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kalbenser Fliegenklatsche

Bd.02 "das Untergrundmagazin für von innen Tätowierte"

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16<br />

Der Stamm war glatt. Die Männer bildeten eine Kette<br />

und hoben die Kinder an Land. Bevor die Frauen das<br />

Boot verlassen konnten, kenterte es. Sie konnten sich<br />

jedoch daran festklammern und wurden von den Männern<br />

an Land gezogen. Es war Dezember, mitten in der<br />

Nacht, ein paar Grad über Null. Alle waren nass und<br />

völlig am Ende. Dank Shakilas Idee mit dem Plastiksack,<br />

gab es zumindest noch einige trockene Sachen.<br />

Wir gingen noch ca. 3 Km landeinwärts, suchten und<br />

fanden die Autobahnbrücke, von der der Mann aus<br />

Istanbul gesprochen hatte. Dort sollten wir auf einen<br />

Transporter warten, der uns abholen würde. Wir hielten<br />

uns in der Nähe versteckt, machten uns ein keines<br />

Feuer.<br />

Wir verharrten zwei Tage dort ohne Essen. Niemand<br />

kam zum Treffpunkt. Dann gingen Ajmal und Tanwir<br />

auf die Autobahn um irgendein Auto anzuhalten. Dort<br />

trafen die beiden direkt auf Polizei und wurden auch<br />

sofort und ohne Anhörung mitgenommen. Erst nach ca.<br />

3 Stunden konnten sie den Beamten klar machen, dass<br />

ihre Familie noch in dem Versteck auf sie wartete. Der<br />

Rest der Gruppe wurde daraufhin ebenfalls geholt und<br />

zu ihnen in die Zelle gesperrt.<br />

Die darauf folgende Begebenheit kam unserer kleinen<br />

Fluchtgemeinschaft sehr ominös vor:<br />

Als es wieder dunkel wurde, brachten uns die Beamten<br />

mit ihren Wagen zu einer Stelle des Flusses, den wir<br />

überquert hatten. Es gab dort ein Boot. Sie beobachteten<br />

eine Weile mit Ferngläsern das gegenüberliegende<br />

Ufer. Als sie dort niemanden sahen, wurden wir von ihnen<br />

in zwei Gruppen wieder zurück auf die türkische<br />

Seite gebracht. Die Griechen hatten ihr kleines Problem<br />

ganz unbürokratisch gelöst.<br />

Übrigens bekamen wir während unseres Aufenthaltes in<br />

der Zelle sogar eine Kleinigkeit zu essen, natürlich nur<br />

gegen Bezahlung.<br />

Dort abgesetzt, gingen wir ohne Plan, in der Hoffnung<br />

ein Dorf zu erreichen, eine kleine Straße entlang - und<br />

wurden von der türkischen Polizei aufgegriffen.<br />

Man brachte uns ins Gefängnis im nahen Edirna.<br />

Shakila und die Kinder kamen in eine große Sammelzelle<br />

für Frauen, ich in eine für Männer. Es waren viele<br />

Menschen dort. Wir erfuhren, dass der Fluss Teil einer<br />

bekannten Fluchtroute war. Ich durfte meine Familie<br />

nur morgens 5 Minuten sehen. Wir bekamen kaum Informationen<br />

und erst nach ca. einem Monat wurden<br />

wir freigelassen, weil viele neue Flüchtlinge eintrafen.<br />

Wieder bekamen wir ein Dokument - 2 Monate Aufenthaltsrecht.<br />

Besten Dank.<br />

attempt 3 to achieve Level 3<br />

Es sollte noch einmal über den Fluss versucht werden.<br />

Dieses mal würde ein LKW an einem Sammelpunkt<br />

eintreffen und viele Leute zu einem Schiff Richtung EU<br />

bringen. Wir sagten zu, da wir zuvor schon einige noch<br />

abenteuerlichere Vorschläge abgelehnt hatten, z.B. von<br />

Izmir aus, mit einem kleinen Boot über eine große Distanz<br />

nach Griechenland zu gelangen. Hier überwog<br />

ein schlechtes Gefühl und die Sorge um die Kinder.<br />

Auch Bulgarien kam in dieser Zeit für uns nicht in Frage,<br />

da wir gehört hatten, dass man dort besonders brutal<br />

gegenüber Flüchtlingen sein sollte. Nun mussten wir<br />

einfach wieder etwas wagen.<br />

Es war bereits Februar 2014, da setzten wir ein zweites<br />

mal nachts mit Schlauchbooten über den Fluss.<br />

Diesmal waren wir mehr Leute und es kamen später<br />

noch mehr dazu, sodass wir letztendlich eine Gruppe<br />

von ca. 80 Personen wurden. Die Überfahrt klappte<br />

ohne ernste Probleme. Einer unserer Begleiter hatte Instruktionen<br />

über die Route bekommen. Es ging schmale,<br />

unbefestigte Pfade entlang - über Stunden, von ca. 5<br />

Uhr abends bis 7 Uhr am nächsten Morgen. Einmal<br />

fiel Shakila in ein tiefes Loch am Rand des Weges und<br />

musste wieder heraus gezogen werden. Als wir endlich<br />

am Treffpunkt ankamen, war natürlich kein LKW zu<br />

sehen. Der Mann mit den Instruktionen, sagte: “Alles<br />

ok, wir müssen in den Bergen warten - bis morgen.“<br />

Dort gab es eine Art Betonverschlag, wohl um landwirtschaftliches<br />

Gerät zu lagern. Es war sehr kalt und zugig.<br />

Wir wickelten uns in Plastiktüten ein. Am nächsten Tag<br />

war wieder kein LKW da. Der Typ wurde kleinlaut.<br />

Wir harrten tagelang an dem Ort aus. So gut wie niemand<br />

hatte Essen, und wer noch etwas in der Tasche<br />

hatte, gab es den Kids. Wir schöpften Wasser aus dreckigen<br />

Pfützen um zu trinken. In ihrer Sorge um die Kinder,<br />

mischte Shakila etwas „Ibuprofen“ in das Pfützenwasser,<br />

um es zu desinfizieren.<br />

Tanwir war zu der Zeit 4, Maazullah gerade 1,5 Jahre<br />

alt. Er sagte: „ Mami, der Saft schmeckt gut.“<br />

Am 5. Tag gaben wir auf und gingen auf die Straße.<br />

Wieder wurden wir von der Polizei aufgegriffen. Wieder<br />

schaffte man uns über den Fluss zurück in die Türkei.<br />

Wieder kamen wir ins Gefängnis nach Edirna. Einer<br />

der Wärter begrüßte uns mit den Worten: „Na, wieder<br />

da?!“ Es fühlte sich an wie ein Stich ins Herz.<br />

Aus der Erfahrung vom letzten Aufenthalt, schmuggelten<br />

wir das Handy in zwei Teilen ins Gefängnis : Ajmal<br />

nahm das Handy und Maazullah hatte den Akku in der<br />

Windel. Aufladen konnte Ajmal es nachts an den Kabeln<br />

der Deckenlampe. Das Handy war sehr wichtig für<br />

uns. Es war die einzige Möglichkeit, heimlich Kontakt<br />

mit unseren Angehörigen aufzunehmen, sie zu beruhigen<br />

und an Informationen zu gelangen.<br />

attempt 4 to achieve Level 3<br />

Wir kamen schon nach einer Woche wieder frei. Dieses<br />

Mal waren wir soweit, es doch mit einem kleinen Boot<br />

übers Meer nach Griechenland zu versuchen. Doch<br />

schon auf der Fahrt dorthin wurden wir von der Polizei<br />

aufgegriffen. Der Fahrer floh und wir wurden mit weiteren<br />

10 Leuten festgenommen.<br />

Wieder Edirna. Wir hatten keine Hoffnung mehr.<br />

Nach einem Monat wurden wir in ein anderes Gefängnis<br />

nach Izmir verlegt. Die Zeiten hatten sich geändert.<br />

In Afhanistan bahnte sich ein Machtwechsel an. Angeblich<br />

würde sich die Lage dort durch Ashraf Ghani bald<br />

stabilisieren. Es hieß, dass man die Menschen nun wieder<br />

nach Afghanistan zurück schicken könne.<br />

attempt 5 to achieve Level 3<br />

Wir wurden aber nicht ausgewiesen, sondern wieder<br />

mit einer kurzen Aufenthaltsgenehmigung entlassen.<br />

Wir fuhren erneut mit dem Bus nach Istanbul. Es gab<br />

einem Plan, mit einem Schiff nach Italien zu gelangen.<br />

Verschiedene kleine Gruppen trafen sich an einem Ort<br />

an der Küste, wir wussten selbst nicht genau, wo das<br />

war. Mit ca. 90 Leuten gingen wir an Bord eines kleinen,<br />

vielleicht 11 Meter langen Schiffes. Es gab drei Kajüten,<br />

keine Toilette. Und wenn doch, hätten wir sie eh nicht<br />

erreichen können, weil alles voller Leute war. Es ging los<br />

aufs Meer mit dem Ziel, Griechenland zu umschiffen<br />

und direkt nach Italien zu gelangen. Der Seegang war<br />

beachtlich und das Boot schaukelte. Im Bootsinneren<br />

stank es wegen der vielen Menschen. Maazullah wurde<br />

seekrank und übergab sich. Es wurde immer schlimmer<br />

und wir waren sicher, einen großen Fehler gemacht zu<br />

haben. Nach ca. einer Stunde Fahrt, wurde unser Schiff<br />

jedoch von der türkischen Wasserpolizei aufgebracht<br />

und zurück an Land eskortiert. Vielleicht war es diesmal<br />

unser Glück.<br />

Es war Mai 2014. Dieses Mal kamen wir in ein Gefängnis<br />

nach Balakesir. Als wir den Beamten dort nach<br />

5 Tagen Haft eher zufällig unser Dokument mit der Aufenthaltsgenehmigung<br />

aus Izmir zeigten, ließen sie uns<br />

spontan frei. Wir fuhren wieder nach Istanbul.<br />

attempt 6 to achieve Level 3<br />

Der nächste Plan lautete, erst in Richtung Griechenland<br />

aber dann doch nach Norden über die bulgarische<br />

Grenze zu gelangen.

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