Akzess-Arbeit Altes Testament bei Prof. Dr. Th. Krüger Theologische ...
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<strong>Akzess</strong>-<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />
<strong>Altes</strong> <strong>Testament</strong><br />
<strong>bei</strong><br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Th</strong>. <strong>Krüger</strong><br />
<strong>Th</strong>eologische Fakultät der Universität Zürich<br />
Die Mensch-Tier-Beziehung in ausgewählten Schöpfungs-, Gesetzes- und<br />
Weisheitstexten des Alten <strong>Testament</strong>s<br />
fertiggestellt am 11. Oktober 2003<br />
verfasst von:<br />
cand. theol. Evelyn Goetschel<br />
Regensbergstrasse 304<br />
8050 Zürich<br />
Tel. 043 333 44 78<br />
e-mail: edg@gmx.ch
A. Einleitung<br />
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ 1 Dieser vielzitierte<br />
Satz von ALBERT SCHWEITZER begleitet mich schon seit längerer Zeit. Seit meiner frühen<br />
Kindheit empöre ich mich, wenn böswillig oder – was ich fast noch schlimmer finde – aus<br />
Unüberlegtheit Tiere gequält werden. Tierversuche, Massentierhaltungen, Pelzmäntel,<br />
Schönheitswettbewerbe für Tiere, Zirkus oder andere Volksbelustigungen – an so vielen<br />
Orten scheint die Dummheit, der Egoismus und die Arroganz des Menschen über seinen<br />
Verstand und sein Verantwortungsbewusstsein gesiegt zu haben. SCHWEITZERS Formulierung<br />
bringt auf den Punkt, was mich immer wieder beschäftigt: Der Mensch ist nicht das<br />
einzige Wesen, das leben will. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass der Lebenserhaltungstrieb<br />
der Tiere nicht gleichzusetzen sei mit dem Lebenswillen des Menschen; dass<br />
wir also nicht einfach so behaupten können, dass Tiere leben wollen. In meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />
werde ich jedoch davon ausgehen, dass Tiere leben wollen und das Recht auf ein lebenswertes<br />
Leben haben. Nicht alle Menschen teilen jedoch diese Ansicht und glauben deshalb<br />
berechtigt zu sein, andere Lebewesen für ihre Zwecke missbrauchen, quälen und töten zu<br />
können.<br />
In meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> werde ich dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier nachgehen. Dies<br />
geschieht anhand einiger ausgewählter alttestamentlicher Texte. Ich werde untersuchen, ob<br />
sich die Haltung SCHWEITZERS in den alttestamentlichen Texten finden lässt. Und ich werde<br />
danach fragen, ob die alttestamentlichen Texte Impulse zur Reflexion unseres heutigen<br />
Verhältnisses zum Tier geben können.<br />
1. Voraussetzungen<br />
Der Titel dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> kann missverstanden werden. Zumindest kann er das in dem Masse,<br />
als er durchklingen lassen könnte, dass die Israeliten der biblischen Zeit die Stellung des<br />
Menschen ausdrücklich im Gegensatz zu der des Tieres durchdacht und in diesem Sinn<br />
eine eine klare Konzeption der Mensch-Tier-Beziehung, bzw. eine Tierethik gehabt hätten.<br />
Dies allerdings ist nicht meine <strong>Th</strong>ese. Ich gehe in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> davon aus, dass in den<br />
alttestamentlichen Texten vieles über die Mensch-Tier-Beziehung der damaligen Zeit implizit<br />
einfloss und nun zu interpretieren ist. Dass eine Tierethik, wie in jüngster Zeit von<br />
ihr gesprochen wird, zur Zeit der Entstehung dieser Texte bestanden haben soll, dürfte keine<br />
ernstlich vertretbare Position sein. 2<br />
1 ALBERT SCHWEITZER, S. 181.<br />
2 Vgl. DE PURY in JANOWSKI, S. 112.<br />
2
Dennoch möchte ich den Aussagen über die Mensch-Tier-Beziehung nachgehen, wie sie<br />
zur Zeit der Abfassung der untersuchten Texte bestanden hat. Ich werde nach den Hintergründen<br />
fragen und nach möglichen Impulsen für eine tierethische Diskussion in der Neuzeit.<br />
Diese möglichen Folgerungen sind selbstverständlich mit der nötigen Vorsicht zu geniessen,<br />
leben wir heute doch in einer gänzlich anderen Lebenswelt als die Autoren der biblischen<br />
Texte. Diese Lebenswelt und die damit verbundene Beziehung des Menschen zum<br />
Tier werde ich in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> soweit beleuchten, als es für meine Fragestellung relevant<br />
ist.<br />
Damit diese Untersuchungen den heutigen Verhältnissen gegenüber gestellt werden können,<br />
möchte ich nun kurz auf die heutige Situation eingehen: Für uns heute, besonders für<br />
diejenigen unter uns, die in einem städtischen Kontext leben, hat sich die Tierwelt dermassen<br />
unseren alltäglichen Beschäftigungen entzogen, dass wir ein ganzes Leben verbringen<br />
könnten, ohne direkt mit einem Tier konfrontiert zu werden oder gezwungen zu sein, über<br />
die Nachbarschaft von Mensch und Tier nachzudenken. In unserer heutigen – städtischen –<br />
Welt ist das Tier keine ernstzunehmende Konkurrenz. Wenn Tiere überhaupt gefährlich<br />
erscheinen, dann <strong>bei</strong>spielsweise in Form von Insekten- oder Virenplagen. 3<br />
Für viele unserer Zeitgenossen findet die Beziehung zur Tierwelt nur noch auf drei Ebenen<br />
statt, und alle drei Ebenen scheinen mir, im Vergleich zum alttestamentlichen Umgang mit<br />
dem Tier, eine geradezu entartete Beziehung zwischen Mensch und Tier zu bezeugen:<br />
Tiere werden in erster Linie als materielles Gut angesehen, das allein zur Verfügung des<br />
Menschen steht. Es kann hier von einer eigentlichen Verdinglichung gesprochen werden.<br />
Ich denke <strong>bei</strong>spielsweise an Milchkühe auf einem Grossbauernhof, an medizinische Versuchstiere<br />
oder an die Tatsache, dass bis in allerjüngste Zeit das Tier juristisch als Sache<br />
angesehen wurde.<br />
Die zweite Ebene der Mensch-Tier-Beziehung in der heutigen Zeit stellt die Verniedlichung<br />
dar. Tiere, im Besonderen gilt dies für Haustiere, werden zum Mensch-Ersatz gemacht.<br />
Wenn es <strong>bei</strong>spielsweise darum geht, dass in einer Fernsehserie ein Affe wie ein<br />
Mensch gekleidet wird und sich in dieser Aufmachung buchstäblich zum Affen machen<br />
muss, oder wenn Zuchthunde <strong>bei</strong> Schönheitswettbewerben auf unwürdige Art und Weise<br />
vorgeführt werden, hat das wenig mit einer gesunden Mensch-Tier-Beziehung zu tun.<br />
Die dritte und letzte Ebene ist die Manifestation des Exotischen oder, wie ich auch sagen<br />
könnte, die Begegnung mit dem Monströsen. Hier<strong>bei</strong> denke ich besonders an die ausge-<br />
3
stellten und gegebenenfalls dressierten exotischen Tiere in zoologischen Gärten, Zirkussen<br />
oder Vergnügungsparks. 4<br />
2. Motivation<br />
Beim Anblick von Bildern aus Forschungszentren, wo Tierleichen zu Tausenden aus den<br />
Laboratorien geschafft werden, <strong>bei</strong>m Anhören von Radioberichten über ausgesetzte<br />
Haustiere in der Sommerferienzeit, <strong>bei</strong>m Beobachten, wie manche Zeitgenossen mit ihrem<br />
Haustier umgehen, als wäre es ein Stofftier oder <strong>bei</strong>m Lesen von Zeitungsartikeln über die<br />
unsäglichen Missstände in Delfinarien drängen sich mir die folgenden Fragen auf: „Wie<br />
konnte der Mensch zu dem werden, was er heute ist? Wie konnte es dazu kommen, dass<br />
der Mensch den Eindruck zu haben scheint, er könne nach Lust und Laune mit der Tierwelt<br />
umgehen? Was ist im Alltag vieler zeitgenössischer Menschen aus dem vielgenannten<br />
Begriff der Mitgeschöpflichkeit geworden?“<br />
Dass die Kirchen zu diesen Problemen kaum Stellung beziehen, wurde in den vergangenen<br />
Jahren schmerzlich deutlich. Meiner Meinung nach lässt sich dies jedoch nicht mit einfachen<br />
Begründungen entschuldigen. Sicher: Die Missstände, welche im Zusammenleben<br />
unter Menschen deutlich sind, sind auch dringend anzugehen und zu beheben. Doch dass<br />
die Fragen bezüglich des Umgangs mit dem Tier nicht wahrgenommen werden, ist dennoch<br />
nicht zu rechtfertigen.<br />
3. Absicht<br />
Ich werde in der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> untersuchen, welche Mensch-Tier-Beziehung in den<br />
alttestamentlichen Texten zu finden ist und ob und wie diese für den heutigen Umgang des<br />
Menschen mit dem Tier nutzbar gemacht werden könnte.<br />
Dass sich diese biblischen Argumente – so sie sich denn überhaupt finden lassen sollten –<br />
nicht unadaptiert auf unsere heutige Lebenswelt übertragen lassen, ist einleuchtend. Doch<br />
vielleicht können wir einige grundsätzliche Ansatzpunkte in unsere Zeit übernehmen und<br />
anhand der biblischen Texte eine Reflexion unseres Umganges mit der Tierwelt vornehmen.<br />
Mit der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> möchte ich zeigen, dass wir – trotz aller die Lebenswelt<br />
betreffenden Unterschiede – in den biblischen Texten Aussagen zum Verhältnis zwischen<br />
Mensch und Tier finden können, welche für uns heute noch immer Relevanz haben.<br />
3 Vgl. DE PURY in JANOWSKI, S. 114.<br />
4 Vgl. DE PURY, S. 115.<br />
4
Ich werde da<strong>bei</strong> darstellen, dass die biblischen Texte nicht nur über das Verhältnis zwischen<br />
Gott und den Menschen sprechen, sondern auch über das Verhältnis vom Menschen<br />
zu seiner Umwelt, zu welcher auch die Tierwelt gerechnet werden muss.<br />
4. Vorgehen<br />
Ich werde in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> biblische Texte als solche untersuchen und nach den ihnen innewohnenden<br />
Implikationen zur Mensch-Tier-Beziehung fragen. Wünschenswert wäre,<br />
dass ich damit zu einer Reflexionsar<strong>bei</strong>t bezüglich des Umgangs mit Tieren anrege. Da<strong>bei</strong><br />
möchte ich aber keinesfalls fundamentalistisch biblizistisch argumentieren.<br />
Ich werde die biblischen Texte als historische von Menschen verfasste Texte lesen. Das<br />
heisst, ich frage nicht nach der Mensch-Tier-Beziehung, wie sie Gott für den Menschen<br />
gedacht hat, sondern ich frage nach der Mensch-Tier-Beziehung, wie sie die Menschen zur<br />
Entstehungszeit der jeweiligen Texte wahrgenommen haben. Das heisst aber nicht, dass<br />
ich nun davon ausgehe, dass die Texte ausschliesslich von historischem Interesse sind. Ich<br />
bin davon überzeugt, dass die biblischen Texte, welche unsere heutige Kultur und Gesellschaft<br />
stark prägen, auch heute noch als verbindliche Texte gelesen werden können. Anhand<br />
dieser Texte kann das eigene Verhalten – in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> das Verhalten des Menschen<br />
dem Tier gegenüber – hinterfragt und aus religiöser Sicht reflektiert werden.<br />
Da die Textauswahl zum <strong>Th</strong>ema Mensch-Tier-Beziehung im AT sehr gross ist, beschränke<br />
ich mich auf die drei Bereiche Schöpfungsberichte, Gesetzestexte und Weisheitstexte.<br />
Auch innerhalb dieser drei Bereiche konzentriere ich mich jeweils auf einige wenige Texte,<br />
da<strong>bei</strong> spare ich die Tiergeschichten 5 , die Opferthematik 6 und die eschatologischen Utopien<br />
7 bewusst aus und beschränke mich auf die Texte, welche den Alltag der damaligen<br />
Menschen, bzw. ihre grundsätzliche Haltung dem Tier gegenüber zeigt. Ich bin mir bewusst,<br />
dass sich die drei ausgewählten Textsorten nicht miteinander vergleichen lassen, da<br />
sie doch sehr unterschiedliche Entstehungszeiten und Funktionen haben. Ich werde aus<br />
diesem Grund in der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> keine direkten Textvergleiche anstellen, sondern<br />
vielmehr die verschiedenen Texte nebeneinander stellen und sie auf meine Fragestellung<br />
hin untersuchen. Ziel dieser Gegenüberstellung ist also das Darstellen der Bandbreite von<br />
Texten.<br />
Die vorliegende <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist in fünf Blöcke unterteilt: Block A umfasst die Einleitung, Block<br />
B behandelt die Schöpfungstexte, Block C hat die Gesetzestexte zum Inhalt, in Block D<br />
5<br />
Z.B. Bileam Num 22 oder die Speisung Elias durch Raben 1Kön 17.<br />
6<br />
Z.B. Lev 1-7.<br />
5
untersuche ich die Weisheitstexte, und in einem letzten Block E suche ich nach einer gemeinsamen<br />
Aussage im Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung und nach dem Fazit für<br />
eine tierethische Diskussion in der Moderne.<br />
Die einzelnen Blöcke <strong>bei</strong>nhalten eine Auswahl mehrerer kürzerer Textstellen, welche ich<br />
auf die Mensch-Tier-Beziehung hin befragen möchte. Ein Fazit schliesst den Block jeweils<br />
ab. Die einzelnen Text-Untersuchungen gestalten sich wie folgt: Ich stelle den Text in der<br />
hebräischen Form und seine Übersetzung an den Anfang, stelle dann einige Fragen zum<br />
Wortgebrauch an den Text, d.h. ich möchte einige schwierig zu übersetzende Worte oder<br />
Begriffe genauer betrachten, um die ursprüngliche Bedeutung möglichst genau zu erfassen<br />
und die Aussage des Textes – auch bezüglich meiner Fragestellung – besser zu begreifen.<br />
Ich suche im Weiteren nach einer expliziten oder impliziten Mensch-Tier-Beziehung und<br />
schliesse den Abschnitt mit einem kleinen Fazit, beziehungsweise mit einer möglichen<br />
Anregung für die tierethische Diskussion ab.<br />
Ausgehend von diesen Schlussbemerkungen werde ich im letzten Block nach einer gemeinsamen<br />
impliziten alttestamentlichen Tierethik fragen und werde versuchen, einen<br />
möglichen Gedankenanstoss für die heutige tierethische Diskussion herauszuar<strong>bei</strong>ten.<br />
5. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese<br />
Wie bereits erwähnt, scheint mir der Umgang vieler heutiger Menschen mit dem Tier äusserst<br />
problematisch. 8 Dass eine ausbeuterische und gedankenlose Haltung des Menschen<br />
dem Tier gegenüber zwangsläufig als gegeben betrachtet werden muss, ist meines Erachtens<br />
nicht notwendig. Ich gehe davon aus, dass der Umgang mit dem Tier nicht immer<br />
schon so schwierig war bzw. dass sich die Gedankenlosigkeit und die Arroganz des Menschen<br />
seiner Umwelt – und somit auch dem Tier gegenüber – im Lauf der Geschichte verstärkte.<br />
Die <strong>Th</strong>ese, welche ich also als Hintergrund zu meiner Fragestellung betrachten<br />
werde, lautet: In den alttestamentlichen Texten wird – auf unterschiedlicher Begründungsbasis<br />
– ein verantwortungsbewusster Umgang des Menschen mit dem Tier gefordert. Im<br />
weiteren gehe ich in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> davon aus, dass die Texte eine grundsätzliche Freundlichkeit<br />
dem Tier gegenüber aufweisen und dass hinter den Texten tierschützerische Gedanken<br />
stehen, auch wenn man nicht von einem durchdachten und ausgefeilten Tierschutzkonzept<br />
ausgehen kann.<br />
7 Z.B. Jes 11,6-8.<br />
8 S.o. A. Einleitung, S. 2.<br />
6
Ob sich diese <strong>Th</strong>ese verifizieren lässt, wird sich zeigen. Ich gehe im Fazit darauf ein. 9<br />
6. Literatur<br />
Bei der Suche nach Literatur fiel auf, dass die Anzahl der Autoren, die sich mit dem <strong>Th</strong>ema<br />
beschäftigt haben, beschränkt ist. Es gibt zwar einige ältere und neuere Studien zur<br />
Mensch-Tier-Problematik in der Bibel, doch sind die Literaturlisten in diesen Studien nicht<br />
ausufernd lange. In Absprache mit Herrn <strong>Prof</strong>essor <strong>Krüger</strong> habe ich mich auf ein Minimum<br />
an Sekundärliteratur beschränkt und mich vorwiegend auf die direkte Auseinandersetzung<br />
mit dem Bibeltext konzentriert.<br />
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass ich <strong>bei</strong> der verwendeten Sekundärliteratur hauptsächlich<br />
christliche Kommentare und Studien ausgewählt habe. In der jüdischen Tradition,<br />
ich denke vor allem an die Talmudschulen, wäre zur <strong>Th</strong>ematik meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> bestimmt viel<br />
Literatur zu finden gewesen. Diese Form von Textauslegung, wie sie namentlich <strong>bei</strong>spielsweise<br />
Rabbi Hillel (70 v. Chr. – 10 n. Chr.), Rabbi Moses ben Maimon (1135 –<br />
1204) oder Rabbi Joseph ben Ephraim Caro (1488 – 1575) pflegten, ist mir jedoch mit<br />
meinem theologischen Handwerk nicht zugänglich. So beschränke ich mich in der vorliegenden<br />
<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> auf die klassische christliche Form von alttestamentlicher Textinterpretation.<br />
Dass ich diese Schätze von jüdischer Textauslegung nicht für meine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> fruchtbar<br />
machen kann, erachte ich als schmerzliche Lücke.<br />
B. Die Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungs-Texten<br />
Im Alten <strong>Testament</strong> finden sich viele unterschiedliche Schöpfungskonzepte. Alle diese auf<br />
eine Tierethik hin zu untersuchen, würde den Rahmen dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sprengen. So beschränke<br />
ich mich im folgenden Kapitel auf die vier Schöpfungstexte Gen 1, Gen 2, Ps 8<br />
und Hi 38f und versuche damit, die Vielfalt der alttestamentlichen Schöpfungskonzeptionen<br />
zu repräsentieren.<br />
Ich werde im Folgenden so vorgehen, dass ich mich zuerst je einzeln mit den jeweiligen<br />
Texten befasse, indem ich zunächst auf den Text und seine Übersetzung eingehe, dann<br />
einzelne Aspekte des Textes herausgreife und schliesslich die Mensch-Tier-Beziehung<br />
diskutiere. In einem zweiten Schritt vergleiche ich die Texte miteinander und suche so<br />
nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Blick auf die Tierethik. Mit einer Schlussbetrachtung<br />
beende ich das Kapitel.<br />
9 S.u. E.1.1. Überprüfung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese, S. 70.<br />
7
1. Gen 1,20 – 1,31<br />
1.1. Text und Übersetzung<br />
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9
1,20 Und Gott sprach: „Die Wasser sollen wimmeln vom Gewimmel lebender Wesen,<br />
und Vögel 10 sollen 11 über der Erde vor der Himmelsfeste fliegen!“<br />
1,21 Und Gott schuf die grossen Seetiere und alle sich regenden Lebewesen, von denen<br />
das Wasser wimmelt, nach ihren Arten und alle geflügelten Vögel nach ihren Arten;<br />
und Gott sah, dass es gut war.<br />
1,22 Und Gott segnete sie folgendermassen: „Seid fruchtbar, werdet zahlreich und<br />
füllt die Wasser des Meeres, und die Vögel sollen zahlreich werden auf der Erde!“<br />
1,23 Und es wurde Abend, und es wurde Morgen, ein fünfter Tag.<br />
1,24 Und Gott sprach: „Die Erde bringe Lebewesen – jedes nach seiner Art – hervor:<br />
Vieh und Kriechgetier und Wildgetier der Erde – jedes nach seiner Art!“ Und so geschah<br />
es.<br />
1,25 Gott machte das Wildgetier der Erde nach seinen Arten und die Tiere nach ihren<br />
Arten und alles Kriechgetier des Erdbodens nach seinen Arten; und Gott sah, dass es<br />
gut war.<br />
1,26 Und Gott sprach: „Lasst uns Menschen 12 machen nach unserem Bild, entsprechend<br />
unserem Abbild, und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über<br />
die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles<br />
Kriechgetier, das auf der Erde kriecht!“<br />
1,27 Und Gott schuf den Menschen 13 als sein Bild; als Bild Gottes schuf er ihn, männlich<br />
und weiblich schuf er sie 14 .<br />
1,28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich<br />
und füllt die Erde und unterwerft sie und herrscht über die Fische des Meeres<br />
und über die Vögel des Himmels und über jedes Tier, das sich auf der Erde regt!“<br />
1,29 Und Gott sprach: „Siehe, ich gebe euch alles Samen spendende Kraut, das auf der<br />
Oberfläche der ganzen Erde ist, und alle Bäume, an denen Samen spendende Baumfrüchte<br />
sind – es soll euch Nahrung sein.<br />
1,30 Und allem Wildtier der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was auf<br />
der Erde kriecht und lebendig ist, gebe ich alles Blattwerk des Krautes zur Nahrung!“<br />
Und so geschah es.<br />
1,31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, an, und siehe, es war sehr gut. Und es<br />
wurde Abend, und es wurde Morgen, ein sechster Tag.<br />
10 Kollektivbegriff.<br />
11 Eigentlich Singular.<br />
12 Kollektivbegriff.<br />
13 Kollektivbegriff.<br />
14 Der Text geht hier in den Plural über. ‚Sie‘ bezieht sich auf die Menschen.<br />
10
1.2. Fragen an den Text<br />
In diesem Schöpfungsbericht gibt es einige Begriffe, welche zu übersetzen nicht ganz unproblematisch<br />
sind. Im Folgenden werde ich die Worte arb, ‚schaffen’, krb, ‚segnen’, bAj,<br />
‚gut’, hdr, ‚herrschen’, und vbk, ,herrschen’ genauer betrachten, damit der Text in seinem<br />
möglichst ursprünglichen Sinn auf meine Fragestellung hin untersucht werden kann.<br />
1.2.1. arb, ‚schaffen’<br />
In meiner Übersetzung habe ich arb der Tradition gemäss mit ‚schaffen‘ übersetzt. In diesem<br />
deutschen Verb wird jedoch nicht deutlich, ob es sich um ein Schaffen aus dem<br />
Nichts, eine creatio ex nihilo 15 , oder um das Formen aus einem Urstoff handelt. Da diese<br />
Frage in meiner Übersetzung offenbleibt, ist es also fraglich, ob das deutsche ‚Schaffen‘<br />
dem Verb tatsächlich gerecht wird.<br />
Für die Fragestellung der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> spielt es jedoch keine Rolle, ob es sich hier<br />
um eine creatio ex nihilo oder um das Schaffen aus einem präexistenten Urstoff handelt.<br />
Beide, Mensch und Tier werden durch arb ‚geschaffen’. Dass die Erschaffung <strong>bei</strong>der mit<br />
demselben Verb beschrieben wird, ist für die Frage nach der Mensch-Tier-Beziehung aussagekräftig.<br />
Der Sachverhalt, dass Mensch und Tier arb wurden, hatte eine breite Wirkungsgeschichte.<br />
So beruht <strong>bei</strong>spielsweise der Begriff und das Konzept der Mitgeschöpflichkeit darauf, dass<br />
Mensch, Tier und Pflanzen auf gleiche Weise erschaffen wurden. 16<br />
1.2.2. krb, ‚segnen’ 17<br />
Im AT ist selten die Rede davon, dass Jahwe Menschen, Tiere oder Gegenstände segnet.<br />
Umso genauer ist nun nach der Bedeutung krb in Gen 1,22.28 zu fragen.<br />
Im atl. Gebrauch wird Segen als unmittelbare Zusage der Fruchtbarkeit verstanden. Für die<br />
Völker im alten Orient war es ganz selbstverständlich, dass Segen sinnlich erfahrbar ist<br />
und überall, wo Leben gedeiht, vorhanden ist. Segen darf also in diesem Zusammenhang<br />
nicht – wie im heutigen Abendland üblich – mit dem gesprochenen Wort in Verbindung<br />
gebracht werden, sondern muss im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit und gedeihendem<br />
Leben gesehen werden. Der Segen und seine erhofften Auswirkungen wurden nicht als<br />
etwas Spirituelles verstanden, sondern die Auswirkungen erfolgten in ganz konkreten Ga-<br />
15<br />
Diese philosophische Begriff scheint allerdings auf die hebräische Bibel nicht anwendbar, entstand er doch<br />
in der alten Kirche und ist erst ab dem 2. Jh. n. Chr. nachweisbar. Vgl. KEEL/SCHRÖER, S. 174.<br />
16<br />
S.u. A. 1.4.1. Mitgeschöpflichkeit, S. 16.<br />
17<br />
Vgl. SCHARBERT in <strong>Th</strong>WAT, Bd I, Sp 826.<br />
11
en, nämlich der Fruchtbarkeit. 18 Vor diesem Hintergrund ist auch die Beobachtung erklärbar,<br />
dass die Landtiere nicht gesegnet werden: Während die Tiere des Wassers und die<br />
Tiere der Luft ihren Lebensraum (weiterhin) bevölkern sollen, fühlen sich die Menschen<br />
von der Vermehrung der Landtiere bedrängt. Im 6. Jh. v. Chr., zur ungefähren Entstehungszeit<br />
dieses Textes, wurden die Landtiere als direkte Konkurrenten des Menschen <strong>bei</strong><br />
der Besiedlung des Landes gesehen. Die wilden Tiere des Landes, so z.B. Löwen, Wildesel<br />
und Geier, stellten eine echte Bedrohung für den Menschen dar: 19 Das mühsam urbar gemachte<br />
Kulturland konnte jederzeit wieder zur unbewohnbaren Wildnis werden. Herrschaft<br />
20 und Kontrolle, welche Lebensräume für den Menschen schuf, galten in dieser Situation<br />
als hoher Wert. 21 Diese Lebenssituation darf nicht ausser Acht gelassen werden,<br />
wenn die Feststellung, dass die Landtiere nicht gesegnet werden und keinen Fruchtbarkeitsauftrag<br />
erhalten, diskutiert wird. Hier im ethischen Sinn davon zu sprechen, dass die<br />
Landtiere missachtet würden, wäre m.E. verfehlt.<br />
1.2.3. bAj, ‚gut’<br />
Die Diskussion um die ethische Kernfrage „Was ist gut?“ werde ich an dieser Stelle nicht<br />
führen. Dennoch werde ich in diesem Abschnitt darauf eingehen, was die Aussage des Satzes<br />
ist, der in deutscher Übersetzung heisst „und Gott sah, dass es gut war“. Im Weiteren<br />
möchte ich hier kurz auf die Bedeutung des Sachverhaltes eingehen, dass die Erschaffung<br />
des Menschen, im Gegensatz zu den Wasser-, Luft- und Landtieren, nicht mit bAj, ,gut’,<br />
quittiert wird.<br />
bAj hat im Hebräischen den Schwerpunkt auf dem funktionalen Aspekt. Im Mittelpunkt<br />
steht die Eignung und der Nutzen einer Sache oder einer Person. Da<strong>bei</strong> geht es vor allem<br />
darum, dass die rechte Ordnung eingehalten wird, d.h. die Funktionalität der Sache oder<br />
der Person wird daran gemessen, wie sehr sie der zu bewältigenden Aufgabe entspricht.<br />
Bezüglich der Schöpfungswerke heisst das also, dass sie gut sind zu dem Zweck, für den<br />
sie angefertigt wurden. Im Bereich der Landwirtschaft ist im Zusammenhang mit bAj der<br />
Aspekt der Fruchtbarkeit nicht ausser Acht zu lassen. Sicher spielt die Fruchtbarkeit in<br />
diesem Zusammenhang auch eine nicht zu verachtende Rolle. 22 Hinter der Quittierung<br />
„Gott sah, dass es gut war“ steckt keine objektive Beurteilung, sondern vielmehr die Feststellung,<br />
dass das Erschaffene fruchtbar ist und seinem Zweck entspricht.<br />
18 Vgl. KEEL/SCHROER, S. 94.<br />
19 S.u. A.4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere, S. 32.<br />
20 S.u. A. 1.4.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen, S. 18.<br />
21 Vgl. KEEL/SCHROER, S. 182.<br />
12
Entgegen der landläufigen Meinung wird die Erschaffung des Menschen nicht mit daom<br />
bAj, ,sehr gut‘, quittiert. daom bAj (Gen 1,31) bezieht sich nämlich nicht auf die Erschaffung<br />
des Menschen, sondern auf die gesamte Schöpfung. Wie ist es zu beurteilen, dass alle<br />
Lebewesen mit Ausnahme des Menschen für bAj befunden werden? Nach DE PURY 23 heisst<br />
das dreierlei: erstens bedeutet es, dass der Mensch frei ist, gut zu sein oder nicht. Seine<br />
Existenz ist ausserhalb der Kategorien ‚gut’ und ‚schlecht’ und stellt somit eine existentielle<br />
Freiheit dar. Damit sind (zweitens) die Existenzbedingungen von Mensch und Tier<br />
grundsätzlich unterschieden: Während das Tier in der Kategorie „gut“ lebt, kann der<br />
Mensch sich für oder gegen das „Gut-Sein“ entscheiden. Diese Freiheit entsteht (drittens)<br />
für den Menschen durch den Akt des Angesprochenseins.<br />
Wieweit lässt sich diese <strong>Th</strong>ese DE PURYS für die Fragestellung meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nutzbar machen?<br />
Diese <strong>Th</strong>ese ist deshalb interessant, weil sie stark auf die ethische Diskussion eingeht.<br />
Dass der Mensch innerhalb der ganzen Schöpfung mehr Verantwortung zugesprochen<br />
bekommt als andere Lebewesen, ist nicht wegzudiskutieren. Dass dies jedoch in einem<br />
ethischen Sinn in dieser Ausgeprägtheit im vorliegenden Text stehen soll, wie DE<br />
PURY zeigt, möchte ich hinterfragen. Die Problematik seiner <strong>Th</strong>ese ist meines Erachtens<br />
die, dass – trotz diskussionswürdigem Ansatz – ausser Acht gelassen wird, dass bAj im<br />
Zusammenhang dieses Textes möglicherweise etwas anderes meint als das, was wir heute<br />
unter ‚gut‘ verstehen. bAj dürfte kaum ethisch zu verstehen sein, sondern viel eher im oben<br />
erwähnten Sinn der Zweckmässigkeit und Fruchtbarkeit. Falls bAj tatsächlich ausschliesslich<br />
in diesem Sinn verstanden werden will, stellt sich natürlich die Frage, ob denn der<br />
Mensch nicht ausreichend seinem Zweck entspricht, dass seine Erschaffung nicht mit bAj<br />
quittiert wird. In ihrer Konsequenz muss diese Frage anhand von drei Aspekten beleuchtet<br />
werden:<br />
Erstens ist es denkbar, dass mit bAj eine Zweckdienlichkeit gemeint ist, welche zeigt, dass<br />
die Instinkte gut funktionieren. Da der Mensch jedoch nicht ausschliesslich über die Instinkte<br />
sondern auch mit seinem Verstand agieren kann, entspricht er nicht dem, was bAj<br />
meint.<br />
Der zweite Aspekt, der beachtet werden muss, ist der, dass möglicherweise nicht der<br />
Mensch zweckdienlich für seine Umwelt, sondern umgekehrt, die Umwelt zweckdienlich<br />
für den Menschen geschaffen wurde. Dieser Schöpfungsbericht scheint auf den Menschen<br />
als Zielpunkt hin konzipiert worden zu sein. Also ist der Mensch als Massstab für die<br />
22 Vgl. ANDRÉ, in <strong>Th</strong>WAT, Bd III, Sp. 324.<br />
23 Vgl. DE PURY in JANOWSKI, S. 141.<br />
13
Zweckdienlichkeit von Flora und Fauna zu sehen und insofern nicht mit dem gleichen, die<br />
Funktionalität anzeigenden bAj zu bestimmen.<br />
Als dritter Aspekt muss hier der Begriff des ~yhil{a/ ~l,c,B – Abbildes Gottes – erwähnt<br />
werden. Während <strong>bei</strong> den Pflanzen und Tieren die Zweckdienlichkeit in Relation auf den<br />
Menschen mit bAj angezeigt wird, wird der Mensch in Relation zu Gott gesetzt. Somit<br />
entfällt die Diskussion nach der Funktionalität in Bezug auf die Umwelt, weil hier mit anderen<br />
Massstäben argumentiert wird.<br />
1.2.4. hdr 24 , ‚herrschen’<br />
Dieses Verb bezeichnet das königliche Herrschen über fremde oder feindliche Völker. Diese<br />
Herrschaft kann verbunden sein mit Gewaltausübung gegen diejenige Gruppe von Menschen,<br />
welche als Bedrohung angesehen wird. hdr heisst also konkret soviel, wie die Verantwortung<br />
dafür übernehmen, dass niemand das eigene Volk bedroht. In diesem Sinn<br />
kann auch der Herrschaftsauftrag von Gen 1,26.28 verstanden werden: Hier wird innerhalb<br />
des Schöpfungs-berichtes das Verhältnis des Menschen zur Tierwelt bzw. zur Erde und zu<br />
den Tieren bestimmt. Ich stelle hier nun die zu überprüfende <strong>Th</strong>ese auf, dass das Herrschen<br />
als etwas genuin Menschliches verstanden wird.<br />
Um diese <strong>Th</strong>ese zu überprüfen, betrachte ich zunächst den Kontext des Herrschaftsauftrages:<br />
Gott erteilt dem Menschen den Auftrag zu herrschen als Inhalt des Segens. Es scheint<br />
also, als ob die Erteilung der Fruchtbarkeit eng mit dem Herrschaftsauftrag verknüpft sei:<br />
Beide werden von Gott erteilt.<br />
Als nächsten Schritt beziehe ich nun obenerwähnte Grundbedeutung des Verbes hdr mit<br />
ein: Wenn hdr verstanden werden muss als ‚gewaltsam das eigene Volk gegen vernichtende<br />
Aussenmächte zu verteidigen‘, dann zeigt das doch eigentlich die damalige Lebenssituation<br />
sehr deutlich auf: Das Land, das zum Leben benötigt wurde, musste – gegebenenfalls<br />
mit Gewalt – gegen die wilden Tiere verteidigt werden. 25 Daraus eine negative<br />
Grundhaltung allen Tieren gegenüber zu sehen, wäre hier m.E. verfehlt, zumal klar von<br />
einem königlichen Herrschen die Rede ist. Ein König hat Verantwortung zu tragen – auch<br />
den Feinden gegenüber. Es scheint nun also tatsächlich vielmehr so zu sein, dass der<br />
Mensch, wollte er lebensfähig sein und bleiben, sich gegen die Wildtiere behaupten musste.<br />
Die Fähigkeit dazu bekam er von Gott kurz nach seiner Erschaffung als Segensinhalt.<br />
24<br />
Vgl. ZOBEL, in <strong>Th</strong>WAT, Bd VII, Sp. 352.<br />
25<br />
Namentlich wohl vorwiegend Löwen und Wildesel. S.u. A.4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere, S. 32.<br />
14
D.h. er bekam den Auftrag, für seinen Lebensraum zu kämpfen zusammen mit dem Zuspruch<br />
der Fruchtbarkeit und der Vermehrung.<br />
Meine <strong>Th</strong>ese, dass das Herrschen als etwas genuin Menschliches verstanden wird, scheint<br />
sich also dann zu bestätigen, wenn man davon ausgeht, dass das Herrschen direkt mit dem<br />
Überleben gekoppelt werden muss.<br />
Ebenfalls von Interesse ist, dass das Herrschen über die Erde gleichwertig neben das Herrschen<br />
über die Tierwelt tritt. Möglicherweise wurde also nicht nur die Tierwelt mit ihren<br />
gefährlichen Wildtieren, sondern auch die Pflanzenwelt mit ihren unberechenbaren Gewächsen<br />
oder die Erde mit scheinbar unbebaubarem Land oder unzugänglichem Gelände<br />
als Bedrohung verstanden. Über alles muss geherrscht werden – alle diese Bedrohungen<br />
müssen die Menschen in den Griff bekommen, wollen sie so überleben, wie es ihnen zugedacht<br />
ist.<br />
An dieser Stelle sei jedoch noch einmal betont, dass es sich <strong>bei</strong> hdr nicht um ein gewaltsames<br />
Unterwerfen der Erde und der Tierwelt handelt, sondern ein Dienst- und Bewohnbarmachen<br />
derselben. Dem Menschen wird als einzigem Lebewesen von Gott eine königliche<br />
Stellung innerhalb der Schöpfung zugewiesen. Die Herrschaft des Menschen ist eine<br />
ihm von Jahwe verliehene Machtstellung und hat dessen Ordnungsgefüge zu dienen.<br />
1.2.5. vbk 26 , ,herrschen’<br />
Grundsätzlich meint dieses Verb ‚den Fuss auf etwas/jemanden setzen‘ oder ‚herrschen‘.<br />
Es setzt also immer einen Stärkeren als Subjekt und einen Schwächeren als Objekt voraus.<br />
Gewaltanwendung im Zusammenhang mit der Herrschaftsausübung kann <strong>bei</strong> diesem Verb<br />
nicht ausgeschlossen werden. Allerdings ist mit „Herrschen über den Lebensraum“ nicht<br />
rücksichtsloses, brutales Zerstören der Erde oder um ein uneingeschränktes Tötungsrecht<br />
gemeint. 27 Vielmehr ist da<strong>bei</strong> an das Verwalten von Lebenswelt gedacht, welches mit dem<br />
normalen Walten des Hirten über seine Herde verglichen werden kann. Zur Hirtenar<strong>bei</strong>t<br />
gehört die Sorge für die Nahrung der Tiere und für die Sicherung ihres Lebensraumes. 28<br />
Da Gott selber diese Aufgabe nicht wahrnehmen kann oder will 29 , ist er auf eine Art Statthalter<br />
auf Erden angewiesen, der hier in seinem Sinn die göttliche Ordnung, und damit<br />
auch die Lebensbedingungen für seine Schöpfung, aufrecht erhält. Dies zeigt sich <strong>bei</strong>-<br />
26 Vgl.DOHMEN in <strong>Th</strong>WAT, Bd IV, Sp. 56ff.<br />
27 Vgl. KEEL/SCHRÖER, S. 182.<br />
28 Vgl. LIEDKE in JANOWSKI, S. 207.<br />
29 S.u. A.1.3.2. göttliche Ordnung, S. 17.<br />
15
spielsweise in Gen 1,26: Der Mensch wird gleich <strong>bei</strong> seiner Erschaffung zur Herrschaft<br />
über die Tiere bestimmt.<br />
Es kann also gesagt werden, dass auch <strong>bei</strong> diesem Verb nicht das Anwenden von Gewalt<br />
oder das böswillige Beherrschen im Zentrum steht, sondern das ‚Lebensfähig-Machen‘,<br />
das ‚Am-Leben-Erhalten‘.<br />
1.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht<br />
Der Gesichtspunkt „Leben“ ist für diesen Text sehr zentral. In der Tatsache, dass alle Lebewesen<br />
und ihre Umwelt von Gott zum Leben geschaffen wurden und in alle Folgezeit<br />
reichen Fortbestand bringen werden, zeigt sich ein Aspekt dieses ‚Lebens’. Weiter zeigt<br />
sich dieses ‚Leben’ aber auch darin, dass Gott die Welt in verschiedene Lebensräume zerlegt<br />
und jeweils die Lebewesen, welche ihrerseits differenziert gruppiert sind, den passenden<br />
Lebensräumen zuordnet. Doch sieht P 30 in diesem Bereich der natürlichen Welt und<br />
Umwelt von vornherein ein Problem: Das Verhältnis von Tieren und Menschen. Bei der<br />
Bestimmung der Menschen in den Versen 26ff wird dieses problematische Verhältnis deutlich<br />
aufgerollt. 31<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es in diesem Text grundsätzlich um die Präsentation<br />
von Grundordnungen geht, welche das Handeln Gottes in der für den Menschen<br />
erfahrbaren Welt zeigt. Die funktionierende Beziehung zwischen Menschen und Tieren<br />
wird in diesem Schöpfungsbericht nicht als naturgegebene Selbstverständlichkeit gezeichnet.<br />
Mensch und Tier werden auch nicht zur Selbstregulation des Verhältnisses sich selbst<br />
überlassen. Die Gestaltung dieses Verhältnisses sieht P von Gott im Schöpfungsgeschehen<br />
gesetzt. Die lebensdienliche Ordnung dieser Beziehung spielt für den Menschen eine wesentliche<br />
Rolle. 32<br />
1.3.1. Mitgeschöpflichkeit<br />
Im Zusammenhang dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist die Beobachtung wichtig, dass sowohl vom Menschen<br />
wie vom Tier ausgesagt wird, dass sie „geschaffen“ wurden. 33 Dies zeigt, dass Menschen<br />
wie Tiere unter den gleichen Voraussetzungen – bzw. eben voraussetzungslos – von Gott<br />
gewollt und so auch geschaffen wurden. Der Sachverhalt, dass Mensch und Tier arb –<br />
‚geschaffen‘ – wurden, hatte eine breite Wirkungsgeschichte. So möchte ich im Folgenden<br />
30<br />
P steht für Priesterschrift, die Autorschaft dieses Berichtes.<br />
31<br />
S. u. A.1.3.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen, S. 18.<br />
32<br />
Vgl. STECK, S. 78.<br />
33<br />
S.o. B.1.2.1. arb, S. 9.<br />
16
kurz auf den ethischen Gedanken der Mitgeschöpflichkeit eingehen, der auf diesem Text<br />
fusst.<br />
Der Zürcher <strong>Th</strong>eologe FRITZ BLANKE prägte im Jahr 1959 den Begriff der Mitgeschöpflichkeit<br />
34 und damit den tierschutzethischen Ansatz, der vom Gedanken der gemeinsamen<br />
Geschöpflichkeit der Natur ausgeht. Das Konzept der ‚Mitgeschöpflichkeit’ macht<br />
deutlich, dass es ethisch unvertretbar ist, die Menschlichkeit auf blosse Mitmenschlichkeit<br />
zu reduzieren. Damit wird also die Nächstenliebe in den grösseren Zusammenhang aller<br />
Geschöpfe gestellt. 35<br />
1.3.2. Göttliche Ordnung<br />
Im Kern des Textes geht es – neben einer Schilderung der Schöpfung – um die Bewahrung<br />
der göttlichen Ordnung. Das Zusammenleben des Menschen mit den anderen Lebewesen<br />
zeigt sich für P deshalb als so brisantes Problem, weil der Schöpfer selbst nach Abschluss<br />
des Schöpfungswirkens nicht mehr ständig gestaltend eingreift. Der Schöpfer braucht also<br />
einen Statthalter auf Erden, der in seinem Sinne, d.h. im Sinne der von Gott erstellten<br />
Schöpfungswelt, wirkt. ‚Wirken‘ steht <strong>bei</strong> P für das stetige Stiften und Vollziehen der<br />
Ordnung im Zusammenleben der Lebewesen. ‚Ordnung‘ ist für P „nie ein fremdbestimmendes,<br />
lebensminderndes oder gar knechtendes Reglement, sondern der Rahmen, in dem<br />
Eigenleben zu seinem wie zum Wohle und Bestand der Gesamtheit entfaltet, aber auch<br />
begrenzt wird.“ 36 Sprechen wir demnach vom Zusammenleben des Menschen mit seiner<br />
Umwelt <strong>bei</strong> P, dann sprechen wir immer auch von der göttlichen Schöpfungsordnung, welche<br />
zu erhalten er dem Menschen aufgetragen hat.<br />
Der Mensch steht also als Garant der lebenskontinuierlichen Ordnung des Ganzen. Der<br />
Sachverhalt, dass der Mensch als Zielpunkt der Schöpfung angesehen wird, macht deutlich,<br />
dass die göttliche Ordnung, die Pflanzen und Tiere nicht ausschliesslich um ihrer<br />
selbst Willen geschaffen wurden. 37 Im vorliegenden priesterschriftlichen Schöpfungsbericht<br />
kommt dies zwar nicht sehr deutlich zum Ausdruck, ist hier doch von einer scheinbar<br />
zweckfreien Erschaffung der Welt und von der Artenvielfalt zu lesen. Doch im Kontext<br />
dessen betrachtet, dass der Mensch als Zielpunkt der ganzen Schöpfung zu sehen ist,<br />
scheint mir STECKS <strong>Th</strong>ese, dass nämlich die Welt von Gott um allen Lebens willen und<br />
nicht um des Menschen willen geschaffen wurde, diskussionswürdig.<br />
34<br />
Der Begriff ‚Mitgeschöpf’ war insbesondere im Pietismus heimisch, ist also ein Wort des späten 18. Jahrhunderts.<br />
Vgl. TEUTSCH, S. 139.<br />
35<br />
Vgl. TEUTSCH, S. 139f.<br />
36<br />
STECK, S. 79.<br />
17
1.3.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen<br />
Der wohl schwierigste Punkt der Schöpfungsgeschichte nach P ist wohl der Begriff der<br />
Herrschaft Gottes. Was nämlich für uns heutige Menschen einen negativen Beigeschmack<br />
hat, dürfte von der Autorenschaft fraglos positiv verstanden worden sein. Ich gehe mit<br />
STECK einig, wenn er sagt, <strong>bei</strong> der Herrschaft des Menschen handle es sich um eine Bestimmung,<br />
welche nötig sei, um den Fortbestand der Schöpfungswelt aufrecht zu erhalten.<br />
So ist diese Bestimmung auch in die göttliche Gesamtbilligung der Schöpfungswelt eingeschlossen,<br />
wonach diese daom. bAj war. 38 Es geht hier also keinesfalls um eine von Gott<br />
gelöste, autonome oder gar autokratische Verfügung über die Tierwelt für selbsterwählte<br />
Zwecke. Mit der Herrschaft des Menschen über die Tierwelt ist vielmehr das Amt des verantwortungsbewussten<br />
Sachwalter Gottes gemeint.<br />
LIEDKE präsentiert dagegen eine andere Meinung 39 : Er geht davon aus, dass die Herrschaft<br />
des Menschen <strong>bei</strong> P heisse, im Bewusstsein zu leben, dass die gegebene Gewaltsituation<br />
zwischen Mensch und Tier nicht dem ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes entspreche,<br />
sondern vom Menschen verursacht sei. Um den Segen der Schöpfung nicht verloren gehen<br />
zu lassen, sei es nötig, die Gewalt gegenüber den Tieren zu minimieren. Im Gegensatz zu<br />
LIEDKE denke ich, dass das Eingesetztwerden des Menschen über die Tiere zentral mit dem<br />
Schöpfungswillen Gottes übereinstimmt. Die Herrschaft des Menschen wird jedoch nicht<br />
als rücksichtslose Ausbeutung verstanden. Ein klares Indiz dafür ist, dass dieser Herrschaftsauftrag<br />
mit der Segnung zusammen stattfindet. Der Auftrag des Menschen, die Erde<br />
zu beherrschen geht für den Menschen einher mit dem Fruchtbarkeitsauftrag. Wenn Gott<br />
dem Menschen den Auftrag zu Herrschen erteilt, kann es nicht sein, dass dieser Auftrag<br />
gegen seinen Willen geschieht.<br />
Das Problem dieser Stelle jedoch zeigt sich deutlich: Der Herrschaftsauftrag, wie er in Gen<br />
1 dargestellt ist, wird wenig konkret geboten; 40 d.h. es wird nicht ausgeführt, was diese<br />
Herrschaft alles <strong>bei</strong>nhaltet und wo ihre Grenzen sind. So kommt es, dass der Begriff ausgedehnt<br />
und leicht missbraucht werden kann.<br />
1.4. Fazit<br />
37 Vgl. dagegen STECK, S. 81.<br />
38 Vgl. STECK, S. 79.<br />
39 Vgl. LIEDKE in JANOWSKI, S. 209.<br />
40 Vgl. STECK, S. 78.<br />
18
Meiner Meinung nach zeigt der Schöpfungsbericht nach P zwei voneinander abhängige<br />
Diskussionspunkte auf: Der erste dieser Punkte ist das Geschaffensein von Mensch und<br />
Tier. Beide sind von Gott geschaffen, <strong>bei</strong>de sind von Gott gewollt. 41 Auch wenn der<br />
Mensch eine Sonderstellung einnimmt, so ist er grundsätzlich auch geschaffen wie seine<br />
Umwelt, wie die Tiere auch. Dieses Bewusstsein prägt dann auch das Verständnis der<br />
Sonderstellung des Menschen. Dieser zweite Punkt, die Herrschaft des Menschen, muss<br />
m.E. unbedingt in die Richtung von Stecks <strong>Th</strong>ese diskutiert werden. Nämlich, dass es <strong>bei</strong>m<br />
Herrschaftsauftrag des Menschen weder um sinnlose Tötung noch um grossangelegten<br />
Missbrauch von Tieren geht, sondern vielmehr um einen verantwortungsvollen Umgang<br />
mit der Umwelt. Dass der eigene Lebensraum gegen die Tierwelt verteidigt werden muss<br />
heisst nicht, dass der Mensch keine Achtung vor dem Tier haben soll. Diese <strong>bei</strong>den Gedanken<br />
wurden von SCHWEITZER in seiner „Ehrfurcht vor dem Leben“ aufgenommen. Da<br />
zeigt er, ausgehend vom Gedanken des gemeinsamen Geschaffenseins von Mensch und<br />
Tier, dass unsere Nächsten alle Wesen – nicht nur die Menschen – sind. „Deshalb glaube<br />
ich, dass der Begriff der Ehrfurcht vor dem Leben unseren Gedanken der Humanität mehr<br />
Tiefe, mehr Grösse und mehr Wirksamkeit verleiht.“ 42<br />
Können wir diese <strong>bei</strong>den zentralen Punkte in das Bewusstsein unserer Beziehung zu Tieren<br />
mit einbeziehen, so ist der wichtigste Pfeiler eines gesunden Umgangs des Menschen mit<br />
dem Tier gesetzt.<br />
41 Die Schöpfung, wie sie in diesem Text geschildert wird, geschieht mittels eines Sprechaktes Gottes. Ein<br />
Sprechakt setzt immer den Willen des Agierenden voraus.<br />
42 SCHWEITZER, S. 165.<br />
19
2. Gen 2,7-2,9.15.18-25<br />
2.1. Text und Übersetzung<br />
Tamve ~d'a'h' ar'q.YIw 2,20<br />
tY:x; lkol.W ~yIm;V'h; @A[l.W hm'heB.h;lk'l.<br />
`ADg>nw: hV'ail. ~d'a'h'-!mi xq;l'-rv,a]<br />
`~d'a'h'-la,<br />
~[;P;h; tazO ~d'a'h' rm,aYOw: 2,23<br />
hV'ai areQ'yI tazOl. YrIf'B.mi rf'b'W<br />
ym;c'[]me ~c,[,<br />
`taZO-hx'q\lu vyaime yKi<br />
wybia'-ta, vyai-bz"[]y: !Ke-l[;2,24<br />
`dx'a, rf'b'l. Wyh'w> ATv.aiB. qb;d'w><br />
AMai-ta,w><br />
~d'a'h' ~yMiWr[] ~h,ynEv. Wyh.YIw: 2,25<br />
`Wvv'Bot.yI al{w> ATv.aiw><br />
~d'a'h'-ta, ~yhil{a/ hw"hy> rc,yYIw: 2,7<br />
~yYIx; tm;v.nI wyP'a;B. xP;YIw:<br />
hm'd'a]h'-!mi rp'['<br />
`hY"x; vp,n<br />
lk'a]m;l.<br />
`[r'w" bAj<br />
...<br />
~d'a'h'-ta, ~yhil{a/ hw"hy> xQ;YIw: 2,15<br />
`Hr'm.v'l.W Hd'b.['l. !d,[e-!g:b. Whxe-<br />
NIY:w:<br />
...<br />
bAj-al{ ~yhil{a/ hw"hy> rm,aYOw: 2,18<br />
`ADg>n hd,F'h; tY:x;-lK' hm'd'a]h'-<br />
!mi<br />
tAar>li ~d'a'h'-la, abeY"w: ~yIm;V'h;<br />
vp,n< ~d'a'h' Al-ar'q.yI rv,a] lkow> Alar'q.YI-hm;<br />
`Amv. aWh hY"x;<br />
2,7 Und Jhwh, der Gott, formte den Menschen aus Staub vom Erdboden und blies Leben<br />
in seine Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.<br />
20
2,8 Und Jhwh, der Gott, pflanzte einen Garten in Eden im Osten und setzte dort den<br />
Menschen hinein, den er geformt hatte.<br />
2,9 Und Jhwh, der Gott, liess aus der Erde alle Bäume wachsen, angenehm anzusehen<br />
und gut zur Nahrung und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens und der<br />
Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.<br />
...<br />
2,15 Und Jhwh, der Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit<br />
er ihn bear<strong>bei</strong>te und hüte.<br />
...<br />
2,18 Und Jhwh, der Gott, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich werde<br />
ihm eine Hilfe machen als sein Gegenüber.<br />
2,19 Und Jhwh, der Gott, bildete aus der Erde jedes Tier des Feldes und jeden Vogel<br />
des Himmels und ging zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde; und<br />
ganz wie der Mensch ein lebendes Wesen nennen wird, so ist sein Name.<br />
2,20 Und der Mensch gab allem Vieh und allen Vögeln des Himmels und allen Tieren<br />
des Feldes Namen; aber für den Menschen fand er keine Hilfe als sein Gegenüber.<br />
2,21 Da liess Jhwh, der Gott, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er<br />
schlief ein. Und er nahm eine von seinen Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch.<br />
2,22 Und Jhwh, der Gott, bildete die Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, zu<br />
einer Frau und brachte sie zu dem Menschen.<br />
2,23 Da sprach der Mensch: „Diese ist nun endlich Ge<strong>bei</strong>n von meinem Ge<strong>bei</strong>n und<br />
Fleisch von meinem Fleisch. Sie soll ‚Männin‘ 43 heissen, denn vom Mann ist sie genommen.“<br />
2,24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau<br />
anhängen, und sie werden zu einem Fleisch.<br />
2,25 Und die <strong>bei</strong>den, der Mensch und seine Frau, waren nackt und schämten sich<br />
nicht.<br />
2.2. Fragen an den Text<br />
2.2.1. rmv 44 , ‚bewachen, behüten, u.a.’<br />
Der Begriff rmv kommt in sehr verschiedenen Kontexten vor. Das Verb bezeichnet grundsätzlich<br />
‚bewachen, behüten, beobachten, erfüllen, halten, Wache halten, ausspähen‘.<br />
Schattierungen und Varianten davon ergeben sich durch die jeweilige Kombination mit<br />
anderen Wörtern. Das Verb weicht jedoch in seiner Bedeutung nie ganz von seiner Grund-<br />
43<br />
Da es kein entsprechendes deutsches Wort gibt, welches die hebräische Wortverwandtschaft wiedergeben<br />
könnte, bleibe ich <strong>bei</strong>m konstruierten und sehr unbefriedigenden Wort „Männin“.<br />
44<br />
Vgl. GARCIA LOPEZ in <strong>Th</strong>WAT, Bd VIII, Sp. 280ff.<br />
21
edeutung ab. Im Kontext dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> heisst das, dass der Auftrag, den der Mensch in<br />
diesem Schöpfungsbericht erhält, nämlich den Garten zu rmv nicht mit Gewalt verbunden<br />
werden kann. Anders als im Herrschaftsauftrag von Gen 1 scheint hier tatsächlich von einem<br />
völlig gewaltlosen Bewahren die Rede zu sein.<br />
2.2.2. rz[ 45 , ‚Hilfe’<br />
Das Verb weckt grundsätzlich die Vorstellung des Schutzes, wie das daraus abgeleitete<br />
Nomen hrz[, ‚Einfriedung/Umrahmung‘, zeigt. Häufig hat es Gott zum Subjekt und einen<br />
Ausdruck zur Bezeichnung der Gläubigen oder des Gottesvolkes als direktes Objekt. Auf<br />
profanem Gebiet begegnen als Subjekt ein Kriegsherr bzw. Krieger. Ausserhalb des militärischen<br />
Kontextes kann es eine moralische oder soziale Unterstützung oder die Hilfe <strong>bei</strong><br />
der Ausübung einer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> bezeichnen. Im Zusammenhang des vorliegenden Textes kann<br />
man also davon ausgehen, dass die Hilfe, die hier angestrebt wird, als soziale Unterstützung<br />
gedacht ist. Die Frage, ob hier an eine materielle Hilfe gedacht ist oder ob nicht vielmehr<br />
die soziale Unterstützung im Vordergrund steht, scheint berechtigt.<br />
2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’<br />
Vom Menschen wird ausdrücklich gesagt, dass er von Gott Leben eingehaucht bekommt.<br />
Er wird also in zwei Etappen geschaffen: Im ersten Schritt formt Gott das Material, im<br />
zweiten Schritt schenkt er das Leben. Diese zwei Schritte werden aber nicht von der Erschaffung<br />
der Tiere erwähnt. Es ist zwar klar, dass die Tiere – wie die Menschen auch –<br />
lebende Wesen sind (Gen 2,19). Dass Gott ihnen aber Leben einhaucht, wird nicht explizit<br />
gesagt.<br />
Interessant an diesem Konzept, dass der Mensch das einzige unter allen lebenden Wesen<br />
ist, welches von Gott Odem eingehaucht bekommt, scheint mir die Überlegung zu sein,<br />
dass der Mensch – wie die übrigen Wesen auch – zwar geschaffen, aber doch etwas besonderes<br />
ist. In verschiedenen theologischen Konzepten und auch in diversen philosophischen<br />
Denkansätzen wird versucht, die Andersartigkeit des Menschen gegenüber dem Tier zu<br />
erklären. Während ausserbiblische, philosophische Versuche damit argumentieren, dass<br />
das Tier im Gegensatz zum Menschen keinen Verstand besitze, argumentiert Gen 2 damit,<br />
dass der Mensch im Gegensatz zum Tier Lebensodem eingehaucht bekommen habe. Diese<br />
Tatsache wird zwar nicht ausdiskutiert, aber sie wird als selbstverständliche Prämisse angenommen.<br />
22
2.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im jahwistischen Schöpfungsbericht<br />
2.3.1. rz[, ‚Hilfe’<br />
Aus heutiger Sicht ist der Tatbestand, dass das Wort rz[,, ,Hilfe’, sowohl für das Tier als<br />
auch für die Frau verwendet wird, erschreckend. Wie ist es zu verstehen, dass die Frau auf<br />
die gleiche Stufe wie das Tier gestellt wird? Diese Diskussion wäre sehr lohnend, würde<br />
jedoch den Rahmen dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sprengen.<br />
Was heisst es nun, wenn das Tier als rz[ für den Menschen gesehen wird? In Gen 2,9 wird<br />
gesagt, dass Jhwh alle Bäume wachsen liess und dass sie gut zur Nahrung waren. Daraus<br />
einen grundsätzlichen Vegetarismus des Menschen abzulesen wäre m.E. etwas vage. Dennoch<br />
muss aber <strong>bei</strong>m Betrachten von Gen 2 auffallen, dass keine Rede davon ist, Tiere zu<br />
töten. Man kann also folgern, dass das Tier als Lieferant von Gütern und Dienstleistungen<br />
gesehen werden kann, dass aber das Töten von Tieren nicht im Sinne ihrer Hilfestellung<br />
ist. Nun aber davon auszugehen, dass aufgrund der Funktion des Tieres als rz[ für den<br />
Menschen, Mensch und Tier zwangsläufig in einer engen, personifizierten Beziehung zueinander<br />
stehen müssten, könnte hier ein Fehlschluss sein. Um aus den Tieren einen Nutzen<br />
zu ziehen, braucht man nicht mit ihnen in Beziehung zu stehen. Im Gegenteil: Möglicherweise<br />
ist sogar gerade die Beziehungslosigkeit der Grund für die Hilfestellung des<br />
Tieres.<br />
Nach DE PURY 46 muss rz[ jedoch in einem grundsätzlicheren und existentielleren Sinn verstanden<br />
werden. Seiner Meinung nach geht es hier um die Überwindung von Einsamkeit,<br />
was m.E. durchaus seine Richtigkeit hat. Doch möchte ich mich davor hüten, rz[ hier mit<br />
DE PURY ausschliesslich als „Lebenshilfe“ 47 zu sehen. Es wäre wohl an der Realität der<br />
Autorenschaft der biblischen Texte vor<strong>bei</strong>gedacht, wenn nicht auch von einer Hilfe auf<br />
materieller Basis ausgegangen würde. Wenn jedoch heute damit argumentiert wird, dass ja<br />
das Tier nur als Hilfe für den Menschen geschaffen wurde, dann ist dagegen zu halten,<br />
dass diese Hilfe nicht als Freigabe zur Ausbeutung, sondern vor allem als soziale Unterstützung<br />
gedacht ist. Dass jedoch diese soziale Unterstützung auch ausarten kann, zeigt<br />
<strong>bei</strong>spielsweise der heutige Umgang mit überzüchteten und vermenschlichten Zuchthunden,<br />
welche als Kinder- oder Partnerersatz Verniedlichungen und unwürdige Vermenschlichungen<br />
über sich ergehen lassen müssen.<br />
45 Vgl. WAGNER in <strong>Th</strong>WAT, Bd VI, Sp. 14ff.<br />
46 DE PURY in JANOWSKI, S. 134.<br />
23
2.3.2. ADg>nn
Ausdruck ‚Partner‘ muss hier allerdings mit Vorsicht genossen werden, ist es doch so, dass<br />
die Namensgebung einseitig verläuft: Der Mensch gibt den Tieren die Namen. Das Tier<br />
jedoch kann dem Menschen keinen Namen geben oder sonstwie aktiv mit ihm in Beziehung<br />
treten. Dies zeigt also deutlich, dass es hier nicht nur um das Knüpfen einer Beziehung,<br />
sondern zugleich auch um einen Akt der Souveränität des Menschen geht.<br />
2.3.4. Leben einhauchen<br />
Dass nur der Mensch von Gott Leben eingehaucht bekommt, habe ich bereits erwähnt. 50<br />
Der Sachverhalt, dass vom Tier solches Eingehaucht-Bekommen nicht erwähnt wird, darf<br />
m.E. jedoch nicht überinterpretiert werden, ist es doch recht vage, anhand von im Text<br />
abwesenden Bemerkungen, aussagekräftige Schlüsse zu ziehen. Dennoch könnte man das<br />
Fehlen des Atemeinhauchens als Manifestation der Kluft zwischen Mensch und Tier deuten.<br />
Diese Kluft zeigt sich unter anderem auch darin, dass der Mensch Verantwortung für<br />
die Schöpfung übernehmen muss.<br />
Wie immer diese (fehlende) Textstelle zu interpretieren ist, es zeigt sich, dass zwischen<br />
Mensch und Tier keine Gleichstellung angestrebt wird. Der Text macht bewusst, dass <strong>bei</strong>de<br />
– sowohl Mensch als auch Tier – lebende Wesen und von Gott geschaffen sind, dass<br />
aber dennoch ein deutlicher Unterschied zwischen Mensch und Tier bestehen bleibt. Allerdings<br />
ist das Bewusstsein, dass sowohl Menschen wie auch Tiere lebende Wesen sind,<br />
nicht zu unterschätzen. Ob die Tiere von Gott Lebensodem eingehaucht bekommen oder<br />
nicht, spielt in der gesamten Haltung des Textes eigentlich keine bedeutende Rolle. Das<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl, welches Gen 2 beschreibt, dass nämlich Mensch und Tier –<br />
trotz unüberbrückbar scheinender Kluft – von demselben Schöpfer aus demselben Material<br />
geschaffen wurden, überwiegt. 51<br />
2.4. Fazit<br />
Die Erschaffung des Tieres als Hilfe für den Menschen macht deutlich, dass das Tier nicht<br />
um seiner selbst willen existiert. Die Tiere haben nur im Bezug auf den Menschen ihre<br />
Daseinsberechtigung und sind so dem Menschen klar untergeordnet. Abschwächend könnte<br />
hierzu allerdings der Begriff ‚Gegenüber’ erwähnt werden. Die Tiere werden nicht einfach<br />
als Zeitvertreib für den Menschen gemacht, sondern als potentielle Partner. Der Versuch<br />
Jhwhs, dem Menschen Tiere als Partner zu geben, schlug jedoch insofern fehl, als er<br />
49 Dazu parallel zu setzen ist auch die „Namensgebung“ Adams.<br />
50 S.o. B.2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, S. 22.<br />
25
für den Menschen kein adäquates Gegenüber fand (Gen 2,20). Dies zeigt die Überlegenheit,<br />
die der Mensch gegenüber dem Tier empfindet. Für den Menschen kommt eine echte<br />
Partnerschaft, ein echtes Gegenüber-Stehen, mit den Tieren in diesem Schöpfungsbericht<br />
nicht in Frage. Dass eine echte Partnerschaft mit dem Tier keine wirkliche Möglichkeit ist,<br />
zeigt sich auch darin, dass nur der Mensch von Gott <strong>bei</strong> der Erschaffung Leben eingehaucht<br />
bekam. Das Tier gilt zwar auch als lebendes Wesen, scheint aber sein Leben nicht<br />
so direkt und explizit von Gott bekommen zu haben. 52 Die Namensgebung kann auch sehr<br />
unterschiedlich beurteilt werden. Einerseits kann sie als ein positives In-Beziehung-Treten<br />
verstanden werden. Andererseits kann dieser Akt der Namensgebung auch als Herrschafts-<br />
Zeichen, als Machtdemonstration des Menschen gegenüber dem Tier, gelesen werden.<br />
Im Gesamten kann man hier aber feststellen, dass die Tiere – auch wenn diese scheinbar<br />
‚positiven’ Begriffe ‚Hilfe’ und ‚Gegenüber’ im Text eine wichtige Rolle spielen – doch<br />
sehr deutlich für minder wertvoll als der Mensch gehalten werden. Die Tiere genügen dem<br />
Menschen nicht als Gegenüber, sie genügen ihm möglicherweise gerade als ‚Hilfe’, was<br />
zwar sehr nützlich ist, aber die Überlegenheit des Menschen klar signalisiert. Der Text<br />
bestätigt also im Gesamten deutlich den Herrschaftsanspruch des Menschen über die Tierwelt<br />
seiner Zeit.<br />
3. Ps 8,4-10<br />
3.1. Text und Übersetzung<br />
hT'v; lKo ^yd,y" yfe[]m;B. Whleyvim.T; 8,7<br />
`wyl'g>r;-tx;t;<br />
`yd'f' tAmh]B; ~g:w> ~L'Ku ~ypil'a]w:<br />
hna' rbe[o ~Y"h; ygEd>W ~yIm;v'<br />
rAPci 8,9<br />
`~yMiy:<br />
^m.vi ryDIa;-hm' WnynEdoa] hw"hy> 8,10<br />
`#r,a'h'-lk'B.<br />
51 S.u. E 2. Religionswissenschaftliche Betrachtung, S.75f.<br />
52 S.o. B.2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’, S. 20.<br />
^yt,[oB.c.a, yfe[]m; ^ym,v' ha,r>a,-yKi 8,4<br />
`hT'n>n"AK rv,a] ~ybik'Akw> x;rey"<br />
yKi ~d'a'-!b,W WNr,K.z>ti-yKi vAna/-hm'<br />
8,5<br />
`WNd,q.p.ti<br />
dAbk'w> ~yhil{a/me j[;M. WhreS.x;T.w:<br />
8,6<br />
`WhreJ.[;T. rd'h'w><br />
26
8,4 Wenn ich deine Himmel anschaue, das Werk deiner Finger, den Mond und die<br />
Sterne, die du befestigt hast:<br />
8,5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und der Sohn des Menschen, dass du<br />
dich um ihn kümmerst?<br />
8,6 Denn du hast ihn (nur) wenig geringer gemacht als göttliche Wesen, hast ihn mit<br />
Herrlichkeit und Pracht gekrönt.<br />
8,7 Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht; alles hast du<br />
unter seine Füsse gestellt:<br />
8,8 Alle Schafe und Rinder und auch die Tiere des Feldes,<br />
8,9 Vögel des Himmels und Fische des Meeres, was auf den Pfaden der Meere zieht.<br />
8,10 Jhwh, unser Herr, wie prächtig ist dein Name auf der ganzen Erde!<br />
3.2. Fragen an den Text<br />
3.2.1. ~yhil{a/me j[;M, ‚wenig geringer als göttliche Wesen’<br />
Dass der Text hier von ~yhil{a spricht, irritiert. Wird dieser Begriff doch im Allgemeinen<br />
als Bezeichnung für Jhwh gebraucht, scheint hier eher die Rede von göttlichen Wesen zu<br />
sein. In meiner Übersetzung halte ich mich an den <strong>Th</strong>WAT-Artikel 53 , der Ps 8,6 einleuchtend<br />
unter „Abweichende Verwendung“ behandelt und für die obenerwähnte Übersetzung<br />
plädiert. Ich gehe mit dem <strong>Th</strong>WAT-Artikel einig, dass hier die Ähnlichkeit mit dem Göttlichen<br />
im Allgemeinen der entscheidende Punkt ist. Ob der Mensch nun wenig geringer als<br />
Gott oder wenig geringer als göttliche Wesen oder Engel geschaffen wurde, spielt eigentlich<br />
keine zentrale Rolle. Wichtig ist, wie bereits oben erwähnt, dass der Mensch Ähnlichkeit<br />
mit dem Göttlichen im Allgemeinen hat. 54 Im Zusammenhang mit der Fragestellung<br />
der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ist die deutlich gezeichnete Hierarchie wichtig: Jhwh steht zuoberst;<br />
je nach Übersetzung kommen dann die göttlichen Wesen oder Engel, dann kommt<br />
der Mensch. Dann erst folgen die Tiere als unterste erwähnte Hierarchiestufe. 55<br />
Die Fragen, die im Folgenden zu stellen sind, betreffen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />
von Mensch und Göttlichkeit. Wie äussert es sich, dass der Mensch nur wenig geringer<br />
ist als göttliche Wesen? Was fehlt ihm, dass er nicht göttliches Wesen ist? Wodurch<br />
ist er den Tieren überlegen? Diesen Fragen gilt es im folgenden Abschnitt nachzugehen.<br />
53 Vgl. RINGGREN in <strong>Th</strong>WAT, Bd I, Sp. 285.<br />
54 S.o. 1.2.3. bAj, S.14.<br />
55 S.o. B.2.3.2. ADg>n
3.2.2. ^yd,y" yfe[]m;B. Whleyvim.T;, ‚Du hast ihn zum Herrscher über die<br />
Werke deiner Hände gemacht‘<br />
Ps 8,7a liefert die erste Antwort auf eben diese Fragen: ‚Du hast ihn zum Herrscher über<br />
die Werke deiner Hände gemacht‘. Die zentrale Aussage <strong>bei</strong> der Bemerkung, dass der<br />
Mensch (nur) wenig geringer als göttliche Wesen sein soll, ist also die, dass der Mensch<br />
als eine Art Statthalter Jhwhs über die Schöpfung herrscht. Der Kontext lässt eine gewaltsame<br />
Herrschertätigkeit des Menschen über die Tiere gar nicht zu, geht es doch darum, die<br />
grossartige Schöpfung Jhwhs verantwortungsvoll zu verwalten.<br />
3.2.3. wyl'g>r;-tx;t; hT'v; lKo, ‚Alles hast du unter seine Füsse gestellt‘<br />
Dieser Satz zeigt deutlich die Besitzergreifung an. Während in Ägypten diese Wendung in<br />
Bezug auf den Pharao als Beschützer Ägyptens gegenüber den Fremdvölkern gebraucht<br />
wird, dehnt Ps 8 die umfassende Kompetenz des Königs auf den von Gott erwählten Menschen<br />
generell aus. Der Mensch hat durch seine göttliche Ausstattung nicht nur die Fähigkeit,<br />
der chaotischen Bedrohung zu widerstehen, sondern diese chaotische Bedrohung auch<br />
zu beherrschen. Hier ist allerdings nicht von den bedrohenden Tieren die Rede, sondern<br />
vor allem von den domestizierten Nutztieren. Auch diese zu beherrschen hat der Mensch<br />
die Fähigkeit und den Auftrag von Jhwh bekommen. Bei diesem Bild ist klar von der Vorstellung<br />
einer gewaltsamen Machtausübung wegzukommen. Es geht vielmehr um das beschützende<br />
Moment als um eine sinnlose, evtl. sogar gewalttätige, Machtdemonstration.<br />
3.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im Schöpfungskonzept des Psalmisten<br />
Auch in diesem Text kommt deutlich zum Ausdruck, dass der Mensch als Stellvertreter<br />
Jhwhs über dessen Schöpfung wachen soll. 56 Diese Verwaltungsaufgabe ist jedoch nicht a<br />
priori mit ausbeuterischem Machtbissbrauch in Verbindung zu bringen. Vielmehr ist sie<br />
Ausdruck einer grossen Ehre, die dem Menschen zuteil wird. Der Mensch ist dazu bestimmt,<br />
mit der Schöpfung, welche unter seine Füsse gestellt wurde, umzugehen. Dass<br />
ausgerechnet Jhwhs Geschöpfe anvertraut werden hängt – laut dem Text – damit zusammen,<br />
dass der Mensch nur wenig geringer als Gott, göttliche Wesen, Engel gemacht wurde.<br />
Das Bild, das von den Tieren gezeichnet wird, ist in diesem Text erstaunlich farblos: Das<br />
Tier wird weder verniedlicht, noch als das Monströse bezeichnet, sondern sehr neutral dar-<br />
56<br />
S.o. B.1.2.5. vbk, ,herrschen’, S.15; B.1.4.2. göttliche Ordnung, S. 17; B.3.2.2. ^yd,y" yfe[]m;B. Whleyvim.T;,<br />
‚Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht‘, S. 28.<br />
28
gestellt. Es heisst nirgends im Text, dass es grossen Mut brauche, über die angsteinflössenden<br />
wilden Tiere zu herrschen, aber es heisst auch nirgends, dass es eine leichte Aufgabe<br />
sei, die ohnehin zu verachtenden Tiere zu bändigen. Das Tier, bzw. das Wohlergehen der<br />
Tiere, ist abhängig von der menschlichen Intelligenz, vom menschlichen Einfühlungsvermögen,<br />
vom menschlichen Verantwortungsbewusstsein. Was der Mensch mit diesem<br />
Herrschaftsauftrag macht, bleibt ihm überlassen – dadurch, dass er den Auftrag von Jhwh<br />
bekommen hat, könnte man davon ausgehen, dass ihm die Verantwortung bewusst ist. Man<br />
könnte interpretieren: Die Pracht und Grossartigkeit des Menschen wird in diesem Psalm<br />
<strong>bei</strong>nahe peinlich besungen. Nur Jhwh ist noch prächtiger und grossartiger – so der Text.<br />
Dass Jhwhs Werke, allein dadurch, dass sie seine Werke sind, grossartig sind, versteht sich<br />
von selbst. Also muss der grossartige Mensch Sorge tragen zu diesen grossartigen Werken,<br />
von welchen die einen Tiere sind. Über die anderen Werke wird im Text gar nichts gesagt.<br />
Es werden einzelne Tiere und Gattungen aufgezählt – Haus-/Nutztiere, Tiere des Feldes,<br />
Vögel, Fische und Meeresbewohner. Typisch auch hier: Wilde Landtiere werden nicht<br />
erwähnt. Sie sind eine Bedrohung für den Menschen, derer er nicht ohne weiteres Herr<br />
wird.<br />
3.4. Fazit<br />
Die Herrschaft des Menschen über die Tiere wird in diesem Text stark betont. Doch in<br />
diesem Herrscher-Sein ist der Ton des verantwortungsvollen Umgangs mit den grossartigen<br />
Werken Jhwhs bestimmend. Da nirgends im Text von der zerstörerischen oder bedrohenden<br />
Macht der Tiere die Rede ist, kann der Mensch auch ohne die Tiere quälen oder<br />
unterdrücken zu müssen mit Achtung über sie herrschen. Die Stellung des Menschen in<br />
diesem Text ist die eines Statthalters. Er hat dafür zu sorgen – so deutlich wird der Text<br />
allerdings nicht –, dass es den Werken seines Herrschers gut geht. Also hat er den Tieren,<br />
die hier erwähnt werden, Sorge zu tragen. Tierquälerei oder Machtmissbrauch würde klar<br />
gegen den Auftrag verstossen, den der Mensch von Jhwh bekommen hat. 57<br />
57 S.o. B. 1.2.5. vbk 57 , ,herrschen’, S. 13; B. 1.4.2. göttliche Ordnung, S. 15; B. 3.2.2. ^yd,y" yfe[]m;B.<br />
Whleyvim.T;, ‚Du hast ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände gemacht‘, S. 26; s.u. B.5.4. Statthalterschaft<br />
als gemeinsame Aussage der untersuchten Texte, S. 35f.<br />
29
4. Hi 38,39-39,30<br />
4.1. Text und Übersetzung<br />
h'r,WzT. lg<br />
Hl'-al{L. h'yna;K' WNv,y[ir>t;h. 39,20<br />
`hm'yae Arx.n:<br />
…<br />
frop.yI #nE-rb,a]y: ^t.n"yBimih] 39,26<br />
`!m'ytel. Îwyp'n"K.Ð ¿Apn"K.À<br />
rv,n" H;yBig>y: ^yPi-l[;-~ai 39,27<br />
`ANqi ~yrIy" ykiw><br />
!n"l{t.yIw> !Kov.yI [l;s, 39,28<br />
`hd'Wcm.W [l;s,-!v,-l[;<br />
qAxr'mel. lk,ao-rp;x' ~V'mi 39,29<br />
`WjyBiy: wyn"y[e<br />
Îwyx'rop.a,w>Ð ¿Axrop.a,w>À 39,30<br />
`aWh ~v' ~ylil'x] rv,a]b;W ~d'-W[l.[;y><br />
tY:x;w> @r,j' aybil'l. dWct'h] 38,39<br />
`aLem;T. ~yrIypiK.<br />
Wbv.yE tAnA[M.b; Wxvoy"-yKi 38,40<br />
`br,a'-Aml. hK'Sub;<br />
Adyce bre[ol' !ykiy" ymi 38,41<br />
W[t.yI W[WEv;y> lae-la, Îwyd'l'y>Ð<br />
¿Adl'y>À-yKi<br />
`lk,ao-ylib.li<br />
td,l, t[e T'[.d;y"h] 39,1<br />
`rmov.Ti tAlY"a; llexo [l;s'-yle[]y:<br />
hn"aL,m;T. ~yxir'y> rPos.Ti 39,2<br />
`hn"T'd>li t[e T'[.d;y"w><br />
…<br />
rB'b; WBr>yI ~h,ynEb. Wml.x.y: 39,4<br />
`Aml' Wbv'-al{w> Wac.y"<br />
yvip.x' ar,P, xL;vi-ymi 39,5<br />
`x;Tepi ymi dAr[' tArs.moW<br />
Atybe hb'r'[] yTim.f;-rv,a] 39,6<br />
`hx'lem. wyt'AnK.v.miW<br />
…<br />
^d,b.[' ~yRe hb,ayOh] 39,9<br />
`^s,Wba]-l[; !yliy"-~ai<br />
Atbo[] ~l,t,B. ~yre-rv'q.tih] 39,10<br />
`^yr,x]a; ~yqim'[] dDef;y>-~ai<br />
…<br />
hs'l'[/n< ~ynIn"r>-@n:K. 39,13<br />
`hc'nOw> hd'ysix] hr'b.a,-~ai<br />
h'yc,Be #r,a'l' bzO[]t;-yKi 39,14<br />
30
`~Mex;T. rp'['-l[;w><br />
38,39 (Jahwe spricht zu Hiob:) Erjagst du (erg: etwa) für die Löwin die Beute, und<br />
stillst du den Hunger der Junglöwen,<br />
38,40 wenn sie sich auf (ihren) Lagern ducken und im Dickicht auf der Lauer liegen?<br />
38,41 Wer sichert dem Raben sein Futter, wenn seine Jungen zu Gott schreien, ohne<br />
Nahrung umherirren?<br />
39,1 Kennst du die Zeit des Gebärens der Steinböcke? Beobachtest du das Kreissen<br />
der Hirschkühe?<br />
39,2 Zählst du die Monate, die sie erfüllen müssen, und kennst du die Zeit ihres Gebärens?<br />
…<br />
39,4 Ihre Jungen werden stark, sie wachsen im Freien; sie gehen weg und kehren nicht<br />
(mehr) zu ihnen zurück.<br />
39,5 Wer hat den Wildesel frei laufen lassen und wer hat die Fesseln des Wildlings gelöst,<br />
39,6 dem ich die Steppe zur Behausung machte und zu seiner Wohnung das salzige<br />
Land?<br />
…<br />
39,9 Wird der Büffel dir dienen wollen oder wird er an deiner Krippe übernachten?<br />
39,10 Wirst du den Büffel in der Furche an seinem Seil binden oder wird er die Täler<br />
hinter dir her eggen?<br />
…<br />
39,13 Der Flügel der Straussenhenne schwingt munter; ist es Flügel des Storches oder<br />
Gefieder?<br />
39,14 Denn sie lässt ihre Eier der Erde und lässt sie auf dem Staub wärmen.<br />
39,15 Und sie vergisst, dass ein Fuss sie zerdrücken und das Wild des Feldes sie zertreten<br />
kann.<br />
39,16 Sie behandelt ihre Jungen hart, als seien sie nicht ihre. War ihre Mühe umsonst,<br />
so kümmert es sie nicht.<br />
39,17 Denn Gott liess sie die Weisheit vergessen und gab ihr nicht Anteil an Einsicht.<br />
39,18 Zur Zeit, da sie in die Höhe schnellt, lacht sie über das Ross und seinen Reiter.<br />
39,19 Gibst du dem Pferd die Kraft? Bekleidest du seinen Hals mit einer Mähne?<br />
39,20 Bringst du es zum Springen wie die Heuschrecke? Furchtbar ist sein majestätisches<br />
Schnauben!<br />
…<br />
31
39,26 Fliegt der Falke durch deine Weisheit, breitet er seine Flügel aus für den Südwind?<br />
39,27 Oder erhebt sich auf deinen Befehl der Adler so hoch und baut in der Höhe sein<br />
Nest?<br />
39,28 Feld bewohnt er und horstet auf dem Felszahn und der Bergfeste.<br />
39,29 Von dort aus erspäht er Nahrung, seine Augen blicken in die Ferne.<br />
39,30 Seine Jungen schlürfen Blut, und wo Erschlagene sind, da ist er.<br />
4.2. Fragen an den Text<br />
4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere<br />
Die Auswahl der in dieser Gottesrede aufgezählten Tiere erstaunt auf den ersten Blick. Bei<br />
näherer Betrachtung jedoch, ist die Aussage dieser Zusammenstellung einleuchtend. Ich<br />
möchte im Folgenden kurz auf die einzelnen erwähnten Tiere eingehen und in einem<br />
knappen Fazit die vermutete Absicht dieser Auswahl erläutern. 58<br />
aybil, der Löwe (Hi 38,39), ist ein typischer Vertreter derjenigen Tiere, von denen man im<br />
8.-5. Jh. v. Chr. sagte, er bewohne menschenleere Städte. Löwen bedrängen die Menschen<br />
in durch Krieg zerstörte und entvölkerte Siedlungen. So schildert <strong>bei</strong>spielsweise Jer 4,7<br />
den Löwen als eine Macht, die bewohntes Land in eine menschenleere Einöde verwandelt.<br />
Der Löwe gilt auch als einer der grössten Feinde des Hausviehs.<br />
bre[, der Rabe (Hi 38,41), ist ein unreines Tier, welches ein Vertreter jener unheimlicher<br />
Tiere ist, welche zusammen mit Dämonen aller Art verfluchte, zu Ruinen gewordene Städte<br />
und Landstriche bewohnen.<br />
[l;s'-yle[] und tAlY"a, Hirsch und Steinbock (Hi 39,1), werden hier aufgeführt als Vertreter<br />
der Bewohner des für Menschen unbewohnbaren Buschwaldes, bzw. der für Menschen<br />
unzugänglichen Felswüsten.<br />
ar,P, der Wildesel (Hi 39,5), steht als Feind der Kulturpflanzen. Als Steppentier bewohnt<br />
auch er verödete Landstriche. Der einsame, als störrisch geltende Wildesel steht als Kontrastbild<br />
zum Menschen, welcher in einer wohlgeordneten Gemeinschaft lebt.<br />
~yR, der Wildstier (Hi 39,9), wird hier als Bild vitaler, furchterregender Kraft angefügt.<br />
Diese Vitalität kann in positivem wie in negativem Kontext stehen. Im vorliegenden Zusammenhang<br />
dürfte wohl eher der beängstigende, fremde Aspekt betont sein.<br />
58 Vgl. KEEL, S. 64ff.<br />
32
~ynIn"r, die Straussenhenne (Hi 39,13), gilt als Bewohnerin verödeter Landstriche. Die<br />
brutal wirkende Art der Brutpflege der Straussenhennen soll die Skrupellosigkeit dieser<br />
Tiere deutlich machen.<br />
SWS, das Pferd (Hi 39,19), wurde in Israel nicht als landwirtschaftliches Nutztier gehalten,<br />
sondern wurde mit Gewalt und Krieg assoziiert. Es wird auch mit der Verfolgung Israels<br />
durch den Pharao in Zusammenhang gebracht: Pferde und Streitwagen ermöglichten<br />
dem Pharao die Verfolgung Israels. So steht auch in diesem Text das Pferd für ein kräftiges,<br />
beängstigendes und bedrohlich wirkendes Tier.<br />
Das Pferd steht in dieser Auflistung nicht auf der gleichen Ebene wie die übrigen Tiere, da<br />
der Aspekt der Verfolgungserfahrung Israels zusätzlich mit ins Spiel kommt.<br />
#nE, der unreine Falke (Hi 39,26), beseitigt, zusammen mit anderen Geierarten, nach der<br />
Zerstörung von Städten die letzten menschlichen Überreste und gilt deshalb als<br />
angsteinflössendes Tier, das gemieden werden sollte.<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in dieser Gottesrede, bis auf das Pferd, nur<br />
Tiere auftreten, welche eine Art Gegenwelt zur zivilisierten, menschlichen Welt bilden: Sie<br />
bewohnen nämlich von Menschen verlassene Orte und Landstriche, die Wüste und das<br />
Walddickicht. Diese Vorstellung, dass es Tiere gibt, welche zusammen mit Dämonen zu<br />
Ruinen gewordene Städte bewohnen, ist im 8.-5. Jh. v. Chr. in Vorderasien häufig belegt.<br />
Sie findet sich in den biblischen Texten z.B. in Jes 13,19-22; 32,12-14; 34,6-15; Jer 50,39f;<br />
51,36-43; Zef 2,13-15.<br />
Dass zerstörte Städte und Landstriche von wilden Tieren bewohnt werden, zeigt letztlich,<br />
dass sich der Mensch mit den Wildtieren in einem steten Kampf um die Erde befindet. Der<br />
Mensch kann nur in der Stadt und in der Gemeinschaft überleben; fällt die Stadt, ist der<br />
Mensch vom Tier bedroht.<br />
4.2.2. Weisheit<br />
Die Weisheit und die Einsicht Jhwhs garantieren die Qualität des Weltenplans, wie er hier<br />
vorgelegt wird. Auch wenn das Wort Weisheit im ausgewählten Text nicht vorkommt, so<br />
wird doch deutlich, dass es in dieser Gottesrede darum geht, die göttliche Weisheit und<br />
Einsicht auch auf die Gegenwelt, welche durch die aufgezählten Tiere präsentiert wird,<br />
auszudehnen. Die <strong>bei</strong>den Extreme, welche in diesem Text aufgezeigt werden, nämlich die<br />
menschenfeindlichen Mächte und Jahwes Herrschaft über sie, ergeben zusammen ein<br />
33
Weltbild, das sich vom Menschen aus betrachtet als chaotisch oder sogar feindselig darstellt,<br />
welches aber fest in Jhwhs Händen ist. 59<br />
4.2.3. Rhetorische Fragen<br />
Die rhetorischen Fragen, wie sie in diesem Text gestellt werden, verfolgen den Zweck darzustellen,<br />
dass Jhwh die Herrschaft über jene Tiere, die vom Menschen als fremd und<br />
feindlich empfunden werden, innehat.<br />
Ein Nebeneffekt dieser Fragen ist der, dass das Unvermögen Hiobs aufgezeigt wird. Dies<br />
ist nicht nur im Rahmen der Hioberzählung interessant, sondern auch im Zusammenhang<br />
mit dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>: steht Hiob hier für die ganze Menschheit, so zeigt uns diese Gottesrede,<br />
dass der Mensch nicht fähig ist, die Tierwelt als Gesamtheit richtig einzuschätzen und richtig<br />
mit ihr umzugehen. Die Wildheit der Tiere wird in diesem Text stark betont. Das zeigt<br />
das menschliche Gefühl des völligen Ausgeliefertseins. Allerdings wird nicht nur die<br />
Fremdartigkeit dieser Welt betont, sondern auch Jhwhs Herrschaft über sie. Mit Hilfe der<br />
rhetorischen Fragen wird jeder Zweifel darüber beseitigt, die Tiere könnten eine eigene<br />
Herrschermacht über den Menschen darstellen. In einer Welt, in der man sich vor wilden<br />
Tieren so sehr fürchtete wie heute <strong>bei</strong>spielsweise vor einem Autounfall mit Todesfolge, ist<br />
es zentral, daran glauben zu können, dass Jhwh die Herrschaft dieser Tiere im Griff hat.<br />
Die primäre Aussage der rhetorischen Fragen, wie sie hier vorliegen, ist also die, dass ein<br />
anarchisch-chaotisches Element in der Welt spürbar ist, das der Mensch nicht zu bändigen<br />
vermag. 60<br />
4.3. Die Mensch-Tier-Beziehung in der zweiten Gottesrede <strong>bei</strong> Hiob<br />
Der Mensch nimmt in dieser Gottesrede den wilden Tieren gegenüber die Haltung ein, die<br />
er seit Alters her allem Fremden und Feindlichen gegenüber einnimmt: Es wird integriert<br />
oder eliminiert. 61 In diesem Fall soll der Text für eine Integration des Fremden einstehen.<br />
Der Ton, mit welchem von den Wildtieren gesprochen wird, ist respektvoll. Die Tiere werden<br />
nicht verdinglicht oder verniedlicht, sondern als Teile einer zu fürchtenden Gegenwelt<br />
angesehen. Allerdings ist hier sehr deutlich die in der Einleitung erwähnte dritte Ebene der<br />
Mensch-Tier-Beziehung zu sehen: Die „Begegnung mit dem Monströsen“, wie ich sie<br />
nannte. In den Tieren kommt etwas zum Vorschein, was sonst in der Welt nicht erfahrbar<br />
59 Vgl. KEEL, S. 85f.<br />
60 Vgl. KEEL, S. 82.<br />
61 Vgl. KEEL, S. 81.<br />
34
wird. Allerdings wird hier sofort die Wendung genommen, dass Jhwh anhand dieser<br />
monströsen Tierwelt aufzeigt, wie mächtig er ist.<br />
4.4. Fazit<br />
Im Gesamten kann also gesagt werden, dass die Tierwelt als etwas Grossartiges, Fremdes,<br />
Respekt Gebietendes auftritt. Der Mensch ist nicht fähig, sich dieser Tierwelt zu bemächtigen<br />
– Jhwh hat jedoch die Macht über diese Tiere inne. Diese Macht Jhwhs über die Tiere<br />
unterscheidet sich in Nichts von der Macht, welche er über die Menschen hat.<br />
Für uns heutige mitteleuropäische Menschen scheint diese Zusage, dass Jhwh die feindliche<br />
Welt der Tiere unter Kontrolle hat, nicht mehr zentral. Dennoch zeigt der Text deutlich<br />
einen Umgang mit den Tieren, der auch für uns heutigen Menschen nach wie vor Relevanz<br />
hat: Die Tiere – und zwar diejenigen Tiere, vor denen man sich fürchtet und die Unbehagen<br />
und Schaudern auslösen – werden als etwas Wertvolles gezeichnet. Sie werden nicht<br />
aus der Lebenswelt des Menschen eliminiert, sondern bleiben als Teil der Lebenswelt des<br />
Menschen bestehen. Dadurch aber, dass Jhwh die Herrschaft über sie hat, verlieren diese<br />
Tiere ihre Angst machende Komponente, welche <strong>bei</strong>m Menschen zum Wunsch führen<br />
könnte, diese Tiere zu beseitigen.<br />
Der Aspekt der Mitgeschöpflichkeit fehlt in diesem Text völlig. Zwar ist Jhwh unter anderem<br />
dafür besorgt, dass die Tiere zur rechten Zeit ihre Jungen gebären, doch davon, dass<br />
Jhwh auch diese Tiere geschaffen hätte, steht im Text nichts. Das hängt möglicherweise<br />
damit zusammen, dass diese Tierwelt als eine feindliche Gegenwelt wahrgenommen wurde,<br />
welche zur Entstehungszeit des Textes eine feste Form hatte: Alle diese Tiere waren<br />
selbstverständlich dafür zuständig, zusammen mit Dämonen die menschenleeren Städte<br />
und Landstriche zu bewohnen. Diese Gegenwelt schien den damaligen Menschen vertraut<br />
zu sein. Dass <strong>bei</strong> einer Gegenwelt, welche als dämonisch empfunden wird, nicht explizit<br />
von einer Mitgeschöpflichkeit gesprochen wird, leuchtet ein.<br />
5. Fazit: Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungstexten<br />
5.1. Anthropozentrismus<br />
Die untersuchten Schöpfungstexte sind alle deutlich anthropozentrisch gestaltet. Das heisst<br />
in diesem Zusammenhang nicht, dass ausschliesslich der Mensch einen Eigenwert hat. Es<br />
35
esagt aber, dass eine Handlung, die um des Menschen willen unternommen wird, Vorrang<br />
vor einer ähnlichen Handlung hat, die um etwas anderes willen geschieht. 62<br />
Es geht also in den untersuchten Texten weder darum, Mensch und Tier auf eine Stufe zu<br />
stellen, noch ist es das Ziel der Texte, den Menschen als einzig wertvolles Wesen darzustellen.<br />
Vielmehr wird in diesen Texten die Position des Menschen an der Spitze der<br />
Schöpfung begründet. Ob das damit geschieht, dass er als Zielpunkt der Schöpfung geschaffen<br />
wird (Gen1), oder eben gerade umgekehrt, dass die Schöpfung für ihn geschieht<br />
(Gen2), spielt da<strong>bei</strong> eigentlich keine Rolle. Der entscheidende Punkt ist – so ganz besonders<br />
im Psalm 8 –die Begründung des menschlichen „Herr-Sein“ über die Schöpfung. Eine<br />
etwas andere Färbung hat allerdings der Hiob-Text: Hier wird dargestellt, dass Jhwh Herr<br />
über die Tierwelt ist, welche der Mensch als bedrohlich und chaotisch empfindet. Doch<br />
auch in diesem Text geht es letztlich darum, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu<br />
klären – und zwar auf den Menschen hin.<br />
In allen Texten spielt also das Herrschen über die Tierwelt die zentrale Rolle. Dieses wird<br />
in allen Texten so verstanden, dass der Mensch als ‚Abbild‘ Gottes versuchen muss, sich<br />
der ihm anvertrauten Natur gegenüber so zu verhalten, wie Jahwe selbst sich zum Menschen<br />
und zur Schöpfung verhält: Ja sagend, barmherzig, gerecht. Der Hiob-Text, welcher<br />
hier scheinbar etwas aus der Reihe fällt, macht genau diese Haltung deutlich: Jhwh kümmert<br />
sich selbst um die Tierwelt, die dem Menschen feindlich erscheint. Und Jhwh kümmert<br />
sich liebevoll, würdevoll und gerecht um diese Tiere, von denen der Mensch ein<br />
schlechtes Bild hat, vor denen er sich fürchtet. So, wie sich Jhwh auch um die ‚negativen‘<br />
Tiere kümmert, soll sich nun der Mensch um diejenigen Tiere kümmern, welche ihm als<br />
‚Nutztiere‘ zugedacht wurden. Dies steht so zwar nicht im Hiob-Text und auch nicht mit so<br />
explizitem Bezug zu Hiob in den übrigen drei untersuchten Texten. Doch es scheint, als ob<br />
man diese Texte gut aufeinander beziehen könnte, ist es doch genau diese Haltung Jhwhs<br />
der Tierwelt gegenüber, welche vom Menschen gefordert wird.<br />
Es ist folglich nicht die Intention der Texte, die Schöpfung zur blossen Lebensgrundlage<br />
des Menschen zu degradieren, sondern das <strong>Th</strong>ema ist vielmehr, das Leben als etwas ‚Heiliges‘<br />
zu verstehen, dem achtungs- und würdevoll zu begegnen ist. Mit TEUTSCH möchte<br />
ich sagen, dass die untersuchten Texte dem Menschen eine „Scheu vor dem rein nutzenden<br />
Gebrauch“ 63 der Tierwelt nahelegen.<br />
62 Vgl. RÖCKLINSBERG, S. 85.<br />
63 TEUTSCH in RÖHRIG, S. 121.<br />
36
5.2. Hierarchie und Machtmissbrauch<br />
Dass es in der Geschichte des Menschen mit den Tieren nicht <strong>bei</strong> dieser „Scheu vor dem<br />
rein nutzenden Gebrauch“ geblieben ist, macht uns – als ein Beispiel unter vielen möglichen<br />
– die Nachricht aus jüngster Zeit bewusst, welche zum Inhalt hatte, dass es momentan<br />
zu wenig Rhesusaffen gäbe, welche für die Versuchstierforschung gebraucht werden könnten.<br />
Die Forschung stehe vor einem grossen Problem, sehe sie doch ihren Fortschritt dadurch<br />
massiv gefährdet. Hört man solche Meldungen, fragt man sich: Was wurde aus der<br />
alttestamentlichen Achtung des Menschen gegenüber dem Tier?<br />
Der Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 lässt einen solch missbräuchlichen Umgang des Menschen<br />
mit dem Tier nicht zu. Es ist da zwar von ‚unterwerfen‘ und ‚herrschen‘ die Rede.<br />
Doch dass daraus ein derartiger Machtmissbrauch entstehen muss, wie er sich in der Geschichte<br />
zeigte und zeigt, kann nicht mit diesen Texten begründet werden. Dass in den<br />
Schöpfungsberichten eine klare Hierarchie vorgestellt wird, heisst nicht, dass diese Hierarchie<br />
zwangsläufig in einen Machtmissbrauch münden muss.<br />
Meines Erachtens ist es jedoch nicht im Sinn dieser Texte, sie ausschliesslich auf ihr<br />
Mensch-Tier-Verhältnis hin zu lesen. Auch ist es wohl nicht im Sinn dieser Texte, sie in<br />
einem übersteigert anthropozentrischen Sinn zu sehen. Vielmehr geht es hier wohl darum,<br />
die menschliche Abhängigkeit von Gott zu erkennen. Ohne diese Erkenntnis gerät der<br />
Mensch leicht in Selbstgefälligkeit und strebt in einem ungesunden Mass nach Unabhängigkeit.<br />
Das heisst aber nicht, dass die eigenen Fähigkeiten nicht geschätzt werden sollten,<br />
sondern im Gegenteil geht es in dieser theozentrischen Lebenshaltung darum, die geschenkten<br />
Fähigkeiten und Möglichkeiten für Gott und mit Gott vor Augen zu gebrau-<br />
chen. 64<br />
In diesem Zusammenhang müssen denn wohl auch die Herrschaftsaufträge und die Segnungen<br />
der <strong>bei</strong>den Schöpfungsberichte in Gen 1 und Gen 2 gelesen werden: Gott gibt dem<br />
Menschen die Fähigkeit, über die feindliche Tierwelt zu herrschen. Doch dies geschieht in<br />
einer Form, in der sich der Mensch bewusst sein muss, dass er in einem grösseren Ganzen<br />
eingebettet ist. Es geschieht in einer Form, die klar theozentrisch ist: Der Mensch hat von<br />
Gott einen Auftrag bekommen, den es auszuführen gilt.<br />
5.3. Mitgeschöpflichkeit<br />
Ist heute von Mitgeschöpflichkeit die Rede, so ist damit oft die Vorstellung verbunden, die<br />
Tiere würden als ‚Mitbrüder und Mitschwestern‘ gesehen und der Mensch müsse sein<br />
37
Herrschersein über die Tierwelt, bzw. seine Gottebenbildlichkeit, aufgeben und sich mit<br />
den Tieren auf ein und dieselbe Stufe stellen.<br />
Die untersuchten Texte legen eine Vorstellung der Tiere als ‚Mitbrüder und Mitschwestern‘<br />
nicht nahe. Es ist in diesen Texten auch nicht zu erkennen, dass der Mensch seine<br />
Herrschaftsposition über die Tiere aufgeben sollte. Vielmehr wird hier das Herrschen des<br />
Menschen über die Tiere begründet und definiert. So wird mit dem Konzept der Mitgeschöpflichkeit<br />
der verantwortungsbewusste Umgang mit dieser Macht begründet. 65<br />
Missbraucht der Mensch die Schöpfung Jhwhs, stellt er sich gegen die Grossartigkeit<br />
Jhwhs selbst. Der Mensch kann also – ist er sich dessen bewusst, dass die Tiere Teil der<br />
Schöpfung Gottes sind – gar nicht anders, als dieser Schöpfung mit Achtung zu begegnen.<br />
Und dies nicht primär um der Schöpfung, sondern um des Schöpfers willen.<br />
5.4. Statthalterschaft als gemeinsame Aussage der untersuchten Texte<br />
Die untersuchten Texte weisen alle auf ihre Art das <strong>Th</strong>ema der Statthalterschaft auf. Der<br />
Mensch hat den Auftrag, Gott auf der Erde zu vertreten, bzw. seine Herrschaft stellvertretend<br />
auszuüben. Diese Überlegung wird in unterschiedlichen Formen durchgedacht:<br />
In Gen 1 wird durch den Herrschaftsauftrag, der sehr deutlich mit dem Segen Gottes gekoppelt<br />
ist, gezeigt, dass der Mensch als Zielpunkt der Schöpfung zugleich auch die Vertretung<br />
Gottes auf der Erde übernehmen soll.<br />
In Gen 2 zeigen sowohl Herrschaftsauftrag als auch Namensgebung die Vorstellung, dass<br />
der Mensch Gott vertreten soll. Da<strong>bei</strong> ist es keineswegs so, dass der Mensch an die Stelle<br />
Gottes treten soll und Allmachtsgefühle entwickeln soll. Es geht dagegen vielmehr darum,<br />
dass der Mensch mit seinen Fähigkeiten dafür eingesetzt wird, Gottes Idee in der Welt zu<br />
vertreten. Im Bezug auf den Herrschaftsauftrag ist das einleuchtend. Im Bezug auf die<br />
Namensgebung ist es möglicherweise nicht so eindeutig. Doch kann der Akt der Namensgebung<br />
m.E. als abgeschwächte Form des Schöpfungsaktes selbst gesehen werden. D.h.<br />
der Mensch hat nicht die Macht und alle Möglichkeiten, welche Gott besitzt, doch hat er<br />
im kleineren Ausmass die Möglichkeit, Gott ähnlich dessen Taten fortzusetzen.<br />
64<br />
Vgl. RÖCKLINSBERG, S. 358.<br />
65<br />
Richtet man den Blick über die besprochenen Texte hinaus, so sieht man <strong>bei</strong>spielsweise in Gen 9, dass<br />
Gott die Tiere in seinen Bund aufnimmt, den er mit den Menschen und der ganzen Schöpfung schliesst. Daraus<br />
aber eine Degradierung des menschlichen Herrscherseins ableiten zu wollen, ist m.E. nicht im Sinn dieser<br />
Texte.<br />
38
In Ps 8 kommt die Vorstellung der Statthalterschaft sehr deutlich zum Tragen: Der Mensch<br />
wurde nach diesem Text nur wenig geringer gemacht als Gott selber 66 und zwar in der Absicht,<br />
über die Welt zu herrschen.<br />
In Hi 38f kommt das Konzept der Statthalterschaft nur sehr versteckt zum Vorschein: In<br />
der vorliegenden Gottesrede wird betont, dass Gott der Herrscher über die Tiere ist, welche<br />
der Mensch domestizieren kann. Es werden aber in diesem Zusammenhang nur diejenigen<br />
Tiere aufgezählt, welche für den Menschen wirklich bedrohlich wirken. Die Haustiere,<br />
über welche der Mensch ohnehin ‚herrschen‘ kann, wird nichts gesagt. Es könnte also der<br />
Schluss gezogen werden, dass in diesem Text die liebevolle Fürsorge Gottes für die Tiere<br />
im Vordergrund steht. Der Mensch, der über einen Teil der Tierwelt die Statthalterschaft<br />
Gottes übernommen hat, kann an dieser Gottesrede zweierlei sehen: Einerseits wird ihm<br />
bewusst gemacht, dass er nur über einen Teil der Tierwelt herrschen kann, dass aber der<br />
andere Teil, der, welcher ihm so bedrohlich scheint, von Gott selbst beherrscht und gelenkt<br />
wird. Andererseits wird dem Menschen auch bewusst gemacht, wie er über den Teil der<br />
Tierwelt ‚herrschen‘ soll, über den er Gewalt hat: Nämlich ebenso fürsorglich und aufmerksam.<br />
5.5. Schlussbemerkung<br />
Es kann also formuliert werden, dass in den untersuchten Schöpfungstexten einerseits die<br />
Geschöpflichkeit von Mensch und Tier im Vordergrund steht, andererseits aber auch die<br />
Statthalterschaft des Menschen betont wird. Diese Vertretung Gottes, welche der Mensch<br />
zu übernehmen aufgetragen bekam, ist geprägt von Verantwortung, liebevoller Fürsorge<br />
und klarem Ordnungsdenken. Angesichts der heutigen tier- und umweltschützerischen<br />
Probleme scheint diese liebevolle Fürsorge in weite Ferne gerückt: In unzumutbar kleinen<br />
Delphinarien, in Listen der ausgestorbenen Tierarten, in der Zerstörung von natürlichen<br />
Lebensräumen wilder Tiere findet man den verantwortungsvollen Umgang nicht wieder.<br />
Mit STARKLOFF kann ich sagen: „Ich empfinde es als Blasphemie, wenn in Gottesdiensten<br />
und anderswo Gottes gute Schöpfung gepriesen wird und weiterhin Tiere zu lebenden<br />
Fleischbergen und Messinstrumenten degradiert werden dürfen. Wo bleibt der einhellige<br />
und scharfe Protest der traditionellen Kirchen und ihrer Gemeinden gegen die erbarmungs-<br />
66<br />
Je nach Übersetzung wurde er auch wenig geringer gemacht als die göttlichen Wesen/Engel. Dazu s.o.<br />
B.3.2.1. ~yhil{a/me j[;M, S. 27f.<br />
39
lose Haltung der Tiere in modernen Agrarfabriken, gegen Horrorszenen des Mästens und<br />
Schlachtens, gegen den Frevel der Tierversuche?“ 67<br />
C. Das Tier in den Gesetzestexten<br />
1. Sabbatgebot Dtn 5,12-15<br />
1.1. Text und Übersetzung<br />
db,[,-yKi T'r>k;z"w> 5,15<br />
hw"hy> ^a]ciYOw: ~yIr;c.mi #r,a,B. t'yyIh'<br />
hy"Wjn> [;roz>biW hq'z"x] dy"B. ~V'mi<br />
^yh,l{a/<br />
tAf[]l; ^yh,l{a/ hw"hy> ^W>ci !Ke-l[;<br />
`tB'V;h; ~Ay-ta,<br />
~Ay-ta, rAmv' 5,12<br />
hw"hy> ^W>ci rv,a]K; AvD>q;l. tB'V;h;<br />
`^yh,l{a/<br />
dbo[]T; ~ymiy" tv,ve 5,13<br />
`^T,k.al;m.-lK' t'yfi['w><br />
tB'v; y[iybiV.h; ~Ayw> 5,14<br />
hk'al'm.-lk' hf,[]t; al{ ^yh,l{a/ hw"hyl;<br />
^r>Avw> ^t,m'a]w:-^D>b.[;w> ^T,biW-<br />
^n>biW hT'a;<br />
rv,a] ^r>gEw> ^T,m.h,B.-lk'w> ^r>mox]w:<br />
^t.m'a]w: ^D>b.[; x;Wny" ![;m;l. ^yr,['v.Bi<br />
`^AmK'<br />
5,12 Beachte den Sabbattag, um ihn heilig zu halten, so wie Jhwh, dein Gott, es dir<br />
geboten hat!<br />
67 STARKLOFF in RÖHRIG, S. 56.<br />
40
5,13 Sechs Tage sollst du ar<strong>bei</strong>ten und alle deine Werke tun;<br />
5,14 aber der siebte Tag ist Sabbat für Jhwh, deinen Gott. (Da) sollst du keinerlei <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />
tun, du und dein Sohn und deine Tochter und dein Knecht und deine Magd und<br />
dein Rind und dein Esel und all dein Vieh und der Fremde, der <strong>bei</strong> dir, innerhalb deiner<br />
Tore ist. Dein Knecht und deine Magd sollen ruhen wie du.<br />
5,15 Und denke daran, daß du Sklave warst im Land Ägypten und daß Jhwh, dein<br />
Gott, dich von dort mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm herausgeführt hat!<br />
Darum hat Jhwh, dein Gott, dir geboten, den Sabbat zu halten.<br />
1.2. Vorbemerkung: Deuteronomium und Exodus<br />
Ich beschränke mich in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> auf die Berücksichtigung der dtn Fassung dieses Textes.<br />
Die Fassung wie sie in Ex zu finden ist, weicht zwar von dieser Fassung ein wenig ab,<br />
doch die Unterschiede erachte ich für die Beantwortung meiner Fragestellung für nicht<br />
relevant. Ich habe mich für die dtn Fassung entschieden, weil dort die konkrete Aufzählung<br />
der Tiere, also Rind, Esel und Vieh, zu finden ist. 68<br />
1.3. Fragen an den Text<br />
1.3.1. Rind, Esel, Vieh<br />
Unter Rind, Esel und Vieh ist das übliche Nutztier zu verstehen. Das Rind ermöglicht die<br />
Ackerbau-Kultur, der Esel gilt als wichtigstes Lasttier und Verkehrsmittel und das Vieh,<br />
was wohl die Kollektivbezeichnung für Schafe und Ziegen sein dürfte, war Hauptlieferant<br />
der Grundnahrungsmittel Milch und Käse. Schafe wie Ziegen wurden auch wegen ihrer<br />
Wolle gehalten. 69 Wichtig ist hier zusammenfassend zu konstatieren, dass es sich in diesem<br />
Text nicht um wilde, bedrohliche Tiere, sondern um die bekannten Nutz- und Haustiere<br />
handelt.<br />
1.3.2. Begründung des Gebots<br />
Das Sabbatgebot, wie es im Dtn zu finden ist, wird mit dem Andenken an die Herausführung<br />
Israels aus Ägypten begründet. Der Mensch soll an diesem Tag seine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> niederlegen,<br />
damit er sich bewusst an den Auszug aus der Knechtschaft unter Gottes Führung erinnern<br />
kann. Auch soll durch die Niederlegung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> symbolisch gezeigt werden, dass<br />
die Israeliten nicht mehr in der Sklaverei leben, sondern ein freies Volk sind und somit<br />
auch die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> selbst einteilen können. Aus welchem Grund die Haus- und Nutztiere an<br />
diesem Tag aber ruhen sollen, wird nicht gesagt. Sie werden ganz selbstverständlich in<br />
68 In der Exodus-Fassung ist diese Aufzählung erst einige Verse später zu finden.<br />
69 Vgl. CANSDALE/SCHÜTZ-SCHUFFERT, S. 1556ff.<br />
41
dieses Gebot miteinbezogen. Welche Überlegungen und welches Tierbild dahinter stehen,<br />
bleibt aber offen.<br />
1.4. Mensch-Tier-Beziehung im Sabbatgebot nach Dtn<br />
An den Menschen ergeht das Gebot, am Sabbat zu ruhen. Auch soll er dafür sorgen, dass<br />
sein Vieh an diesem Tag nicht zur <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> eingesetzt wird. Bei diesem Miteinbeziehen des<br />
Viehs in die Sabbatruhe müssen wohl vier verschiedene Komponenten berücksichtigt werden.<br />
Diese vier Gesichtspunkte, nämlich die landwirtschaftliche Erfahrung, das Ruhen des<br />
Menschen, die Identifikation mit dem ‚Haus‘ und das Miteinbeziehen der Tiere in die Gesellschaft,<br />
werde ich im Folgenden kurz aufzeigen.<br />
1.4.1. Landwirtschaftliche Erfahrung<br />
Die Erfahrung der Menschen dürfte schon zur Abfassungszeit dieses Textes gezeigt haben,<br />
dass das Vieh dann am leistungsfähigsten ist, wenn es regelmässig ruhen kann. So, wie ein<br />
Acker eine Brachzeit haben sollte, ist es auch mit dem Vieh zu halten. Da ist keine Vermenschlichung<br />
oder Empathie zu entdecken, sondern schlicht die landwirtschaftliche<br />
Kenntnis. Es geht in diesem Text nicht um Tierschutz, sondern um die Leistungssicherung<br />
der Tiere. Der Text lässt keine emotionale Bindung zu den erwähnten Tieren erkennen: Sie<br />
werden nicht verniedlicht und nicht vermenschlicht, sondern als das, was sie sind, nämlich<br />
als Last- und Nutztiere in das Gebot des Sabbats mit einbezogen.<br />
1.4.2. Das Ruhen des Menschen<br />
Auch muss beachtet werden, dass möglicherweise das Vieh nicht um seiner selbst willen<br />
ruhen soll, sondern aus dem einfachen Tatbestand, weil der Mensch ruhen muss und also<br />
<strong>bei</strong>spielsweise auch keinen Esel mit Lasten beladen sollte. Diese Überlegung scheint mir<br />
auch nach Betrachtung des näheren Kontextes der Textpassage nicht einfach so negiert<br />
werden zu können. Ist doch der Text, aus welchem diese Verse stammen, der Dekalog,<br />
deutlich anthropozentrisch gestaltet. Auch innerhalb der Textpassage ist nicht viel von einem<br />
Miteinbeziehen der ganzen Schöpfung zu spüren: Diejenigen Menschen, von denen<br />
auch gesagt wird, dass sie sich an die Sabbatruhe halten sollen, können ebenso gut wie die<br />
Tiere unter dem Aspekt gesehen werden, dass sie dem Hausherren keine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> machen<br />
sollen: Kinder und Bedienstete müssen zur <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> angeleitet werden. Auch der Fremde, der<br />
mitar<strong>bei</strong>ten soll, braucht Aufwand, damit er ar<strong>bei</strong>ten kann. Möglicherweise ist also, neben<br />
dem landwirtschaftlichen Aspekt, die Sicherstellung des menschlichen Ruhens genauso<br />
42
wichtig für diese Passage, welche ein Bewusstsein des Menschen für die Bedürfnisse der<br />
Tiere zu zeigen scheint.<br />
1.4.3. Identifikation mit dem ‚Haus‘<br />
Ein dritter Aspekt darf <strong>bei</strong> alldem aber nicht ausser Acht gelassen werden: Die Identifikation<br />
des Hausherren mit seinem ‚Haus‘, also seiner Familie, seinen Mitar<strong>bei</strong>terinnen und<br />
Mitar<strong>bei</strong>tern und auch seinem Vieh, dürfte zur damaligen Zeit sehr gross gewesen sein.<br />
Zur <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>s- und Lebensgemeinschaft gehören die Tiere als Last- und Nutzvieh selbstverständlich<br />
dazu. Trotz dieser Selbstverständlichkeit ist aber klar zu sehen, dass das Vieh<br />
nicht personalisiert wird. Es scheint vielmehr um die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft des Viehs zu gehen, das<br />
so selbstverständlich wie die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft der Magd zum ‚Haus‘ dazugehört.<br />
1.4.4. Der Miteinbezug des Tieres in die Gesellschaft<br />
Die drei obengenannten Aspekte zeigen alle eine recht handfeste Lesart. Man könnte jedoch<br />
noch einen Schritt weitergehen und danach fragen, was denn – abgesehen von der<br />
Identifikation mit dem ‚Haus‘, mit der ‚Familie‘, – das Tier in der Gesellschaft für eine<br />
Rolle spielt, dass es in dieses Gebot so deutlich aufgenommen wird.<br />
Auch für das Tier gilt die Begründung des Gedenkens an den Auszug aus der Sklaverei.<br />
Ganz selbstverständlich wird das Tier also in die Erfahrung des Volkes miteinbezogen.<br />
Interessant an diesem Punkt ist m.E. die Beobachtung, dass das Tier zwar nicht vermenschlicht<br />
oder personalisiert wird, aber dennoch in der Gesellschaft seinen Platz einnimmt.<br />
1.5. Fazit<br />
Ob das Tier tatsächlich einen so sicheren Platz in der Gesellschaft inne hatte, ob es nur in<br />
der Familie eine Rolle spielte, ob es nur um den Menschen ging, der die <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht verrichten<br />
sollte, das Tier am Ruhetag zu beschäftigen oder ob das Tier aus Gründen der<br />
landwirtschaftlichen Effizienz einen Tag pro Woche ruhen musste – es wurde, aus welchen<br />
konkreten Gründen auch immer, miteinbezogen in den Gedenktag der Befreiung Israels.<br />
Im Prinzip spielt der Grund keine Rolle. Wichtig ist, dass das Vieh miteinbezogen wird. Es<br />
ist aber auch relevant zu betonen, dass zum Tier, wie es in diesem Text erwähnt wird, keine<br />
persönliche Beziehung aufgebaut wird. Es geht nicht darum, das Tier als Familienmitglied,<br />
zu dem eine emotionale Bindung aufgebaut werden soll, zu erkennen, sondern vielmehr<br />
darum, das Tier als <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft und möglicherweise auch als Lieferanten von Milch<br />
43
und Wolle zu schätzen und als anvertrautes Gut würdig zu behandeln und in die eigene<br />
Lebenserfahrung mit einzubeziehen.<br />
2. Schächten Dtn 12,23.25; Gen 9,4f; Lev 17,11.14<br />
2.1. Texte und Übersetzungen<br />
2.1.1. Dtn 12,21.23-25<br />
WNl,k.aTo al{ 12,24<br />
qx;r>yI-yKi 12,21<br />
`~yIM'K; WNk,P.v.Ti #r,a'h'-l[; hw"hy> rx;b.yI rv,a] ~AqM'h; ^M.mi<br />
![;m;l. WNl,k.aTo al{ 12,25 T'x.b;z"w> ~v' Amv. ~Wfl' ^yh,l{a/<br />
hf,[]t;-yKi ^yr,x]a; ^yn ^tiyWIci rv,a]K; ^l. hw"hy><br />
`^v,p.n: tW:a; lkoB. ^yr,['v.Bi<br />
...<br />
qz:x] qr12,23<br />
~D'h; yKi ~D'h; lkoa] yTil.bil.<br />
vp,N vp,N"h; aWh<br />
`rf'B'h;-~[i<br />
12,21Wenn der Platz dir zu fern ist, der Jhwh, dein Gott, gewählt hat, um dort seinen<br />
Namen niederzulegen, dann sollst du von deinen Rindern und von deinen Schafen, die<br />
Jhwh dir gegeben hat, töten, so wie ich dich geheissen habe, und du sollst (davon) essen<br />
innerhalb von deinen Toren nach Herzenslust.<br />
...<br />
12,23 Nur halte (dich) daran, kein Blut zu essen! Denn das Blut ist die Seele und du<br />
sollst nicht mit dem Fleisch die Seele essen!<br />
12,24 Du sollst es nicht essen, sondern auf die Erde sollst du es giessen wie Wasser.<br />
12,25 Du sollst es nicht essen, damit es dir und deinen Kindern nach dir gut geht, weil<br />
du tust, was in den Augen Jhwhs richtig ist.<br />
2.1.2. Lev 17,11.14<br />
aWh ~D'h;-yKi ~k,ytevop.n:-l[; rPek;l.<br />
x;Bez>Mih;-l[; ~k,l' wyTit;n> ynIa]w: awhi ~D'B; rf'B'h; vp,n< yKi 17,11<br />
`rPek;y> vp,N
f'B'-lK' vp,n< yKi Wlkeato al{ rf'B'-lK'<br />
`treK'yI wyl'k.ao-lK' awhi AmD'<br />
17,11 Denn die Seele des Fleisches ist sein Blut und ich habe es euch gegeben für den<br />
Altar damit ihr entsühnt werdet. Denn das Blut sühnt für eine Seele.<br />
17,14 Denn die Seele alles Fleisches ist in seinem Blut und ich habe den Israeliten gesagt:<br />
ihr dürft das Blut keinerlei Fleisches essen, denn die Seele allen Fleisches ist sein<br />
Blut. Alle, die es essen, sollen ausgerottet werden.<br />
2.1.3. Gen 9,4<br />
9,4 Nur Fleisch mit seiner Seele, seinem Blut, dürft ihr nicht essen!<br />
2.2. Fragen an die Texte<br />
`Wlkeato al{ Amd' Avp.n:B. rf'B'-%a; 9,4<br />
2.2.1.^tiyWIci rv,a]K; Dtn 12,21, ‚wie ich dich geheissen habe’<br />
Interessant ist die kleine Bemerkung ‚wie ich dich geheissen habe‘ deswegen, weil die<br />
Stelle, auf welche Jhwh verweist, in den alttestamentlichen Texten nicht zu finden ist. Die<br />
Schlachtanweisungen, welche Jhwh den Menschen bereits gegeben haben soll, können<br />
nirgends eingesehen werden. Dies weist darauf hin, dass die Tradition der Schlachtung<br />
durch Ausbluten älter als die vorliegende Schicht des Dtn ist. Es weist darauf hin, dass eine<br />
mündliche Tradition bestanden haben muss, welche bereits klare Weisungen zum<br />
Schlachtvorgang <strong>bei</strong>nhaltet. Diese mündliche Tradition ist jedoch nicht erhalten.<br />
2.2.2. vpn 70 , ‚Schlund, Rachen, Kehe, Leben’<br />
Die konkrete Grundbedeutung des Wortes ist ‚Schlund, Rachen, Kehle’. Damit wird ei-<br />
gentlich nur das Sättigungs- und Atemorgan beschrieben. vpn kann jedoch auch in der<br />
Bedeutung von ‚Leben’ vorkommen, wo<strong>bei</strong> es nicht das allgemeine ‚Leben‘, sondern viel<br />
eher die Individuation von Leben – also das faktische Auftreten von ‚Leben‘ – bezeichnet.<br />
So beschreibt vpn nicht die Seele sondern die Seelenkraft als die Ermöglichung der Personalität.<br />
70 Vgl. SEEBASS in <strong>Th</strong>wAT, Bd V, Sp. 531ff; s.u. vpn ‚Schlund, Rachen, Kehe, Leben’, S. 61.<br />
45
2.2.3. Blut als Sitz der Seele, Sitz des Lebens<br />
Was in allen drei Texten so selbstverständlich als Grund angegeben wird, nämlich dass die<br />
Seele eines Lebewesens in seinem Blut ist, scheint zur Entstehungszeit des Textes allgemein<br />
bekannt und anerkannt gewesen zu sein. Es wird in den biblischen Texten nirgends<br />
erklärt, wie man auf diese Idee kommt – es ist eine Realität, welche gar nicht hinterfragt<br />
wird. Aus diesem Grund möchte ich nun nachfragen, ob der Brauch von Blutopferungen<br />
auch ausserhalb des Volkes Israel üblich war, ob die Israeliten diesen Brauch evtl. von<br />
einem Nachbarvolk übernommen haben oder ob die Vorstellung, dass das Blut der Sitz des<br />
Lebens sei, ausschliesslich israelitisch ist.<br />
2.2.4. Blut und Seele in der Umwelt Israels<br />
Wie HARTINGER ausführt 71 , war der Opferkult mit Blutopfer zahlreichen Völkern schon<br />
lange vor der mosaischen Religion bekannt. So sollen die Altperser, die Meder, die Ägypter,<br />
Stämme im asiatischen Raum und Völker mit indogermanischer Sprache die Vorstellung,<br />
dass das Blut eines Opfertieres etwas ganz besonderes ist, gekannt haben. 72 Immer<br />
war das Motiv für die Schächt 73 -Massnahmen das erforderliche Auffangen des Blutes, um<br />
es den Göttern opfern bzw. es den Göttern zurückzugeben. Es ist nicht wahrscheinlich,<br />
dass als Begründung hygienische Gründe gedacht wurden; d.h. dass aus Angst vor Krankheiten,<br />
welche durch das Essen von Blut übertragen werden können, auf den Verzehr desselbigen<br />
verzichtet wurde. Viel wichtiger scheint tatsächlich die Überlegung, dass das Blut<br />
die Seele beherbergt. Dass schon sehr früh und an geographisch unterschiedlichen Orten<br />
diese Tradition bekannt war, zeigt, dass dies keine Erfindung der Autoren altestamentlicher<br />
Texte ist. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Vorstellung, das Blut sei der Sitz des<br />
Lebens, vielerorts eine urmenschliche Idee ist. Folglich kann die Begründung für das<br />
Schächt-Gebot nicht in der Abgrenzung gegenüber der Nachbarvölker Israels gesucht werden.<br />
71<br />
Vgl. HARTINGER, S. 21.<br />
72<br />
ANDELSHAUSER geht hingegen von einer gemeinsemitischen Vorstellung aus, wenn vom Blut als Sitz des<br />
Lebens die Rede ist.<br />
73<br />
Unter ‚Schächten’ versteht man das Schlachten eines gesunden und aus religiöser Sicht ‚reinen’ Tieres<br />
mittels eines direkten, ununterbrochenen Halsschnittes durch Luft- und Speiseröhre und die zwei Halsschlagadern.<br />
Durch das Ausbluten des Tieres wird der Tod desselben her<strong>bei</strong>geführt und dem biblischen Verbot des<br />
Genusses von Blut nachgelebt.<br />
46
2.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />
2.3.1. Die Selbstverständlichkeit, dass Tiere eine Seele haben<br />
Vergleicht man Gen 9,4 mit der Konzeption, die DESCARTES im 17. Jh. n. Chr. vom Tier<br />
gemacht hat 74 und welche bis heute die Mensch-Tier-Beziehung in unserer Gesellschaft<br />
prägt, so fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit welcher im biblischen Text über die Seele<br />
der Tiere geschrieben wird. Auch wenn in Gen 2 nicht beschrieben wird, dass Gott dem<br />
Tier Lebensodem einhaucht, so gilt das Tier trotzdem als lebendes Wesen (Gen 2,19)<br />
gleichsam als Partner. 75 Aufgrund dieser Tatsache muss der Mensch respektvoll mit dem<br />
Tier umgehen.<br />
2.3.2. Fleischkonsum<br />
Es fällt auf, dass in Gen 1 so ausdrücklich darauf hingewiesen wird, der Mensch werde<br />
sich vegetarisch ernähren, hier aber – im deutlichen Gegensatz dazu – über die Schlachtmethode<br />
geschrieben wird. In Gen 9, also nach der Sintflut, wird dem Menschen von Gott<br />
alles, was sich regt und lebt, wie auch das grüne Kraut zur Speise gegeben. Das Fleisch,<br />
welches dem Menschen zur Nahrung gegeben wird, wird jedoch in der gleichen Passage<br />
noch (Gen 9,4) mit der Einschränkung versehen, dass es ohne Blut gegessen werden muss.<br />
Eine Begründung für die unterschiedlichen Positionen zum Vegetarismus ist – besonders,<br />
wenn man mit ELLINGER davon ausgeht, dass sowohl Gen 1 als auch Gen 9 zum priesterschriftlichen<br />
Textbestand gehören – schwierig zu finden. 76<br />
2.3.3. Rettung von Leben<br />
In der modernen Literatur zum <strong>Th</strong>ema „Schächten“ sind die Unterschiede in der Beurteilung<br />
dieser Schlachtmethode riesig. Während nämlich die Schächtgegner auf den tierschützerischen<br />
Aspekt pochen und das Schächten als brutale Tierquälerei sehen, stellen<br />
sich manche jüdischen Autoren klar hinter diese Schlachtmethode. Dies aus unterschiedlichen<br />
Gründen: Einerseits wird damit argumentiert, das Schächten selbst sei nicht weniger<br />
qualvoll als andere Schlachtmethoden, da nämlich das Tier durch den schnellen Blutdruckabfall<br />
im Hirn innerhalb von wenigen Augenblicken bewusstlos werde, könne es keine<br />
Schmerzen mehr empfinden. Andererseits aber scheint immer auch die Vorstellung der<br />
Rettung von Leben eine Rolle zu spielen: Dadurch dass das Blut, also das Leben dieses<br />
Tieres, unangetastet bleibt, wird nur das ‚Material’, nicht aber das Lebewesen selbst getö-<br />
74 Vgl. DESCARTES in GÄBE, S. 91ff.<br />
75 S.o. B.2.2.3., 2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’, S. 20; B.2.3.4., Leben einhauchen, S. 22.<br />
47
tet und gegessen. Ein weiterer Punkt, der eine Rolle zu spielen scheint, ist der, dass der<br />
Schöpfer jedem Menschen das ihm zustehende Mass an Lebenskraft zugemessen hat. Es ist<br />
darum nicht nur wirkungslos, eigenmächtig die Energie einer anderen Kreatur in sich aufzunehmen,<br />
sondern stellte eine Anmassung und Verfehlung gegenüber Gott, dem Schöpfer,<br />
dar. 77<br />
2.3.4. Respekt vor dem Tier<br />
So sehr das Schächten an sich als Tierquälerei gesehen werden kann, in der biblischen Urintention<br />
hat das Schächten viel mit Respekt zu tun. Es geht nicht darum, die Tiere zu quälen<br />
und lange leiden zu lassen, sondern im Gegenteil, die Achtung vor dem Leben zu bewahren.<br />
Die Texte selbst äussern sich nur sehr spärlich zur Begründung und zur genaueren Ausführung<br />
dieser Schlachtmethode. Trotzdem denke ich, nicht falsch zu liegen, wenn ich das<br />
Schächten mit den Stichworten Respekt und Achtung vor dem Leben zusammenbringe. Ist<br />
das <strong>Th</strong>ema der Schächtfrage doch die Seele des Tieres nicht zu essen, sondern sich nur des<br />
leb- und seelenlosen Fleisches zu bemächtigen. „Man wird angesichts der gegenwärtigen<br />
Wirklichkeit gar nicht unterschätzen können, in wie hohem Masse hier vpn, Leben, ausschliesslich<br />
in Gottes Hand gehört, so dass sogar die Tiertötung die Respektierung der<br />
Gottzugehörigkeit des Lebens enthalten muss.“ 78<br />
2.4. Fazit<br />
Mit dem Verbot, das Blut – und damit die Seele, bzw. das Leben – der Tiere nicht essen zu<br />
dürfen, wird dem Bewusstsein Ausdruck verliehen, dass Tiere zu respektierende und zu<br />
achtende Wesen sind. Der Mensch macht sich auf diese Weise bewusst, dass er nicht über<br />
das Leben eines Tieres verfügen kann, sondern dass nur Gott über dieses Leben bestimmt.<br />
Indem der Mensch also das Tier, bevor er es isst, von seinem Blut und damit auch von<br />
dem, was sein Leben ausmacht ‚befreit‘, nimmt er nur das Material ein. Das individuelle<br />
Leben des Tieres aber bleibt trotz der Schlachtung und dem Fleischverzehr für den Menschen<br />
unantastbar. Obwohl das Tier <strong>bei</strong> der Schlachtung stirbt, ist der wichtigere Aspekt<br />
der, dass das, was dieses Tier zum lebenden Wesen macht, nicht angetastet wird.<br />
Auch wenn <strong>bei</strong> der aktuellen Diskussion um das <strong>Th</strong>ema Schächten immer wieder das<br />
Stichwort Tierquälerei gefallen ist, so ist <strong>bei</strong> diesen biblischen Texten trotz ihrer Kürze<br />
76 Vgl. ZENGER, S. 149.<br />
77 Vgl. ANDELSHAUSER, S. 35.<br />
48
davon auszugehen, dass das Ziel keineswegs <strong>bei</strong> der Quälerei, sondern vielmehr <strong>bei</strong> der<br />
Erhaltung der Würde ist. 79 Tiere sind keinesfalls nur Sachen, die einfach so geschlachtet<br />
werden können, sondern sie sind lebende Wesen, mit deren Tötung man angemessen umzugehen<br />
hat. Die Schlachtmethode des Schächtens ist eine Art, damit umzugehen.<br />
78<br />
SEEBASS in <strong>Th</strong>wAT, Bd V, Sp. 531ff.<br />
79<br />
In der heutigen Diskussion wird allerdings nicht das Ausbluten als solches, sondern die fehlende Betäubung<br />
zum eigentlichen Punkt des Gesprächs. Weil das Tier unverletzt sein muss, damit es den Speisevorschriften<br />
gemäss geschlachtet werden kann, darf es vor dem Schächtvorgang auf keine Weise betäubt werden.<br />
49
3. Reine/unreine Tiere Dtn 14,2-21a<br />
3.1. Text und Übersetzung<br />
`WlkeaTo tf,q,f.q;w> ryPin:s. Al-rv,a] 14,9<br />
tf,q,f.q;w> ryPin:s. Al-!yae rv,a] lkow><br />
`~k,l' aWh amej' Wlkeato al{ 14,10<br />
`WlkeaTo hr'hoj. rAPci-lK' 14,11<br />
rv,N 14,13<br />
`Anymil. Bre[o-lK' taew> 14,14<br />
sm'x.T;h;-ta,w> hn"[]Y:h; tB; taew> 14,15<br />
`WhnEymil. #NEh;-ta,w> @x;V'h;-ta,w><br />
`tm,v'n>Tih;w> @Wvn>Y:h;-ta,w> sAKh;-<br />
ta, 14,16<br />
`%l'V'h;-ta,w> hm'x'r'h'-ta,w> ta'Q'h;w><br />
tp;ykiWDh;w> Hn"ymil. hp'n"a]h'w>14,17<br />
hd'ysix]h;w><br />
`@Lej;[]h'w><br />
al{ ~k,l' aWh amej' @A[h' #r,v,<br />
lkow>14,18 14,19<br />
`Wlkea'yE<br />
`WlkeaTo rAhj' @A[-lK' 14,20<br />
rGEl; hl'ben>-lk' Wlk.ato al{ 14,21<br />
rkom' Aa Hl'k'a]w: hN"n hs'r>P; ts,r,p.m; hm'heB.-lk'w><br />
14,6<br />
hm'heB.B; hr'GE tl;[]m; tAsr'p. yTev. [s;v,<br />
`WlkeaTo Ht'ao<br />
hr'GEh; yle[]M;mi Wlk.ato al{ hz<br />
~yaimej. WsyrIp.hi al{ hs'r>p;W hM'he<br />
hr'gE<br />
`~k,l' ~he<br />
aWh hs'r>P; syrIp.m;-yKi ryzIx]h;-ta,w><br />
14,8<br />
al{ ~r'f'B.mi ~k,l' aWh amej' hr'gE al{w><br />
`W[G"ti al{ ~t'l'b.nIb.W Wlkeato<br />
lKo ~yIM'B; rv,a] lKomi Wlk.aTo hz
14,6 Ihr dürft alle Tiere essen, die gespaltene Klauen haben, und zwar ganz gespaltene<br />
Klauen, und die zu den Wiederkäuern gehören.<br />
14,7 Von denen aber dürft ihr nicht essen, die wiederkäuen oder gespaltene, ganz aufgespaltene<br />
Klauen haben: Kamel, Hase, Klippdachs. Sie sind (zwar) Wiederkäuer, ihre<br />
Klauen sind aber nicht gespalten. Sie sollen unrein sein für euch.<br />
14,8 Das Schwein, seine Klauen sind (zwar) gespalten, es ist aber kein Wiederkäuer –<br />
es soll unrein sein für euch. Von ihrem Fleisch dürft ihr nicht essen, und ihr Aas dürft<br />
ihr nicht berühren.<br />
14,9 Davon dürft ihr essen: von allem, was im Wasser lebt, alles, was Flossen und<br />
Schuppen hat, dürft ihr essen.<br />
14,10 Aber alles, was keine Flossen und keine Schuppen hat, dürft ihr nicht essen. Es<br />
soll unrein sein für euch.<br />
14,11 Alle reinen Vögel dürft ihr essen.<br />
14,12 Diese aber dürft ihr nicht essen: die Adler, die Schwarzgeier, die Bartgeier,<br />
14,13 die Weihe und die verschiedenen Falkenarten,<br />
14,14 alle Rabenarten,<br />
14,15 die Straussenhenne, die Kurzohreule, die Langohreule und die verschiedenen<br />
Habichtarten,<br />
14,16 den Kauz, den Uhu, die Weißeule,<br />
14,17 die Kleineule, Fischadler, Fischeule,<br />
14,18 den Storch und die verschiedenen Reiherarten, den Wiedehopf, die Fledermaus<br />
14,19 und alles fliegende Kleingetier: Sie sollen unrein für euch sein und dürfen nicht<br />
gegessen werden.<br />
14,20 Alle reinen geflügelten Tiere dürft ihr essen.<br />
14,21 Ihr dürft keinerlei Aas essen. Dem Fremden, der innerhalb deiner Tore wohnt,<br />
sollst du es zum essen überlassen oder es einem Ausländer verkaufen. Denn du bist<br />
ein Volk, das Jhwh, deinem Gott, heilig ist.<br />
3.2. Fragen an den Text<br />
3.2.1. Schwierig zu übersetzende Tiernamen<br />
Einige der aufgeführten Tierarten sind sehr schwierig zu übersetzen. So sind sich die Wörterbücher<br />
und Übersetzungen <strong>bei</strong>spielsweise nicht ganz einig, um welche Eulen-, Kauzoder<br />
Uhuart es sich jeweils handelt. Da es für die Fragestellung der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong><br />
m.E. keine Rolle spielt, welches Tier genau gemeint ist, habe ich die jeweils gängige Übersetzungsmöglichkeit<br />
gewählt.<br />
51
3.2.2. amej' 80 , ‚unrein’<br />
amej' bezeichnet die kultische Unreinheit. Warum etwas in die Kategorie ‚unrein’ eingeteilt<br />
wird, wird im AT nicht erklärt. Es fällt aber auf, dass Tiere, die in der Umwelt als heilige<br />
Tiere galten oder die im Kult der Nachbarvölker eine bestimmte Rolle spielten, in Israel<br />
als unrein galten. Ein anderer Grund für die Unreinheit kann aber <strong>bei</strong>spielsweise auch<br />
die Nahrung der betreffenden Tiere sein. 81 Ein unreines Tier darf weder geopfert noch<br />
gegessen werden, und es verunreinigt alle, die damit in Berührung kommen.<br />
3.2.3. hb'[eAT 82 , ‚Greuel’<br />
hb'[eAT, Greuel, bezeichnet innerhalb des AT etwas ethisch und kultisch zu Verabscheuendes,<br />
vor allem aber etwas, was nicht zu Jhwh passt. hb'[eAT beschreibt etwas, was dem<br />
Willen Jhwhs widerspricht und daher ein Tabu darstellt, was innerhalb des Ordnungsgefüges<br />
als etwas Abzutrennendes, Ungeordnetes und daher Bedrohendes gekennzeichnet wird.<br />
Israels ethisches und kultisches Verhalten war stark durch Abgrenzung gegen die Nachbarvölker<br />
bestimmt. In das AT haben viele solche Texte, welche die Abgrenzung Israels<br />
anzeigen, Eingang gefunden. 83 Im Dtn ist ein deutlicher Schwerpunkt der Verwendung des<br />
Nomens hb'[eAT, Greuel, auszumachen. Das Wort steht häufig innerhalb des eigentlichen<br />
Rechtscorpus und dort manchmal als Schlussformel bestimmter Forderungen und Bestimmungen.<br />
3.2.4. Zoologische Zuordnungen<br />
Der vorliegende Katalog von reinen und unreinen Tieren ordnet diese Tiere nach ihren<br />
Lebensräumen: Zuerst werden die Landtiere (V 4-8), dann die Wassertiere (V 9f) und zuletzt<br />
die Flugtiere (V 11-20) aufgezählt. Es werden da jeweils zunächst die reinen und dann<br />
die unreinen Tiere genannt. Die Landtiere werden geordnet in Paarhufer und Wiederkäuer,<br />
<strong>bei</strong> den Wassertieren sind die Kriterien der Einordnung die Flossen und Schuppen. Diese<br />
zoologische Zuordnungen zu machen, ist eigentlich sehr in neuzeitlichem Sinn, werden die<br />
Tiere doch heute genauso in Familien, Gattungen, Arten und Rassen eingeteilt. Wissenschaftliche<br />
Erforschung der Tierwelt steht der Bibel jedoch noch fern, hingegen sind die<br />
Einteilungen geprägt von liebevoller und sorgfältiger Tierbeobachtung. So fällt auf, dass<br />
80 Vgl. ANDRÉ in <strong>Th</strong>WAT, Bd. III, Sp. 351.<br />
81 S.u. C.3.2.3. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel, S.54.<br />
82 PREUSS in <strong>Th</strong>WAT, Bd VIII, Sp 580ff.<br />
83 Z.B. Dtn 12.<br />
52
vor dem Hintergrund des heutigen Wissensstandes diese Zuordnungen stellenweise fehlerhaft<br />
sind. 84<br />
Wie richtig oder falsch die zoologischen Zuordnungen auch sein mögen, man kann an diesem<br />
Versuch ablesen, dass das Bedürfnis danach, die chaotisch, vielleicht auch bedrohend<br />
wirkende Tierwelt irgendwie in den Griff zu bekommen. Daneben zeigen diese Einteilung<br />
in ‚reine‘ und ‚unreine‘ Tiere aber auch einen praktischen Grund an: Die Priesterschaft<br />
musste, um den Fleischverzehr des Volkes festlegen zu können, Kategorien erstellen.<br />
3.3. Grundsätzliches zum Text<br />
Es ist offensichtlich, dass die Unterscheidung in die Kategorien ‚rein’ und ‚unrein’ damals<br />
wie heute – allerdings mit unterschiedlichen Kriterien 85 – ein menschliches Bedürfnis zu<br />
sein scheint. Ich denke da <strong>bei</strong>spielsweise an die Reaktion vieler Menschen, wenn sie eine<br />
Spinne oder eine Schlange sehen. Ekel und Unbehagen <strong>bei</strong>m Anblick oder auch nur schon<br />
<strong>bei</strong> der verbalen Erwähnung, zeigen auch heute weitverbreitet die (unbewusste?) Einteilung<br />
der Tiere in reine und unreine. Doch wie kommt der Mensch dazu, eine solche Einteilung<br />
vorzunehmen? Mit dieser Frage müsste ich wohl tief in die menschliche Psychologie<br />
eindringen und würde damit den Rahmen dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sprengen.<br />
3.3.1. Abgrenzung Israels gegen andere Völker<br />
Fragt man danach, warum diese Auflistung der reinen und unreinen Tiere in diesem Kontext<br />
steht, so kommt man schnell zur Einsicht, dass es <strong>bei</strong> diesem Text primär um die Abgrenzung<br />
Israels gegen andere Völker gehen muss. Israel muss sich von den Nachbarvölkern<br />
absetzen, dies geschieht hier sehr deutlich: Indem nämlich innerhalb einer Priesterbelehrung<br />
diejenigen Tiere als unrein aufgelistet werden, welche <strong>bei</strong> den Nachbarvölkern im<br />
Opferkult auftreten, setzt Israel eine klare Grenze. Da die Tiere nach dem Opfern verspeist<br />
wurden, könnte ja nach einer <strong>Prof</strong>anschlachtung und -verspeisung eine Verbindung zum<br />
Opferkult des Nachbarvolkes hergestellt werden. Um dies zu vermeiden wird der Verzehr<br />
dieser Tiere gänzlich untersagt. Auch die Bemerkung, dass Aas den Fremden in der Stadt<br />
verkauft werden soll, zeigt die geistige Abgrenzung zu den Nachbarvölkern sehr deutlich.<br />
Es scheint hier also weniger um ein hygienisches Problem zu gehen, sondern vielmehr um<br />
eine Bekenntnishandlung des Volkes Israels: In verendeten, also gejagten oder aus Alters-<br />
84<br />
Beispielsweise der Hase wird richtigerweise nicht zu den Paarhufern aber fälschlicherweise zu den Wiederhkäuern<br />
gezählt.<br />
85<br />
Heute ist das ‚rein-unrein‘-Kriterium eher einem ‚hässlich-schön‘- oder einem ‚niedlich-beängstigend‘-<br />
Kriterium gewichen.<br />
53
schwäche oder Krankheit gestorbenen Tieren ist noch Blut. Und Blut darf, weil es als Lebens-<br />
und Seelenträger angesehen wird 86 , nicht gegessen werden. 87<br />
3.3.2. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel<br />
Neben den Tieren, welche als Opfertiere der Nachbarvölker gelten und den verendeten<br />
Tieren, in denen noch Blut ist, sind auch noch andere Tiere auf der Liste der Unreinen aufgeführt,<br />
so z.B. die unreinen Vögel. Sie sind fast alle Fleischfresser. Das Problem <strong>bei</strong> ihnen<br />
ist aber nicht das Fleisch, das sie fressen, sondern vielmehr, dass sie da<strong>bei</strong> auch Blut zu<br />
sich nehmen.<br />
Die Unreinheit dieser Vögel steht also im Zusammenhang mit dem Blut, welches sie zu<br />
sich genommen haben. Dies kann nun auf zwei unterschiedliche Arten ausgelegt werden:<br />
Auf der einen Seite könnte das Verbot des Blutgenusses so verstanden werden, dass es<br />
nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Tiere gilt. So machen sich die fleischfressenden<br />
Vögel durch ihren Blutgenuss unrein und dürfen aus diesem Grund von den Menschen<br />
nicht gegessen werden. Auf der anderen Seite steht aber die Überlegung, dass das<br />
gefressene Blut noch immer in diesen Vögeln sein könnte und sie deshalb als Fleischlieferanten<br />
gemieden werden müssen. M.E. ist dieser zweite Grund der realistischere. Das Blut<br />
spielt eine sehr wichtige Rolle und ist wohl auch hier treibender Gedanke: Wenn ein Tier<br />
sich so ernährt, dass die Möglichkeit besteht, dass es Blut zu sich nimmt, darf es von Israeliten<br />
nicht gegessen werden.<br />
3.4. Mensch-Tier-Beziehung in Dtn 14<br />
3.4.1. Die Kluft zwischen Mensch und Tier<br />
Durch Texte wie den vorliegenden wird die Kluft, welche zwischen Mensch und Tier<br />
wahrgenommen wird, manifest: Tiere werden in verschiedene Kategorien eingeteilt, werden<br />
katalogisiert und nach äusseren Merkmalen beurteilt. Der Mensch stellt sich somit auf<br />
eine höhere Stufe. Er zeigt, dass er nicht in derselben Ebene lebt, wie die Tiere, welche er<br />
in ein Schema einteilt. Doch ist es ja – laut dem Text – nicht der Mensch, der die Tiere in<br />
Kategorien teilt, sondern Jhwh selbst. Es scheint also, als ob der Mensch einer göttlichen<br />
Legitimierung bedarf, um solche Konzepte aufzustellen. Jhwh wird hier als Urheber der<br />
Idee einer Einteilung der Tiere gesehen.<br />
86<br />
S. o. C. 2. Schächten, S. 44f.<br />
87<br />
Vgl. dagegen Ex 22,30. Da wird das Aas den Hunden vorgeworfen. Da das Bundesbuch als älter angesehen<br />
werden kann, scheint sich die Vorstellung, dass es sich hier primär um das Bekenntnis Israels handelt,<br />
bestätigen zu lassen.<br />
54
3.4.2. Die Hierarchie von Tier, Mensch, Gott<br />
Das Weltbild, welches also hinter diesem Text steht, könnte so beschrieben werden:<br />
Auf der untersten Stufe stehen die unreinen Tiere. Sie sind durch ihre blosse Existenz zum<br />
Unrein-Sein bestimmt. Deswegen werden sie aber nicht ausgerottet, sondern sie werden<br />
nicht für Opferungen und zum Verzehr freigegeben. Auf der zweiten Stufe stehen die reinen<br />
Tiere. Sie dürfen geopfert und gegessen werden. An dritter Stelle steht dann der<br />
Mensch. Er steht direkt unter Jhwh, gelten doch für die Opferungen und die <strong>Prof</strong>anschlachtungen<br />
die gleichen Reinheitsgesetze. Dies kommt daher, weil der Mensch die geopferten<br />
Tiere im Anschluss an das Opferritual jeweils ass. Doch die Idee, welche hier dahinter<br />
steht, ist die, dass der Mensch und Gott mehr Gemeinsamkeiten haben, als der Mensch und<br />
das Tier. Man kann also sagen, dass der Mensch näher <strong>bei</strong> Gott steht als <strong>bei</strong>m Tier. Möglicherweise<br />
ist dies ein etwas überhöhtes Menschenbild, doch es zeigt, wie der Mensch die<br />
Kluft, welche er zum Tier aufreisst, legitimiert.<br />
3.4.3. Der Umgang mit den unreinen Tieren<br />
Es fällt auf, dass es keinen Auftrag gibt, die unreinen Tiere auszurotten, sie zu verachten<br />
oder sie aus der Stadt zu verjagen. Vielmehr geht es darum, dass diese Tiere nicht geschlachtet<br />
und nicht gegessen werden dürfen. Das Bild, dass ein unreines Tier Unheil bringen<br />
könnte oder sofort getötet werden muss, tritt hier nicht auf. 88<br />
Das Ziel dieses Textes ist, das richtige Verhalten des Menschen aufzuzeigen: Der Mensch<br />
soll sich nicht verunreinigen indem er unreine Tiere isst. Dass und warum er sich <strong>bei</strong>m<br />
Essen von unreinem Fleisch verunreinigen würde, habe ich oben am Beispiel der unreinen<br />
Vögel zu zeigen versucht. 89<br />
3.5. Fazit<br />
Gibt es einen Gedanken dieses Textes, den wir in unseren heutigen Umgang mit dem Tier<br />
übernehmen können, so ist das m.E. der Umgang mit dem unreinen Tier an sich. Die einen<br />
Tiere werden zwar als unrein bezeichnet und dürfen weder geopfert noch gegessen werden.<br />
Doch sie werden auch nicht mit speziellen Sanktionen belegt. Kein Tier wird, weil es dieses<br />
bestimmte Tier ist, getötet. Möglicherweise ist dies ein Gedanke, der von einigen Zeit-<br />
88<br />
Anders als <strong>bei</strong>m heutigen Umgang vieler Menschen mit den sogenannt unreinen Tieren: Häufig ist es das<br />
Ziel, eine Spinne, einen Käfer oder sonst ein ‚unreines‘ Tier – selbst wenn es keine physische Gefahr darstellt<br />
– möglichst schnell zu töten.<br />
89<br />
S.o. C. 3.3.2. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel, S. 54.<br />
55
genossen in den Alltag aufgenommen werden könnte: Tiere, die als unrein empfunden<br />
werden, sollten trotz ihrer ‚Unreinheit‘ am Leben gelassen werden.<br />
4. Umgang mit Nutztier Dtn 25,4<br />
4.1. Text und Übersetzung<br />
25,4 Du sollst nicht dem Ochsen das Maul verbinden, wenn er drischt.<br />
`AvydIB. rAv ~sox.t;-al{ 25,4<br />
4.2. Fragen an den Text<br />
Um den Vers zu verstehen, muss man sich klar werden, wie das <strong>Dr</strong>eschen zu dieser Zeit<br />
vor sich ging: Schilderungen und Bildern zufolge liefen Ochsen im Kreis über einen runden<br />
Platz und zerstampften so mit ihren Hufen die Ähren. 90 Da<strong>bei</strong> wurden die Körner von<br />
den Ähren abgetrennt. Durch das Verbinden des Maules wurde verhindert, dass der Ochse<br />
während des <strong>Dr</strong>eschens von den Körnern frisst. Damit wurde zwar sichergestellt, dass<br />
nicht bereits <strong>bei</strong>m <strong>Dr</strong>eschvorgang mit Verlust von Korn gerechnet werden muss, doch<br />
scheint diese Methode der Gewinnsicherung schon zur Abfassungszeit Fragen aufgeworfen<br />
zu haben.<br />
4.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />
4.3.1. Begründung<br />
Bei diesem Vers stellt sich – ähnlich wie <strong>bei</strong>m Sabbat-Gebot – die Frage nach der Begründung.<br />
91 M.E. gibt es zwei verschiedene Ansätze, mit dieser Frage umzugehen: Einerseits<br />
kann man landwirtschaftliche Erfahrungen geltend machen: Ein Ochse läuft möglicherweise<br />
nicht so schnell über die Ähren, wenn sein Maul verbunden ist. Auch ist eventuell die<br />
Erstickungsgefahr grösser, wenn das Maul des Ochsen zugebunden ist. Stehen diese Überlegungen<br />
hinter diesem Vers, kann nicht von ‚Tierschutz’ oder gar ‚Tierethik’ gesprochen<br />
werden, geht es doch eindeutig um den Menschen, der darum besorgt ist, dass sein Nutztier<br />
möglichst gut ar<strong>bei</strong>tet. Es ist aber andererseits auch denkbar, dass man tatsächlich tierschützerische,<br />
moralische Überlegungen geltend machen kann: Möglicherweise empfand<br />
man es damals als Tierquälerei, einem ar<strong>bei</strong>tenden Tier das Maul zu verbinden. Ebenso<br />
könnte die Erwägung mitgespielt haben, dass der Ochse, wenn er Hunger hat, auch wäh-<br />
90 Vgl. KELLERMANN in GÖRG/LANG, Sp. 449f und Guthe, S. 130f.<br />
91 S.o. C. 1. Sabbatgebot, S. 40f.<br />
56
end der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> fressen können soll. Ob es mit der anthropozentrischen Überlegung des<br />
Verlustes einer <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft oder mit einem moralischen Denkansatz begründet wurde,<br />
Tatsache ist, dass dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbunden werden soll.<br />
4.3.2. Leidensfähigkeit der Tiere<br />
Was auch immer die Überlegungen zu diesem Verbot gewesen sein mögen: Es scheint klar<br />
zu sein, dass man von einer Leidensfähigkeit der Tiere ausging. Ob dahinter der Gedanke<br />
der Mitgeschöpflichkeit 92 oder eher praktisches landwirtschaftliches Wissen 93 stand, ist an<br />
dieser Stelle nicht auszumachen. Wichtig scheint mir, dass die Möglichkeit, dass Tier leiden<br />
können Tiere als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die Leidensfähigkeit wurde<br />
den Tieren im Lauf der Geschichte, wieder weitgehend abgesprochen. So legitimierten<br />
Forscher lange Zeit ihre Versuche an lebenden Tieren. Die Überlegung, dass Tiere keine<br />
Sprache hätten, also keinen Schmerz äussern könnten, und deshalb keinen Schmerz empfinden<br />
können, ist zwar hier etwas vereinfacht dargestellt, entspricht jedoch im Groben der<br />
Begründung.<br />
4.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier<br />
Trotz der Leidensfähigkeit, welche dem Tier zugesprochen wird, geht es nicht darum, eine<br />
Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier darzustellen oder aufgrund des Bewusstseins<br />
des Geschaffenseins irgendwelche Gemeinsamkeiten und Mitleids-Ethiken zu entwickeln.<br />
Das Ziel des Textes ist eindeutig der richtige, verantwortungsvolle Umgang des Menschen<br />
mit dem Tier – und dies im Bewusstsein, dass der Mensch als ‚höheres‘ Wesen die Verantwortung<br />
für das Wohlergehen des Tieres trägt 94 , bzw. tragen will 95 . Die Kluft zwischen<br />
Mensch und Tier wird klar aufrecht erhalten, doch bringt das in diesem Vers keine negativen<br />
Wirkungen. Der Mensch steht zwar weit über dem Tier, ist aber in seiner Machtposition<br />
für dieses verantwortlich. Dass diese Macht auch missbraucht werden könnte, steht im<br />
Text nicht. Doch allein schon die Tatsache, dass ein solcher Text geschrieben werden<br />
musste, zeigt, dass einige Menschen ihre Machtposition den Tieren gegenüber missbraucht<br />
haben müssen.<br />
92<br />
S.o. A.1.3.1. Mitgeschöpflichkeit, S.16.<br />
93<br />
S.o. C. 1.4.1. landwirtschaftliche Erfahrung, S. 42; S.o. C. 4.3.1. Begründung, S. 56.<br />
94<br />
S.o. A.1.2.4. hdr, S. 14.<br />
95<br />
Dies, wenn man davon ausgeht, dass anthropozentrische Überlegungen, d.h. die Sorge um die Funktionsfähigkeit<br />
der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft, dieses Gebot begründen. S.o. C.4.3.1. Begründung, S. 56.<br />
57
4.4. Fazit<br />
Aus welchen Gründen auch immer die Menschen der damaligen Zeit auf die Idee kamen,<br />
dass man dem dreschenden Ochsen das Maul nicht verbinden soll – der verantwortungsvolle<br />
Umgang des Menschen mit dem Tier wird deutlich.<br />
Dies ist es auch, was wir aus dem Text für uns heute nutzbar machen können: Es geht nicht<br />
darum, dass wir diese Anweisung unadaptiert übernehmen sollen. Das macht keinen Sinn,<br />
sind doch die Lebenswelten so verschieden. Doch können wir den allgemeinen Umgang<br />
mit dem Tier betrachten und daran unseren eigenen reflektieren: Der alttestamentliche<br />
Mensch sollte sich um das Wohlergehen seines Nutzviehs kümmern. Dies können wir heutigen<br />
mitteleuropäischen Menschen durchaus übernehmen. Auch wenn nicht mehr in jeder<br />
Familie eine Handvoll Nutztiere leben, können wir uns doch dafür einsetzen, dass ein Tier,<br />
das für uns ar<strong>bei</strong>tet, nicht unnötig leiden muss. Ich denke z.B. an die Milchproduktion:<br />
Wenn die Kühe für unseren Konsum Milch produzieren müssen, sollten sie wenigstens<br />
möglichst artgerecht leben können. Für uns städtischen, mitteleuropäischen, heutigen Menschen<br />
heisst das, dass wir darauf achten können, Produkte zu kaufen, <strong>bei</strong> denen wir davon<br />
ausgehen können, das die Tiere so gehalten werden, wie es ihren Bedürfnissen entspricht.<br />
5. Fazit zu den Gesetzestexten<br />
Die untersuchten Gesetzestexte zeigen eine deutliche Kluft zwischen Mensch und Tier. Sie<br />
zeigen aber auch deutlich den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit dem Tier.<br />
Was jedoch für meine <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ein Problem darstellt, ist die Frage nach dem Grund dieses<br />
Umgangs: Die Ge- und Verbote werden kaum oder gar nicht begründet. Dies zu interpretieren<br />
kann jedoch relativ schwierig sein, da man verschiedene Interpretationsmöglichkeiten<br />
hat.<br />
5.1. Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten<br />
Die eine Art der Begründungssuche ist die des landwirtschaftlichen Wissens und der Lebenserfahrung.<br />
Die andere Art der Begründungs- und Interpretationssuche geht in die<br />
Richtung des Tierschutzes um des Tieres, weniger um der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>skraft, Willen und des<br />
Bewusstseins, dass Mensch und Tier in einem grösseren – religiösen – Rahmen stehen.<br />
Betont man die tierschützerische Sichtweise der Texte, so muss dafür nicht zwangsläufig<br />
vorausgesetzt werden, dass das Tier personalisiert oder gar vermenschlicht werden muss.<br />
Man kann vielmehr von der Grundintention der Mitgeschöpflichkeit und der dem Menschen<br />
von Gott übertragenen Verantwortung für das Tier ausgehen.<br />
58
Im Folgenden werde ich diese zwei Interpretationsmöglichkeiten kurz zusammenfassen. 96<br />
5.1.1. Landwirtschaftliche Effizienz als Begründungsbasis<br />
Man kann voraussetzen, dass dem Tier Ruhetage gegönnt werden, damit es besser ar<strong>bei</strong>tet,<br />
dass das Verbot des Blutgenusses rein religiöse Gründe hat, dass das Verbot, aasfressende<br />
Vögel zu verspeisen, auf hygienische Überlegungen zurückgeht und dass das Verbot, dem<br />
dreschenden Ochsen das Maul zu verbinden, auf Argumente der landwirtschaftlichen Effizienz<br />
zurückgeht. Damit hätte man aus ethischer Sicht kaum etwas gewonnen, findet doch<br />
keine Reflexion des moralischen Handelns statt. Es geht dann vor allem darum, das Tier<br />
nicht als Maschine oder Sache zu sehen, sondern als Hilfs-, Opfer- oder Nahrungsmittel,<br />
welches sorgfältig behandelt werden muss.<br />
5.1.2. Moralische Überlegungen als Begründungsbasis<br />
Man könnte jedoch diese Texte auch anders lesen und hinter diesen Ge- und Verboten eine<br />
Tierethik sehen. So könnte man zum Beispiel das auf die Nutztiere ausgeweitete Sabbatgebot<br />
daraufhin interpretieren, dass das Tier als Teil der Gesellschaft selbstverständlichen<br />
Anteil an Fest- und Ruhetagen hatte. Das Verbot des Blutgenusses könnte man so auslegen,<br />
dass man zwar Fleisch opferte und danach auch verspeiste, dass man aber keinesfalls<br />
die Seele des Tieres damit gefährden wollte. Durch das Auslassen des Blutes kann nach<br />
damaliger Vorstellung verhindert werden, dass das Tier <strong>bei</strong> der Schlachtung seine Seele<br />
verliert. Man könnte also das Schächten wegen des Blutentzuges als Meisterleistung<br />
menschlicher Ehrfurcht vor dem Leben der Tiere sehen.<br />
Dass der Mensch keine unreinen Tiere essen darf, könnte demnach so ausgelegt werden,<br />
dass die Gefahr, sich an ‚Lebenskraft’ bereichern zu wollen, zu gross ist. Haben doch diese<br />
Tiere – besonders die aasfressenden Vögel – Blut gefressen und somit fremde ‚Lebenskraft’<br />
in sich aufgenommen. Es könnte also hier<strong>bei</strong> darum gehen, dem Blut der Tiere soviel<br />
Bedeutung zuzumessen, dass es unmöglich wird, die Gefahr einzugehen, auch nur ein bisschen<br />
Blut zu sich zu nehmen. Andererseits könnte dies aber auch so interpretiert werden,<br />
dass sogar die unreinen Tiere als Teile der Gesellschaft angesehen werden. Da diese Tiere<br />
sich nicht an das Verbot des Blutgenusses halten, verunreinigen sie sich. Deshalb müssen<br />
sie dann von den Israeliten gemieden werden. Ähnlich kann auch die Sache mit dem dreschenden<br />
Ochsen gesehen werden: Der Ochse wird möglicherweise als helfendes Famili-<br />
96 Vgl. auch schon, C.4.3.1. Begründung, S. 56f.<br />
59
enmitglied angesehen. So darf man unmöglich einem Geschöpf, das in der Landwirtschaft<br />
mithilft, Leiden zufügen.<br />
5.1.3. Religiöses Bewusstsein als Begründung<br />
Warum <strong>bei</strong> den untersuchten Ge- und Verboten keine Begründungen angegeben werden,<br />
muss an dieser Stelle hinterfragt werden. Prinzipiell kann angenommen werden, dass sowohl<br />
für die Verfasser als auch für die damaligen Rezipienten der untersuchten Texte eine<br />
explizite Ausführung der Begründung nicht notwendig war, weil sie, wäre dieser Sachverhalt<br />
anders gewesen, wohl niedergeschrieben worden wäre. Man kann also davon ausgehen,<br />
dass die Menschen der damaligen Zeit die Hintergründe, welche uns heutigen Rezipierenden<br />
verborgen bleiben, selbstverständlicherweise kannten. Um den Inhalt dieser Hintergründe<br />
erschliessen zu können, ist es m.E. sinnvoll, im Bereich des Religiösen zu suchen,<br />
standen doch diese Passagen damals schon alle in religiösem Kontext und haben sie<br />
später alle in den biblischen Kanon Eingang gefunden. Was damals also selbstverständlich<br />
mit religiösem Bewusstsein – im Zusammenhang mit der vorliegenden Fragestellung demnach<br />
mit der Gewissheit, dass sowohl Mensch als auch Tier von Gott geschaffen wurden<br />
und dass der Mensch von Gott den Auftrag bekommen hatte, verantwortungsvoll über die<br />
Tierwelt zu herrschen – begründet wurde, muss heute, wo im mitteleuropäischen Raum<br />
dieses religiöse Bewusstsein weitgehend fehlt, von einer vernunftbegründeten Tierethik<br />
übernommen werden.<br />
5.2. Tierethik in den Gesetzestexten?<br />
Aus den untersuchten Texten eine Tierethik lesen zu wollen, kann als spekulativ bezeichnet<br />
werden. Dennoch scheint die Behauptung, Ansätze einer Tierethik finden zu können,<br />
nicht abwegig. Zwar muss der Begriff der Ethik etwas weiter gefasst werden als wir uns<br />
das heute gewohnt sind: Es handelt sich hier nicht um eine Reflexion der Moral und ihrer<br />
Handlungsstrukturen, sondern vielmehr um die Moral selbst und ihrer praktischen Folgerungen.<br />
Doch die Niederschrift der Moral und ihrer praktischen Folgerungen erfordert bereits<br />
eine Reflexion der eigenen Handlungsstrukturen. Insofern kann also <strong>bei</strong> den vorliegenden<br />
Texten – besonders <strong>bei</strong> der Schächtthematik (Dtn 12,23.25; Gen 9,4f; Lev<br />
17,11.14) und <strong>bei</strong>m Umgang mit dem Nutztier (Dtn 25,4) – im weitesten Sinn von einer<br />
Tierethik gesprochen werden.<br />
60
5.3. Schlussbemerkung<br />
Grundsätzlich erachte ich es als relativ schwierig, die untersuchten biblischen Texte direkt<br />
in die heutige Zeit und Gesellschaft übernehmen zu wollen. Und doch stellt sich die Frage:<br />
Sind diese Texte ausschliesslich von historischem Interesse oder können wir mit ihren Inhalten<br />
auch heute noch ar<strong>bei</strong>ten? Sicher kann man sagen, dass die Entstehung dieser Texte<br />
so weit zurück liegt, dass wir heute in einer völlig anderen Situation leben. Doch ist die<br />
Kluft zwischen Mensch und Tier – trotz grosser Unterschiede der Lebenswelt – nach wie<br />
vor vorhanden. Insofern könnte man doch auch sagen, dass es sinnvoll wäre, sich von der<br />
menschlichen Verantwortung den Tieren gegenüber, von der in den biblischen Texten die<br />
Rede ist, ein Stück abzuschneiden.<br />
D. Das Tier in weisheitlichen Texten<br />
1. Spr 12,10<br />
1.1. Text und Übersetzung<br />
`yrIz"k.a; ~y[iv'r> ymex]r;w> ATm.h,B. vp,n< qyDIc; [;deAy 12,10<br />
12,10 Ein Gerechter kennt die Bedürfnisse und das Innere seines Viehs, Ungerechte<br />
aber sind grausam. 97<br />
1.2. Fragen an den Text<br />
1.2.1. vpn, ‚Schlund, Rachen, Kehe, Leben’<br />
Bei diesem Vers ist die Bedeutung des Begriffes vpn zentral. vpn beschreibt, wie ich oben<br />
bereits gezeigt habe 98 , die das individuelle Leben ausmachende Seelenkraft. Im Kontext<br />
dieses Verses heisst das nun, dass die Autorschaft dieses Textes davon ausgeht, dass ers-<br />
tens jedes (Nutz-)Tier eine solche vpn hat und zweitens, dass diese auch wichtig, zu achten<br />
und ernst zu nehmen ist. Ob diese Seelenkräfte – oder diese (Lebens-)Bedürfnisse – diejenige<br />
eines Tieres oder eines Menschen sind, macht keinen Unterschied. Die Tatsache, dass<br />
auf die Bedürfnisse 99 eines Tieres einzugehen ist, ist m.E. im Zusammenhang mit der Fragestellung<br />
dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> sehr interessant. Nicht zu jeder Zeit der Menschheitsgeschichte<br />
war und ist es so, dass die Bedürfnisse von Tieren für so wichtig angesehen wurden, dass<br />
97 Viele Übersetzungen, so z.B. auch die Lutherübersetzung, geben diesen Vers mit „… erbarmt sich seines<br />
Viehs,…“ wieder. Ich habe mich in meiner Übersetzung an den Vorschlag der Interlinearübersetzung gehalten<br />
und ymex]r;w nicht mit ‚sich erbarmen’, sondern mit ‚Inneres’ übersetzt.<br />
98 S.o. C.2.2.2. vpn, S. 45.<br />
61
ihnen auch nachzukommen war. Man denke da zum Beispiel an Legehennen in heutigen<br />
Batteriehaltungen: Noch nie waren Verhalten und Bedürfnisse von Tieren wissenschaftlich<br />
so gut erforscht wie heute, und trotzdem werden Tiere auf so engem Raum zusammengepfercht,<br />
dass es auch ohne wissenschaftliche Abhandlungen ersichtlich ist, dass diese Hennen<br />
nicht ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden. Dies, weil der Mensch – aus<br />
welchen Gründen auch immer – die Bedürfnisse seines Viehs nicht achtet, bzw. seine eigenen<br />
(oftmals finanziellen Bedürfnisse) über diejenige des Tieres stellt.<br />
1.2.2. [;deAy 100 , ‚wissen, sich kümmern um jmd/etw’<br />
Das Verb [;deAy, wissen, beschreibt ein Wissen, welches über das intellektuelle zur<br />
Kenntnis Nehmen hinaus geht. [;deAy kann also auch übersetzt werden mit ‚sich kümmern<br />
um etwas oder jemanden’. Es ist demnach klar, dass es hier darum geht, den Bedürfnissen<br />
auch nachzukommen und dafür zu sorgen, dass sie erfüllt werden. Die Antithese, dass die<br />
Ungerechten grausam sind, zeigt, dass sie möglicherweise die Bedürfnisse des Viehs auch<br />
kennen, dass sie aber – aus welchen Gründen auch immer – diesen Bedürfnissen keine<br />
Aufmerksamkeit schenken.<br />
1.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />
1.3.1. Nutztier<br />
Im vorliegenden Vers kommt durch das Personalsuffix („sein Vieh“) deutlich zum Ausdruck,<br />
dass primär an das Nutztier gedacht ist. Diese Tiere (wohl Esel, Rind, Schafe und<br />
Ziegen 101 ) gehören zum Haushalt des israelitischen Menschen der damaligen Zeit. Sowohl<br />
‚Gerechte‘ wie auch ‚Ungerechte‘ halten diese Tiere. Sie sichern den Lebensunterhalt und<br />
helfen <strong>bei</strong> der Verrichtung der täglichen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>. Während der Gerechte sein Vieh gut behandelt<br />
– und damit einerseits an den Lebewesen in seinem Haushalt ‚human‘ handelt,<br />
andererseits aber auch seinem notwendigen ‚Werkzeug‘ Sorge trägt – ar<strong>bei</strong>tet der Ungerechte<br />
mit seinem Handeln nicht nur gegen die ‚humane‘ Grundhaltung der Israeliten<br />
dem Tier gegenüber, sondern schädigt sich selbst.<br />
1.3.2. Die Abhängigkeit des Nutztieres vom Menschen<br />
Nutztiere sind dem Menschen in besonderem Masse ausgeliefert. „Domestic animals are<br />
utterly dependent upon their master’s benevolence. <strong>Th</strong>ey cannot clearly articulate their<br />
99 Oder auch die ‚Seele‘ oder die ‚Seelenkraft‘ – je nach Übersetzung.<br />
100 Vgl. BERGMANN/BOTTERWECK in <strong>Th</strong>WAT, Bd III, Sp. 479ff.<br />
62
needs or desires” 102 . Gerade deshalb ist es besonders wichtig, dass ein guter Bauer die Bedürfnisse<br />
seiner Tiere kennt und weiss, was Tiere brauchen, können sie sie doch nicht artikulieren.<br />
Während die Wildtiere ihre Unabhängigkeit wahren können, sind die domestizierten<br />
und in der täglichen <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> des Israeliten eingesetzten Tiere keineswegs selbständig.<br />
Sie sind darauf angewiesen, dass der Mensch sich bewusst ist, dass ‚seine‘ Tiere Lebewesen<br />
mit eigenen Bedürfnissen sind.<br />
1.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier<br />
In diesem Text wird deutlich, dass Mensch und Tier als grundverschiedene Wesen angenommen<br />
werden. Es geht nicht darum, die Tiere auf die gleiche Stufe wie den Menschen<br />
zu stellen, sondern vielmehr das <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sverhältnis, in welchem Mensch und Tier stehen, zu<br />
klären und möglichst ‚human‘ zu gestalten. Wird der Vers mit „Der Gerechte erbarmt sich<br />
seines Viehs,...“ wiedergegeben, zeigt sich die Kluft zwischen Mensch und Tier noch deutlicher.<br />
Es wird so ein unüberbrückbarer Unterschied aufgezeigt, welcher nicht so gross<br />
scheint, wenn man mit „...kennt die Bedürfnisse seines Viehs“ übersetzt. Die Formulierung<br />
„Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs, …“ hat sich – obschon sie m.E. etwas problematisch<br />
ist – mehrheitlich durchgesetzt. SCHOPENHAUER äusserte sich kritisch dieser Formulierung<br />
gegenüber: „Erbarmt! – Welch ein Ausdruck! Man erbarmt sich eines Sünders,<br />
eines Missetäters; nicht aber eines unschuldigen treuen <strong>Th</strong>ieres ... Erbarmt! Nicht Erbarmen,<br />
sondern Gerechtigkeit ist man dem <strong>Th</strong>iere schuldig – und bleibt sie meistens schuldig.“<br />
103 Ich gehe mit SCHOPENHAUER einig, dass es nicht angehen kann, dass sich der<br />
Mensch grosszügig seines Tieres erbarmt, als wäre dies eines Verbrechens schuldig. Kein<br />
Wesen darf um seiner selbst willen angeklagt werden – also darf es auch nicht nötig sein,<br />
dass man sich eines Wesens um seiner selbst willen erbarmen muss.<br />
Auch wenn man diesen Vers nicht mit der ungünstigen Übersetzung ‚erbarmt‘ überträgt,<br />
bleibt doch deutlich, dass zwischen Mensch und Tier ein unüberbrückbarer Unterschied<br />
besteht. Das Tier – insbesondere das hier gemeinte Nutztier – wird immer vom Menschen<br />
abhängig sein. Gut, wenn es <strong>bei</strong> einem ‚Gerechten‘ leben darf, der auf seine Bedürfnisse<br />
eingeht.<br />
101<br />
S.o. C.1. Sabbat, S. 40f.<br />
102<br />
VAN LEEUWEN, S. 126.<br />
103<br />
SCHOPENHAUER, Sämtliche Werke, Bd. 6, Wiesbaden 1947, 393.395. Zitiert nach GRÄSSER in RÖHRIG, S.<br />
97.<br />
63
1.3.4. Die Reichweite dieses Verses<br />
Wie PLÖGER 104 zeigt, kann dieser Vers unterschiedlich interpretiert werden: Entweder beschränkt<br />
man sich darauf, den Gerechten, der sich um sein Vieh kümmert, einen ‚humanen‘<br />
Menschen zu nennen, oder man sieht das Verhalten gegenüber dem Vieh als richtungsweisend<br />
gegenüber den Mitmenschen an. Spr 12,10 kann aber auch als Ausgangspunkt<br />
für eine umfassende gesamtbiblische Betrachtung genommen werden, in der das Tier<br />
die Stelle der „Natur“ einnimmt. M.E. wird so aber der Text etwas überstrapaziert. Jedoch<br />
ist positiv zu werten, dass auf diese Weise der Brückenschlag zur heutigen Zeit sehr leicht<br />
gelingt. Ob dies ein legitimer Umgang mit dem Text ist, scheint mir jedoch fraglich.<br />
Meiner Ansicht nach geht es <strong>bei</strong> Spr 12,10 in erster und wichtigster Linie um das Verhältnis<br />
des Menschen zu seinem Nutztier. Gerade auch <strong>bei</strong>m Einbezug des Kontextes dieses<br />
Verses fällt auf, dass es sich hier um Alltagsweisheit handelt, welche z.T. in einen grösseren<br />
religiösen Rahmen gestellt wird. Dies unterstützt meine <strong>Th</strong>ese, dass es sich hier primär<br />
um das Verhältnis Mensch – Nutztier handelt. Es zeigt aber auch, dass die blosse Existenzsicherung<br />
nicht die einzige Begründung für das gute Behandeln des Nutztieres bleibt.<br />
Vielmehr steht es im Zusammenhang mit dem Religiösen, was dem Handeln des Menschen<br />
mit dem Tier eine weitere Dimension gibt.<br />
1.4. Fazit<br />
Mit TEUTSCH kann man also sagen: „Tierquälerei ist für die biblischen Autoren ein religiöses<br />
Vergehen“. 105 Aus welchen Gründen Tierquälerei jedoch als Übertretung eingestuft<br />
wird, bleibt auch hier im Verborgenen. 106 Man könnte, wie oben erwähnt, damit argumentieren,<br />
dass durch das unsorgfältige Behandeln des Tieres die Existenz eines Bauern gefährdet<br />
ist. Es wäre aber auch denkbar, die Tierquälerei in den Zusammenhang eines Gedankens<br />
der Mitgeschöpflichkeit zu stellen und dann damit zu argumentieren, dass verantwortungsloser<br />
Umgang des Menschen mit dem Tier einer Gotteslästerung gleichkommt.<br />
Wo man auch die Begründung dieses Verses sucht, deutlich wird, dass zur Abfassung des<br />
Textes der ‚gerechte Umgang‘ des Menschen mit dem Tier nicht selbstverständlich war.<br />
Denn wo solche Texte geschrieben wurden, brauchte es sie auch.<br />
104 Vgl. PLÖGER, S.150.<br />
105 TEUTSCH in RÖHRIG, S. 121.<br />
64
106 S.o. C. 1.3.2. Begründung (Sabbat-)Gebots, S. 41.<br />
65
2. Pr 3,18-21<br />
2.1. Text und Übersetzung<br />
hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW lKol; dx'a,<br />
`lb,h' lKoh; yKi !yIa'<br />
%leAh lKoh; 3,20<br />
rp'['h,-!mi hy"h' lKoh; dx'a, ~Aqm'-la,<br />
`rp'['h,-la, bv' lKoh;w><br />
ynEB. x;Wr [;deAy ymi 3,21<br />
x;Wrw> hl'[.m'l. ayhi hl'[oh' ~d'a'h'<br />
`#r,a'l' hJ'm;l. ayhi td,r,YOh; hm'heB.h;<br />
yBiliB. ynIa] yTir>m;a' 3,18<br />
~yhil{a/h' ~r'b'l. ~d'a'h' ynEB. tr;b.DI-l[;<br />
`~h,l' hM'he hm'heB.-~h,v. tAar>liw><br />
hr,q.mi yKi 3,19<br />
hr,q.miW hm'heB.h; hr,q.miW ~d'a'h'ynEb.<br />
x;Wrw> hz< tAm !Ke hz< tAmK. ~h,l'<br />
dx'a,<br />
3,18 Ich sprach in meinem Herzen: Der Menschen 107 wegen ist es so, dass Gott sie<br />
prüfe damit sie sehen, dass sie selber sind wie Vieh.<br />
3,19 Denn das Schicksal der Menschen und das Schicksal des Viehs – ein (einziges)<br />
Schicksal haben sie: Wie diese sterben, sterben jene. Beide haben einen (einzigen)<br />
Atem. Es gibt keinen Vorteil des Menschen dem Tier gegenüber. Alle sind nichtig.<br />
3,20 Alles geht an einen Ort. Alles ist aus Staub geworden, und alles kehrt zu Staub<br />
zurück.<br />
3,21 Wer weiss, ob der Hauch der Menschen nach oben steigt und ob der Hauch des<br />
Viehs nach unten zur Erde geht?<br />
2.2. Fragen an den Text<br />
2.2.1. rqm, ‚Schicksal’<br />
Es fragt sich an dieser Stelle, was genau mit rqm – Schicksal – gemeint ist: Grundsätzlich<br />
kann man davon ausgehen, dass das Schicksal von Jhwh bestimmt wird und den Menschen<br />
unverrückbar betrifft. Es geht hier nicht darum, im Schicksal eine Alternativmacht zu Jhwh<br />
sehen zu wollen, sondern vielmehr die Konkretisierung dessen, was Jhwh mit dem einzelnen<br />
Menschenleben vorhat. Das Schicksal – oder möglicherweise besser der ‚Lebensplan‘<br />
– wird hier für Mensch und Tier identisch dargestellt. Beide sind sterblich und vergänglich.<br />
107 Wörtlich: Der Kinder der Menschen.<br />
66
2.3. Mensch-Tier-Beziehung<br />
2.3.1. !yIa hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW, ‚Es gibt keinen Vorteil des<br />
Menschen vor dem Tier.’<br />
Die Anmerkung, dass es keinen Vorteil des Menschen vor dem Tier gibt, erstaunt: In diesem<br />
Text klingt nun nichts an von einem verantwortungsbewussten Umgang des überlegenen<br />
Menschen mit dem Tier. Im Gegenteil: Es wird explizit darauf hingewiesen, dass<br />
Mensch und Tier auf gleicher – tiefer – Stufe stehen. Interessant ist, dass dies nicht nur im<br />
körperlichen Sinn gemeint sein dürfte, wird doch im gleichen Vers auf x;Wr hingewiesen,<br />
der <strong>bei</strong>m Menschen wie <strong>bei</strong>m Vieh gleich ist.<br />
2.3.2. lb,h' lKoh, ‚alle sind nichtig’<br />
Mit der Bemerkung lb,h' lKoh – alle sind nichtig – wird im vorliegenden Text das Aufzeigen<br />
der Vergänglichkeit von Mensch und Tier in den Vordergrund gestellt. Es ist nicht die<br />
Aufgabe des Textes, dem Menschen ein deutlich besseres Schicksal zugestehen zu wollen.<br />
Die Aussage ist vielmehr die, dass sowohl Mensch als auch Tier zur Endlichkeit geschaffen<br />
sind. Bemerkenswert scheint mir, dass die Endlichkeit des Menschen nicht per se aufgezeigt<br />
wird, sondern dass sie anhand der Tiere gezeichnet wird. Der Mensch ist – wie das<br />
Tier auch – nichtig. Es scheint, als könne nur anhand des Tieres die eigene Endlichkeit<br />
verdeutlicht werden. Das Tier wird hier also gewissermassen zum Zweck gebraucht, dem<br />
Menschen seine Vergänglichkeit bewusst zu machen.<br />
Auch erstaunt die Tatsache, dass das Tier als Parallel-Wesen zum Menschen gesehen wird<br />
und nicht – wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre – als Kontrast im Sinne von: ‚Anders<br />
wie das Vieh ist der Mensch...‘.<br />
2.3.3. Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier<br />
Was in Gen 2 an Gemeinsamkeit bezüglich des Geschaffenseins geschildert wurde 108 , wird<br />
hier nun sehr viel stärker ausgedrückt: Der Text spielt auf Gen 2 an und führt noch grundlegender<br />
aus, was in Israel als deutlichen Zusammenhang von Mensch und Tier im Lebendigsein<br />
bewusst war: Mit seiner gewohnt polemischen Art beschreibt Kohelet, der Autor<br />
der Sprüche, dass der Mensch sich dessen bewusst sein soll, dass er bezüglich seiner Sterblichkeit<br />
das Schicksal des Viehs teilt.<br />
Mit der unbeantworteten Frage, die in 3,21 gestellt wird, zeigt der Autor, dass ihm bewusst<br />
ist, dass es zwischen Mensch und Tier Unterschiede gibt, dass aber der zentrale Punkt,<br />
67
nämlich die Vergänglichkeit, <strong>bei</strong> Mensch und Tier nicht offensichtlich verschieden ist. Die<br />
Vorstellung, dass der ‚Hauch‘ des Menschen nach oben, der ‚Hauch‘ des Tieres nach unten<br />
in die Erde geht, zeigt, dass der Mensch sich nicht einfach so mit der Ähnlichkeit zum Tier<br />
abfinden kann. Der Autor macht aber mit dieser Frage deutlich, dass der Mensch nicht mit<br />
letzter Sicherheit weiss, ob sein ‚Hauch‘ einen anderen Weg geht als derjenige des Tieres.<br />
2.3.4. Konsequenzen für die ‚tierethische‘ Praxis?<br />
Was dies nun für das Verhältnis zwischen Mensch und Tier heisst, ist im Folgenden zu<br />
fragen. M.E. kann aus Texten wie diesen eine Art ‚Mitleidsethik‘ gefolgert werden. Das<br />
Bewusstsein des gemeinsamen Schicksals fordert den Menschen, der die Verantwortung<br />
für Tiere trägt, dazu auf, mit dem Tier geschwisterlich umzugehen. Hier spielt die menschliche<br />
Gottebenbildlichkeit, das Bewusstsein, Gott näher zu sein als das Tier, keine Rolle<br />
mehr. Im Gegenteil steht hier ganz deutlich die Gemeinsamkeit von Mensch und Tier im<br />
Mittelpunkt. Wird dieser Text nun für eine Tierethik brauchbar gemacht, kann also nicht<br />
mit Verstand und Verantwortung des Menschen dem Tier gegenüber argumentiert werden,<br />
sondern hier ist die Haltung, dass die Tiere in einem gewissen Sinne ‚Geschwister‘ des<br />
Menschen sind, die treibende Kraft für den artgerechten Umgang des Menschen mit dem<br />
Tier.<br />
2.4. Fazit<br />
In diesem Text rückt die Gemeinsamkeit von Mensch und Tier in den Vordergrund: Beide<br />
sind von Gott geschaffen, <strong>bei</strong>de wurden aus Lehm (bzw. Staub) gemacht, <strong>bei</strong>de leben aus<br />
der Hand Gottes und <strong>bei</strong>de sind sterblich.<br />
Dass diese Verse in deutlich anthropozentrischem Kontext stehen, zeigt, dass es hier nicht<br />
primär um das Verhältnis des Menschen zum Tier geht. Vielmehr sind der Mensch und<br />
seine Vergänglichkeit <strong>Th</strong>ema. Und zwar mit Hilfe des Vergleiches mit dem Vieh. Was<br />
dahinter aber für ein Verhältnis des Menschen zum Tier steht, kann dennoch gesehen werden:<br />
Es geht um das grundsätzliche, schicksalshafte Verbundensein des Menschen mit dem<br />
Tier. Das Tier – so fremd und andersartig es auch empfunden werden mag – teilt das unumgängliche<br />
Schicksal der Vergänglichkeit mit dem Menschen. Daraus kann abgelesen<br />
werden, dass der Umgang mit dem Tier respektvoll geschehen muss, weil das Bewusstsein<br />
vorhanden war, dass auch es von Jhwh geschaffen wurde.<br />
108 S.o. B.2. Gen 2, S. 20.<br />
68
3. Fazit zu den Weisheitstexten<br />
Es ist m.E. problematisch, anhand von nur zwei – so unterschiedlichen – Texten ein<br />
schlüssiges Fazit zu schreiben. In den Weisheitstexten finden sich noch andere Passagen,<br />
die man auf die Mensch-Tier-Beziehung hin befragen könnte. 109 Diese halte ich allerdings<br />
für zu wenig aussagekräftig, als dass sie für meine Fragestellung tatsächlich hilfreich sein<br />
könnten. So werde ich nun im Folgenden versuchen, anhand der zwei untersuchten Texte<br />
etwas Allgemeines zur Mensch-Tier-Beziehung in den Weisheitstexten zu sagen, möchte<br />
jedoch diese Aussagen mit der nötigen Vorsicht behandelt wissen.<br />
Während Spr 12,10 eine deutliche Kluft zwischen Mensch und Tier aufzeigt, verdeutlicht<br />
Pr 3,18-21 die Gemeinsamkeiten, welche Mensch und Tier verbinden. Was in <strong>bei</strong>den Texten<br />
deutlich wird, ist das Grundgefühl des ‚Mit-Leidens‘: Die Argumentation von Spr<br />
12,10 basiert zwar auf der anthropozentrischen Unterscheidung in ‚gerechte‘ und ‚ungerechte‘<br />
Menschen, doch scheint der artgerechte Umgang mit dem Tier auf einer Art<br />
‚Mitleidsethik‘ zu beruhen, welche von der Leidensfähigkeit der Tiere ausgeht und deutlich<br />
macht, dass das Tier ein Recht darauf hat, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen<br />
wird. Es ist zwar wichtig, dass der Mensch ‚gerecht‘ ist, doch die Tatsache, dass das Tier<br />
Bedürfnisse hat, denen es von Seite des Menschen selbstverständlich nachzukommen gilt,<br />
wird diskussionslos vorausgesetzt. In Pr 3,18-21 steht das Mitleiden des Menschen mit<br />
dem Tier auf eine ganz spezielle Weise im Mittelpunkt: Es scheint fast so, als ob das Vieh<br />
den Menschen bemitleiden müsste, hat er doch das gleiche Schicksal. In der praktischen<br />
Konsequenz heisst diese Darstellung der auffälligen Gemeinsamkeiten von Mensch und<br />
Tier, dass der Mensch – aufgrund der ‚Geschwisterlichkeit‘ – verpflichtet ist, das Tier artgerecht<br />
und anständig zu behandeln. In <strong>bei</strong>den Texten sind keine konkreten Anhaltspunkte,<br />
anhand welcher man die Mensch-Tier-Beziehung, welche hinter diesen Texten steht, deutlich<br />
machen könnte. Dennoch scheint es, als ob hinter <strong>bei</strong>den Texten ein hohes Bewusstsein<br />
für den gemeinsamen Hintergrund von Mensch und Tier bestünde. D.h. die Überzeugung,<br />
dass sowohl Mensch als auch Tier von Jhwh geschaffen wurden, scheint die Basis zu<br />
bilden für die vorliegende Mensch-Tier-Beziehung.<br />
69
E. Diskussion<br />
1. Einheitliche Tierethik im AT?<br />
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass eine einheitliche ‚Tierethik‘, im Sinne einer<br />
Konzeption der Moralreflexion und der aus der Moral hervorgehenden praktischen Handlungserfordernissen,<br />
im Alten <strong>Testament</strong> nicht zu finden ist. Eine ‚Tierethik’ im Sinne von<br />
moralischen Überlegungen im Bezug auf den Umgang mit dem Tier ist jedoch durchaus<br />
erkennbar: Zwar werden die einzelnen ‚tierethischen’ Gedanken kaum begründet, doch<br />
steht hinter vielen Texten ein selbstverständliches moralisches Bewusstsein, was den Umgang<br />
mit dem Tier betrifft.<br />
Die untersuchten Texte sind zwar sehr unterschiedlich, sind sie doch auch zu verschiedenen<br />
Zeiten und mit ungleichen Funktionen geschrieben worden. Es fällt aber auf, dass –<br />
mit allen Unterschieden, welche konstatiert werden müssen – eine verantwortungsvolle<br />
Grundhaltung des Menschen dem Tier gegenüber gefordert wird. Diese Grundhaltung wird<br />
unterschiedlich, oftmals auch gar nicht, begründet und zeigt unterschiedliche – teilweise<br />
aus heutiger Sicht etwas befremdliche – Ausprägungen. Doch von keinem Text kann gesagt<br />
werden, er unterstütze eine ausbeuterische, missbräuchliche Haltung des Menschen<br />
dem Tier gegenüber.<br />
1.1. Überprüfung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese<br />
Meine eingangs aufgestellte <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese 110 , dass sich in den atl. Texten die Aufforderung<br />
zu einem verantwortungsbewussten Umgang des Menschen mit dem Tier finden lässt,<br />
scheint sich vollumfänglich zu bestätigen. Allerdings sind die Begründungen für diese<br />
Forderung nicht nur in den verschiedenen Textsorten unterschiedlichen Inhalts, sondern<br />
häufig gar nicht niedergeschrieben. Die Begründungen müssen erahnt werden – sie werden<br />
nicht mitgeliefert. Besonders schwierig ist dies in den Gesetzestexten, da diese explizit ein<br />
bestimmtes Handlungsmuster fordern, jedoch nicht begründen, auf welcher Basis diese<br />
Forderung fusst. Der verantwortungsbewusste Umgang des Menschen mit dem Tier ist<br />
jedoch nicht als einheitliche alttestamentliche Konzeption zu verstehen, sondern vielmehr<br />
als Grundhaltung, welche hinter den ‚tierethischen’ Texten steht. Insofern kann dieser gemeinsame<br />
Hintergrund als Basis bildende Einstellung gesehen werden.<br />
109 So z.B. Spr 6,6-8; 27,23-27; 30,24-28; Pr 9,4.<br />
110 S.o. A.5. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese, S. 6.<br />
70
1.2. Schöpfungstexte<br />
Die allesamt anthropozentrisch gestalteten Schöpfungsberichte sind m.E. in Bezug auf die<br />
Fragestellung nach der Mensch-Tier-Beziehung die ergiebigsten der untersuchten Textsorten.<br />
In diesen Texten geht es – anders als zunächst erwartet – nicht darum, Mensch und Tier<br />
auf eine Stufe zu stellen. Allerdings kann aus diesen Texten auch nicht gelesen werden,<br />
dass das Tier weniger wertvoll wäre als der Mensch. Vielmehr beschäftigen sich die untersuchten<br />
Schöpfungstexte damit, die Position des Menschen an der Spitze der Schöpfung<br />
darzustellen und zu begründen.<br />
Der Hiob-Text läuft dem nicht direkt entgegen, betont aber, dass Jhwh – auch wenn der<br />
Mensch an der Spitze der Schöpfung steht 111 – über dem Menschen wie auch über dem<br />
Tier steht. Es kann aus diesem Text, besonders auch in der Kombination mit den Texten,<br />
welche eine Art Statthalterschaft des Menschen darstellen (Gen 1, Gen 2, Ps 8), für die<br />
Mensch-Tier-Beziehung gefolgert werden, dass der Mensch so mit dem Tier umgehen soll,<br />
wie Jhwh es mit den Menschen und mit den Tieren tut: liebevoll, würdevoll, respektvoll.<br />
Die Frage nach dem „Herrschen“ des Menschen über die Schöpfung kann anhand der untersuchten<br />
Texte folgendermassen beantwortet werden: Der Mensch wird als Abbild Gottes<br />
verstanden, was konkret heisst, dass er die Statthalterschaft Gottes auf Erden innehat. Somit<br />
ist er verantwortlich dafür, dass die göttliche Ordnung auf diese Weise erhalten bleibt,<br />
wie Gott sie erhalten würde, wenn er selbst auf der Erde wäre. Das Herrschen des Menschen<br />
über die Schöpfung hat nichts mit Ausbeutung und Machtmissbrauch zu tun!<br />
In allen diesen Texten wird Leben nicht explizit als ‚heilig‘ verstanden. Und doch scheint<br />
es in dieser Art durchzuschimmern. Das von Gott geschenkte Leben ist etwas Besonderes,<br />
das es zu achten und zu bewahren gilt.<br />
1.3. Gesetzestexte<br />
In den untersuchten Gesetzestexten wird eine deutliche Kluft zwischen Mensch und Tier<br />
gezeichnet. Diese Kluft mündet nicht in Macht um der Macht willen mündet, sondern wird<br />
vielmehr durch diesen existentiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier letztlich der<br />
verantwortungsvolle Umgang des Menschen dem Tier gegenüber begründet. Die konkreten<br />
Begründungen für die einzlen Ge- und Verbote fehlen gänzlich, was grossen Interpretationsspielraum<br />
lässt 112 :<br />
111 Dies wird auf diese Weise jedoch nicht explizit gesagt.<br />
112 Vgl. bereits C.4.3.1. Begründung, S. 56.<br />
71
Einerseits kann die Verantwortung, welche der Mensch dem Hilfsmittel, Opfertier und<br />
Nahrungslieferant Tier gegenüber wahrgenommen werden muss, mit landwirtschaftlichen<br />
Erfahrungswerten begründet werden. Der Mensch kann nur existieren, wenn seine Nutztiere<br />
voll einsatzfähig sind. Andererseits kann aber auch eine religiöse Komponente angenommen<br />
werden: Das Tier wurde dem Menschen zugedacht, weil der Mensch als Abbild<br />
Gottes die Fähigkeit und die Möglichkeit hat, verantwortungsvoll – artgerecht – über das<br />
Tier zu wachen. Zum <strong>Dr</strong>itten könnte das Tier aber auch als Teil der Gesellschaft betrachtet<br />
werden. Wie immer man auch die Ge- und Verbote begründet – wichtig ist m.E., dass in<br />
diesen Texten nicht die Geschwisterlichkeit von Mensch und Tier betont wird, sondern<br />
ausschliesslich das verantwortungsvolle Umgehen des Menschen mit dem Tier.<br />
1.4. Weisheitstexte<br />
Die untersuchten Texte sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich: Während Spr 12,10<br />
die Kluft zwischen Mensch und (Nutz-)Tier und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen<br />
ihnen bestärkt, betont Pr 3,18-21 die Gemeinsamkeit von Mensch und Tier. Das Bewusstsein,<br />
dass <strong>bei</strong>de, Mensch wie Tier von Jhwh geschaffen wurden und von ihm abhängig<br />
sind, prägt – ohne dass dies explizit genannt würde – die <strong>bei</strong>den Texte.<br />
1.5. Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />
Auch wenn die Texte im einzelnen grosse Unterschiede aufweisen, kommt doch <strong>bei</strong> allen<br />
zum Ausdruck, dass der Mensch dem Tier gegenüber Verantwortung trägt. Bei den Schöpfungstexten<br />
wird mit dem Herrschaftsauftrag, bzw. mit der Namensgebung und der Anmerkung,<br />
dass Gott dem Menschen die Schöpfung unter seine Füsse gestellt hat, angezeigt,<br />
dass die Texte „keine unnatürliche Gleichsetzung und (...) keinen sentimentalen Versuch<br />
einer geistigen Gleichstellung von Mensch und Tier“ 113 vornehmen. In allen untersuchten<br />
Textsorten kommt klar zum Ausdruck, dass das Tier das dem Menschen am nächsten stehende<br />
irdische Geschöpf ist, dass aber die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier<br />
nicht stark genug betont werden kann. Dies geschieht unter anderem mit der Darstellung<br />
einer klaren Hierarchie: In vielen Texten wird die Hierarchie ‚Gott-Mensch-Tier’ vorausgesetzt.<br />
Es geht in den Texten nicht darum, diese Hierarchie aufzuheben, sondern vielmehr,<br />
sie zu begründen, zu konkretisieren.<br />
113 PETERSEN, S. 16.<br />
72
Das Bewusstsein einer Heiligkeit des Lebens kann in keinem der Texte explizit gefunden<br />
werden. Implizit schwingt es dennoch möglicherweise <strong>bei</strong>m Schächtgebot oder auch <strong>bei</strong><br />
Spr 12,10 mit.<br />
1.5.1. Hierarchie<br />
In vielen der untersuchten Texte tritt das dahinterstehende Hierarchieverständnis ganz<br />
deutlich hervor. Diese Hierarche ‚Tier-Mensch-Gott’ wird als Selbstverständlichkeit gesehen,<br />
ist jedoch eigentlich eine recht schwierige Angelegenheit: Die Annahme einer objektiven<br />
Werthierarchie setzt einen Standpunkt ausserhalb der Wertordnung voraus. Den hat<br />
der Mensch jedoch nicht. So ist es eigentlich eine menschliche Arroganz, wenn die Verfasser<br />
der Texte davon ausgehen, dass der Mensch das höchste Wesen auf Erden ist, weil der<br />
Mensch selbst dies gar nicht beurteilen kann. 114 Die Auffassung, dass nur der Mensch beseelt<br />
und Ebenbild Gottes sei 115 , bietet keinen Anlass, das Leiden oder das Leben der Tiere<br />
weniger ernst zu nehmen. 116 In den alttestamentlichen Texten kommt jedoch deutlich zum<br />
Ausdruck, dass die Autorschaft diese Überlegung gar nicht angestrebt hat. Vielmehr wurde<br />
dann der entgegengesetzte Weg eingeschlagen, nämlich die Überzeugung, dass der Mensch<br />
gerade mit diesem einzigartigen Beseelt-Sein und Ebenbild-Sein, für das Tier, und die<br />
Schöpfung im Allgemeinen, eine Verantwortung zu übernehmen hat.<br />
1.5.2. ‚Mitleidsethik’<br />
Alle untersuchten Texte appellieren an das Bewusstsein, dass die Tiere, wie die Menschen,<br />
von Gott geschaffene und demnach von Gott gewollte Lebewesen sind. Die Gewissheit der<br />
Leidensfähigkeit des Tieres kommt in einigen Texten deutlich zum Vorschein: So <strong>bei</strong>spielsweise<br />
in Spr 12,10 oder auch in Dtn 5. Es muss hier aber angeführt werden, dass die<br />
Leidensfähigkeit des Tieres in den Texten nicht explizit zu finden ist. Sie steht nur im Hintergrund<br />
der Texte. Doch wäre es undenkbar, den Texten diese Basis abzusprechen. Hier<br />
nun von einer ‚Mitleidsethik’ im modernen Sinn zu sprechen, ist möglicherweise etwas<br />
hoch gegriffen. Dennoch ist deutlich, dass diese Texte nicht von Tieren als leidensunfähige,<br />
bedürfnislosen Gegenständen sprechen, sondern dass sie im Gegenteil das Leben und<br />
die Bedürfnisse der Tiere ernst nehmen.<br />
114 Vgl. WOLF, S. 112.<br />
115 Vgl. Gen 2.<br />
73
1.5.3. ‚Das Entdecken des ganz Anderen‘<br />
Besonders in den Texten, welche sich mit den wilden Tieren befassen 117 , kommt deutlich<br />
zum Ausdruck, dass in der Tierwelt ‚das ganz Andere’ entdeckt werden kann. Aber auch in<br />
den Texten zum Umgang mit den Nutztieren ist diese Komponente nicht zu unterschätzen:<br />
Das Tier wird zwar als das dem Menschen nächststehende Geschöpf empfunden, doch sind<br />
die Unterschiede zwischen Mensch und Tier insofern unüberbrückbar, als sie niemals aufgehoben<br />
werden können. Das Tier wird immer Tier und damit auch dem Menschen unterlegen<br />
bleiben. Der Mensch kann und muss dafür sorgen, dass diese Kluft gut genutzt und<br />
nicht missbraucht wird.<br />
1.6. Begründungen<br />
Wie es begründet wird, dass der Mensch Verantwortung für das Tier zu übernehmen hat,<br />
wird nicht gesagt. Es gilt nun, diese möglichen Begründungen noch einmal zusammenzufassen:<br />
1.6.1. ‚Mitgeschöpflichkeit‘<br />
Wird mit dem Bewusstsein der ‚Mitgeschöpflichkeit’ argumentiert, dass <strong>bei</strong>de – Mensch<br />
und Tier – geschaffen sind, heisst das in alttestamentlichen Texten nicht, dass Tiere als<br />
Geschwister angenommen werden müssen, dass der Standpunkt des Menschen an der Spitze<br />
der Schöpfung aufgegeben werden muss und dass der Mensch seine sehr hohe Stellung<br />
innerhalb der Hierarchie preisgeben soll. Vielmehr ist ‚Mitgeschöpflichkeit’ eine mögliche<br />
Begründung für den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit dem Tier. Die Tatsache<br />
nämlich, dass die Tiere vom selben Schöpfer hervorgebracht wurden, zeigt, dass<br />
dieser Schöpfer geehrt werden muss. Die Schöpfung zu missachten, hiesse, den Schöpfer<br />
selbst missachten.<br />
1.6.2. Einhalten menschenspezifischer Gebote<br />
Eine andere mögliche Erklärung für den verantwortungsvollen Umgang des Menschen mit<br />
dem (Nutz-)Tier ist die, dass der Mensch damit die Gebote, welche er selbst halten muss,<br />
auch wirklich einhält. Konkret heisst das am Beispiel des Sabbatgebots, welches auch für<br />
die (Nutz-)Tiere gilt, dass der Mensch durch diese Ausweitung auf die Tiere gezwungen<br />
ist, die Sabbatruhe wirklich einzuhalten.<br />
116 Vgl. WOLF, S. 116.<br />
117 S.o. B.4. Hi 38f, S. 30ff.<br />
74
1.6.3. Landwirtschaftlicher Nutzen<br />
Viele dieser Texte zeigen den landwirtschaftlichen Kontext der Abfassungszeit. Hier ist zu<br />
fragen, ob einige der Texte über den verantwortungsvollen Umgang mit dem Nutztier nicht<br />
einfach auf landwirtschaftlichen Erfahrungswerten beruhen. Möglicherweise wurden die<br />
Erfahrungen im Nachhinein in eine religiöse Ebene gehoben.<br />
2. Religionsgeschichtliche Betrachtung<br />
2.1. Von der Tierverehrung zur Tierethik<br />
WERA VON BLANKENBURG 118 bezeichnet das Ergriffenwerden des Menschen vom Wesen<br />
des Tieres als ein religiöses Urelebnis. Die Tierwelt wurde in den ersten Epochen der<br />
Menschheitsgeschichte zur Verkörperung der vitalen Erdkräfte. So erstaunt es nicht, dass<br />
in vielen Religionen die Gottheiten in Tieren oder Tiergestalten verehrt wurden. Wer nämlich<br />
nicht bewusst Geschöpf und Schöpfer unterscheidet, überträgt die Faszination, welche<br />
er dem Geschöpf gegenüber verspürt, leicht auf dieses selbst. Hier liegt die Wurzel dessen,<br />
was als ‚religiöse Tierverehrung’ bezeichnet werden kann. Parallel zur Verehrung von<br />
Gottheiten in Tieren oder Tiergestalten können auch die als göttlich angesehenen Begleiter<br />
von Gottheiten eine wichtige Rolle spielen. 119 Mit dem Übergang zum Monotheismus wird<br />
dieses Verhältnis zu den vergöttlichten Tieren neu überdacht. Der Mensch projiziert nun<br />
nicht mehr die Tiere ins Göttliche und wird sich des Abstandes, welche ihn von den Tieren<br />
trennt, bewusst. Da sich der Mensch parallel zu dieser Entwicklung viele von den ihn umgebenden<br />
Tieren auch als Nutz- und <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>svieh dienstbar gemacht hat, stehen sie nun im<br />
Bewusstsein nicht mehr über ihm, sondern umgekehrt, der Mensch steht über dem Tier.<br />
Nur noch ganz vereinzelt leben Reste der Tierverehrung weiter. 120 Der Glaube an die<br />
Gleichstufigkeit und Verwandtschaft von Menschen und Tieren schwindet immer mehr.<br />
Der Mensch wird mehr und mehr der Überlegene, je länger je mehr tritt er dem Tier als ein<br />
Wesen höherer Ordnung entgegen. 121 Gleichzeitig mit dem neuen Gottesverständnis entsteht<br />
also auch ein neues Tierverständnis. Beide aber haben sie ihren Ursprung in einem<br />
neuen Menschenverständnis und wirken rückläufig wieder auf das Menschenverständnis<br />
118<br />
VON BLANKENBURG, S. 9.<br />
119<br />
So z.B. der Adler des Zeus oder die Raben des Odin.<br />
120<br />
So z.B. in der Elia-Geschichte 1Kön 17.<br />
121<br />
Dies lässt sich am Beispiel der <strong>bei</strong>den Schöpfungsberichte Gen 1 und Gen 2 schön darstellen: Gen 2, der<br />
ältere der <strong>bei</strong>den Texte, schildert das Geschaffensein des Menschen und der Tiere zwar auch schon auf den<br />
Menschen hin, doch immer noch so, dass die Verwandtschaft dieser <strong>bei</strong>den deutlich wird. Gen1, der jüngere<br />
Text, scheint die Tiere ganz auf den Menschen hin zu schaffen – die Konzeption lässt die Überlegenheit des<br />
Menschen über das Tier deutlich zu Tage treten.<br />
75
zurück. 122 Für das Verhältnis des Menschen zum Tier bedeutet das das Aufkommen einer<br />
ansatzweisen Tierethik. Das Fehlen der Tierverehrung gab den Raum frei für die Reflexion<br />
der Mensch-Tier-Beziehung. Diese Reflexion schlägt sich zwar in den biblischen Texten<br />
nicht in einer Abhandlung nieder, doch ist in den einzelnen Textabschnitten deutlich zu<br />
beobachten, dass der Mensch seinen Bezug zum Tier überdacht hat. Zentral <strong>bei</strong> dieser<br />
Entwicklung scheint mir folgende Feststellung: „Wenn die jüdische Religion dem Tier<br />
auch seine Göttlichkeit raubt, so raubt sie ihm doch deswegen nicht seine Seele, seinen<br />
Charakter als fühlendes und respektheischenes Wesen. (…) Sie erniedrigt das Tier nicht<br />
zur Sache.“ 123<br />
2.2. Umwelt<br />
Im gesamten alten Orient wurden Gottheiten durch Tiergestalten repräsentiert. So wurden<br />
in Ägypten die göttlichen Mächte seit dem 4. Jt. v. Chr. in Tieren oder Tiergestalten verehrt.<br />
Ebenfalls seit der Frühzeit treten Mischwesen mit menschlichem Leib und Tierkopf<br />
als Darstellungsform von Göttern auf. 124 Im vorderasiatischen Raum und in Kleinasien<br />
sind solche theriomorphe Götterdarstellungen oder Mischgestalten kaum zu finden. Götter<br />
und Göttinnen werden dort anthropomorph dargestellt. Die Verbindung zum Tier zeigt sich<br />
dort in den Charakteristika der Götterdarstellungen: So sind als Beispiele Hörnerkronen<br />
oder das Stehen auf Tieren zu nennen. 125<br />
2.3. Abgrenzung<br />
Auch in Israel/Palästina waren solche theriomorphen Darstellungen von Gottheiten bekannt.<br />
Jedoch wurde mit dem Aufkommen der Jhwh-Religion und der Veränderung vom<br />
Polytheismus zum Monotheismus 126 das Verhältnis zu solchen Darstellungen stark überdacht:<br />
Solche unbefangenen Verbindungen von Gott und Tieren werden in den alttestamentlichen<br />
Texten als veraltet angesehen, wie <strong>bei</strong>spielsweise das Bilderverbot in Dtn 4,16-<br />
18 zeigt. Solche Verbote wurden erlassen, weil in Israel die kultische Verehrung von (Tier-<br />
)Bildern praktiziert wurde, sie jedoch mit den Fremdgöttern, von welchen es sich abzugrenzen<br />
galt, in Verbindung gebracht wurden. 127 Trotz allen Bemühungen, sich gegen die<br />
122<br />
Vgl. LANDMANN, S. 18.<br />
123<br />
LANDMANN, S. 39.<br />
124<br />
BARTELMUS in JANOWSKI, S. 307.<br />
125<br />
Ebd.<br />
126<br />
Einige Gottheiten, welche entweder in Tiergestalt verehrt oder speziell für Tiere und ihre Fruchtbarkeit<br />
zuständig waren, wurden durch das Aufkommen des Monotheismus allmählich durch Jhwh abgelöst.<br />
127<br />
Ebd.<br />
76
Gottheiten der Nachbarvölker und deren Tierbildverehrung abzugrenzen, blieben zahlreiche<br />
Tiere in der Jhwh-Religion nahe <strong>bei</strong> der göttlichen Sphäre. So spielten z.B. Stier- und<br />
Löwenbilder in der Inneneinrichtung des Jerusalemer Tempels eine wichtige Rolle. 128<br />
3. Andere biblische Texte<br />
3.1. Andere atl. Texte<br />
In meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> habe ich mich auf die Untersuchung einiger weniger Texte beschränkt. Im<br />
Alten <strong>Testament</strong> sind jedoch noch ganz andere Texte, welche über den Umgang des Menschen<br />
mit dem Tier berichten, zu finden. So können die Bileam-Geschichte 129 oder die<br />
Episode, in welcher Elia von den Raben gefüttert wird 130 , als Texte gelesen werden, welche<br />
einen Zugang des Menschen zum Tier zeigen, der für uns heutige, mitteleuropäische<br />
Menschen kaum mehr vorstellbar ist: Nämlich der Zugang, dass in den Tieren eine göttliche<br />
Macht zu erkennen ist. 131 Auch die biblischen Bilder, die mit Hilfe des Tieres für den<br />
Menschen relevante Gegebenheiten plastisch und dramatisch illustrieren, können an dieser<br />
Stelle erwähnt werden: So sind <strong>bei</strong>spielsweise die Rede des Nathan in 2Sam 12, die Bezeichnung<br />
des einzelnen Feindes als Hund in Ps 22,17, die Darstellung der Invasionswelle<br />
als Heuschreckenwolke in Jes 33,4 oder Jes 11,6-9, die bevorstehende Wiederherstellung<br />
des ursprünglichen Friedensstandes in der Zeit der Vollendung zu nennen.<br />
Die Bilder, welche in diesen Texten vom Tier gezeigt werden, weisen nicht per se auf eine<br />
‚Tierethik‘ hin. Doch zeigen sie, dass die alttestamentlichen Texte die <strong>Th</strong>ematik des Tieres<br />
auf verschiedenen Ebenen behandeln.<br />
3.2. Ausblick ins NT<br />
Die neutestamentlichen Texte sind im Bezug auf die Mensch-Tier-Beziehung nicht sehr<br />
aussagekräftig. Zwar können einige Textstellen gefunden werden, in denen Tiere vorkommen,<br />
doch sagen sie wenig über das dahinterstehende Verhältnis aus. Dennoch möchte ich<br />
hier einige Textstellen anführen, welche mir für den Ausblick ins Neue <strong>Testament</strong> zentral<br />
erscheinen:<br />
In Matth 6,25-29 werden die Vögel als Vergleichspunkt zum Menschen erwähnt: Während<br />
der Mensch sich um seine Nahrung sorgt, haben sie die Gelassenheit, darauf zu vertrauen,<br />
128<br />
Vgl. KEEL/SCHRÖER, S. 64.<br />
129<br />
Num 22.<br />
130<br />
1Kön 17.<br />
131<br />
S.u. E.2. Religionswissenschaftliche Betrachtung, S. 75f.<br />
77
dass Gott sie ernährt. Das Bewusstsein, dass Gott seine Schöpfung nicht nur geschaffen<br />
hat, sondern sie auch erhält, ist in den ntl. Texten sehr wichtig.<br />
In Mk 1,12f heisst es, dass Jesus in der Wüste <strong>bei</strong> den Tieren war. Mit dem Erscheinen<br />
Jesu erwacht die menschliche Hoffnung, vom Verhängnis des Sündenfalls endgültig befreit<br />
zu werden. In Christus wird die Hoffnung auf die Wiederherstellung der paradiesischen<br />
Gemeinschaft gesetzt. In diesem Text kommt zum Ausdruck, dass mit dem Escheinen Jesu<br />
diese Wiederherstellung bereits begonnen hat. 132<br />
In Röm 8,18-22 wird geschildert, wie alles Geschaffene in der belebten Schöpfung auf die<br />
Erwartung ausgerichtet ist, aus der Leidenszeit dieses Äons in ein neues Eden hinübergeführt<br />
zu werden. Das Seufzen der Schöpfung kann in diesem Zusammenhang also als Ausdruck<br />
von Beseeltsein und geschöpflicher Würde betrachtet werden. 133<br />
Paulus nimmt in 1Kor 9,9 das Gebot aus Dtn 25,4 auf, dem dreschenden Ochsen das Maul<br />
nicht zu verbinden und deutet diese Textpassage um: Er geht davon aus, dass mit dem<br />
Ochsen eigentlich der Mensch gemeint ist. Über das Verhältnis des Menschen zum Tier<br />
wird somit sehr wenig ausgesagt. Es kommt allerdings deutlich hervor, dass es hier primär<br />
um den Menschen und seine Beziehung zu Gott geht.<br />
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die ntl. Texte, in denen Tiere vorkommen,<br />
spärlich und unterschiedlich sind. Dennoch kann man auch hier beobachten, dass das Bewusstsein,<br />
dass sowohl Menschen als auch Tiere von Gott geschaffen wurden und von ihm<br />
erhalten wurden, vorherrscht. Grundsätzlich steht jedoch das Verhältnis Gott-Mensch im<br />
Vordergrund des Neuen <strong>Testament</strong>es.<br />
4. ‚Dort und damals‘ versus ‚hier und heute‘<br />
Es wäre naiv zu behaupten, zur Abfassungszeit der Texte hätte man Missstände im Bezug<br />
auf das Verhältnis von Mensch und Tier nicht gekannt. Gerade die Existenz der Gesetzestexte<br />
und weisheitliche Texte wie Spr 12,10 zeigen, dass damals der verantwortungsbewusste<br />
Umgang des Menschen mit dem Tier nicht selbstverständlich war. Es ist jedoch<br />
anzunehmen, dass es nicht Missstände von heutigem Ausmass waren. Probleme mit der<br />
Massentierhaltung, mit ausbeuterischen medizinischen Tierversuchen oder unzumutbaren<br />
Trainingsmethoden <strong>bei</strong> Sporttieren dürften damals noch keine wesentliche Rolle gespielt<br />
haben. Solche Probleme treten wohl erst seit DESCARTES auf. Seitdem der Mensch dem<br />
Tier die Leidensfähigkeit abgesprochen hat, waren dem Missbrauch von Tieren Tür und<br />
132 Vgl. GRÄSSER in JANOWSKI/RIEDER, S. 117.<br />
133 GRÄSSER in JANOWSKI/RIEDER, S. 125.<br />
78
Tor geöffnet. Auch wenn wir heute bezüglich Leidensfähigkeit des Tieres wieder an einem<br />
anderen Ort stehen als DESCARTES, so sind die Folgen der cartesischen Behauptungen desaströs.<br />
Man darf davon ausgehen, dass zur Abfassungszeit der untersuchten Texte im Gesamten<br />
das Bewusstsein des Menschen, dass er für die Tiere eine Verantwortung trägt,<br />
noch einiges präsenter war als in der Zeit nach DESCARTES.<br />
Dass wir heute menschheitsgeschichtlich an einem völlig anderen Ort stehen als zur Abfassungszeit<br />
der untersuchten Texte, macht es schwierig, die Texte unreflektiert in die heutige<br />
Zeit übernehmen zu wollen. Wir können unmöglich damit argumentieren, dass in der Bibel<br />
ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Tier gefordert wird und darauf vertrauen, dass<br />
die heutigen aufgeklärten und verstandesorientierten Menschen die biblischen Texte als<br />
Autorität anerkennen und ihr Verhalten den Tieren gegenüber ändern werden. Wir können<br />
aber dennoch davon ausgehen, dass die biblischen Texte prägend auf unsere Gesellschaft<br />
wirkten und nach wie vor wirken. Insofern ist auch eine biblische Tierschutzethik, wie ich<br />
sie im Folgenden kurz vorstellen werde, nach wie vor zu begründen.<br />
4.1. Biblische Tierschutzethik<br />
Die biblische Tierschutzethik beruht auf der Sonderstellung des Menschen und dem diese<br />
Sonderstellung begründenden Auftrag Gottes an den Menschen, über die Tiere zu herrschen.<br />
134 Diese aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit herausgehobene Stellung des Menschen<br />
muss in Verbindung mit einer durch Verantwortung für das untergebene Tier begrenzten<br />
Treuhandschaft, die der Mensch in Gottes Auftrag ausübt, gesehen werden. Die<br />
Vorstellung, der Mensch sei eine Art Halbgott, wie man aus Ps 8 herauslesen könnte 135 , ist<br />
für die biblische Tierschutzethik in diesem Sinn nicht förderlich, trägt sie nämlich nichts<br />
zur Klärung des Verhältnisses von Mensch und Tier <strong>bei</strong>. Vielmehr muss dort eingesetzt<br />
werden, wo der Mensch als Erhalter der göttlichen Schöpfungsordnung gesehen, d.h. als<br />
Erster innerhalb der grossen Gemeinschaft der Geschöpfe Gottes 136 , werden kann. 137 WOLF<br />
betont, dass der Ansatzpunkt einer Tierethik nicht die Heiligkeit allen Lebens noch die<br />
Verletzlichkeit der Natur, sondern das „Individualwohl von Tieren“ sein muss. 138 Auch sei<br />
weder die blosse Gleichsetzung noch die Konstatierung der Wesensunterscheidung hilf-<br />
134 Gen 1,26.28.<br />
135 S.o. Ps 8, S. 26f.<br />
136 KARL BARTH prägt für diese Überlegung den Begriff „primus inter pares“, KD, Bd III, S. 210.<br />
137 Vgl. TEUTSCH, Lexikon, S. 32ff.<br />
138 Vgl. WOLF, S. 172.<br />
79
eich, sondern nur „eine differenzierende und individualisierende Wahrnehmung relevanter<br />
Ähnlichkeiten und Unterschiede“. 139<br />
Der utilitaristische Ansatz einer Tierethik setzt <strong>bei</strong> der Verringerung von Leiden 140 ein. Um<br />
die Verringerung von Leiden und die Maximierung von Glück auf eine Tierethik übertragen<br />
zu können, muss jedoch eine Leidensfähigkeit der Tiere und möglicherweise auch der<br />
Gedanke der Mitgeschöpflichkeit vorausgesetzt werden.<br />
4.2. <strong>Altes</strong> <strong>Testament</strong> und Christentum<br />
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, 141 beziehe ich mich in der vorliegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> ausschliesslich<br />
auf die christliche Rezeption der atl. Texte. Da sich das Christentum jedoch<br />
vorwiegend auf die Texte des Neuen <strong>Testament</strong>es bezieht, und diese – wie ich kurz gezeigt<br />
habe 142 – in Bezug auf die Fragestellung meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht besonders ergiebig sind, besteht<br />
keine ausgeprägte Bear<strong>bei</strong>tung der Mensch-Tier-Beziehung aus christlicher Sicht.<br />
Neuere Bewegungen, wie <strong>bei</strong>spielsweise der deutsche Verein „Aktion Kirche und Tier –<br />
AKUT“ mit Sitz in Bochum beschäftigen sich zwar seit einiger Zeit mit dem Umgang des<br />
Menschen mit dem Tier und werden zunehmend auch international aktiv, doch handelt es<br />
sich <strong>bei</strong> diesen Aktionen um einzelne Gruppierungen, die weltweit kaum wahrgenommen<br />
werden und die auch kaum einen Beitrag leisten zur wissenschaftlichen Aufar<strong>bei</strong>tung der<br />
<strong>Th</strong>ematik.<br />
Dass ich mich in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> nicht auf die jüdische Tradition der Textauslegung stützen<br />
konnte, bedaure ich sehr. Ich hätte in diesen Schriften wohl einen grossen Schatz an Überlegungen<br />
zu den in dieser <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> untersuchten Texten gefunden. Diese Texte für das Verständnis<br />
der untersuchten atl. Textpassagen fruchtbar zu machen, wäre jedoch eine eigene<br />
Untersuchung wert, und der <strong>bei</strong>läufige Miteinbezug derselben hätte den Rahmen der vorliegenden<br />
<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> <strong>bei</strong> Weitem gesprengt. Dennoch sehe ich im Umgang mit der jüdischen<br />
Tradition eine Chance für das Christentum, die leider einmal mehr ungenutzt blieb.<br />
4.3.Zwischen biblizistischer Argumentation und historischem Interesse – Folgerungen<br />
für die heutige Tierethik<br />
Ich habe in meiner <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in ausgewählten alttestamentlichen<br />
Texten darzustellen versucht. Nun steht die Frage an, ob und wenn ja in<br />
139 WOLF, S. 13.<br />
140 „Minimizing suffering“, Vgl. SINGER, S. 21.<br />
141 S.o. A.6. Literatur, S. 7.<br />
142 S.o. E.3.2. Ausblick ins NT, S. 77.<br />
80
welchem Sinn diese Darstellung für uns heute relevant ist. Einerseits handelt es sich hier<br />
um eine wissenschaftliche <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>, welche die biblischen Texte aus historischem Interesse<br />
beleuchten will. Andererseits geht es mir aber auch darum zu überlegen, ob für die heutige<br />
Zeit diese Texte nutzbar gemacht werden können. Lese ich diese Texte ausschliesslich aus<br />
historischem Interesse, so muss ich zum Schluss kommen, dass ich nicht nach möglichen<br />
Impulsen für eine heutige Tierethik fragen darf. Wenn ich jedoch forderte, dass sich die<br />
heutige Gesellschaft wieder nach den Intentionen der alttestamentlichen Texte richten soll,<br />
so argumentiere ich flach und biblizistisch. Welche Reflexionsschritte müssten denn unternommen<br />
werden, damit die Texte von damals heute relevant bleiben können?<br />
Grundsätzlich ist hier zu sagen, dass unsere Gesellschaft – ob sie es will oder nicht –<br />
christlich geprägt ist, dass also auch die untersuchten alttestamentlichen Texte in unserer<br />
Gesellschaft Eingang gefunden haben. In neuster Zeit ist der bewusste Umgang mit den<br />
Texten massiv zurückgegangen – dennoch wage ich zu behaupten, dass die biblischen Texte<br />
gesellschaftsbildend sind. In diesem Sinn möchte ich die biblischen Texte als nach wie<br />
vor relevante Texte gelesen wissen. Wenn ich nun aber davon spreche, dass unsere Gesellschaft<br />
christlich geprägt ist, so muss ich auch berücksichtigen, dass ich in der vorliegenden<br />
<strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong> alttestamentliche Texte – darunter auch Gesetzestexte – untersucht habe. Christus<br />
jedoch löste bekannterweise die Gesetze auf. Also ist es schwierig zu sagen, dass alle untersuchten<br />
Texte heute noch volle Gültigkeit besitzen. Wenn jedoch hinter die Texte zurückgegangen<br />
wird und nicht die Texte als solche, sondern ihr Hintergrund, dass nämlich<br />
der Mensch Verantwortung für die Tiere zu tragen hat, als zeit- und kulturunabhängiges<br />
Grundbedürfnis angesehen und umgesetzt wird, so könnte viel Leid aus der Welt geschaffen<br />
werden.<br />
5. Persönliches Schlusswort<br />
Den hinter mir liegenden <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sprozess überblickend, kann ich zusammenfassend sagen,<br />
dass die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Texten für mich persönlich sehr<br />
bereichernd war. Meine ursprüngliche Idee, eine ‚Tierethik’ im Sinne einer Abstraktion der<br />
Moral und deren Konkretisierung in den Handlungen hinter den einzelnen Passagen ausmachen<br />
zu können, gestaltete sich jedoch schwieriger als anfänglich angenommen. Die<br />
einzelnen Texte zeigen wenig von den Begründungen, Grundhaltungen und alltäglichen<br />
Umgangsformen der Menschen mit den Tieren – und sie zeigen noch weniger von einer<br />
Reflexion der Moral. Ich hoffe mit meinen Überlegungen zu den Begründungsmöglichkei-<br />
81
ten der einzelnen Texte aufgezeigt haben zu können, was möglicherweise hinter diesen<br />
Texten steht. Denn es war mir bald klar, dass, wollte ich die atl. Aussagen zur Mensch-<br />
Tier-Beziehung für die heutige Zeit nutzbar machen, hinter die Texte zurück zu gehen ist.<br />
Die Texte, wie sie sich uns heute präsentieren, können unmöglich unadaptiert übernommen<br />
werden. Doch stellte sich die Frage, was denn tatsächlich hinter diesen Texten steht.<br />
Grundsätzlich bin ich davon ausgegangen, dass die Texte keiner expliziten Begründung<br />
bedürfen, da diese sowohl der Autor- wie der Leserschaft bekannt war. Es muss sich also<br />
um eine religiöse Grundhaltung handeln, welche selbstverständlich vorausgesetzt werden<br />
konnte. Diese Grundhaltung ist es, die m.E. heute vielerorts fehlt und welche seit der Aufklärung<br />
durch andere Begründungsmodelle abgelöst werden musste. Will man nun aus den<br />
untersuchten atl. Texten Handlungs- oder Begründungsargumente für die heutige Zeit gewinnen,<br />
so muss man davon ausgehen, dass eine religiöse Grundeinstellung vorausgesetzt<br />
werden kann. Doch auch wenn sich kaum etwas gewinnen lässt, wenn man Menschen gegenüber,<br />
welche nichts mit dieser Denkart anzufangen wissen, mit den biblischen Texten<br />
argumentiert, so kann dennoch mit dem Argument der Verantwortung verhandelt werden:<br />
Die atl. Texte lassen zwar die Begründung weitgehend offen, doch ist die geforderte Verantwortung,<br />
die der Mensch dem Tier gegenüber schuldet, nicht wegzudiskutieren. In diesem<br />
Sinn lässt sich SCHWEITZERS Satz „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben,<br />
das leben will.“ 143 als Prämisse für die atl. Texte sehen: Damit alles Leben, was leben will,<br />
auch leben kann, muss der Mensch auch die Konsequenzen seiner Überlegenheit tragen<br />
und den Umgang mit dem Tier verantwortungsvoll gestalten.<br />
143 SCHWEITZER, S. 181.<br />
82
B. Einleitung 1<br />
7. Voraussetzungen 2<br />
8. Motivation 4<br />
9. Absicht 4<br />
10. Vorgehen 5<br />
11. <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese 6<br />
12. Literatur 7<br />
B. Die Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungs-Texten 7<br />
4. 1. Gen 1,20 – 1,31 9<br />
1.1. Text und Übersetzung 9<br />
1.2. Fragen an den Text 10<br />
11<br />
1.2.1. arb, ‚schaffen’<br />
1.2.2. krb, ‚segnen’ 11<br />
1.2.3. bAj, ‚gut’ 12<br />
1.2.4. hdr, ‚herrschen’ 14<br />
1.2.5. vbk, ,herrschen’ 15<br />
1.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht 16<br />
1.3.1. Mitgeschöpflichkeit 16<br />
1.3.2. Göttliche Ordnung 17<br />
1.3.3. Gen 1,26ff Herrschaft des Menschen 18<br />
1.4. Fazit 18<br />
2. Gen 2,7-2,9.15.18-25 20<br />
83
2.1. Text und Übersetzung 20<br />
2.2. Fragen an den Text 21<br />
2.2.1. rmv, ‚bewachen, behüten, u.a.’ 21<br />
2.2.2. rz[, ‚Hilfe’ 22<br />
2.2.3. ~yYIx; tm;v.nI, ‚Lebensodem, Lebenskraft’<br />
22<br />
2.3. Die Mensch-Tier-Beziehung im jahwistischen Schöpfungsbericht 23<br />
2.3.1. rz[, ‚Hilfe’ 23<br />
2.3.2. ADg>n
4.2.1. Auswahl der aufgezählten Tiere 32<br />
4.2.2. Weisheit 33<br />
4.2.3. Rhetorische Fragen 34<br />
4.3. Die Mensch-Tier-Beziehung in der zweiten Gottesrede <strong>bei</strong> Hiob 34<br />
4.4. Fazit 35<br />
7. Fazit: Mensch-Tier-Beziehung in den Schöpfungstexten 35<br />
5.1. Anthropozentrismus 35<br />
5.2. Hierarchie und Machtmissbrauch 36<br />
5.3. Mitgeschöpflichkeit 37<br />
5.4. Statthalterschaft als gemeinsame Aussage der untersuchten Texte 38<br />
5.5. Schlussbemerkung 39<br />
C. Das Tier in den Gesetzestexten 40<br />
8. 1. Sabbatgebot Dtn 5,12-15 40<br />
1.1. Text und Übersetzung 40<br />
1.2. Vorbemerkung: Deuteronomium und Exodus 40<br />
1.3. Fragen an den Text 41<br />
1.3.1. Rind, Esel, Vieh 41<br />
1.3.2. Begründung des Gebots 41<br />
1.4. Mensch-Tier-Beziehung im Sabbatgebot nach Dtn 41<br />
1.4.1. Landwirtschaftliche Erfahrung 41<br />
1.4.2. Das Ruhen des Menschen 42<br />
1.4.3. Identifikation mit dem ‚Haus‘ 42<br />
1.4.4. Der Miteinbezug des Tieres in die Gesellschaft 43<br />
1.5. Fazit 43<br />
85
9. Schächten Dtn 12,23.25; Gen 9,4f; Lev 17,11.14 44<br />
2.1. Texte und Übersetzungen 44<br />
2.1.1. Dtn 12,21.23-25 44<br />
2.1.2. Lev 17,11.14 44<br />
2.1.3. Gen 9,4 45<br />
2.2. Fragen an die Texte 45<br />
2.2.1.^tiyWIci rv,a]K; Dtn 12,21, ‚wie ich dich geheissen habe’<br />
45<br />
2.2.2. vpn, ‚Schlund, Rachen, Kehle, Leben’ 45<br />
2.2.3. Blut als Sitz der Seele, Sitz des Lebens 45<br />
2.2.4. Blut und Seele in der Umwelt Israels 46<br />
2.3. Mensch-Tier-Beziehung 46<br />
2.3.1. Die Selbstverständlichkeit, dass Tiere eine Seele haben 46<br />
2.3.2. Fleischkonsum 47<br />
2.3.3. Rettung von Leben 47<br />
2.3.4. Respekt vor dem Tier 48<br />
2.4. Fazit 48<br />
10. Reine/unreine Tiere Dtn 14,2-21a 49<br />
3.1. Text und Übersetzung 49<br />
3.2. Fragen an den Text 50<br />
3.2.1. Schwierig zu übersetzende Tiernamen 50<br />
86
3.2.2. amej', ‚unrein’<br />
50<br />
3.2.3. hb'[eAT, ‚Greuel’ 51<br />
3.2.4. Zoologische Zuordnungen 51<br />
3.3. Grundsätzliches zum Text 52<br />
3.3.1. Abgrenzung Israels gegen andere Völker 52<br />
3.3.2. Das Beispiel der fleischfressenden Vögel 53<br />
3.4. Mensch-Tier-Beziehung in Dtn 14 53<br />
3.4.1. Die Kluft zwischen Mensch und Tier 53<br />
3.4.2. Die Hierarchie von Tier, Mensch, Gott 53<br />
3.4.3. Der Umgang mit den unreinen Tieren 54<br />
3.5. Fazit 54<br />
6. Umgang mit Nutztier Dtn 25,4 55<br />
4.1. Text und Übersetzung 55<br />
4.2. Fragen an den Text 55<br />
4.3. Mensch-Tier-Beziehung 55<br />
4.3.1. Begründung 55<br />
4.3.2. Leidensfähigkeit der Tiere 56<br />
4.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier 56<br />
4.4. Fazit 56<br />
7. Fazit zu den Gesetzestexten 57<br />
5.1. Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten 57<br />
5.1.1. Landwirtschaftliche Effizienz als Begründungsbasis 58<br />
5.1.2. Moralische Überlegungen als Begründungsbasis 58<br />
5.1.3. Religiöses Bewusstsein als Begründungsbasis 59<br />
5.2. Tierethik in den Gesetzestexten? 59<br />
5.3. Schlussbemerkung 59<br />
87
F. Das Tier in weisheitlichen Texten 60<br />
11. 1. Spr 12,10 60<br />
1.1. Text und Übersetzung 60<br />
3.2. Fragen an den Text 60<br />
1.2.1. vpn, ‚Schlund, Rachen, Kehle, Leben’ 60<br />
1.2.2. [;deAy, ‚wissen, sich kümmern um jmd/etw’<br />
61<br />
1.3. Mensch-Tier-Beziehung 61<br />
1.3.1. Nutztier 61<br />
1.3.2. Die Abhängigkeit des Nutztieres vom Menschen 61<br />
1.3.3. Kluft zwischen Mensch und Tier 62<br />
1.3.4. Die Reichweite dieses Verses 62<br />
1.4. Fazit 63<br />
4. Pr 3,18-21 64<br />
2.1. Text und Übersetzung 64<br />
2.2. Fragen an den Text 64<br />
4.2.1. rqm, ‚Schicksal’ 64<br />
2.3. Mensch-Tier-Beziehung 65<br />
4.2.2. !yIa hm'heB.h;-!mi ~d'a'h' rt;AmW, ‚Es gibt keinen Vorteil des<br />
Menschen<br />
vor dem Tier.’ 65<br />
4.2.3. lb,h' lKoh, ‚alle sind nichtig’<br />
65<br />
4.2.4. Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier 65<br />
4.2.5. Konsequenzen für die ‚tierethische‘ Praxis? 66<br />
2.4. Fazit 66<br />
5. Fazit zu den Weisheitstexten 67<br />
88
G. Diskussion 68<br />
12. 1. Einheitliche Tierethik im AT? 68<br />
1.1. Überprüfung der <strong>Ar<strong>bei</strong>t</strong>sthese 68<br />
1.2. Schöpfungstexte 69<br />
1.3. Gesetzestexte 69<br />
1.4. Weisheitstexte 70<br />
1.5. Gemeinsamkeiten und Unterschiede 70<br />
4.3.1. Hierarchie 71<br />
4.3.2. ‚Mitleidsethik’ 71<br />
4.3.3. ‚Das Entdecken des ganz Anderen‘ 72<br />
1.6. Begründungen 72<br />
1.6.1. ‚Mitgeschöpflichkeit‘ 72<br />
1.6.2. Einhalten menschenspezifischer Gebote 72<br />
1.6.3. Landwirtschaftlicher Nutzen 73<br />
5. Religionsgeschichtliche Betrachtung 73<br />
2.1. Von der Tierverehrung zur Tierethik 73<br />
2.2. Umwelt 74<br />
2.3. Abgrenzung 74<br />
6. Andere biblische Texte 75<br />
3.1. Andere atl. Texte 75<br />
3.2. Ausblick ins NT 75<br />
7. ‚Dort und damals‘ versus ‚hier und heute‘ 76<br />
4.1. Biblische Tierschutzethik 77<br />
4.2. <strong>Altes</strong> <strong>Testament</strong> und Christentum 78<br />
4.3. Zwischen biblizistischer Argumentation und historischem Interesse<br />
– Folgerungen für die heutige Tierethik 78<br />
13. 5. Persönliches Schlusswort 79<br />
89
Literatur:<br />
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