De:Bug 157
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Text & Bild Ji-Hun Kim<br />
Das wollten wir uns schon immer genauer<br />
angucken: Palo Alto, das Zentrum des Silicon<br />
Valley, die Geburtsstätte und der Firmensitz<br />
unzähliger Weltwirtschafts-Player.<br />
Wir sind drei Tage im Smart-Car durch den<br />
amerikanischen Tech-Traum gecruist und<br />
haben Google und Mercedes-Benz' Research<br />
& <strong>De</strong>velopment Center besucht.<br />
Die Bordsteine zeigen sich geleckt, Palmen bilden<br />
eine Allee, kleine Cafés rund herum, Restaurants,<br />
ein Einkaufszentrum, junge Leute in<br />
sportlicher Kleidung, auf einem Platz mittlerer<br />
Größe einige Außensitzplätze mit Sonnenschirmen,<br />
die in der ausklingenden Abendsonne lange<br />
Schatten werfen. In seiner oberflächlich wirkenden<br />
architektonischen Diversität meint man in<br />
Disneyland gelandet zu sein. Wobei es wohl ein<br />
europäischer <strong>De</strong>nkfehler ist, den Ort, an dem keine<br />
Crackjunkies, Kippenteppiche und gotische<br />
Baureste zu finden sind, automatisch mit dem<br />
amerikanischen Plastiktraum der leuchtenden<br />
Provinzialität mit Cinderella-Touch zusammenbringen<br />
zu wollen. Disneyland ist das Abbild des<br />
perfekten Amerika und nicht umgekehrt, das<br />
wird einem bewusst im Stadtzentrum von Palo<br />
Alto, dem Zentrum des Silicon Valley, Geburtsstätte<br />
so großer Firmen wie HP und Facebook,<br />
dem Nabel der digitalen Welt. Wobei man das<br />
"digital" auch weglassen kann. <strong>De</strong>nn was in der<br />
Welt kann überhaupt noch ohne die 0 und die 1,<br />
ohne die Innovationen dieser heutzutage vielleicht<br />
einflussreichsten Region existieren? Und<br />
so wie sich die industrielle und die digitale Revolution<br />
gegenüberstehen, so unterscheiden sich<br />
die Konzepte auch hinsichtlich der Urbanitäten.<br />
Geht es in fast jeder amerikanischen Großstadt<br />
wie New York, <strong>De</strong>troit oder Chicago darum,<br />
auch repräsentativ, hoch und phallisch zu bauen,<br />
ist das kaum mehr als 60.000 Seelen fassende<br />
Städtchen Palo Alto ein an architektonischer<br />
Unspektakularität kaum zu überbietender Ort.<br />
Software, nicht Hardware, Produkte miniaturisieren,<br />
nicht aufblähen, Smartskills statt dicker<br />
Hose, all die Losungen schwingen unterbewusst<br />
auch im Phänotyp mit. Man hat es nicht mehr nötig,<br />
den Angeber zu markieren.<br />
<strong>De</strong>r Valley-Ansatz<br />
"Selbst innerhalb der USA ist das ein sehr eigener<br />
Ort", erklärt Johann Jungwirth, Präsident<br />
und CEO von Mercedes-Benz Research & <strong>De</strong>velopment<br />
North America (MBRDNA), die seit<br />
1994 von Palo Alto aus technologische Fortschritte<br />
und Digitalität, E-Mobilität und Software<br />
in automobile Konzepte implementieren.<br />
Mercedes-Benz war damals die erste Autofirma<br />
überhaupt, die sich im nordkalifornischen Tech-<br />
Mekka niederließ, um die Zukunftsvision von<br />
Fortbewegung weiter zu denken und ihre tas-<br />
Player an Player<br />
Fährt man über den Hansen Way Richtung<br />
MBRDNA, kommt man unweigerlich an der Stanford<br />
University (dem Nachwuchs-Thinktank<br />
der gesamten Gegend), Skype, Hewlett Packard<br />
oder dem Stanford Linear Collider vorbei, der in<br />
seiner Teilchenbeschleuniger-Weltrekordgröße<br />
erst kürzlich vom LHC in Genf überholt wurde.<br />
Von der Struktur erinnert hier alles ein wenig<br />
ans Ruhrgebiet, viele kleinere Orte und jeder große<br />
Player sitzt in einer dieser Städte (Microsoft/<br />
Redmond, Apple/Cupertino, Google/Mountain<br />
View etc.), damit hören die Ähnlichkeiten aber<br />
schon auf. Das persönliche Computerleben mit<br />
seinen Geräten und Programmen zerstreut sich<br />
hier auf eine reale Landkarte. YouTube wäre ein<br />
paar Meilen weiter links. eBay und Adobe ein<br />
paar Meilen weiter rechts, Intel quasi auf dem<br />
Weg dorthin. Mittendrin das Forschungscenter<br />
von Mercedes-Benz, ein nüchterner kubischer<br />
Klinkerbau, grauer Teppichboden, seriös das<br />
alles hier, keine Pizza-mampfenden Hacker auf<br />
Sitzbällen, stattdessen dominiert schwäbisches<br />
Understatement das Geschehen. "Unsere Vision<br />
für die Zukunft ist unter anderem ein ganzheitliches<br />
Multimedia-Erlebnis, das durch Natural<br />
Interfaces wie Sprache, Gesten oder Berührung<br />
oder aber auch Augmented Reality gesteuert und<br />
erfahren werden kann", erläutert Ralf Lamberti,<br />
Chef der Sektion Infotainment und Telematics,<br />
das Szenario von Morgen. "<strong>De</strong>r Fahrer soll durch<br />
so wenig wie möglich vom Fahren abgelenkt werden,<br />
aber zugleich die Zeit im Auto effizient und<br />
kommunikativ nutzen können." Das Internet der<br />
Dinge wird auch bei Autos eine wichtige Rolle<br />
spielen. Media-Systeme lassen sich via Smarttenden<br />
Finger am Puls des Progress auflegen zu<br />
können. Mittlerweile gibt es alleine in Palo Alto<br />
59 Mitarbeiter, mit den anderen Forschungsund<br />
<strong>De</strong>sign-Standorten in den Staaten sind es<br />
215. Johann Jungwirth, von seinen Kollegen "JJ"<br />
genannt, wirkt mit seiner reinen Haut bübisch,<br />
ein filigran-eckiges Brillengestell auf der spitzen<br />
Nase, die Frisur akkurat, mittelscheitelig - nur<br />
die adrette Business-Kleidung (hell-pastellenes<br />
Hemd in Hose, dunkle Lederschuhe) lässt vermuten,<br />
dass er doch keiner der klassischen Silicon-<br />
Valley-Typen ist, die sonst gemeinhin auch<br />
für Managermeetings auf Fleece, Bermudas und<br />
Joggingschuhe setzen. Das grundsolide, schwäbische<br />
Ingenieurstum und das dynamische, nie<br />
still stehende Rad der Bay Area scheinen wie ein<br />
Widerspruch, aber genau das bietet auch Potential.<br />
"Man lernt hier viel über Unternehmenskultur,<br />
denn zwischen Stuttgart und Kalifornien liegen<br />
erstmal Welten. Wie trifft man Entscheidungen?<br />
Wie frei ist man im Forschungsspielraum?<br />
Wir verfolgen hier den Valley-Ansatz, anders<br />
ginge es auch nicht." Ich frage nach dem automatischen,<br />
fahrerlosen Auto, das Google kürzlich<br />
mehrere tausend Kilometer unfallfrei um die<br />
Welt geschickt hat. "Genau das ist ja so interessant.<br />
Da kommt eine Firma, die zuvor nie etwas<br />
mit Autos zu tun gehabt hat und setzt das so eben<br />
in zwei, drei Jahren um. Das sind die Dynamik<br />
und der Freigeist, die die Gegend so spannend<br />
machen."<br />
Die Welt des Autos und die des Computers führten<br />
über lange Zeit eine sich nicht tangierende<br />
Koexistenz, heute jedoch funktioniert kein Gefährt<br />
ohne Computer, Inspektionen werden mit<br />
dem Laptop gemacht, die Masse der vorhandenen<br />
Kabel in einem Auto hat sich verhundertfacht.<br />
Die alte Knatterkiste von Carl Benz ist zu einer<br />
voll technisierten, klugen Festung geworden.<br />
Klar, dass man mit der Zeit geht, auch wenn das<br />
Komplikationen birgt. "Ein Hauptproblem sind<br />
die Produktzyklen. Ein Auto kommt alle fünf bis<br />
zehn Jahre neu raus, wohingegen Computer oder<br />
Smartphone fast jährlich grunderneuert werden.<br />
Dieses rasante Tempo mit einzubeziehen, aber<br />
auch nachhaltig in die Autos zu integrieren, ist<br />
eines unserer Hauptaufgaben." Nicht nur, dass<br />
ein neues Auto die teuerste Produktinvestition<br />
überhaupt ist, die man heutzutage betätigen kann<br />
(darüber kommt nur noch das Eigenheim). Aber<br />
wenn ein Rechner abstürzt, dann fährt man ihn<br />
halt wieder hoch, wenn dagegen ein fahrendes<br />
Auto "abstürzt", ist es vielleicht sogar für den genervten<br />
Beschwerdeanruf bei der Hotline schon<br />
zu spät. <strong>De</strong>r erste Abend im Valley neigt sich dem<br />
Ende zu. Morgen steht Infotainment, die Verknüpfung<br />
von mobilem Web und In-Car-Entertainment,<br />
auf dem Plan und dazu ein Besuch bei<br />
Google in Mountain View. Jetlagverhelmt stelle<br />
ich im Hotelzimmer fest, dass man via HD-Fernseher<br />
das Licht und die Klimaanlage ein- und<br />
ausstellen kann. Heimautomation also, auch das<br />
gehört im Valley dazu. Es muss hier scheinbar alles<br />
vernetzt sein. Das ist kein Motto oder Dogma,<br />
sondern Grundprinzip.<br />
"Followen" geht auch mit<br />
dem Auto und das scheint<br />
gar nicht so unpraktisch<br />
zu sein.<br />
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