06.06.2016 Aufrufe

De:Bug 166

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

TEXT JULIAN JOCHMARING - FOTOS JOSEPHINE PRYDE<br />

Alles voller Widersprüche. Steven Warwick aka<br />

Heatsick macht verträumten Außenseiter-House im<br />

Stile von 1% Silk, er sprüht aber auch sonst vor<br />

Ideen. Am Rande seiner letzten Kunstausstellung<br />

sprechen wir mit ihm über John Cage, queere<br />

Partyutopias in besetzten Häusern und Casiotone-<br />

Keyboards.<br />

Auf dem Weg zur Galerie Kinderhook & Caracas, vorbei<br />

an sandsteinfarbenen Gründerzeitbauten und den sanften<br />

Hügeln des Viktoriaparks, fühlt sich der Südwesten<br />

Kreuzbergs ein wenig an wie die Toskana. <strong>De</strong>r Anlass<br />

meines Besuchs klingt dagegen vollkommen unitalienisch:<br />

"Sicherheitsdienst im Auftrag der BVG" heißt die<br />

Ausstellung, deren Finissage an diesem Augustabend<br />

gefeiert wird. Kuratiert wird sie von Steven Warwick.<br />

Das Publikum besteht aus der anglophonen queeren<br />

Kunstszene, die in Neuköllner Bars wie dem Times abhängt<br />

und zu meiner Überraschung noch immer Žižek liest. Dass<br />

Steven unter dem Alias Heatsick auch unfertige, raue und<br />

gleichzeitig verträumte Tanzmusik, die man immer ein wenig<br />

verlegen als House bezeichnet, das wusste ich allerdings bereits.<br />

Während mir der Kopf auf der Suche nach passenderen<br />

Begriffen schwirrt, kommt Steven bereits mit einem Glas<br />

Rotwein auf mich zu. In einer erdfarbenen, weiten Stoffhose,<br />

derben Segelschuhen und Karohemd sieht er aus wie ein<br />

sympathisch-schrulliger englischer Gutsbesitzer.<br />

<strong>De</strong>bug: Bist du eigentlich ein notorischer Schwarzfahrer<br />

oder warum trägt deine Ausstellung diesen Titel?<br />

Steven Warwick: Haha, nein! In der Ausstellung setze ich<br />

mich mit Privatsphäre und Öffentlichkeit auseinander, besonders<br />

mit der Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher<br />

Räume und Institutionen. <strong>De</strong>r Einsatz von privaten<br />

Sicherheitsdiensten, die für die BVG Schwarzfahrerquoten<br />

erfüllen sollen, ist so ein Fall.<br />

HEATSICK<br />

WIDERSPRÜCHE?<br />

WIDERSPRÜCHE!<br />

18 –<strong>166</strong><br />

In der Ecke des Galerieraums erinnern ein Mikrofon und<br />

ein schmales Podest an die Speaker's Corner im Londoner<br />

Hyde Park, auch so eine Schnittstelle von Öffentlichkeit und<br />

Privatem. Etwas versteckt findet sich das Plakat einer amerikanischen<br />

Werbeagentur, die mit dem Spruch "Gay Money<br />

– West American Advertising can open the vault" ihre speziell<br />

auf ein konsumfreudiges homosexuelles Klientel zugeschnittenen<br />

Kampagnen anpreist. Sexualität spielt auch in<br />

Stevens Musik eine wichtige Rolle. Seine im vergangenen<br />

Jahr auf Pan Records erschiene LP "Intersex" nimmt im Titel<br />

Bezug auf die Ende des 19. Jahrhunderts von Magnus von<br />

Hirschfeld entwickelte Lehre der sexuellen Zwischenstufen,<br />

die sich gegen eine binäre Trennung der Geschlechter wendet.<br />

<strong>De</strong>r Musiker und Künstler sagt dazu: "Die LP war der<br />

Versuch, die Idee von Sexualität als eine Art Fluxus, eines<br />

kontinuierlich variierenden Stroms auf Musik zu übertragen.<br />

Oft wird ja behauptet, die sexuelle Identität eines Künstlers<br />

wäre nicht so wichtig, gerade in der elektronischen Musik,<br />

in der Identitäten eine geringere Rolle spielen. Ich wollte dem<br />

ein Statement entgegensetzen, als schwuler Künstler sichtbar<br />

werden. Darin liegt auch die Verbindung zu den Themen,<br />

die in der der Ausstellung behandelt werden."<br />

Die nur mit einem Casiotone-Keyboard und einigen<br />

Loops produzierte Platte mit über zehnminütigen Tracks,<br />

die völlig ohne Bassdrum auskommen und trotzdem auf<br />

eine seltsame Art funktional-tanzbar bleiben, ruft sofort<br />

Referenzen wie den Außenseiter-House von 1% Silk<br />

und L.I.E.S, die kosmischen Synthesizer-Exkursionen eines<br />

Daniel Lopatin oder den Hipster-Dub der Peaking<br />

Lights auf. Doch Steven wehrt sich gegen diese einseitige<br />

Schubladisierung:

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!