Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong>Paul-Gerhardt Gemeinde<strong>Pastor</strong>Hamburg-Winterhude Predigt am 25.09.11ber ich empfinde das Schweigen des Evangeliums als ein sehr beredtes Schweigen; beredt,weil es uns auf seine Weise Auskunft gibt über Josef.Josef war ein sehr ruhiger und bedachter Mann. Sein Leben war Selbstbescheidung. Durchnichts war er zu empören, und durch seine Tiefe und sein glaubendes Vertrauen wurde er zueiner Art Urbild christlicher Existenz.Josef war heimatlos. Abgesehen von der Szene an der Krippe kennen wir ihn nur unterwegs(auf dem Weg nach Bethlehem, auf der Flucht nach Ägypten, auf der Rückkehr). Er warheimatlos und sicher auch einsam mit seiner Frau, die er sehr liebte. Was muss die Eröffnungihrer Schwangerschaft für ein Schlag gewesen sein für ihn?! Gott hat seine irdischeLiebe arg getroffen – wie schwer muss es für ihn gewesen sein, an Marias Unschuld zu glauben,sie nicht zu verstoßen oder gar der Steinigung preis zu geben! Josef hat geglaubt, imGrunde an etwas Unglaubwürdiges geglaubt. Er hat das Unverstandene hingenommen undein Leben lang getragen, ich denke, als ein in seinem Herzen zutiefst verwirrter Mensch.Was hat ihm die Kraft gegeben, diese Zerrissenheit auszuhalten? Die Bibel gibt zur Antwort:Ihm ist ein Engel erschienen. Josef hat Maria geliebt und niemand (nicht einmal Gott!) kannuns ein geliebtes Wesen aus dem Herzen reißen. Ich glaube schon, dass Josef gedacht hat,Maria sei ihm untreu geworden. Sicher hat er auch im Stillen erwogen, sich von Maria zutrennen. Aber in dieser Zerreißprobe zwischen Liebe und Schmerz kommt ihm in der NachtGott zu Hilfe – und zwar durch einen „Vermittler“, einen Engel. Der Engel eröffnet ihm dasGeheimnis der Menschwerdung. Dennoch – ich bin sicher, auch nach dieser Eröffnung wirdes für Josef schwer gewesen sein, das mitzutragen; zu nah steht hier das Unehrenhafte demHeiligen.Zwei Aspekte sind mir aus dieser Engelbegegnung vor allem wichtig:• Gott bringt Hilfe. Das ist eine der wesentlichen Funktionen der Engel auch in unseremLeben: Sie bringen Hilfe in uns ausweglos erscheinenden Situationen. Wenn wir sagen,„Dich hat der Himmel geschickt“ oder „Du bist ein Engel“, höre ich den Stein regelrechtplumpsen, der dem Sprechenden von der Seele fällt. Eine Hilfe, mit der man nicht rechnenkonnte, am rechten Ort, gerade zur rechten Zeit … Wie oft werden wir einander zuEngeln von Gott eingesetzt? Gottes Engel brauchen keine Flügel!• Ein weiteres ist wichtig an Josefs Engelbegegnung: Josef hat nicht spontan reagiert, seineFrau nicht sofort fortgeschickt, obwohl er sicher tief getroffen war und alle diese Reaktionvon ihm erwartet hätten. Nein – Josef lässt sich Zeit für diese Entscheidung. Die Sacheist erst einmal „überschlafen“ – das muss kein Ausdruck von Entscheidungsschwächesein, das räumt vielmehr die Zeit ein, Gedanken zu klären, Gefühle zu ordnen und –wo nötig – die richtigen Worte zu finden. Die Nacht ist dafür eine gute Gelegenheit. In derDunkelheit und Stille fallen alle Außenreize weg. Wir sind wirklich bei uns selbst. Undwenn wir uns in schlafloser Nacht allzu sehr um uns selber drehen in unseren Gedanken,können wir Gott um Hilfe bitten – und tatsächlich, so klärt sich manches „über Nacht“.Josef erfährt es als Traum; ihm erscheint der rettende Engel. Was lange Zeit als Mythologisierungverpönt war, ist mittlerweile längst wieder entdeckt. Psychologen und Therapeutenarbeiten mit den Träumen, wenn sie Menschen ihre Probleme, aber auch ihr Lebensziel,ihren Lebenssinn aufzeigen wollen. Was da in Bildern Gestalt gewinnt, darf getrost auch alsGottes Offenbarung gesehen werden.Manche Träume haben etwas Drängendes, andere wiederholen sich ständig, wieder anderesind einmalig, aber derart „einschlagend“, dass sie uns noch lange im Wachzustand beschäftigen.Ähnlich verhält es sich mit Glaubensdingen. Jede Glaubenswahrheit braucht ihre Zeit.Es ist ein falscher Anspruch, alles zu einem bestimmten Datum (zum Beispiel der Konfirmation)erreicht und verstanden haben zu wollen. Vielmehr braucht jeder seine individuelle Zeitder Reifung. Jeder hat das Recht bei jeder einzelnen Glaubenswahrheit die Entscheidungaufzuschieben bis zu dem Augenblick, wo er spürt: Jetzt ist der richtige Augenblick gekommen.Dieses Spüren kommt der Engelbegegnung gleich. Wie Josef im Raum die Hilfe erhält,so hat der Glaubende ganz unvermittelt die Gewissheit: Jetzt ist die Zeit der Gnade da. Hier
Evangelisch-Lutherische Seite 3 E. Felix <strong>Moser</strong>Paul-Gerhardt Gemeinde<strong>Pastor</strong>Hamburg-Winterhude Predigt am 25.09.11ereignet sich aktuell und individuell die Hilfe Gottes – manchmal so dicht, dass sie Gestaltgewinnt, vielleicht die Gestalt eines Engels.Bei der zweiten Vision des Josef erfahren wir noch eine Steigerung. War der Engel anfangsnur Helfer, wird er jetzt zum Retter in der Not. Er erscheint nach der Geburt Jesu und befiehltJosef, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen. Es ist ein Exil auf Zeit, wie wir ausder dritten Vision erfahren. Nach dem Tod des Herodes erscheint der Engel wiederum, jetztmit dem Auftrag an Josef, nach Israel zurückzukehren.Der Engel als Retter in der Not, das ist der klassische Schutzengel; er ist wohl am vertrautesten.Aber wie sieht es aus, wenn er einen Auftrag für uns hat. Passt das überhaupt nochin unsere Schutzengelvorstellung? Die bezieht und beschränkt sich ja auf Notsituationen.Wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen, keine Wahl und keinen Spielraum mehr haben,dann sehnen wir uns nach dem rettenden Engel. Aber sonst? Sonst sind wir doch so stolzdarauf, alles frei und selbstbestimmt zu regeln. Ein Engel mit einem Auftrag „von oben“ würdeda nur stören.An dem Punkt können wir einiges von Josef lernen. Er, der wenige Worte macht, kann hinhören,horchen, wo nötig ge-horchen. Es ist für ihn selbstverständlich, die Beauftragung ernstzu nehmen und ihr zu folgen. Und ich bin sicher: Da wo wir uns die Zeit und Mühe nehmen,unsere Lebenssituation genau in den Blick zu nehmen, werden wir schnell unsere Beauftragungenerkennen: Die Nachbarin, die Hilfe braucht; der Mitarbeiter, der ein offenes Ohrsucht; das eigene Kind, das sich nach mehr Zeit und Aufmerksamkeit der Eltern sehnt …Und jenen, denen es so schwer fällt, die Hilfe anderer anzunehmen, sei gesagt: Auch daskann ein Ergebnis meiner Lebensprüfung sein, dass ich erkenne: ich selbst bin der Auftrag.Ob aus Not, Krankheit, Einsamkeit, ich selbst kann zum Auftrag für meinen Nächsten werden.Dessen muss sich keiner schämen. Im Gegenteil: nehme ich die Beauftragung ernst,muss ich dem anderen auch die Möglichkeit geben, seinen Auftrag zu erfüllen.So gesehen ist jedes Menschsein ein Gesandtsein zu den Menschen von Gott her, kurz: einEngeldienst. Gottes Engel brauchen keine Flügel.Amen