08/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Kolumne<br />
«Was soll ich machen,<br />
wenn ich traurig bin?»<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter<br />
und eines Sohnes, lebt in Biel<br />
und schreibt regelmässig für<br />
das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere<br />
Schweizer Medien.<br />
Was soll ich machen, wenn ich traurig bin?» Die Frage kam<br />
etwas unvermittelt, aber meine Tochter hatte sie gestellt,<br />
und nun schaute sie mich fragend an. In ihrem Gesicht<br />
konnte ich nicht eindeutig erkennen, ob es sich um eine<br />
klinische Depression handelte, einen frühen Liebeskummer<br />
oder einfach um jene bodenlose Traurigkeit, die uns Menschen in den<br />
merkwürdigsten Momenten anfällt wie ein böser Hund. Ich schluckte. Zu dem<br />
Schock, dass es meinem Kind schlecht gehen könnte, gesellte sich schleichend<br />
die ungute Einsicht, dass ich, im fortgeschrittenen Alter von 40 Jahren, noch<br />
immer nicht weiss, was Traurigkeit lindert.<br />
Vor vielen Jahren hatte ich der österreichischen Schriftstellerin Friederike<br />
Mayröcker die gleiche Frage gestellt. Sie war damals tief in der Trauerarbeit<br />
um ihren verstorbenen Lebenspartner Paul Jandl versunken und hatte mit<br />
«Und ich schüttelte einen Liebling» so etwas wie eine persönliche Erinnerung,<br />
einen Nachruf auf Jandl verfasst. Das Buch war ihr Versuch, das Unsagbare<br />
in Worte zu kleiden und ihm so den Schrecken zu nehmen. Ich sass damals in<br />
einem Wiener Kaffeehaus der alten, gebückten Dame gegenüber und fragte sie:<br />
«Was lindert die Trauer?»<br />
Sie überlegte lange, und dann sagte sie: «Gehen. Sehr rasch und viel gehen.<br />
Das ist gut, wenn man einen grossen Schmerz hat. So kann man den überbrücken.»<br />
Ich verstand auf Anhieb. Auch mir hat Gehen in so manch dunkler Stunde<br />
geholfen. Paradoxerweise endet beim Gehen das Grübeln und beginnt das<br />
Denken. Und wer richtig weit läuft, bei dem hört beides auf. Besonders<br />
gut geht es sich übrigens in Grossstädten, denn wie viel Kümmernisse du<br />
auch mit dir herumträgst, so genügen doch oft nur wenige Schritte, um auf<br />
jemanden zu stossen, der im Spiel des Lebens noch schlechtere Karten gezogen<br />
hat als du.<br />
Gleichzeitig ist das kein Ratschlag für eine Zehnjährige. Also fragte ich sie:<br />
«Was machst du, wenn du traurig bist?»<br />
Sie dachte kurz nach, dann sagte sie: «Ich weine. Dann gehe ich zu dir oder<br />
zu Mamma. Und dann mache ich etwas, was mir Spass macht.»<br />
Sie schaute mich an und schaute dann auf ihre Uhr: Es war 14 Uhr, sie<br />
musste zum Zirkus. Also sprang sie auf, küsste mich und rannte zur Tür<br />
hinaus.<br />
Ich schaute ihr aus dem Fenster hinterher und hatte ihre Worte im Kopf:<br />
Gefühle zulassen; Leute suchen, bei denen du dich aufgehoben fühlst; Dinge<br />
tun, die dir etwas bedeuten. Das waren ziemlich gute Ratschläge. Plötzlich<br />
drehte sie sich um und winkte mir. Ich winkte zurück und dachte bei mir, dass<br />
sie für eines der grossen Rätsel des Lebens deutlich weniger Zeit gebraucht<br />
hatte als ich.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
August <strong>2017</strong>67