Hinführung - Berliner Heilpraktiker Nachrichten
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GESCHICHTE<br />
DER FALL KLOCKENBRING<br />
Samuel Hahnemann als Psychiater<br />
IV. Teil<br />
von Hp Marion Rausch<br />
Samuel Hahnemann ist 1791 36 Jahre alt, ein gescheiterter<br />
Arzt in Leipzig –Stötteritz, haust nebst Frau und fünf hungrigen<br />
Kindern in Enge und der großen Sorge um seinen guten Ruf als<br />
Übersetzer und Wissenschaftler, von dessen kargen Einkünften<br />
er die Familie über Wasser hält. Aber die Armut ist das eine, den<br />
Ruf zu verlieren durch den unvermeidlichen sozialen Abstieg<br />
ist das andere. Die wenigen Besucher seines Elendsquartiers<br />
schildern zum Beispiel: „Dort war er (Hahnemann) gekleidet<br />
wie die ärmsten Einwohner; er trug Holzschuhe, half seiner<br />
Frau in den schweren Hausarbeiten und knetete sein Brot<br />
selbst.“ Solchen Ruf in der Welt zu haben, kann rasch zum Ruin<br />
auch als Wissenschaftler führen. Er muss also handeln! Bei<br />
Hahnemann heißt das immer: WANDERN. Wo anders hin, neu<br />
anfangen! Aber wo hin?<br />
Es scheint, als hat der Umtriebige Glück, mehr zumindest als in<br />
Leipzig- Stötteritz, als er es wagt, seinen Freund und Gönner,<br />
den Herausgeber eines Tageblattes namens „Anzeiger“, „zum<br />
Behufe der Justiz, der Polizei und aller bürgerlichen Gewerbe,<br />
wie auch zur freien gegenseitigen Unterhaltung der Leser über<br />
gemeinnützige Gegenstände aller Art“, den Rat R. Z. BECKER,<br />
für ein Experiment zu gewinnen.<br />
Hahnemann veröffentlichte im Gothaer „Anzeiger“ des Rates R.<br />
Z. Becker nicht zum ersten Mal.<br />
Es gibt Briefe, die belegen, dass Hahnemann Becker<br />
Dank schuldet, so zum Beispiel bei seiner Ernennung zum<br />
Ehrenmitglied der Mainzer Akademie: „Ihnen (Becker)und<br />
dem unvergleichlichen Herrn Koadjutor (unleserlich) bin ich die<br />
unverdiente Distinktion schuldig, womit ich durch das Diplom der<br />
churfürstlichen Mainzischen Akademie beehrt worden bin.“<br />
Und umgekehrt beehrt Hahnemann den „Wohlgeborenen Herrn<br />
Bergrat, Hochzuverehrenden Gönner“ mit einer Mitarbeit an<br />
einem „medizinischen Wörterbuch“.<br />
Es gibt genügend Hinweise, so R. Haehl, die bezeugen, dass<br />
Hahnemann den Rat Becker aus Gotha gut und schon länger<br />
kannte, als er ihn bat, eine ANZEIGE, von ihm gestaltet,<br />
aber durch Beckers Hand unterzeichnet, im „ANZEIGER“<br />
zu platzieren. Es ist eine in deutlicher Hahnemannscher<br />
Manier verfasste Brandrede gegen die Verwahranstalten<br />
„Verstandesverwirrter“, unter dem Titel: „Vorschlag einer noch<br />
mangelnden Hilfs- Anstalt für wahnsinnige Standespersonen“.<br />
Das Bild der psychiatrischen Verhältnisse, denen Wahnsinnige,<br />
Geistesgestörte, Irre, kurz seelisch und geistig Kranke, zur Zeit<br />
Hahnemanns ausgesetzt waren, zu malen, würde den Rahmen<br />
dieses Kapitels sprengen. Dennoch ist es wichtig, von diesen<br />
Verhältnissen wenigstens einen kleinen Einblick zu geben.<br />
Eine Schrift, betitelt „Hundert Jahre Psychiatrie“, von einem<br />
Professor EMIL KRÄPELIN, kann dabei helfen, zumindest<br />
einen kleinen Eindruck über die Psychiatrie am Ende des 18.<br />
Jahrhunderts zu bekommen.<br />
Darin heißt es:<br />
„Die eigentliche Fürsorge der Kranken lag nahezu<br />
überall in den Händen der „Oberaufseher“, Hausväter,<br />
Irrenhausverwalter, während Ärzte lediglich bei körperlichen<br />
Leiden zugezogen wurden…Außerdem gab es wohl hier und<br />
da an Spitälern und Siechenhäusern Ärzte, die sich durch<br />
langjährige Beobachtung von Geisteskranken eine gewisse<br />
Kenntnis ihrer Leiden angeeignet hatten. Allein ihnen fehlte<br />
meist jede fachärztliche Ausbildung, und sie betrieben die<br />
Seelenheilkunde in der Regel nur im Nebenamte, so dass von<br />
einer gründlichen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem<br />
Gegenstande kaum die Rede sein konnte. Zudem war ihre<br />
BHN 2/03<br />
Stellung vielfach unwürdig, und sie hatten nur sehr geringen<br />
Einfluss auf das Los der Kranken … Gab doch noch Professor<br />
AUTENRIETH in Tübingen (um 1800) in seinen Vorlesungen<br />
über Geistesstörungen seinen Zuhörern ausdrücklich den<br />
Rat, sich nicht längere Zeit mit der Behandlung von Irren zu<br />
befassen, weil man zu befürchten habe, selbst geisteskrank<br />
oder ein Narr zu werden.“ Die Folge hiervon war eine furchtbare<br />
Behandlung der Kranken: „Wir sperren diese unglücklichen<br />
Geschöpfe gleich Verbrechern in Tollkoben“, ruft REIL 1803 aus,<br />
„ in ausgestorbene Gefängnisse, neben den Schlupflöchern der<br />
Eulen, in öde Klüfte über den Stadttoren oder in die feuchten<br />
Kellergeschosse der Zuchthäuser ein, wohin nie ein mitleidiger<br />
Blick des Menschenfreundes dringt, und lassen sie daselbst,<br />
angeschmiedet an Ketten, in ihrem eigenen Unrat verfaulen.<br />
Neben den Ketten regiert die Peitsche. Müller erzählt, dass<br />
die Wärter und Wärterinnen im Juliusspital in Würzburg mit<br />
mancherlei Zwangs- und Strafinstrumenten, mit Ketten,<br />
Armbändern, Fußschellen, besonders aber mit tüchtigen,<br />
lederüberzogenen Ochsenriemen, reichlich versehen waren,<br />
und dass sie davon kräftigen Gebrauch machten, wenn<br />
sich ein Kranker verunreinigte, sich beklagte, schimpfte<br />
oder gar gewalttätig wurde; die Prügelei war bereits an der<br />
Tagesordnung.“<br />
Samuel Hahnemann, der streitbare Sachse, hatte seit Hettstedt<br />
und Gommern, seinen beiden ersten Arztpraxen, immer wieder<br />
Brandschriften wider die Unordnung, Unvernunft der Lebens-<br />
und Ernährungsgewohnheiten, den Dreck und die üble Luft in<br />
den Häusern der Bauern und Handwerker als die eigentlichen<br />
Verursacher von Krankheit bezeichnet. Sein Ruf als Hygieniker<br />
war bekannt und gefürchtet. Und in Dresden dann hat er unter<br />
Stadtpysikus Wagner freie Hand, die Spitäler und Gefängnisse<br />
anzuschauen und dabei die Verhältnisse der Verwahrung zu<br />
studieren. Das ist belegt. Woher Hahnemann seine Eindrücke<br />
von Wahnsinnigen hatte- außer den sichtbar Geistesgestörten,<br />
die in den Dörfern frei herumliefen, wenn sie nur „harmlos“<br />
waren, wissen wir nicht genau. Haehl schreibt nichts darüber.<br />
Dafür liefert uns der Arzt MARTIN GUMPERT in seinem Buch „<br />
Hahnemann - Die abenteuerlichen Schicksale eines ärztlichen<br />
Rebellen und seiner Lehre der Homöopathie“, eine ganz<br />
besondere Szene, die Hahnemann erlebt haben soll, was nicht<br />
unwahrscheinlich ist. Gumpert schildert, wie Hahnemann in<br />
Gommern als junger Arzt Zeuge eines „AUSGERASTETEN“<br />
wird.<br />
„In Gommern gab es einen Schreiner von so ausgezeichnetem<br />
Ruf, dass selbst aus dem benachbarten Herzogtum Magdeburg<br />
Aufträge für Stühle und Schränke in Menge bei ihm einliefen.<br />
Er hatte einen stattlichen Hof, sechs Kinder, eine tüchtige Frau<br />
und drei Gehilfen. An einem Julimorgen des Jahres 1782 ging<br />
er in die Werkstatt, nahm einen Hammer und schlug säuberlich<br />
und fachmännisch alles zusammen, was ihm unter die Hände<br />
kam. Dabei fluchte er schrecklich, weinte und jammerte wie ein<br />
hilfloses Kind, er schien keinen der Seinen zu erkennen, der<br />
helle Wahnsinn war über ihn gekommen.<br />
In völliger Ratlosigkeit rief man Hahnemann. Halb Gommern war<br />
schon versammelt, als er eilig die Straße hinablief. Von weitem<br />
bereits hörte man das Toben des Mannes, das splitternde Holz<br />
und das aufgeregte Durcheinander der Leute vor dem Haus…<br />
Der dürre Hahnemann und der vierschrötige Schmied des Ortes,<br />
der ein guter Freund des Tischlers war, drangen in das Haus<br />
ein, als sei es ein gefährlicher Urwald mit Tigern und Schlangen.<br />
Der Tischler stand an der Hobelbank und sang mit dröhnender<br />
Stimme ein unverständliches Lied. Als er den Schmied sah, ging<br />
er auf ihn zu, umarmte und küsste ihn, und seine verwirrten,<br />
trostlosen Augen suchten vergebens einen Sinn in all dieses<br />
Unheil zu bringen. Der Schmied packte den Tischler bei den<br />
Händen, und so zogen und schoben sie ihn nicht all zu unsanft<br />
zum Hause hinaus auf die Straße. Die Leute wichen scheu und<br />
neugierig zur Seite, die Kinder begannen zu plärren, die Frau<br />
wandte den Kopf ab, und der seltsame, ungleiche Zug bewegte<br />
sich zum Narrenhaus.<br />
Es lag eine Wegstunde abseits und war ein trauriges einstöckiges<br />
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