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Tja, hmmm... der Abgrund also, wie? Puh! Ähm. Naja, so ein Abgrund... naja, der ist... der hat schon etwas recht Abgründiges, so ein Abgrund. Womit ich ihm natürlich keineswegs zu nahe treten möchte. Oh man! Puh! Ääh... Ääh-hähähä... Tatsache ist jedenfalls, dass so ein Abgrund einen ‚Ab‘ und einen ‚Grund‘ hat. Das wäre ja schon mal was... was man dann hat! Was gibt es darüber hinaus noch zu sagen? Ähm, naja vielleicht noch... Vielleicht könnte man noch sagen, dass es was mit Oben und... und mit ziemlich weit Unten zu tun hat. Und vielleicht noch, dass man davor besser Warnschilder aufstellen sollte, da ja ziemlich weit Unten eher schlecht für die Gesundheit ist, wenn man von Oben kommt, also sozusagen in Fallgeschwindigkeit... Wenn man zu Fuß gehen kann ist das natürlich umgekehrt. Ich habe nämlich gehört, müssen Sie wissen, Klettern und Treppensteigen soll ja sehr gesund sein. Ähm... Sagt auch mein Arzt. Tja, das wäre dann schon so ziemlich Alles, was es darüber zu sagen gibt, beziehungsweise, was ich darüber zu sagen wüsste... Naja... Hmmm... Ähm... Hübsch hier! Ähm... äh! Oh mein Gott! Was zur Hölle ist denn das für ein riesen Ding, da hinter Ihnen... Ein interaktiver Text zum Thema ‚Abgrund‘ Einleitung: Ungeachtet des Umstandes, dass der Trick wirklich uralt ist, ist es doch immer wieder erstaunlich, wie oft er trotzdem funktioniert. Fangen wir also noch mal ganz von Vorn an. Dieses mal hübsch geordnet. Zunächst einmal die Definition. Sie lautet wie folgt: was in die Tiefe hinab führt / was ohne Grund ist. Soweit zur Definition. Sie haben es sicher alle bemerkt. Da hat der Definator aber mal einen schwungvollen Tritt in den schönsten Haufen Hundeexkremente getan. Denn, wie mein Vorredner so eloquent zu verdeutlichen wusste, das Wort selbst enthält den Terminus ‚Grund‘, und es dann als Etwas zu definieren, das ohne Grund ist, lässt einen doch sehr am Erkenntnisvermögen der betreffenden Person zweifeln. Es sei denn, er oder sie meinte Etwas, das ohne einen triftigen Grund existiert. Aber das wäre doch wohl sehr weit hergeholt und zu abstrakt, für eine so popelige Definition. Oder ich irre mich total und der Grund wird im Wort verwendet, um ausdrücklich auf sein Fehlen hinzudeuten. Ich gehe jedoch nicht... ähm, sehr davon aus*. Lassen Sie mich dem oben genannten missglückten Versuch einer Definition, meine Eigene entgegenstellen. Sie ist etwas umfänglicher, aber dafür ist das Thema danach erschöpfend behandelt oder verfehlt. Das bleibt ganz Ihrem wohlmeinenden Urteil überlassen, werter Leser. Sie sehen heute übrigens hinreißend gut aus. Haben sie abgenommen? Oh ja, das sieht man. Wussten Sie eigentlich, dass ich Sie schon immer für sehr intelligent gehalten habe? *Andererseits muss man die Möglichkeit, dass man sich irren könnte, selbstverständlich jederzeit und unbedingt in Erwägung ziehen. Sonst braucht man sein Gehirn gar nicht erst zu bemü hen. Dann reicht es, es einfach auf BIOS laufen zu lassen. Es gibt sogar Leute, die kommen wunderbar ganz ohne aus. Der ‚Abgrund‘ ist im eigentlichen Sinne eine philosophische Metapher. Etwas, auf dessen vertikalen Verlauf eine horizontale Endgültigkeit folgt, die in jedem Fall negativ besetzt ist. Er wird im Allgemeinen, nach einem entsprechend langen Fall aus unbestimmter Höhe, mit der Aussicht auf einen sehr harten bis sehr tödlichen Aufschlag assoziiert. Soll heißen: Wenn sich vor einem ein Abgrund auftut, ob im Leben oder der mentalen Verarbeitung eines lebensbezogenen Themas, ist man nur selten geneigt „Jippie!“ oder „Juchu!“ zu rufen. Es sei denn, die Überlegung oder das Leben halten den Abgrund für Jemanden bereit, den man gar nicht oder sehr gut kennt... und der es echt verdient hat. Dann wäre „Jippie!“ und „Juchu!“ natürlich durchaus eine Option. Ich glaube, ein Bergsteiger wird sich höchstwahrscheinlich nie in folgender Weise äußern „Dort vorn, an des klaffenden Abgrunds Schlund, nehmwa die überhängende Steigung zum Basislager zwee und kieken ma, ob uns die Andan wat zu futtern übrich jelassen ham!“ Und ganz sicher würde er auch darauf verzichten, dabei eine theatralische Geste zu machen – ungefähr so – und den Abgrund unheilschwanger zu betonen. Und auch das Wetter unterließe es, an diesem Punkt einen grollenden Donner rumoren zu lassen. (Schade!) Ich glaube Bergsteiger unterscheiden in erster Linie Schluchten, Felsgrate, Steigungen, Spalten, abfallendes Gelände, Steilhänge, Berge und Täler voneinander. Zum Abgrund werden diese erst, wenn man über der Tiefe hängt und derjenige, der die Sicherungsleine hält, Aussagen formuliert wie „Was passiert wohl, wenn ich diesen Splint hier entferne!“ oder „Was ist das eigentlich, wenn ich so ein heftiges Stechen in der Brust habe, das so ein bisschen in den linken Arm ausstrahlt?“ Nur so wird ein kleiner Kletterausflug an der frischen Luft, zum dramatischen Überlebenskampf über dem Abgrund. Kurz gesagt: der Abgrund findet in unser Psyche statt. Denn Dinge sind nur Dinge. Aber unser Denken kann sie zu etwas anderem machen, zu unserer ganz persönlichen Hölle der Angst. Dennoch ist es der einzige Abgrund mit einem tatsächlich physikalischen Bezug. Das ist nämlich der Knackpunkt. Komplizierter werden die Sachen erst, wenn es um die inneren Abgründe eines Jeden von uns geht. 9