Thermenland Magazin, Feb. 2018
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RAT & TAT<br />
Erdbeerland<br />
Gerade in der Lebensmitte brechen die Menschen<br />
auf, durch Lebenskrisen, Krankheiten und<br />
Verlust. Das ist oft sehr schicksalhaft, aber auch<br />
eine gute Chance für einen Neuanfang, eine<br />
kleine Wiedergeburt, eine Wiedergutmachung<br />
an sich und womöglich viel zu viel verplemperter<br />
Lebenszeit…<br />
Um so wichtiger ist es jetzt, meinen eigenen<br />
Kindern möglichst viele lichte, unbeschwerte<br />
Momente zu bescheren und sie darin zu bestärken,<br />
was für großartige Menschlein sie sind,<br />
samt ihrer Stärken und Schwächen! Doch es fällt<br />
mir noch schwer, sie loszulassen – damit sie<br />
den nötigen Freiraum erhalten, um sich zu<br />
entwickeln und um eigene Erfahrungen zu<br />
sammeln.<br />
Das Zusammenleben der Menschen hat sich<br />
geändert: Jeder kämpft für sich, Zusammenhalt<br />
gibt es oft nur dann, wenn es zu tragischen Niederfällen,<br />
wie Krankheit und Tod kommt – und<br />
nicht einmal das ist sicher!<br />
Kämpfe weiter!<br />
Kämpfen war immer schon ein Lebensthema<br />
für mich.<br />
Schon meine frühen Kindheitserinnerungen<br />
wurden geprägt von der Erfahrung, dass man<br />
sich Liebe, Anerkennung und Freiheit verdienen<br />
muss.<br />
Man brachte uns bei, dass Gehorsam der<br />
sicherste Weg dorthin ist!<br />
Das machte mir schwer zu schaffen. Durch<br />
mein aufmüpfiges Verhalten führte ich mich<br />
selbst in regelmäßigen Abständen der harten<br />
Strafe meiner Eltern zu. Dabei waren meine<br />
Eltern keine schlechten Menschen – sie wussten<br />
und konnten es einfach nicht besser.<br />
Mein Großvater war jahrelang in russischer<br />
Gefangenschaft, so endete die Kindheit meines<br />
Vaters als er sechs Jahre alt war. Es ist nicht<br />
schwer zu erraten, dass sein Aufwachsen auf<br />
dem elterlichen Hof geprägt war von Ängsten,<br />
schwerer Arbeit und einer seelischen Last, die<br />
sich ein Leben lang nach Wiedergutmachung<br />
verzehrte!<br />
Der rote Faden eines Lebens zieht sich meist<br />
über mehrere Generationen, so musste auch<br />
ich in meiner Kindheit erfahren, dass das Leben<br />
selbst bereits die Buße für unsere Sünden ist:<br />
tragisch, hart und unbarmherzig!<br />
Lange fiel es mir schwer zu begreifen, warum<br />
wir kein Recht dazu haben, unsere Vorfahren zu<br />
verurteilen, denn zweifelsohne legten sie den<br />
Grundstein unserer Einstellung zum Leben, zu<br />
den Menschen und nicht zuletzt zu uns selbst!<br />
Sie brachten uns bei zu lieben, zu hassen und<br />
zu kämpfen, so wie es ihnen beigebracht wurde<br />
– die Wahrheit unserer Eltern sollte auch unsere<br />
Wahrheit sein.<br />
Somit war auch unser Leben irgendwann kein<br />
Ponyhof mehr, sondern hart und ungerecht!<br />
Darüber zu urteilen fällt leicht,<br />
es zu verstehen dauert oft ein Leben lang<br />
Mit dieser Wahrheit habe ich bis heute zu kämpfen<br />
– dabei wüsste ich es längst besser! Nichts<br />
ist mächtiger als die Kraft guter Entscheidungen,<br />
nichts ist unverzichtbarer als die Kraft gesunder<br />
Gedankenqualität und ein liebevoller Umgang<br />
mit sich selbst!<br />
In der Mitte meines Lebens sehe ich es als meine<br />
wichtigste Herausforderung, endlich herauszufinden,<br />
wer ich wirklich bin. Ich ringe ein<br />
Leben lang um Liebe, dabei mag ich mich selbst<br />
nicht einmal!<br />
Zu lange habe ich daran geglaubt, allen Erwartungen<br />
zu entsprechen wäre das Maß der Dinge.<br />
Das hat mich zeitweise nicht nur furchtbar<br />
unglücklich – es hat mich richtig krank gemacht!<br />
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Foto: YouTube/Anna Abashidze<br />
Ansonsten gilt es, sich selbst durchzubringen.<br />
Ein relativ hoher Lebensstandard, eine vorzügliche,<br />
teils anonyme Vernetzung, macht egoistische,<br />
rücksichtslose Menschen aus uns. Der<br />
Neid ist wohl sein hässlichster Trieb!<br />
Das gelobte Erdbeerland, aus meiner scheinheilig<br />
verschleierten, rosaroten Kindheit, die doch,<br />
Gott weiß, NICHT IN ALLEM „um so viel besser<br />
war“, verwandelt sich in ein Kartoffelfeld –farblos,<br />
hart und staubig! Der Wandel der Zeit bringt<br />
wenig Erleuchtung, wenn wir nicht erkennen,<br />
wer wir sind, bzw. was wir sein wollen!<br />
Jetzt gilt es auszubrechen, aus alten Denkmustern<br />
und falschen Glaubenssätzen, denn so wie<br />
wir ein Leben lang den Grundsätzen unserer<br />
Väter und Mütter nacheifern, so wird es auch<br />
unseren Kindern ergehen!<br />
Das Leben sollte für jeden einzelnen von ihnen<br />
Erdbeeren bereit halten, wenn diese auch<br />
äußerst empfindsam sind und schnell verderben,<br />
bleibt doch die Hoffnung dass ihre Saat auf<br />
wundervolle Weise aufgeht.<br />
Jedes Kind, jeder<br />
Mensch sollte sie<br />
riechen und schmecken,<br />
die süße Verführung<br />
des Lebens,<br />
die bunte<br />
Vielfalt leben und<br />
dabei riskieren dürfen<br />
– sich selbst zu<br />
verwirklichen!<br />
Ihre Sabine Beham