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Gästemagazin Grenzenlos Sommer 2016

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ZEITZEUGEN / 57<br />

Unsterblich, fantastisch, geliebt:<br />

die „Casa Carioca“<br />

„Eigentlich durften wir da ja nicht rein. Das war ja nur für die Amerikaner. Aber …“<br />

Wer zwischen 1947 und 1970 jung war, hat eine Geschichte aus dem Casa Carioca<br />

zu erzählen, dem legendären Revuetheater.<br />

Ostler als Erbauer des Olympia-Eisstadions<br />

sowie die Baufirma Baumer freuten sich<br />

über einen spektakulären Auftrag, dessen<br />

Ausführung im März 1946 begann.<br />

Fünf Monate später war die Casa Carioca<br />

bezugsfertig. Schon das bloße Bauwerk ließ<br />

die Menschen staunen, fügte sich doch eine<br />

Ahnung von Disneyland (damals indes allenfalls<br />

in den Gedanken Walt Disneys präsent)<br />

in die raue Alpenkulisse. Ostler hatte die<br />

Casa im maurischen Stil als einen offenen<br />

spanischen Hofgarten entworfen, mit Säulen<br />

und Balkonen. In der Mitte eine Eisfläche,<br />

auf der die Shows dahinglitten, reihum<br />

Tische und Stühle für die Zuschauer und ihre<br />

Bewirtung.<br />

Die Oberklasse des<br />

europäischen Revuetheaters<br />

Als wäre das nicht genug der Sensation,<br />

gesellten sich bald zwei technische Einrichtungen<br />

hinzu, mit denen sich die „Casa“<br />

endgültig in die Oberklasse der europäischen<br />

Revuetheater katapultierte; zeitweise<br />

wurde sie in einem Atemzug mit dem Lido<br />

in Paris genannt. Um den Raum vor der<br />

mitunter kalten Nacht in den Bergen zu<br />

schützen, bekam das Gebäude ein Dach. Um<br />

Marktarchivar Franz Wörndle<br />

im Falle moderater Temperatur aber auch<br />

den Sternenhimmel zu genießen, erhielt<br />

es einen Öffnungsmechanismus. „Wirklich<br />

oft ist das aber nicht passiert, dass das<br />

Dach zurückgefahren wurde“, erinnert sich<br />

Karl Bischoff. „Meistens war’s viel zu frisch<br />

und windig dafür.“ Ein anderes bewegliches<br />

Teil dagegen kam regelmäßig zum Zuge:<br />

Über der Eisfläche konnte vor und nach der<br />

Revue ein Tanzboden ausgefahren werden.<br />

Schließlich wollte das Publikum ja auch<br />

seine Freude haben … Der besondere Effekt<br />

hat sich tief in den Tänzern von einst verankert:<br />

„Das hat wunderbar gefedert“, sagt<br />

Bischoff, der noch heute einen Besuch mit<br />

einer Herzdame dort fast minutiös zu referieren<br />

weiß.<br />

Solche Besuche waren erst in späteren<br />

Jahren möglich. Zunächst stand die „Casa<br />

Carioca“ nur den Amerikanern offen. Allerdings<br />

arbeiteten viele Garmischer und<br />

Parten kirchner in dem personalintensiven<br />

Betrieb. Klaus Käsbohrer zum Beispiel<br />

spielte in einer der Bands, die dort regelmäßig<br />

das Unterhaltungsprogramm bestritten.<br />

Er schwärmt noch heute vom guten Essen<br />

dort. Und er erzählt von einem „Spezl, der<br />

war Kriegswaise. Für die haben die Amerikaner<br />

immer wieder mal eine eigene Bescherung<br />

veranstaltet, die fand auch in der Casa<br />

Carioca statt.“<br />

Das alles indes ist, rückblickend, nur<br />

die Begleitmusik für das, was wirklich den<br />

Zauber der „Casa Carioca“ ausgemacht hat:<br />

die Revuen und die „Girls“, in den englischsprachigen<br />

Programmen stets brav „Chorus“<br />

genannt. Die Namen der Shows versprachen<br />

Großes: „Around the world“, „Stars on Ice“,<br />

„Rhapsody on Ice“, „Confetti“, „South Pacific“<br />

oder „Kiss me Kate“. Eine nach Aussagen von<br />

Augenzeugen sehr treffende Schilderung liefert<br />

der bekannte Sportjournalist Heinz Maegerlein<br />

in seinem 1977 erschienenen Buch<br />

„Garmisch-Partenkirchen: Sport & Charme“,<br />

das man vereinzelt noch in Antiquariaten<br />

findet (oder in den Bücherschränken der<br />

Einheimischen).<br />

Wenn man ältere Menschen,<br />

die in Garmisch-Partenkirchen<br />

zu Hause sind, auf die „Casa<br />

Carioca“ anspricht, dann sieht<br />

man in ihren Gesichtern ganz oft einen<br />

Ausdruck, der unter dem Namen „seliges<br />

Lächeln“ bekannt ist. Zuerst. Dann huscht<br />

Wehmut durch die Mienen. Und dann beginnen<br />

sie zu erzählen. Mit Begeisterung,<br />

mit Herz, frei und munter. Jede und jeder,<br />

die zwischen 1947 und 1970 jung waren und<br />

ihren Spaß am Ausgehen hatten, weiß eine<br />

Geschichte, eine eigene Geschichte, eine<br />

Momentaufnahme aus dem Leben. Viele<br />

von ihnen beginnen so: „Eigentlich durften<br />

wir da ja nicht rein. Das war ja nur für die<br />

Amerikaner. Aber …“<br />

Je mehr dieser Geschichten man zu hören<br />

bekommt, bevor man sich zum ersten Mal<br />

Fotos der „Casa Carioca“ anschaut, desto<br />

spannender und aufregender gestaltet sich<br />

das Bild, das vor dem inneren Auge heranwächst.<br />

Eine Mischung aus Märchenschloss<br />

und technischem Wunderwerk, aus großer<br />

Oper und Zirkuszelt kommt da zusammen,<br />

verklärt wie das versunkene Atlantis, unsterblich<br />

wie Winnetou. Dem unbefangenen<br />

Zuhörer wird klar: Es ist nicht eine gute, alte<br />

Zeit, an die sie sich dabei erinnern, sondern<br />

eine fantastische Ära im Leben der Marktgemeinde,<br />

wie es sie vorher und nachher kein<br />

zweites Mal gegeben hat.<br />

Entertainment vom Feinsten<br />

für die US-Soldaten<br />

Die eigentliche Geschichte hinter all<br />

diesen Geschichten beginnt kurz nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg. US-Truppen<br />

hatten Garmisch-Partenkirchen zu einem<br />

ihrer Stützpunkte in der amerikanischen Zone<br />

gemacht, Tausende von Soldaten waren hier<br />

stationiert. Wie es sich im Verhältnis von<br />

Uncle Sam zu seinen GIs gehörte, spendierte<br />

er ihnen Entertainment vom Feinsten, um<br />

den Aufenthalt fern der Heimat erträglich<br />

zu machen. Praktischerweise fanden sich<br />

rund ums Olympiastadion noch ausgiebig<br />

Materialien einer nicht gebauten Eishalle für<br />

die ausgefallenen Winterspiele 1940 – und<br />

so bekam Garmisch-Partenkirchen auf militärischen<br />

Befehl hin einen Spielort für eine<br />

Eisrevue.<br />

Gebaut haben das gute Stück Architekten<br />

und Arbeiter aus dem Ort – angespornt, wie<br />

man erzählt bekommt, nicht zuletzt durch<br />

die täglichen, leckeren Essenspakete der<br />

Amerikaner. Der Garmischer Architekt Hanns<br />

Der „Chorus“ verzauberte<br />

das Publikum.

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