E_1948_Zeitung_Nr.050
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AUTOMOBIL REVUE<br />
MITTVOCH, 24. NOVEMBER <strong>1948</strong> - Nr. 50<br />
USA<br />
Erforschung der Kundenwünsche in der<br />
amerikanischen Autoindustrie<br />
Rund ein Drittel aller amerikanischen Industriegesellschaften<br />
besitzen eigene Abteilungen,<br />
die dem « Customer Research », dem * Dienst am<br />
künftigen Kunden », gewidmet sind. Sie stehen<br />
auf dem Standpunkt, dass sich auf lange Sicht<br />
nur solche Erzeugnisse durchsetzen können, die<br />
dem sich stets wandelnden Geschmack des Publikums<br />
entsprechen, wollen dabei aber von der<br />
Geschmacksänderung nicht unvorbereitet getroffen<br />
werden. Deshalb versuchen Sie, diese rechtzeitig<br />
zu erkennen. Tun sie das nicht, so bleiben<br />
sie auf ihren Waren sitzen, denn das Publikum<br />
hat sich inzwischen einem Konkurrenten zugewendet,<br />
der mit der Zeit gegangen ist.<br />
Der « Customer Research » wird dadurch von<br />
einem « Dienst am künftigen Kunden» zum<br />
« Dienst am Unternehmen », das er davor<br />
schützt, Waren herzustellen, welche den Wünschen<br />
des Publikums nicht mehr entsprechen. In<br />
der Automobilindustrie ist « Customer Research »<br />
in normalen Zeiten besonders wichtig, da die<br />
Herstellung eines unbefriedigenden Modells zu<br />
einem sofortigen Nachlassen des Absatzes führt.<br />
(Gegenwärtig kauft das Publikum in den USA<br />
allerdings noch fast jeden Wagen, der vier Räder<br />
und einen Motor hat, aber unter normalen<br />
Umständen ist das natürlich nicht der Fall.)<br />
Deshalb wenden sämtliche Autofabriken erhebliche<br />
Mittel auf den Ausbau ihrer « Customer<br />
Research »-Abteilung auf. In einem einzigen<br />
Jahre verschickt General Motors allein zwei<br />
Millionen sorgfältig ausgearbeitete Fragebogen;<br />
von den eingehenden Antworten hängt die<br />
Formgebung neuer Modelle und die künftige<br />
Gestaltung der Verkaufspolitik ab.<br />
Die Zahl der Fragebogen richtet sich ganz<br />
nach den Fragen, die gestellt werden. Will die<br />
Fabrik wissen, wie das Publikum auf eine vom<br />
Laien kaum zu beurteilende Verfeinerung des<br />
Motors reagiert, so gelangt sie an Fachleute und<br />
begnügt sich unter Umständen mit 1000 Fragebogen.<br />
Will sie Fragen allgemeiner Natur beantwortet<br />
haben, z. B. ob der Käufer mehr Wert<br />
auf starke Motoren oder auf Sparsamkeit des<br />
Betriebs legt, so werden die Fragebogen an<br />
Hunderttausende von Personen geschickt, gelegentlich<br />
sogar an eine Million und darüber.<br />
Nicht jeder, der einen Fragebogen erhält, beantwortet<br />
ihn auch. Die Zahl der Antworten<br />
schwankt zwischen 12 und 75 %.<br />
(Von unserem New-Yorker Korrespondenten)<br />
Was wollen die Fragebogen ermitteln?<br />
Die Fragebogen wollen im allgemeinen zwei<br />
ganz verschiedene Dinge feststellen. Erstens<br />
möchten sie in Erfahrung bringen, welche Kaufgepflogenheiten<br />
das Publikum hat. Sie erkundigen<br />
sich z. B. danach, wodurch sich der Kunde<br />
zum Ankauf eines Autos einer bestimmten<br />
Marke hat bewegen lassen. Die Antworten fallen<br />
ganz verschieden aus. Sie ergeben z. B., dass ein<br />
Freund des Käufers ausgezeichnete Erfahrungen<br />
mit eben diesem Wagen gemacht hat, dass der<br />
Kunde den Namen des Wagens immer wieder in<br />
<strong>Zeitung</strong>sinseraten oder auf Reklametafeln gesehen<br />
hat, dass er ihm durch Radioreklamen<br />
vertraut wurde, dass er schon immer einen Wagen<br />
dieser Marke gefahren hat und nun das<br />
neue Modell besitzen möchte u. dgl. m. Oder sie<br />
ergeben, dass dem Kunden die Verkaufstaktik<br />
des Vertreters gefallen hat, dass ihm die Form<br />
des Wagens zusagte, dass die Abzahlungsbedingungen<br />
günstig waren, dass der Wagen seinen<br />
Vermögensverhältnissen entsprach u. ä.<br />
Diese Antworten werden von der Fabrik<br />
sorgfältig sortiert und analysiert. Ergibt sich<br />
?.. B., dass von Jahr zu Jahr immer mehr Kunden<br />
den Radioreklamen folgen, so dürfte die<br />
Fabrik nahezu automatisch dazu übergehen, ihr<br />
Budget in dieser Richtung zu erweitern. Stellt<br />
es sich heraus, dass besonders Viele Kunden<br />
einen bestimmten Wagen kaufen, weil er am<br />
ehesten ihren Einkommensverhältnissen entspricht,<br />
so dürfte die Fabrik in Zukunft besonderen<br />
Wert darauf legen, die Billigkeit von Anschaffungs-<br />
und Betriebskosten zu unterstreichen.<br />
Damit sind aber erst die Kaufgepflogenheiten<br />
bei bereits bestehenden Modellen analysiert.<br />
Ebenso verhält es sich mit den Untersuchungen,<br />
die sich darauf erstrecken, nach welchen Gesichtspunkten<br />
die Kunden beim Kauf eines Altwagens<br />
vorgehen. Unter Umständen sind die Ergebnisse<br />
für die Fabriken wichtig. So kann sich<br />
z.'B. zeigen (und dies ist tatsächlich der Fall),<br />
dass Kunden, die einen Altwagen bei einem Fabrikvertreter<br />
neuer Wagen erstehen, meist früher<br />
oder später von eben diesem Neuwagenhändler<br />
auch einen neuen Wagen der Marke<br />
kaufen, die er vertritt. Auf die stilistische und<br />
technische Gestaltung kommender Modelle haben<br />
derartige Erhebungen aber kaum Bezus. Der<br />
Beantwortung dieser Fragen dienen vielmehr<br />
Fragebogen der zweiten Gruppe, die den<br />
Geschmack and die Wünsche des Publikums<br />
zu erforschen suchen.<br />
Bei der Analyse der Antworten auf diese<br />
Fragebogen muss die Autoindustrie zynisch sein<br />
und vom Standpunkt ausgehen, dass die subjektive<br />
Ansicht des Publikums als objektive Tatsache<br />
in Rechnung zu stellen ist. Sie handelt<br />
dabei kaum anders als der Mann, der die Launen<br />
einer verwöhnten Frau befriedigen will, um<br />
sie zu gewinnen. Er weiss, dass er es gelegentlich<br />
mit den unvernünftigsten Ansprüchen zu<br />
tun hat; sagt er der Frau aber, dass er sie für<br />
unvernünftig hält, muss er dem geschickteren<br />
Konkurrenten das Feld räumen. Nur wenn die<br />
Frau gar zu unvernünftige Ansprüche stellt,<br />
muss er versuchen, sich diplomatisch aus der<br />
Affäre zu ziehen, notfalls indem er ihr erklärt,<br />
dass der von ihr begehrte Badeanzug mit Pelzbesatz<br />
sie zu alt machen würde.<br />
Genau so diplomatisch muss die Autoindustrie<br />
vorgehen, wenn sie dem Publikum klar<br />
macht, dass der allseitig begehrte Stromlinienwagen<br />
vom Ausmass einer Lokomotive, der 150<br />
PS besitzt, so gut wie kein Benzin verbraucht,<br />
im kleinsten Hinterhof parkiert und vom Gehalt<br />
einer Stenotypistin in wöchentlichen Raten abgezahlt<br />
werden kann, dass dieser Wagen im Augenblick<br />
noch nicht herzustellen ist. Mit ungeheurer<br />
Geduld weisen fast alle Fragebogen auf<br />
die Antithese Leistung/Betriebskosten hin und<br />
setzen immer wieder sorgfältig auseinander, dass<br />
Chrombeschläge Geld kosten, dass eine automatische<br />
Kraftübertragung Geld kostet, dass ein<br />
phänomenales Beschleunigungsvermögen Geld<br />
kostet, und so weiter ad infinitum. Erst muss<br />
einmal das Misstrauen des Publikums überwunden<br />
werden, das (und auch hier stimmt die Parallele<br />
mit der verwöhnten Frau) glaubt, die Fabrik<br />
wolle ihm grundlos die schönsten Sachen<br />
vorenthalten. Infolgedessen gibt sich diese jede<br />
erdenkliche Mühe, dem Publikum auseinanderzusetzen,<br />
es könne alles haben, aber es müsse<br />
auch für alles zahlen.<br />
Hat die Fabrik das Publikum derart gewarnt,<br />
so kann sie die Antworten kritisch würdigen,<br />
wobei sie auch das dynamische Element in Betracht<br />
zieht. Ergibt sich, dass in einem Jahre<br />
20 % der Befragten mehr Gepäckraum haben<br />
wollen, im zweiten Jahre 30 % und im dritten<br />
Jahre 40 %, so besitzen damit die Statistiker der<br />
Fabrik eine Kurve, die sie bedenkenlos extrapolieren<br />
können. Eine Geschmacksveränderung<br />
zeichnet sich in ihrem ersten und zweiten Stadium<br />
ab. Wenn sie das dritte Stadium erreicht,<br />
wenn die Mehrheit des Publikums mehr Gepäckraum<br />
will, dann muss die Fabrik mit einem<br />
Modell bereit sein, das mehr Gepäckraum aufweist.<br />
Einzelheiten aus dieser « Forschungsarbeit ».<br />
Wie sehen nun diese Fragebogen aus, von deren<br />
Beantwortung die Gestaltung künftiger Modelle<br />
abhängt? Ein typisches Fragebüchlein vom<br />
General Motors, das 24 Seiten umfasst, enthält<br />
Dutzende von Fragen, die sich an den Benutzer<br />
eines Wagens richten; mit konstruktiven Details<br />
wird der Laie (und an diesen richten sich die<br />
Fragen) dagegen nicht behelligt. Die ersten<br />
Fragegruppen sind überaus allgemein gehalten.<br />
Zunächst wird der künftige Kunde aufgefordert,<br />
jene Dinge anzuzeichnen, die ihm beim Kauf<br />
eines Wagens am wichtigsten erscheinen. Dabei<br />
hat er die Auswahl unter folgenden Eigenschaften:<br />
Aussehen, Bequemlichkeit, Zuverlässigkeit,<br />
leichte Bedienung, Anschaffungskosten, Betriebskosten,<br />
Beschleunigungsvermögen, Sicherheit,<br />
weiches Fahren und Maximalgeschwindigkeit.<br />
Hat er sich hierüber ausgesprochen, so werden<br />
ihm auf der folgenden Seite acht verschiedene<br />
Vorderansichten vorgelegt, unter denen er die<br />
ihm am meisten zusagende anstreichen soll.<br />
Dann folgen weitere « Kontur-Fragen »: Kühlerhauben,<br />
Rückansichten, Kotflügelformen, Windschutzscheiben,<br />
Rückfenster, Stoßstangen usw.<br />
werden ihm gezeigt, und wieder muss er sich darüber<br />
aussprechen, welche ihm am besten gefallen.<br />
Waren bisher alle Fragen allgemein gehalten",<br />
so geht der Fragebogen nunmehr dazu über,<br />
konkretere Antworten zu verlangen. Zwanzig<br />
verschiedene Fabrikate werden mit Namen genannt;<br />
der Kunde soll freimütig angeben, welches<br />
er für das schönste und welches er für das<br />
hässlichste hält. Dann legt man ihm die verschiedenen<br />
Typen vor, vom zweitürigen Sedan<br />
über den Station Wagon zum Cabriolet; er muss<br />
angeben, welchen Typ er sich wünscht.<br />
Die weiteren Fragen betreffen Einzelheiten<br />
der Form, eben die Einzelheiten, die oft für die<br />
vom Kunden getroffene Wahl ausschlaggebend<br />
sind. Chromverzierungen lassen sich an 14 verschiedenen<br />
Stellen des Wagens anbringen; wo<br />
will der Kunde sie haben? Sechs verschiedene<br />
Reifen werden ihm gezeigt, achtzehn verschiedene<br />
Farben (ungerechnet Farbenkombinationen<br />
bei den sogenannten two-tone-Anstrichen). Dann<br />
folgt die Frage, wie die Sitze gepolstert sein sollen<br />
und ob Aussehen, Haltbarkeit oder Einfachheit<br />
der Reinigung der Vorzug gegeben wird.<br />
Und so geht es weiter.<br />
Die Bedeutung derartiger Fragebogen für die<br />
Formgebung bei künftigen Modellen<br />
lässt sich kaum überschätzen. Tausende und<br />
aber Tausende von Antworten zusammengenommen<br />
dienen der Automobilindustrie als sicheres<br />
Geschmacksbarometer. Wenn die Mehrheit der<br />
künftigen Kunden etwas Unsinniges verlangt,<br />
muss die Industrie nachgeben; sie kann dem Publikum<br />
ihren Willen nicht aufzwingen. Eine<br />
grosse Fabrik hat ganz offen erklärt: • Wenn<br />
wir ein Auto verkaufen, dann unterziehen wir<br />
den Kunden nicht erst einer Intellisenzprüfung.<br />
» Mit anderen Worten: « Customer<br />
Research » muss allen Wünschen Rechnung tragen.<br />
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