E_1929_Zeitung_Nr.080
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Bern, Dienstag 17. Sept. <strong>1929</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 80<br />
Im heutigen<br />
„Äutler-Feierabend":<br />
Seite<br />
Die Geschichte einer Rache 1<br />
Seite der Frau 3<br />
Die moderne Wohnung 3<br />
Was kostet ein Haus ? 3<br />
Tourismus 4<br />
Sprechsaal 4<br />
Bunte Chronik 5<br />
Kreuzwort 6<br />
Humor 6<br />
Nacht in der Puszta<br />
(Von Franz Carl Endres.)<br />
Der Orientexpress braust© durch die ungarisch©<br />
Tiefebene. Ich kam aus dem Speisewagen<br />
zurück in mein Abteil, zündete die<br />
Leselampe an und vertiefte mich in ein<br />
Bändchen lyrischer Gedichte, das ich zu rezensieren<br />
hatte. Man soll mit Lyrik sehr vorsichtig<br />
sein. Schlecht© erzeugt Uebelkeiten,<br />
gute aber seltsame und unvernünftige Stimmungen.<br />
Die Lyrik, die ich las, war gut,<br />
sogar sehr gut...<br />
Wenn man in einem bequemen Abteil eines<br />
Luxuswagens sitzt und nach langer Abwesenheit<br />
der Heimat zueilt, ist es doch<br />
wohl unvernünftig, den Wunsch zu hegen,<br />
auszusteigen und eine Nacht in der Puszta<br />
zuzubringen. Und doch kam mir dieser<br />
Wunsch, den ein Zufall oder ein© Fügung<br />
erfüllen sollte. An einer winzigen Station,<br />
die nur aus einem kleinen Bahnhofgebäude<br />
und einem ungarischen Landwirtshaus mit<br />
grosser, überdachter Altan© zu ebener Erde<br />
bestand — ein Ziehbrunnen mit hohem<br />
Schwengel und eine Papel gaben malerische<br />
Zutat — in dieser winzigen Station hielt der<br />
Express, weil eine Radachse brannte.<br />
Da packte es mich. Ich überantworte meine<br />
Koffer dem Schlafwagenkontroileur und<br />
verlasse den Zug.<br />
Zigeunermusik aus dem Wirtshaus lockt<br />
mich mächtig. Der. Stationsbeamt© will mich<br />
nicht aussteigen lassen; aber ich lache nur.<br />
Was kümmern mich die ungarischen Verkehrsvorschriften,<br />
wenn Zigeunermusik und<br />
edler Ungarwein locken?<br />
Patent No. 2002.<br />
Kriminalroman von Ludwig Peter.<br />
Fortsetzung aus dem Hauptblatt.<br />
Ich trete in das Wirtshaus ein. Bauern sitzen<br />
da auf der Altane und junge Mädchen;<br />
trinken Wein und lassen sich vom Mond bescheinen.<br />
Und eine Kapelle von sechs Zigeunern<br />
spielt, zauberhaft, hinreissend. Die<br />
Rhythmen dieser alten Rhapsodien, die<br />
schluchzend© Sehnsucht der Lieder, die wie<br />
Sonnenstrahlen durch dämmernden Wald,<br />
sich durch di© Tiefen der Harmonien stehlen,<br />
um im Chaos zu versinken und dann wieder<br />
aufzuperlen, diese heissgeliebten Tänze, die<br />
ich selbst oft gespielt und selbst so oft getanzt<br />
habe... wie umschmeichelten sie<br />
meine Seele! Das Zigeunermädchen schmiegte<br />
sich an und sah mit grossen Augen zu mir<br />
herauf. Ich spreche türkisch zu ihm. Es<br />
versteht.<br />
Was kümmert mich, dass sie den «reichen<br />
Herrn» wittert! Ich schwinge sie im Tanze!<br />
Di© Bauern schenkten mir Wein ein, den<br />
jungen weissen Ungarnwein, der den Duft<br />
der Puszta in sich trägt. Und der Primas<br />
geigt zart und süss und ganz lßis© dicht an<br />
meinem Ohr.<br />
Die Puszta lag in tiefem Schweigen um<br />
uns. Der Mond glänzte hell. Das Heidekraut<br />
leuchtete matt wie ein wertvoller Seidenteppich<br />
im Zwielicht einer Moschee. Und<br />
mein Herz rastete vom Trubel seines Lebens.<br />
Nie hat mir Wein so gemundet, nie<br />
habe ich das Ueberirdische der Musik so<br />
empfunden, nie war das magische Band, das<br />
uns Menschen mit dem Kosmischen verbindet,<br />
so fühlbar mir, wie in jener Nacht. Lebendig<br />
gewordener Traum war alles. Alles<br />
Gestalt gewordene Sehnsucht. Und ich wanderte<br />
mit dem Zigeunermädchen in die Einsamkeit<br />
der Puszta. Noch lange klangen die<br />
Lieder vom Wirtshaus her, wurden sie leiser<br />
und dann war nur mehr der Bass zu hören<br />
in verhallendem Rhythmus. Und dann...<br />
Dann stand nur der Mond über uns, und das<br />
duftende Heidekraut lag zu unseren Füssen.<br />
Solche Nächte müssen werden aus dem Lächeln<br />
dessen, das wir mit Unrecht Zufall<br />
nennen. Müssen werden aus dem Rufe der<br />
Seele, die des Tales satt ist und zu den Höhen<br />
fliegt, die ihre Heimat sind.<br />
Wir kamen zurück und tanzten und sangen<br />
bis zum Morgen.<br />
Das war vor dem Krieg©. Was mag aus<br />
den lustigen Bauern geworden sein? Was<br />
ist aus dir geworden, Zigeunermädchen?<br />
Vielleicht hat die Not des Lebens deinen<br />
schlanken Rücken gebeugt!<br />
Max freute sich über dieses Geständnis<br />
seiner Schwester. Sie waren an Hedys Ziel<br />
angelangt und verabschiedeten sich. Er ging,<br />
ohne es der Schwester zu verraten, in die<br />
Garage Krafts, um mit dem Einbau des Vergasers<br />
zu beginnen.<br />
Als Hedy nach der Anprobe wieder auf die<br />
Strasse trat, war es dunkle Nacht. Sie schauderte<br />
leicht, als sie an den Heimweg dachte.<br />
Drohend reckten die alten Buchen ihre Arme<br />
aus dem dichten Laubwerk der Sträucher.<br />
Beim Eintritt in die Anlage schlug ihr der betäubende<br />
Duft der Blumen entgegen und legte<br />
sich atemraubend auf ihre Brust.<br />
Plötzlich stand Alfred Fleissig vor ihr.<br />
«Habe ich dich erschreckt, liebe Hedy?»<br />
sagte er leise. « Schau, ich bin menschenscheu<br />
geworden in den langen Jahren des Entbehrens.<br />
Ich möchte dir bloss sagen, dass ich<br />
unschuldig gewesen bin und dass ich dich<br />
heute noch liebe; bald werde ich wieder abreisen,<br />
um dich nicht mehr zu belästigen.<br />
Aber um den Mut zu finden, in meinen Jahren<br />
ein neues Leben aufzubauen, habe ich dich<br />
nochmals sehen und sprechen müssen. Vor<br />
einer Stunde habe ich dich mit Max vorbeigehen<br />
sehen und habe auf gut Glück gewartet.»<br />
Hedy war so heftigen seelischen Einflüssen<br />
nicht gewachsen. Tränen traten aus ihren<br />
Augen.<br />
«Ich sehe mein Unrecht ein, auch ich habe<br />
dich nicht vergessen und liebe dich heisser<br />
und treuer denn je; reise nicht ab, es wird<br />
sicher etwas für dich zu finderl sein, du hast<br />
ja dein Diplom als Ingenieur; und dann wird<br />
alles gut werden.»<br />
Sie verabredeten, vorerst niemanden von<br />
ihrem Wiedersehen etwas zu verraten und bestimmten<br />
Ort und Zeit eines nächsten Zusammentreffens.<br />
Später als erwartet kam Hedy heim, blass<br />
und verstört. Sie begab sich sofort zu Bett.<br />
Widerstreitende Gefühle beherrschten sie,<br />
und doch, wenn sie ihr Innerstes prüfte, war<br />
sie von einem nie gekannten Glücksgefühl<br />
erfüllt, und hoffnungsvoll freudig sah sie am<br />
andern Morgen einen herrlichen Frühlingstag<br />
sein Licht über die Erde breiten.<br />
Und was ist- aus mir geworden? Wohl ein<br />
Mensch,, der nicht mehr aus einem Epresszug<br />
springt, um eine Nacht in der Puszta zu<br />
durchschwärmen. — Doch nur vielleicht.<br />
Die Geschichte einer<br />
Rache<br />
Von Michel Joyce.<br />
Drei Männer ritten stadtwärts. Ihre Pferde<br />
stampften mit den Hufen den lockeren Grund, wirbelten<br />
Staubwolken in den stillen, glühenden Nachmittag<br />
hinein. Von fern kam eine andere kleinere<br />
Wolke langsam auf sie zu. Ein Mann war es, der<br />
ausschritt, ein kleiner, wettergegerbter Mensch, auf<br />
dessen Schulter ein Sack lag.<br />
Er rief sie an: « Gehe ich hier recht zum Haus<br />
von Jem White ? ><br />
«Ja, ganz recht, Goldgräber,» antwortete ihm<br />
einer. «Nach einer halben Meile kommst du zu<br />
einem Gummibaum und dann geht es nach rechts.<br />
Das Blockhaus steht an einer Wegbiegung rechts<br />
von der Strecke. »<br />
c Wird Jem White jetzt im Blockhaus sein ? »<br />
« Gewiss. Und zwar ganz allein, beim Nachmittagsschläfchen.<br />
Du wirst ihn erkennen, denn<br />
es wird heute kein anderer dort sein.»<br />
«Ich werde ihn erkennen,» sagte der Fremdling,<br />
als spräche er zu sich.<br />
< Lebe wohl, Goldgräber. »<br />
« Lebe wohl. »<br />
Die beiden Wolken rückten auseinander. Mit<br />
dem Sack auf den müden Schultern schritt der<br />
Fremde aus, und die drei Männer spornten ihre<br />
Pferde zum Trab.<br />
« Jem wird nicht übermässig beglückt sein, ihn<br />
heute zu sehen,» sagte lachend einer von ihnen.<br />
« Ihr wisst, warum er uiis den Nachmittag freigab. ><br />
« Nein, » sagte ein anderer. « Warum denn ? ><br />
«Er möchte Judy ein wenig für sich allein<br />
haben. Sie kommt herübergeritten, ihn zu besuchen.<br />
><br />
< Ich wusste nicht, dass Jem so einer ist. »<br />
« Jem ? Jem ist berüchtigt, der ärgste Schürzenjäger<br />
in ganz Australien zu sein. Ist ihm ganz<br />
gleich, auf welche Weise er die Frauen kriegt. Erst<br />
im vorigen Jahre musste er aus Brisbane flüchten.<br />
Dort hatte er etwas mit einer verheirateten Frau,<br />
und der Mann schoss nach ihm. Man sagt, er<br />
müsse das jetzt absitzen. Doch es wäre mir leid<br />
um Judy, wenn sie sich heute nachmittag umsonst<br />
zu Jem bemühte. »<br />
« Sie weiss sich zu helfen,» sagte der Dritte,<br />
c Als sie sechzehn Jahre alt war, jagte sie zwei<br />
berittene Polizisten mit der Reitpeitsche von ihrer<br />
Farm. ><br />
Jem White sass im hölzernen Armstuhl, rauchte<br />
seine Kukuruzpfeife und wartete auf Judy Schwer<br />
lastete das «iserne Dach. Im Blockbaus selbst war<br />
es viel heisser als draussen im Sonnenschein. Er<br />
sank vornüber, als schliefe er ein. Auffahrend riss<br />
er Sich zusammen. Sonst weckte ihn immer einer<br />
seiner Leute, wenn er nach dem Essen einzunicken<br />
drohte. Heute jedoch war niemand da, der ihm<br />
diesen Dienst geleistet hätte.<br />
Gleichviel. Judy rief und pfiff wohl von der<br />
Strecke her und er hörte sie rechtzeitig. Er schmun-<br />
Unermüdlich hatte Max Keller jeden freien<br />
Augenblick benützt, um seinen Vergaser in<br />
den Rennwagen des Bankiers einzubauen.<br />
Nun war er so weit. Bereits hatte er seine<br />
Brennstoff-Verbrauchs- und Elastizitätsversuche<br />
beendet. Sie waren zur vollen Zufriedenheit<br />
ausgefallen. Einzig die Schnelligkeitsprüfung<br />
sollte noch stattfinden, dann konnte<br />
die Anmeldung beim Patentamt erfolgen. Unweit<br />
der Stadt führte eine breite Strasse<br />
fünf Kilometer geradeaus. Hier wollte der<br />
Ingenieur am nächsten freien Nachmittag<br />
seine rasenden Pferde tummeln. Er teilte seinem<br />
Freunde Kraft seinen Entschluss mit.<br />
Helene freut sich<br />
Sie hat drei Bildchen geknipst und beteiligt<br />
sich damit am Photowettbewerb der « Auto*<br />
mobil-Revue ».<br />
(Prolongiert bis 21. September. Bedingun*<br />
gen im Autler Nr. 76.)<br />
zelte. Sein schweres Kinn zuckte ein wenig. Winzige<br />
Schweisstropfen perlten ihm im Gesicht. Ein<br />
Arm war plötzlich von der Sessellehne geglitten<br />
und hing schlaff nieder. Er schlief.<br />
Erschrocken fuhr er auf. Eine Pferdedecke<br />
lag über seinen Kopf geworfen. Die Hände, die<br />
er heben wollte, waren an die Armlehnen des Sessels<br />
geschnallt. Wütend bäumte er sich, doch bei jeder<br />
Bewegung schlang ein Seil in neuer Windung sich.<br />
fester um ihn. Seine Füsse waren so verschnürt,<br />
dass er nicht aufstehen konnte. Und er fühlte rauhe<br />
Hände, die ihn unaufhörlich fester mit dem Seil<br />
umwanden.<br />
Bald war sein ganzer Körper, waren alle seine<br />
Glieder fest an den Sessel gebunden. Und keine<br />
Möglichkeit, sich durch heftige. Bewegungen zu befreien.<br />
Denn rund um seinen Hals lag eine Schlinge^<br />
die sich fühlbar verengte, sobald er nur den Kopf<br />
zu wenden trachtete. Er fühlte, wie der Sessel an<br />
die Wand gerückt wurde. Die Decke ward von seinem<br />
Kopf gezogen.<br />
Als er nach seinem Angreifer blinzelte, hörte<br />
er eine ruhige Stimme: «Geht in Ordnung, Jem^<br />
Doch bitte, wende den Kopf nicht, sonst würdest<br />
du dich erdrosseln, und das wäre doch schade —•»<br />
Der Freitag kam. Fritz Kraft hatte viel<br />
Arbeit. Geschäftsfreunde aus Berlin hatten<br />
die Stunden seines Vormittags in Anspruch<br />
genommen. Um Zeit zu gewinnen, ass er nur<br />
kurz zu Mittag und verliess bald wieder sein<br />
Haus. Nach 2 Uhr Hess er seinen Prokuristen<br />
zu sich aufs Bureau kommen:<br />
«Ich habe unerträgliche Leibschmerzen und<br />
muss mich zu Bett legen. Vertreten Sie mich,<br />
bitte, bis ich wieder hergestellt bin.»<br />
Zu Hause angelangt, telephonierte er seinem<br />
Freunde Dr. Beck, er möchte ihn besuchen.<br />
Nach kurzer Zeit erschien der Arzt<br />
beim Kranken. Kraft schilderte ihm die Symptome<br />
: Erbrechen, Durchfall und heftiger<br />
Drang im Leib.<br />
«Wo und was hast du zu Mittag gegessen?»'<br />
Der Bankier erzählte, er habe zu Hause<br />
gespiesen und berichtete genau über die eingenommenen<br />
Gerichte. Dem Freund war eine<br />
gewisse Besorgnis wohl anzusehen, doch<br />
suchte er sie zu verbergen, gab seine Verordnungen<br />
und beruhigte den Patienten. Man<br />
möchte ihm bei der kleinsten Verschlimmerung<br />
anläuten. Er nahm Proben des Erbrochenen<br />
mit, um sie in einem Institut untersu-*<br />
chen zu lassen und verabschiedete sich. In<br />
der Tat schien es dem Kranken nach wenigen<br />
Stunden etwas besser zu gehen. Nach<br />
7 Uhr Hess er seine Haushälterin kommen:<br />
«„Hier ist ein Theaterbillett, Wilhelmine, Paganini<br />
wird aufgeführt. Gehen Sie für mich<br />
hin, ich fühle mich wohler und kann gut allein<br />
sein.»<br />
Die Haushälterin ging. Als sie um 11 Uhr<br />
30 heimkam, hatten sich die Erscheinungen<br />
wieder gesteigert und der Kranke stöhnte im<br />
Bett, wollte aber die Nachtruhe des ärztlichen<br />
Freundes nicht stören. Der grauende<br />
Tag schien eine Wendung zum Guten zu<br />
bringen.<br />
(Fortsetzung folgt.)<br />
Cigaretten<br />
Virqinier