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08/2017

Fritz + Fränzi

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Monatsinterview<br />

>>> schen bedeutet. Sie haben<br />

offen gesagt, dass die Ehe eine «Quelle<br />

des Verdrusses» für die Beteiligten<br />

sei, aber dass sie «Bürgerpflicht» sei<br />

«Schon die Römer<br />

sagten, die Ehe sei<br />

eine Quelle des<br />

Verdrusses für alle<br />

Beteiligten.»<br />

und man sie für das Funktionieren<br />

von Politik und Gesellschaft eben<br />

brauche. Damit wird klar, dass das<br />

Wohl zweier Menschen nie im Vordergrund<br />

gestanden hat, wenn es um<br />

Heirat ging. Trotzdem sind wir der<br />

Idee bis heute verfallen.<br />

Romantische Liebe ist eine Illusion?<br />

Ja. Dabei sollten wir erkennen, dass<br />

sie die Ausnahme ist. Das Perfide<br />

daran ist, dass man es heute als Norm<br />

darstellt. Das finde ich den jungen<br />

Menschen gegenüber besonders problematisch.<br />

Warum?<br />

Weil man ihnen eintrichtert, dass ihr<br />

Lebensglück mit einem anderen<br />

Menschen verknüpft ist. Wir glauben,<br />

dass es irgendwo da draussen<br />

einen Menschen gibt, der perfekt zu<br />

uns passt. Mit dem es keinen Streit,<br />

keine Konflikte gibt. In den USA sagt<br />

man: «It wasn’t the right one.» Das<br />

heisst, man stellt den Menschen in<br />

Frage, nicht das Ideal, dem man aufsitzt.<br />

Die Menschen suchen etwas,<br />

das es nicht gibt, und verzweifeln an<br />

der Realität.<br />

Nun gibt es wenig Alternativen zur<br />

Ehe oder Lebensgemeinschaft.<br />

Die Partnerschaft wird häufig als<br />

Ersatz für fehlende emotionale<br />

Zuwendung durch die Herkunftsfamilie<br />

gelebt. Das heisst, dass der<br />

Mangel an lebbaren Alternativen<br />

zum Glauben an die Paarbildung als<br />

einzige Glücksverheissung führt.<br />

Und die Kleinfamilie gilt als<br />

unumstössliches Idyll.<br />

Ja, und darunter leiden Männer wie<br />

Frauen. Und hier kommen wir zur<br />

zweiten Problematik, die ich angesprochen<br />

habe, nämlich der, dass<br />

Kinder in der Familie über 10 bis 20<br />

Jahre lang sicher aufwachsen sollen.<br />

Das kann aber gar nicht gelingen,<br />

weil zwei Personen einfach nicht<br />

genug dafür sind. Im Grunde sind<br />

alle Beteiligten überfordert.<br />

Sie haben die Vereinbarkeitsdebatte<br />

geprägt. Was verstehen Sie darunter?<br />

Wunsch und Wirklichkeit liegen so<br />

weit voneinander entfernt. Hier sollen<br />

zwei per se divergierende soziale<br />

Systeme – das des Arbeitsmarkts<br />

und das der Familie – klaglos miteinander<br />

vereinbart werden.<br />

Wie ist das zu verstehen?<br />

Der kontinuierlichen Fürsorge,<br />

emotionalen Zuwendung und<br />

Betreuung von Familienangehörigen,<br />

also dem Familienbereich, steht<br />

eine auf Flexibilität, Leistung und<br />

Effizienz abgestimmte Arbeitswelt<br />

gegenüber.<br />

Wie kamen Sie auf das Thema der<br />

Mütter in Ihrer Forschung?<br />

Dazu zu forschen begann ich, als ich<br />

feststellte, dass der Leidensdruck der<br />

Mütter enorm ist. Das habe ich über<br />

die Jahre auch bei den Reaktionen<br />

auf meine Vorträge bestätigt bekommen.<br />

Irgendwann habe ich begriffen,<br />

dass das Leiden strukturell bedingt<br />

ist. Dem wollte ich nachgehen und<br />

den Müttern ihr schlechtes Gewissen<br />

nehmen.<br />

Die Schuldgefühle von Müttern sind<br />

systembedingt?<br />

Ich lebe in den USA, und hier gibt<br />

es mittlerweile den Ausdruck der<br />

«mummy wars». Er beschreibt die<br />

Konkurrenz zwischen Frauen um<br />

die noch bessere Mutterschaft. Man<br />

muss das Kind heute von klein auf<br />

fördern, in alle möglichen Kurse<br />

schicken. Das ist die neue, moderne<br />

Form des Drucks auf Mütter. Der<br />

Ruf, eine schlechte Mutter zu sein,<br />

war immer schon eine sehr wirksame<br />

Sanktionsandrohung. Keine Frau<br />

will eine schlechte Mutter sein – das<br />

hat auch der Feminismus nicht geändert.<br />

Und die Frau wird alles tun, um<br />

dieser Drohung zu entgehen.<br />

Das Pendant des schlechten Vaters<br />

gibt es nicht?<br />

Zumindest nicht in dieser Form. Die<br />

Mütter sind immer schuld. Sie werden<br />

als Schuldige identifiziert, wenn<br />

sie durch Überforderung bei der<br />

Erziehung ihrer Kinder – in mancher<br />

Hinsicht – versagen, zum Beispiel<br />

bei Essstörungen oder Schulproblemen.<br />

Väter können etwa als Manager<br />

am Ende ihrer Karriere immer noch<br />

sagen: Ich habe meine Kinder wegen<br />

des Berufs kaum gesehen. Man stelle<br />

sich vor, eine Frau sage, sie habe<br />

sich leider nicht um ihre Kinder<br />

kümmern können. Trotzdem wird<br />

Frauen heute suggeriert, sie könnten<br />

alles haben. Mütter müssen sexy,<br />

erfolgreich und immer für die Kinder<br />

da sein. Das hat eine totale<br />

Erschöpfung zur Folge. Ich nenne<br />

das die «Vereinbarkeitslüge». Ob als<br />

Hausfrau, Teilzeit- oder Vollzeitberufstätige,<br />

immer stolpert sie in die<br />

«Mutterfalle», weil Mutterschaft und<br />

Existenzsicherung einander ausschliessen.<br />

Und auch, weil Männer<br />

immer noch weit mehr verdienen.<br />

«Frauen wird<br />

suggeriert, sie<br />

könnten alles haben.<br />

Das hat eine totale<br />

Erschöpfung zur<br />

Folge.»<br />

Mütter bleiben als Hausfrauen ab ­<br />

hängig, als Teilzeitberufstätige sind<br />

sie auf weitere Einkommen durch<br />

den Staat oder den Ehemann angewiesen<br />

und als Vollzeitberufstätige<br />

dauererschöpft.<br />

Manche leben sich im Mutterdasein<br />

aus.<br />

34 August <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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