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Humboldt-Blätter 16-2010 - Humboldtianer.de

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Eliten können versagen. Eliten müssen<br />

vor allem über eine ausreichen<strong>de</strong> historische<br />

Bildung verfügen. „Historische<br />

Verdummung“ macht anfällig für I<strong>de</strong>ologien<br />

und Bauernfänger. Ein von <strong>de</strong>n<br />

großen Traditionen <strong>de</strong>r Geistes- und<br />

Kulturgeschichte gespeistes Wissen<br />

macht frei von <strong>de</strong>n „Diktaten <strong>de</strong>r<br />

Denkmo<strong>de</strong>n“. Deshalb ermahne ich Sie,<br />

Ihre geistigen und menschlichen Qualitäten<br />

in <strong>de</strong>n Dienst einer zukunftsfähigen<br />

Gesellschaft zu stellen. Das ist<br />

anspruchsvoll. Je<strong>de</strong>nfalls ist das anspruchsvoller<br />

als das Bekleben von<br />

Autoheckscheiben.<br />

Das existenzielle Minimum. Der<br />

Volksmund kennt von alters her viele<br />

gute Ratschläge, die mit Bo<strong>de</strong>nhaftung,<br />

Wahrhaftigkeit, Authentizität in Beziehung<br />

stehen. Beispielsweise: Wer hoch<br />

fliegt, kann tief fallen. O<strong>de</strong>r: Schuster,<br />

bleib bei <strong>de</strong>inem Leisten.<br />

Unter <strong>de</strong>m Existenzminimum versteht<br />

das Verfassungsrecht jene staatliche<br />

Hilfe an Bedürftige, ohne die ein menschenwürdiges<br />

Leben in unserer Gesellschaft<br />

nicht möglich wäre. Wer mit<br />

je<strong>de</strong>m Cent zu rechnen hat, braucht von<br />

Wohlsituierten keine Vorträge darüber,<br />

Geld sei nicht alles.<br />

Und doch weiß je<strong>de</strong>r, dass es noch<br />

an<strong>de</strong>re, zusätzliche Faktoren gibt, die<br />

ein Leben lebenswert machen. Es geht<br />

um Dinge, die über das Wirtschaftliche<br />

hinausgehen, die zum Menschen so sehr<br />

gehören, dass er ohne sie nicht glücklich<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Wer keine Geborgenheit<br />

fin<strong>de</strong>t, keine Anerkennung für seine<br />

Leistungen, keine Aufmerksamkeit als<br />

Person, wird einsam und unglücklich.<br />

32<br />

Unsere öffentliche Wahrnehmung<br />

drängt <strong>de</strong>rartiges als privat ab, als romantisch,<br />

allenfalls anerkannt als Sujet<br />

<strong>de</strong>r schönen Literatur. Doch die sehr<br />

alltäglichen, die sehr privaten Vorstellungen<br />

vom richtigen und glücklichen<br />

Leben sind nicht einfach nur weiche<br />

Faktoren, die stellen ein Minimum dar,<br />

ohne das eine hoch differenzierte Gesellschaft<br />

genau so wenig auskommt<br />

wie ein hoch gebil<strong>de</strong>ter, hoch kultivierter<br />

und bestens funktionieren<strong>de</strong>r<br />

Mensch.<br />

In <strong>de</strong>r Weltfinanzkrise je<strong>de</strong>nfalls wur<strong>de</strong>n<br />

romantisch klingen<strong>de</strong> Vokabeln<br />

plötzlich virulent, die sehr an die Bud<strong>de</strong>nbrooks<br />

erinnern, wie „Vertrauen“,<br />

„Anstand“, „kaufmännische Ehrbarkeit“.<br />

Die mo<strong>de</strong>rne Gesellschaft setzt auf<br />

das Prinzip individueller Freiheit und<br />

Zweckrationalität wie keine vor ihr.<br />

Dennoch hat man über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

zugleich Haltekräfte und Gegengewichte<br />

gepflegt: Traditionen, Sitten, Familie,<br />

Liebe, religiöse Gemeinschaft, Heimatgefühle,<br />

Nationalkultur, romantische<br />

I<strong>de</strong>en von Freundschaft, Vertrauen,<br />

Opfer und Treue: All das waren und<br />

sind Wärmeströme <strong>de</strong>r Gemeinschaft,<br />

etwas versprechend, das wie das tägliche<br />

Brot zum Leben gehört.<br />

Doch die Mo<strong>de</strong>rne scheint an<strong>de</strong>rs<br />

getaktet. Hier treiben uns die großen,<br />

die mächtigen Kälteströme <strong>de</strong>r Gesellschaft:<br />

Markt und Rendite, Vertrag<br />

und Gesetz, Bürokratie und Organisation,<br />

wissenschaftliche Erklärung und<br />

Empirie, mathematische Präzision und<br />

technischer Rhythmus <strong>de</strong>s Alltags.

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