MTD_DDG_2017_12
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diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. <strong>12</strong> · 20. Dezember <strong>2017</strong><br />
Forum Literatur<br />
31<br />
Lohnt sich der Aufwand?<br />
Lebensstilinterventionen bei Typ-2-Diabetes auf dem Prüfstand<br />
KOPENHAGEN. Können Patienten mit Typ-2-Diabetes durch<br />
eine Lebensstilintervention ihren Blutzucker stabil halten und ist<br />
dies einer entsprechend dosierten medikamentösen Standardbehandlung<br />
sogar ebenbürtig? Bzw. inwieweit lässt sich durch<br />
eine gesunde Lebensweise die glukosesenkende Medikation<br />
verringern? Eine randomisierte, gutachterverblindete Studie<br />
suchte nun nach Antworten.<br />
Zwar deuten Studien wie Look<br />
AHEAD an, dass bei Menschen<br />
mit Typ-2-Dia betes<br />
ein veränderter Lebensstil das HbA 1c<br />
und die glukosesenkende Medikation<br />
reduzieren kann. Allerdings wird<br />
die klinische Relevanz des Ergebnisses<br />
aufgrund des Studiendesigns<br />
und des nicht erreichten Endpunktes<br />
– der Reduktion kardiovaskulärer<br />
Ereignisse – von manchen<br />
Wissenschaftlern infrage gestellt.<br />
Beispielsweise war die zielgerichtete<br />
Regulierung von glukosesenkenden<br />
Durchaus eine<br />
Herausforderung:<br />
5- bis 6-mal pro<br />
Woche Sport und<br />
strenge Diät.<br />
Foto: iStock/Gelpi<br />
Mitteln nicht verblindet und somit<br />
subjektiv.<br />
In einer dänischen Studie erhielten<br />
nun 98 nicht-insulinpflichtige Typ-<br />
2-Diabetes-Patienten eine Standardbehandlung<br />
mit individueller<br />
Beratung und einer standardisierten,<br />
verblindeten, zielgerichteten medizinischen<br />
Behandlung. 64 von ihnen<br />
absolvierten zusätzlich pro Woche<br />
5–6 Einheiten Ausdauertraining von<br />
30–60 Minuten Dauer, kombiniert<br />
mit 2–3 Einheiten Krafttraining.<br />
Zudem wurden diese Patienten angehalten,<br />
sich einem Diätplan entsprechend<br />
zu ernähren – das Ziel:<br />
ein BMI von ≤ 25 kg/m². Zu Studienbeginn<br />
betrug das gemittelte<br />
Alter der Teilnehmer 54,6 Jahre, der<br />
Typ-2-Diabetes wurde bei ihnen vor<br />
weniger als 10 Jahren diagnostiziert.<br />
Der gemittelte HbA 1c -Wert lag in der<br />
Interventionsgruppe bei 6,65 % und<br />
in der Kontrollgruppe bei 6,74 %.<br />
Der primäre Endpunkt konnte<br />
nicht erreicht werden<br />
Nach einem Jahr war das HbA 1c in<br />
der Lebensstilinterventionsgruppe<br />
auf gemittelt 6,34 % gesunken.<br />
In der Kontrollgruppe wurde ein<br />
Wert von 6,66 % gemessen. Dies<br />
entspricht einem Unterschied von<br />
-0,26 Prozentpunkten zwischen den<br />
beiden Gruppen bei einem 95%-KI<br />
von -0,52 bis -0,01 Prozentpunkten.<br />
Allerdings konnte damit bei einem<br />
zuvor festgelegten Äquivalenzbereich<br />
von ± 0,4 Prozentpunkten<br />
keine Gleichwertigkeit der beiden<br />
Behandlungsarme belegt werden<br />
(p = 0,15).<br />
Aber: Deutlich weniger<br />
Medikation notwendig<br />
Dahingegen waren die Ergebnisse<br />
für das sekundäre Outcome signifikant:<br />
Eine Reduzierung der<br />
glukosesenkenden Medikation erzielten<br />
47 Teilnehmer der Interventionsgruppe,<br />
sprich 73,5 %. In der<br />
Kontrollgruppe waren es nur 9 Personen<br />
(26,4 %). Der Unterschied<br />
zwischen den Gruppen betrug somit<br />
47,1 Prozentpunkte (95%-KI;<br />
28,6–65,3; p < 0,001). Die Studienautoren<br />
heben hervor, dass dies ein<br />
bedeutend höherer Effekt als in der<br />
Look AHEAD-Studie ist (73,5 % vs.<br />
7,8 %).<br />
Insgesamt betrachtet konnte zwar<br />
somit keine Gleichwertigkeit der<br />
beiden Behandlungsarme belegt<br />
werden, doch fanden sich Hinweise<br />
Expertenkommentar<br />
Weiterer Beleg für die Wirksamkeit<br />
der Lebensstilintervention<br />
Die Studie von Johansen et al.<br />
lässt die Schlussfolgerung zu, dass<br />
eine intensive Lebensstilintervention<br />
die Blutzuckerkontrolle<br />
verbessert: Bei fast drei Vierteln<br />
der Teilnehmer konnte die blutzuckersenkende<br />
Medikation reduziert<br />
werden. Dass die Senkung<br />
des HbA 1c -Werts (immerhin um<br />
0,26 Prozentpunkte bei einem<br />
Ausgangswert von 6,65 %) nicht<br />
signifikant war, dürfte an dieser<br />
Reduktion der Medikation und<br />
auch an der relativ kleinen Zahl<br />
von 98 Probanden liegen.<br />
Hervorzuheben ist<br />
zudem, dass der Effekt<br />
in einer Population<br />
von Patienten mit bereits<br />
lange bestehendem<br />
Dia betes sichtbar war<br />
(bis zu 10 Jahre). Der<br />
Beobachtungszeitraum<br />
der Studie war mit einem<br />
Jahr relativ kurz.<br />
Ein Follow-up wird<br />
deshalb die Frage beantworten<br />
müssen, wie<br />
Prof. Dr. Dr.<br />
Hans-Georg<br />
Joost<br />
DIfE<br />
Potsdam-Rehbrücke<br />
Foto: Till Budde<br />
viele der Teilnehmer die aufwendige<br />
Intervention, 5–6 Besuche<br />
des Fitness-Studios pro Woche,<br />
dauerhaft durchhalten.<br />
Die Studie ist als weiterer Beleg<br />
für die Wirksamkeit der Lebensstilintervention<br />
zu werten. Allerdings<br />
hatte die Post-hoc-Analyse<br />
der Look AHEAD-Studie (Gregg<br />
et al., Lancet Diabetes Endocrinol.<br />
2016) gezeigt, dass nur diejenigen<br />
Patienten, die ihr Gewicht durch<br />
die Intervention nachhaltig reduzierten,<br />
ihr kardiovaskuläres Risiko<br />
signifikant gesenkt<br />
hatten.<br />
Laufende und zukünftige<br />
Studien werden<br />
sich nun darauf konzentrieren,<br />
die Responder<br />
früh zu identifizieren<br />
sowie Strategien<br />
»Strategien zur Verbesserung der<br />
Nachhaltigkeit entwickeln«<br />
zur Verbesserung der<br />
Nachhaltigkeit von Lebensstilintervention<br />
zu<br />
entwickeln.<br />
Prof. Dr. Dr.<br />
Hans-Georg Joost<br />
auf eine Überlegenheit der Lebensstilintervention.<br />
Die Autoren schlagen<br />
daher weitere Studien mit einem<br />
angepassten Design vor, die eine<br />
mögliche Überlegenheit, die Verallgemeinbarkeit<br />
und die Dauerhaftigkeit<br />
der Lebensstilveränderungen bei<br />
der Behandlung von Typ-2-Diabetes<br />
überprüfen. Dr. Judith Besseling<br />
Johansen MY et al. JAMA <strong>2017</strong>; 318: 637–646<br />
Spontan aktiv sein trotz Typ-1-Diabetes<br />
Closed-Loop-System wurde auf Alltagstauglichkeit geprüft<br />
LJUBLJANA. Ist ein Closed-Loop- im<br />
Gegensatz zu einem Open-Loop-<br />
System besser geeignet, um spontane<br />
körperliche Anstrengungen abzupuffern?<br />
Dieser Frage gingen slowenische<br />
Forscher nach, die trotz negativem<br />
Endpunkt positiv gestimmt sind.<br />
Sportliche Aktivitäten können<br />
den Insulinbedarf von Patienten<br />
mit Typ-1-Diabetes kurzfristig<br />
stark ändern. V.a. bei Kindern und<br />
Jugendlichen ist es schwierig, diesen<br />
Anpassungen immer gerecht zu<br />
werden. Ein Closed-Loop-System<br />
soll ermöglichen, auf den Insulinbedarf<br />
präziser reagieren zu können.<br />
Wissenschaftler des Universitätskrankenhauses<br />
Ljubljana haben die<br />
Sicherheit und Wirksamkeit einer<br />
»Aktivität oder<br />
Snacks nicht<br />
vorher gemeldet«<br />
Closed-Loop-Insulinabgabe während<br />
und nach körperlicher Aktivität<br />
randomisiert und kontrolliert getestet.<br />
Erstmals, schreiben die Autoren,<br />
wurde dem System dabei weder die<br />
Aktivitätsphase noch die Einnahme<br />
von Snacks vorher signalisiert.<br />
Das getestete Open-Loop-System<br />
bestand aus einer Insulinpumpe,<br />
einem subkutanen Glukosesensor<br />
und einem Blutzuckermessgerät. Zusätzlich<br />
wurde beim Closed-Loop-<br />
System über einen Algorithmus, der<br />
die gemessenen Glukosewerte nutzt,<br />
die Insulinabgabe gesteuert.<br />
Die randomisierte, offene Crossover-<br />
Studie wurde mit 20 jugendlichen<br />
Typ-1-Diabetes-Patienten durchgeführt.<br />
Alle waren erfahrene Nutzer<br />
einer Insulinpumpe.<br />
Signifikant mehr Zeit im<br />
Glukosezielbereich<br />
Ein Testprotokoll bestand aus einer<br />
moderaten körperlichen Aktivität<br />
durch 40-minütiges Radfahren auf<br />
einem Ergometer. Für einen zweiten<br />
Versuchslauf wurden hochintensive<br />
Sprints von jeweils 20 sec in einem<br />
Intervall von 6–10 min integriert.<br />
Alle Teilnehmer testeten sowohl das<br />
Closed-Loop- als auch das Open-<br />
Loop-System mit beiden Protokollen.<br />
Der primäre Endpunkt war als Veränderung<br />
im Hypoglykämiebereich<br />
unter 60 mg/dl während und nach<br />
dem Sport definiert. Der Endpunkt<br />
wurde nicht erreicht, da mit beiden<br />
Systemen median 0,00 % der Zeit<br />
in einer Hypoglykämie verbracht<br />
wurde (p = 0,7910). Das negative<br />
Ergebnis könnte aber auch der<br />
geringen Probandenzahl und dem<br />
Studiendesign geschuldet sein, so<br />
die Forscher.<br />
Die Zeit im Glukosezielbereich zwischen<br />
70 und 180 mg/dl während<br />
und 4 h nach dem Sport wurde bei<br />
Gebrauch des Closed-Loop-Systems<br />
mit beiden Protokollen erhöht. Median<br />
stieg die Zeit um 15,4 Prozentpunkte<br />
auf 84,1 % (p = 0,0057).<br />
Dieses Ergebnis war auch deshalb erfreulich,<br />
da insgesamt weniger Insulin<br />
verabreicht wurde (p = 0,0<strong>12</strong>3).<br />
Folgestudien sind bereits<br />
in Planung<br />
Der getestete Algorithmus ist in der<br />
Lage, selbstständig auf kleinere sportliche<br />
Aktivitäten zu reagieren, ohne<br />
das Hypoglykämie-Risiko zu erhöhen,<br />
betonen die Autoren. Sie planen<br />
bereits Folgestudien mit größerer<br />
Probandenzahl und in unkontrollierter<br />
Umgebung sowie mit Hochrisiko-<br />
Patienten, die besonders stark von<br />
einem reduzierten Hypoglykämie-<br />
Risiko profitieren könnten. jub<br />
Dovc K et al. Diabetologia <strong>2017</strong>; 60: 2157–2167