Nr. 16 (IV-2016) - Osnabrücker Wissen
Nr. 16 (VI-2016) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de
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STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />
1906 fährt die Straßenbahn erstmals durch<br />
Osnabrück. Hier die Haltestelle Lotterstraße.<br />
Eine Träne zum Abschied: 1960 endet das<br />
Zeitalter der Straßenbahn in Osnabrück.<br />
Schlagzeilen<br />
des Jahres 1960<br />
präsentiert: Osnabrück in den 50er und 60er Jahren<br />
14. März<br />
Im New Yorker Hotel Waldorf Astoria<br />
treffen sich der deutsche Bundeskanzler<br />
Konrad Adenauer und der<br />
israelische Ministerpräsident David<br />
Ben Gurion zum ersten Mal persönlich.<br />
Warum verschwand die Straßenbahn?<br />
Die Popularität der Straßenbahn hat ihre letzte Fahrt schon 66 Jahre überdauert. Und auch in<br />
Zukunft wird kaum eine Diskussion über den <strong>Osnabrücker</strong> Nahverkehr auf sie verzichten.<br />
Die Geschichte der „Elektrischen“<br />
begann 1906. Pferdeomnibusse, mit denen<br />
sich die <strong>Osnabrücker</strong> schon im späten 19.<br />
Jahrhundert kutschieren ließen, genügten<br />
den modernen Ansprüchen nicht mehr und<br />
so wurde ein 5.110 Meter langes Streckennetz<br />
entworfen, das auf zwei Linien durch<br />
die Innenstadt führte. Mit bis zu 15 km/h<br />
brachte die „blaue“ Route ihre Fahrgäste<br />
vom Hauptbahnhof zum Neumarkt, folgte<br />
der Großen Straße und steuerte schließlich<br />
über den heutigen Rißmüllerplatz<br />
die Lotter Straße an. Die rote Linie führte<br />
vom Hasetor durch die Hasestraße, nahm<br />
dann ebenfalls Kurs auf die Große Straße<br />
und ratterte anschließend durch die<br />
Johannisstraße bis zum Rosenplatz. In den<br />
folgenden Jahren wurde das Streckennetz<br />
ausgebaut, auch im Schinkel und an der<br />
Hastermühle konnten die <strong>Osnabrücker</strong><br />
nun die „Elektrische“ benutzen. Das<br />
beliebte Verkehrsmittel war allerdings<br />
schon in diesen Anfangsjahren Gegenstand<br />
hitziger Debatten. Die Wirtschaftskrise<br />
nach dem Ersten Weltkrieg erzwang<br />
1922 eine vorübergehende Einstellung<br />
des Betriebs, selten frequentierte<br />
Strecken mussten mit öffentlichen Geldern<br />
subventioniert werden und Anfang der<br />
1930er Jahre störten die nun schon wieder<br />
altertümlichen Metallschleifbügel den<br />
Empfang der nagelneuen Radiogeräte und<br />
mussten auf Kohleschleifbügel umgerüstet<br />
werden.<br />
Wer kam der<br />
Elektrischen in die Quere?<br />
Anderthalb Jahrzehnte später lagen die<br />
Schuttberge des Zweiten Weltkriegs auch<br />
auf den Straßen Osnabrücks. Überdies<br />
musste Strom gespart werden, auch bei<br />
der Elektrischen, die ihre Runden nun mit<br />
größeren, oft unvorhersehbaren Unterbrechungen<br />
drehte. Trotzdem beförderte<br />
sie bald wieder bis zu 70.000 Fahrgäste am<br />
Tag. Doch das Wirtschaftswunder, das<br />
in den 50er Jahren einen überraschend<br />
schnellen Weg aus der Krise bahnte, stellte<br />
das scheinbar unverwüstliche Vehikel<br />
vor noch größere Probleme. Die Straßenbahnen<br />
waren schließlich an ihre Schienen<br />
gebunden und mussten sich den Platz<br />
mit immer mehr Autos teilen, die vor,<br />
hinter und neben der Elektrischen durch<br />
die engen <strong>Osnabrücker</strong> Straßen wollten.<br />
Ein Blick auf die gesamtdeutsche Situation<br />
verdeutlicht die dramatischen Veränderungen:<br />
Zwischen 1957 und 1960<br />
konnten die deutschen Pkw-Hersteller<br />
ihre Inlandsproduktion von rund einer<br />
Million auf 1,8 Millionen Fahrzeuge nahezu<br />
verdoppeln. 1958 rang sich der Stadtrat<br />
zu einer weitreichenden verkehrspolitischen<br />
Entscheidung durch: Die Straßenbahn<br />
sollte abgeschafft und durch Oberleitungsbusse<br />
ersetzt werden, die bereits<br />
seit 1948 unterwegs waren. Osnabrücks<br />
beliebteste Bahn fuhr am 29. Mai 1960<br />
zum letzten Mal in ihr Depot, doch ihr<br />
Nachfolger überlebte sie nicht lange. Die<br />
Masten und Stromleitungen für die unflexiblen<br />
und wenig wirtschaftlichen<br />
Bilder Straßenbahnen © Stadtwerke Osnabrück // Wohnzimmer © arcona L<strong>IV</strong>ING<br />
O-Busse wurden 1968 wieder abgebaut.<br />
Die Zukunft gehörte den frei<br />
beweglichen Bussen, die in Osnabrück<br />
übrigens schon seit 1929 im<br />
Einsatz waren. Andere Kommunen folgten<br />
nicht der <strong>Osnabrücker</strong> Linie. So setzte<br />
beispielsweise die Nachbarstadt Bielefeld<br />
weiter auf die Schiene. Sie verfügt heute<br />
über ein modernes Stadtbahnsystem, das<br />
ständig ausgebaut wird.<br />
Kommt die<br />
Elektrische zurück?<br />
Könnte die Straßenbahn nicht auch im 21.<br />
Jahrhundert eine sinnvolle Alternative im<br />
<strong>Osnabrücker</strong> Personennahverkehr sein?<br />
Ja, meint die Stadtbahn-Initiative, und<br />
das nicht nur aus ökologischen Gründen.<br />
Aber auch einer der besten Kenner der<br />
<strong>Osnabrücker</strong> Verkehrsgeschichte, der<br />
sämtliche Modelle der hier eingesetzten<br />
Elektrischen eigenhändig nachgebaut hat,<br />
hält ein Comeback des ratternden Kultobjekts<br />
zumindest für möglich. „Technisch<br />
ist das absolut machbar und auch<br />
wirtschaftlich würde sich die Wiedereinführung<br />
der Straßenbahn – allein wegen<br />
des sogenannten „Schienenbonus, also<br />
der deutlich höheren Fahrgastzahlen –<br />
auf lange Sicht rentieren. Unsere Partnerstadt<br />
Angers hat ja vorgemacht, dass so<br />
etwas funktionieren kann“, sagt Alfred<br />
Spühr auf Nachfrage von „<strong>Osnabrücker</strong><br />
<strong>Wissen</strong>“. Trotzdem ist der Experte davon<br />
überzeugt, dass es nicht dazu kommen<br />
wird. „In Osnabrück fehlt einfach der<br />
politische Wille, um so eine Maßnahme<br />
konsequent umzusetzen.“<br />
| Thorsten Stegemann<br />
WISSEN KOMPAKT<br />
HAUSHALTE IN DEN<br />
FRÜHEN 60ERN<br />
Haushaltsgeräte, die heute zum<br />
Standard gehören, waren noch<br />
Luxusgüter, als die <strong>Osnabrücker</strong><br />
Straßenbahn ihre letzten Runden<br />
drehte. Das Wirtschaftswunder<br />
sollte daran bald Entscheidendes<br />
ändern, aber Anfang der 60er<br />
besaßen nur 14 % aller westdeutschen<br />
Haushalte ein Telefon.<br />
Einen Fernseher konnten sich<br />
34 % leisten, Kühlschränke gab<br />
es bei 52 %. 47 % der Haushalte<br />
verfügten allerdings über mechanische<br />
Nähmaschinen.<br />
30. März<br />
Die Bundesrepublik vereinbart<br />
Anwerberegelungen für "Gastarbeiter"<br />
mit Griechenland und Spanien.<br />
1955 hatte es bereits eine Vereinbarung<br />
mit Italien gegeben, in den 60ern<br />
folgen weitere mit der Türkei, Marokko,<br />
Portugal, Tunesien oder Jugoslawien.<br />
Das <strong>Osnabrücker</strong> Traditionsunternehmen<br />
Karmann hatte 1959 mit<br />
der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer<br />
begonnen und beschäftigte<br />
ein Jahr später 180 Mitarbeiter aus<br />
Italien und 20 aus Spanien.<br />
21. Juni<br />
Der deutsche Sprinter Armin Hary<br />
läuft in Zürich als erster Mensch der<br />
Welt die 100 Meter in zehn Sekunden.<br />
8. Juli<br />
Arbeitgeber und IG-Metall einigen<br />
sich auf die schrittweise Einführung<br />
der 40-Stunden-Woche.<br />
9. August<br />
Das Jugendarbeitschutzgesetz untersagt<br />
die Beschäftigung von Kindern<br />
unter 14 Jahren. Auch die Akkord- und<br />
Fließbandarbeit für Jugendliche wird<br />
verboten. Für diese Regelung hatte<br />
auch die <strong>Osnabrücker</strong> Arbeiterschaft<br />
jahrzehntelang gekämpft. Schon 1890<br />
entsandte sie eine entsprechende<br />
Resolution an den Deutschen<br />
Reichstag.<br />
8. November<br />
John F. Kennedy wird der jüngste<br />
Präsident der USA.<br />
28<br />
Das "Wohnzimmer" im <strong>Osnabrücker</strong> acrona L<strong>IV</strong>ING,<br />
eingerichtet im original Stil der Wirtschaftswunderzeit.<br />
29