De:Bug 157
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Ein langes elegisches Arpeggio durchdringt den Raum.<br />
Spuren, Harmonien, Schläge, Stimmen und Hall gesellen<br />
sich hinzu wie eine wachsende Lemmingschar, die auf<br />
der Flucht nach vorne ist, es ist nicht die Sehnsucht nach<br />
der todbringenden Klippe, es ist die Vermutung, dass<br />
nach dem Sturz noch etwas Großes auf einen wartet.<br />
Das dunkle Licht, artifizielle Wellen, die die Kraft haben<br />
einen woandershin teleportieren zu können. Es gibt <strong>De</strong>büts,<br />
die sind wundersam und irgendwie fernab der bekannten<br />
Welten. Das Album “Hearts“ des schwedischen<br />
Duos I Break Horses ist so eines. Nicht nur die Referenz<br />
an den gleichnamigen Smog-Klassiker gewinnt an Credits,<br />
es ist zugleich ein zeitgemäßer und durchdringender<br />
Entwurf von Popmusik, in der die Multiplikation der<br />
Spuren, das Evolvieren des Surplus durch Maximalität<br />
und tiefsinnige Schönheit ausschlaggebend sind. Maria<br />
Lindén sitzt an einem Tisch, drappiert von zahllosen<br />
Getränkeflaschen, die ihr während ihres ersten internationalen<br />
Interviewtags fast wie ein kleiner Schutzwall<br />
Gesellschaft leisten. Sie ist bildhübsch und man denkt<br />
nicht nur wegen des Äußeren an die zu früh verstorbene<br />
Trish Keenan (Broadcast) oder Victoria Legrand von<br />
Beach House. <strong>De</strong>r Staub des Film Noir, perfekt präzise<br />
Harmonien, Soundscapes, die wie Wälder und nebelige<br />
Dickichte wirken und die Geste der Zurückhaltung, die<br />
Erkenntnis, dass Emotionalität nicht unbedingt laut<br />
sein muss. I Break Horses sind mehr als nur die nächste<br />
Fußnote im erstarrten Shoegaze-Universum, wie<br />
gemeinhin gern behauptet wird, gerade auch, weil Fußnoten<br />
nicht derart bewegend sein können. Maria wirkt<br />
verhalten, man merkt ihr eine gesunde Skepsis dem<br />
Musikgeschäft gegenüber an. Dass man im Alter von 29<br />
Jahren das erste Album herausbringt, wirkt auch nicht<br />
wie die Konsequenz einer kreativen, postadoleszenten<br />
Ausdrucksfindung. Es ist das innere Freischaufeln im<br />
therapeutischen Sinne. Musik ist für Maria Trauma<br />
und Erlösung zugleich. Ein in Rauschen eingefangener,<br />
leiser Protest gegen das bildungsbürgertümliche Elternhaus<br />
und ein entpolitisiertes Statement gegenüber den<br />
subtilen Folgen der Wohlstandsgesellschaft. Wieso dem<br />
so ist, erklärt sie uns in einem offenen und erfrischend<br />
ehrlichen Gespräch.<br />
Maria Lindén: Vor vier Jahren habe ich angefangen erste<br />
<strong>De</strong>mos zu basteln. Ich wollte mit einem Drummer zusammenarbeiten<br />
und so bin ich mit Fredrick (Balck) in Kontakt<br />
gekommen. Seitdem haben wir folgende Arbeitsteilung:<br />
Ich erarbeite die Musik und die Arrangements, dann<br />
treffen wir uns, ich summe irgendwas Sinnfreies und<br />
Fredrik schreibt daraufhin die Texte.<br />
<strong>De</strong>bug: <strong>De</strong>r dichtende Drummer und die singende<br />
Soundschrauberin, das klingt nicht typisch.<br />
Maria Lindén: I Break Horses war ursprünglich als Recording<br />
Artist gedacht. Ich dachte eher, das Ganze wäre<br />
eine Art Visitenkarte, um mich mit anderen Leuten austauschen<br />
zu können, zumal ich ursprünglich schon immer<br />
Musik für Dokumentationen und Filme machen wollte.<br />
<strong>De</strong>r Plattendeal kam ganz unverhofft. Wir haben auch<br />
noch nicht live gespielt, doch in diesem Jahr soll es auf<br />
Tournee gehen. Ich betrachte es als neue Herangehensweise<br />
für meine Musik, auch wenn ich ein Kontrollfreak<br />
bin und zugegebenermaßen nicht der einfachste Umgang<br />
im Proberaum sein dürfte.<br />
<strong>De</strong>bug: Freut man sich aufgrund der Umstände darauf,<br />
live auftreten zu können?<br />
Ich leide unter bühnenangst.<br />
schliesslich habe ich<br />
die les paul meines bruders<br />
vor publikum schon mal<br />
mit blut besudelt.<br />
Maria: Ich leide ja unter Bühnenangst. Ich habe als<br />
Kind früh mit klassischem Klavier angefangen. Mein<br />
älterer Bruder allerdings war früher schon immer so etwas<br />
wie ein Wunderkind und hochbegabt am Instrument.<br />
Daher waren die Erwartungen an mich immer recht hoch:<br />
Die kleinere Schwester, die noch viel besser hätte werden<br />
können. Einen naiven Zugang dazu bekam ich daher nie.<br />
Während mein Bruder in den Lokalzeitungen als nächster<br />
Mozart gefeiert wurde und sich auf der Bühne sichtlich<br />
wohl fühlte, waren diese bürgerlichen Frühlings- und<br />
Herbstkonzerte bei mir stets mit Blackouts verbunden.<br />
Ich kann mich an nichts mehr erinnern, egal wie viel ich<br />
vorher geübt habe. Die Tasten verschwommen zu einer<br />
schwarz-weißen Masse und das war‘s dann. Ich liebe<br />
meinen Bruder, aus ganzem Herzen. Aber der Druck, der<br />
durch sein Können auf mir lastete, hat mir eine ziemliche<br />
Bühnenphobie eingebracht. Vielleicht ist das auch<br />
der Grund, wieso I Break Horses eher monoton, verzerrt,<br />
einfach ist. Und nicht Klassik oder Jazz, was in meinem<br />
Elternhaus viel gehört wurde. Als ich später auf der<br />
Gitarre die ersten Drei-Akkord-Songs schrammelte,<br />
schallte es von Mutter immer aus der Küche: “Nicht schon<br />
wieder dieser stumpfe Drei-Akkord-Müll, Kind! Das ist<br />
doch nicht zum Aushalten!“ <strong>De</strong>r jetzige Sound ist wohl<br />
eine kleine verspätete Revolte.<br />
<strong>De</strong>bug: Wenn gerade der familiäre Druck so groß war,<br />
hätte es ja ein anderes Instrument sein können.<br />
Maria: Aber ich wollte doch so gerne Klavier spielen!<br />
Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, hätte ich<br />
Geige gelernt. Die haben mich dazu auch mehr oder minder<br />
zwingen wollen. Sie versprachen mir damals, dass ich<br />
Ohrlöcher gestochen bekomme, wenn ich mit der Violine<br />
anfange. Auf den <strong>De</strong>al bin ich als kleines Mädchen erstmal<br />
eingegangen, allerdings nur unter der Bedingung, dass<br />
ich nach der Geige auch Klavier lernen durfte.<br />
<strong>De</strong>bug: Wie ging es dann weiter?<br />
Maria: Mit 15 bekam ich meine erste E-Gitarre, es war<br />
eine furchtbare Yamaha-Hardrock-Gitarre, die auch noch<br />
genauso scheiße klang. Zu meinem ersten Band-Konzert<br />
habe ich mir daher heimlich die viel teurere Les Paul<br />
meines Bruders geliehen und da ich darin nicht wirklich<br />
geübt war, fingen plötzlich meine Finger an zu bluten und<br />
die edle Gitarre war voll mit Blut. Das hat mich so derartig<br />
aus der Fassung gebracht, dass ich während des Auftritts<br />
nach Hause geflohen bin, die Gitarre im Bad sauber gemacht<br />
und wieder in ihrem Case verstaut habe, als wäre<br />
nichts passiert. Wir spielten damals schlechte Rockcover,<br />
mit 15 fühlt sich das aber ganz cool an. Später nach der<br />
Uni habe ich ein zweijähriges Musikstudium absolviert,<br />
wo es unter anderem um Sound Engineering, aber auch<br />
um die Ausbildung zum Musiklehrer ging.<br />
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