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kalbenser Fliegenklatsche

Bd.02 "das Untergrundmagazin für von innen Tätowierte"

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„Das ganze Heft durchgeblättert -<br />

hat eigentlich gar nicht weh getan?!“<br />

Als Beth und MacKenzie verschwitzt und schon halb betrunken in ihren<br />

frisch gekauften silbern glänzenden Morphsuits in dem Club ankommen,<br />

ist es schon kurz vor eins. Sie haben ewig gebraucht, sich den roten Blitz<br />

auf die Gesichter zu zeichnen, über Beths Ex zu lästern, ein paar Tränen<br />

zu verdrücken und dabei eine halbe Flasche Eierlikör geleert. Eierlikör ist<br />

laut MacKenzie der letzte Schrei, weil ja alle gerade wieder so auf Retro<br />

machen würden.<br />

Das Dekor des Clubs ist in dunkelrotem Samt gehalten und wirkt wie das<br />

Moulin Rouge in Zeiten von Degas und Toulouse-Lautrec. Die Stimmung<br />

ist schon gut angeheizt. Einige Menschen sehen Beth und Mackenzie sehr<br />

ähnlich, viele haben sich Blitze über die Gesichter gemalt, andere tragen<br />

sogar die so markanten roten Fisselhaare, die damals Bowies Markenzeichen<br />

gewesen sind.<br />

Die ganze Menge tanzt gerade zu Suffragette City und der Schweiß scheint<br />

in Tröpfchen um sie zu fliegen. Es ist so unbeschreiblich warm. Und doch<br />

drängen sich MacKenzie und Beth eilig durch die Menge.<br />

Beth fühlt sich leicht nackt, aber den Zustand der Verklemmtheit und der<br />

Unsicherheit hat sie mit dem letzten Glass Eierlikör irgendwo in den Untiefen<br />

ihres Hinterkopfes verschwinden lassen. Sie grölt schon halb mit, als<br />

sie in der Mitte ankommen. Um sie herum sich schwenkende Leiber im<br />

roten und blauen Licht. MacKenzie und sie grinsen sich dümmlich an und<br />

beginnen den Tanz, den sie schon seit Jahren bei solchen Anlässen tanzen.<br />

Es ist eine Mischung aus allen möglichen Kultfilmen. Der Twist aus Pulp<br />

Fiction, der Zeigefinger aus Saturday Night Fever, das gruselig einstimmige<br />

Händeklatschen von RiffRaff und Magenta aus der Rocky Horror Picture<br />

Show. Beth fühlt sich unglaublich gelöst. Das alles hier hat nichts mehr<br />

zu tun mit dem Trauerzug von heute Morgen. MacKenzie ist nun mal eine<br />

Naturgewalt, deren Ausmaß jegliche Art der Misere in eine riesige Glitzerwolke<br />

aufzulösen vermag. Die Menschen und ihre Bewegungen ziehen<br />

schon lange Schlieren vor Beths Augen und MacKenzie dreht sie und dreht<br />

sie, er brüllt: „Schwing deinen Hintern, Darling!“<br />

Vielleicht liegt es an all dem, dem leichten Schwindelgefühl in ihrem Magen<br />

und der Wärme in ihrer Brust, dass sie diesem Augenblick so viel Bedeutung<br />

beimisst, vielleicht liegt es aber auch an dem einen Gesicht, das so<br />

plötzlich und so erstaunlich scharf aus der Menge heraussticht. Ist es ein<br />

Junge oder ein Mädchen? Das Wesen mit seinen fast außerirdischen Zügen<br />

ist nicht einzuordnen. Genau wie sie trägt es einen Blitz über dem Gesicht<br />

und seine Wimpern umrahmen lang und blau die merkwürdig leuchtenden<br />

Augen. Beth fühlt sich für einen kurzen Moment, als wäre sie einer Katze<br />

im Dunkeln begegnet, so sehr irritieren sie diese Augen. Eine Sekunde<br />

später ist die Erscheinung verschwunden in den Schlieren ihres trunkenen<br />

Verstandes.<br />

„Okay, lass uns raus, ich muuss eine rauchen!“, brüllt Mackenzie ihr überdreht<br />

ins Ohr und sie quetschen sich durch die Menge. Beth atmet kurz<br />

auf, währenddessen Mackenzie Papers, Filter und Tabak aus seiner kleinen<br />

Clutch kramt und sich die erste von vielen Zigaretten in dieser Nacht zu<br />

drehen beginnt. Beths Kopf schwirrt immer noch vom Alkohol und vom<br />

Tanzen. Sie dreht sich kurz von Mackenzie weg, um den Rauch nicht einzuatmen,<br />

der ihr entgegen weht.<br />

Und da steht diese Gestalt. Jetzt erkennt Beth, dass es offensichtlich ein<br />

Mann sein muss, denn auch er trägt einen eng anliegenden Anzug, wenn<br />

auch einen aus rotem Samt mit Chiffon-Einsätzen. Sein Gesicht hat dennoch<br />

sehr weibliche Züge, hohe Wangenknochen, die großen grünen Augen<br />

mit den langen Yves-Klein-blauen Wimpern und weich geschwungene,<br />

feminine Lippen, in Schwarz-blau geschminkt, mit einer Zigarette im Mundwinkel.<br />

Seine Haare sind ungefähr doppelt so lang wie ihre und wehen<br />

leicht um ihn herum wie eine Art rötlicher Heiligenschein. „Mackenzie...“,<br />

sie tippt ihm geistesabwesend auf die Schulter. „Mackenzie, dreh‘ mir bitte<br />

sofort eine Zigarette, ich glaube ich sehe Gespenster. Siehst du den Typen<br />

da vorne?!“. Mackenzie, der seine Zigarette fast fertig geraucht hat, schaut<br />

sie schmunzelnd von der Seite an und meint nur: „Aber nur dieses eine Mal<br />

und auch nur, weil mein Feuer grade leer geworden ist, ansonsten würde<br />

ich dich keinen Meter näher an diesen Typen lassen.“<br />

„Gut, wir verstehen uns. Gott, ich brauche so dringend jemanden, damit<br />

ich mir Ihn aus dem Kopf vögeln kann.“<br />

„You go girl!“, Mackenzie drückt ihr die verkrüppelte Selbstgedrehte in die<br />

ausgestreckte Hand.<br />

Beth atmet noch einmal tief durch, schiebt sich die Zigarette in den rechten<br />

Mundwinkel und schlendert dann betont lässig zu dem Typ am anderen<br />

Ende des Innenhofes.<br />

„Hey, hast du zufällig Feuer?“, raunt sie ihm zu. Sie kann kaum aus seinem<br />

Gesicht schauen, und er lächelt nur und sagt: „Du bist doch diejenige mit<br />

der geilen Rocky Horror Nummer grad eben! Klar hab ich Feuer.“<br />

Und mit dem Glimmen des Papiers am anderen Ende ihrer Zigarette weiß<br />

Beth, dass dieser Tag vielleicht doch noch ein gutes Ende nehmen könnte.<br />

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