06.06.2016 Aufrufe

De:Bug 166

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

TEXT SULGI LIE<br />

<strong>De</strong>r Schauspieler als Roboter:<br />

die eiskalte Schönheit, die<br />

gleitenden Bewegungen, die<br />

Gemessenheit der Gesten sind<br />

zu perfekt um menschlich zu<br />

sein.<br />

Ein paar Sekunden "Full Frontal Male Nudity"<br />

in Steve McQueens "Shame" – seitdem wird in<br />

Boulevard- und Frauenmagazinen vor allem über<br />

die Größe von Michael Fassbenders Gemächt debattiert:<br />

<strong>De</strong>r "Playboy" spekulierte gar, ob der<br />

Golfschläger, den Fassbender zwischen den Beinen<br />

trägt, nicht doch eine Prothese sei. Über-Phallus,<br />

Über-Mann, Über-Schauspieler – der andauernde<br />

mediale Hype um Fassbender macht die ganz großen<br />

Fässer des Stardoms auf, seitdem "Fassy" allein<br />

212 mit drei Filmen auf den Kinoleinwänden<br />

omnipräsent war.<br />

Die Größe von Ridley Scotts mythischem Blockbuster<br />

"Prometheus" zeigt sich nicht zuletzt darin, dass<br />

er Fassbenders bisherige Leinwandimago und<br />

Rollengeschichte selbst in den Film einzubauen scheint.<br />

Obwohl erst 28 mit McQueens Erstling "Hunger"<br />

und vor allem mit Tarantinos "Inglourious Basterds" bekannt<br />

geworden, ist der Android David aus "Prometheus"<br />

Fassbenders erste Meta-Performance, in der sich die<br />

Facetten seiner bisherigen Filmfiguren kristallisieren. Man<br />

nimmt Fassbenders unfassbar kontrolliertem Schauspiel<br />

in jeder Einstellung ab, das David als lebendiger Roboter<br />

ein Prothesenmensch ist: die eiskalte Schönheit, die gleitenden<br />

Bewegungen, die Gemessenheit der Gesten sind<br />

zu perfekt um menschlich zu sein. David ist aber auch ein<br />

doppeltes <strong>De</strong>rivat der Filmgeschichte: Gemäß der Prequel-<br />

Logik ist er ein Wiedergänger des Androiden aus Ridley<br />

Scotts eigenem "Alien" und der Sequels, aber auch im Film<br />

selbst modelliert David seine Gestalt und seine Gebärden<br />

anhand einer Identifikation mit Peter O’Toole als "Lawrence<br />

of Arabia" in David Leans Monumentalfilmklassiker.<br />

Arische Androiden<br />

Wenn sich Fassbender zu Beginn von "Prometheus" nach<br />

dem Starvorbild die Haare aschblond färbt und O’Tooles<br />

Sprachmelodie imitiert, sieht er fortan allerdings wie eine<br />

Mischung aus dem außerirdischen David Bowie in "The<br />

Man Who Fell To Earth" und arischem Übermenschen<br />

aus. David ist eine blonde Bestie mit Gentleman-Manieren,<br />

der sich zu Chopin fast schwerelos durch die Gänge des<br />

Raumschiffs bewegt. Kaum ein Filmkritiker hat bemerkt,<br />

dass "Prometheus" die Unsterblichkeitsfantasie von Davids<br />

greisem Ziehvater Weyland auch ganz offen als eine Nazi-<br />

Fantasie inszeniert und durcharbeitet. So ist es nur konsequent,<br />

dass dem arischen Androiden mit Charlize Theron<br />

in der Rolle von Weylands metallisch blonder Tochter auch<br />

eine weibliche Ergänzung zur Seite gestellt wird. Wie sich<br />

Noomi Rapace nun gegen dieses Stahlgewitter aus Blonde<br />

on Blonde durchsetzt und David sich unter ihrem Einfluss<br />

doch allmählich humanisiert, gehört zur anti-faschistischen<br />

Pointe von "Prometheus". Erst als David im Finale des Films<br />

sein schöner Kopf vom Rumpf gerissen wird und er nur<br />

noch mit elektronisch angehauchter Stimme sprechen<br />

Fassbender in Action<br />

kann, beginnt seine Menschwerdung. <strong>De</strong>r Nazi-Phallus<br />

wird kastriert und man ist auf seine weitere "Education<br />

Sentimentale" gespannt, sollte Ridley Scott das Sequel<br />

zum Prequel inszenieren, wie ja schon rumort wird.<br />

Auch wenn Fassbender bei Tarantino ironischerweise<br />

einen englischen Anti-Nazi-Undercover-Agenten gespielt<br />

hat, der nach aufgeflogener Maskerade von hässlichen<br />

<strong>De</strong>utschen wie August Diel massakriert wird, kommt der<br />

Nazi-Touch in seiner Filmografie übrigens nicht von ungefähr:<br />

In Joel Schumachers nicht sehr bekanntem und<br />

äußerst krudem Horrorstreifen "Blood Creek" von 28<br />

spielt ein zur Unkenntlichkeit verunstalteter Fassbender einen<br />

untoten Nazi-Dämon mit eingeritztem Hakenkreuz am<br />

Hinterkopf, der sich in einem amerikanischen Bauernhof<br />

eingenistet hat. Aber auch abseits dieses Trash-Auftritts<br />

weht in einigen anderen Fassbender-Filmen der kalte<br />

Hauch des Übermenschen: In "X-Men: First Class", einem<br />

weiteren Franchise-Sequel, wandelt sich Fassbender von<br />

Erik Lehnsherr, einem jüdischen Auschwitzüberlebenden,<br />

der in Südamerika nach geflüchteten Nazis jagt, zu<br />

Magneto, einem bösen Superhelden, dem seine übermenschlichen<br />

(Magnet)Kräfte destruktiv außer Kontrolle<br />

geraten und schließlich im Stahlhelm auf seine früheren<br />

Freunde losgeht.<br />

Starre, schöne Leiche<br />

Auch die Gefühlskälte des Sex-Addicts Brandon in<br />

"Shame" lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.<br />

Das manische Dauervögeln erzeugt gerade keine emotionale<br />

Körperwärme, sondern führt geradewegs in den<br />

Abgrund des Todestriebs. Schon im starren Anfangsbild<br />

von "Shame" liegt Fassbender starr wie eine schöne Leiche<br />

in seinem <strong>De</strong>signer-Bett. Raubtierhaft aus stahlblauen<br />

Augen blickend, geht er auf frenetische Beutezüge in seinem<br />

Manhattaner Jagdrevier. Wenn er in einer großartigen<br />

Szene des Films in der Metro eines seiner potenziellen<br />

Opfer ins Visier nimmt, zieht die Kamera Fassbenders<br />

Gesicht in eine fahle Unschärfe: kein menschliches Antlitz,<br />

sondern ein Skelett mit dunklen Augenhöhlen, fast schon<br />

ein Totenkopf. "Shame" ist ein sexueller Totentanz, der kein<br />

Ende nimmt. In der ebenso großartigen Schlussmontage<br />

gerät die Zeit aus den Fugen; was Flashback ist und was<br />

Flashforward, lässt sich nicht mehr unterscheiden und<br />

wenn sich Fassbender mit zwei Nutten ins <strong>De</strong>lirium fickt,<br />

deformieren Blurs und Gelbfilter sein lustverzerrtes Gesicht<br />

vollends ins Groteske: In "Shame" führt der Orgasmus nicht<br />

zur Erlösung, sondern in die Hölle.<br />

Fassbenders Arbeiten mit Steve McQueen sind auch<br />

theologische Traktate, die sich am Martyrium des Körpers<br />

konkretisieren. "Words don’t count, only actions matter",<br />

sagt Fassbender in "Shame" zu Carrey Mulligan und wenn<br />

man den Satz als Motto für Fassbenders bisherige Filme<br />

beim Wort nimmt, wird vielleicht klar, warum er in dialoglastigeren<br />

Kostümrollen wie in "Jane Eyre" oder auch<br />

in Cronenbergs biederem Psychoanalyse-Geplänkel "A<br />

Dangerous Method" eher enttäuscht. Besser sind immer<br />

diejenigen Filme, die seinen mager-durchtrainierten Körper<br />

direkter an die Erzählung ankoppeln: sei es nun der bösartige<br />

"Eden Lake", in dem der Schauspieler von einigen<br />

äußerst depravierten englischen Teenagern übel zugerichtet<br />

wird, die proletarische Physiognomie in "Fish Tank", die<br />

mittelalterlichen Foltereien in "Centurion" oder die mörderische<br />

Martial-Arts-Eleganz von Soderberghs diesjährigem<br />

"Haywire", in dem ein sehr Bond-mäßiger Fassbender nach<br />

hartem Fight von einer Frau erledigt wird.<br />

Hunger und Held<br />

Fassbender ist in diesem Sinne völlig zurecht mit einer extremen<br />

Body-Performance berühmt geworden: Als hungerstreikender<br />

IRA-Häftling Bobby Sands in McQueens<br />

<strong>De</strong>büt "Hunger" magert Fassbender in der zweiten Hälfte<br />

des Films bis zu den Knochen ab, bis sich sein Körper fast<br />

schon in einem blassen Weiß auflöst und auch die Wunden<br />

auf seiner Haut aussehen wie die Stigmata eines Heiligen.<br />

Die Verklärung und Metamorphose von Fassbenders geschundenem<br />

Leib beginnt also schon früh und führt damit<br />

absolut folgerichtig zum abgerissenen Kopf von David aus<br />

"Prometheus". Auch im antiken Mythos wurde Prometheus<br />

ja von Zeus über einem Abgrund gefesselt und musste als<br />

Unsterblicher unendlich leiden. Wir müssen uns Michael<br />

Fassbender als einen prometheischen Helden vorstellen.<br />

<strong>166</strong>–49

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!