s'Positive Magazin 08.2016
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BEI DEN REICHEN LERNT MAN SPAREN<br />
Wie man gratis zu zwei<br />
Regenschirmen kommt<br />
Ob der preisgünstige «Ghost» (Einstiegspreis<br />
etwa 300 000 Franken) oder der unwesentlich<br />
teurere «Phantom Drophead<br />
Coupé (ab ca. 500 000 Franken): Bei der<br />
Qualität der handgenähten Ledersitze gibt<br />
es keinen Unterschied. Da kommt nur Bullenleder<br />
infrage, denn anders als die Haut<br />
von Kühen weist es keine Schwangerschaftsstreifen<br />
auf. Bei den handverlesenen<br />
Häuten wird zudem darauf geachtet, dass<br />
weder Mückenstiche noch kleine Verletzungen<br />
die Textur verunstalten. Ähnlich hohe<br />
Ansprüche werden an die Innenausstattung<br />
gestellt. Nur Walnuss, Kirsche oder Esche<br />
kommen infrage. Dabei wird das Holz so<br />
verarbeitet, dass die Maserung im Furnier<br />
auf beiden Seiten spiegelbildlich gleich<br />
sind. Der Glanz des Furniers im fertigen<br />
Produkt ist das Ergebnis vieler Stunden<br />
Handarbeit. Allein für den finalen Touch<br />
wird das Holz an die fünf Stunden lang gewienert.<br />
Das Trittbrett und die Kopfstützen<br />
mit dem Logo des Unternehmens gehören<br />
ebenso selbstverständlich zum Interieur wie<br />
die zwei schwarzen Regenschirme, die griffbereit<br />
in den Vordertüren des Rolls-Royce<br />
liegen.<br />
AKTUELLER DENN JE, ABER ...<br />
Wie heisst die «Nervenschwäche» heute?<br />
Fotos: Shutterstock: GGRIGOROV/ Brian A Jackson, zVg<br />
Neurasthenie, oder übersetzt Nervenschwäche:<br />
So wurde vor hundert Jahren folgender<br />
Zustand bezeichnet: müde, empfindlich,<br />
niedergeschlagen, chronisch antriebsschwach.<br />
Nun kennen Sie auch den neuen<br />
Namen dieses Leidens: Es heisst heute Burnout.<br />
Der amerikanische Arzt George Miller<br />
Beard veröffentlichte 1880 ein Buch, das<br />
auch in deutscher Sprache erschien: «Die<br />
Nervenschwäche, ihre Symptome, Folgezustände<br />
und Behandlung». Vor dem ersten<br />
Weltkrieg wurde diese sogenannte Nervenschwäche<br />
zu einer der häufigsten Diagnosen.<br />
Betroffen waren vorwiegend Angehörige<br />
der Mittelschicht. Bauern und Arbeiter schienen<br />
weniger gefährdet. Sexuelle Frustration<br />
und die Auswirkungen der «elektrischen<br />
Revolution» wurden als Ursachen ausfindig<br />
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gemacht. Letztere wegen der damit einhergehenden<br />
Beschleunigung des Lebens. Es<br />
entstand der Spottvers: Raste nie, /doch<br />
haste nie,/sonst haste die/Neurasthenie.<br />
Teils absonderliche Behandlungen wurden<br />
zur Heilung des Leidens angewendet.<br />
Der deutsche Nervenarzt Leopolt Löwenfeld<br />
veröffentlichte 1987 ein Buch zur modernen<br />
Behandlung der Nervenschwäche und schlug<br />
darin auch eine «Mastcur» vor. Ausgezehrte<br />
Patienten sollten per Zwang vollgestopft werden<br />
und so wieder zu Kräften kommen. Weniger<br />
brutal war Maximilian Bircher-Benner,<br />
der Erfinder des Müslis. Er empfahl Rohkost.<br />
Auch radikale Lebensreformen und esoterische<br />
Heilslehren versprachen Heilung.<br />
Mit Beginn des ersten Weltkriegs ebbte die<br />
Neurasthenie-Flut rasch ab. Jetzt war keine<br />
Zeit mehr für nervöse Leiden. Es ging für viele<br />
ums schlichte Überleben. Mitte der 1950er-<br />
Jahre, im Wirtschaftswunder, tauchte die<br />
Krankheit im neuen Gewand und mit einer<br />
neuen Bezeichnung wieder auf. Die Managerkrankheit<br />
befiel, anders als die Neurasthenie,<br />
allerdings fast ausschliesslich Männer.<br />
s’Positive 8 / 2016 21