DIE MAMA KANN ES NICHT IMMER RICHTEN Ab Herbst soll es eigene „Deutsch-Klassen“ für Kinder mit Sprachdefiziten geben. Der Plan der Regierung ist noch zu kurz gedacht, sagt einer, der es wissen muss: biber-Redakteur Amar Rajković landete mit 12 Jahren selbst in einer Brennpunktschule. Von Amar Rajković 32 / POLITIKA /
MIT SCHARF / 1 P.b.b., Verlagspostamt 1070, Vetragsnummer 09Z<strong>03</strong>8106 M www.dasbiber.at APRIL 2016 Auf Deutsch konnte ich eigentlich nur „Danke“ sagen. Damals, mit zwölf Jahren, bei meiner Einschulung in der Hauptschule Alsegger Straße in Wien Währing. Ehrlich gesagt war das aber auch egal. In meiner Klasse, der 3a, sprach ohnehin fast jeder „Jugo“ – ein umgangssprachlicher Sammelbegriff für die sehr ähnlichen Sprachen Bosnisch, Kroatisch, Serbisch. NIX VERSTEHEN, NIX LERNEN Ich hatte eine herrliche Zeit in der Hauptschule. Während des Unterrichts plauderte ich die meiste Zeit mit den anderen Jungs vom Balkan. Wenn die Lehrerin dazwischenrief, ignorierte ich sie einfach – notgedrungen, ich sprach ja kein Deutsch. In den Fächern, in denen ich Deutsch nicht brauchte, war ich dafür der King. Mathematik oder Englisch – nur her damit. Der Grund: Was man von mir in der dritten Hauptschulklasse in Österreich verlangte, war der Stoff eines bosnischen Volksschülers. Nach zwei verlorenen Jahren an der Hauptschule verfrachtete mich meine Mutter in eine HAK. Gegen meinen Willen. Denn die ersten Wochen in der Vienna Business School Schönborngasse waren hart. Ich war der einzige Ausländer in der Klasse. Ich sprach als einziger kein Deutsch. Aber so lernte ich es eben umso schneller. Daher an dieser Stelle: Danke Mama! Ohne dich wäre ich heute beim AMS! So war es vor über 20 Jahren. Egal wie intelligent, klug oder wissbegierig ein Schüler war - ohne ausreichende Deutschkenntnisse kamen die meisten Die Rolle der Hauptschule damals und der NMS heute ist leider oft die des vorprogrammierten Abstellgleises – auch wenn die LehrerInnen dort wirklich ihr Bestes geben. + HÄUPL TEILT AUS + GRISS IN ZAHLEN + TRANSFRAU AUS SYRIEN nicht weiter als in die Hauptschule. Und so ist es auch heute, 20 Jahre später. Entschuldigung, heute heißt das ja Neue Mittelschule (NMS). Die Rolle der Hauptschule damals und der NMS heute ist leider oft die des vorprogrammierten Abstellgleises – auch wenn die LehrerInnen dort wirklich ihr Bestes geben. Vor 22 Jahren saß ich in der Hauptschule, heute sitzt dort Habiba. Die 15-Jährige geht in eine NMS im 12. Bezirk. Ihr einziger Makel: Sie kommt aus Syrien und kann nicht Deutsch. Anders als ich hat sie nur keine Mama, die sie an die Hand nimmt und in die AHS bringt. Obwohl, selbst das stimmt nicht: Habibas Mutter ging mit ihrer Tochter zum Direktor einer AHS. Das Ergebnis: Ernüchterung. „Wenn Habiba besser in Deutsch wird, könne sie ja wieder vorbeischauen“, so der Direktor. CHANCE FÜR HABIBA Viele Gymnasien in Wien wehren sich mit Händen und Füßen gegen Schüler mit Deutsch-Defiziten. Damit ist die Situation heute genauso, wenn nicht sogar schlimmer als damals. Habiba wird es nicht an eine AHS schaffen. Sie wird in ihrem „Ausländer“-Umfeld bleiben, mit ihren Klassenkolleginnen auf Arabisch plaudern und weiter nur von einem Medizin-Studium träumen. Für Mädchen wie Habiba wird die Regierung ab Herbst die sogenannten „Deutsch-Klassen“ einführen, offiziell „Deutschförderklassen“ genannt. Habiba wird also nicht mehr in ihre Regelklasse gehen, sondern in einer eigenen Klasse 20 Stunden pro Woche Deutsch lernen. Anders als viele in meinem Umfeld lehne ich diese Deutschklassen nicht kategorisch ab. Ich schätze auch Bildungsminister Heinz Faßmann, den ich noch aus seiner Zeit als Integrationsexperten kenne. Ich verstehe nur zwei wesentliche Dinge nicht: / POLITIKA / 33