Trends & WissenJoggen – Megatrendoder Volkskrankheit?In wenigen Jahren werden Schweizer Operationssäle überranntvon Joggern mit kaputten Kniegelenken. Das sagt einer, der mit seinemTeam über 1000 Knie jährlich operiert. Warum die einen dafürheute schon Schlange stehen und was das mit einem Autopneu zu tun hat.Text: Micha Eicher / Fotos: Fotolia/Halfpoint, zvgGrandprix, Halbmarathon, Marathon oder Bergrennen:Kein Sport erfährt derzeit einen grösseren Zulauf alsJoggen. Das merkt auch Stefan Eggli. Er ist Kniespezialistim Sonnenhofspital inBern und operiert oft über10 ‹abgelaufene› Knie proTag. Zwischen 1000 und1300 sind das pro Jahr. DasErschreckende: «Es sindimmer mehr Junge», sagter. «Die Zahl der unter 55-Jährigen, denen wir Knieprothesenmachen müssen, explodiert derzeit.»«Wir verdienen sehr gut anden Joggern. Das werden malalles unsere Kunden.»Sonst hätten wir HufeDer menschliche Körper ist nicht zum Joggen gebaut:«Schauen Sie ein Pferd oder ein anderes Lauftier an, wienatürlich es springt. Bei unssieht das alles andere alselegant aus. Wenn wir dafürgemacht wären, hättenwir Hufe. Das ist nicht vonmir, sondern der Herr Kieser– der Erfinder des gelenkschonendenKieser Trainings – sagt das und hatdamit hundertprozentig recht», so Stefan Eggli. Wenn<strong>gesundsitzen</strong>– 60 – <strong>2015</strong>/<strong>2016</strong>
Trends & WissenEggli jedoch beim Grandprix die Läufer anschaut, tutihm das nur weh. 300 bis 400 Kilogramm Gewicht könnenbeim Joggen auf jedes Knie auftreffen. Und das beijedem Schritt. «Eine giftige Spitzenbelastung, die demKnorpel massiv schadet.» Vor allem tragisch, weil dieserab dem 20. Lebensjahr nicht mehr nachwächst. «Knorpelist wie ein Autopneu», so Eggli, «er nutzt sich immerweiter ab, bis er einmal ganz weg ist.» Wer buchstäblichauf den Felgen läuft, landet irgendwann mal bei Eggliund seinen Kollegen.«Ist der Knorpel weg, ists mitdem Joggen vorbei»Knallhart sei er da, sagt Eggli.«Ich operiere niemanden, bevorer nicht aufhört mit Joggen.»Sonst bringe das nichts. «Dannschauen sie mich jeweils mitgrossen Augen an. Es gibt jene,die verstehen, worums mirgeht, und die anderen gehenhalt anderswo hin. Das ist miregal.» Am schlimmsten findeter jene Helden, die trotz Schmerzenjoggen und davor einSchmerzmittel schlucken, umnichts mehr zu spüren. «Dabeiist Schmerz immer eine Warnung, dass etwas nichtstimmt», sagt Eggli. Gerade bei einer funktionellen Störungwie dem Knorpelabrieb sei das Unterdrücken derSchmerzen gesundheitsschädigend. Spätestens wennder Knorpel weg ist, ists mit dem Joggen eh vorbei. Damüsse sich niemand einer Illusion hingeben.«Ich operiere niemanden,bevor er nichtaufhört mit Joggen.»Stefan Eggli, OrthopädiearztAlternative zu ProthesenMan lasse die Leute oft effektiv bis auf die Knochenlaufen, bis man operiert, sagt Stefan Eggli. Denn je jüngerder Patient, desto weniger zufriedenstellend sindkünstliche Knieprothesen. Zwar gibt es heute aufwendigeTechniken, wie die Knorpeltransplantation, woman den eigenen Knorpel entnimmt und im Labor aufzüchtet,um ihn dann einzusetzen. Jedoch geht dasmeist nicht bei grossflächigen Schäden, wie vom Joggenverursacht. Eine Alternative zu kompletten Knieprothesenbildet der Teilersatz eines Kniegelenks. Dies seiinsbesondere bei jüngeren Patienten mit höherem funktionellenAnspruch eine sinnvolle Strategie.Joggen braucht Know-howDie Alternative: Velofahren, Schwimmen, Spazierenoder Walking. Ein schlechter Trost für einen echtenJogger. Ist gelenkschonendes Rennen tatsächlich einDing der Unmöglichkeit? «Nein», meint Stefan Eggli,«es gibt tatsächlich Körperbautypen,die fürs Joggen bessergeeignet sind als andere.» Daserfährt man bei einer Ganganalyseund Beratung bei Fachspezialistenwie zum Beispiel einemPhysiotherapeuten. Und:Auch Joggen brauche Knowhow.«Wenn man schon joggt,dann sollte man zumindestwissen, wie.» Das kann manauch in Lauftrainings erlernen.Und natürlich sei das Schuhwerkentscheidend: «Wer mitirgendwelchen Billigschuhenherumrennt, muss sich nichtwundern, wenn es irgendwowehzumachen beginnt.» Dochda gibt es noch die ‹Riesenindustrie›, die vom MegatrendJoggen profitiert. Das reicht von Herstellern vonSportkleidung über die Schuhe bis zur Ernährung. Undnicht zu vergessen die Ärzte selbst: «Wir verdienen sehrgut an den Joggern. Das werden mal alles unsere Kunden.»Darum interessiere es gar niemanden so gross, damal den Finger draufzulegen und Aufklärungsarbeitzu leisten, so Eggli. Ihm hingegen ist die Prävention einAnliegen: «Wir Ärzte sind da ein wichtiges Frühwarnsystem.»Auf dass zumindest ein paar weniger ins Verderbenrennen.Auf künstliche Knieoberfächen spezialisierteKliniken:www.orthopaediesonnenhof.chwww.schulthess-klinik.chwww.hirslanden.chSitzen: wie ein WaldspaziergangNie wieder Rückenschmerzen. Rückenfreundliches Sitzen ist möglich –mit beweglichen Sattelstühlen. Immer in Bewegung, immer in Balance.Wie auf einem Waldspaziergang. Erst sitzen, dann kaufen: Egal, wo IhrArbeitsplatz ist, unser moving-people-Spezialist hilft Ihnen beim Einrichten.Testen Sie Ihren Stuhl im Alltag.Jetzt persönlichen Teststuhl anfordern bei: www.moving-people.ch<strong>gesundsitzen</strong>– 61 – <strong>2015</strong>/<strong>2016</strong>