Zeitschrift des Tiroler Jägerverbandes Oktober 2010 • Jahrgang 62 ...
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Belletristik<br />
lich her? Ich hatte es eilig zurück in die Hütte,<br />
öffnete das westseitige Fenster und richtete<br />
das Spektiv auf den Hirsch ein. Wieder<br />
legte er sein Haupt zurück und wie in unzählig<br />
gemalten Bildern drang der weiße<br />
Atemrauch aus seinem weitgeöffneten Äser<br />
und ein lang gezogener Röhrer hallte durch<br />
den Klöpper, dem ein paar kurze zornige<br />
Kampfrufe folgten. Ein ungerader Vierzehn-<br />
ender war es, durch die Nässe erschienen<br />
die Stangen und Enden vor dem weißen<br />
Schneehintergrund besonders klobig und<br />
stark. Das weit ausgelegte Geweih ging mit<br />
seinen langen Kronenenden oben wieder<br />
bis auf zwei Handlängen zusammen. Ein<br />
unzweifelhaft alter Hirsch stand da bei den<br />
Klöppertieren und ich hatte keine Ahnung,<br />
woher er plötzlich zugewandert war.<br />
Nur eines wusste ich genau! Gesehen hatte<br />
ich den Hirsch vorher noch nie! Im steilen<br />
und unzugänglichen Klöpper war dem<br />
Hirsch nicht beizukommen. Aber wohin<br />
würde das Rudel in der Nacht ziehen? Es war<br />
kaum zu hoffen, dass es vom Klöpper in den<br />
Hochtalgrund und auf <strong>des</strong>sen Bergwiesen<br />
wechselte, da auf ihnen eine geschlossene<br />
Schneedecke lag. Vielleicht, wahrscheinlich<br />
sogar, zogen die Tiere durch den Hochwald<br />
weit hinunter bis in die schneefreien, grüngrasigen<br />
Talwiesen. Aber was dann? Zu<br />
viele Möglichkeiten und Wechsel gab es für<br />
das Wild, in den Morgen- und Vormittagsstunden<br />
wieder zurück in den Klöpper zu<br />
wechseln. Nein, ich musste mich mehr auf<br />
den Alten mit der abgrundtiefen rostigen<br />
Stimme im Bergwald hinten konzentrieren.<br />
Ihn hatte ich zwar noch nicht zu Gesicht bekommen,<br />
kannte – außer seiner gewaltigen<br />
Stimme – nichts von ihm, aber ich hatte das<br />
Gefühl, dass es ein Besonderer, ein Alter,<br />
ein Begehrenswerter war!<br />
Gewaltige Stimme<br />
Den gekörbelten Vierzehnender vom Klöpper<br />
hätte ich auch gerne geschossen, aber<br />
die Chance, an ihn heranzukommen, war<br />
gering. Als es zu dämmern begann und das<br />
Licht zum Schauen mit dem Spektiv nicht<br />
mehr ausreichte, schloss ich das Hüttenfenster,<br />
legte Holz im Ofen nach, entzündete<br />
eine Kerze und schenkte mir eine Tasse<br />
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Glühwein ein. Es gab für mich nun genug<br />
Kopfarbeit, was und wie ich es am kommenden<br />
Morgen angehen sollte. Schlussendlich<br />
reihten sich meine ganzen Überlegungen<br />
und Pläne zu einem Entschluss zusammen<br />
– nämlich erst einmal darüber zu schlafen,<br />
und beim Munterwerden würde mir dann<br />
schon das Richtige einfallen. Ich goss mir<br />
noch eine Tasse <strong>des</strong> köstlich duftenden<br />
Getränkes nach und in wohliger Behaglichkeit<br />
dachte ich über mich und andere<br />
und grundsätzlich über die Sinnfragen <strong>des</strong><br />
Lebens nach, über Jugend und Alter, über<br />
Wertigkeiten, die sich im Laufe eines Lebens<br />
immer wieder ändern, über das Maß<br />
der Zeit und über Dummheiten, die man<br />
begangen hat und begeht und sie als solche<br />
erkannt hat und erkennt und sie trotzdem<br />
durch den angeborenen und erziehungsintensivierten<br />
Wesenszwang immer wieder<br />
begeht. Nobody is perfect, niemand von<br />
jedweglicher Variante der Dummheit verschont,<br />
und der Mitmensch erkennt das<br />
Dümmliche am anderen schneller und klarer<br />
als an sich selbst.<br />
Wie viel Zeit im Leben geht allein dadurch<br />
verloren, dass man sich über Leistung, Prestige<br />
und Konsum definiert, irgendwelchen<br />
Ansprüchen nachhechelt und nie genug<br />
hat. Wie dumm, dass man manchmal die<br />
Zufriedenheit als Stillstand empfindet. Und<br />
wie schwer fällt es einem oft, das Leben<br />
als Geschenk anzunehmen, sich über seine<br />
Vielfalt zu freuen, dem Bewusstsein der<br />
Endlichkeit die Gelassenheit für das Hier<br />
und Jetzt abzugewinnen. Mit schwer werdenden<br />
Lidern verkroch ich mich in eines<br />
der vier Stockbetten. Nach anfänglichem<br />
Tiefschlaf wachte ich in der Folge immer<br />
wieder auf und dabei vernahm ich von der<br />
gegenüberliegenden Paznauntalseite dröhnende<br />
Hirschstimmen. Später, als ich dann<br />
am spärlich einfallenden Lichtschimmer<br />
durch die Hüttenfenster bemerkte, dass es<br />
zu tagen begann, stand ich schleunigst auf.<br />
Der Horizont hinter den Ostbergen bräunte<br />
sich schon, als ich vor die Hütte in den harschig<br />
gefrorenen Schnee trat. Kein Laut,<br />
nicht eine einzige Hirschstimme – auch<br />
nicht auf der anderen Talseite – war jetzt zu<br />
hören. War das ganze Rotwild von beiden<br />
Talseiten bis tief auf die Talwiesen hinuntergezogen<br />
und ich hier heroben am Berg am<br />
Walter Beutler<br />
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Jagd in Tirol 10/<strong>2010</strong><br />
Fax: 0512 / 26 40 70