De:Bug 166
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TEXT JULIAN JOCHMARING - FOTOS JOSEPHINE PRYDE<br />
Alles voller Widersprüche. Steven Warwick aka<br />
Heatsick macht verträumten Außenseiter-House im<br />
Stile von 1% Silk, er sprüht aber auch sonst vor<br />
Ideen. Am Rande seiner letzten Kunstausstellung<br />
sprechen wir mit ihm über John Cage, queere<br />
Partyutopias in besetzten Häusern und Casiotone-<br />
Keyboards.<br />
Auf dem Weg zur Galerie Kinderhook & Caracas, vorbei<br />
an sandsteinfarbenen Gründerzeitbauten und den sanften<br />
Hügeln des Viktoriaparks, fühlt sich der Südwesten<br />
Kreuzbergs ein wenig an wie die Toskana. <strong>De</strong>r Anlass<br />
meines Besuchs klingt dagegen vollkommen unitalienisch:<br />
"Sicherheitsdienst im Auftrag der BVG" heißt die<br />
Ausstellung, deren Finissage an diesem Augustabend<br />
gefeiert wird. Kuratiert wird sie von Steven Warwick.<br />
Das Publikum besteht aus der anglophonen queeren<br />
Kunstszene, die in Neuköllner Bars wie dem Times abhängt<br />
und zu meiner Überraschung noch immer Žižek liest. Dass<br />
Steven unter dem Alias Heatsick auch unfertige, raue und<br />
gleichzeitig verträumte Tanzmusik, die man immer ein wenig<br />
verlegen als House bezeichnet, das wusste ich allerdings bereits.<br />
Während mir der Kopf auf der Suche nach passenderen<br />
Begriffen schwirrt, kommt Steven bereits mit einem Glas<br />
Rotwein auf mich zu. In einer erdfarbenen, weiten Stoffhose,<br />
derben Segelschuhen und Karohemd sieht er aus wie ein<br />
sympathisch-schrulliger englischer Gutsbesitzer.<br />
<strong>De</strong>bug: Bist du eigentlich ein notorischer Schwarzfahrer<br />
oder warum trägt deine Ausstellung diesen Titel?<br />
Steven Warwick: Haha, nein! In der Ausstellung setze ich<br />
mich mit Privatsphäre und Öffentlichkeit auseinander, besonders<br />
mit der Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher<br />
Räume und Institutionen. <strong>De</strong>r Einsatz von privaten<br />
Sicherheitsdiensten, die für die BVG Schwarzfahrerquoten<br />
erfüllen sollen, ist so ein Fall.<br />
HEATSICK<br />
WIDERSPRÜCHE?<br />
WIDERSPRÜCHE!<br />
18 –<strong>166</strong><br />
In der Ecke des Galerieraums erinnern ein Mikrofon und<br />
ein schmales Podest an die Speaker's Corner im Londoner<br />
Hyde Park, auch so eine Schnittstelle von Öffentlichkeit und<br />
Privatem. Etwas versteckt findet sich das Plakat einer amerikanischen<br />
Werbeagentur, die mit dem Spruch "Gay Money<br />
– West American Advertising can open the vault" ihre speziell<br />
auf ein konsumfreudiges homosexuelles Klientel zugeschnittenen<br />
Kampagnen anpreist. Sexualität spielt auch in<br />
Stevens Musik eine wichtige Rolle. Seine im vergangenen<br />
Jahr auf Pan Records erschiene LP "Intersex" nimmt im Titel<br />
Bezug auf die Ende des 19. Jahrhunderts von Magnus von<br />
Hirschfeld entwickelte Lehre der sexuellen Zwischenstufen,<br />
die sich gegen eine binäre Trennung der Geschlechter wendet.<br />
<strong>De</strong>r Musiker und Künstler sagt dazu: "Die LP war der<br />
Versuch, die Idee von Sexualität als eine Art Fluxus, eines<br />
kontinuierlich variierenden Stroms auf Musik zu übertragen.<br />
Oft wird ja behauptet, die sexuelle Identität eines Künstlers<br />
wäre nicht so wichtig, gerade in der elektronischen Musik,<br />
in der Identitäten eine geringere Rolle spielen. Ich wollte dem<br />
ein Statement entgegensetzen, als schwuler Künstler sichtbar<br />
werden. Darin liegt auch die Verbindung zu den Themen,<br />
die in der der Ausstellung behandelt werden."<br />
Die nur mit einem Casiotone-Keyboard und einigen<br />
Loops produzierte Platte mit über zehnminütigen Tracks,<br />
die völlig ohne Bassdrum auskommen und trotzdem auf<br />
eine seltsame Art funktional-tanzbar bleiben, ruft sofort<br />
Referenzen wie den Außenseiter-House von 1% Silk<br />
und L.I.E.S, die kosmischen Synthesizer-Exkursionen eines<br />
Daniel Lopatin oder den Hipster-Dub der Peaking<br />
Lights auf. Doch Steven wehrt sich gegen diese einseitige<br />
Schubladisierung: