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3/2011 - Psychotherapeutenjournal

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Gruppenselbsterfahrung in der psychotherapeutischen Ausbildung<br />

Freuds (Masson, 1999), die er versuchte,<br />

an sich selbst vorzunehmen, um seine eigenen<br />

Krankheitssymptome und Träume<br />

zu verstehen. Dies war aufs Engste verbunden<br />

mit der Entwicklung der Psychoanalyse<br />

(Laplanche & Pontalis, 1973).<br />

„Wenn der Arzt imstande sein soll, sich<br />

seines Unbewussten in solcher Weise als<br />

Instrument bei der Analyse zu bedienen, so<br />

muss er selbst eine psychologische Bedingung<br />

in weitem Ausmaße erfüllen. Er darf<br />

in sich selbst keine Widerstände dulden ...<br />

Es genügt nicht hierfür, dass er selbst ein<br />

annähernd normaler Mensch sei, man darf<br />

vielmehr die Forderung aufstellen, dass er<br />

sich einer psychoanalytischen Purifizierung<br />

unterzogen und von jenen Eigenkomplexen<br />

Kenntnis genommen habe, die geeignet<br />

wären, ihn in der Erfassung des vom<br />

Analysierten Dargebotenen zu stören.“<br />

(Freud, 1912/1990, S. 382)<br />

Auf dem 2. Internationalen Psychoanalytischen<br />

Kongress 1910 in Nürnberg bezeichnet<br />

Freud die Selbstanalyse als notwendige<br />

Voraussetzung zur Ausübung der<br />

Psychoanalyse:<br />

„... wir haben ... bemerkt, dass jeder Psychoanalytiker<br />

nur so weit kommt, als seine<br />

eigenen Komplexe und inneren Widerstände<br />

es gestatten, und verlangen daher,<br />

dass er seine Tätigkeit mit einer Selbstanalyse<br />

beginne ...“<br />

(Freud, 1910/1990, S. 108).<br />

Freud ging in seinem Postulat für den Charakter<br />

des Arztes bzw. Psychoanalytikers<br />

sogar über den Status eines „annähernd<br />

normalen Menschen“ (Freud, 1912/1990,<br />

s. o.) hinaus, er forderte für den Psychoanalytiker<br />

sogar eine „gewisse Überlegenheit“<br />

über das Stadium der Normalität hinaus,<br />

müsse er doch für seinen Patienten<br />

als „Erzieher“ (Freud, 1904/1991, S. 25)<br />

fungieren und ihn auf einem „gemeinsamen<br />

Erfahrungsprozess“ (J. Hardt, persönl.<br />

Mitteilung, 2010) begleiten können, was<br />

dann auch die Kenntnis der Richtung des<br />

Weges impliziere, die er erst selbst noch<br />

erlangen müsse.<br />

Auf dem 5. Internationalen Psychoanalytischen<br />

Kongress 1918 in Budapest wurde<br />

erstmals von Nunberg die Forderung er-<br />

254<br />

hoben, dass jeder Ausbildungsteilnehmer<br />

zur Psychoanalyse sich einer sogenannten<br />

Lehranalyse unterziehen solle (Streeck,<br />

2008). Diese Forderung wurde auf dem<br />

Kongress der Internationalen Psychoanalytischen<br />

Vereinigung (IPV) 1922 in Berlin<br />

wiederholt (Laplanche & Pontalis, 1973,<br />

S. 283). Ferenczi nahm 1928 den Faden<br />

auf und forderte, dass angehende Psychoanalytiker<br />

ihre Komplexe im Rahmen einer<br />

Lehranalyse aufzulösen hätten, mit den<br />

Zielen, zum einen eine Veränderung der<br />

eigenen Persönlichkeit, zum anderen eine<br />

Qualifikation als Psychoanalytiker zu erreichen.<br />

Die Lehranalyse solle „... von ebenso<br />

langer Dauer und gleich tiefer Schürfung<br />

wie die therapeutische Analyse ...“ (Ferenczi,<br />

1928/1972, S. 233) sein.<br />

Diese nach heutigen Maßstäben optimistisch<br />

klingenden Ziele führten im Folgenden<br />

dazu, dass die Lehranalyse nachfolgend<br />

die ursprüngliche Selbstanalyse Freuds als<br />

Modell zur Aneignung der Psychoanalyse<br />

verdrängte. Der zukünftige Psychoanalytiker<br />

sollte selbst in eine Lehrtherapie gehen.<br />

Entsprechend gilt bis heute für die psychoanalytische<br />

Ausbildung die Empfehlung,<br />

dass die Lehranalyse die psychoanalytische<br />

Ausbildung möglichst kontinuierlich begleiten<br />

solle (Streeck, 2008). Die Leitlinien der<br />

Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse,<br />

Psychotherapie, Psychosomatik und<br />

Tiefenpsychologie (DGPT) verlangen eine<br />

drei Mal pro Woche (bei 40 Wochen pro<br />

Jahr) zu erfolgende ausbildungsbegleitende<br />

Selbsterfahrung (sogenannte Lehranalyse),<br />

die mindestens fünf Jahre und mindestens<br />

600 Stunden umfasst.<br />

In dem Maße, in dem die Weiterentwicklung<br />

des Gegenübertragungskonzepts (Heimann,<br />

1950) als ein Erkenntnisinstrument<br />

für unbewusste Vorgänge erfolgte, rückte<br />

die Psychotherapeutenpersönlichkeit weiter<br />

ins Blickfeld. Im Unterschied zur Arzt-Patient-Beziehung<br />

in der Körpermedizin gehe<br />

es in der Psychotherapie stets um ein<br />

„Zwei-Personen-Drama“, ein Beziehungsgeschehen,<br />

in das beide Beteiligten mit ihrer<br />

individuellen Persönlichkeit involviert seien<br />

(Kronberg-Gödde, 2006). Von der Notwendigkeit<br />

einer unbedingten Kenntnis der Patientenpersönlichkeit<br />

hin zur notwendigen<br />

Kenntnis der Psychotherapeutenpersönlichkeit<br />

ist es damit nicht mehr weit.<br />

In der Verhaltenstherapie (VT) wurde<br />

der Person des Psychotherapeuten lange<br />

Zeit kaum Beachtung geschenkt (Schön,<br />

2001). Erst mit der zunehmenden Akzeptanz<br />

der Bedeutung der therapeutischen<br />

Beziehung<br />

„... rückten das Interaktionsverhalten des<br />

Therapeuten und andere personenspezifische<br />

Merkmale auch im Hinblick auf die<br />

Ausbildung von Therapeutinnen stärker in<br />

das Zentrum des Interesses (vgl. Kanfer,<br />

Reinecker & Schmelzer, 1991; Schindler,<br />

1991; Zimmer, 1983)“<br />

(Schön, 2001, S. 10).<br />

Die Persönlichkeitsentwicklung der angehenden<br />

Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen<br />

habe in der VT traditionell<br />

eine weit geringere Bedeutung als z. B. in<br />

der Psychoanalyse oder der Klientenzentrierten<br />

Psychotherapie gehabt (vgl. auch<br />

Rief, 2009). Die Persönlichkeit des Psychotherapeuten<br />

werde nicht als eine wesentliche<br />

Voraussetzung für die Wirksamkeit<br />

psychotherapeutischer Arbeit angesehen.<br />

Ziele verhaltenstherapeutischer Selbsterfahrung<br />

seien vielmehr die Verbesserung der<br />

Gestaltung der therapeutischen Beziehung<br />

und der Erwerb selbstreflexiver Fähigkeiten.<br />

In der Tat findet man selbst noch in den<br />

aktuellsten Lehrbüchern zur Klinischen<br />

Psychologie und Psychotherapie, die in<br />

aller Regel von verhaltenstherapeutischen<br />

Autoren herausgegeben werden, keine<br />

Ausführungen zur Selbsterfahrung von angehenden<br />

Psychotherapeuten im Rahmen<br />

ihrer therapeutischen Ausbildung. Dabei<br />

ist es längst gesetzliche Pflicht für die Ausbildung<br />

zum Verhaltenstherapeuten, im<br />

Rahmen der staatlich anerkannten Ausbildung<br />

120 Stunden Selbsterfahrung zu<br />

absolvieren. Das Forschungsgutachten der<br />

Bundesregierung zur Ausbildung von Psychologischen<br />

Psychotherapeuten und Kinder-<br />

und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />

(Strauß et al., 2009) weist aus, dass die<br />

Ausbildungsteilnehmer zur VT-Ausbildung<br />

signifikant weniger Einzelselbsterfahrung<br />

absolvieren (Angebot: 61,1% der Institute,<br />

verpflichtend: 27,8% der Institute) als ihre<br />

tiefenpsychologischen (TP) und psychoanalytischen<br />

(PA) Kolleginnen und Kollegen<br />

(Angebot: jeweils 100,0% für TP und<br />

PA; Pflicht: TP 94,0%, PA 93,8%). Hinge-<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2011</strong>

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