In Art We Trust — Money In Art In Money
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ART AND MONEY<br />
und Einfluss, Privilegien, und Wohlstand (Bourdieu,<br />
1984). Die heutige Kunst, zumindest die der oberen<br />
Liga der Kunstwelt, nimmt noch immer diese Rolle<br />
ein (Velthius, 2007). Sie ist eine Mediatisierung, die<br />
dabei hilft eine zentrale Krise des Kapitalismus zu<br />
lindern (oder zumindest hinauszuschieben): die<br />
herrschende Klasse befindet sich gleichermaßen im<br />
<strong>We</strong>ttstreit und in Kooperation, um das System zu erhalten.<br />
Darüber hinaus bietet die heutige Kunst dem<br />
Kapital eine Vielzahl weiterer Dienste. Wie bereits<br />
erwähnt wurde sie zum illusionären Fixstern der<br />
Freiheit, Selbsterfüllung und des <strong>In</strong>dividualismus, auf<br />
den zunehmend alle Arbeiter ihren Blick richten sollen;<br />
es bietet sich aber eben auch als <strong>In</strong>vestment<br />
einer „alternativen Anlageklasse“ an, um<br />
Parameter eines <strong>In</strong>vestment-Portfolios zu erfüllen<br />
(Thompson, 2011); Stiftungen und Gefälligkeiten<br />
an der Kunst im öffentlichen <strong>In</strong>teresse<br />
(Museen, Galerien, usw.) erzeugen die Illusion,<br />
dass die finanzialisierte Elite sich tatsächlich<br />
um das Schicksal der Kultur und Menschheit<br />
schert. Das waren nur einige Beispiele, die<br />
doch als Hinweis genügen, dass die Kunst<br />
als Mediatisierung eine Reihe von wichtigen<br />
Rollen in der Reproduktion des Kapitalismus<br />
und sozialer, wie ökonomischer Beziehungen spielt.<br />
Der Nutzen der Kunst für die kapitalistische Reproduktion<br />
verschaffte ihr eine befremdliche, vorbehaltliche<br />
Autonomie, die schnell verloren gehen kann.<br />
Da die kapitalistische Funktionalität der Kunst sich<br />
darauf verließ aufgefüllt mit einer Mythologie von<br />
Freiheit, Kreativität, <strong>In</strong>dividualismus und einer Gehorsamkeit<br />
zu einer nicht-ökonomischen Logik von<br />
<strong>We</strong>rten zu sein, boten diese Qualitäten Raum für schonungslose,<br />
womöglich radikale Kritik. Das immerhin<br />
war die Hoffnung der Avantgardisten, die in der Kunst<br />
alle <strong>We</strong>rte und Qualitäten fanden, die sie sonst unterm<br />
Kapitalismus bezwungen und ausradiert sahen.<br />
Gleichermaßen leidenschaftlich brachte Herbert<br />
Marcuse (1978) in seiner finalen Arbeit Argumente<br />
für die <strong>Art</strong> und <strong>We</strong>ise wie Kunst und Schönheit das<br />
sonst hermetisch versiegelte Idiom des alles instrumentalisierenden<br />
Kapitalismus aufbrechen könne.<br />
Diese leichte Spur kritischer, dialektischer Distanz<br />
scheint in den letzten Jahrzehnten vom Kapital<br />
eingeholt worden zu sein. Bei einer derar-<br />
tigen, wie bereits in Strategie 2 beschriebenen,<br />
Einbindung in ein ästhetisches Regime vom Kapital<br />
und dem Hunger der finanzialisierten Bourgeoisie<br />
nach zeitgenössischer, kritischer Kunst, wo mag<br />
es uns gelingen das radikale Potential der Kunst<br />
im Ganzen und speziell der Geldkunst zu finden?<br />
Um diese Frage weiter zu verfolgen, lohnt es<br />
sich Marx’ Unterscheidung zwischen Tausch- und<br />
Nutzwert zu betrachten. Eine geläufige Fehldeutung<br />
Marx’ lässt die Idee aufkommen, dass der Kapitalismus<br />
die bloße Unterordnung des Nutzwertes<br />
gegenüber des Tauschwertes sei – das Diktat durch<br />
den Preis einer Sache. Mag zum Teil wahr sein, wird<br />
Die kapitalistische Funktionalität der<br />
Kunst verlässt sich auf ihren Mythos<br />
von Freiheit, Kreativität, <strong>In</strong>dividualismus<br />
und einer Gehorsamkeit gegenüber einer<br />
nicht-ökonomischen Logik von <strong>We</strong>rten.<br />
jedoch durch einige Faktoren weiter verkompliziert.<br />
Einer ist, dass der Kapitalismus von gewissen Objekten<br />
oder Prozessen abhängt, die über ihre Nennpreise<br />
hinaus, nach wie vor einen Nutzwert innehaben.<br />
Der <strong>We</strong>rt eines Laibs Brot ist nicht nur der Preis<br />
auf dem kapitalistischen Markt, sondern auch der<br />
abstrakte Mehrwert, den es vertritt, dadurch, dass<br />
es zur Reproduktion der Arbeiter, ihrer Körper- und<br />
Arbeitskraft <strong>—</strong> letztendlich <strong>—</strong> zum Kapital beiträgt.<br />
Diese Widersprüche und Komplexität dieses<br />
Systems, nehmen mitunter so extreme Ausmaße<br />
an, dass die Tauschwerte die Nutzwerte dermaßen<br />
in den Schatten stellen, dass Arbeiter sich Nahrungsmittel<br />
nicht mehr leisten können. Das führt<br />
nicht nur zu Konflikten und Krisen wie Überproduktion<br />
bei Unterernährung, sondern auch zu Widerständen<br />
wie den Brot-Revolten (Cleaver, 2000).<br />
Der zweite und abgeleitete Punkt hier ist, dass<br />
man in einer <strong>We</strong>lt der Mediatisierungen, nie einen<br />
unverfälschten Aufschluss über den tatsächlichen<br />
<strong>We</strong>rt einer Sache erhält. Unser Empfinden über die<br />
Nützlichkeit und dem tatsächlichen <strong>We</strong>rt der Sache<br />
ist nie unbeeinflusst. Selbst in dem Moment, in<br />
dem wir eine Ware auf nicht marktrelevante <strong>We</strong>ise<br />
„nutzen“ (das Essen eines Laibs Brots beispielsweise),<br />
können wir nie dessen puren Nutzwert<br />
erfahren, da dieses Empfinden darüber wiederum<br />
von vielen Faktoren (nicht nur des Tauschwertes)<br />
korrumpiert wird.<br />
Demzufolge bleibt auch etwas wie die Kunst,<br />
selbst in dem Ausmaß sie bereits kommodifiziert<br />
und dem Kalkül des Finanzmarkts unterworfen<br />
wurde, „nützlich“ in vielerlei (widersprüchlicher)<br />
Hinsicht. Die unterschiedlichen Nutzen der Kunst,<br />
insbesondere der zeitgenössischen, für die<br />
Reproduktion der herrschenden, finanzialisierten<br />
Klasse haben wir bereits gesehen.<br />
Wir können aber auch auf die, für den<br />
Rest von uns, hoffnungsvolleren und aufbauenderen<br />
„Nutzwerte“ der Kunst hinweisen:<br />
ihre Fähigkeit uns aus gewohnten Denk-,<br />
Gefühls- und Handlungsmustern zu reißen;<br />
wie ein kleiner Riss im Mauerwerk der kommerzialisierten<br />
und instrumentalisierten <strong>We</strong>lt,<br />
durch den ein schwacher Lichtstrahl dringt<br />
und einen Geschmack der Freiheit hinterlässt;<br />
ihre Fähigkeit, was Jacques Ranciére (2007) eine<br />
„neue Aufteilung des Sinnlichen“ nennt, zu verbreiten<br />
– unsere voreingenommenen gewohnten Ansichten,<br />
darüber wer und was in eine Galerie, in eine Nation,<br />
in unser Herz gehört, herauszufordern.<br />
Die Schlüssellehre die wir aus Marx ziehen ist,<br />
dass keiner dieser <strong>We</strong>rte, je vollkommen rein ist. Der<br />
<strong>We</strong>rt eines Warhol ist die Summe aller Ebenen auf<br />
diesem Palimpsest: sein Marktwert auf der Auktion;<br />
sein Stellenwert in der Kunstgeschichte; sein Bedeutungswert<br />
als domestiziertes Objekt in der Sammlung<br />
eines Hedgefonds-Managers; und sein <strong>We</strong>rt als<br />
bedeutsames Kunstwerk, das neue Horizonte für<br />
Denk- und Handlungsweisen erschließt.<br />
Geld ist eine ganz besonderer <strong>Art</strong> Handelsware,<br />
eine dessen, zumindest ideeller, Nutzwert es ist, den<br />
Tauschwert zu repräsentieren. Wovon wir nie müde<br />
werden es zu hören ist, wie wertlos Geld ansonsten<br />
ist: Geld macht nicht satt, man kann keine Beziehung<br />
mit Geld haben, sein einziger Zweck ist es Austausch<br />
zu vereinfachen und zu beschleunigen.<br />
ESSAY 327