LebenZeit, die neue WährungSie ist eine Revoluzzerin. Ihre Mission: Zeit statt Geld. Wie Susanna Fassbinddie Altersvorsorge umkrempelt und wie lange sie selbst noch arbeiten will.Text: Micha Eicher / Foto: Alexandra WeySie hat im Frühling <strong>2015</strong> den mit 40 000 Frankendotierten Milizpreis der Swiss Re gewonnen.Dieser wird für aussergewöhnlichesEngagement in der Milizarbeit verliehen. SusannaFassbinds Einsatz gilt einem neuenvolks wirtschaftlichen Modell, das sich geradeschweizweit durchsetzt. Mit dem Verein KISShat sie eine neue Währung eingeführt: die Zeit.Frau Fassbind, Glückwunsch zu Ihrem Preis.Susanna Fassbind: Danke. Grosse Euphoriedeswegen kenne ich nicht, auch keine extremenHochs und Tiefs. Ich versuche, möglichstausgeglichen durchs Leben zu gehen.Und dennoch: ist diese Preisverleihung wahrscheinlichfür Sie nicht ganz unbedeutend?Nein, natürlich nicht. Schliesslich waren da dieGrossen der Wirtschaft mit dabei. Ich bin nichtauf dem Ego-Trip. Mir gehts einzig um KISS. Esbraucht andere volkswirtschaftliche Modelle.«Es braucht anderevolkswirtschaftlicheModelle.»Susanna Fassbind,Co-Präsidentin Verein KISSJemand ist vielleicht nicht mehr gut zu Fussund froh um eine Einkaufshilfe, dafür kanner wunderbar Geschichten erzählen. Das gibtschon einen Austausch. KISS bildet genaudafür eine begleitende Plattform und sorgtfür eine soziale Vernetzung.Es geht um Betreuung, nicht um Pflege?Das ist ganz wichtig, ja. Es geht um Betreuung,Begleitung und Unterstützung. Die Pflegegehört ganz klar in Fachhände. Begleitungund Betreuung von Seniorinnen und Seniorenkommt heute oft von deren Kindern undFreiwilligen. Mit der starken Zunahme derMenschen in der 4. Lebensphase, also über80 Jahren, reicht das jedoch bei weitem nichtmehr. Studien zeigen, dass Menschen in dieserLebensphase möglichst lange in ihremZuhause bleiben möchten. Es braucht neueWege, um den zunehmenden Bedarf an Betreuungund Begleitung sicherzustellen.Was heisst das konkret?Die öffentliche Hand mit den stark steigenden Sozialausgabenist im bisherigen Stil, ohne weiter Schuldenzu machen, nicht mehr sehr lang zahlungsfähig. LautStatistik wird künftig eine junge Person zwei Alte finanzierenmüssen. Das ist Raubbau an der Jugend undkann so nicht aufgehen. Doch die Lösung liegt auf derHand. Denn die sogenannte 3. Generation zwischendem Pensionsalter und ca. 75 Jahren verfügt über einebeträchtliche Ressource: Zeit. Damit rechnet KISS.Wie möchten Sie selber alt werden?Frisch und zwäg. Ich bin jetzt 72. Ich werde noch bis90 an der Umsetzung dieser Vision weiterarbeiten. DasGeld des Milizpreises verleiht unserer Freiwilligenarbeiteinen schönen Rückenwind. Wenn ich sterbe, möchteich mir auf die Schulter klopfen können und zu mirselber sagen: Ich habe mein Leben sinnvoll gemeistert.www.kiss-zeit.chWarum braucht es da gleich eine neue Währung?Geld leidet unter einer massiven Entwertung. Der Frankenist gerade mal noch die Hälfte wert wie in den1970er-Jahren. Zudem explodieren Gesundheits- undvor allem Pflegekosten. Wer die ganze Rechnung anschaut,weiss, dass sie nicht aufgehen kann. Zeit isthingegen immer gleich. Eine Stunde wird auch in hundertJahren noch eine Stunde sein. Da setzen wir an.Ist KISS eine Art Nachbarschaftshilfe?Ja. Doch für eine funktionierende Nachbarschaftshilfebraucht es eine gute soziale Durchmischung in einemQuartier. Das ist nicht überall selbstverständlich. Vielevor allem ältere Menschen sind einsam oder brauchenfür einfache Dinge im Alltag ein wenig Unterstützung.KISS: das neue Modell ZeitvorsorgeIn Deutschland, Österreich, Obwalden, Luzern, St. Gallen und nun auchCham ist sie eingeführt: eine geldfreie Zeitvorsorge in Form einer 4. Vorsorgesäule.Diese ist eine Ergänzung der drei bestehenden Säulen dessozialen Systems und der unentgeltlichen Freiwilligenarbeit. Der DachvereinKISS hat dieses Modell ins Leben gerufen und will damit eine einfacheund faire Lastenverteilung zwischen allen Generationen fördern.Der Name KISS steht für «keep it small and simple», also halte es kleinund einfach. Die Währung: Zeit. Das System ist simpel. Wer Senioren undgenerell Menschen in Notsituationen bei der Bewältigung des Alltagshilft, erhält die dafür aufgewendete Zeit gutgeschrieben. Später könnendie Helfer/-innen diese, wenn nötig, selbst in Anspruch nehmen.<strong>gesundsitzen</strong>– 26 –<strong>2015</strong>/<strong>2016</strong>
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