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KURT 04/2017

KURT 04/2017 Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn

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Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn

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„Sir Edward Elgar<br />

war Patriot –<br />

aber er war kein<br />

Nationalist oder<br />

Empire-Chauvinist“<br />

kunst & kultur<br />

» doch beweisen, dass ihr Mann zu Großem<br />

fähig war. Und wie leidenschaftlich Elgar in<br />

seiner Arbeit aufging, zeigen Tagebuch-Einträge<br />

auf: Immer, wenn ein Werk seine Fertigstellung<br />

erreichte, wurde Elgar krank.<br />

Doch mit dem Glauben daran, dass sich<br />

die harte Arbeit eines Tages auszeichnet,<br />

dass das ganze zweckromantische Eremiten-<br />

Gehabe als der Künstler, der den härtesten<br />

Kampf gegen sich selbst zu bestreiten hat,<br />

ein Happy End findet, nahm der Bekanntheitsgrad<br />

Elgars stetig zu. Das England um<br />

die Jahrhundertwende wartete auf einen<br />

großen Komponisten und als Elgar sich aufmachte,<br />

diesem Geifern einen Mordsbraten<br />

vorzusetzen, stürzte sich die Meute nur so<br />

auf seine erste Sinfonie, die über Umwege<br />

zu einem Dauerbrenner wurde: In London<br />

alleine gab es in drei Wochen 17 Aufführungen,<br />

gleichermaßen stand das Publikum<br />

auf den Tischen und lag Elgar zu Füßen. Das<br />

Maximum war erreicht. Elgar war zum Nationalkomponisten<br />

geworden, Elgar war Trend.<br />

An diesem Punkt ist der Blick in die Gegenwart<br />

gerichtet, denn hier setzt Rittmeiers<br />

„Elgar-Freundeskreis“ an. All das, was Elgar<br />

in seinem Leben komponiert hat, jede noch<br />

so kleine Tonspur oder Anekdote, schimmert<br />

in den buntesten Farben, manchmal auch in<br />

Grauschattierungen. Doch bekannt sind nur<br />

die zwei oder drei Evergreens. „Es gibt das<br />

Gefühl, dass es nur ein paar Stücke gibt“,<br />

erklärt Rittmeier, „aber wir wollen die ganze<br />

Spannbreite zeigen.“ Und unser Gifhorn soll<br />

dabei ein Rückhalt sein. Überall in Deutschland<br />

stehen Brieflesungen, Projekte, Biografien<br />

von Sir Edward Elgar an, von Hamburg<br />

nach München und von Köln nach Magdeburg.<br />

Warum also nicht auch in Gifhorn?<br />

Elgar war immer ein Freund Deutschlands,<br />

kam zum Urlaub aufs Festland. Neben der<br />

Region um Worcester, der er immer treu<br />

geblieben ist, war Deutschland vielleicht der<br />

einzige Rückzugsort. Umso tragischer war es<br />

für ihn auch, dass der Erste Weltkrieg nicht<br />

nur einen politischen, sondern auch einen<br />

kulturellen Keil zwischen England und das<br />

Kaiserreich trieb. „Bis 1914 war Elgar ein<br />

Exportschlager“, weiß Rittmeier. Im Namen<br />

von Elgars Großnichte Hilary versucht der<br />

Botschafter nun, das Andenken Sir Edwards<br />

wieder aufleben zu lassen.<br />

Gifhorn zumindest war gebannt, der<br />

Kulturverein wurde zeitversetzt. „Das ist Basisarbeit,<br />

sie ist schneller und unkomplizierter“,<br />

sagt Wolfgang-Armin Rittmeier, der<br />

sich deswegen auch gerne ein weiteres Mal<br />

in Gifhorn blicken lassen möchte. Folgeveranstaltungen<br />

wurden bereits an anderen Orten<br />

abgehalten. Für unsere Mühlenstadt ist<br />

es daher nur eine Frage der Zeit, bis sie zur<br />

Elgar-Stadt werden könnte.<br />

Wolfgang-Armin Rittmeier aus Päse ist<br />

einer der besten Kenner des Komponisten<br />

Sir Edward Elgar. Er ist Preisträger<br />

der Elgar Society und baut zurzeit<br />

den Elgar-Freundeskreis in Deutschland<br />

auf. <strong>KURT</strong>-Mitarbeiter Malte<br />

Schönfeld sprach mit ihm über zeitgenössische<br />

Hipster, über Elgars Eingang<br />

in den Matrix-Soundtrack – und<br />

darüber, dass die Musik alles andere<br />

als blinder Hurra-Patriotismus ist.<br />

<strong>KURT</strong>: Wenn ich mir Bilder von Sir Edward<br />

Elgar anschaue, sehe ich einen Bohème,<br />

einen Dandy. Ist er ein zeitgenössischer<br />

Hipster?<br />

Rittmeier: In gewisser Weise war Elgar<br />

hip, so viel kann man sagen. Er hatte ein<br />

Auge für den Markt und wusste sehr genau,<br />

was beliebt oder gefragt war. Er trat<br />

sehr individuell auf. Vielleicht nennen wir<br />

ihn einen Spiegel seiner Zeit.<br />

<strong>KURT</strong>: Ärgert es Sie, dass Menschen des<br />

jüngeren Jahrgangs oftmals nicht die<br />

originale Musik Edward Elgars kennen,<br />

sondern nur die Remixe? Seine „Enigma-<br />

Variationen“ waren mir selbst zum Beispiel<br />

bisher nur über den Matrix-Soundtrack<br />

„Clubbed To Death“ bekannt.<br />

Rittmeier: Nein, das verärgert mich relativ<br />

wenig. Ganz im Gegenteil: Wenn einem<br />

das Stück bekannt vorkommt, und man<br />

dann über Google zum Komponisten Elgar<br />

findet, dann ist das doch super. Dass<br />

er rezipiert wird, zeigt ja nur, dass Elgar<br />

das Jahr 1914 (Anmerkung: Ausbruch des<br />

Ersten Weltkriegs) überlebt hat.<br />

<strong>KURT</strong>: Betrachtet man Elgars Werke, die<br />

er als moralische Unterstützung für die<br />

Front-Bataillone geschrieben hat, oder den<br />

„Pomp and Circumstance March No. 1“,<br />

entsteht der Eindruck eines waschechten<br />

Patrioten. Hätte Edward Elgar im vergangenen<br />

Jahr für den Brexit gestimmt?<br />

Rittmeier: Die Musik Elgars ist alles,<br />

aber kein Hurra-Patriotismus. Das zu sagen,<br />

wäre Stuss. Er hat die sogenannte<br />

War-Music geschrieben und gilt wie bei<br />

uns Haydn als Nationalkomponist, aber<br />

daneben fasst Elgars Werk noch viel mehr.<br />

Er war Patriot, ja, im Sinne von naturverbunden<br />

oder heimatverbunden nach<br />

Worcester. Aber er war kein Nationalist<br />

oder Empire-Chauvinist, wenn man sich<br />

das große Ganze anschaut. So wollte er<br />

zum Beispiel auch den Krieg mit Deutschland<br />

nicht wahrhaben. Elgar wäre kein<br />

Brexit-Kandidat gewesen.

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