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kalbenser Fliegenklatsche

Bd.02 "das Untergrundmagazin für von innen Tätowierte"

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Jetzt kam ihm die Situation dann doch etwas zu grotesk vor und ihm fehlten<br />

kurz die Worte. Die Gedanken in seinem Kopf schossen kreuz und quer.<br />

Was für ein Film lief hier eigentlich gerade ab? Noch bevor ER sich ordnen<br />

und etwas entgegnen konnte, meldete die Kaffeemaschine piepend, dass<br />

sie ihre Aufgabe erfolgreich erledigt hatte. ER goss dem Frosch schweigend<br />

eine Tasse der schwarzen Flüssigkeit ein, passenderweise in die grüne Tasse<br />

mit dem aufgedruckten Frosch. Dieser sah in diesem Moment wesentlich<br />

freundlicher und unschuldiger aus als sein unsympathischer Artverwandter,<br />

der mittlerweile ziemlich unelegant am Küchentisch flegelte und sich bereits<br />

die dritte Zigarette angezündet hatte.<br />

„Außerdem“ fuhr der Frosch grinsend fort „haben wir Schlüssel zu jeder<br />

unserer Wohnungen und behalten uns vor, diese auch unangemeldet zu<br />

inspizieren. Hier könnte übrigens mal wieder sauber gemacht werden.“<br />

„Ein Frosch als Miet-Hai, ich fass es nicht...“ murmelte ER ungläubig halblaut<br />

vor sich hin.<br />

„Und wenn schon!“ unterbrach ihn der Frosch brüsk. „Der Immobilienmarkt<br />

boomt, ein Job in dieser Branche ist so gut wie jeder andere, außerdem äußerst<br />

gut bezahlt, und irgendwer muss ihn schließlich machen. Davon ganz<br />

abgesehen ist meine Gattung prädestiniert für dieses Business. Glatt, schleimig,<br />

und ein großes Maul, was braucht’s denn mehr um in diesem Bereich<br />

erfolgreich zu sein?“ grinste der Frosch jovial. „Jahrelang dämmerte ich<br />

tagein-tagaus irgendwo am Arsch der Welt vor mich hin, und irgendwann<br />

wollte ich einfach raus aus meinem kleinen, verdreckten Dorfteich, in dem<br />

mein alter Herr immer noch sitzt und den ganzen Tag drauf wartet, dass ihm<br />

eine Fliege vor die Nase summt. Zum Jagen längst zu fett und müde, der<br />

alte Sack. Oder sollte ich enden wie meine Mutter? Hat ihre Beine an ein<br />

französisches Feinschmecker-Restaurant verkauft, um mit dem Geld abzuhauen<br />

und irgendwo neu anzufangen, weit weg vom Tümpel, dem Schilf<br />

und dem Schlamm. Drei Tage später hat sie der Storch geschnappt, war<br />

einfach nicht mehr schnell genug, ohne Beine,“ kicherte der Frosch abfällig.<br />

„Aber nun zur Sache, mein Lieber. Die Sanierung der alten Hütte hier fällt<br />

flach, keine Kohle grade, haben uns verspekuliert. Hat ein ganz schön großes<br />

Loch in unsere Finanzen gerissen. Miete erhöhen müssen wir trotzdem.<br />

Irgendwie muss das Loch ja schließlich gestopft werden, das verstehen Sie<br />

doch sicher?“<br />

„Ähm, also...“ sagt ER, kam jedoch nicht weiter, da ihm der Frosch erneut<br />

ins Wort fiel.<br />

„Wir dachten da so an 170% Mieterhöhung, und selbst damit sind Sie hier<br />

in Göttingen noch ganz gut dran! Ist immer noch erschwinglich, wenn Sie<br />

das mal mit den Mieten in Hamburg vergleichen. Da haben wir neulich<br />

erst die Esso-Häuser abgerissen, mussten zwar vorher das ganze asoziale<br />

Pack, was dort gehaust hat, mit der Staatsgewalt vertreiben, aber es hat sich<br />

gelohnt! Top-Lage, dicke Gewinne!“ schwärmte der Frosch und leckte sich<br />

gierig über die Lippen.<br />

„Scheiß-Kaffee übrigens, schmeckt zum Kotzen, wohl vom Discounter?!“<br />

unterbrach er krächzend seinen Monolog , stellte die leere Tasse auf den<br />

Tisch und lockerte seine Krawatte. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn,<br />

während der letzten Minuten schien ihm deutlich unwohler geworden zu<br />

sein.<br />

Der schleimige Grünling wirkte plötzlich unsicher und fahrig. ER musterte<br />

den Frosch irritiert. Dann fiel sein Blick auf die geblümte Wasserkanne neben<br />

der Kaffeemaschine... Schlagartig wurde ihm klar, was die Ursache für<br />

das plötzliche Unwohlsein des Miet-Frosches war. In der schönen Kanne mit<br />

dem filigranen Schnörkelmuster,mit deren Inhalt er den Kaffee bereitet hatte,<br />

befand sich entgegen seiner Annahme keineswegs reines Leitungswasser,<br />

sondern das - mit einer ordentlichen Portion Dünger versetzte - Blumenwasser,<br />

welches SIE immer zum Gießen der kleinen Avocado-Bäumchen nahm,<br />

die überall in der Dachwohnung verstreut wuchsen.<br />

Der Nebel, der sich aufgrund der Ereignisse der vergangenen halben Stunde<br />

über seinen Verstand gelegt hatte, verzog sich binnen Sekunden. Bevor<br />

ihm gänzlich klar werden konnte, was das bedeutet, überschlugen sich die<br />

Ereignisse.<br />

„Luft!“ krächzte der Frosch heiser „ ich brauche frische Luft!“ und rüttelte<br />

am Küchenfenster, das völlig verzogen war und sich schon seit einer halben<br />

Ewigkeit nicht mehr öffnen ließ, und stürzte dann würgend und hustend in<br />

Richtung Balkon davon. Der erste Strahl Erbrochenes ergoß sich grünlichbraun<br />

schimmernd über den Stubenteppich, bevor der Frosch es geschafft<br />

hatte, die Balkon-Tür zu öffnen. Dann ging alles ganz schnell. Er torkelte einen<br />

Schritt vorwärts, übersah dabei die Armada der leeren Bier- und Weinflaschen,<br />

die überall kreuz und quer auf dem Boden verteilt lagen und glitt<br />

einen kurzen Moment später wie auf Rollschuhen in Richtung des Balkongeländers.<br />

Dumpf prallte sein Becken gegen die Metallstange des Handlaufs,<br />

sein fetter Oberkörper kippte nach vorn über, und nur Sekundenbruchteile<br />

später hing er in der Luft, sich mit einer glitschigen Froschfingernhand<br />

an die Querstreben der Ballustrade klammernd. „Hilfe !“ fiepte der Frosch<br />

kleinlaut, und während ER noch überlegte, ob es auch nur den geringsten<br />

Grund gäbe, den grünen Unsymphaten wieder nach oben zu hieven, hatte<br />

32<br />

sich dessen Schicksal bereits erfüllt und er fiel mit aufgerissenem Maul und<br />

ungläubig starrenden gelben Augen dem Pflaster entgegen. Gleich darauf<br />

hörte man ein unangenehmes Platschen, fast so als wenn man mit der<br />

flachen Hand auf Wasser schlägt. ER schloss für einen Moment die Augen<br />

und atmete langsam aus. Als ER den Flur betrat fiel sein Blick erneut auf<br />

den ledernen Aktenkoffer, der noch immer dort stand. Zwei Zahlenschlösser<br />

müsste ER knacken, um an den Inhalt zu gelangen. ER setzt sich an den<br />

Küchentisch und startete den ersten Versuch. Sein Kopf fühlte sich leer an.<br />

Alles, was ihm einfiel, war: dreimal die 6. ER musste unwillkürlich schmunzeln,<br />

als ER die Zahlen an den Schlössern einstellte. Linke Seite: 6 – 6 – 6<br />

. Welche Ironie wäre es, wenn ER tatsächlich beim ersten Versuch Glück<br />

hätte, und dann noch mit dieser Nummer. Die Zahlen waren eingestellt, und<br />

ER betätigte den Knopf....nichts. Rechte Seite: 6 – 6 – 6 . Vorsichtig betätigte<br />

er auch den rechten Knopf,. Wieder nichts. ‚Genug herumgespielt’ sagte<br />

ER zu sich selbst, stand auf und ging in Richtung Wohnzimmer, wo sich der<br />

WG-Gemeinschaftsschrank mit Bastelutensilien und Werkzeug befand. Die<br />

Kofferschlösser hatten dem großen Schraubendreher, mit dem eher wenig<br />

später in die Küche zurückkehrte, kaum Widerstand entgegen zu setzen.<br />

ER öffnete den Deckel und erstarrte. Der Inhalt bestand aus einigen Seiten<br />

Papier, aber vor allem aus einem: Geld. Sicher keine Millionen, aber doch<br />

mehr, als ER je zuvor in bar gesehen hatte. Nach dem ersten groben Zählen<br />

der Scheine stand fest: um sich damit nach Mexiko abzusetzen und den Rest<br />

des Lebens in Saus und Braus zu verbringen, hatte der Frosch definitiv nicht<br />

genug Kohle dabei. Für die große Reise mit IHR, von der beide schon vom<br />

Tag ihrer Begegnung an träumten, reichte es aber allemal. Dann blitzte<br />

ein Gedanke in ihm auf, und er ging zielstrebig in ihr Zimmer, griff in die<br />

Schreibtisch-Schublade und hielt gleich darauf den Antrag für den Studien-<br />

Kredit in den Händen, den sie tags zuvor ausgefüllt hatte, und der nötig<br />

war, um für die nächsten 2 Jahre ihr Studium zu finanzieren. Lächelnd zerriss<br />

ER das mehrere Seiten starke Schriftstück. ‚Auch dafür reicht’s noch, selbst<br />

wenn wir das nächste halbe Jahr um die Welt reisen...’ dachte ER, bevor ER<br />

die restlichen Papiere aus dem Koffer in den uralten und seit Ewigkeiten ungenutzten<br />

Kachelofen stopfte und sie mit Hilfe eines Streichholzes zu Asche<br />

und Rauch verwandelte.<br />

Dann ließ ER sich ein heißes Bad ein und lag eine gute halbe Stunde darin,<br />

bis seine Fingerkuppen ganz schrumpelig und das Wasser fast kalt war. Als<br />

ER aus der Wanne stieg, hatte ein Plan in seinem Kopf Form angenommen.<br />

ER trocknete sich ab, steckte den leeren Koffer in eine der blauen Mülltüten,<br />

die ER im Küchenschrank gefunden hatte, trat auf den Flur und zog die<br />

Wohnungstür hinter sich zu.<br />

Als ER wenig später das Haus verließ, um den letzten Beweis der Anwesenheit<br />

des Frosches zu beseitigen, lief ER fast Hauptkommissar Hund und<br />

seinen 2 Helfern Kommissar Wicht und Polizeianwärter Unnütz in die Arme,<br />

die gerade vor dem Haus die überaus unansehnlichen Überreste von dem,<br />

was einst ein äußerst großer und fetter Frosch gewesen war, inspizierten.<br />

„Sollen wir die Ermittlungen aufnehmen und Zeugen befragen, Chef?“ hörte<br />

ER Kommissar Wicht gerade fragen. Belustigt bemerkt ER das ‚A.C.A.B’-<br />

Graffito, das genau auf Kopfhöhe des Hilfs-Sherriffs an der Wand hinter<br />

ihm prangte.<br />

„Zeugen befragen!? Ermittlungen aufnehmen!?“ blaffte Oberkommissar<br />

Hund ungehalten.<br />

„Soweit ich sehen kann, liegt hier ein Frosch. Zwar ein ziemlich großes<br />

und fettes Exemplar, noch dazu im Anzug, was zugegebenmaßen reichlich<br />

seltsam erscheint, aber sei’s drum! Ermittlungen aufnehmen?! Am Freitag<br />

mittag?! Und wegen was, Wicht? Wegen Mordes vielleicht?“ Hund lachte<br />

abfällig in Richtung seiner beiden Untergebenen.<br />

„Na los, Wicht, husch husch, fangen Sie den Froschmörder! Und Sie, Unnütz,<br />

fahren Sie sofort los und nehmen Sie den Besitzer der Schweinemastanlage<br />

und den Hühnerzüchter wegen Massenmordes fest!“ meckerte Hund<br />

sarkastisch. Er gab sich keine Mühe, seine Verachtung für die beiden Helfer<br />

zu verbergen.<br />

„Los, wegräumen!“ fuhr er die 2 Männer von der Stadtreinigung an, die<br />

seit einer Weile gelangweilt in einigen Metern Entfernung gestanden und<br />

gewartet hatten. Schweigend warfen sie den verrenkten Kadaver auf die<br />

Ladefläche des alten VW-Transporters und kratzten die Reste des Frosches<br />

mit Schaufel und Besen vom Bürgersteig.<br />

Kopfschüttelnd ging ER auf den Hinterhof, entsorgte den Plastiksack mit<br />

dem Koffer in einem der großen Müllkübel und schlenderte dann gemächlich<br />

zurück in Richtung Straße. ER winkte den 2 Punks, die gerade mit Eimer,<br />

Pinsel und Plakaten bewaffnet aus dem besetzten Haus gegenüber kamen<br />

und fischte den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche.<br />

Gerade als ER den Schlüssel ins Schloss steckte und die Haustür öffnete,<br />

bog SIE um die Ecke, und ließ mit einem einzigen Lächeln alle Ereignisse<br />

der letzten Stunden verblassen...„<br />

Herr Dr. Pirat verfasst sonst eher Reiseberichte, die im piratentagebuch.tumblr.com zu lesen sind, hier<br />

aber ausnahmsweise mal einen Ausflug ins Fantastische: „Gewidmet ist die Story meiner wunderbaren Jule,<br />

in deren Göttinger Dachgeschoss-WG die Geschichte entstanden ist,und die mich dazu inspiriert hat.“

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