Magazin Personalwirtschaft 01/2018
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RECHT & POLITIK AUS DEM GERICHTSSAAL<br />
Der skurrile Fall des Monats<br />
Kein Berufsverbot<br />
für Spanner-Zahnarzt<br />
VON DAVID SCHAHINIAN<br />
Urteil des LSG Thüringen<br />
vom 20. November 2<strong>01</strong>7<br />
(Az.: L 11 KA 807/16)<br />
Vorinstanz: Urteil des SG<br />
Gotha vom 23. März 2<strong>01</strong>6<br />
(Az.: S 7 KA 2580/15)<br />
u Der Fall: Er hat überhaupt nicht gebohrt – sondern<br />
etwas viel Verwerflicheres gemacht. 2<strong>01</strong>2 flog auf, dass<br />
im Umkleideraum der Praxis eines in Thüringen zu- und<br />
niedergelassenen Vertragszahnarztes eine versteckte<br />
Kamera installiert war. Ohne das Wissen der bei ihm<br />
beschäftigten Zahnarzthelferinnen hatte er damit Filmaufnahmen<br />
von ihnen angefertigt. In einschlägigen<br />
Medien brachte ihm das schnell den zweifelhaften<br />
Namen „Geraer Spanner-Zahnarzt“ ein.<br />
Das dortige Amtsgericht verurteilte ihn zu zwei Jahren<br />
und vier Monaten Gefängnis. Nicht nur, dass er in 211<br />
Fällen schuldig gesprochen wurde. Der Richter rügte<br />
den Dentisten auch, dass er „ziemlich skrupellos“ vorgegangen<br />
sei und kein Mitgefühl für<br />
die Opfer gezeigt habe. Auf eine Entschuldigung<br />
warteten die acht betroffenen<br />
Frauen im Prozess vergeblich.<br />
Auf den Datenträgern konnten die<br />
Ermittler knapp 7500 Dateien aus<br />
den heimlichen Aufnahmen finden<br />
oder wiederherstellen. Sie reichten bis ins Jahr 2007<br />
zurück. Die Frauen waren leicht bekleidet oder sogar<br />
nackt zu sehen. Ans Licht kam die Sache durch einen<br />
Zufall: Beim Saubermachen hatten die Zahnarzthelferinnen<br />
einen Schlüssel für ein Zimmer gefunden, zu dem<br />
kein Zutritt gestattet war. Als sie trotzdem hineingingen,<br />
trauten sie ihren Augen kaum: Vor ihnen stand eine<br />
„hochtechnisierte Überwachungsanlage“, berichtete<br />
der MDR. Das war Hausfriedensbruch, argumentierte<br />
die Verteidigung des Zahnarztes, und verlangte, dass die<br />
Videos nicht vor Gericht verwertet werden dürfen –<br />
jedoch ohne Erfolg.<br />
Die Haft musste der Arzt jedoch nicht antreten. Er ging<br />
in Berufung und leistete Geldzahlungen an die Betroffenen,<br />
die ihre Strafanzeigen daraufhin zurücknahmen.<br />
Dem Landgericht Gera blieb aufgrund der seinerzeit<br />
noch geltenden, mittlerweile geänderten Rechtslage<br />
nichts anderes übrig, als das Verfahren mit Beschluss<br />
vom 2. Mai 2<strong>01</strong>4 einzustellen. Mehrere Arbeitsgerichtsverfahren<br />
waren nach Zahlung eines Schmerzensgeldes<br />
einvernehmlich beendet worden.<br />
Weiterhin stand aber die berufliche Zukunft des Arztes<br />
auf dem Spiel. Auf Antrag der kassenzahnärztlichen<br />
Vereinigung wurde ein Verfahren eingeleitet, um<br />
ihm die Zulassung zu entziehen: Er sei für die ver-<br />
Auf eine Entschuldigung<br />
warteten die acht<br />
betroffenen Frauen im<br />
Prozess vergeblich.<br />
tragszahnärztliche Tätigkeit ungeeignet. Ein entsprechender<br />
Beschluss folgte am 28. Januar 2<strong>01</strong>5.<br />
Kampf um die Zulassung<br />
Dagegen klagte er. Der Umstand, dass sich das ihm<br />
vorgeworfene Verhalten in den Personalräumen seiner<br />
Praxis abgespielt habe, reiche seiner Meinung<br />
nach für eine drohende Gefährdung der Patienten<br />
nicht aus. Der Fall landete am 23. März 2<strong>01</strong>6 vor dem<br />
Sozialgericht Gotha – und im Zahnärzteblatt Sachsen.<br />
Das Gericht „entschied, dass das Verhalten, welches<br />
die grobe Pflichtverletzung begründet, nicht<br />
unmittelbar mit der vertragszahnärztlichen<br />
Tätigkeit in Zusammenhang<br />
stehen muss“, heißt es darin.<br />
Die Richter folgten damit der Rechtsprechung<br />
des Bundessozialgerichts<br />
(BSG). Indem er die Angestellten<br />
jahrelang „in ihrer Intimsphäre<br />
visuell ausspionierte“, habe er den höchstpersönlichen<br />
und gesetzlich geschützten Lebensbereich dieser<br />
Frauen verletzt, schreibt das Fachorgan weiter.<br />
Das jüngste, aber wohl nicht letzte Kapitel der nunmehr<br />
fünf Jahre andauernden Rechtsstreitigkeiten<br />
wurde am 20. November 2<strong>01</strong>7 geschrieben. Das Thüringer<br />
Landessozialgericht wies die Berufung des<br />
Zahnarztes gegen das Gothaer Urteil zurück. Die<br />
Richter teilten die Einschätzung, dass der Kläger aufgrund<br />
einer „gröblichen Verletzung“ seiner Pflichten<br />
ungeeignet für die Tätigkeit als Vertragszahnarzt<br />
sei. Sein Vorgehen sei von der Schwere genauso zu<br />
werten wie eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.<br />
Die Revision zum BSG aber wurde zugelassen, da<br />
bislang keine Rechtsprechung zu der Frage existiere,<br />
unter welchen Voraussetzungen die Verletzung<br />
des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung<br />
als gröbliche Pflichtverletzung anzusehen ist.<br />
Die Klage des Arztes hat bis zu einer Entscheidung<br />
in letzter Instanz aufschiebende Wirkung, schreibt die<br />
Ostthüringer Zeitung. Das heißt, der Entzug der Kassenzulassung<br />
werde nicht sofort vollzogen: „Der<br />
Mediziner kann also weiterhin als Zahnarzt tätig sein<br />
und Kassenpatienten behandeln.“<br />
p<br />
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<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8