De:Bug 157
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Mutiere zum<br />
digitalen Eigenbrötler,<br />
transformiere dich<br />
zum multimedialen<br />
Wizzard.<br />
anzufangen wussten. "Ich klappere bei jedem Release<br />
die Berliner Musikredaktionen mit Fahrrad<br />
und Plattentasche ab." Das spart Geld - und es ergibt<br />
es sich natürlich, dass man die Redakteure<br />
kennenlernt und ein paar Worte wechselt.<br />
<strong>De</strong>ck Service<br />
Internationalen Bekanntheiten stattete man<br />
bei deren Gigs in der Hauptstadt einen Besuch<br />
ab. Hauke überlegt kurz und erzählt von dem<br />
Moment, wo er und Yanneck mit der RTR02 im<br />
Cookies auf Clé trafen. "Er hat sich wahnsinnig<br />
gefreut und meinte, er würde die Platte sofort auflegen<br />
- das hat er dann auch gemacht", erinnert<br />
sich Yanneck und Hauke ergänzt: "Das war für<br />
mich einer der größten Vinylmomente, die ich je<br />
hatte." Um auch danach noch präsent zu bleiben,<br />
legen Hauke und Yanneck immer detaillierte<br />
Infosheets bei. Als Vorbild für die Texte dienen<br />
den beiden besonders aussagekräftige Promotexte<br />
von alten Drum-and-Bass-Platten. <strong>De</strong>nn:<br />
"Die meisten Mailorder und leider auch einige<br />
Reviewer schreiben einfach die ersten drei Zeilen<br />
ab. Zumindest die ersten Sätze sollten also<br />
auch alleine was hermachen." Auch wenn beide<br />
in bester Oldschool-Manier den persönlichen<br />
Kontakt und die Übergabe eines physischen Erzeugnisses<br />
bevorzugen, glauben sie nicht, dass<br />
wirkliche Promotion nur mit Vinyl möglich ist.<br />
"Für uns funktioniert es. Aber ich denke, wenn du<br />
ein Album bei Ninja Tune bewerben willst, kommt<br />
du ohne Online-Maßnahmen gar nicht mehr aus.<br />
Das liegt auch an der Käuferschicht."<br />
Believe the Hype<br />
Wem in der schnelllebigen Digitalwelt die Rückbesinnung<br />
auf Wahrhaftiges genauso zuwider ist<br />
wie die Bezahlung einer Agentur, der wählt die<br />
dritte Variante: Du machst es anders, mutierst<br />
zum digitalen Eigenbrötler, transformierst dich<br />
zum multimedialen Wizzard. Kurzum, du wirst<br />
einer, der lieber alles selbst macht, Tumblr aus<br />
dem Effeff beherrscht und für jeden noch so kleinen<br />
Release ein bis zwei Videos raushaut und<br />
damit den Buzz am Kochen hält. Wie der durchgeknallte<br />
Web-Workaholic Lil B. <strong>De</strong>r ist Rapper,<br />
nennt sein Album "I’m Gay" und zieht seine<br />
Konzerte eher als Messen denn als musikalische<br />
Erlebnisse auf, ist aber das beste Beispiel, der<br />
Prototyp, für den dieser Tage immer wichtiger<br />
werdenden DIY-Dirigenten.<br />
Bedroom Promoter<br />
Um dieses Phänomen zu verstehen, muss man<br />
ganz vorne beginnen. Lil B rappte sich schon<br />
vor fünf Jahren einen Wolf bei den Post-Hop-<br />
Keimlingen von The Pack. Bassbrummeln in<br />
astreiner Down South-Ästhetik und narkotisiertes<br />
Nuscheln über die neusten Turnschuhe.<br />
Das interessierte außerhalb der generell ja eher<br />
inzestuös agierenden Rap-Blase niemanden so<br />
richtig. Da muss man schon richtig Lärm machen,<br />
um gehört zu werden. Das tat Lil B dann<br />
auch. Er machte Song nach Song nach Song -<br />
weit über 1.000 Stück. Da MySpace damals der<br />
Ort zum Sein und Tummelplatz aufstrebender<br />
Nachswuchsmusiker war, dort aber noch keine<br />
kompletten Albumstreams möglich waren, legte<br />
sich Lil B tatsächlich über 150 Accounts an und<br />
lud auf jedem eine Hand voll Tracks hoch. Als<br />
Tumblr und Twitter endlich aufkamen, wurde<br />
natürlich auch dort schnell mitgemischt. Retweets,<br />
Replies, Reblogs und Co. sorgten dafür,<br />
dass der Typ plötzlich in aller Munde war. <strong>De</strong>nn<br />
wer bitteschön ist a) noch ständig im regen Kontakt<br />
mit Fans und hat b) darüber hinaus die Zeit<br />
und Muße, zu jedem seiner Tracks ein Video zu<br />
drehen und ist c) bereit alle zwei Monate noch<br />
ein komplett neues Mixtape an den Start zu<br />
bringen? Eben. Als Lil B dann im Sommer dieses<br />
Jahres auch noch sein erstes richtiges Album<br />
"I’m Gay" einige Wochen vor dem eigenen Release<br />
für umme ins Netz stellte, waren die Massen<br />
ihm sowieso verfallen. Natürlich kann man<br />
mit so einem DIY-Label nicht unbedingt das<br />
dicke Geld machen, will man ja vielleicht auch<br />
gar nicht. Aber für Lil B haben sich durch stetes<br />
Socialisen und behände-beharrliche Präsenz<br />
eine Menge DIY-Dollars angehäuft. In Zeiten, in<br />
denen D5-Kameras erschwinglich sind, werden<br />
auch Videos recht fix gedreht. Und jeder kennt<br />
doch irgendeinen freiberuflichen Grafiker mit<br />
ein paar freien Minuten. Im besten Fall ist man<br />
sogar selbst Photoshop-Pro. So kannst du die<br />
Kunde von deinem Können auch komplett und<br />
nur noch aus der 15 Quadratmeter-Bude über<br />
den gesamten Globus schießen.<br />
Ob ihr euch für einer der klassischen Varianten<br />
- Agentur oder Akquise - oder den dritten,<br />
digitalen, Weg entscheidet, müsst ihr letztlich<br />
selbst entscheiden. Mit Sicherheit fordern unterschiedliche<br />
Musikrichtungen auch unterschiedliche<br />
Maßnahmen. Letzten Endes setzt<br />
sich aber, und das sollte hier noch einmal in aller<br />
Ausdrücklichkeit gesagt sein, immer noch Qualität<br />
durch. Notfalls auch durch Mund-zu-Mund-<br />
Propaganda.<br />
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