De:Bug 166
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TEXT SULGI LIE<br />
<strong>De</strong>r Schauspieler als Roboter:<br />
die eiskalte Schönheit, die<br />
gleitenden Bewegungen, die<br />
Gemessenheit der Gesten sind<br />
zu perfekt um menschlich zu<br />
sein.<br />
Ein paar Sekunden "Full Frontal Male Nudity"<br />
in Steve McQueens "Shame" – seitdem wird in<br />
Boulevard- und Frauenmagazinen vor allem über<br />
die Größe von Michael Fassbenders Gemächt debattiert:<br />
<strong>De</strong>r "Playboy" spekulierte gar, ob der<br />
Golfschläger, den Fassbender zwischen den Beinen<br />
trägt, nicht doch eine Prothese sei. Über-Phallus,<br />
Über-Mann, Über-Schauspieler – der andauernde<br />
mediale Hype um Fassbender macht die ganz großen<br />
Fässer des Stardoms auf, seitdem "Fassy" allein<br />
212 mit drei Filmen auf den Kinoleinwänden<br />
omnipräsent war.<br />
Die Größe von Ridley Scotts mythischem Blockbuster<br />
"Prometheus" zeigt sich nicht zuletzt darin, dass<br />
er Fassbenders bisherige Leinwandimago und<br />
Rollengeschichte selbst in den Film einzubauen scheint.<br />
Obwohl erst 28 mit McQueens Erstling "Hunger"<br />
und vor allem mit Tarantinos "Inglourious Basterds" bekannt<br />
geworden, ist der Android David aus "Prometheus"<br />
Fassbenders erste Meta-Performance, in der sich die<br />
Facetten seiner bisherigen Filmfiguren kristallisieren. Man<br />
nimmt Fassbenders unfassbar kontrolliertem Schauspiel<br />
in jeder Einstellung ab, das David als lebendiger Roboter<br />
ein Prothesenmensch ist: die eiskalte Schönheit, die gleitenden<br />
Bewegungen, die Gemessenheit der Gesten sind<br />
zu perfekt um menschlich zu sein. David ist aber auch ein<br />
doppeltes <strong>De</strong>rivat der Filmgeschichte: Gemäß der Prequel-<br />
Logik ist er ein Wiedergänger des Androiden aus Ridley<br />
Scotts eigenem "Alien" und der Sequels, aber auch im Film<br />
selbst modelliert David seine Gestalt und seine Gebärden<br />
anhand einer Identifikation mit Peter O’Toole als "Lawrence<br />
of Arabia" in David Leans Monumentalfilmklassiker.<br />
Arische Androiden<br />
Wenn sich Fassbender zu Beginn von "Prometheus" nach<br />
dem Starvorbild die Haare aschblond färbt und O’Tooles<br />
Sprachmelodie imitiert, sieht er fortan allerdings wie eine<br />
Mischung aus dem außerirdischen David Bowie in "The<br />
Man Who Fell To Earth" und arischem Übermenschen<br />
aus. David ist eine blonde Bestie mit Gentleman-Manieren,<br />
der sich zu Chopin fast schwerelos durch die Gänge des<br />
Raumschiffs bewegt. Kaum ein Filmkritiker hat bemerkt,<br />
dass "Prometheus" die Unsterblichkeitsfantasie von Davids<br />
greisem Ziehvater Weyland auch ganz offen als eine Nazi-<br />
Fantasie inszeniert und durcharbeitet. So ist es nur konsequent,<br />
dass dem arischen Androiden mit Charlize Theron<br />
in der Rolle von Weylands metallisch blonder Tochter auch<br />
eine weibliche Ergänzung zur Seite gestellt wird. Wie sich<br />
Noomi Rapace nun gegen dieses Stahlgewitter aus Blonde<br />
on Blonde durchsetzt und David sich unter ihrem Einfluss<br />
doch allmählich humanisiert, gehört zur anti-faschistischen<br />
Pointe von "Prometheus". Erst als David im Finale des Films<br />
sein schöner Kopf vom Rumpf gerissen wird und er nur<br />
noch mit elektronisch angehauchter Stimme sprechen<br />
Fassbender in Action<br />
kann, beginnt seine Menschwerdung. <strong>De</strong>r Nazi-Phallus<br />
wird kastriert und man ist auf seine weitere "Education<br />
Sentimentale" gespannt, sollte Ridley Scott das Sequel<br />
zum Prequel inszenieren, wie ja schon rumort wird.<br />
Auch wenn Fassbender bei Tarantino ironischerweise<br />
einen englischen Anti-Nazi-Undercover-Agenten gespielt<br />
hat, der nach aufgeflogener Maskerade von hässlichen<br />
<strong>De</strong>utschen wie August Diel massakriert wird, kommt der<br />
Nazi-Touch in seiner Filmografie übrigens nicht von ungefähr:<br />
In Joel Schumachers nicht sehr bekanntem und<br />
äußerst krudem Horrorstreifen "Blood Creek" von 28<br />
spielt ein zur Unkenntlichkeit verunstalteter Fassbender einen<br />
untoten Nazi-Dämon mit eingeritztem Hakenkreuz am<br />
Hinterkopf, der sich in einem amerikanischen Bauernhof<br />
eingenistet hat. Aber auch abseits dieses Trash-Auftritts<br />
weht in einigen anderen Fassbender-Filmen der kalte<br />
Hauch des Übermenschen: In "X-Men: First Class", einem<br />
weiteren Franchise-Sequel, wandelt sich Fassbender von<br />
Erik Lehnsherr, einem jüdischen Auschwitzüberlebenden,<br />
der in Südamerika nach geflüchteten Nazis jagt, zu<br />
Magneto, einem bösen Superhelden, dem seine übermenschlichen<br />
(Magnet)Kräfte destruktiv außer Kontrolle<br />
geraten und schließlich im Stahlhelm auf seine früheren<br />
Freunde losgeht.<br />
Starre, schöne Leiche<br />
Auch die Gefühlskälte des Sex-Addicts Brandon in<br />
"Shame" lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.<br />
Das manische Dauervögeln erzeugt gerade keine emotionale<br />
Körperwärme, sondern führt geradewegs in den<br />
Abgrund des Todestriebs. Schon im starren Anfangsbild<br />
von "Shame" liegt Fassbender starr wie eine schöne Leiche<br />
in seinem <strong>De</strong>signer-Bett. Raubtierhaft aus stahlblauen<br />
Augen blickend, geht er auf frenetische Beutezüge in seinem<br />
Manhattaner Jagdrevier. Wenn er in einer großartigen<br />
Szene des Films in der Metro eines seiner potenziellen<br />
Opfer ins Visier nimmt, zieht die Kamera Fassbenders<br />
Gesicht in eine fahle Unschärfe: kein menschliches Antlitz,<br />
sondern ein Skelett mit dunklen Augenhöhlen, fast schon<br />
ein Totenkopf. "Shame" ist ein sexueller Totentanz, der kein<br />
Ende nimmt. In der ebenso großartigen Schlussmontage<br />
gerät die Zeit aus den Fugen; was Flashback ist und was<br />
Flashforward, lässt sich nicht mehr unterscheiden und<br />
wenn sich Fassbender mit zwei Nutten ins <strong>De</strong>lirium fickt,<br />
deformieren Blurs und Gelbfilter sein lustverzerrtes Gesicht<br />
vollends ins Groteske: In "Shame" führt der Orgasmus nicht<br />
zur Erlösung, sondern in die Hölle.<br />
Fassbenders Arbeiten mit Steve McQueen sind auch<br />
theologische Traktate, die sich am Martyrium des Körpers<br />
konkretisieren. "Words don’t count, only actions matter",<br />
sagt Fassbender in "Shame" zu Carrey Mulligan und wenn<br />
man den Satz als Motto für Fassbenders bisherige Filme<br />
beim Wort nimmt, wird vielleicht klar, warum er in dialoglastigeren<br />
Kostümrollen wie in "Jane Eyre" oder auch<br />
in Cronenbergs biederem Psychoanalyse-Geplänkel "A<br />
Dangerous Method" eher enttäuscht. Besser sind immer<br />
diejenigen Filme, die seinen mager-durchtrainierten Körper<br />
direkter an die Erzählung ankoppeln: sei es nun der bösartige<br />
"Eden Lake", in dem der Schauspieler von einigen<br />
äußerst depravierten englischen Teenagern übel zugerichtet<br />
wird, die proletarische Physiognomie in "Fish Tank", die<br />
mittelalterlichen Foltereien in "Centurion" oder die mörderische<br />
Martial-Arts-Eleganz von Soderberghs diesjährigem<br />
"Haywire", in dem ein sehr Bond-mäßiger Fassbender nach<br />
hartem Fight von einer Frau erledigt wird.<br />
Hunger und Held<br />
Fassbender ist in diesem Sinne völlig zurecht mit einer extremen<br />
Body-Performance berühmt geworden: Als hungerstreikender<br />
IRA-Häftling Bobby Sands in McQueens<br />
<strong>De</strong>büt "Hunger" magert Fassbender in der zweiten Hälfte<br />
des Films bis zu den Knochen ab, bis sich sein Körper fast<br />
schon in einem blassen Weiß auflöst und auch die Wunden<br />
auf seiner Haut aussehen wie die Stigmata eines Heiligen.<br />
Die Verklärung und Metamorphose von Fassbenders geschundenem<br />
Leib beginnt also schon früh und führt damit<br />
absolut folgerichtig zum abgerissenen Kopf von David aus<br />
"Prometheus". Auch im antiken Mythos wurde Prometheus<br />
ja von Zeus über einem Abgrund gefesselt und musste als<br />
Unsterblicher unendlich leiden. Wir müssen uns Michael<br />
Fassbender als einen prometheischen Helden vorstellen.<br />
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