De:Bug 157
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FUCK<br />
YOU,<br />
Neal Stephenson<br />
Reamde<br />
I WON’T<br />
DO WHAT<br />
YOU<br />
Nach dem schier gewaltigen Unterfangen des Barock-Zyklus und dem langsamen, wissenschaftlich-historischen<br />
Runterkommen von "Anathem", das man vage als spekulative<br />
Mönchs-Fantasy einer Parallelwelt bezeichnen konnte, kommt Neal Stephenson mit seinem<br />
neusten Roman “Reamde“ überraschenderweise da an, wo man ihn zuletzt vermutet<br />
hätte. Im Jetzt. <strong>De</strong>r Vergleich mit den zusammen mit seinem Onkel unter dem Namen<br />
Stephen Bury veröffentlichten Büchern, "The Cobweb" und "Interface", liegt nahe, denn<br />
“Reamde“ ist - wenn man ihm ein Genre verpassen möchte - am ehesten ein Thriller,<br />
früher hätte man Techno-Thriller gesagt. Auch hier findet man natürlich vom Hacker bis<br />
zu dem zentralen MMORPG-Thema, von Social Networks bis zu Gold Farming und der<br />
generellen Geld-Situation, diversen Maffias und Terroristen, eine Welt wieder, die frühen<br />
Stephenson-Fans fast typisch vorkommen mag. In der die Erfahrung seiner letzten<br />
Romane aber auf jeder Seite zu spüren ist. Wer einen komplexen Thriller erwartet, wird<br />
auf die Nase fallen, nicht wegen Mangel an Komplexität. <strong>De</strong>nn nicht nur zeichnet “Reamde“<br />
immer wieder grandiose Portraits einer Welt aus Familienclans und digitalen Welten<br />
in einem eigenwillig dichten Licht ungewöhnlicher Vernetzungen, sondern gelegentlich<br />
kommt es schon mal zu Szenen von Schlachtgemälden, die sich locker über 100 Seiten<br />
hinziehen. Dieser scheinbar endlos lange Atem, der sich wie der Genuss an akribischst<br />
verschlungenen Momenten in seinen letzten Romanen plötzlich in seine ureigenste Stimme<br />
verwandelt. Im Grunde ist “Reamde“ endlich der große amerikanische Roman, das<br />
"Sittenbild", das man von Stephenson immer erwartet hat, bis hin zur endlos ausgekosteten<br />
Faszination für Waffen, ob digital oder real. Eins der Bücher, bei denen man<br />
wirklich mal verstehen könnte, wenn es sich auf die Bestsellerlisten schleicht, auf denen<br />
so manch andere Stephenson-Bücher immer wie willkommene Fremdkörper wirkten. Ein<br />
Buch, das sich in die fast schon vergessene Tradition der großen amerikanischen Romanciers<br />
vorwagt, dabei aber, und das ist das Glück dieser Zeit, beim besten Willen nie auf<br />
den inneren Geek verzichten muss, oder kann.<br />
SASCHA KÖSCH<br />
TELL ME.<br />
Neal Stephenson, Reamde, ist bei William Morrow erschienen.<br />
www.nealstephenson.com<br />
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