3/2011 - Psychotherapeutenjournal
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Zur Diskussion: Verstehen nach Schemata und Vorgaben?<br />
nis zwischen Patient und Psychotherapeut<br />
etwas Ausgleichendes entgegensetzen<br />
zu können. Es sollte zu den<br />
Kompetenzen eines Psychotherapeuten<br />
gehören, bereits in den probatorischen<br />
Sitzungen Eigenverantwortung<br />
auf- und passives Konsumentenverhalten<br />
abzubauen. Dies ist weniger eine<br />
ethische Forderung an den Patienten.<br />
5. G. Maio sieht Überprüfbarkeit nur bei<br />
der Abgrenzung von Psychotherapie<br />
278<br />
und „Scharlatanerie“ sinnvoll verortet.<br />
Ein ethisches Eigentor: Innerhalb des<br />
Etiketts Psychotherapie darf damit jeder<br />
machen, was er persönlich für richtig<br />
hält!<br />
6. Den Kern der Psychotherapie sieht<br />
G. Maio in den Fragen nach dem<br />
„Sinn des Lebens, nach dem Sinn<br />
des Ganzen“. Kein leidender Patient<br />
möchte einen geschwätzigen<br />
Philo sophen als Psychotherapeuten,<br />
Vom Wert der Begegnung – eine Replik des Autors<br />
Giovanni Maio<br />
Zunächst möchte ich allen Autorinnen und<br />
Autoren der Leserbriefe und den vielen<br />
Menschen danken, die mir direkt geschrieben<br />
haben. Ich freue mich sehr darüber,<br />
dass eine Diskussion entbrannt ist. Gerne<br />
gehe ich auf ein paar entstandene Missverständnisse<br />
ein. Mein Anliegen ist es, die<br />
Verbindungslinien aufzuzeigen, die zwischen<br />
Ökonomisierung, Quantifizierung<br />
und Standardisierung bestehen. Insofern<br />
geht es gerade nicht um ein willkürliches<br />
Zusammenwerfen (J. Kuhn), sondern um<br />
die Herstellung von Zusammenhängen,<br />
die nicht auf den ersten Blick erkennbar<br />
sind. Mir geht es auch nicht um eine radikale<br />
Ablehnung jeglicher Messbarkeit (R.<br />
Pukrop), sondern um die Kritik einer falschen<br />
Gewichtung. Eine gute Psychotherapie<br />
ruht auf mehreren Säulen, die das<br />
Gebäude tragen; es sind dies die Säulen<br />
Wissen, Fertigkeit, Verstehen und Kunst.<br />
Im Zuge der Ökonomisierung soll die<br />
Psychotherapie nun reduziert werden auf<br />
Wissen und Fertigkeit. Damit aber stürzt<br />
das Gebäude ein. Wittgenstein hat einmal<br />
gesagt: „Wir fühlen, dass selbst, wenn alle<br />
möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet<br />
sind, unsere Lebensprobleme<br />
noch gar nicht berührt sind.“ Und genau<br />
darum geht es: Die Probleme des Menschen<br />
lassen sich nicht im Labor entde-<br />
cken, nicht in Zahlen ausdrücken und<br />
nicht in Leitlinien pressen. Psychotherapie<br />
ist kein Verfahren, das sich festhalten lässt<br />
in Gebrauchsanweisungen, weil sie eben<br />
kein Medikament ist mit einer laborgesicherten<br />
Wirkung. Die Wirkung der Psychotherapie<br />
ergibt sich vielmehr aus einer guten<br />
Interaktion. Und genau das macht die<br />
Professionalität der Psychotherapie aus.<br />
Daher plädiere ich gerade nicht für eine<br />
Deprofessionalisierung (G. Mackenthun),<br />
sondern im Gegenteil unterstreiche ich die<br />
Professionalität der Psychotherapie, die<br />
eben darin besteht, auf dem Boden von<br />
Wissen, Fertigkeit, Verstehen und Kunst<br />
eine gelingende Interaktion zu realisieren.<br />
Und weil der Hilfesuchende in dieser Interaktion<br />
zentral beteiligt ist, kann nicht von<br />
einer „Anarchie“ (R. Pukrop) gesprochen<br />
werden. Hilfe ist nie anarchisch, weil sie<br />
eine Antwort ist, die nur auf dem Boden<br />
einer Übereinkunft, eines Dialogs gegeben<br />
werden kann. Um dem hilfesuchenden<br />
Menschen im Dialog gerecht zu werden,<br />
bedarf es neben der Ratio vor allem der<br />
Intuition, der emotionalen Wärme, des<br />
Taktes, der Erfahrung, des Gespürs für das<br />
richtige Wort im richtigen Augenblick – all<br />
das ist auch Bestandteil der Professionalität.<br />
Die Psychotherapie ist kein Verfahren,<br />
sondern ein Ereignis, das nicht in dem Ma-<br />
sondern lebenstaugliche Hilfe zur<br />
Selbsthilfe.<br />
Dr. Dr. Ralf Pukrop, Dipl.-Psych.<br />
Psychologischer Psychotherapeut<br />
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/<br />
Universität zu Köln<br />
Kerpener Str. 62<br />
50937 Köln<br />
ralf.pukrop@uk-koeln.de<br />
ße planbar und operationalisierbar ist, wie<br />
es die Wissenschaft – und die Krankenkasse<br />
– gerne hätte. Dies hat jedoch nichts<br />
mit Romantik (R. Pukrop) zu tun, sondern<br />
ist eine anthropologische Einsicht, die den<br />
Unterschied zwischen Menschen und Maschinen<br />
in den Mittelpunkt rückt. Heute<br />
möchte man die Kreativität eliminieren<br />
und Psychotherapeuten eher als Ingenieure<br />
für den Menschen ansehen, die ihre<br />
Patienten nach Bedienungsanleitung und<br />
Manualen durchschleusen, um am Ende<br />
ein funktionsfähiges Produkt herauszuwerfen.<br />
Das aber ist nicht Psychotherapie.<br />
Vielleicht kann ich mein Anliegen mit dem<br />
Wort eines Dichters besser verdeutlichen.<br />
So ist bei Erich Kästner zu lesen: „In ihren<br />
Händen wird aus allem Ware. In ihrer<br />
Seele brennt elektrisch Licht. Sie messen<br />
auch das Unberechenbare. Was sich nicht<br />
zählen lässt, das gibt es nicht.“ Daher plädiere<br />
ich nicht für Beliebigkeit (R. Pukrop),<br />
sondern für den Wert des Nichtzählbaren<br />
– und das ist der Wert der Begegnung.<br />
Prof. Dr. med. Giovanni Maio, M.A.<br />
Institut für Ethik und Geschichte<br />
der Medizin<br />
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg<br />
Stefan-Meier-Straße 26<br />
79104 Freiburg i. Br.<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2011</strong>