Loslassen, Juli 2012 - Freie Seelsorge München
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Dienstag, 17. <strong>Juli</strong> <strong>2012</strong><br />
Eine Zahl als<br />
dringender Hilfeschrei<br />
Robert Enke, Hannelore<br />
Kohl, Adolf Merckle, Gunter<br />
Sachs: Vier prominente Menschen,<br />
vier ganz unterschiedliche<br />
Lebensgeschichten, die<br />
dennoch an einem Punkt<br />
identisch sind: Alle vier haben<br />
ihrem Leben selbst ein Ende<br />
gesetzt. Sie sind die prominenten<br />
Gesichter, hinter denen<br />
eine große Zahl steht:<br />
Elftausend Menschen töten<br />
sich jedes Jahr selber.<br />
Zwischen 40000 und<br />
100000 Suizidversuche, so<br />
wirdinFachkreisengeschätzt,<br />
gibt es jedes Jahr in Deutschland.<br />
Um sich das konkret<br />
vorstellen zu können: Elftausend<br />
Menschen, das ist eine<br />
Stadt in der Größe von Bad<br />
Staffelstein. Jedes Jahr nehmen<br />
sich so viele Menschen,<br />
wie dort wohnen, das Leben.<br />
Viele der Hinterbliebenen<br />
sind froh, wenn nicht bekannt<br />
wird, dass es kein natürlicher<br />
Tod war, den ihr Verstorbener<br />
gestorben ist. Der eigene<br />
Zweifel, der bis hin zum dauerhaften<br />
Sich-Mitschuldig-<br />
Fühlen reichen kann, ist<br />
schon schwer genug zu ertragen,<br />
da möchte man nicht<br />
noch von der Umwelt schief<br />
angeschaut oder gar zum Gesprächsthema<br />
gemacht werden.<br />
Tabuthema Suizid? In<br />
der öffentlichen Diskussion<br />
scheinbar, was angesichts der<br />
genannten und belegbaren<br />
Zahleneigentlichunverständlich<br />
ist.<br />
Lebensschutz contra<br />
Freitodhilfe<br />
Noch eine Zahl: 58000. So<br />
viele zahlende Mitglieder hat<br />
der Freitodhilfeverein EXIT<br />
in der deutschsprachigen<br />
Schweiz, mehr als 20000 in<br />
der italienischsprachigen<br />
Schweiz kommen noch hinzu.<br />
Diesem Verein treten die<br />
Mitglieder mit meist nur einem<br />
einzigen erklärten Ziel<br />
bei: Den Endpunkt des eigenenLebensirgendwannselbst<br />
bestimmen zu können und<br />
dieses dann auch irgendwann<br />
zu tun.<br />
Die direkte Demokratie der<br />
Schweiz, ein anderes Verständnis<br />
von Selbstbestimmungsrechten<br />
und Freiheit,<br />
damit verbunden eine andere<br />
Definition von dem, was aktive<br />
Sterbehilfe ist, machen einen<br />
solchen Verein wie EXIT<br />
oder Dignitas in der Schweiz<br />
möglich.<br />
Das deutsche Recht lässt<br />
tatt auch aktive sterbehilfe setzen organisationen in deutschland<br />
arauf, die Hospitzangebote weiter auszubauen. foto: dpa<br />
einen solchen Verein nicht zu.<br />
Politik, Kirchen und andere<br />
gesellschaftliche Gruppierungen<br />
wollen einen anderen<br />
Weg gehen. In Bayern hat die<br />
Regierung sich auf ein Verbot<br />
der gewerblichen Suizidbeihilfe,<br />
die man beispielsweise<br />
in diesen Vereinen sieht, verständigt.<br />
Als der ehemalige<br />
Fußballprofi Timo Konietzka<br />
sich im Frühjahr dieses Jahres<br />
das Leben nahm, berichtete<br />
die Presse natürlich sehr ausführlich<br />
darüber.<br />
Eugen Brysch, Geschäftsführender<br />
Vorstand der Patientenschutzorganisation<br />
Deutsche Hospiz Stiftung,<br />
nannte es damals entsetzlich,<br />
dass Schweizer Sterbehilfeorganisationen<br />
immer wieder<br />
versuchten, durch die Suizidbegleitung<br />
von Prominenten<br />
Öffentlichkeit für ihr Geschäftsmodell<br />
zu erlangen.<br />
„In der Eskalation des Marketings<br />
geht es darum, die<br />
größtmögliche Aufmerksamkeit<br />
zu erhalten“, kritisierte<br />
Brysch. Stattdessen soll in<br />
Deutschland die Intensivierung<br />
von Hospizarbeit und<br />
Palliativmedizin weiter intensiviert<br />
werden. Damit könne,<br />
so Justizministerin Beate<br />
Merk, „Menschen, die Angst<br />
vor schweren Schmerzen am<br />
Lebensende haben, ein anderer<br />
Weg aufgezeigt werden als<br />
der schnelle Tod“.<br />
Außerdem hoffe man auf<br />
eine bundesweite Gesetzesinititative<br />
in diese Richtung.<br />
Angesichts der vielen Suizidversuche,<br />
manchmal endloser<br />
Wartezeiten bei Psychotherapeuten<br />
und der immer noch<br />
überschaubaren Zahl an Plätzen<br />
in Hospizen und auf Palliativstationen,<br />
ist zu hoffen,<br />
dass es nicht nur Absichtserklärungen<br />
bleiben, sondern<br />
zeitnah die Realisierung solcher<br />
Zusagen erfolgt.<br />
Passive Sterbehilfe<br />
Schon der Begriff ist missverständlich:<br />
Zwar ist er international<br />
etabliert, dennoch<br />
scheint er für viele missverständlich<br />
und unglücklich<br />
gewählt. Besser und eindeutiger<br />
solle man von „Sterbenlassen“<br />
sprechen. Passive<br />
Sterbehilfe, also das Nichtergreifen<br />
oder Nichtfortführen<br />
lebenserhaltender Maßnahmen,<br />
ist dann zulässig und<br />
damit auch straffrei, wenn die<br />
ärztliche Behandlung das<br />
Recht eines Menschen auf<br />
menschenwürdiges Sterben<br />
verletzen würde.<br />
Hat also ein Mensch eine<br />
Patientenverfügung ausgefüllt,<br />
die richtig, klar und eindeutig<br />
ist, dann ist diese bindend,<br />
ist sie doch Ausdruck<br />
des menschlichen Selbstbestimmungsrechtes.<br />
Dieses<br />
Sterbenlassen, so die Befürworter<br />
der passiven Sterbehilfe,<br />
solle auch den Menschen<br />
ermöglicht werden, die nicht<br />
mehr einwilligungsfähig seien,<br />
bei denen vorbereitende<br />
Gespräche nicht möglich waren<br />
oder keine Patientenverfügung<br />
vorliegt. Die Rechtslage<br />
ist hier nicht eindeutig,<br />
doch zuletzt hat der Bundesgerichtshof<br />
ein Grundsatzurteil<br />
gefällt, in welchem er das<br />
Recht auf ein menschenwürdiges<br />
Sterben gestärkt hat.<br />
In einem solchen Fall muss<br />
der mutmaßliche Patientenwille<br />
ermittelt werden: frühere<br />
mündliche oder schriftliche<br />
Äußerungen des Patienten,<br />
seine religiöse Überzeugung,<br />
seine sonstigen persönlichen<br />
Wertvorstellungen, seine altersbedingteLebenserwartung<br />
und sein Erleiden von<br />
Schmerzen sind die Bausteine,<br />
aus denen dieser mutmaßliche<br />
Wille ermittelt werden<br />
soll. Ärzteorganisationen<br />
empfehlen ihren Mitgliedern,<br />
im Zweifelsfall immer lebenserhaltende<br />
medizinische<br />
Maßnahmen einzuleiten.<br />
thomas multhaup<br />
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