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ZEITZEUGEN / 57<br />
Unsterblich, fantastisch, geliebt:<br />
die „Casa Carioca“<br />
„Eigentlich durften wir da ja nicht rein. Das war ja nur für die Amerikaner. Aber …“<br />
Wer zwischen 1947 und 1970 jung war, hat eine Geschichte aus dem Casa Carioca<br />
zu erzählen, dem legendären Revuetheater.<br />
Ostler als Erbauer des Olympia-Eisstadions<br />
sowie die Baufirma Baumer freuten sich<br />
über einen spektakulären Auftrag, dessen<br />
Ausführung im März 1946 begann.<br />
Fünf Monate später war die Casa Carioca<br />
bezugsfertig. Schon das bloße Bauwerk ließ<br />
die Menschen staunen, fügte sich doch eine<br />
Ahnung von Disneyland (damals indes allenfalls<br />
in den Gedanken Walt Disneys präsent)<br />
in die raue Alpenkulisse. Ostler hatte die<br />
Casa im maurischen Stil als einen offenen<br />
spanischen Hofgarten entworfen, mit Säulen<br />
und Balkonen. In der Mitte eine Eisfläche,<br />
auf der die Shows dahinglitten, reihum<br />
Tische und Stühle für die Zuschauer und ihre<br />
Bewirtung.<br />
Die Oberklasse des<br />
europäischen Revuetheaters<br />
Als wäre das nicht genug der Sensation,<br />
gesellten sich bald zwei technische Einrichtungen<br />
hinzu, mit denen sich die „Casa“<br />
endgültig in die Oberklasse der europäischen<br />
Revuetheater katapultierte; zeitweise<br />
wurde sie in einem Atemzug mit dem Lido<br />
in Paris genannt. Um den Raum vor der<br />
mitunter kalten Nacht in den Bergen zu<br />
schützen, bekam das Gebäude ein Dach. Um<br />
Marktarchivar Franz Wörndle<br />
im Falle moderater Temperatur aber auch<br />
den Sternenhimmel zu genießen, erhielt<br />
es einen Öffnungsmechanismus. „Wirklich<br />
oft ist das aber nicht passiert, dass das<br />
Dach zurückgefahren wurde“, erinnert sich<br />
Karl Bischoff. „Meistens war’s viel zu frisch<br />
und windig dafür.“ Ein anderes bewegliches<br />
Teil dagegen kam regelmäßig zum Zuge:<br />
Über der Eisfläche konnte vor und nach der<br />
Revue ein Tanzboden ausgefahren werden.<br />
Schließlich wollte das Publikum ja auch<br />
seine Freude haben … Der besondere Effekt<br />
hat sich tief in den Tänzern von einst verankert:<br />
„Das hat wunderbar gefedert“, sagt<br />
Bischoff, der noch heute einen Besuch mit<br />
einer Herzdame dort fast minutiös zu referieren<br />
weiß.<br />
Solche Besuche waren erst in späteren<br />
Jahren möglich. Zunächst stand die „Casa<br />
Carioca“ nur den Amerikanern offen. Allerdings<br />
arbeiteten viele Garmischer und<br />
Parten kirchner in dem personalintensiven<br />
Betrieb. Klaus Käsbohrer zum Beispiel<br />
spielte in einer der Bands, die dort regelmäßig<br />
das Unterhaltungsprogramm bestritten.<br />
Er schwärmt noch heute vom guten Essen<br />
dort. Und er erzählt von einem „Spezl, der<br />
war Kriegswaise. Für die haben die Amerikaner<br />
immer wieder mal eine eigene Bescherung<br />
veranstaltet, die fand auch in der Casa<br />
Carioca statt.“<br />
Das alles indes ist, rückblickend, nur<br />
die Begleitmusik für das, was wirklich den<br />
Zauber der „Casa Carioca“ ausgemacht hat:<br />
die Revuen und die „Girls“, in den englischsprachigen<br />
Programmen stets brav „Chorus“<br />
genannt. Die Namen der Shows versprachen<br />
Großes: „Around the world“, „Stars on Ice“,<br />
„Rhapsody on Ice“, „Confetti“, „South Pacific“<br />
oder „Kiss me Kate“. Eine nach Aussagen von<br />
Augenzeugen sehr treffende Schilderung liefert<br />
der bekannte Sportjournalist Heinz Maegerlein<br />
in seinem 1977 erschienenen Buch<br />
„Garmisch-Partenkirchen: Sport & Charme“,<br />
das man vereinzelt noch in Antiquariaten<br />
findet (oder in den Bücherschränken der<br />
Einheimischen).<br />
Wenn man ältere Menschen,<br />
die in Garmisch-Partenkirchen<br />
zu Hause sind, auf die „Casa<br />
Carioca“ anspricht, dann sieht<br />
man in ihren Gesichtern ganz oft einen<br />
Ausdruck, der unter dem Namen „seliges<br />
Lächeln“ bekannt ist. Zuerst. Dann huscht<br />
Wehmut durch die Mienen. Und dann beginnen<br />
sie zu erzählen. Mit Begeisterung,<br />
mit Herz, frei und munter. Jede und jeder,<br />
die zwischen 1947 und 1970 jung waren und<br />
ihren Spaß am Ausgehen hatten, weiß eine<br />
Geschichte, eine eigene Geschichte, eine<br />
Momentaufnahme aus dem Leben. Viele<br />
von ihnen beginnen so: „Eigentlich durften<br />
wir da ja nicht rein. Das war ja nur für die<br />
Amerikaner. Aber …“<br />
Je mehr dieser Geschichten man zu hören<br />
bekommt, bevor man sich zum ersten Mal<br />
Fotos der „Casa Carioca“ anschaut, desto<br />
spannender und aufregender gestaltet sich<br />
das Bild, das vor dem inneren Auge heranwächst.<br />
Eine Mischung aus Märchenschloss<br />
und technischem Wunderwerk, aus großer<br />
Oper und Zirkuszelt kommt da zusammen,<br />
verklärt wie das versunkene Atlantis, unsterblich<br />
wie Winnetou. Dem unbefangenen<br />
Zuhörer wird klar: Es ist nicht eine gute, alte<br />
Zeit, an die sie sich dabei erinnern, sondern<br />
eine fantastische Ära im Leben der Marktgemeinde,<br />
wie es sie vorher und nachher kein<br />
zweites Mal gegeben hat.<br />
Entertainment vom Feinsten<br />
für die US-Soldaten<br />
Die eigentliche Geschichte hinter all<br />
diesen Geschichten beginnt kurz nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg. US-Truppen<br />
hatten Garmisch-Partenkirchen zu einem<br />
ihrer Stützpunkte in der amerikanischen Zone<br />
gemacht, Tausende von Soldaten waren hier<br />
stationiert. Wie es sich im Verhältnis von<br />
Uncle Sam zu seinen GIs gehörte, spendierte<br />
er ihnen Entertainment vom Feinsten, um<br />
den Aufenthalt fern der Heimat erträglich<br />
zu machen. Praktischerweise fanden sich<br />
rund ums Olympiastadion noch ausgiebig<br />
Materialien einer nicht gebauten Eishalle für<br />
die ausgefallenen Winterspiele 1940 – und<br />
so bekam Garmisch-Partenkirchen auf militärischen<br />
Befehl hin einen Spielort für eine<br />
Eisrevue.<br />
Gebaut haben das gute Stück Architekten<br />
und Arbeiter aus dem Ort – angespornt, wie<br />
man erzählt bekommt, nicht zuletzt durch<br />
die täglichen, leckeren Essenspakete der<br />
Amerikaner. Der Garmischer Architekt Hanns<br />
Der „Chorus“ verzauberte<br />
das Publikum.