Robben- und WaljagdIndigene Jäger zwischenTradition und WandelKanadas Robbenjagd empört nicht nur weltweit unzählige Gemüter,sie schadet auch den arktischen Ureinwohnern massiv. Doch auchdie Inuit sind gefordert. Sie müssen sich von falsch verstandener«Tradition» abwenden und den Wandel der Gegenwart als Chancestatt als Bedrohung wahrnehmen.VON HANS PETER ROTH<strong>Tier</strong>schützer glaubten den Horrorgebannt. Doch seit einigenJahren spielt sich dasentsetzliche Gemetzel jedes Jahrzum Ende des Polarwinters wiederab. Dann werden vor Kanadas KüstenHunderttausende von Sattelrobbenabgeschlachtet. Allein für<strong>2007</strong> hatte Kanada 270␣000 Robbenzum Töten freigegeben. Bis zum offiziellenEnde der Robbenjagd wur-Sattelrobben Bilder: Kostenlos zVg. von Respect for Animals (© 2006).den dann nur 215␣388 <strong>Tier</strong>e als getötetgemeldet. Dies berichtete derInternationale <strong>Tier</strong>schutzfonds mitVerweis auf interne Zahlen der kanadischenRegierung. Wie vieleRobben tatsächlich starben, lässtsich allerdings nicht sagen. Insbesondere<strong>Tier</strong>e, die auf Distanz abgeschossenwerden, fallen nichtselten von Eisschollen tot ins Wasseroder tauchen verletzt ab, undverenden später qualvoll.Treibeis – Mangel undÜberflussDieses Jahr schien das Wetter denbedrängten Sattelrobben zu Hilfe zukommen. Während es zuerst somild war, dass die Robbenjägerkaum genügend begehbare Packeiszonenfür ihr blutiges Geschäftfanden, trieb dann unvermittelt vielschwimmendes Eis aus der Arktisnach Labrador und Neufundlandhinunter. Böenartige Winde presstendas Treibeis Richtung Küste undschlossen etwa hundert kleinereSchiffe von Robbenjägern ein.Für die gejagten Robben bedeutetedas eisige Wetter eine Schonfrist.Doch zuvor war das ungewöhnlichwarme Wetter mit fehlendemTreibeis nicht nur ein Nachteilfür die Jäger, sondern auch für dieGejagten. Denn auch die Robbenmütterbrauchen für das Gebäreneine grosse Eisfläche. Ohne einesolche müssen sie ihre Babys imWasser zur Welt bringen. Die Folge:Viele Neugeborene ertrinken.Dies geschah dieses Jahr in grossemUmfang. Nach Angaben desInternational Fund for Animal Welfare(IFAW) kamen so Tausendeneugeborene Sattelrobben imSankt-Lorenz-Golf ums Leben.UnbegreiflichBemerkenswert: sogar Kevin Stringer,Sprecher des kanadischenFischereiministeriums – also desTrägers der alljährlichen Robbenjagd– räumte zu Beginn der Jagdsaisonein, dass aufgrund der ungewöhnlichenBedingungen 90 bis100 <strong>Pro</strong>zent der neugeborenen Robbenim Sankt-Lorenz-Golf ertrinkenkönnten. Umso befremdlicher mutetes an, dass das Ministerium alleinfür die St.Lorenz-Region trotz-18 <strong>Pro</strong><strong>Tier</strong> 4/07
dem eine Robben-Killquote von81␣000 <strong>Tier</strong>en ansetzte.Unfassbar, dass angesichts derdurch die Klimaerwärmung, Gewässerbelastungund Futtermangel(der Mensch fischt den Robben dieBeute weg – nicht umgekehrt) akutenBedrohung der Robben überhaupteine Jagdquote festgesetztwurde. Unbegreiflich, dass die kanadischeRegierung angesichts einersolchen Politik dann auch nochjammert, wenn sie nicht nur vonUmwelt- und <strong>Tier</strong>schutzorganisationen,sondern auch von diverseneuropäischen Ländern kritisiertwird. Während sich Jäger und Aktivistenauf dem kanadischen Eiseinmal mehr gegenüberstehen,werden im fernen Europa die Rufenach einem totalen Einfuhrverbotfür Robbenprodukte lauter. Belgienhat es bereits im Alleingang beschlossen.Unter der WürdeAm 30. Juli <strong>2007</strong> forderte sogar dasamerikanische RepräsentantenhausKanada offiziell zur endgültigenEinstellung der Robbenjagd aufmit der Begründung, die absurdeSchlächterei sei unter der Würdedes kanadischen Volkes. Zweifellossind die negativen wirtschaftlichenFolgen für Kanada grösser als derErlös aus der Robbenjagd – wenn esdenn einen solchen überhaupt gibt.Denn die Jagd in den abgelegenensubpolaren Gebieten ist sehr teuer.Vor allem, wenn damit verbundenjetzt auch aufwändige internationaleLobby- und politische Rechtfertigungskampagnenaufgezogenwerden müssen. Dazu kommt, dassdie Robbenjäger bei den verändertenWitterungsbedingungen ihr Lebenriskieren.Ein Rückschlag für die Schutzbemühungenkönnte einzig bedeuten,dass im Gegensatz zu Europa undAmerika die Nachfrage nach Robbenproduktenim asiatischen Marktderzeit steigt. Tragisch ist indessenauch hier einmal mehr, dass fastausschliesslich ökonomisch argumentiertwird. Als wäre Geld dasMass aller Dinge, und nicht diemoralisch-menschliche Einsicht,dass solches Tun ein Verbrechengegen das <strong>Tier</strong>, die Schöpfung undsomit auch gegen wahre Menschlichkeitist.Folgen für alleBemerkenswert ist weiter, dassselbst die wirklich traditionellenRobbenjäger, die arktischen Inuit,entsetzt sind, wenn sie die Art sehen,wie die Jäger auf der kanadischenSeite die Robben abschlachten.Erst erschlagen sie die<strong>Tier</strong>e mit Stöcken, dann ziehen sieihnen das Fell ab. Alles andere lassensie achtlos auf dem Eis liegen.Für die arktische Urbevölkerung,die Inuit, undenkbar. Von einer Robbeverwerten sie praktisch alles.Zudem leiden die Inuit in verschiedenerHinsicht direkt und indirektunter der durch die kanadischeRegierung nicht nur gebilligtensondern auch subventioniertenMassenschlächterei. Durch denschlechten Ruf der Robbenjagdkönnen die Ureinwohner kaumüberleben und die erlegten <strong>Tier</strong>elediglich zum Eigengebrauch verwenden.Aber für das Auskommenim hohen Norden sind auch die Inuitlängst auf Geld angewiesen.Dazu kommt, dass zusammenbrechendeRobbenbestände in kanadischenGewässern Auswirkungenauf die gesamte Robbenpopulationin der Arktis haben. Sowohl austier- wie aus artenschützerischerSicht ist also ein klarer Unterschiedzu machen zwischen der indigenenRobbenjagd in der Arktis und Kanadasindustrialisiertem Massenmord.Robbenmassaker auf AfrikanischSpuren im Schnee nachder Robbenschlächterei.Sie kommen im grauen Morgenlicht: Männer in Überkleidern und Gummistiefeln,welche die jungen Robben von ihren Müttern wegtreiben und mit Knüppelnso lange auf sie einschlagen, bis die <strong>Tier</strong>e reglos in Lachen erbrochenerMuttermilch liegen. Die erwachsenen Bullen werden erschossen. Auch diesesJahr hat das Namibias Fischereiministerium 80␣000 Jungtiere und 6000 Bullender Kap-Pelzrobbe zur «Ernte» freigegeben, offiziell, weil die Meeressäugerden örtlichen Fischbestand stark dezimierten. <strong>Tier</strong>schutzorganisationen nennenes das weltweit zweitgrösste Abschlachten von Meeressäugern – nur in Kanadawerden jährlich noch mehr Robben getötet. Doch gilt die dortige Robbenjagdim Vergleich als geradezu human: Namibia ist das einzige Land, welchesnoch immer erlaubt, in der Stillphase befindliche Robbenbabys zu töten. InKanada, Grönland, Norwegen und Russland ist dies seit 1987 verboten, seit1990 jagt auch Südafrika keine Robben mehr. (mgt/hpr)<strong>Pro</strong><strong>Tier</strong> 4/0719