BLICK VON AUSSEN Kennzahlen wie giftige Pilze Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass HR-Kennzahlen hilfreich sein können. Aber Personaler dürfen sich nicht hinter den Zahlen verstecken. VON PETER KREUZ u „Miss es oder vergiss es!“, sagt der Meister zum Lehrling. „Was du nicht messen kannst, kannst du nicht lenken“, sagt Management-Guru Peter Drucker. „Was man messen kann, das existiert“, sagt Max Planck. Also wird in Unternehmen gemessen, was messbar ist – und was nicht messbar ist, wird messbar gemacht. Wie giftige Pilze überwuchern die Kennzahlen jeden Winkel des Unternehmens und erzeugen die Illusion der Kontrolle. Im Personalwesen beispielsweise werden Kennzahlen erdacht wie die Know-how-Träger-Quote, die Quote der Mitarbeiterentwicklungsvereinbarungen, die Anzahl der eingereichten Verbesserungsvorschläge je Mitarbeiter, die Entsendungs- und Rückkehrquote oder die Fluktuationsrate. Man kann all das bis zur letzten Kommastelle rechnen, in mannigfaltigen Korrelationen, Medianen oder Standardabweichungen abbilden und tagesaktuell aufbereiten. Nur: Was sagt es dann aus? Ein Beispiel: Was bedeutet der Faktor „Fluktuationsquote“? Dass die Mitarbeiter zufrieden sind? Unzufrieden sind? Dass sie keine Alternativen haben? Dass die Klugen gehen und die Schwachköpfe bleiben? Oder umgekehrt? Dass die Mitarbeiter nicht mobil sind? Dass dem Unternehmen frisches Blut fehlt? Was soll man jetzt mit den Messdaten, Quoten, Kennzahlen anfangen? Sind sie Entscheidungsgrundlage? Sind sie entscheidungsrelevant? Welche Antworten haben Sie damit bekommen? Und welche eben nicht? Und: Welche Frage haben Sie damit gar nicht erst gestellt? Die Praxis des Messens geht von der Objektivität von Zahlen aus. Doch das ist Unfug. Denn Zahlen sprechen nicht zu uns – wir müssen sie interpretieren. Es sind also vielmehr wir, die zu den Zahlen sprechen. Freud soll gesagt haben: „Wer nach dem Sinn fragt, ist krank.“ Aus der Sicht eines zahlenfixierten Personalwesens ist das genauso. Denn letztlich besteht der „Sinn“ des ganzen Messens darin, täglich Zahlenberge zu produzieren. So wird das Messen zum Selbstzweck, der enorme Ressourcen verschlingt und alle nicht messbaren Aspekte in den Hintergrund drängt. Foto: Sebastian Weindel „Initiative durch Kennzahlen? Leidenschaft durch finanzielle Zielgrößen? Ein Witz!“ Gefährlich ist auch die Überzeugung, man könne Menschen mit Zahlen motivieren. Da wird dann als Ziel eine prozentuale Quote aufgerufen, woran wiederum Belohnungs- und Anreizsysteme gekoppelt werden, damit die zu erreichenden Zahlen in Fleisch und Blut übergehen und jede Minute des Arbeitslebens darauf ausgerichtet ist. Das bedeutet nichts anderes, als Menschen zu konditionieren, nur noch die Dinge zu tun, die messbar und planbar sind und belohnt werden können. Wer wird dann noch kreativ und innovativ sein? Originell und experimentierfreudig? Agil und risikobereit? Hinzu kommt, dass die Dinge, die in der Zukunft – die heute schon begonnen hat – zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden, nur schwer oder gar nicht messbar sind! Wie wollen Sie beispielsweise messen, wie kreativ und originell die von einem Mitarbeiter gewählte Problemlösung ist? Durch ein innerbetriebliches Komitee? Durch eine Casting-Jury? Durch einen standardisierten Fragebogen? Durch eine datenbasierte Analyse via Stochastiksoftware? Die Tagesleistung in Form von Stückzahlen des Akkordarbeiters ist leicht messbar; Kreativität, Engagement und Leidenschaft sind es nicht. Letztere sind aber genau die Dinge, die dazu beitragen, dass Ihr Unternehmen auch in Zukunft noch im Markt mitspielen kann. Die besten Talente stellen sich auf der Suche nach einem Job, der sie begeistert, völlig andere Fragen: Gibt es in diesem Unternehmen überhaupt Ziele außerhalb des Erreichens der Zahlen? Will ich in einem solchen Unternehmen arbeiten? Und: Habe ich dort die Chance, mit meiner Arbeit einen Unterschied zu machen? Beginnen Sie also nicht damit, Dinge zu messen, die es gar nicht wert sind, gemessen zu werden. Fragen Sie sich lieber, welche Dinge es überhaupt wert sind, getan zu werden. p DR. PETER KREUZ unterstützt Führungskräfte dabei, in einem Umfeld von Digitalisierung, Disruption und Komplexität erfolgreich zu navigieren. Er hält weltweit Vorträge, ist Sparringspartner für CEOs und unterstützt Start-ups. 82 <strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8
Didaktik [die] wirkt. > Meet us @ LEARNTEC 2<strong>01</strong>8