De:Bug 166
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Antworten auf meine Interview-Anfragen durchforste,<br />
fällt ein Schuss. In Chicago wird der 18-jährige Lil JoJo<br />
von seinem Fahrrad geholt. Tot. Und ein 17-Jähriger twittert:<br />
"HahahahahhahahahahahahahaahhAAHAHAHAHA<br />
#RichNiggaShit Its Sad Cuz Dat Nigga Jojo Wanted To Be<br />
Jus Like Us #LMAO". Krass, wer sagt denn sowas? Eben<br />
jener Chief Keef, Baby Thug, Großmaul, Vollidiot, der kräftig<br />
Beef hatte mit Lil JoJo und jetzt vom Chicago Police<br />
<strong>De</strong>partment vernommen wird. Und schon lange verbandelt<br />
sein soll mit einer stadtbekannten Gang. Im nachfolgenden<br />
medialen Tumult lerne ich: Nicht nur meine Brille ist<br />
verrutscht. <strong>De</strong>r Regen der Schuldzuweisungen setzt ein:<br />
Wie konnte Interscope so jemanden signen? Wie konnte<br />
Kanye West so jemanden supporten? Wieso sind wir und<br />
die gesamte amerikanische Musikpresse auf so jemanden<br />
hereingefallen? Dieses Monster! Tja, vielleicht weil es<br />
so einfach ist, unter dem <strong>De</strong>ckmantel der Popkultur alles<br />
und jedes nur auf seine Marktfaktoren, welche das auch<br />
immer gerade sein mögen, zu durchleuchten - der große<br />
neoliberale Rock’n’Roll Swindle.<br />
Mit der Knarre in der Hand<br />
Und auch, weil wir nicht mehr auseinanderhalten können,<br />
wer hier eigentlich was kopiert. Die Kinder die Erwachsenen,<br />
das Leben die Kunst? Erzählt "The Wire" die Realität nach<br />
oder stiftet es sie gar? Selbst das sonst so moralisch einwandfreie<br />
Leitmedium Pitchfork gesteht einen Fehler ein<br />
und nimmt ein älteres Video-Interview von der Seite, das<br />
Chief Keef ausgerechnet auf einem Schießplatz zeigt, mit<br />
Knarre in der Hand. Wie passend und cool, hatten die<br />
Redakteure weiland bestimmt gedacht, das gibt Klicks. Das<br />
ewige Presse-Dilemma. Zwischen all den Kommentaren<br />
und weisen Ratschlägen aus dem Munde altväterlicher<br />
HipHop-Legenden, die sich im Weiteren häufen, meldet sich<br />
auch Chief Keefs Großmutter in der Chicago Sun-Times zu<br />
Wort: "Wann soll denn der Junge Zeit haben für das ganze<br />
Gangster-Zeugs, der ist doch immer zu Hause!" Ok, durchatmen,<br />
noch mal hinsehen: Für Granny ist der kleine Chief ein<br />
lieber Junge mit einer bösen, aber imaginären Rap-Persona.<br />
Für die Presse ist er der Wurf der Saison, mit dem sich sogar<br />
im selbstkritischen Abgesang noch Leserzahlen schinden<br />
lassen (gerade jetzt, zum Beispiel). Und für mich? Genau so<br />
ein kleiner Wichser, wie die Kinder-Stresser, die mich in der<br />
U-Bahn schon mal fast verprügelt hätten, Problem-Kiez, ihr<br />
wisst schon. Mit dem Unterschied, dass ich mir von diesen<br />
Kids keine Videos ansehe. <strong>De</strong>pression. Sogar meine derzeitige<br />
Favoritin Sasha Go Hard hat es mir nun fast vergällt.<br />
Die zarte Rapperin – immerhin schon 20 – soll ebenfalls an<br />
der Peripherie Chicagoer Gangaktivitäten gesichtet worden<br />
sein. Ich hatte sie für ein Schulmädchen gehalten, das sich<br />
gerade mal für ihr tolles "Tatted Like a Biker Boy"-Video ein<br />
bisschen Tinte und Make-Up auf die Haut hat schmieren<br />
lassen und die Bandana, die sie in einigen Szenen vor dem<br />
Gesicht trägt, nur als Zitat und Empowering-Gestus instrumentalisiert.<br />
Fragen kann ich sie nicht – es gibt keine<br />
Rückmeldung. Als ich gerade aufgeben will, flattert doch<br />
noch eine Mail ins Postfach: Mein Twitter-Kumpel ISSUE<br />
rettet meine Welt.<br />
<strong>De</strong>r 17-Jährige lebt irgendwo in der Bay Area und ist der<br />
Sohn von Rap-Mogul E-40. Er hat ein paar Mixtapes raus,<br />
einige wenige Videos, in denen er sich niemals selbst zeigt,<br />
dafür eine Vorliebe für europäische Luxuskarossen. Glaubt<br />
man seinen Texten, fährt er täglich mit einem Lamborghini<br />
in die Schule. <strong>De</strong>r Herr Papa hat sich längst in die HipHop<br />
Hall of Fame eingeschrieben, das Familienkonto sollte<br />
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An teure Autos, Bitches und<br />
Money ist schlecht heranzukommen<br />
mit 15. Aber an Gras<br />
und Hustensaft? Klar doch.<br />
entsprechend gut gefüllt sein und das Leben in der Hood<br />
weit entfernt. ISSUE wächst offensichtlich behüteter und<br />
mit besserer Schulbildung auf als seine Altersgenossen<br />
in den sozialen Brennpunkten von Chicago. Wenn er von<br />
der Schule nach Hause kommt, hebt er ein paar Gewichte<br />
und setzt sich dann wieder vor seinen Computer, um, wie<br />
er sagt, seinem "Hobby" nachzugehen. Das Hobby heißt<br />
Teaholics, sein Label, und ist bezeichnend für die Droge<br />
der Wahl des jungen ISSUE: Er trinkt ausschließlich und viel<br />
AriZona Eistee gemixt mit blauem Gatorade, das Getränk<br />
trägt den schnittigen Namen Viper Tea. Alkohol? Gras?<br />
Sonst was? Nein. Was hält er von den Weed-Eskapaden<br />
seiner Peergroup? "Im Augenblick nervt es mich wirklich,<br />
ständig jemand sagen zu hören 'Smoking weed with a bad<br />
one'. Sicher, ein paar Weed-Songs sind ganz gut, 'Get Lit'<br />
von A$AP Rocky oder 'Up' von Wiz Khalifa, aber das war’s<br />
auch schon", sagt er und wischt mit einem Satz die Relevanz<br />
dieser Tracks vom Tisch: "Sie könnten eine Botschaft haben,<br />
wenn die nicht im Gegensatz zu ihrer Fixierung auf<br />
Weed und Frauen stünde." Kennt er denn seine jugendlichen<br />
Mitstreiter? Ich zähle alle Namen auf, die mir einfallen.<br />
"Tja, der Trend ist riesig aber nein, ich hör’ mir das nicht an.<br />
Mit einer Ausnahme: <strong>De</strong>nzel Curry vom Raider Klan (dem<br />
auch SpaceGhostPurrp angehört, siehe 4AD-Special in<br />
DE:BUG 164, Anm.d.Red.). Wir werden wohl gemeinsam<br />
etwas aufnehmen. Einige dieser Künstler suchen sich einen<br />
nachgemachten Lex-Luger-Beat, schreiben einen Text, der<br />
sie irgendwie mit der 'Hood' in Zusammenhang bringt und<br />
haben eine 3-Wörter-Hookline. Nun gut, viele Leute mögen<br />
das, ich für meinen Teil aber nicht. Alles klingt gleich.<br />
Rap ist nunmal das Genre der Stunde und bestimmte junge<br />
Rapper ziehen ihren Vorteil daraus, vorsichtig ausgedrückt.<br />
Ich mache solche Songs mit links, gib mir fünf Stunden<br />
und ich hab’ ein Mixtape mit 15 dieser Tracks fertig, das ist<br />
wirklich nicht schwierig!", erklärt er mir. Na gut, ein wenig<br />
gesundes HipHop-Posertum wollen wir ihm zugestehen,<br />
das hat Tradition und ist wohl unausweichlich als jüngster<br />
Sohn in einem Haushalt, in dem jeder singt oder rappt.<br />
ISSUE wurde schon mit Elf von seinem Bruder Droop-E in<br />
die Kunst des Produzierens eingeweiht und hat seitdem an<br />
die 1000 Beats auf Halde, von denen er erst einen Bruchteil<br />
veröffentlicht hat, als Hobby wohlgemerkt. Eigentlich würde<br />
er gerne Filmkomponist werden, sein Idol ist der große<br />
John Williams (E.T., Star Wars, Superman uvm.). Und wie<br />
schätzt ISSUE seinen eigenen Stil ein? Ich schlage Cloud<br />
Rap vor, er ergänzt um Buzzed Out und Based, nur um wieder<br />
abzuwiegeln und die offizielle Teaholics-Einsortierung zu<br />
verkünden: No Genre. Als Beispiel nennt er seinen Freund<br />
und Label-Artist Avispado und dann passiert etwas ganz<br />
Wundervolles. Ich erhalte einen Link über Twitter, der mich<br />
zum neuen Mixtape von Avispado führt, "Mixes of the<br />
Frenzied", und mir fast die Tränen in die Augen treibt: Was<br />
für ein Talent! Alles wieder gut. Zum Abschluss möchte ich<br />
wissen, wo ISSUE sich in fünf Jahren sieht und bekomme<br />
die Antwort: "In Europa wahrscheinlich. Ich fühle da eine<br />
Verbindung, eine Art Aura, die ich in den USA nicht spüre.<br />
Unsere Rap-Szene ist zwar die beste der Welt, trotzdem<br />
verstehen viele hier nicht das Genie hinter meiner Arbeit.<br />
Sie wurden vom 'real rap' einer Gehirnwäsche unterzogen<br />
und akzeptieren nichts anderes." So ist es wohl.<br />
Trap Rap<br />
ISSUE ärgert sich noch kurz, dass er zu jung ist, um wählen<br />
zu dürfen und im November für Obama zu stimmen<br />
und weg ist er, mein neuer Posterboy für Tee, Sportwagen<br />
und Genialität. Und sonst? Da war doch was. Genau: Trap.<br />
Dieses Genre darf auf unserer Tour zur Jugend des Rap<br />
nicht fehlen. Trap, so wird im Gangster-Sprech die gehetzte,<br />
unfreie, von Drogen, Bullen und Gangrivalitäten geprägte,<br />
ausweglose Position des Badman bezeichnet: in der Falle.<br />
Also genau die Lebensrealität, die von den kleinen Chief<br />
Keefs und Lil JoJos so tragisch nachgeahmt wird. Jetzt<br />
dient Trap als Überbegriff für den Siegeszug der härteren<br />
Rap-Gangarten durch die Clubs der ganzen Welt. Dirty<br />
South, Crunk, Bounce und Hyphy als Muttergenres, schwere<br />
Beats, ruffe Lyrics und eine 808, mehr braucht es nicht,<br />
um von der neuen, EDM-besoffenen Rave-Elite elektronisch<br />
aufgearbeitet zu werden, mit noch fetteren Basslines, noch<br />
krasseren Kickdrums und 145 BPM, die sich so dankbar<br />
mit Dubstep oder UK Bass mixen lassen. Die Hipster haben<br />
es wieder geschafft. Und sauber gemacht. Nirgends findet<br />
so wenig reales Gangstertum bei so direkter Bezugnahme<br />
statt, wie beim heißen Scheiß der Saison. Sieht man in die<br />
ungläubigen aber interessierten Gesichter der "echten"<br />
HipHop-Produzenten in Atlanta oder Chicago, die in der<br />
unlängst erschienenen und von Mad <strong>De</strong>cent koproduzierten<br />
Doku "Certified Trap" Tracks zu hören bekommen, die<br />
Szene-Produzenten wie Diplo, Flosstradamus, Lunice oder<br />
Trap-A-Holics nach ihren Vorlagen gemacht haben, könnte<br />
es vielleicht an ein paar mehr Stellen zu einer Aufweichung<br />
der Gehirnwäsche kommen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.<br />
<strong>De</strong>pression Ende.<br />
ISSUE: twitter.com/#!/IHeardISSUE<br />
Avispado: twitter.com/AvispadoMusic<br />
Teaholics Records: teaholics.tumblr.com