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De:Bug 166

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Bilderkritik<br />

Das neue Russland-Bild<br />

text Stefan Heidenreich<br />

Es wurde viel und oft über die Macht der Bilder gefaselt,<br />

aber Macht ist wohl der falsche Begriff. Entschieden wird<br />

in Bildern nichts. Sie zeigen nur auf Entscheidungen anderer.<br />

Man sieht die Ereignisse durch die Bilder und die Bilder<br />

stellen die Welt dar, in der etwas stattfindet. Geschehnisse,<br />

die sich schlecht mit Bildern zeigen lassen, bleiben gerne<br />

im Dunkeln. Sie brüten ganz unanschaulich vor sich hin,<br />

wie die Finanzkrise oder die Sparpolitik. Bilder werden<br />

dazu keine geliefert, schon gar nicht in der ikonenhaften<br />

Überhöhung dreier quasi heiliger junger Mädchen. Putin<br />

fürchtet sich nicht vor der Macht der Bilder. Das ist eine<br />

Botschaft, die hinter den Bildern steht. Er lässt ein imaginäres<br />

Duell inszenieren, ohne sich zu zeigen. <strong>De</strong>r Herrscher<br />

sieht sich lieber beim Bärenjagen oder Angeln in den sibirischen<br />

Bergen. Die Mädchen werden vom Apparat erledigt.<br />

Eine große Inszenierung wird aufgeführt, damit ihre Bilder<br />

um die westliche Welt gehen, wo sich auf einmal alle für<br />

das russische Remake der Riot-Grrrl-Bewegung interessieren<br />

wollen.<br />

Betrachten wir ein wenig das Bild. Es ist aus vielen<br />

Ebenen aufgebaut, beinahe wie eine Theaterbühne.<br />

Ganz im Vordergrund sehen wir den Rücken der beiden<br />

Beamtinnen. Eine hat sich die Nägel gefärbt. Die andere<br />

hat sich in den Finger geschnitten. Einen Schritt weiter im<br />

Bild steht ein junger Polizist. Er schaut ein wenig, als würde<br />

er eigentlich auf der Seite der Angeklagten stehen. Auf<br />

der anderen Seite hat er ein Gegenüber, aber das sehen<br />

wir erst später. Das gestreifte Shirt kennen Freunde der<br />

Filmgeschichte noch aus den revolutionären Filmen von<br />

Sergej Eisenstein. Auf fast gleicher Höhe, aber hinter der<br />

Trennscheibe sitzen die drei Angeklagten. Ganz wie die<br />

Wärterinnen halten sie die Hände verschränkt. Sowieso<br />

könnte man auf die Idee kommen, die Handhaltung aller<br />

Beteiligten zu decodieren. Wärterin A, mit den lackierten<br />

Fingernägeln, umfasst das Handgelenk. Wärterin B<br />

hält die Finger der einen Hand zwischen Daumen und<br />

Zeigefinger der anderen. Beide haben die Handflächen<br />

zum Betrachter gekehrt.<br />

Angeklagte A drückt die Daumen gegeneinander<br />

und hat die restlichen Finger verschränkt. Angeklagte B<br />

umfasst mit der Rechten die Linke am Gelenk. Angeklagte<br />

C legt beide Hände überkreuz. Alle drei zeigen sie uns ihre<br />

Handrücken. Als würden alle mit ihren Händen zu uns<br />

sprechen wollen.<br />

Soweit der entspiegelte Teil der Szenerie, die sich in der<br />

Scheibe um zwei zusätzliche Ebenen erweitert. Ganz<br />

rechts steht der Kollege des männlichen Wärters, auch<br />

er trägt dasselbe gestreifte Shirt. Zu beiden Seiten neben<br />

der Gruppe spiegeln sich die Gesichter der beiden<br />

Wärterinnen, pausbäckig, kräftig und möglichst ausdruckslos,<br />

das Gegenteil zum spöttischen Triumph im<br />

Grinsen und im Blick der Angeklagten. Sie wissen, dass<br />

sie schon gewonnen haben, weil das ganze Theater nur<br />

ihretwegen stattfindet. Die Fotografen machen die letzte<br />

Bildebene aus, mit ihren Stativen und Aufbauten und<br />

Kameras stehen sie als Silhouetten vor den gardinenverhangenen<br />

hohen Fenstern nach draußen.<br />

Zu zwei Jahren Straflager wurden sie verurteilt. Die<br />

Anwälte haben Berufung eingelegt, also werden wir bald<br />

den nächsten Auftritt sehen.<br />

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