COMPACT SPEZIAL 9 "Zensur in der BRD"

COMPACTSpezial
_ Zensur in der Presse
oft auch keine Kita, kein Schwimmbad und keine
warme Wohnung mehr leisten können», schrieb er
über den Senat von SPD und Linkspartei.
Weil die scharfe Polemik des Chefkommentators
in der Leserschaft durchaus einigen Rückhalt
hatte und er damals auch noch auf gutem Fuß mit
Oskar Lafontaine stand, scheute der Geschäftsführer
zunächst vor personellen Konsequenzen zurück.
Doch im Januar 2008 wurde der Druck der politisch
Korrekten zu stark. Ausschlaggebend war ein
Kommentar, in dem Elsässer zu der sich abzeichnenden
Weltwirtschaftskrise Stellung genommen
hatte: «In dieser Situation werden sich nur noch
Besserverdienende für den postmodernen Schnullipulli
– Ökologie, Feminismus, offene Grenzen,
Klimaschutz – begeistern können. Auch der simple
Klassenkampf der ewigen Trotzkisten wird nur
eine kleine Minderheit ansprechen. Denn schon
der Daimler-Facharbeiter und erst recht der Mittelständler
rechnen sich gar nicht zum Proletariat.
Notwendig wäre vielmehr eine Politik für alle (so
ein Buchtitel Lafontaines), das heißt, ein Programm
zum Schutz der Volkswirtschaft vor den Stürmen
der Globalisierung. Ein wichtiges Element davon
wäre der Neuaufbau einer nationalen Energiebasis.
Wolfgang Clement hat durchaus recht, wenn er
den kohlefeindlichen Kurs der Hessen-SPD angreift
– er hätte nur dazusagen sollen, dass schon im
Kabinett Schröder mit ihm als Wirtschaftsminister
das Todesurteil über die Bergwerke gesprochen
wurde. Hat die Linke den Mut, ihre Wiederöffnung
zu fordern? Oder wartet sie, bis der Ölpreis auf 200
Euro pro Barrel steigt?» Gegen die Schnullipullis,
gegen die Trotzkisten, gegen die Klimaschwindler
– damit hatte das Enfant terrible zuviele Heilige
Kühe auf einmal geschlachtet, zu viele für die
Kühe und Ochsen in der Jungen Welt jedenfalls.
Kontroverse um das «Ermächtigungsgesetz»
Im Neuen Deutschland ging es zunächst
gemächlich zu. Zu Chefredakteur Jürgen Reents
hatte Elsässer ein persönlich gutes Verhältnis, er
war in dessen Sturm- und Drangjahren im Kommunistischen
Bund (KB) sein Politkommissar («Anleiter»)
gewesen. Reents kannte auch dessen Sündenregister
bei der Jungen Welt, aber wollte das
reichlich verschlafene ND wohl mit seiner spitzen
Feder etwas anstacheln. Dass nicht zu tief gestochen
werden sollte, erfuhr Elsässer jedoch nach
kaum vier Wochen: «Im April 2008 bezeichnete ich
den Vertrag von Lissabon in einem Kommentar als
"Ermächtigungsgesetz" – den Terminus musste ich
streichen, das sei Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Außerdem durfte ich mich in der Kritik der
EU nicht auf den Verfassungsrechtler Karl Albrecht
Schachtschneider beziehen, da der angeblich einen
Vortrag für die NPD gehalten hatte. Mein Hinweis,
dass Schachtschneider einer Einladung des Sächsischen
Landtages gefolgt war und er diese aufgrund
seines Arbeitsvertrages als Professor des
Freistaates Bayern nicht ablehnen konnte, obwohl
die Einladung von der NPD-Fraktion angeregt worden
war, stieß auf taube Ohren», erinnert sich der
Journalist.
Das Aus kam dann, als Elsässer im Januar 2009
– mittlerweile war die Wirtschaftskrise voll ausgebrochen
– zur Gründung einer «Volksinitiative
gegen das Finanzkapital» aufrief. In der Einladung
formulierte er: «Die aktuell einsetzende Depression
ist Ergebnis eines bewussten Angriffs des anglo-amerikanischen
Finanzkapitals auf den Rest der
Welt.(…) Hauptaufgabe der Linken ist der Aufbau
einer Volksfront, die das national bzw. "alt-europäisch"
orientierte Industriekapital einschließt. Die
Reduktion auf Klassenkampf ist sektiererischer
Unsinn.»
«Nur Besserverdienende begeistern
sich für postmodernen
Schnullipulli wie Ökologie, Feminismus,
offene Grenzen.»
Elsässer 2008
Die NPD lobte ihn eilfertig als «Eisbrecher»
für eine neue Bewegung, beim ND schrillten die
Alarmglocken. Es nützte ihm nichts, dass er auf
der Gründungsveranstaltung der «Volksinitiative»
gleich zu Anfang grundsätzlich mit NPD, DVU und
anderen abrechnete, die «im blutigen Sumpf der
Vergangenheit» steckten. Bereits zwei Tage nach
der Verantaltung war die Kündigung perfekt. Zum
ersten Mal seit dem Ende der DDR hatte das
einstige Zentralorgan einen Mitarbeiter aus politischen
Gründen gefeuert, und – da Elsässer doch
einige Freunde in der Leserschaft hatte – zum
ersten Mal musste eine Personalie im Blatt begründet
werden: Er sei zwar kein Rechter, hieß es
da, hätte aber von rechts «gedankliche Anleihen»
genommen…
Nach dem Rauswurf bei JW und ND brachte
Elsässer auch beim Freitag und im Internetportal
Telepolis, für die er gelegentlich geschrieben hatte,
keine Beiträge mehr unter. Aus der Not machte
er eine Tugend und gründete zusammen mit dem
Verleger Kai Homilius das Monatsmagazin COM-
PACT. Die Nullnummer erschien im Dezember 2010.
«Nicht links, nichts rechts, sondern vorn», war die
neue, die zukunftsweisende Orientierung.
Elsässer bei einer Buchlesung für
die Linkspartei in Bremen, 2009.
Foto: Die Linke
_ Karel Meissner war Volontär
bei COMPACT und lebt heute in
Birmingham.
Verbotene Wörter
«Was verboten ist, macht uns
gerade scharf. In Zeiten der Krise
versuchen die Regierenden,
ihre Untertanen stärker zu kontrollieren.
Früher machten sie
das mit plumper Zensur, heute
wollen sie vor allem unsere
Kommunikation beherrschen:
Krieg heißt Frieden, Sklaverei
wird Freiheit genannt und Unwissenheit
als Stärke gerühmt.
Indem man die Sprache verarmt,
schränkt man das Denken
ein und macht Kritik zahnlos:
Wer ein Wort wie "Volk" ausmerzt,
verhindert eine Diskussion
um die Weiterentwicklung
der Demokratie, die ohne diesen
Grundbegriff nicht vorstellbar
ist. Wer den Begriff "Konzentrationslager"
auf die deutsche
Vergangenheit beschränkt, wird
die Realität von Abu Ghraib und
Guantanamo nicht beschreiben
können. Wer vom "Zionismus"
nicht reden darf, muss auch vom
Faschismus schweigen.»
(Aus Jürgen Elsässers Editorial
zur Buchreihe COMPACT im
Frühjahr 2009, aus der sich später
das Monatsmagazin COM-
PACT entwickelte).
Partner seit 2009: Kai Homilius und
Jürgen Elsässer. Foto: COMPACT
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