkrete Grundbedeutung des Wortes ist ‚Schlund, Rachen, Kehle’. Damit wird ei-<br />

gentlich nur das Sättigungs- und Atemorgan beschrieben. vpn kann jedoch auch in der<br />

Bedeutung von ‚Leben’ vorkommen, wo<strong>bei</strong> es nicht das allgemeine ‚Leben‘, sondern viel<br />

eher die Individuation von Leben – also das faktische Auftreten von ‚Leben‘ – bezeichnet.<br />

So beschreibt vpn nicht die Seele sondern die Seelenkraft als die Ermöglichung der Personalität.<br />

70 Vgl. SEEBASS in <strong>Th</strong>wAT, Bd V, Sp. 531ff; s.u. vpn ‚Schlund, Rachen, Kehe, Leben’, S. 61.<br />

45


2.2.3. Blut als Sitz der Seele, Sitz des Lebens<br />

Was in allen drei Texten so selbstverständlich als Grund angegeben wird, nämlich dass die<br />

Seele eines Lebewesens in seinem Blut ist, scheint zur Entstehungszeit des Textes allgemein<br />

bekannt und anerkannt gewesen zu sein. Es wird in den biblischen Texten nirgends<br />

erklärt, wie man auf diese Idee kommt – es ist eine Realität, welche gar nicht hinterfragt<br />

wird. Aus diesem Grund möchte ich nun nachfragen, ob der Brauch von Blutopferungen<br />

auch ausserhalb des Volkes Israel üblich war, ob die Israeliten diesen Brauch evtl. von<br />

einem Nachbarvolk übernommen haben oder ob die Vorstellung, dass das Blut der Sitz des<br />

Lebens sei, ausschliesslich israelitisch ist.<br />

2.2.4. Blut und Seele in der Umwelt Israels<br />

Wie HARTINGER ausführt 71 , war der Opferkult mit Blutopfer zahlreichen Völkern schon<br />

lange vor der mosaischen Religion bekannt. So sollen die Altperser, die Meder, die Ägypter,<br />

Stämme im asiatischen Raum und Völker mit indogermanischer Sprache die Vorstellung,<br />

dass das Blut eines Opfertieres etwas ganz besonderes ist, gekannt haben. 72 Immer<br />

war das Motiv für die Schächt 73 -Massnahmen das erforderliche Auffangen des Blutes, um<br />

es den Göttern opfern bzw. es den Göttern zurückzugeben. Es ist nicht wahrscheinlich,<br />

dass als Begründung hygienische Gründe gedacht wurden; d.h. dass aus Angst vor Krankheiten,<br />

welche durch das Essen von Blut übertragen werden können, auf den Verzehr desselbigen<br />

verzichtet wurde. Viel wichtiger scheint tatsächlich die Überlegung, dass das Blut<br />

die Seele beherbergt. Dass schon sehr früh und an geographisch unterschiedlichen Orten<br />

diese Tradition bekannt war, zeigt, dass dies keine Erfindung der Autoren altestamentlicher<br />

Texte ist. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Vorstellung, das Blut sei der Sitz des<br />

Lebens, vielerorts eine urmenschliche Idee ist. Folglich kann die Begründung für das<br />

Schächt-Gebot nicht in der Abgrenzung gegenüber der Nachbarvölker Israels gesucht werden.<br />

71<br />

Vgl. HARTINGER, S. 21.<br />

72<br />

ANDELSHAUSER geht hingegen von einer gemeinsemitischen Vorstellung aus, wenn vom Blut als Sitz des<br />

Lebens die Rede ist.<br />

73<br />

Unter ‚Schächten’ versteht man das Schlachten eines gesunden und aus religiöser Sicht ‚reinen’ Tieres<br />

mittels eines direkten, ununterbrochenen Halsschnittes durch Luft- und Speiseröhre und die zwei Halsschlagadern.<br />

Durch das Ausbluten des Tieres wird der Tod desselben her<strong>bei</strong>geführt und dem biblischen Verbot des<br />

Genusses von Blut nachgelebt.<br />

46


2.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />

2.3.1. Die Selbstverständlichkeit, dass Tiere eine Seele haben<br />

Vergleicht man Gen 9,4 mit der Konzeption, die DESCARTES im 17. Jh. n. Chr. vom Tier<br />

gemacht hat 74 und welche bis heute die Mensch-Tier-Beziehung in unserer Gesellschaft<br />

prägt, so fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit welcher im biblischen Text über die Seele<br />

der Tiere geschrieben wird. Auch wenn in Gen 2 nicht beschrieben wird, dass Gott dem<br />

Tier Lebensodem einhaucht, so gilt das Tier trotzdem als lebendes Wesen (Gen 2,19)<br />

gleichsam als Partner. 75 Aufgrund dieser Tatsache muss der Mensch respektvoll mit dem<br />

Tier umgehen.<br />

2.3.2. Fleischkonsum<br />

Es fällt auf, dass in Gen 1 so ausdrücklich darauf hingewiesen wird, der Mensch werde<br />

sich vegetarisch ernähren, hier aber – im deutlichen Gegensatz dazu – über die Schlachtmethode<br />

geschrieben wird. In Gen 9, also nach der Sintflut, wird dem Menschen von Gott<br />

alles, was sich regt und lebt, wie auch das grüne Kraut zur Speise gegeben. Das Fleisch,<br />

welches dem Menschen zur Nahrung gegeben wird, wird jedoch in der gleichen Passage<br />

noch (Gen 9,4) mit der Einschränkung versehen, dass es ohne Blut gegessen werden muss.<br />

Eine Begründung für die unterschiedlichen Positionen zum Vegetarismus ist – besonders,<br />

wenn man mit ELLINGER davon ausgeht, dass sowohl Gen 1 als auch Gen 9 zum priesterschriftlichen<br />

Textbestand gehören – schwierig zu finden. 76<br />

2.3.3. Rettung von Leben<br />

In der modernen Literatur zum <strong>Th</strong>ema „Schächten“ sind die Unterschiede in der Beurteilung<br />

dieser Schlachtmethode riesig. Während nämlich die Schächtgegner auf den tierschützerischen<br />

Aspekt pochen und das Schächten als brutale Tierquälerei sehen, stellen<br />

sich manche jüdischen Autoren klar hinter diese Schlachtmethode. Dies aus unterschiedlichen<br />

Gründen: Einerseits wird damit argumentiert, das Schächten selbst sei nicht weniger<br />

qualvoll als andere Schlachtmethoden, da nämlich das Tier durch den schnellen Blutdruckabfall<br />

im Hirn innerhalb von wenigen Augenblicken bewusstlos werde, könne es keine<br />

Schmerzen mehr empfinden. Andererseits aber scheint immer auch die Vorstellung der<br />

Rettung von Leben eine Rolle zu spielen: Dadurch dass das Blut, also das Leben dieses<br />

Tieres, unangetastet bleibt, wird nur das ‚Material’, nicht aber das Lebewesen selbst getö-<br />

74 Vgl. DESCARTES in GÄBE, S. 91ff.<br />

75 S.o. B.2.2.3., 2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’, S. 20; B.2.3.4., Leben einhauchen, S. 22.<br />

47


tet und gegessen. Ein weiterer Punkt, der eine Rolle zu spielen scheint, ist der, dass der<br />

Schöpfer jedem Menschen das ihm zustehende Mass an Lebenskraft zugemessen hat. Es ist<br />

darum nicht nur wirkungslos, eigenmächtig die Energie einer anderen Kreatur in sich aufzunehmen,<br />

sondern stellte eine Anmassung und Verfehlung gegenüber Gott, dem Schöpfer,<br />

dar. 77<br />

2.3.4. Respekt vor dem Tier<br />

So sehr das Schächten an sich als Tierquälerei gesehen werden kann, in der biblischen Urintention<br />

hat das Schächten viel mit Respekt zu tun. Es geht nicht darum, die Tiere zu quälen<br />

und lange leiden zu lassen, sondern im Gegenteil, die Achtung vor dem Leben zu bewahren.<br />

Die Texte selbst äussern sich nur sehr spärlich zur Begründung und zur genaueren Ausführung<br />

dieser Schlachtmethode. Trotzdem denke ich, nicht falsch zu liegen, wenn ich das<br />

Schächten mit den Stichworten Respekt und Achtung vor dem Leben zusammenbringe. Ist<br />

das <strong>Th</strong>ema der Schächtfrage doch die Seele des Tieres nicht zu essen, sondern sich nur des<br />

leb- und seelenlosen Fleisches zu bemächtigen. „Man wird angesichts der gegenwärtigen<br />

Wirklichkeit gar nicht unterschätzen können, in wie hohem Masse hier vpn, Leben, ausschliesslich<br />

in Gottes Hand gehört, so dass sogar die Tiertötung die Respektierung der<br />

Gottzugehörigkeit des Lebens enthalten muss.“ 78<br />

2.4. Fazit<br />

Mit dem Verbot, das Blut – und damit die Seele, bzw. das Leben – der Tiere nicht essen zu<br />

dürfen, wird dem Bewusstsein Ausdruck verliehen, dass Tiere zu respektierende und zu<br />

achtende Wesen sind. Der Mensch macht sich auf diese Weise bewusst, dass er nicht über<br />

das Leben eines Tieres verfügen kann, sondern dass nur Gott über dieses Leben bestimmt.<br />

Indem der Mensch also das Tier, bevor er es isst, von seinem Blut und damit auch von<br />

dem, was sein Leben ausmacht ‚befreit‘, nimmt er nur das Material ein. Das individuelle<br />

Leben des Tieres aber bleibt trotz der Schlachtung und dem Fleischverzehr für den Menschen<br />

unantastbar. Obwohl das Tier <strong>bei</strong> der Schlachtung stirbt, ist der wichtigere Aspekt<br />

der, dass das, was dieses Tier zum lebenden Wesen macht, nicht angetastet wird.<br />

Auch wenn <strong>bei</strong> der aktuellen Diskussion um das <strong>Th</strong>ema Schächten immer wieder das<br />

Stichwort Tierquälerei gefallen ist, so ist <strong>bei</strong> diesen biblischen Texten trotz ihrer Kürze<br />

76 Vgl. ZENGER, S. 149.<br />

77 Vgl. ANDELSHAUSER, S. 35.<br />

48


davon auszugehen, dass das Ziel keineswegs <strong>bei</strong> der Quälerei, sondern vielmehr <strong>bei</strong> der<br />

Erhaltung der Würde ist. 79 Tiere sind keinesfalls nur Sachen, die einfach so geschlachtet<br />

werden können, sondern sie sind lebende Wesen, mit deren Tötung man angemessen umzugehen<br />

hat. Die Schlachtmethode des Schächtens ist eine Art, damit umzugehen.<br />

78<br />

SEEBASS in <strong>Th</strong>wAT, Bd V, Sp. 531ff.<br />

79<br />

In der heutigen Diskussion wird allerdings nicht das Ausbluten als solches, sondern die fehlende Betäubung<br />

zum eigentlichen Punkt des Gesprächs. Weil das Tier unverletzt sein muss, damit es den Speisevorschriften<br />

gemäss geschlachtet werden kann, darf es vor dem Schächtvorgang auf keine Weise betäubt werden.<br />

49


3. Reine/unreine Tiere Dtn 14,2-21a<br />

3.1. Text und Übersetzung<br />

`WlkeaTo tf,q,f.q;w> ryPin:s. Al-rv,a] 14,9<br />

tf,q,f.q;w> ryPin:s. Al-!yae rv,a] lkow><br />

`~k,l' aWh amej' Wlkeato al{ 14,10<br />

`WlkeaTo hr'hoj. rAPci-lK' 14,11<br />

rv,N 14,13<br />

`Anymil. Bre[o-lK' taew> 14,14<br />

sm'x.T;h;-ta,w> hn"[]Y:h; tB; taew> 14,15<br />

`WhnEymil. #NEh;-ta,w> @x;V'h;-ta,w><br />

`tm,v'n>Tih;w> @Wvn>Y:h;-ta,w> sAKh;-<br />

ta, 14,16<br />

`%l'V'h;-ta,w> hm'x'r'h'-ta,w> ta'Q'h;w><br />

tp;ykiWDh;w> Hn"ymil. hp'n"a]h'w>14,17<br />

hd'ysix]h;w><br />

`@Lej;[]h'w><br />

al{ ~k,l' aWh amej' @A[h' #r,v,<br />

lkow>14,18 14,19<br />

`Wlkea'yE<br />

`WlkeaTo rAhj' @A[-lK' 14,20<br />

rGEl; hl'ben>-lk' Wlk.ato al{ 14,21<br />

rkom' Aa Hl'k'a]w: hN"n hs'r>P; ts,r,p.m; hm'heB.-lk'w><br />

14,6<br />

hm'heB.B; hr'GE tl;[]m; tAsr'p. yTev. [s;v,<br />

`WlkeaTo Ht'ao<br />

hr'GEh; yle[]M;mi Wlk.ato al{ hz<br />

~yaimej. WsyrIp.hi al{ hs'r>p;W hM'he<br />

hr'gE<br />

`~k,l' ~he<br />

aWh hs'r>P; syrIp.m;-yKi ryzIx]h;-ta,w><br />

14,8<br />

al{ ~r'f'B.mi ~k,l' aWh amej' hr'gE al{w><br />

`W[G"ti al{ ~t'l'b.nIb.W Wlkeato<br />

lKo ~yIM'B; rv,a] lKomi Wlk.aTo hz


14,6 Ihr dürft alle Tiere essen, die gespaltene Klauen haben, und zwar ganz gespaltene<br />

Klauen, und die zu den Wiederkäuern gehören.<br />

14,7 Von denen aber dürft ihr nicht essen, die wiederkäuen oder gespaltene, ganz aufgespaltene<br />

Klauen haben: Kamel, Hase, Klippdachs. Sie sind (zwar) Wiederkäuer, ihre<br />

Klauen sind aber nicht gespalten. Sie sollen unrein sein für euch.<br />

14,8 Das Schwein, seine Klauen sind (zwar) gespalten, es ist aber kein Wiederkäuer –<br />

es soll unrein sein für euch. Von ihrem Fleisch dürft ihr nicht essen, und ihr Aas dürft<br />

ihr nicht berühren.<br />

14,9 Davon dürft ihr essen: von allem, was im Wasser lebt, alles, was Flossen und<br />

Schuppen hat, dürft ihr essen.<br />

14,10 Aber alles, was keine Flossen und keine Schuppen hat, dürft ihr nicht essen. Es<br />

soll unrein sein für euch.<br />

14,11 Alle reinen Vögel dürft ihr essen.<br />

14,12 Diese aber dürft ihr nicht essen: die Adler, die Schwarzgeier, die Bartgeier,<br />

14,13 die Weihe und die verschiedenen Falkenarten,<br />

14,14 alle Rabenarten,<br />

14,15 die Straussenhenne, die Kurzohreule, die Langohreule und die verschiedenen<br />

Habichtarten,<br />

14,16 den Kauz, den Uhu, die Weißeule,<br />

14,17 die Kleineule, Fischadler, Fischeule,<br />

14,18 den Storch und die verschiedenen Reiherarten, den Wiedehopf, die Fledermaus<br />

14,19 und alles fliegende Kleingetier: Sie sollen unrein für euch sein und dürfen nicht<br />

gegessen werden.<br />

14,20 Alle reinen geflügelten Tiere dürft ihr essen.<br />

14,21 Ihr dürft keinerlei Aas essen. Dem Fremden, der innerhalb deiner Tore wohnt,<br />

sollst du es zum essen überlassen oder es einem Ausländer verkaufen. Denn du bist<br />

ein Volk, das Jhwh, deinem Gott, heilig ist.<br />

3.2. Fragen an den Text<br />

3.2.1. Schwierig zu übersetzende Tiernamen<br />

Einige der aufgeführten Tierarten sind sehr schwierig zu übersetzen. So sind sich die Wörterbücher<br />

und Übersetzungen <strong>bei</strong>spielsweise nicht ganz einig, um welche Eulen-, Kauzoder<br />

Uhuart es sich jeweils handelt. Da es für die Fragestellung der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />

m.E. keine Rolle spielt, welches Tier genau gemeint ist, habe ich die jeweils gängige Übersetzungsmöglichkeit<br />

gewählt.<br />

51


3.2.2. amej' 80 , ‚unrein’<br />

amej' bezeichnet die kultische Unreinheit. Warum etwas in die Kategorie ‚unrein’ eingeteilt<br />

wird, wird im AT nicht erklärt. Es fällt aber auf, dass Tiere, die in der Umwelt als heilige<br />

Tiere galten oder die im Kult der Nachbarvölker eine bestimmte Rolle spielten, in Israel<br />

als unrein galten. Ein anderer Grund für die Unreinheit kann aber <strong>bei</strong>spielsweise auch<br />

die Nahrung der betreffenden Tiere sein. 81 Ein unreines Tier darf weder geopfert noch<br />

gegessen werden, und es verunreinigt alle, die damit in Berührung kommen.<br />

3.2.3. hb'[eAT 82 , ‚Greuel’<br />

hb'[eAT, Greuel, bezeichnet innerhalb des AT etwas ethisch und kultisch zu Verabscheuendes,<br />

vor allem aber etwas, was nicht zu Jhwh passt. hb'[eAT beschreibt etwas, was dem<br />

Willen Jhwhs widerspricht und daher ein Tabu darstellt, was innerhalb des Ordnungsgefüges<br />

als etwas Abzutrennendes, Ungeordnetes und daher Bedrohendes gekennzeichnet wird.<br />

Israels ethisches und kultisches Verhalten war stark durch Abgrenzung gegen die Nachbarvölker<br />

bestimmt. In das AT haben viele solche Texte, welche die Abgrenzung Israels<br />

anzeigen, Eingang gefunden. 83 Im Dtn ist ein deutlicher Schwerpunkt der Verwendung des<br />

Nomens hb'[eAT, Greuel, auszumachen. Das Wort steht häufig innerhalb des eigentlichen<br />

Rechtscorpus und dort manchmal als Schlussformel bestimmter Forderungen und Bestimmungen.<br />

3.2.4. Zoologische Zuordnungen<br />

Der vorliegende Katalog von reinen und unreinen Tieren ordnet diese Tiere nach ihren<br />

Lebensräumen: Zuerst werden die Landtiere (V 4-8), dann die Wassertiere (V 9f) und zuletzt<br />

die Flugtiere (V 11-20) aufgezählt. Es werden da jeweils zunächst die reinen und dann<br />

die unreinen Tiere genannt. Die Landtiere werden geordnet in Paarhufer und Wiederkäuer,<br />

<strong>bei</strong> den Wassertieren sind die Kriterien der Einordnung die Flossen und Schuppen. Diese<br />

zoologische Zuordnungen zu machen, ist eigentlich sehr in neuzeitlichem Sinn, werden die<br />

Tiere doch heute genauso in Familien, Gattungen, Arten und Rassen eingeteilt. Wissenschaftliche<br />

Erforschung der Tierwelt steht der Bibel jedoch noch fern, hingegen sind die<br />

Einteilungen geprägt von liebevoller und sorgfältiger Tierbeobachtung. So fällt auf, dass<br />

80 Vgl. ANDRÉ in <strong>Th</strong>WAT, Bd. III, Sp. 351.<br />

81 S.u. C.3.2.3. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel, S.54.<br />

82 PREUSS in <strong>Th</strong>WAT, Bd VIII, Sp 580ff.<br />

83 Z.B. Dtn 12.<br />

52


vor dem Hintergrund des heutigen Wissensstandes diese Zuordnungen stellenweise fehlerhaft<br />

sind. 84<br />

Wie richtig oder falsch die zoologischen Zuordnungen auch sein mögen, man kann an diesem<br />

Versuch ablesen, dass das Bedürfnis danach, die chaotisch, vielleicht auch bedrohend<br />

wirkende Tierwelt irgendwie in den Griff zu bekommen. Daneben zeigen diese Einteilung<br />

in ‚reine‘ und ‚unreine‘ Tiere aber auch einen praktischen Grund an: Die Priesterschaft<br />

musste, um den Fleischverzehr des Volkes festlegen zu können, Kategorien erstellen.<br />

3.3. Grundsätzliches zum Text<br />

Es ist offensichtlich, dass die Unterscheidung in die Kategorien ‚rein’ und ‚unrein’ damals<br />

wie heute – allerdings mit unterschiedlichen Kriterien 85 – ein menschliches Bedürfnis zu<br />

sein scheint. Ich denke da <strong>bei</strong>spielsweise an die Reaktion vieler Menschen, wenn sie eine<br />

Spinne oder eine Schlange sehen. Ekel und Unbehagen <strong>bei</strong>m Anblick oder auch nur schon<br />

<strong>bei</strong> der verbalen Erwähnung, zeigen auch heute weitverbreitet die (unbewusste?) Einteilung<br />

der Tiere in reine und unreine. Doch wie kommt der Mensch dazu, eine solche Einteilung<br />

vorzunehmen? Mit dieser Frage müsste ich wohl tief in die menschliche Psychologie<br />

eindringen und würde damit den Rahmen dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sprengen.<br />

3.3.1. Abgrenzung Israels gegen andere Völker<br />

Fragt man danach, warum diese Auflistung der reinen und unreinen Tiere in diesem Kontext<br />

steht, so kommt man schnell zur Einsicht, dass es <strong>bei</strong> diesem Text primär um die Abgrenzung<br />

Israels gegen andere Völker gehen muss. Israel muss sich von den Nachbarvölkern<br />

absetzen, dies geschieht hier sehr deutlich: Indem nämlich innerhalb einer Priesterbelehrung<br />

diejenigen Tiere als unrein aufgelistet werden, welche <strong>bei</strong> den Nachbarvölkern im<br />

Opferkult auftreten, setzt Israel eine klare Grenze. Da die Tiere nach dem Opfern verspeist<br />

wurden, könnte ja nach einer <strong>Prof</strong>anschlachtung und -verspeisung eine Verbindung zum<br />

Opferkult des Nachbarvolkes hergestellt werden. Um dies zu vermeiden wird der Verzehr<br />

dieser Tiere gänzlich untersagt. Auch die Bemerkung, dass Aas den Fremden in der Stadt<br />

verkauft werden soll, zeigt die geistige Abgrenzung zu den Nachbarvölkern sehr deutlich.<br />

Es scheint hier also weniger um ein hygienisches Problem zu gehen, sondern vielmehr um<br />

eine Bekenntnishandlung des Volkes Israels: In verendeten, also gejagten oder aus Alters-<br />

84<br />

Beispielsweise der Hase wird richtigerweise nicht zu den Paarhufern aber fälschlicherweise zu den Wiederhkäuern<br />

gezählt.<br />

85<br />

Heute ist das ‚rein-unrein‘-Kriterium eher einem ‚hässlich-schön‘- oder einem ‚niedlich-beängstigend‘-<br />

Kriterium gewichen.<br />

53


schwäche oder Krankheit gestorbenen Tieren ist noch Blut. Und Blut darf, weil es als Lebens-<br />

und Seelenträger angesehen wird 86 , nicht gegessen werden. 87<br />

3.3.2. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel<br />

Neben den Tieren, welche als Opfertiere der Nachbarvölker gelten und den verendeten<br />

Tieren, in denen noch Blut ist, sind auch noch andere Tiere auf der Liste der Unreinen aufgeführt,<br />

so z.B. die unreinen Vögel. Sie sind fast alle Fleischfresser. Das Problem <strong>bei</strong> ihnen<br />

ist aber nicht das Fleisch, das sie fressen, sondern vielmehr, dass sie da<strong>bei</strong> auch Blut zu<br />

sich nehmen.<br />

Die Unreinheit dieser Vögel steht also im Zusammenhang mit dem Blut, welches sie zu<br />

sich genommen haben. Dies kann nun auf zwei unterschiedliche Arten ausgelegt werden:<br />

Auf der einen Seite könnte das Verbot des Blutgenusses so verstanden werden, dass es<br />

nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Tiere gilt. So machen sich die fleischfressenden<br />

Vögel durch ihren Blutgenuss unrein und dürfen aus diesem Grund von den Menschen<br />

nicht gegessen werden. Auf der anderen Seite steht aber die Überlegung, dass das<br />

gefressene Blut noch immer in diesen Vögeln sein könnte und sie deshalb als Fleischlieferanten<br />

gemieden werden müssen. M.E. ist dieser zweite Grund der realistischere. Das Blut<br />

spielt eine sehr wichtige Rolle und ist wohl auch hier treibender Gedanke: Wenn ein Tier<br />

sich so ernährt, dass die Möglichkeit besteht, dass es Blut zu sich nimmt, darf es von Israeliten<br />

nicht gegessen werden.<br />

3.4. Mensch-Tier-Beziehung in Dtn 14<br />

3.4.1. Die Kluft zwischen Mensch und Tier<br />

Durch Texte wie den vorliegenden wird die Kluft, welche zwischen Mensch und Tier<br />

wahrgenommen wird, manifest: Tiere werden in verschiedene Kategorien eingeteilt, werden<br />

katalogisiert und nach äusseren Merkmalen beurteilt. Der Mensch stellt sich somit auf<br />

eine höhere Stufe. Er zeigt, dass er nicht in derselben Ebene lebt, wie die Tiere, welche er<br />

in ein Schema einteilt. Doch ist es ja – laut dem Text – nicht der Mensch, der die Tiere in<br />

Kategorien teilt, sondern Jhwh selbst. Es scheint also, als ob der Mensch einer göttlichen<br />

Legitimierung bedarf, um solche Konzepte aufzustellen. Jhwh wird hier als Urheber der<br />

Idee einer Einteilung der Tiere gesehen.<br />

86<br />

S. o. C. 2. Schächten, S. 44f.<br />

87<br />

Vgl. dagegen Ex 22,30. Da wird das Aas den Hunden vorgeworfen. Da das Bundesbuch als älter angesehen<br />

werden kann, scheint sich die Vorstellung, dass es sich hier primär um das Bekenntnis Israels handelt,<br />

bestätigen zu lassen.<br />

54


3.4.2. Die Hierarchie von Tier, Mensch, Gott<br />

Das Weltbild, welches also hinter diesem Text steht, könnte so beschrieben werden:<br />

Auf der untersten Stufe stehen die unreinen Tiere. Sie sind durch ihre blosse Existenz zum<br />

Unrein-Sein bestimmt. Deswegen werden sie aber nicht ausgerottet, sondern sie werden<br />

nicht für Opferungen und zum Verzehr freigegeben. Auf der zweiten Stufe stehen die reinen<br />

Tiere. Sie dürfen geopfert und gegessen werden. An dritter Stelle steht dann der<br />

Mensch. Er steht direkt unter Jhwh, gelten doch für die Opferungen und die <strong>Prof</strong>anschlachtungen<br />

die gleichen Reinheitsgesetze. Dies kommt daher, weil der Mensch die geopferten<br />

Tiere im Anschluss an das Opferritual jeweils ass. Doch die Idee, welche hier dahinter<br />

steht, ist die, dass der Mensch und Gott mehr Gemeinsamkeiten haben, als der Mensch und<br />

das Tier. Man kann also sagen, dass der Mensch näher <strong>bei</strong> Gott steht als <strong>bei</strong>m Tier. Möglicherweise<br />

ist dies ein etwas überhöhtes Menschenbild, doch es zeigt, wie der Mensch die<br />

Kluft, welche er zum Tier aufreisst, legitimiert.<br />

3.4.3. Der Umgang mit den unreinen Tieren<br />

Es fällt auf, dass es keinen Auftrag gibt, die unreinen Tiere auszurotten, sie zu verachten<br />

oder sie aus der Stadt zu verjagen. Vielmehr geht es darum, dass diese Tiere nicht geschlachtet<br />

und nicht gegessen werden dürfen. Das Bild, dass ein unreines Tier Unheil bringen<br />

könnte oder sofort getötet werden muss, tritt hier nicht auf. 88<br />

Das Ziel dieses Textes ist, das richtige Verhalten des Menschen aufzuzeigen: Der Mensch<br />

soll sich nicht verunreinigen indem er unreine Tiere isst. Dass und warum er sich <strong>bei</strong>m<br />

Essen von unreinem Fleisch verunreinigen würde, habe ich oben am Beispiel der unreinen<br />

Vögel zu zeigen versucht. 89<br />

3.5. Fazit<br />

Gibt es einen Gedanken dieses Textes, den wir in unseren heutigen Umgang mit dem Tier<br />

übernehmen können, so ist das m.E. der Umgang mit dem unreinen Tier an sich. Die einen<br />

Tiere werden zwar als unrein bezeichnet und dürfen weder geopfert noch gegessen werden.<br />

Doch sie werden auch nicht mit speziellen Sanktionen belegt. Kein Tier wird, weil es dieses<br />

bestimmte Tier ist, getötet. Möglicherweise ist dies ein Gedanke, der von einigen Zeit-<br />

88<br />

Anders als <strong>bei</strong>m heutigen Umgang vieler Menschen mit den sogenannt unreinen Tieren: Häufig ist es das<br />

Ziel, eine Spinne, einen Käfer oder sonst ein ‚unreines‘ Tier – selbst wenn es keine physische Gefahr darstellt<br />

– möglichst schnell zu töten.<br />

89<br />

S.o. C. 3.3.2. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel, S. 54.<br />

55


genossen in den Alltag aufgenommen werden könnte: Tiere, die als unrein empfunden<br />

werden, sollten trotz ihrer ‚Unreinheit‘ am Leben gelassen werden.<br />

4. Umgang mit Nutztier Dtn 25,4<br />

4.1. Text und Übersetzung<br />

25,4 Du sollst nicht dem Ochsen das Maul verbinden, wenn er drischt.<br />

`AvydIB. rAv ~sox.t;-al{ 25,4<br />

4.2. Fragen an den Text<br />

Um den Vers zu verstehen, muss man sich klar werden, wie das <strong>Dr</strong>eschen zu dieser Zeit<br />

vor sich ging: Schilderungen und Bildern zufolge liefen Ochsen im Kreis über einen runden<br />

Platz und zerstampften so mit ihren Hufen die Ähren. 90 Da<strong>bei</strong> wurden die Körner von<br />

den Ähren abgetrennt. Durch das Verbinden des Maules wurde verhindert, dass der Ochse<br />

während des <strong>Dr</strong>eschens von den Körnern frisst. Damit wurde zwar sichergestellt, dass<br />

nicht bereits <strong>bei</strong>m <strong>Dr</strong>eschvorgang mit Verlust von Korn gerechnet werden muss, doch<br />

scheint diese Methode der Gewinnsicherung schon zur Abfassungszeit Fragen aufgeworfen<br />

zu haben.<br />

4.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />

4.3.1. Begründung<br />

Bei diesem Vers stellt sich – ähnlich wie <strong>bei</strong>m Sabbat-Gebot – die Frage nach der Begründung.<br />

91 M.E. gibt es zwei verschiedene Ansätze, mit dieser Frage umzugehen: Einerseits<br />

kann man landwirtschaftliche Erfahrungen geltend machen: Ein Ochse läuft möglicherweise<br />

nicht so schnell über die Ähren, wenn sein Maul verbunden ist. Auch ist eventuell die<br />

Erstickungsgefahr grösser, wenn das Maul des Ochsen zugebunden ist. Stehen diese Überlegungen<br />

hinter diesem Vers, kann nicht von ‚Tierschutz’ oder gar ‚Tierethik’ gesprochen<br />

werden, geht es doch eindeutig um den Menschen, der darum besorgt ist, dass sein Nutztier<br />

möglichst gut ar<strong>bei</strong>tet. Es ist aber andererseits auch denkbar, dass man tatsächlich tierschützerische,<br />

moralische Überlegungen geltend machen kann: Möglicherweise empfand<br />

man es damals als Tierquälerei, einem ar<strong>bei</strong>tenden Tier das Maul zu verbinden. Ebenso<br />

könnte die Erwägung mitgespielt haben, dass der Ochse, wenn er Hunger hat, auch wäh-<br />

90 Vgl. KELLERMANN in GÖRG/LANG, Sp. 449f und Guthe, S. 130f.<br />

91 S.o. C. 1. Sabbatgebot, S. 40f.<br />

56


end der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> fressen können soll. Ob es mit der anthropozentrischen Überlegung des<br />

Verlustes einer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft oder mit einem moralischen Denkansatz begründet wurde,<br />

Tatsache ist, dass dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbunden werden soll.<br />

4.3.2. Leidensfähigkeit der Tiere<br />

Was auch immer die Überlegungen zu diesem Verbot gewesen sein mögen: Es scheint klar<br />

zu sein, dass man von einer Leidensfähigkeit der Tiere ausging. Ob dahinter der Gedanke<br />

der Mitgeschöpflichkeit 92 oder eher praktisches landwirtschaftliches Wissen 93 stand, ist an<br />

dieser Stelle nicht auszumachen. Wichtig scheint mir, dass die Möglichkeit, dass Tier leiden<br />

können Tiere als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die Leidensfähigkeit wurde<br />

den Tieren im Lauf der Geschichte, wieder weitgehend abgesprochen. So legitimierten<br />

Forscher lange Zeit ihre Versuche an lebenden Tieren. Die Überlegung, dass Tiere keine<br />

Sprache hätten, also keinen Schmerz äussern könnten, und deshalb keinen Schmerz empfinden<br />

können, ist zwar hier etwas vereinfacht dargestellt, entspricht jedoch im Groben der<br />

Begründung.<br />

4.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier<br />

Trotz der Leidensfähigkeit, welche dem Tier zugesprochen wird, geht es nicht darum, eine<br />

Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier darzustellen oder aufgrund des Bewusstseins<br />

des Geschaffenseins irgendwelche Gemeinsamkeiten und Mitleids-Ethiken zu entwickeln.<br />

Das Ziel des Textes ist eindeutig der richtige, verantwortungsvolle Umgang des Menschen<br />

mit dem Tier – und dies im Bewusstsein, dass der Mensch als ‚höheres‘ Wesen die Verantwortung<br />

für das Wohlergehen des Tieres trägt 94 , bzw. tragen will 95 . Die Kluft zwischen<br />

Mensch und Tier wird klar aufrecht erhalten, doch bringt das in diesem Vers keine negativen<br />

Wirkungen. Der Mensch steht zwar weit über dem Tier, ist aber in seiner Machtposition<br />

für dieses verantwortlich. Dass diese Macht auch missbraucht werden könnte, steht im<br />

Text nicht. Doch allein schon die Tatsache, dass ein solcher Text geschrieben werden<br />

musste, zeigt, dass einige Menschen ihre Machtposition den Tieren gegenüber missbraucht<br />

haben müssen.<br />

92<br />

S.o. A.1.3.1. Mitgeschöpflichkeit, S.16.<br />

93<br />

S.o. C. 1.4.1. landwirtschaftliche Erfahrung, S. 42; S.o. C. 4.3.1. Begründung, S. 56.<br />

94<br />

S.o. A.1.2.4. hdr, S. 14.<br />

95<br />

Dies, wenn man davon ausgeht, dass anthropozentrische Überlegungen, d.h. die Sorge um die Funktionsfähigkeit<br />

der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft, dieses Gebot begründen. S.o. C.4.3.1. Begründung, S. 56.<br />

57


4.4. Fazit<br />

Aus welchen Gründen auch immer die Menschen der damaligen Zeit auf die Idee kamen,<br />

dass man dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbinden soll – der verantwortungsvolle<br />

Umgang des Menschen mit dem Tier wird deutlich.<br />

Dies ist es auch, was wir aus dem Text für uns heute nutzbar machen können: Es geht nicht<br />

darum, dass wir diese Anweisung unadaptiert übernehmen sollen. Das macht keinen Sinn,<br />

sind doch die Lebenswelten so verschieden. Doch können wir den allgemeinen Umgang<br />

mit dem Tier betrachten und daran unseren eigenen reflektieren: Der alttestamentliche<br />

Mensch sollte sich um das Wohlergehen seines Nutzviehs kümmern. Dies können wir heutigen<br />

mitteleuropäischen Menschen durchaus übernehmen. Auch wenn nicht mehr in jeder<br />

Familie eine Handvoll Nutztiere leben, können wir uns doch dafür einsetzen, dass ein Tier,<br />

das für uns ar<strong>bei</strong>tet, nicht unnötig leiden muss. Ich denke z.B. an die Milchproduktion:<br />

Wenn die Kühe für unseren Konsum Milch produzieren müssen, sollten sie wenigstens<br />

möglichst artgerecht leben können. Für uns städtischen, mitteleuropäischen, heutigen Menschen<br />

heisst das, dass wir darauf achten können, Produkte zu kaufen, <strong>bei</strong> denen wir davon<br />

ausgehen können, das die Tiere so gehalten werden, wie es ihren Bedürfnissen entspricht.<br />

5. Fazit zu den Gesetzestexten<br />

Die untersuchten Gesetzestexte zeigen eine deutliche Kluft zwischen Mensch und Tier. Sie<br />

zeigen aber auch deutlich den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit dem Tier.<br />

Was jedoch für meine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ein Problem darstellt, ist die Frage nach dem Grund dieses<br />

Umgangs: Die Ge- und Verbote werden kaum oder gar nicht begründet. Dies zu interpretieren<br />

kann jedoch relativ schwierig sein, da man verschiedene Interpretationsmöglichkeiten<br />

hat.<br />

5.1. Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten<br />

Die eine Art der Begründungssuche ist die des landwirtschaftlichen Wissens und der Lebenserfahrung.<br />

Die andere Art der Begründungs- und Interpretationssuche geht in die<br />

Richtung des Tierschutzes um des Tieres, weniger um der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft, Willen und des<br />

Bewusstseins, dass Mensch und Tier in einem grösseren – religiösen – Rahmen stehen.<br />

Betont man die tierschützerische Sichtweise der Texte, so muss dafür nicht zwangsläufig<br />

vorausgesetzt werden, dass das Tier personalisiert oder gar vermenschlicht werden muss.<br />

Man kann vielmehr von der Grundintention der Mitgeschöpflichkeit und der dem Menschen<br />

von Gott übertragenen Verantwortung für das Tier ausgehen.<br />

58


Im Folgenden werde ich diese zwei Interpretationsmöglichkeiten kurz zusammenfassen. 96<br />

5.1.1. Landwirtschaftliche Effizienz als Begründungsbasis<br />

Man kann voraussetzen, dass dem Tier Ruhetage gegönnt werden, damit es besser ar<strong>bei</strong>tet,<br />

dass das Verbot des Blutgenusses rein religiöse Gründe hat, dass das Verbot, aasfressende<br />

Vögel zu verspeisen, auf hygienische Überlegungen zurückgeht und dass das Verbot, dem<br />

dreschenden Ochsen das Maul zu verbinden, auf Argumente der landwirtschaftlichen Effizienz<br />

zurückgeht. Damit hätte man aus ethischer Sicht kaum etwas gewonnen, findet doch<br />

keine Reflexion des moralischen Handelns statt. Es geht dann vor allem darum, das Tier<br />

nicht als Maschine oder Sache zu sehen, sondern als Hilfs-, Opfer- oder Nahrungsmittel,<br />

welches sorgfältig behandelt werden muss.<br />

5.1.2. Moralische Überlegungen als Begründungsbasis<br />

Man könnte jedoch diese Texte auch anders lesen und hinter diesen Ge- und Verboten eine<br />

Tierethik sehen. So könnte man zum Beispiel das auf die Nutztiere ausgeweitete Sabbatgebot<br />

daraufhin interpretieren, dass das Tier als Teil der Gesellschaft selbstverständlichen<br />

Anteil an Fest- und Ruhetagen hatte. Das Verbot des Blutgenusses könnte man so auslegen,<br />

dass man zwar Fleisch opferte und danach auch verspeiste, dass man aber keinesfalls<br />

die Seele des Tieres damit gefährden wollte. Durch das Auslassen des Blutes kann nach<br />

damaliger Vorstellung verhindert werden, dass das Tier <strong>bei</strong> der Schlachtung seine Seele<br />

verliert. Man könnte also das Schächten wegen des Blutentzuges als Meisterleistung<br />

menschlicher Ehrfurcht vor dem Leben der Tiere sehen.<br />

Dass der Mensch keine unreinen Tiere essen darf, könnte demnach so ausgelegt werden,<br />

dass die Gefahr, sich an ‚Lebenskraft’ bereichern zu wollen, zu gross ist. Haben doch diese<br />

Tiere – besonders die aasfressenden Vögel – Blut gefressen und somit fremde ‚Lebenskraft’<br />

in sich aufgenommen. Es könnte also hier<strong>bei</strong> darum gehen, dem Blut der Tiere soviel<br />

Bedeutung zuzumessen, dass es unmöglich wird, die Gefahr einzugehen, auch nur ein bisschen<br />

Blut zu sich zu nehmen. Andererseits könnte dies aber auch so interpretiert werden,<br />

dass sogar die unreinen Tiere als Teile der Gesellschaft angesehen werden. Da diese Tiere<br />

sich nicht an das Verbot des Blutgenusses halten, verunreinigen sie sich. Deshalb müssen<br />

sie dann von den Israeliten gemieden werden. Ähnlich kann auch die Sache mit dem dreschenden<br />

Ochsen gesehen werden: Der Ochse wird möglicherweise als helfendes Famili-<br />

96 Vgl. auch schon, C.4.3.1. Begründung, S. 56f.<br />

59


enmitglied angesehen. So darf man unmöglich einem Geschöpf, das in der Landwirtschaft<br />

mithilft, Leiden zufügen.<br />

5.1.3. Religiöses Bewusstsein als Begründung<br />

Warum <strong>bei</strong> den untersuchten Ge- und Verboten keine Begründungen angegeben werden,<br />

muss an dieser Stelle hinterfragt werden. Prinzipiell kann angenommen werden, dass sowohl<br />

für die Verfasser als auch für die damaligen Rezipienten der untersuchten Texte eine<br />

explizite Ausführung der Begründung nicht notwendig war, weil sie, wäre dieser Sachverhalt<br />

anders gewesen, wohl niedergeschrieben worden wäre. Man kann also davon ausgehen,<br />

dass die Menschen der damaligen Zeit die Hintergründe, welche uns heutigen Rezipierenden<br />

verborgen bleiben, selbstverständlicherweise kannten. Um den Inhalt dieser Hintergründe<br />

erschliessen zu können, ist es m.E. sinnvoll, im Bereich des Religiösen zu suchen,<br />

standen doch diese Passagen damals schon alle in religiösem Kontext und haben sie<br />

später alle in den biblischen Kanon Eingang gefunden. Was damals also selbstverständlich<br />

mit religiösem Bewusstsein – im Zusammenhang mit der vorliegenden Fragestellung demnach<br />

mit der Gewissheit, dass sowohl Mensch als auch Tier von Gott geschaffen wurden<br />

und dass der Mensch von Gott den Auftrag bekommen hatte, verantwortungsvoll über die<br />

Tierwelt zu herrschen – begründet wurde, muss heute, wo im mitteleuropäischen Raum<br />

dieses religiöse Bewusstsein weitgehend fehlt, von einer vernunftbegründeten Tierethik<br />

übernommen werden.<br />

5.2. Tierethik in den Gesetzestexten?<br />

Aus den untersuchten Texten eine Tierethik lesen zu wollen, kann als spekulativ bezeichnet<br />

werden. Dennoch scheint die Behauptung, Ansätze einer Tierethik finden zu können,<br />

nicht abwegig. Zwar muss der Begriff der Ethik etwas weiter gefasst werden als wir uns<br />

das heute gewohnt sind: Es handelt sich hier nicht um eine Reflexion der Moral und ihrer<br />

Handlungsstrukturen, sondern vielmehr um die Moral selbst und ihrer praktischen Folgerungen.<br />

Doch die Niederschrift der Moral und ihrer praktischen Folgerungen erfordert bereits<br />

eine Reflexion der eigenen Handlungsstrukturen. Insofern kann also <strong>bei</strong> den vorliegenden<br />

Texten – besonders <strong>bei</strong> der Schächtthematik (Dtn 12,23.25; Gen 9,4f; Lev<br />

17,11.14) und <strong>bei</strong>m Umgang mit dem Nutztier (Dtn 25,4) – im weitesten Sinn von einer<br />

Tierethik gesprochen werden.<br />

60


5.3. Schlussbemerkung<br />

Grundsätzlich erachte ich es als relativ schwierig, die untersuchten biblischen Texte direkt<br />

in die heutige Zeit und Gesellschaft übernehmen zu wollen. Und doch stellt sich die Frage:<br />

Sind diese Texte ausschliesslich von historischem Interesse oder können wir mit ihren Inhalten<br />

auch heute noch ar<strong>bei</strong>ten? Sicher kann man sagen, dass die Entstehung dieser Texte<br />

so weit zurück liegt, dass wir heute in einer völlig anderen Situation leben. Doch ist die<br />

Kluft zwischen Mensch und Tier – trotz grosser Unterschiede der Lebenswelt – nach wie<br />

vor vorhanden. Insofern könnte man doch auch sagen, dass es sinnvoll wäre, sich von der<br />

menschlichen Verantwortung den Tieren gegenüber, von der in den biblischen Texten die<br />

Rede ist, ein Stück abzuschneiden.<br />

D. Das Tier in weisheitlichen Texten<br />

1. Spr 12,10<br />

1.1. Text und Übersetzung<br />

`yrIz"k.a; ~y[iv'r> ymex]r;w> ATm.h,B. vp,n< qyDIc; [;deAy 12,10<br />

12,10 Ein Gerechter kennt die Bedürfnisse und das Innere seines Viehs, Ungerechte<br />

aber sind grausam. 97<br />

1.2. Fragen an den Text<br />

1.2.1. vpn, ‚Schlund, Rachen, Kehe, Leben’<br />

Bei diesem Vers ist die Bedeutung des Begriffes vpn zentral. vpn beschreibt, wie ich oben<br />

bereits gezeigt habe 98 , die das individuelle Leben ausmachende Seelenkraft. Im Kontext<br />

dieses Verses heisst das nun, dass die Autorschaft dieses Textes davon ausgeht, dass ers-<br />

tens jedes (Nutz-)Tier eine solche vpn hat und zweitens, dass diese auch wichtig, zu achten<br />

und ernst zu nehmen ist. Ob diese Seelenkräfte – oder diese (Lebens-)Bedürfnisse – diejenige<br />

eines Tieres oder eines Menschen sind, macht keinen Unterschied. Die Tatsache, dass<br />

auf die Bedürfnisse 99 eines Tieres einzugehen ist, ist m.E. im Zusammenhang mit der Fragestellung<br />

dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sehr interessant. Nicht zu jeder Zeit der Menschheitsgeschichte<br />

war und ist es so, dass die Bedürfnisse von Tieren für so wichtig angesehen wurden, dass<br />

97 Viele Übersetzungen, so z.B. auch die Lutherübersetzung, geben diesen Vers mit „… erbarmt sich seines<br />

Viehs,…“ wieder. Ich habe mich in meiner Übersetzung an den Vorschlag der Interlinearübersetzung gehalten<br />

und ymex]r;w nicht mit ‚sich erbarmen’, sondern mit ‚Inneres’ übersetzt.<br />

98 S.o. C.2.2.2. vpn, S. 45.<br />

61


ihnen auch nachzukommen war. Man denke da zum Beispiel an Legehennen in heutigen<br />

Batteriehaltungen: Noch nie waren Verhalten und Bedürfnisse von Tieren wissenschaftlich<br />

so gut erforscht wie heute, und trotzdem werden Tiere auf so engem Raum zusammengepfercht,<br />

dass es auch ohne wissenschaftliche Abhandlungen ersichtlich ist, dass diese Hennen<br />

nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden. Dies, weil der Mensch – aus<br />

welchen Gründen auch immer – die Bedürfnisse seines Viehs nicht achtet, bzw. seine eigenen<br />

(oftmals finanziellen Bedürfnisse) über diejenige des Tieres stellt.<br />

1.2.2. [;deAy 100 , ‚wissen, sich kümmern um jmd/etw’<br />

Das Verb [;deAy, wissen, beschreibt ein Wissen, welches über das intellektuelle zur<br />

Kenntnis Nehmen hinaus geht. [;deAy kann also auch übersetzt werden mit ‚sich kümmern<br />

um etwas oder jemanden’. Es ist demnach klar, dass es hier darum geht, den Bedürfnissen<br />

auch nachzukommen und dafür zu sorgen, dass sie erfüllt werden. Die Antithese, dass die<br />

Ungerechten grausam sind, zeigt, dass sie möglicherweise die Bedürfnisse des Viehs auch<br />

kennen, dass sie aber – aus welchen Gründen auch immer – diesen Bedürfnissen keine<br />

Aufmerksamkeit schenken.<br />

1.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />

1.3.1. Nutztier<br />

Im vorliegenden Vers kommt durch das Personalsuffix („sein Vieh“) deutlich zum Ausdruck,<br />

dass primär an das Nutztier gedacht ist. Diese Tiere (wohl Esel, Rind, Schafe und<br />

Ziegen 101 ) gehören zum Haushalt des israelitischen Menschen der damaligen Zeit. Sowohl<br />

‚Gerechte‘ wie auch ‚Ungerechte‘ halten diese Tiere. Sie sichern den Lebensunterhalt und<br />

helfen <strong>bei</strong> der Verrichtung der täglichen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. Während der Gerechte sein Vieh gut behandelt<br />

– und damit einerseits an den Lebewesen in seinem Haushalt ‚human‘ handelt,<br />

andererseits aber auch seinem notwendigen ‚Werkzeug‘ Sorge trägt – ar<strong>bei</strong>tet der Ungerechte<br />

mit seinem Handeln nicht nur gegen die ‚humane‘ Grundhaltung der Israeliten<br />

dem Tier gegenüber, sondern schädigt sich selbst.<br />

1.3.2. Die Abhängigkeit des Nutztieres vom Menschen<br />

Nutztiere sind dem Menschen in besonderem Masse ausgeliefert. „Domestic animals are<br />

utterly dependent upon their master’s benevolence. <strong>Th</strong>ey cannot clearly articulate their<br />

99 Oder auch die ‚Seele‘ oder die ‚Seelenkraft‘ – je nach Übersetzung.<br />

100 Vgl. BERGMANN/BOTTERWECK in <strong>Th</strong>WAT, Bd III, Sp. 479ff.<br />

62


needs or desires” 102 . Gerade deshalb ist es besonders wichtig, dass ein guter Bauer die Bedürfnisse<br />

seiner Tiere kennt und weiss, was Tiere brauchen, können sie sie doch nicht artikulieren.<br />

Während die Wildtiere ihre Unabhängigkeit wahren können, sind die domestizierten<br />

und in der täglichen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> des Israeliten eingesetzten Tiere keineswegs selbständig.<br />

Sie sind darauf angewiesen, dass der Mensch sich bewusst ist, dass ‚seine‘ Tiere Lebewesen<br />

mit eigenen Bedürfnissen sind.<br />

1.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier<br />

In diesem Text wird deutlich, dass Mensch und Tier als grundverschiedene Wesen angenommen<br />

werden. Es geht nicht darum, die Tiere auf die gleiche Stufe wie den Menschen<br />

zu stellen, sondern vielmehr das <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sverhältnis, in welchem Mensch und Tier stehen, zu<br />

klären und möglichst ‚human‘ zu gestalten. Wird der Vers mit „Der Gerechte erbarmt sich<br />

seines Viehs,...“ wiedergegeben, zeigt sich die Kluft zwischen Mensch und Tier noch deutlicher.<br />

Es wird so ein unüberbrückbarer Unterschied aufgezeigt, welcher nicht so gross<br />

scheint, wenn man mit „...kennt die Bedürfnisse seines Viehs“ übersetzt. Die Formulierung<br />

„Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs, …“ hat sich – obschon sie m.E. etwas problematisch<br />

ist – mehrheitlich durchgesetzt. SCHOPENHAUER äusserte sich kritisch dieser Formulierung<br />

gegenüber: „Erbarmt! – Welch ein Ausdruck! Man erbarmt sich eines Sünders,<br />

eines Missetäters; nicht aber eines unschuldigen treuen <strong>Th</strong>ieres ... Erbarmt! Nicht Erbarmen,<br />

sondern Gerechtigkeit ist man dem <strong>Th</strong>iere schuldig – und bleibt sie meistens schuldig.“<br />

103 Ich gehe mit SCHOPENHAUER einig, dass es nicht angehen kann, dass sich der<br />

Mensch grosszügig seines Tieres erbarmt, als wäre dies eines Verbrechens schuldig. Kein<br />

Wesen darf um seiner selbst willen angeklagt werden – also darf es auch nicht nötig sein,<br />

dass man sich eines Wesens um seiner selbst willen erbarmen muss.<br />

Auch wenn man diesen Vers nicht mit der ungünstigen Übersetzung ‚erbarmt‘ überträgt,<br />

bleibt doch deutlich, dass zwischen Mensch und Tier ein unüberbrückbarer Unterschied<br />

besteht. Das Tier – insbesondere das hier gemeinte Nutztier – wird immer vom Menschen<br />

abhängig sein. Gut, wenn es <strong>bei</strong> einem ‚Gerechten‘ leben darf, der auf seine Bedürfnisse<br />

eingeht.<br />

101<br />

S.o. C.1. Sabbat, S. 40f.<br />

102<br />

VAN LEEUWEN, S. 126.<br />

103<br />

SCHOPENHAUER, Sämtliche Werke, Bd. 6, Wiesbaden 1947, 393.395. Zitiert nach GRÄSSER in RÖHRIG, S.<br />

97.<br />

63


1.3.4. Die Reichweite dieses Verses<br />

Wie PLÖGER 104 zeigt, kann dieser Vers unterschiedlich interpretiert werden: Entweder beschränkt<br />

man sich darauf, den Gerechten, der sich um sein Vieh kümmert, einen ‚humanen‘<br />

Menschen zu nennen, oder man sieht das Verhalten gegenüber dem Vieh als richtungsweisend<br />

gegenüber den Mitmenschen an. Spr 12,10 kann aber auch als Ausgangspunkt<br />

für eine umfassende gesamtbiblische Betrachtung genommen werden, in der das Tier<br />

die Stelle der „Natur“ einnimmt. M.E. wird so aber der Text etwas überstrapaziert. Jedoch<br />

ist positiv zu werten, dass auf diese Weise der Brückenschlag zur heutigen Zeit sehr leicht<br />

gelingt. Ob dies ein legitimer Umgang mit dem Text ist, scheint mir jedoch fraglich.<br />

Meiner Ansicht nach geht es <strong>bei</strong> Spr 12,10 in erster und wichtigster Linie um das Verhältnis<br />

des Menschen zu seinem Nutztier. Gerade auch <strong>bei</strong>m Einbezug des Kontextes dieses<br />

Verses fällt auf, dass es sich hier um Alltagsweisheit handelt, welche z.T. in einen grösseren<br />

religiösen Rahmen gestellt wird. Dies unterstützt meine <strong>Th</strong>ese, dass es sich hier primär<br />

um das Verhältnis Mensch – Nutztier handelt. Es zeigt aber auch, dass die blosse Existenzsicherung<br />

nicht die einzige Begründung für das gute Behandeln des Nutztieres bleibt.<br />

Vielmehr steht es im Zusammenhang mit dem Religiösen, was dem Handeln des Menschen<br />

mit dem Tier eine weitere Dimension gibt.<br />

1.4. Fazit<br />

Mit TEUTSCH kann man also sagen: „Tierquälerei ist für die biblischen Autoren ein religiöses<br />

Vergehen“. 105 Aus welchen Gründen Tierquälerei jedoch als Übertretung eingestuft<br />

wird, bleibt auch hier im Verborgenen. 106 Man könnte, wie oben erwähnt, damit argumentieren,<br />

dass durch das unsorgfältige Behandeln des Tieres die Existenz eines Bauern gefährdet<br />

ist. Es wäre aber auch denkbar, die Tierquälerei in den Zusammenhang eines Gedankens<br />

der Mitgeschöpflichkeit zu stellen und dann damit zu argumentieren, dass verantwortungsloser<br />

Umgang des Menschen mit dem Tier einer Gotteslästerung gleichkommt.<br />

Wo man auch die Begründung dieses Verses sucht, deutlich wird, dass zur Abfassung des<br />

Textes der ‚gerechte Umgang‘ des Menschen mit dem Tier nicht selbstverständlich war.<br />

Denn wo solche Texte geschrieben wurden, brauchte es sie auch.<br />

104 Vgl. PLÖGER, S.150.<br />

105 TEUTSCH in RÖHRIG, S. 121.<br />

64


106 S.o. C. 1.3.2. Begründung (Sabbat-)Gebots, S. 41.<br />

65


2. Pr 3,18-21<br />

2.1. Text und Übersetzung<br />

hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW lKol; dx'a,<br />

`lb,h' lKoh; yKi !yIa'<br />

%leAh lKoh; 3,20<br />

rp'['h,-!mi hy"h' lKoh; dx'a, ~Aqm'-la,<br />

`rp'['h,-la, bv' lKoh;w><br />

ynEB. x;Wr [;deAy ymi 3,21<br />

x;Wrw> hl'[.m'l. ayhi hl'[oh' ~d'a'h'<br />

`#r,a'l' hJ'm;l. ayhi td,r,YOh; hm'heB.h;<br />

yBiliB. ynIa] yTir>m;a' 3,18<br />

~yhil{a/h' ~r'b'l. ~d'a'h' ynEB. tr;b.DI-l[;<br />

`~h,l' hM'he hm'heB.-~h,v. tAar>liw><br />

hr,q.mi yKi 3,19<br />

hr,q.miW hm'heB.h; hr,q.miW ~d'a'h'ynEb.<br />

x;Wrw> hz< tAm !Ke hz< tAmK. ~h,l'<br />

dx'a,<br />

3,18 Ich sprach in meinem Herzen: Der Menschen 107 wegen ist es so, dass Gott sie<br />

prüfe damit sie sehen, dass sie selber sind wie Vieh.<br />

3,19 Denn das Schicksal der Menschen und das Schicksal des Viehs – ein (einziges)<br />

Schicksal haben sie: Wie diese sterben, sterben jene. Beide haben einen (einzigen)<br />

Atem. Es gibt keinen Vorteil des Menschen dem Tier gegenüber. Alle sind nichtig.<br />

3,20 Alles geht an einen Ort. Alles ist aus Staub geworden, und alles kehrt zu Staub<br />

zurück.<br />

3,21 Wer weiss, ob der Hauch der Menschen nach oben steigt und ob der Hauch des<br />

Viehs nach unten zur Erde geht?<br />

2.2. Fragen an den Text<br />

2.2.1. rqm, ‚Schicksal’<br />

Es fragt sich an dieser Stelle, was genau mit rqm – Schicksal – gemeint ist: Grundsätzlich<br />

kann man davon ausgehen, dass das Schicksal von Jhwh bestimmt wird und den Menschen<br />

unverrückbar betrifft. Es geht hier nicht darum, im Schicksal eine Alternativmacht zu Jhwh<br />

sehen zu wollen, sondern vielmehr die Konkretisierung dessen, was Jhwh mit dem einzelnen<br />

Menschenleben vorhat. Das Schicksal – oder möglicherweise besser der ‚Lebensplan‘<br />

– wird hier für Mensch und Tier identisch dargestellt. Beide sind sterblich und vergänglich.<br />

107 Wörtlich: Der Kinder der Menschen.<br />

66


2.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />

2.3.1. !yIa hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW, ‚Es gibt keinen Vorteil des<br />

Menschen vor dem Tier.’<br />

Die Anmerkung, dass es keinen Vorteil des Menschen vor dem Tier gibt, erstaunt: In diesem<br />

Text klingt nun nichts an von einem verantwortungsbewussten Umgang des überlegenen<br />

Menschen mit dem Tier. Im Gegenteil: Es wird explizit darauf hingewiesen, dass<br />

Mensch und Tier auf gleicher – tiefer – Stufe stehen. Interessant ist, dass dies nicht nur im<br />

körperlichen Sinn gemeint sein dürfte, wird doch im gleichen Vers auf x;Wr hingewiesen,<br />

der <strong>bei</strong>m Menschen wie <strong>bei</strong>m Vieh gleich ist.<br />

2.3.2. lb,h' lKoh, ‚alle sind nichtig’<br />

Mit der Bemerkung lb,h' lKoh – alle sind nichtig – wird im vorliegenden Text das Aufzeigen<br />

der Vergänglichkeit von Mensch und Tier in den Vordergrund gestellt. Es ist nicht die<br />

Aufgabe des Textes, dem Menschen ein deutlich besseres Schicksal zugestehen zu wollen.<br />

Die Aussage ist vielmehr die, dass sowohl Mensch als auch Tier zur Endlichkeit geschaffen<br />

sind. Bemerkenswert scheint mir, dass die Endlichkeit des Menschen nicht per se aufgezeigt<br />

wird, sondern dass sie anhand der Tiere gezeichnet wird. Der Mensch ist – wie das<br />

Tier auch – nichtig. Es scheint, als könne nur anhand des Tieres die eigene Endlichkeit<br />

verdeutlicht werden. Das Tier wird hier also gewissermassen zum Zweck gebraucht, dem<br />

Menschen seine Vergänglichkeit bewusst zu machen.<br />

Auch erstaunt die Tatsache, dass das Tier als Parallel-Wesen zum Menschen gesehen wird<br />

und nicht – wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre – als Kontrast im Sinne von: ‚Anders<br />

wie das Vieh ist der Mensch...‘.<br />

2.3.3. Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier<br />

Was in Gen 2 an Gemeinsamkeit bezüglich des Geschaffenseins geschildert wurde 108 , wird<br />

hier nun sehr viel stärker ausgedrückt: Der Text spielt auf Gen 2 an und führt noch grundlegender<br />

aus, was in Israel als deutlichen Zusammenhang von Mensch und Tier im Lebendigsein<br />

bewusst war: Mit seiner gewohnt polemischen Art beschreibt Kohelet, der Autor<br />

der Sprüche, dass der Mensch sich dessen bewusst sein soll, dass er bezüglich seiner Sterblichkeit<br />

das Schicksal des Viehs teilt.<br />

Mit der unbeantworteten Frage, die in 3,21 gestellt wird, zeigt der Autor, dass ihm bewusst<br />

ist, dass es zwischen Mensch und Tier Unterschiede gibt, dass aber der zentrale Punkt,<br />

67


nämlich die Vergänglichkeit, <strong>bei</strong> Mensch und Tier nicht offensichtlich verschieden ist. Die<br />

Vorstellung, dass der ‚Hauch‘ des Menschen nach oben, der ‚Hauch‘ des Tieres nach unten<br />

in die Erde geht, zeigt, dass der Mensch sich nicht einfach so mit der Ähnlichkeit zum Tier<br />

abfinden kann. Der Autor macht aber mit dieser Frage deutlich, dass der Mensch nicht mit<br />

letzter Sicherheit weiss, ob sein ‚Hauch‘ einen anderen Weg geht als derjenige des Tieres.<br />

2.3.4. Konsequenzen für die ‚tierethische‘ Praxis?<br />

Was dies nun für das Verhältnis zwischen Mensch und Tier heisst, ist im Folgenden zu<br />

fragen. M.E. kann aus Texten wie diesen eine Art ‚Mitleidsethik‘ gefolgert werden. Das<br />

Bewusstsein des gemeinsamen Schicksals fordert den Menschen, der die Verantwortung<br />

für Tiere trägt, dazu auf, mit dem Tier geschwisterlich umzugehen. Hier spielt die menschliche<br />

Gottebenbildlichkeit, das Bewusstsein, Gott näher zu sein als das Tier, keine Rolle<br />

mehr. Im Gegenteil steht hier ganz deutlich die Gemeinsamkeit von Mensch und Tier im<br />

Mittelpunkt. Wird dieser Text nun für eine Tierethik brauchbar gemacht, kann also nicht<br />

mit Verstand und Verantwortung des Menschen dem Tier gegenüber argumentiert werden,<br />

sondern hier ist die Haltung, dass die Tiere in einem gewissen Sinne ‚Geschwister‘ des<br />

Menschen sind, die treibende Kraft für den artgerechten Umgang des Menschen mit dem<br />

Tier.<br />

2.4. Fazit<br />

In diesem Text rückt die Gemeinsamkeit von Mensch und Tier in den Vordergrund: Beide<br />

sind von Gott geschaffen, <strong>bei</strong>de wurden aus Lehm (bzw. Staub) gemacht, <strong>bei</strong>de leben aus<br />

der Hand Gottes und <strong>bei</strong>de sind sterblich.<br />

Dass diese Verse in deutlich anthropozentrischem Kontext stehen, zeigt, dass es hier nicht<br />

primär um das Verhältnis des Menschen zum Tier geht. Vielmehr sind der Mensch und<br />

seine Vergänglichkeit <strong>Th</strong>ema. Und zwar mit Hilfe des Vergleiches mit dem Vieh. Was<br />

dahinter aber für ein Verhältnis des Menschen zum Tier steht, kann dennoch gesehen werden:<br />

Es geht um das grundsätzliche, schicksalshafte Verbundensein des Menschen mit dem<br />

Tier. Das Tier – so fremd und andersartig es auch empfunden werden mag – teilt das unumgängliche<br />

Schicksal der Vergänglichkeit mit dem Menschen. Daraus kann abgelesen<br />

werden, dass der Umgang mit dem Tier respektvoll geschehen muss, weil das Bewusstsein<br />

vorhanden war, dass auch es von Jhwh geschaffen wurde.<br />

108 S.o. B.2. Gen 2, S. 20.<br />

68


3. Fazit zu den Weisheitstexten<br />

Es ist m.E. problematisch, anhand von nur zwei – so unterschiedlichen – Texten ein<br />

schlüssiges Fazit zu schreiben. In den Weisheitstexten finden sich noch andere Passagen,<br />

die man auf die Mensch-Tier-Beziehung hin befragen könnte. 109 Diese halte ich allerdings<br />

für zu wenig aussagekräftig, als dass sie für meine Fragestellung tatsächlich hilfreich sein<br />

könnten. So werde ich nun im Folgenden versuchen, anhand der zwei untersuchten Texte<br />

etwas Allgemeines zur Mensch-Tier-Beziehung in den Weisheitstexten zu sagen, möchte<br />

jedoch diese Aussagen mit der nötigen Vorsicht behandelt wissen.<br />

Während Spr 12,10 eine deutliche Kluft zwischen Mensch und Tier aufzeigt, verdeutlicht<br />

Pr 3,18-21 die Gemeinsamkeiten, welche Mensch und Tier verbinden. Was in <strong>bei</strong>den Texten<br />

deutlich wird, ist das Grundgefühl des ‚Mit-Leidens‘: Die Argumentation von Spr<br />

12,10 basiert zwar auf der anthropozentrischen Unterscheidung in ‚gerechte‘ und ‚ungerechte‘<br />

Menschen, doch scheint der artgerechte Umgang mit dem Tier auf einer Art<br />

‚Mitleidsethik‘ zu beruhen, welche von der Leidensfähigkeit der Tiere ausgeht und deutlich<br />

macht, dass das Tier ein Recht darauf hat, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen<br />

wird. Es ist zwar wichtig, dass der Mensch ‚gerecht‘ ist, doch die Tatsache, dass das Tier<br />

Bedürfnisse hat, denen es von Seite des Menschen selbstverständlich nachzukommen gilt,<br />

wird diskussionslos vorausgesetzt. In Pr 3,18-21 steht das Mitleiden des Menschen mit<br />

dem Tier auf eine ganz spezielle Weise im Mittelpunkt: Es scheint fast so, als ob das Vieh<br />

den Menschen bemitleiden müsste, hat er doch das gleiche Schicksal. In der praktischen<br />

Konsequenz heisst diese Darstellung der auffälligen Gemeinsamkeiten von Mensch und<br />

Tier, dass der Mensch – aufgrund der ‚Geschwisterlichkeit‘ – verpflichtet ist, das Tier artgerecht<br />

und anständig zu behandeln. In <strong>bei</strong>den Texten sind keine konkreten Anhaltspunkte,<br />

anhand welcher man die Mensch-Tier-Beziehung, welche hinter diesen Texten steht, deutlich<br />

machen könnte. Dennoch scheint es, als ob hinter <strong>bei</strong>den Texten ein hohes Bewusstsein<br />

für den gemeinsamen Hintergrund von Mensch und Tier bestünde. D.h. die Überzeugung,<br />

dass sowohl Mensch als auch Tier von Jhwh geschaffen wurden, scheint die Basis zu<br />

bilden für die vorliegende Mensch-Tier-Beziehung.<br />

69


E. Diskussion<br />

1. Einheitliche Tierethik im AT?<br />

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass eine einheitliche ‚Tierethik‘, im Sinne einer<br />

Konzeption der Moralreflexion und der aus der Moral hervorgehenden praktischen Handlungserfordernissen,<br />

im Alten <strong>Testament</strong> nicht zu finden ist. Eine ‚Tierethik’ im Sinne von<br />

moralischen Überlegungen im Bezug auf den Umgang mit dem Tier ist jedoch durchaus<br />

erkennbar: Zwar werden die einzelnen ‚tierethischen’ Gedanken kaum begründet, doch<br />

steht hinter vielen Texten ein selbstverständliches moralisches Bewusstsein, was den Umgang<br />

mit dem Tier betrifft.<br />

Die untersuchten Texte sind zwar sehr unterschiedlich, sind sie doch auch zu verschiedenen<br />

Zeiten und mit ungleichen Funktionen geschrieben worden. Es fällt aber auf, dass –<br />

mit allen Unterschieden, welche konstatiert werden müssen – eine verantwortungsvolle<br />

Grundhaltung des Menschen dem Tier gegenüber gefordert wird. Diese Grundhaltung wird<br />

unterschiedlich, oftmals auch gar nicht, begründet und zeigt unterschiedliche – teilweise<br />

aus heutiger Sicht etwas befremdliche – Ausprägungen. Doch von keinem Text kann gesagt<br />

werden, er unterstütze eine ausbeuterische, missbräuchliche Haltung des Menschen<br />

dem Tier gegenüber.<br />

1.1. Überprüfung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese<br />

Meine eingangs aufgestellte <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese 110 , dass sich in den atl. Texten die Aufforderung<br />

zu einem verantwortungsbewussten Umgang des Menschen mit dem Tier finden lässt,<br />

scheint sich vollumfänglich zu bestätigen. Allerdings sind die Begründungen für diese<br />

Forderung nicht nur in den verschiedenen Textsorten unterschiedlichen Inhalts, sondern<br />

häufig gar nicht niedergeschrieben. Die Begründungen müssen erahnt werden – sie werden<br />

nicht mitgeliefert. Besonders schwierig ist dies in den Gesetzestexten, da diese explizit ein<br />

bestimmtes Handlungsmuster fordern, jedoch nicht begründen, auf welcher Basis diese<br />

Forderung fusst. Der verantwortungsbewusste Umgang des Menschen mit dem Tier ist<br />

jedoch nicht als einheitliche alttestamentliche Konzeption zu verstehen, sondern vielmehr<br />

als Grundhaltung, welche hinter den ‚tierethischen’ Texten steht. Insofern kann dieser gemeinsame<br />

Hintergrund als Basis bildende Einstellung gesehen werden.<br />

109 So z.B. Spr 6,6-8; 27,23-27; 30,24-28; Pr 9,4.<br />

110 S.o. A.5. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese, S. 6.<br />

70


1.2. Schöpfungstexte<br />

Die allesamt anthropozentrisch gestalteten Schöpfungsberichte sind m.E. in Bezug auf die<br />

Fragestellung nach der Mensch-Tier-Beziehung die ergiebigsten der untersuchten Textsorten.<br />

In diesen Texten geht es – anders als zunächst erwartet – nicht darum, Mensch und Tier<br />

auf eine Stufe zu stellen. Allerdings kann aus diesen Texten auch nicht gelesen werden,<br />

dass das Tier weniger wertvoll wäre als der Mensch. Vielmehr beschäftigen sich die untersuchten<br />

Schöpfungstexte damit, die Position des Menschen an der Spitze der Schöpfung<br />

darzustellen und zu begründen.<br />

Der Hiob-Text läuft dem nicht direkt entgegen, betont aber, dass Jhwh – auch wenn der<br />

Mensch an der Spitze der Schöpfung steht 111 – über dem Menschen wie auch über dem<br />

Tier steht. Es kann aus diesem Text, besonders auch in der Kombination mit den Texten,<br />

welche eine Art Statthalterschaft des Menschen darstellen (Gen 1, Gen 2, Ps 8), für die<br />

Mensch-Tier-Beziehung gefolgert werden, dass der Mensch so mit dem Tier umgehen soll,<br />

wie Jhwh es mit den Menschen und mit den Tieren tut: liebevoll, würdevoll, respektvoll.<br />

Die Frage nach dem „Herrschen“ des Menschen über die Schöpfung kann anhand der untersuchten<br />

Texte folgendermassen beantwortet werden: Der Mensch wird als Abbild Gottes<br />

verstanden, was konkret heisst, dass er die Statthalterschaft Gottes auf Erden innehat. Somit<br />

ist er verantwortlich dafür, dass die göttliche Ordnung auf diese Weise erhalten bleibt,<br />

wie Gott sie erhalten würde, wenn er selbst auf der Erde wäre. Das Herrschen des Menschen<br />

über die Schöpfung hat nichts mit Ausbeutung und Machtmissbrauch zu tun!<br />

In allen diesen Texten wird Leben nicht explizit als ‚heilig‘ verstanden. Und doch scheint<br />

es in dieser Art durchzuschimmern. Das von Gott geschenkte Leben ist etwas Besonderes,<br />

das es zu achten und zu bewahren gilt.<br />

1.3. Gesetzestexte<br />

In den untersuchten Gesetzestexten wird eine deutliche Kluft zwischen Mensch und Tier<br />

gezeichnet. Diese Kluft mündet nicht in Macht um der Macht willen mündet, sondern wird<br />

vielmehr durch diesen existentiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier letztlich der<br />

verantwortungsvolle Umgang des Menschen dem Tier gegenüber begründet. Die konkreten<br />

Begründungen für die einzlen Ge- und Verbote fehlen gänzlich, was grossen Interpretationsspielraum<br />

lässt 112 :<br />

111 Dies wird auf diese Weise jedoch nicht explizit gesagt.<br />

112 Vgl. bereits C.4.3.1. Begründung, S. 56.<br />

71


Einerseits kann die Verantwortung, welche der Mensch dem Hilfsmittel, Opfertier und<br />

Nahrungslieferant Tier gegenüber wahrgenommen werden muss, mit landwirtschaftlichen<br />

Erfahrungswerten begründet werden. Der Mensch kann nur existieren, wenn seine Nutztiere<br />

voll einsatzfähig sind. Andererseits kann aber auch eine religiöse Komponente angenommen<br />

werden: Das Tier wurde dem Menschen zugedacht, weil der Mensch als Abbild<br />

Gottes die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, verantwortungsvoll – artgerecht – über das<br />

Tier zu wachen. Zum <strong>Dr</strong>itten könnte das Tier aber auch als Teil der Gesellschaft betrachtet<br />

werden. Wie immer man auch die Ge- und Verbote begründet – wichtig ist m.E., dass in<br />

diesen Texten nicht die Geschwisterlichkeit von Mensch und Tier betont wird, sondern<br />

ausschliesslich das verantwortungsvolle Umgehen des Menschen mit dem Tier.<br />

1.4. Weisheitstexte<br />

Die untersuchten Texte sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich: Während Spr 12,10<br />

die Kluft zwischen Mensch und (Nutz-)Tier und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen<br />

ihnen bestärkt, betont Pr 3,18-21 die Gemeinsamkeit von Mensch und Tier. Das Bewusstsein,<br />

dass <strong>bei</strong>de, Mensch wie Tier von Jhwh geschaffen wurden und von ihm abhängig<br />

sind, prägt – ohne dass dies explizit genannt würde – die <strong>bei</strong>den Texte.<br />

1.5. Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />

Auch wenn die Texte im einzelnen grosse Unterschiede aufweisen, kommt doch <strong>bei</strong> allen<br />

zum Ausdruck, dass der Mensch dem Tier gegenüber Verantwortung trägt. Bei den Schöpfungstexten<br />

wird mit dem Herrschaftsauftrag, bzw. mit der Namensgebung und der Anmerkung,<br />

dass Gott dem Menschen die Schöpfung unter seine Füsse gestellt hat, angezeigt,<br />

dass die Texte „keine unnatürliche Gleichsetzung und (...) keinen sentimentalen Versuch<br />

einer geistigen Gleichstellung von Mensch und Tier“ 113 vornehmen. In allen untersuchten<br />

Textsorten kommt klar zum Ausdruck, dass das Tier das dem Menschen am nächsten stehende<br />

irdische Geschöpf ist, dass aber die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier<br />

nicht stark genug betont werden kann. Dies geschieht unter anderem mit der Darstellung<br />

einer klaren Hierarchie: In vielen Texten wird die Hierarchie ‚Gott-Mensch-Tier’ vorausgesetzt.<br />

Es geht in den Texten nicht darum, diese Hierarchie aufzuheben, sondern vielmehr,<br />

sie zu begründen, zu konkretisieren.<br />

113 PETERSEN, S. 16.<br />

72


Das Bewusstsein einer Heiligkeit des Lebens kann in keinem der Texte explizit gefunden<br />

werden. Implizit schwingt es dennoch möglicherweise <strong>bei</strong>m Schächtgebot oder auch <strong>bei</strong><br />

Spr 12,10 mit.<br />

1.5.1. Hierarchie<br />

In vielen der untersuchten Texte tritt das dahinterstehende Hierarchieverständnis ganz<br />

deutlich hervor. Diese Hierarche ‚Tier-Mensch-Gott’ wird als Selbstverständlichkeit gesehen,<br />

ist jedoch eigentlich eine recht schwierige Angelegenheit: Die Annahme einer objektiven<br />

Werthierarchie setzt einen Standpunkt ausserhalb der Wertordnung voraus. Den hat<br />

der Mensch jedoch nicht. So ist es eigentlich eine menschliche Arroganz, wenn die Verfasser<br />

der Texte davon ausgehen, dass der Mensch das höchste Wesen auf Erden ist, weil der<br />

Mensch selbst dies gar nicht beurteilen kann. 114 Die Auffassung, dass nur der Mensch beseelt<br />

und Ebenbild Gottes sei 115 , bietet keinen Anlass, das Leiden oder das Leben der Tiere<br />

weniger ernst zu nehmen. 116 In den alttestamentlichen Texten kommt jedoch deutlich zum<br />

Ausdruck, dass die Autorschaft diese Überlegung gar nicht angestrebt hat. Vielmehr wurde<br />

dann der entgegengesetzte Weg eingeschlagen, nämlich die Überzeugung, dass der Mensch<br />

gerade mit diesem einzigartigen Beseelt-Sein und Ebenbild-Sein, für das Tier, und die<br />

Schöpfung im Allgemeinen, eine Verantwortung zu übernehmen hat.<br />

1.5.2. ‚Mitleidsethik’<br />

Alle untersuchten Texte appellieren an das Bewusstsein, dass die Tiere, wie die Menschen,<br />

von Gott geschaffene und demnach von Gott gewollte Lebewesen sind. Die Gewissheit der<br />

Leidensfähigkeit des Tieres kommt in einigen Texten deutlich zum Vorschein: So <strong>bei</strong>spielsweise<br />

in Spr 12,10 oder auch in Dtn 5. Es muss hier aber angeführt werden, dass die<br />

Leidensfähigkeit des Tieres in den Texten nicht explizit zu finden ist. Sie steht nur im Hintergrund<br />

der Texte. Doch wäre es undenkbar, den Texten diese Basis abzusprechen. Hier<br />

nun von einer ‚Mitleidsethik’ im modernen Sinn zu sprechen, ist möglicherweise etwas<br />

hoch gegriffen. Dennoch ist deutlich, dass diese Texte nicht von Tieren als leidensunfähige,<br />

bedürfnislosen Gegenständen sprechen, sondern dass sie im Gegenteil das Leben und<br />

die Bedürfnisse der Tiere ernst nehmen.<br />

114 Vgl. WOLF, S. 112.<br />

115 Vgl. Gen 2.<br />

73


1.5.3. ‚Das Entdecken des ganz Anderen‘<br />

Besonders in den Texten, welche sich mit den wilden Tieren befassen 117 , kommt deutlich<br />

zum Ausdruck, dass in der Tierwelt ‚das ganz Andere’ entdeckt werden kann. Aber auch in<br />

den Texten zum Umgang mit den Nutztieren ist diese Komponente nicht zu unterschätzen:<br />

Das Tier wird zwar als das dem Menschen nächststehende Geschöpf empfunden, doch sind<br />

die Unterschiede zwischen Mensch und Tier insofern unüberbrückbar, als sie niemals aufgehoben<br />

werden können. Das Tier wird immer Tier und damit auch dem Menschen unterlegen<br />

bleiben. Der Mensch kann und muss dafür sorgen, dass diese Kluft gut genutzt und<br />

nicht missbraucht wird.<br />

1.6. Begründungen<br />

Wie es begründet wird, dass der Mensch Verantwortung für das Tier zu übernehmen hat,<br />

wird nicht gesagt. Es gilt nun, diese möglichen Begründungen noch einmal zusammenzufassen:<br />

1.6.1. ‚Mitgeschöpflichkeit‘<br />

Wird mit dem Bewusstsein der ‚Mitgeschöpflichkeit’ argumentiert, dass <strong>bei</strong>de – Mensch<br />

und Tier – geschaffen sind, heisst das in alttestamentlichen Texten nicht, dass Tiere als<br />

Geschwister angenommen werden müssen, dass der Standpunkt des Menschen an der Spitze<br />

der Schöpfung aufgegeben werden muss und dass der Mensch seine sehr hohe Stellung<br />

innerhalb der Hierarchie preisgeben soll. Vielmehr ist ‚Mitgeschöpflichkeit’ eine mögliche<br />

Begründung für den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit dem Tier. Die Tatsache<br />

nämlich, dass die Tiere vom selben Schöpfer hervorgebracht wurden, zeigt, dass<br />

dieser Schöpfer geehrt werden muss. Die Schöpfung zu missachten, hiesse, den Schöpfer<br />

selbst missachten.<br />

1.6.2. Einhalten menschenspezifischer Gebote<br />

Eine andere mögliche Erklärung für den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit<br />

dem (Nutz-)Tier ist die, dass der Mensch damit die Gebote, welche er selbst halten muss,<br />

auch wirklich einhält. Konkret heisst das am Beispiel des Sabbatgebots, welches auch für<br />

die (Nutz-)Tiere gilt, dass der Mensch durch diese Ausweitung auf die Tiere gezwungen<br />

ist, die Sabbatruhe wirklich einzuhalten.<br />

116 Vgl. WOLF, S. 116.<br />

117 S.o. B.4. Hi 38f, S. 30ff.<br />

74


1.6.3. Landwirtschaftlicher Nutzen<br />

Viele dieser Texte zeigen den landwirtschaftlichen Kontext der Abfassungszeit. Hier ist zu<br />

fragen, ob einige der Texte über den verantwortungsvollen Umgang mit dem Nutztier nicht<br />

einfach auf landwirtschaftlichen Erfahrungswerten beruhen. Möglicherweise wurden die<br />

Erfahrungen im Nachhinein in eine religiöse Ebene gehoben.<br />

2. Religionsgeschichtliche Betrachtung<br />

2.1. Von der Tierverehrung zur Tierethik<br />

WERA VON BLANKENBURG 118 bezeichnet das Ergriffenwerden des Menschen vom Wesen<br />

des Tieres als ein religiöses Urelebnis. Die Tierwelt wurde in den ersten Epochen der<br />

Menschheitsgeschichte zur Verkörperung der vitalen Erdkräfte. So erstaunt es nicht, dass<br />

in vielen Religionen die Gottheiten in Tieren oder Tiergestalten verehrt wurden. Wer nämlich<br />

nicht bewusst Geschöpf und Schöpfer unterscheidet, überträgt die Faszination, welche<br />

er dem Geschöpf gegenüber verspürt, leicht auf dieses selbst. Hier liegt die Wurzel dessen,<br />

was als ‚religiöse Tierverehrung’ bezeichnet werden kann. Parallel zur Verehrung von<br />

Gottheiten in Tieren oder Tiergestalten können auch die als göttlich angesehenen Begleiter<br />

von Gottheiten eine wichtige Rolle spielen. 119 Mit dem Übergang zum Monotheismus wird<br />

dieses Verhältnis zu den vergöttlichten Tieren neu überdacht. Der Mensch projiziert nun<br />

nicht mehr die Tiere ins Göttliche und wird sich des Abstandes, welche ihn von den Tieren<br />

trennt, bewusst. Da sich der Mensch parallel zu dieser Entwicklung viele von den ihn umgebenden<br />

Tieren auch als Nutz- und <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>svieh dienstbar gemacht hat, stehen sie nun im<br />

Bewusstsein nicht mehr über ihm, sondern umgekehrt, der Mensch steht über dem Tier.<br />

Nur noch ganz vereinzelt leben Reste der Tierverehrung weiter. 120 Der Glaube an die<br />

Gleichstufigkeit und Verwandtschaft von Menschen und Tieren schwindet immer mehr.<br />

Der Mensch wird mehr und mehr der Überlegene, je länger je mehr tritt er dem Tier als ein<br />

Wesen höherer Ordnung entgegen. 121 Gleichzeitig mit dem neuen Gottesverständnis entsteht<br />

also auch ein neues Tierverständnis. Beide aber haben sie ihren Ursprung in einem<br />

neuen Menschenverständnis und wirken rückläufig wieder auf das Menschenverständnis<br />

118<br />

VON BLANKENBURG, S. 9.<br />

119<br />

So z.B. der Adler des Zeus oder die Raben des Odin.<br />

120<br />

So z.B. in der Elia-Geschichte 1Kön 17.<br />

121<br />

Dies lässt sich am Beispiel der <strong>bei</strong>den Schöpfungsberichte Gen 1 und Gen 2 schön darstellen: Gen 2, der<br />

ältere der <strong>bei</strong>den Texte, schildert das Geschaffensein des Menschen und der Tiere zwar auch schon auf den<br />

Menschen hin, doch immer noch so, dass die Verwandtschaft dieser <strong>bei</strong>den deutlich wird. Gen1, der jüngere<br />

Text, scheint die Tiere ganz auf den Menschen hin zu schaffen – die Konzeption lässt die Überlegenheit des<br />

Menschen über das Tier deutlich zu Tage treten.<br />

75


zurück. 122 Für das Verhältnis des Menschen zum Tier bedeutet das das Aufkommen einer<br />

ansatzweisen Tierethik. Das Fehlen der Tierverehrung gab den Raum frei für die Reflexion<br />

der Mensch-Tier-Beziehung. Diese Reflexion schlägt sich zwar in den biblischen Texten<br />

nicht in einer Abhandlung nieder, doch ist in den einzelnen Textabschnitten deutlich zu<br />

beobachten, dass der Mensch seinen Bezug zum Tier überdacht hat. Zentral <strong>bei</strong> dieser<br />

Entwicklung scheint mir folgende Feststellung: „Wenn die jüdische Religion dem Tier<br />

auch seine Göttlichkeit raubt, so raubt sie ihm doch deswegen nicht seine Seele, seinen<br />

Charakter als fühlendes und respektheischenes Wesen. (…) Sie erniedrigt das Tier nicht<br />

zur Sache.“ 123<br />

2.2. Umwelt<br />

Im gesamten alten Orient wurden Gottheiten durch Tiergestalten repräsentiert. So wurden<br />

in Ägypten die göttlichen Mächte seit dem 4. Jt. v. Chr. in Tieren oder Tiergestalten verehrt.<br />

Ebenfalls seit der Frühzeit treten Mischwesen mit menschlichem Leib und Tierkopf<br />

als Darstellungsform von Göttern auf. 124 Im vorderasiatischen Raum und in Kleinasien<br />

sind solche theriomorphe Götterdarstellungen oder Mischgestalten kaum zu finden. Götter<br />

und Göttinnen werden dort anthropomorph dargestellt. Die Verbindung zum Tier zeigt sich<br />

dort in den Charakteristika der Götterdarstellungen: So sind als Beispiele Hörnerkronen<br />

oder das Stehen auf Tieren zu nennen. 125<br />

2.3. Abgrenzung<br />

Auch in Israel/Palästina waren solche theriomorphen Darstellungen von Gottheiten bekannt.<br />

Jedoch wurde mit dem Aufkommen der Jhwh-Religion und der Veränderung vom<br />

Polytheismus zum Monotheismus 126 das Verhältnis zu solchen Darstellungen stark überdacht:<br />

Solche unbefangenen Verbindungen von Gott und Tieren werden in den alttestamentlichen<br />

Texten als veraltet angesehen, wie <strong>bei</strong>spielsweise das Bilderverbot in Dtn 4,16-<br />

18 zeigt. Solche Verbote wurden erlassen, weil in Israel die kultische Verehrung von (Tier-<br />

)Bildern praktiziert wurde, sie jedoch mit den Fremdgöttern, von welchen es sich abzugrenzen<br />

galt, in Verbindung gebracht wurden. 127 Trotz allen Bemühungen, sich gegen die<br />

122<br />

Vgl. LANDMANN, S. 18.<br />

123<br />

LANDMANN, S. 39.<br />

124<br />

BARTELMUS in JANOWSKI, S. 307.<br />

125<br />

Ebd.<br />

126<br />

Einige Gottheiten, welche entweder in Tiergestalt verehrt oder speziell für Tiere und ihre Fruchtbarkeit<br />

zuständig waren, wurden durch das Aufkommen des Monotheismus allmählich durch Jhwh abgelöst.<br />

127<br />

Ebd.<br />

76


Gottheiten der Nachbarvölker und deren Tierbildverehrung abzugrenzen, blieben zahlreiche<br />

Tiere in der Jhwh-Religion nahe <strong>bei</strong> der göttlichen Sphäre. So spielten z.B. Stier- und<br />

Löwenbilder in der Inneneinrichtung des Jerusalemer Tempels eine wichtige Rolle. 128<br />

3. Andere biblische Texte<br />

3.1. Andere atl. Texte<br />

In meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> habe ich mich auf die Untersuchung einiger weniger Texte beschränkt. Im<br />

Alten <strong>Testament</strong> sind jedoch noch ganz andere Texte, welche über den Umgang des Menschen<br />

mit dem Tier berichten, zu finden. So können die Bileam-Geschichte 129 oder die<br />

Episode, in welcher Elia von den Raben gefüttert wird 130 , als Texte gelesen werden, welche<br />

einen Zugang des Menschen zum Tier zeigen, der für uns heutige, mitteleuropäische<br />

Menschen kaum mehr vorstellbar ist: Nämlich der Zugang, dass in den Tieren eine göttliche<br />

Macht zu erkennen ist. 131 Auch die biblischen Bilder, die mit Hilfe des Tieres für den<br />

Menschen relevante Gegebenheiten plastisch und dramatisch illustrieren, können an dieser<br />

Stelle erwähnt werden: So sind <strong>bei</strong>spielsweise die Rede des Nathan in 2Sam 12, die Bezeichnung<br />

des einzelnen Feindes als Hund in Ps 22,17, die Darstellung der Invasionswelle<br />

als Heuschreckenwolke in Jes 33,4 oder Jes 11,6-9, die bevorstehende Wiederherstellung<br />

des ursprünglichen Friedensstandes in der Zeit der Vollendung zu nennen.<br />

Die Bilder, welche in diesen Texten vom Tier gezeigt werden, weisen nicht per se auf eine<br />

‚Tierethik‘ hin. Doch zeigen sie, dass die alttestamentlichen Texte die <strong>Th</strong>ematik des Tieres<br />

auf verschiedenen Ebenen behandeln.<br />

3.2. Ausblick ins NT<br />

Die neutestamentlichen Texte sind im Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung nicht sehr<br />

aussagekräftig. Zwar können einige Textstellen gefunden werden, in denen Tiere vorkommen,<br />

doch sagen sie wenig über das dahinterstehende Verhältnis aus. Dennoch möchte ich<br />

hier einige Textstellen anführen, welche mir für den Ausblick ins Neue <strong>Testament</strong> zentral<br />

erscheinen:<br />

In Matth 6,25-29 werden die Vögel als Vergleichspunkt zum Menschen erwähnt: Während<br />

der Mensch sich um seine Nahrung sorgt, haben sie die Gelassenheit, darauf zu vertrauen,<br />

128<br />

Vgl. KEEL/SCHRÖER, S. 64.<br />

129<br />

Num 22.<br />

130<br />

1Kön 17.<br />

131<br />

S.u. E.2. Religionswissenschaftliche Betrachtung, S. 75f.<br />

77


dass Gott sie ernährt. Das Bewusstsein, dass Gott seine Schöpfung nicht nur geschaffen<br />

hat, sondern sie auch erhält, ist in den ntl. Texten sehr wichtig.<br />

In Mk 1,12f heisst es, dass Jesus in der Wüste <strong>bei</strong> den Tieren war. Mit dem Erscheinen<br />

Jesu erwacht die menschliche Hoffnung, vom Verhängnis des Sündenfalls endgültig befreit<br />

zu werden. In Christus wird die Hoffnung auf die Wiederherstellung der paradiesischen<br />

Gemeinschaft gesetzt. In diesem Text kommt zum Ausdruck, dass mit dem Escheinen Jesu<br />

diese Wiederherstellung bereits begonnen hat. 132<br />

In Röm 8,18-22 wird geschildert, wie alles Geschaffene in der belebten Schöpfung auf die<br />

Erwartung ausgerichtet ist, aus der Leidenszeit dieses Äons in ein neues Eden hinübergeführt<br />

zu werden. Das Seufzen der Schöpfung kann in diesem Zusammenhang also als Ausdruck<br />

von Beseeltsein und geschöpflicher Würde betrachtet werden. 133<br />

Paulus nimmt in 1Kor 9,9 das Gebot aus Dtn 25,4 auf, dem dreschenden Ochsen das Maul<br />

nicht zu verbinden und deutet diese Textpassage um: Er geht davon aus, dass mit dem<br />

Ochsen eigentlich der Mensch gemeint ist. Über das Verhältnis des Menschen zum Tier<br />

wird somit sehr wenig ausgesagt. Es kommt allerdings deutlich hervor, dass es hier primär<br />

um den Menschen und seine Beziehung zu Gott geht.<br />

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die ntl. Texte, in denen Tiere vorkommen,<br />

spärlich und unterschiedlich sind. Dennoch kann man auch hier beobachten, dass das Bewusstsein,<br />

dass sowohl Menschen als auch Tiere von Gott geschaffen wurden und von ihm<br />

erhalten wurden, vorherrscht. Grundsätzlich steht jedoch das Verhältnis Gott-Mensch im<br />

Vordergrund des Neuen <strong>Testament</strong>es.<br />

4. ‚Dort und damals‘ versus ‚hier und heute‘<br />

Es wäre naiv zu behaupten, zur Abfassungszeit der Texte hätte man Missstände im Bezug<br />

auf das Verhältnis von Mensch und Tier nicht gekannt. Gerade die Existenz der Gesetzestexte<br />

und weisheitliche Texte wie Spr 12,10 zeigen, dass damals der verantwortungsbewusste<br />

Umgang des Menschen mit dem Tier nicht selbstverständlich war. Es ist jedoch<br />

anzunehmen, dass es nicht Missstände von heutigem Ausmass waren. Probleme mit der<br />

Massentierhaltung, mit ausbeuterischen medizinischen Tierversuchen oder unzumutbaren<br />

Trainingsmethoden <strong>bei</strong> Sporttieren dürften damals noch keine wesentliche Rolle gespielt<br />

haben. Solche Probleme treten wohl erst seit DESCARTES auf. Seitdem der Mensch dem<br />

Tier die Leidensfähigkeit abgesprochen hat, waren dem Missbrauch von Tieren Tür und<br />

132 Vgl. GRÄSSER in JANOWSKI/RIEDER, S. 117.<br />

133 GRÄSSER in JANOWSKI/RIEDER, S. 125.<br />

78


Tor geöffnet. Auch wenn wir heute bezüglich Leidensfähigkeit des Tieres wieder an einem<br />

anderen Ort stehen als DESCARTES, so sind die Folgen der cartesischen Behauptungen desaströs.<br />

Man darf davon ausgehen, dass zur Abfassungszeit der untersuchten Texte im Gesamten<br />

das Bewusstsein des Menschen, dass er für die Tiere eine Verantwortung trägt,<br />

noch einiges präsenter war als in der Zeit nach DESCARTES.<br />

Dass wir heute menschheitsgeschichtlich an einem völlig anderen Ort stehen als zur Abfassungszeit<br />

der untersuchten Texte, macht es schwierig, die Texte unreflektiert in die heutige<br />

Zeit übernehmen zu wollen. Wir können unmöglich damit argumentieren, dass in der Bibel<br />

ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Tier gefordert wird und darauf vertrauen, dass<br />

die heutigen aufgeklärten und verstandesorientierten Menschen die biblischen Texte als<br />

Autorität anerkennen und ihr Verhalten den Tieren gegenüber ändern werden. Wir können<br />

aber dennoch davon ausgehen, dass die biblischen Texte prägend auf unsere Gesellschaft<br />

wirkten und nach wie vor wirken. Insofern ist auch eine biblische Tierschutzethik, wie ich<br />

sie im Folgenden kurz vorstellen werde, nach wie vor zu begründen.<br />

4.1. Biblische Tierschutzethik<br />

Die biblische Tierschutzethik beruht auf der Sonderstellung des Menschen und dem diese<br />

Sonderstellung begründenden Auftrag Gottes an den Menschen, über die Tiere zu herrschen.<br />

134 Diese aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit herausgehobene Stellung des Menschen<br />

muss in Verbindung mit einer durch Verantwortung für das untergebene Tier begrenzten<br />

Treuhandschaft, die der Mensch in Gottes Auftrag ausübt, gesehen werden. Die<br />

Vorstellung, der Mensch sei eine Art Halbgott, wie man aus Ps 8 herauslesen könnte 135 , ist<br />

für die biblische Tierschutzethik in diesem Sinn nicht förderlich, trägt sie nämlich nichts<br />

zur Klärung des Verhältnisses von Mensch und Tier <strong>bei</strong>. Vielmehr muss dort eingesetzt<br />

werden, wo der Mensch als Erhalter der göttlichen Schöpfungsordnung gesehen, d.h. als<br />

Erster innerhalb der grossen Gemeinschaft der Geschöpfe Gottes 136 , werden kann. 137 WOLF<br />

betont, dass der Ansatzpunkt einer Tierethik nicht die Heiligkeit allen Lebens noch die<br />

Verletzlichkeit der Natur, sondern das „Individualwohl von Tieren“ sein muss. 138 Auch sei<br />

weder die blosse Gleichsetzung noch die Konstatierung der Wesensunterscheidung hilf-<br />

134 Gen 1,26.28.<br />

135 S.o. Ps 8, S. 26f.<br />

136 KARL BARTH prägt für diese Überlegung den Begriff „primus inter pares“, KD, Bd III, S. 210.<br />

137 Vgl. TEUTSCH, Lexikon, S. 32ff.<br />

138 Vgl. WOLF, S. 172.<br />

79


eich, sondern nur „eine differenzierende und individualisierende Wahrnehmung relevanter<br />

Ähnlichkeiten und Unterschiede“. 139<br />

Der utilitaristische Ansatz einer Tierethik setzt <strong>bei</strong> der Verringerung von Leiden 140 ein. Um<br />

die Verringerung von Leiden und die Maximierung von Glück auf eine Tierethik übertragen<br />

zu können, muss jedoch eine Leidensfähigkeit der Tiere und möglicherweise auch der<br />

Gedanke der Mitgeschöpflichkeit vorausgesetzt werden.<br />

4.2. <strong>Altes</strong> <strong>Testament</strong> und Christentum<br />

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, 141 beziehe ich mich in der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ausschliesslich<br />

auf die christliche Rezeption der atl. Texte. Da sich das Christentum jedoch<br />

vorwiegend auf die Texte des Neuen <strong>Testament</strong>es bezieht, und diese – wie ich kurz gezeigt<br />

habe 142 – in Bezug auf die Fragestellung meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht besonders ergiebig sind, besteht<br />

keine ausgeprägte Bear<strong>bei</strong>tung der Mensch-Tier-Beziehung aus christlicher Sicht.<br />

Neuere Bewegungen, wie <strong>bei</strong>spielsweise der deutsche Verein „Aktion Kirche und Tier –<br />

AKUT“ mit Sitz in Bochum beschäftigen sich zwar seit einiger Zeit mit dem Umgang des<br />

Menschen mit dem Tier und werden zunehmend auch international aktiv, doch handelt es<br />

sich <strong>bei</strong> diesen Aktionen um einzelne Gruppierungen, die weltweit kaum wahrgenommen<br />

werden und die auch kaum einen Beitrag leisten zur wissenschaftlichen Aufar<strong>bei</strong>tung der<br />

<strong>Th</strong>ematik.<br />

Dass ich mich in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht auf die jüdische Tradition der Textauslegung stützen<br />

konnte, bedaure ich sehr. Ich hätte in diesen Schriften wohl einen grossen Schatz an Überlegungen<br />

zu den in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> untersuchten Texten gefunden. Diese Texte für das Verständnis<br />

der untersuchten atl. Textpassagen fruchtbar zu machen, wäre jedoch eine eigene<br />

Untersuchung wert, und der <strong>bei</strong>läufige Miteinbezug derselben hätte den Rahmen der vorliegenden<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> <strong>bei</strong> Weitem gesprengt. Dennoch sehe ich im Umgang mit der jüdischen<br />

Tradition eine Chance für das Christentum, die leider einmal mehr ungenutzt blieb.<br />

4.3.Zwischen biblizistischer Argumentation und historischem Interesse – Folgerungen<br />

für die heutige Tierethik<br />

Ich habe in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in ausgewählten alttestamentlichen<br />

Texten darzustellen versucht. Nun steht die Frage an, ob und wenn ja in<br />

139 WOLF, S. 13.<br />

140 „Minimizing suffering“, Vgl. SINGER, S. 21.<br />

141 S.o. A.6. Literatur, S. 7.<br />

142 S.o. E.3.2. Ausblick ins NT, S. 77.<br />

80


welchem Sinn diese Darstellung für uns heute relevant ist. Einerseits handelt es sich hier<br />

um eine wissenschaftliche <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>, welche die biblischen Texte aus historischem Interesse<br />

beleuchten will. Andererseits geht es mir aber auch darum zu überlegen, ob für die heutige<br />

Zeit diese Texte nutzbar gemacht werden können. Lese ich diese Texte ausschliesslich aus<br />

historischem Interesse, so muss ich zum Schluss kommen, dass ich nicht nach möglichen<br />

Impulsen für eine heutige Tierethik fragen darf. Wenn ich jedoch forderte, dass sich die<br />

heutige Gesellschaft wieder nach den Intentionen der alttestamentlichen Texte richten soll,<br />

so argumentiere ich flach und biblizistisch. Welche Reflexionsschritte müssten denn unternommen<br />

werden, damit die Texte von damals heute relevant bleiben können?<br />

Grundsätzlich ist hier zu sagen, dass unsere Gesellschaft – ob sie es will oder nicht –<br />

christlich geprägt ist, dass also auch die untersuchten alttestamentlichen Texte in unserer<br />

Gesellschaft Eingang gefunden haben. In neuster Zeit ist der bewusste Umgang mit den<br />

Texten massiv zurückgegangen – dennoch wage ich zu behaupten, dass die biblischen Texte<br />

gesellschaftsbildend sind. In diesem Sinn möchte ich die biblischen Texte als nach wie<br />

vor relevante Texte gelesen wissen. Wenn ich nun aber davon spreche, dass unsere Gesellschaft<br />

christlich geprägt ist, so muss ich auch berücksichtigen, dass ich in der vorliegenden<br />

<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> alttestamentliche Texte – darunter auch Gesetzestexte – untersucht habe. Christus<br />

jedoch löste bekannterweise die Gesetze auf. Also ist es schwierig zu sagen, dass alle untersuchten<br />

Texte heute noch volle Gültigkeit besitzen. Wenn jedoch hinter die Texte zurückgegangen<br />

wird und nicht die Texte als solche, sondern ihr Hintergrund, dass nämlich<br />

der Mensch Verantwortung für die Tiere zu tragen hat, als zeit- und kulturunabhängiges<br />

Grundbedürfnis angesehen und umgesetzt wird, so könnte viel Leid aus der Welt geschaffen<br />

werden.<br />

5. Persönliches Schlusswort<br />

Den hinter mir liegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sprozess überblickend, kann ich zusammenfassend sagen,<br />

dass die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Texten für mich persönlich sehr<br />

bereichernd war. Meine ursprüngliche Idee, eine ‚Tierethik’ im Sinne einer Abstraktion der<br />

Moral und deren Konkretisierung in den Handlungen hinter den einzelnen Passagen ausmachen<br />

zu können, gestaltete sich jedoch schwieriger als anfänglich angenommen. Die<br />

einzelnen Texte zeigen wenig von den Begründungen, Grundhaltungen und alltäglichen<br />

Umgangsformen der Menschen mit den Tieren – und sie zeigen noch weniger von einer<br />

Reflexion der Moral. Ich hoffe mit meinen Überlegungen zu den Begründungsmöglichkei-<br />

81


ten der einzelnen Texte aufgezeigt haben zu können, was möglicherweise hinter diesen<br />

Texten steht. Denn es war mir bald klar, dass, wollte ich die atl. Aussagen zur Mensch-<br />

Tier-Beziehung für die heutige Zeit nutzbar machen, hinter die Texte zurück zu gehen ist.<br />

Die Texte, wie sie sich uns heute präsentieren, können unmöglich unadaptiert übernommen<br />

werden. Doch stellte sich die Frage, was denn tatsächlich hinter diesen Texten steht.<br />

Grundsätzlich bin ich davon ausgegangen, dass die Texte keiner expliziten Begründung<br />

bedürfen, da diese sowohl der Autor- wie der Leserschaft bekannt war. Es muss sich also<br />

um eine religiöse Grundhaltung handeln, welche selbstverständlich vorausgesetzt werden<br />

konnte. Diese Grundhaltung ist es, die m.E. heute vielerorts fehlt und welche seit der Aufklärung<br />

durch andere Begründungsmodelle abgelöst werden musste. Will man nun aus den<br />

untersuchten atl. Texten Handlungs- oder Begründungsargumente für die heutige Zeit gewinnen,<br />

so muss man davon ausgehen, dass eine religiöse Grundeinstellung vorausgesetzt<br />

werden kann. Doch auch wenn sich kaum etwas gewinnen lässt, wenn man Menschen gegenüber,<br />

welche nichts mit dieser Denkart anzufangen wissen, mit den biblischen Texten<br />

argumentiert, so kann dennoch mit dem Argument der Verantwortung verhandelt werden:<br />

Die atl. Texte lassen zwar die Begründung weitgehend offen, doch ist die geforderte Verantwortung,<br />

die der Mensch dem Tier gegenüber schuldet, nicht wegzudiskutieren. In diesem<br />

Sinn lässt sich SCHWEITZERS Satz „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben,<br />

das leben will.“ 143 als Prämisse für die atl. Texte sehen: Damit alles Leben, was leben will,<br />

auch leben kann, muss der Mensch auch die Konsequenzen seiner Überlegenheit tragen<br />

und den Umgang mit dem Tier verantwortungsvoll gestalten.<br />

143 SCHWEITZER, S. 181.<br />

82


B. Einleitung 1<br />

7. Voraussetzungen 2<br />

8. Motivation 4<br />

9. Absicht 4<br />

10. Vorgehen 5<br />

11. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese 6<br />

12. Literatur 7<br />

B. Die Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungs-Texten 7<br />

4. 1. Gen 1,20 – 1,31 9<br />

1.1. Text und Übersetzung 9<br />

1.2. Fragen an den Text 10<br />

11<br />

1.2.1. arb, ‚schaffen’<br />

1.2.2. krb, ‚segnen’ 11<br />

1.2.3. bAj, ‚gut’ 12<br />

1.2.4. hdr, ‚herrschen’ 14<br />

1.2.5. vbk, ,herrschen’ 15<br />

1.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht 16<br />

1.3.1. Mitgeschöpflichkeit 16<br />

1.3.2. Göttliche Ordnung 17<br />

1.3.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen 18<br />

1.4. Fazit 18<br />

2. Gen 2,7-2,9.15.18-25 20<br />

83


2.1. Text und Übersetzung 20<br />

2.2. Fragen an den Text 21<br />

2.2.1. rmv, ‚bewachen, behüten, u.a.’ 21<br />

2.2.2. rz[, ‚Hilfe’ 22<br />

2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’<br />

22<br />

2.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im jahwistischen Schöpfungsbericht 23<br />

2.3.1. rz[, ‚Hilfe’ 23<br />

2.3.2. ADg>n


4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere 32<br />

4.2.2. Weisheit 33<br />

4.2.3. Rhetorische Fragen 34<br />

4.3. Die Mensch-Tier-Beziehung in der zweiten Gottesrede <strong>bei</strong> Hiob 34<br />

4.4. Fazit 35<br />

7. Fazit: Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungstexten 35<br />

5.1. Anthropozentrismus 35<br />

5.2. Hierarchie und Machtmissbrauch 36<br />

5.3. Mitgeschöpflichkeit 37<br />

5.4. Statthalterschaft als gemeinsame Aussage der untersuchten Texte 38<br />

5.5. Schlussbemerkung 39<br />

C. Das Tier in den Gesetzestexten 40<br />

8. 1. Sabbatgebot Dtn 5,12-15 40<br />

1.1. Text und Übersetzung 40<br />

1.2. Vorbemerkung: Deuteronomium und Exodus 40<br />

1.3. Fragen an den Text 41<br />

1.3.1. Rind, Esel, Vieh 41<br />

1.3.2. Begründung des Gebots 41<br />

1.4. Mensch-Tier-Beziehung im Sabbatgebot nach Dtn 41<br />

1.4.1. Landwirtschaftliche Erfahrung 41<br />

1.4.2. Das Ruhen des Menschen 42<br />

1.4.3. Identifikation mit dem ‚Haus‘ 42<br />

1.4.4. Der Miteinbezug des Tieres in die Gesellschaft 43<br />

1.5. Fazit 43<br />

85


9. Schächten Dtn 12,23.25; Gen 9,4f; Lev 17,11.14 44<br />

2.1. Texte und Übersetzungen 44<br />

2.1.1. Dtn 12,21.23-25 44<br />

2.1.2. Lev 17,11.14 44<br />

2.1.3. Gen 9,4 45<br />

2.2. Fragen an die Texte 45<br />

2.2.1.^tiyWIci rv,a]K; Dtn 12,21, ‚wie ich dich geheissen habe’<br />

45<br />

2.2.2. vpn, ‚Schlund, Rachen, Kehle, Leben’ 45<br />

2.2.3. Blut als Sitz der Seele, Sitz des Lebens 45<br />

2.2.4. Blut und Seele in der Umwelt Israels 46<br />

2.3. Mensch-Tier-Beziehung 46<br />

2.3.1. Die Selbstverständlichkeit, dass Tiere eine Seele haben 46<br />

2.3.2. Fleischkonsum 47<br />

2.3.3. Rettung von Leben 47<br />

2.3.4. Respekt vor dem Tier 48<br />

2.4. Fazit 48<br />

10. Reine/unreine Tiere Dtn 14,2-21a 49<br />

3.1. Text und Übersetzung 49<br />

3.2. Fragen an den Text 50<br />

3.2.1. Schwierig zu übersetzende Tiernamen 50<br />

86


3.2.2. amej', ‚unrein’<br />

50<br />

3.2.3. hb'[eAT, ‚Greuel’ 51<br />

3.2.4. Zoologische Zuordnungen 51<br />

3.3. Grundsätzliches zum Text 52<br />

3.3.1. Abgrenzung Israels gegen andere Völker 52<br />

3.3.2. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel 53<br />

3.4. Mensch-Tier-Beziehung in Dtn 14 53<br />

3.4.1. Die Kluft zwischen Mensch und Tier 53<br />

3.4.2. Die Hierarchie von Tier, Mensch, Gott 53<br />

3.4.3. Der Umgang mit den unreinen Tieren 54<br />

3.5. Fazit 54<br />

6. Umgang mit Nutztier Dtn 25,4 55<br />

4.1. Text und Übersetzung 55<br />

4.2. Fragen an den Text 55<br />

4.3. Mensch-Tier-Beziehung 55<br />

4.3.1. Begründung 55<br />

4.3.2. Leidensfähigkeit der Tiere 56<br />

4.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier 56<br />

4.4. Fazit 56<br />

7. Fazit zu den Gesetzestexten 57<br />

5.1. Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten 57<br />

5.1.1. Landwirtschaftliche Effizienz als Begründungsbasis 58<br />

5.1.2. Moralische Überlegungen als Begründungsbasis 58<br />

5.1.3. Religiöses Bewusstsein als Begründungsbasis 59<br />

5.2. Tierethik in den Gesetzestexten? 59<br />

5.3. Schlussbemerkung 59<br />

87


F. Das Tier in weisheitlichen Texten 60<br />

11. 1. Spr 12,10 60<br />

1.1. Text und Übersetzung 60<br />

3.2. Fragen an den Text 60<br />

1.2.1. vpn, ‚Schlund, Rachen, Kehle, Leben’ 60<br />

1.2.2. [;deAy, ‚wissen, sich kümmern um jmd/etw’<br />

61<br />

1.3. Mensch-Tier-Beziehung 61<br />

1.3.1. Nutztier 61<br />

1.3.2. Die Abhängigkeit des Nutztieres vom Menschen 61<br />

1.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier 62<br />

1.3.4. Die Reichweite dieses Verses 62<br />

1.4. Fazit 63<br />

4. Pr 3,18-21 64<br />

2.1. Text und Übersetzung 64<br />

2.2. Fragen an den Text 64<br />

4.2.1. rqm, ‚Schicksal’ 64<br />

2.3. Mensch-Tier-Beziehung 65<br />

4.2.2. !yIa hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW, ‚Es gibt keinen Vorteil des<br />

Menschen<br />

vor dem Tier.’ 65<br />

4.2.3. lb,h' lKoh, ‚alle sind nichtig’<br />

65<br />

4.2.4. Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier 65<br />

4.2.5. Konsequenzen für die ‚tierethische‘ Praxis? 66<br />

2.4. Fazit 66<br />

5. Fazit zu den Weisheitstexten 67<br />

88


G. Diskussion 68<br />

12. 1. Einheitliche Tierethik im AT? 68<br />

1.1. Überprüfung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese 68<br />

1.2. Schöpfungstexte 69<br />

1.3. Gesetzestexte 69<br />

1.4. Weisheitstexte 70<br />

1.5. Gemeinsamkeiten und Unterschiede 70<br />

4.3.1. Hierarchie 71<br />

4.3.2. ‚Mitleidsethik’ 71<br />

4.3.3. ‚Das Entdecken des ganz Anderen‘ 72<br />

1.6. Begründungen 72<br />

1.6.1. ‚Mitgeschöpflichkeit‘ 72<br />

1.6.2. Einhalten menschenspezifischer Gebote 72<br />

1.6.3. Landwirtschaftlicher Nutzen 73<br />

5. Religionsgeschichtliche Betrachtung 73<br />

2.1. Von der Tierverehrung zur Tierethik 73<br />

2.2. Umwelt 74<br />

2.3. Abgrenzung 74<br />

6. Andere biblische Texte 75<br />

3.1. Andere atl. Texte 75<br />

3.2. Ausblick ins NT 75<br />

7. ‚Dort und damals‘ versus ‚hier und heute‘ 76<br />

4.1. Biblische Tierschutzethik 77<br />

4.2. <strong>Altes</strong> <strong>Testament</strong> und Christentum 78<br />

4.3. Zwischen biblizistischer Argumentation und historischem Interesse<br />

– Folgerungen für die heutige Tierethik 78<br />

13. 5. Persönliches Schlusswort 79<br />

89


Literatur:<br />

- ANDELSHAUSER BEATE, Schlachten im Einklang mit der Scharia, Pforzheim, 1996.<br />

- ANDRÉ GUNNEL, amj, <strong>Th</strong>WAT III, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1982.<br />

- BARTELMUS RÜDIGER, Die Tierwelt in der Bibel II: Tiersymbolik im Alten <strong>Testament</strong> –<br />

exemplarisch dargestellt am Beispiel von Dan 7, Ez 1/10 und Jes 11,6-8, in: JANOWSKI<br />

BERND (HG), Gefährten und Feinde des Menschen, Neukirchen-Vluyn, 1993.<br />

- BERNHARDT KARL-HEINZ, arb, <strong>Th</strong>WAT I, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1973.<br />

- CANSDALE G. S. und SCHÜTZ-SCHUFFERT M., Tiere, in: BURKHARDT HELMUT,<br />

GRÜNZWEIG FRITZ, LAUBACH FRITZ, MAIER GERHARD (HG), Das grosse Bibellexikon,<br />

Bd. 3, Wuppertal/Zürich, 1989.<br />

- DE PURY ALBERT, Gemeinschaft und Differenz – Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung<br />

im alten Israel, in: JANOWSKI BERND (HG), Gefährten und Feinde des Menschen, Neukirchen-Vluyn,<br />

1993.<br />

- DESCARTES RENE, Discours de la Méthode, GÄBE LÜDER (HG). Philosophische Bibliothek<br />

Bd 261, Hamburg, 1960.<br />

- DOHMEN CHRISTOPH, vbk, <strong>Th</strong>WAT IV, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1984.<br />

- GARCIA LOPEZ FELIX, rmv, <strong>Th</strong>WAT VIII, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1995.<br />

- GRÄSSER INGEBORG, Biblische Tierschutzethik aus neutestamentlicher Sicht, in:<br />

JANOWSKI BERND/RIEDE PETER(HG), Die Zukunft der Tiere - <strong>Th</strong>eologische, ethische<br />

und naturwissenschaftliche Perspektiven, Stuttgart, 1999.<br />

- GRÄSSER ERICH, Ehrfurcht vor dem Leben, in: RÖHRIG EBERHARD (HG), Der Gerechte<br />

erbarmt sich seines Viehs – Stimmen zur Mitgeschöpflichkeit, Neukirchen-Vluyn,<br />

1992.<br />

- GUTHE HERMANN, Kurzes Bibelwörterbuch, Tübingen/Leipzig, 1903.<br />

- HARTINGER WERNER, Das betäubungslose Schächten der Tiere im 20. Jahrhundert. Die<br />

grüne Reihe, 1996.<br />

- HÖVER-JOHAG INGEBORG, bAj, <strong>Th</strong>WAT III, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1982.<br />

- KEEL OTHMAR, Jahwes Entgegnung an Ijob. Forschungen zur Religion und Literatur<br />

des Alten und Neuen <strong>Testament</strong>s, H. 121, Göttingen, 1978.<br />

- KEEL OTHMAR/SCHRÖER SILVIA, Schöpfung, Göttingen, 2002.<br />

- KELLERMANN MECHTHILD, <strong>Dr</strong>eschen, in: GÖRG MANFRED/LANG BERNHARD (HG),<br />

Neues Bibel-Lexikon, Bd 1, Zürich, 1991.<br />

- KÖRTNER ULRICH H.-J., Tier, TRE 33, Berlin/New York, 2002.<br />

- KRAUTHAMMER PASCAL, Das Schächtverbot in der Schweiz, Zürich, 2000.<br />

90


- LANDMANN MICHAEL, Das Tier in der jüdischen Weisung, Heidelberg, 1959.<br />

- LIEDKE GERHARD, „Tier-Ethik“ – Biblische Perspektiven, in: JANOWSKI BERND (HG),<br />

Gefährten und Feinde des Menschen, Neukirchen-Vluyn, 1993.<br />

- MEYER HEINZ, Der Mensch und das Tier, München, 1975.<br />

- PANGRITZ WALTER, Das Tier in der Bibel, München/Basel, 1963.<br />

- PETERSEN WILLIAM WALDEMAR, Das Tier im Alten <strong>Testament</strong>, Frankfurt am Main,<br />

1928.<br />

- PLÖGER OTTO, Sprüche Salomos, Bibl. Kommentar AT, Bd 17, Neukirchen-Vluyn,<br />

1984.<br />

- POTZ RICHARD, SCHINKELE BRIGITTE, WIESHAIDER WOLFGANG (HG), Schächten - Religionsfreiheit<br />

und Tierschutz, Egling, 2001.<br />

- PREUSS HORST-DIETRICH, hb'[eAT, <strong>Th</strong>WAT VIII, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1995.<br />

- RINGGREN HERMER, ~yhil{a, <strong>Th</strong>WAT I, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1973.<br />

- RÖCKLINSBERG HELENA, Das seufzende Schwein, Erlangen, 2001.<br />

- SCHARBERT JOSEF, krb, <strong>Th</strong>WAT I, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1973.<br />

- SCHWEITZER ALBERT, Gesammelte Werke, Bd. 5, Zürich, 1974.<br />

- SEEBASS GOTTFRIED, vpn, <strong>Th</strong>WAT V, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1986.<br />

- SINGER PETER, Animal Liberation, New York, 2002 3 .<br />

- STARKLOFF BÄRBEL, Ein Brief an den Heiligen Franz, in: RÖHRIG EBERHARD (HG),<br />

Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs – Stimmen zur Mitgeschöpflichkeit, Neukirchen-Vluyn,<br />

1992.<br />

- STECK ODIL HANNES, Welt und Umwelt. Biblische Konfrontationen, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz,<br />

1978.<br />

- TEUTSCH GOTTHARD M., Frieden mit der Natur in <strong>Th</strong>eologie und Kirche, in: RÖHRIG<br />

EBERHARD (HG), Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs – Stimmen zur Mitgeschöpflichkeit,<br />

Neukirchen-Vluyn, 1992.<br />

- DERS., Die „Würde der Kreatur“, Bern/Stuttgart/Wien, 1995.<br />

- DERS., Mensch und Tier – Lexikon der Tierschutzethik, Göttingen, 1987.<br />

- UNNA ISAAK, Tierschutz im Judentum, Frankfurt a. M., 1928.<br />

- VAN LEEUWEN RAYMOND C., <strong>Th</strong>e Book of Proverbs, <strong>Th</strong>e New Interpreer’s Bible,<br />

Nashville, 1997.<br />

- VON BLANCKENBURG WERA, Heilige und dämonische Tiere, Leipzig, 1943.<br />

- WAGNER SIEGFRIED, rz[, <strong>Th</strong>WAT VI, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1989.<br />

- WOLF JEAN-CLAUDE, Tierethik, Fribourg, 1992.<br />

91


- ZENGER ERICH, Einleitung in das Alte <strong>Testament</strong>. Kolhammer Studienbücher <strong>Th</strong>eologie,<br />

Stuttgart, 1998 3 .<br />

- ZOBEL HANS-JÜRGEN, hdr, <strong>Th</strong>WAT VII, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1993.<br />

92

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!