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3/2011 - Psychotherapeutenjournal

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Buchrezensionen<br />

Daiminger, C. (2007). Eine Erfolgsgeschichte mit Differenzen. Zur Geschichte<br />

der Professionalisierung der Verhaltenstherapie und der Deutschen Gesellschaft<br />

für Verhaltenstherapie (DGVT) in der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Tübingen: DGVT-Verlag. 360 Seiten. 32,00 €.<br />

David Bräuer<br />

Das Buch von Christine Daiminger stellt<br />

eine umfangreiche Untersuchung von den<br />

ersten Rezeptionen der Verhaltenstherapie<br />

in Deutschland in den 1960er-Jahren bis<br />

zur Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes<br />

im Jahr 1998 dar. Anhand<br />

von 31 Interviews mit Zeitzeugen und<br />

anhand von Quellendokumenten stellt<br />

Daiminger bedeutsame Entwicklungen,<br />

Start- und Endpunkte sowie Entwicklungs-<br />

und Konfliktfelder über diese Zeitspanne<br />

dar. Mittels ausführlich begründeter Klassifikations-<br />

und Auswertungsschemata<br />

werden die Entwicklungen zu drei großen<br />

Phasen zusammengefasst, von denen die<br />

„Erste Phase“ des Aufbruchs sowie die<br />

Richtungsentscheidungen und -konflikte<br />

in den 1970er-Jahren schwerpunktmäßig<br />

vertieft werden. Die Entwicklung der Deutschen<br />

Gesellschaft für Verhaltenstherapie<br />

(DGVT) sowie deren Beteiligung an inhaltlichen<br />

und strukturellen Entscheidungen in<br />

den beschriebenen Phasen wird nachgezeichnet.<br />

Daiminger hat recht, wenn sie schreibt,<br />

dass der Geschichtsschreibung zur Verhaltenstherapie<br />

(VT) nur ein geringes Interesse<br />

zuteil wird und sich nur wenige Publikationen<br />

– jenseits von Einführungskapiteln<br />

in Lehr- und Fachbüchern – mit den historischen<br />

Wurzeln der Verhaltenstherapie in<br />

Deutschland befassen. Bis dato fehlt eine<br />

umfassende und systematische Untersuchung,<br />

die Entwicklungslinien, Kernpunkte<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2011</strong><br />

und Konflikte der VT sowie die Rolle der<br />

assoziierten Organisationen nachzeichnet.<br />

Der Ansatz, Quellendokumente der DGVT<br />

mit 31 Interviews von Zeitzeugen und „Aktiven“<br />

zu verbinden, ist angemessen und<br />

macht „trockene“ historische Fakten für<br />

den Leser erfahrbar. In den Interviews gelingt<br />

es Daiminger, den Zeitgeist der jeweiligen<br />

Phasen abzubilden.<br />

Für welche Zielgruppe das Buch geschrieben<br />

ist, ist leider nicht ganz klar zu beantworten.<br />

Wenn es die Absicht gewesen ist,<br />

die Geschichte der VT in der BRD einem<br />

breiten Publikum zugänglich zu machen,<br />

wäre es wünschenswert gewesen, Methodenauswahl,<br />

-ansatz und -kritik weniger<br />

Raum zu lassen und sich bei der Darstellung<br />

der Aussagen vom Format geschichtswissenschaftlicher<br />

Arbeiten zu lösen. Dies<br />

gelingt beispielsweise Peter Fiedler in<br />

seinem Buch „Verhaltenstherapie mon<br />

amour“ ungleich besser.<br />

Zudem ist die Verbindung der zwei Fragestellungen,<br />

also die Etablierung der VT<br />

und die Bedeutung der DGVT, als gleichberechtigt<br />

nicht zwingend und so scheint<br />

die Zusammenführung teilweise bemüht.<br />

Eine Konzentration auf jeweils eine Fragestellung<br />

wäre in Hinsicht auf die Lesbarkeit<br />

sinnvoller gewesen.<br />

Der Beitrag, den Daimingers Untersuchung<br />

leistet, ist dennoch beachtlich – als<br />

Konservierung von Zeitzeugenaussagen<br />

und umfangreiche Sammlung sowie Systematisierung<br />

geschichtlicher Abläufe. Die<br />

Fülle und der Gehalt an Informationen sind<br />

bemerkenswert und halten nicht nur für<br />

jüngere Leser „Aha“-Erlebnisse bereit.<br />

Und auch wenn Daiminger sich nicht<br />

gänzlich von der Rolle der „Hofgeschichtsschreiberin“<br />

frei machen kann, so wird<br />

ihr Buch sicherlich dazu beitragen, dass<br />

geschichtliche Betrachtungen zur VT in<br />

Vorlesungen der Klinischen Psychologie<br />

und Psychotherapie nicht mehr primär<br />

auf Namedropping und Sprachhülsen begrenzt<br />

sein werden.<br />

Die eindrücklichen Erfolge bei der Etablierung<br />

und Professionalisierung einer Berufsgruppe<br />

zeigt Daiminger deutlich auf. Ebenso<br />

wie die zum Teil bis heute nachwirkenden<br />

Konsequenzen, die Brüche, Zersplitterung<br />

und ideologische Grabenkämpfe innerhalb<br />

der Psychologenschaft zur Folge hatten. Es<br />

bleibt zu wünschen, dass die Gesamtheit<br />

der praktizierenden und forschenden Psychologen,<br />

der Psychotherapeuten und der<br />

Studentenschaft es vor dem beschriebenen<br />

Hintergrund in der Zukunft (wieder) schafft,<br />

mit einheitlicher(er) Stimme zu sprechen.<br />

Die Geschichte zeigt, dass es sich lohnen<br />

kann.<br />

Dipl.-Psych. David Bräuer<br />

Dresden<br />

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