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Zürich

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«Wenn es um die Wurst geht …<br />

Text und Interview: Maximilian Marti<br />

…gibt es für mich nur eine Option: gib stets<br />

dein Bestes! Diese Haltung habe ich von<br />

meinem Vater übernommen und zu meinem<br />

Lebensmotto gemacht. Bisher hat es sich<br />

bestens bewährt» sagt Irène Bodenmann-<br />

Meli, Tochter des legendären Winterthurer<br />

Schwingerkönigs und Sternenwirts Karl<br />

Meli. Als Irène in jungen Jahren verkündete,<br />

sie möchte ebenfalls in die Zwilchhosen<br />

steigen und damit in die Fussstapfen ihres<br />

Vaters treten, verbot dieser ihr schlichtweg,<br />

auch nur im Traum daran zu denken, als Frau<br />

zu schwingen. Der damaligen Zeit entsprechend<br />

gehorchte die folgsame Tochter. Mit<br />

35 setzte sie sich durch und stieg trotzdem<br />

in den Ring, zuerst zur Missbilligung, aber<br />

schon kurz nach den ersten Erfolgen zum<br />

grossen Stolz ihres Vaters. Man mag über<br />

Frauenschwingen denken was man will.<br />

Bei den männlichen Puristen ist es natürlich<br />

verpönt, weil Schwingen in ihren Augen traditionell<br />

eine reine Männerdomäne ist, wie<br />

Fussball für die grölenden Fans. Eine einfältige<br />

Sichtweise. Vielleicht würden ein überraschender<br />

Bur hier, ein sanfter Brienzer<br />

dort oder ein spielerischer Wyberhaken ein<br />

bisschen neuen Schwung in so manches<br />

Schlafzimmer bringen, in dem einer dieser<br />

Traditionsbolzen vor sich hindöst.<br />

Am 12. März 2012 verstarb der hochdekorierte<br />

Turnerschwinger Karl Meli. Seither<br />

sorgt seine Tochter mit dem von ihr gegründeten<br />

Schwingermuseum dafür, dass eine<br />

der grössten Figuren in der Geschichte dieser<br />

urchigen Schweizer Sportart nicht nur<br />

in Gedanken in Erinnerung bleibt. Auch der<br />

gemütliche Sternen bleibt der Welt erhalten<br />

und wird dank Irène weitergeführt in der<br />

Tradition ihres Vaters, bodennah und reell.<br />

Hier geht’s ebenfalls um die Wurst – um die<br />

hausgemachte Bratwurst. Wer diese und<br />

andere von Irènes Spezialitäten, wie die<br />

Metzgete, probiert hat weiss, dass die<br />

Sternen-Wirtin ihrem Motto treu bleibt bei<br />

allem, was sie macht.<br />

Heute sind Reportagen und Berichte über<br />

schwingende Frauen in der Sportwelt keine<br />

Seltenheit mehr. Wie im Boxring auch, zeigen<br />

die Mädels, dass es bei ihnen zur<br />

Sache geht und Begriffe wie ‹umwerfend<br />

oder ‹hinreissend› haben eine doppelte<br />

Bedeutung erhalten. Trotzdem hört man<br />

aus Schwingerkreisen immer noch kritische<br />

Stimmen, meistens von älteren Semestern.<br />

Frauen, die mehr zu schwingen wissen als<br />

nur Schlagrahm, sind in ihren Augen Exoten.<br />

Ich wollte wissen, ob Karl Meli’s Tochter<br />

das auch so erlebte, bestellte im Sternen<br />

ein Bier und fragte:<br />

Frau Bodenmann, wie war das damals, als<br />

Sie mit Schwingen anfingen?<br />

Frauenschwingen war immer noch verpönt.<br />

Das erste Frauenschwingfest fand 1980 vor<br />

ca. 13 000 Zuschauern in Aeschi statt. Es<br />

hiess, hier und dort wäre männlichen Vereinsmitgliedern<br />

mit Sanktionen bis zur Sperrung<br />

gedroht worden, falls sie beim Zuschauen<br />

erwischt würden. Ich begann 1997<br />

als ich 35 war und bekam auch einiges zu<br />

hören, aber das störte mich nicht bei der Umsetzung<br />

meiner Absicht, eine gute, respektierte<br />

Schwingerin zu werden. Angefangen<br />

hätte ich lieber mit 18, konnte aber das Verbot<br />

meines Vaters nicht missachten. Damals galt<br />

unter Jugendlichen Gehorsam gegenüber<br />

den Eltern noch nicht als Makel. Er hat mich<br />

zur Hochhaltung unserer Schweizerischen<br />

Werte und Traditionen erzogen und es auch<br />

vorgelebt. Auf seiner Fahne stand Standfestigkeit,<br />

Ehrlichkeit, Respekt gegenüber den<br />

Mitmenschen und Glaube an sich selbst.<br />

War der relativ späte Beginn ihrer sportlichen<br />

Laufbahn ein Vorteil?<br />

Eigentlich schon. Ich hatte gelernt, Glücksfälle<br />

zu schätzen, zum Beispiel die Geburt<br />

meines Sohnes Lukas, aber auch wie sich<br />

Tiefen anfühlen, wie da, als mein Mann nach<br />

einem Unfall im Rollstuhl landete, als unser<br />

Sohn 1 ¾ Jahre alt war. Weil ich die Situation<br />

meistern wollte, musste ich mein Leben<br />

komplett umkrempeln und tat alles, um allen<br />

gerecht zu werden. Ich tat es gerne und<br />

würde es jederzeit wieder tun. Aber um die<br />

nötige Kraft aufzubringen brauchte ich etwas<br />

zum Ausgleich, etwas nur für mich allein.<br />

Das war der Schritt ins Sägemehl.<br />

Welches war bisher Ihr grösster Sieg?<br />

Es ist immer derselbe und war es immer: der<br />

Sieg über mich selbst. Natürlich ist es ein<br />

tolles Gefühl, wen man von einem begeisterten<br />

Publikum seinen Beifall empfangen darf.<br />

Aber dasselbe Gefühl habe ich wenn ich<br />

nach Stunden in der Küche die zufriedenen<br />

Gesichter meiner Gäste sehe. Siege sind im<br />

Allgemeinen nur der Beweis, dass man sich<br />

einer Herausforderung gestellt, diese ernst<br />

genommen und wirklich alles gegeben hat,<br />

um sie zu meistern. Im Ring kann noch ein<br />

Quäntchen Glück den Ausschlag geben,<br />

genau wie überall im Leben.<br />

Kürzlich mussten Sie sich wieder einem<br />

Gegner stellen.<br />

Ja, einem bösartigen. Es wurde Lungenkrebs<br />

diagnostiziert. Aber ich habe das Selbstvertrauen,<br />

auch diesen Gegner auf den Rücken<br />

zu kriegen, wenn ich dafür wie gewohnt alle<br />

verfügbaren Kräfte mobilisiere. Dabei helfen<br />

mir die Unterstützung und der Zuspruch, den<br />

ich von allen Seiten erfahre. Natürlich spielt<br />

auch hier das kleine Quäntchen Glück eine<br />

Rolle, aber einen Gang habe ich schon gewonnen:<br />

bevor der hinterhältige Kerl den Griff<br />

richtig ansetzen konnte, der mich für eine<br />

Weile meine Haare kostet, fuhr ich nach<br />

Hause und rasierte sie alle selber ab.<br />

www.schwingermuseum.ch<br />

Frau Irène Bodenmann Foto: Lucia Eppmann<br />

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