Zeit für Familie - Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden ...
Zeit für Familie - Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden ...
Zeit für Familie - Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1 Problemorientierte Einführung<br />
1.1 <strong>Zeit</strong>politik als Teil von Gesellschaftspolitik<br />
Problemorientierte Einführung<br />
1.1.1 <strong>Zeit</strong>politik als Strategie zur Erhöhung der Lebensqualität und des Wohlstands in modernen<br />
Gesellschaften<br />
Spätestens seit die „Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress‖<br />
(CMEPSP), besser bekannt unter dem Namen ―Stiglitz-Kommission‖, im September 2009 ihr Gutachten<br />
vorgelegt hat, wird verbreitet diskutiert, dass die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt nur eine sehr ungenaue<br />
Widerspiegelung des Wohlstands einer Gesellschaft darstellen. 1 Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei eine<br />
wichtige Größe zur Abbildung von Wirtschaftsaktivität, zur Wohlstandsmessung sei es aber nur begrenzt<br />
geeignet. Drei methodische Mängel des BIP werden im Gutachten hervorgehoben: Es übersehe<br />
Umweltaspekte wirtschaftlichen Handelns, lasse wirtschaftlich relevante, aber kostenlos erbrachte Leistungen,<br />
etwa im Rahmen der <strong>Familie</strong>narbeit oder von zivilgesellschaftlichem Engagement, außer Acht und<br />
berücksichtige soziale Aspekte wie subjektive Zufriedenheit der Menschen oder das Ausmaß an Freiheit und<br />
Selbstbestimmtheit nicht.<br />
Seit längerem existieren Bemühungen, im Rahmen der Wohlstandsmessung Alternativen zum BIP zu<br />
entwickeln. Eines der ersten Konzepte, der „ökologische Fußabdruck―, wurde bereits 1994 von Wackernagel<br />
und Rees vorgelegt. Seine Weiterentwicklung wird heute von zahlreichen Umweltorganisationen favorisiert.<br />
Der deutsche und der französische Sachverständigenrat <strong>für</strong> Wirtschaft sehen zwar im „Monitoring des<br />
materiellen Wohlstands [eine] unabdingbare Voraussetzung <strong>für</strong> sinnvolle Wirtschaftspolitik―, anerkennen aber<br />
auch die „Ablehnung jedes Ansatzes, der die Messung des menschlichen Fortschritts mit nur einem einzigen<br />
Indikator vornehmen will― 2 . Die Vereinten Nationen haben in dem 1990 erstmals erschienenen „Bericht über<br />
die menschliche Entwicklung― vier <strong>für</strong> die Wohlfahrtsmessung als wesentlich erachtete Dimensionen<br />
herausgearbeitet: „ein langes und gesundes Leben zu führen, Wissen zu erwerben, Zugang zu den Ressourcen<br />
<strong>für</strong> einen angemessenen Lebensstandard zu erhalten und am Gemeinschaftsleben teilnehmen zu können― 3 .<br />
Ein wesentliches Element einer neu ausgerichteten Konzeption von Wohlstand wäre <strong>Zeit</strong>wohlstand. Dieser<br />
besteht nach Gerhard Scherhorn aus wenigstens vier Dimensionen: aus dem Umfang der <strong>Zeit</strong> „<strong>für</strong> ein gutes<br />
Leben―, der Qualität der <strong>Zeit</strong>, der individuellen Kontrolle der <strong>Zeit</strong>verwendung und der sozialen Passung der<br />
disponiblen <strong>Zeit</strong>ressourcen. 4 Mit den Überlegungen Scherhorns geht es darum, <strong>Zeit</strong>politik als Teil einer<br />
Gesellschaftspolitik zu entwickeln, die darauf abzielt, die Lebensqualität der Menschen zu sichern und zu<br />
fördern. Eine solche <strong>Zeit</strong>politik ist darauf auszurichten, die individuellen Dispositionsmöglichkeiten der<br />
vorhandenen <strong>Zeit</strong>ressourcen zu erhöhen und individuelle und soziale <strong>Zeit</strong>strukturen so zu harmonisieren, dass<br />
eine Teilhabe am sozialen Geschehen möglich ist – beides mit der Absicht, die Lebensqualität zu fördern. Ziel<br />
politischen Handelns wäre es demnach, Strukturen zu schaffen, die die souveräne <strong>Zeit</strong>verwendung erleichtern,<br />
und parallel dazu Strukturen zu korrigieren, die systematisch dazu führen, dass die bestmögliche Verwendung<br />
von <strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Familie</strong>, Erwerbsleben, Rekreations- und Eigenzeit behindert oder sogar verhindert wird. Als Teil<br />
von Gesellschaftspolitik ist <strong>Zeit</strong>politik darauf gerichtet, die <strong>Zeit</strong>souveränität zu erhöhen und strukturelle<br />
<strong>Zeit</strong>stressoren zu beseitigen. Erste Entwürfe, wie strukturelle <strong>Zeit</strong>konflikte abgebaut werden können, liegen<br />
mittlerweile vor. 5 <strong>Zeit</strong>politik ist folglich als Strukturpolitik zu entwickeln und ähnlich wie<br />
Gleichstellungspolitik 6 als Querschnittspolitik zu betreiben. Moderne Gesellschaften mit in vielerlei Hinsicht<br />
egalitären Geschlechterrollen und zunehmendem Bedarf an weiblichen Fach- und Führungskräften werden<br />
zukünftig auf eine konsistente <strong>Zeit</strong>politik, die Rücksicht auf die Bedürfnisse in verschiedenen Lebensphasen<br />
nimmt, nur noch schwerlich verzichten können.<br />
5