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ForschungsForum Paderborn<br />

und Medien gleichermaßen bedeutend werden<br />

(Abbildung 5).<br />

Kleine Dinge, die in der Alltagspragmatik beheimatet<br />

sind, gewinnen ebenso an Relevanz wie<br />

eine ästhetische Modellierung des Kleinen, die mit<br />

oftmals sprunghaft sich vollziehenden Transformationsprozessen<br />

innerhalb der Wahrnehmungs-,<br />

Informations- und Kommunikationskultur korreliert.<br />

Folgende Leitfragen ergeben sich aus diesem<br />

Befund: In welcher Weise disponieren Mikroformate<br />

unsere Wahrnehmungseinstellungen und<br />

Realitätsentwürfe, inwiefern prägen sie nicht nur<br />

spezifische Sehkulturen, Mentalitäten, Erfahrungs-<br />

und Erinnerungsentwürfe? Inwieweit bildet<br />

das Kleine, seine Darstellung und Verhandlung,<br />

neue sozio-ökonomische und kulturell-ästhetische<br />

Maßstäbe aus, die auf soziale Interaktionen<br />

zurückwirken oder möglicherweise neue Vorstellungen<br />

von Bildung, Leben und Wissen generieren?<br />

Globalisierung und Digitalisierung von<br />

Lebenswelten setzen Prozesse der Komplexitätssteigerung<br />

in Gang, die paradoxerweise Verfahren<br />

der Komplexitätsreduktion, der Zerkleinerung,<br />

Fragmentierung, Komprimierung und Hybridisierung<br />

auf den Plan rufen. Die Cultural Studies und<br />

die Visual Studies greifen solche Tendenzen auf<br />

und formulieren neue Standards wissenschaftlicher<br />

Wertigkeiten. Neuere und aktuelle kulturgeschichtliche<br />

Studien diskutieren beispielsweise<br />

Austauschbeziehungen zwischen Dingen, Materialien<br />

und Menschen unter dem Aspekt performativer<br />

Transformationsprozesse und des Cross-over.<br />

Und schließlich leben wir in einem Zeitalter der<br />

zunehmenden Dynamisierung und Ökonomisierung<br />

von Zeit, wobei die Spannbreite dieser Erfahrung<br />

vom Eindruck der Beschleunigung bis hin zu<br />

Phänomenen der „langen Dauer”, vom modernen<br />

Augenblicks- und Plötzlichkeitsdispositiv bis hin<br />

zu imaginär oder auch virtuell erlebten Situationen<br />

der Zeitdehnung reicht. Kleine Formen, die auf<br />

Kürze, Komprimierung und Konkretion abgestellt<br />

sind, reagieren auf solche Dynamisierungsprozesse,<br />

wobei sich auch hier Paradoxien erkennen<br />

lassen: Das, was formal der Flüchtigkeit des<br />

Augenblicks geschuldet ist und beschleunigtes<br />

Zeiterleben in ein entsprechendes Format bringt,<br />

erweist sich zugleich als „kleines” Archiv polychroner<br />

Zeiterfahrung: Vielleicht wurde die unumgängliche<br />

Differenz zwischen der Präsenz, der<br />

Gegenwärtigkeit des Augenblicks und seiner<br />

gleichzeitigen Flüchtigkeit und Unverfügbarkeit<br />

nie deutlicher erlebt als im Zeitalter einer enormen<br />

Informationskumulation und -dichte sowie den<br />

technologisch scheinbar grenzenlos möglichen<br />

Zugriffen darauf.<br />

Fazit und Ausblick<br />

Eine Theorie des Kleinen lässt sich in einem definitorischen<br />

Sinn nicht formulieren. Gleichwohl<br />

erlaubt es die interdisziplinäre Betrachtung und<br />

Analyse narrativer, visueller und medialer Mikroformate,<br />

methodische Leitlinien herauszuarbeiten,<br />

um eine quantitative und qualitative Funktionsbestimmung<br />

des Kleinen vorzunehmen. So konnte in<br />

den inzwischen erschienenen Forschungsbeiträgen<br />

des Forscherteams gezeigt werden, dass das<br />

Kleine ungeachtet formaler Eigenschaften wie<br />

Reduktion, Konzentration und Verdichtung immer<br />

auch Verfahren der Entfaltung und Ausdehnung in<br />

Gang setzt. Die Bestandsaufnahme einer Phänomenologie<br />

des Kleinen zieht zunächst Deskriptionsverfahren<br />

nach sich, analytische Perspektiven<br />

ergeben sich insbesondere dort, wo es um das<br />

Konkretions-, Verfremdungs- und Transformationspotenzial<br />

des Kleinen geht: Kleine Formen<br />

zeigen ihre Kontur, ihr Profil im Kontext; eine<br />

Mikrostruktur evoziert stets ihren Makrokosmos.<br />

So hat man beispielsweise Mikroerzählungen mit<br />

fractal patterns verglichen, insofern sich in ihnen<br />

Strukturen und Muster auffinden lassen bzw.<br />

abzeichnen, die wie im Fall der mise en abyme<br />

Verborgenes sichtbar machen, das Große im Kleinen<br />

unter anderen Vorzeichen figurieren. Da kleine<br />

Formen und Formate die Grenze zwischen<br />

Sagbarem und Zeigbarem thematisieren und<br />

ausloten, eignet ihnen eine oszillierende, Konstellationen<br />

ausbildende und kombinatorische Qualität,<br />

die eindimensionalen Lesarten widersteht und<br />

modellbildend wirken und werden kann: Der<br />

Modellcharakter kleiner Formen verwirklicht sich<br />

in der Eröffnung von Möglichkeitssinn, denn er<br />

suggeriert dort Präsenz, wo er diese abzieht und<br />

stellt dort Verfügbarkeit in Aussicht, wo diese sich<br />

entzieht. Das von Prof. Dr. Claudia Öhlschläger<br />

(Komparatistik) und Prof. Dr. Sabiene Autsch<br />

(Kunstgeschichte) initiierte überregionale<br />

Forscherteam befasst sich seit April 2013 mit dem<br />

Thema „Medienkulturen des Kleinen“. Aus einer<br />

internationalen Tagung zum Thema an der Universität<br />

Paderborn im April 2013 ist ein Tagungsband<br />

hervorgegangen, der erste grundlegende Thesen<br />

und Überlegungen dokumentiert. Ein zweiter<br />

Band mit Detailanalysen befindet sich in Vorbereitung.<br />

Er wird 2016/17 unter dem Titel „Konstellationen<br />

des Kleinen“ erscheinen. Diskutiert werden<br />

soll auch in zukünftigen Workshops das transformative<br />

Potenzial und die transgressive Energie<br />

und vielschichtige Integrierbarkeit kleiner Formen<br />

und Formate in immer wieder andere, wechselnde<br />

Kontexte, kulturelle Umgebungen und ästhetische<br />

Anordnungen. Ziel ist es, einen methodischen<br />

Denk- und Deutungsrahmen zu entwickeln, der<br />

Aufschlüsse geben kann über das noch nicht<br />

erforschte Zusammenwirken von literarischer,<br />

künstlerischer Produktion und medialen Veränderungsprozessen.<br />

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Universität Paderborn

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